EZB: Staatsschuld und Geldpolitik: Lehren aus der globalen

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EZB: Staatsschuld und Geldpolitik: Lehren aus der globalen
EZB: Staatsschuld und Geldpolitik: Lehren aus der globalen Finanzkrise
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Staatsschuld und Geldpolitik: Lehren aus der globalen Finanzkrise
Rede von Prof. Dr. Jürgen Stark, Mitglied des Direktoriums der EZB,
Münchner Seminare: CES ifo Group Munich & Süddeutsche Zeitung,
München, 20. Juni 2011
I. Stabilitätspolitischer Erfolg des Euro
[Folie 2: Euro als Stabilitätsanker für den Euroraum]
Europa steckt aktuell in einer tiefen Krise. Aber: Es ist keine Krise des Euro. Es ist eine Krise der Staatsfinanzen in einigen Ländern
der Eurozone. Und: die desolate Lage der Staatsfinanzen in diesen Ländern kommt nicht überraschend. Sie ist das Ergebnis einer
jahrelang verfehlten Wirtschafts- und Haushaltspolitik. - Stabilitätskriterien wurden sträflich missachtet. - Regeln für solide
öffentliche Haushalte nicht eingehalten und verwässert. - Statistiken geschönt.
Das sind die Ursachen der Schuldenkrise in Europa. Nun gilt es daran anzusetzen, um Europa und die Europäische Integration wieder
aufs Gleis zu bringen. Die Frage, die sich also stellt ist: Welche Lehren können wir aus der Krise ziehen?
Lassen Sie mich zunächst auf den stabilitätspolitischen Erfolg des Euro hinweisen. Der Euro hat insbesondere in Deutschland zu einer
Periode außerordentlicher Preisstabilität geführt. Seit der Einführung des Euro lag die Teuerungsrate in Deutschland im Schnitt bei
1,5%, im Vergleich zu einer Rate von 2.2% vor Einführung des Euro in den neunziger Jahren. Tatsächlich haben wir im Vergleich zu
vergangenen Dekaden die niedrigste durchschnittliche Teuerung seit 1950 in Deutschland erzielt. Dies zeigt, dass der Euro das
Versprechen, so stabil und stark wie die D-Mark zu sein, mehr als erfüllt hat. Diese Errungenschaft der europäischen Geldpolitik
sollte gerade in Deutschland stärker beachtet werden.
Aber nicht nur in Deutschland hat der Euro für stabile Preise gesorgt. Für den Euroraum als Ganzes lag die durchschnittliche
Teuerungsrate bei 2,00% seit Beginn der Währungsunion im Jahre 1999. In den letzten 50 Jahren wurde in keinem der größeren
Euroländer ein besseres Ergebnis erzielt. Gleichzeitig ist es uns gelungen, die Inflationserwartungen im Euroraum auf niedrigem
Niveau zu verankern – vereinbar mit unserem Ziel, die Inflationsrate unter, aber knapp bei 2% zu halten.
Dies ist zweifelsohne ein großer Erfolg der europäischen Geldpolitik. Er ist umso bemerkenswerter angesichts unzähliger
aufwärtsgerichteter Preisschocks, die den Euroraum seit Beginn der Währungsunion getroffen haben. Lassen Sie mich hier nur den
kontinuierlichen Anstieg des Ölpreises [von 10 USD per Barrel im Jahre 1998 auf zwischenzeitlich 140 USD Mitte 2008 und heute
wieder 120 USD] nennen.
Der stabilitätspolitische Erfolg des Euro ist ebenfalls außerordentlich im Hinblick auf die vielen politischen und finanziellen
Verwerfungen, die seit Schaffung der Europäischen Zentralbank aufgetreten sind. Erinnern Sie sich an die Terroranschläge vom 11.
September 2001, das Platzen der Internetblase 2000/2001 oder aber die jüngste Krise, der schwersten seit 1929.
[Folie 3: Weitere Vorteile des Euro: Zunehmende Handelsintegration]
Daneben hat gerade Deutschland von der Währungsunion in vielfältiger Weise profitiert. Das wird oftmals vergessen.
So ist der reale Anteil des deutschen Außenhandels innerhalb der Währungsunion stark gestiegen, mehr noch als der interne Handel
im Euroraum insgesamt. Gleichzeitig hat Deutschlands Handel mit Ländern außerhalb der Währungsunion kräftig zugenommen, und
wiederum mehr als der externe Handels des Euroraums als Ganzes. Natürlich sind diese Entwicklungen nicht alle auf den Euro
zurückzuführen. Andere Entwicklungen, wie das starke Wirtschaftswachstum in aufstrebenden Volkswirtschaften wie etwa China oder
Indien haben auch maßgeblich zum steigenden Außenhandelsanteil Deutschlands beigetragen.
Die niedrige Inflationsrate in Deutschland hat zusammen mit moderaten Lohnsteigerungen dazu geführt, dass die preisliche
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands innerhalb des Euroraums über die letzten 12 Jahre erheblich gestiegen ist. Das gilt auch für den
Handel außerhalb des Euroraums, trotz der Aufwertung des Euro. Und schließlich haben die Direktinvestitionen anderer Euroländer in
Deutschland deutlich zugenommen.
Hat nun der Euro in der globalen Finanzkrise stabilisierend gewirkt? Fragen wir umgekehrt, wenngleich hypothetisch: Wie würde
Europa heute ohne den Euro aussehen? Ohne Zweifel – und davon bin ich überzeugt – würden die Mitgliedsländer sich in einer
schlechteren Lage befinden. Sie wären gleichzeitig von vielfältigen Krisen betroffen. Auf nationaler Ebene würden Währungskrisen
Hand in Hand mit Wirtschafts-, Banken-, Staatsfinanzkrisen einhergehen. Zudem würde die Gefahr bestehen, dass nationale
Währungskrisen auf andere Länder in der Region überspringen, mit der Folge erheblicher politischer Spannungen zwischen den
Ländern, wenn etwa eine „Beggar-thy-neighbour“ Politik verfolgt wird.
Der Euro hat nun den „Infektionsherd“ über Wechselkurse beseitigt, die Ansteckungsgefahr der Euroländer untereinander erheblich
entschärft und sich in der Krise für alle Länder des Euroraums als Stabilitätsanker und Schutzschild bewährt. Ohne diesen Anker wäre
der konjunkturelle Aufschwung, den wir seit dem Frühjahr letzten Jahres im Euroraum, besonders in Deutschland, verzeichnen
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können, möglicherweise weniger ausgeprägt verlaufen.
Wie bereits erwähnt, erleben wir eine Krise der Staatsfinanzen einzelner Mitgliedsländer der Währungsunion. Drei Länder befinden
sich aktuell unter einem EU/IWF-Anpassungsprogramm. Der Beitrag dieser Länder zur Wertschöpfung des Eurogebiets beträgt
insgesamt rund 6%.
Die globale Finanzkrise, die im Kern das Produkt aus Markt- und Staatsversagen im aufsichtsrechtlichen Bereich war, und der damit
einhergehende starke realwirtschaftliche Abschwung haben die öffentlichen Haushalte massiv belastet – und zwar zusätzlich zu der
ohnehin angespannten Finanzlage in vielen Ländern des Euroraums. Aber grundsätzlich haben wir es mit einer hausgemachten Krise
zu tun. Jahrelang haben einige Mitgliedsländer eine unvertretbar laxe Haushaltspolitik verfolgt. Zudem haben sich im Euroraum über
Jahre hinweg makroökonomische Ungleichgewichte aufgestaut, gegen die die Regierungen nichts unternommen haben. In dieser
Hinsicht hätte die Schutzfunktion des Euro möglicherweise „zu gut“ funktioniert. Allerdings: diese Ungleichgewichte, einschließlich
der hohen Staatsverschuldung, sind kein spezifisches Problem des Euroraums, sondern globaler Natur. Sie betreffen nahezu alle
fortgeschrittenen Volkswirtschaften.
II Institutioneller Rahmen der WWU
[Folie 4: Institutioneller Rahmen der WWU]
Grundsätzlich ist die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion auf solidem Fundament gebaut. Allerdings wurde das
institutionelle Regelwerk, das für die Wirtschaftsunion aufgestellt wurde, im Laufe der Zeit immer mehr ausgehöhlt. Das Fundament
war und ist sehr viel solider was die Währungsunion betrifft. Dieses umfasst eine unabhängige Zentralbank mit eindeutigem Auftrag
zur Preisstabilität für den Euroraum als Ganzes. Daneben haben wir – aus guten historischen Gründen – im Vertrag von Maastricht
festgelegt, dass es den Zentralbanken des Eurosystems verboten ist, Staatshaushaltsdefizite monetär zu alimentieren. Das sind die
Grundpfeiler unserer Geldpolitik. Hinzu kommt die Nicht-Einstandsklausel („no bail-out“ Klausel) die verbietet, dass die EU oder
Mitgliedsländer für die Schulden eines anderen Mitgliedslandes einstehen.
Die Prinzipien, die im Rahmen der Wirtschaftsunion gelten, müssen aber erst noch „gelebt“ werden. Hier sind es nun mittlerweile 17
souveräne Staaten, die für ihre jeweiligen nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitiken verantwortlich sind - und diese untereinander
koordinieren müssen. Wie die Krise uns schmerzhaft verdeutlicht, haben weder Koordinierung noch die Einhaltung des gegebenen
Regelwerks bisher ausreichend funktioniert. Einige Mitgliedsländer haben den Geist der Wirtschaftsunion bis heute nicht richtig
verstanden und nicht gelebt.
a) Geldpolitik
[Folie 5: Geldpolitisches Krisenmanagement: Zinspolitische Maßnahmen]
Die Geldpolitik hat rasch und entschieden auf den mit der Finanzkrise verbundenen abnehmenden Inflationsdruck reagiert. So hat sie
den Zins für Hauptrefinanzierungsgeschäfte in nur 7 Monaten um 325 Basispunkte auf 1% gesenkt – und auf diesem sehr niedrigen
Niveau für nahezu zwei Jahre belassen. Ein derart niedriges Niveau hatte es seit Jahrzehnten nicht in den Euroländern gegeben.
Dieser ausgesprochen akkommodierende geldpolitische Kurs war zum Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise angemessen. Seit
einiger Zeit zeigen sich indes Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität. Dies hat den EZB-Rat veranlasst, Anfang April die Leitzinsen um
25 Basispunkte anzuheben. Seither hat der Inflationsdruck angehalten. Unser geldpolitischer Kurs ist nach wie vor akkommodierend
und wirkt sich unterstützend auf die Konjunktur aus. Auch bestehen weiterhin Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität. Deshalb ist
große Wachsamkeit geboten. Wir haben klar gemacht, alles zu tun, was geldpolitisch erforderlich ist, um die Inflationserwartungen
innerhalb des Eurogebiets fest auf niedrigem Niveau zu verankern.
Dabei beachten wir auch denkbare Gefahren, die eine Geldpolitik in sich birgt, die über einen zu langen Zeitraum die Zinsen auf zu
niedrigem Niveau behält. Anhaltend niedrige Zinsen haben das Potential, notwendige Anpassungsmaßnahmen im privaten und
öffentlichen Bereich zu verzögern oder zu verhindern. Sie setzen negative Anreizeffekte für Finanzmärkte, Risiken zu unterschätzen.
Eine erneute Blasenbildung an den Finanzmärkten könnte die Folge sein. Dass diese Überlegungen nicht nur theoretischer Natur sind,
sondern höchst relevant, zeigen die Entwicklungen in den Jahren vor dem Ausbruch der Finanzmarktspannungen im August 2007.
[Folie 6: Geldpolitisches Krisenmanagement: „Unkonventionelle“ Maßnahmen]
In ihrer Reaktion auf die Krise hat die Europäische Zentralbank auch eine Reihe von außerordentlichen geldpolitischen Maßnahmen
ergriffen.
Diese
waren
notwendig,
um
Finanzierungsbedingungen
und
Kreditströme
im
Euroraum
zu
unterstützen,
den
Transmissionsmechanismus der Geldpolitik aufrechtzuerhalten und eine Ansteckung innerhalb einzelner Finanzmarktsegmente zu
verhindern. Als wichtigste Sondermaßnahme haben wir zu einem festen Zinssatz und zu längeren Laufzeiten den Banken im Euroraum
unbegrenzt Liquidität zur Verfügung gestellt. Dabei haben wir temporär die Liste der als Sicherheiten zugelassenen Wertpapiere
erweitert und Programme für die Wertpapiermärkte eingeführt.
[Folie 7: Finanzkrise: Auswirkungen der geldpolitischen Maßnahmen auf die Bilanz der EZB]
Die Sondermaßnahmen haben zu einer beträchtlichen Bilanzverlängerung beigetragen. Dabei haben wir verstärkt Risiken auf uns
genommen. Dies war angesichts der Schwere der Krise durchaus angemessen. Dabei ist im Vergleich zu anderen wichtigen
Zentralbanken das Ausmaß der Bilanzverlängerung im Eurosystem relativ begrenzt geblieben. Eine Zentralbank muss in einer solchen
Finanzkrise bereit sein, vermehrt Liquidität bereitzustellen und ihre Rolle als Mittler auf dem Geldmarkt stärker wahr zunehmen, um
die Risiken für die Volkswirtschaft insgesamt einzudämmen. Eine Ausweitung der Notenbankbilanz und damit einhergehend ein
erhöhtes Risiko sind die Folge. Allerdings, die EZB verfolgt ein sehr umfangreiches und konservatives Risikomanagement, das die
Risiken überschaubar hält.
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Unsere Sondermaßnahmen sind zudem von ihrer Konstruktion her zeitlich begrenzt. In der Tat haben wir bereits Ende 2009 damit
begonnen, einige der Maßnahmen allmählich auslaufen zu lassen. Und auch die noch verbliebenen Maßnahmen werden wir rechtzeitig
anpassen und keineswegs länger beibehalten als nötig.
Dabei folgt der EZB-Rat keinem vorher festgelegten Ausstiegsplan hinsichtlich der konventionellen und unkonventionellen
Maßnahmen. In dieser Hinsicht erlaubt uns unser operationeller Handlungsrahmen größtmögliche Flexibilität. Die Festsetzung der
Leitzinsen und die Sondermaßnahmen sind kein Ersatz für einander. Vielmehr ergänzen sie sich gegenseitig. Alle geldpolitischen
Entscheidungen der Europäischen Zentralbank werden durch unser Mandat geleitet.
In diesem Sinne wird für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank also auch in Zukunft „business as usual“ gelten. Anders verhält
es sich für die Mitgliedsstaaten. Vor allem sind es die Krisenländer, die ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Verhalten nachhaltig
ändern müssen, wollen sie die Vorteile für Beschäftigung und Wohlstand, die ihnen die Währungsunion bietet, auf Dauer sichern.
Welche institutionellen Erneuerungen sind für diesen Prozess notwendig?
b) Wirtschaftpolitik
Beginnen wir mit der Wirtschaftspolitik. In vielen Mitgliedsländern ist es hierbei in der Vergangenheit zu erheblichen Versäumnissen
gekommen. Notwendige Strukturreformen mit dem Ziel flexiblerer Arbeits- und Produktmärkte blieben aus oder wurden nur sehr
zögerlich auf den Weg gebracht. In der Folge haben sich die Wettbewerbsbedingungen gerade in den Krisenländern teilweise
erheblich verschlechtert.
[Folie 8: Heterogenität: Lohnstückkostenentwicklung]
Ein wichtiger Indikator für diesen (preislichen) Wettbewerbsverlust ist z.B. die kräftige Zunahme der Lohnstückkosten, die einen
Lohnanstieg erkennen lassen, der über das – in vielen Fällen ausgesprochen schwache – Produktivitätswachstum hinaus gehen. So
sind die Lohnstückkosten in Ländern wie Griechenland, Portugal oder Irland relativ zu Deutschland im Zeitraum 1999 bis 2007 stark
gestiegen.
[Folie 9: Heterogenität: Harmonisierter Verbraucherpreisindex]
Diese Länder sind auch durch überdurchschnittlich hohe Inflationsraten charakterisiert. Und sie verzeichneten neben einer
vergleichsweise hohen Zunahme der Lohnstückkosten eine relativ expansive Lohnentwicklung im öffentlichen Sektor.
Ich greife bewusst diese beiden Indikatoren heraus, um den Zusammenhang mit den beiden in der wirtschaftspolitischen Debatte oft
parallel diskutierten „Defiziten“ – Leistungsbilanz- und Fiskaldefiziten – plausibel zu machen: so steht zum einen die
Lohnstückkostenentwicklung
–
als
Indikator
für
die
Wettbewerbsfähigkeit
–
in
einem
Zusammenhang
mit
zum
Teil
besorgniserregenden Anstieg der Leistungsbilanzdefizite.
[Folie 10: Heterogenität: Leistungsbilanzunterschiede]
Und die Lohnentwicklung im öffentlichen Sektor steht vielfach in einem Zusammenhang mit dem strukturellen Anstieg bei den
Defiziten
der
öffentlichen
Haushalte.
In
einigen
Ländern
wurden
diese
Ungleichgewichte
durch
exzessive
Immobilienpreisentwicklungen sowie die darauf aufbauende, nicht nachhaltige Kreditexpansion verschärft. Der damit verbundene
hohe und ebenfalls schuldenfinanzierte private Verbrauch hat zusätzlich zu der Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit
in einigen Ländern und damit einhergehenden Leistungsbilanzdefiziten beigetragen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf die jüngste Diskussion über die Bedeutung von TARGET2-Salden innerhalb des
Eurosystems eingehen. Hier liegen Missverständnisse vor. TARGET2-Salden sind das Ergebnis der Verteilung von Zentralbankgeld
innerhalb der dezentralen Struktur des Eurosystems. Sie resultieren aus grenzüberschreitenden Zahlungsströmen zwischen Banken im
Eurogebiet, die über das europäische Zahlungsverkehrsystem, namentlich TARGET2, abgewickelt werden.
Was ist nun die Ursache für den Anstieg von TARGET2-Salden in jüngster Zeit? Makroökonomische Ungleichgewichte wie
Leistungsbilanzdefizite, die wiederum öffentliche und private Spar- und Investitionsentscheidungen widerspiegeln, schlagen sich
(saldenmechanisch) in Kapitalströmen nieder. Normalerweise werden die Kapitalströme über die Finanzmärkte abgewickelt. Aber
aufgrund der Störungen an den Finanzmärkten und dem Einspringen der EZB als Mittler am Geldmarkt – durch die Sondermaßnahmen
wie oben beschrieben – schlägt sich diese Entwicklung nun in den TARGET2-Salden nieder.
Dies führt aber keineswegs dazu, dass es in den Ländern, die TARGET2 Forderungen haben, zu einer Einschränkung der Kreditvergabe
zugunsten einer Ausweitung der Kreditvergabe in der Peripherie kommt. Dies wird durch unsere Statistiken bestätigt. Die
EZB-Kreditvergabe an Geschäftsbanken in den Ländern, welche TARGET2 Verbindlichkeiten haben, wie Irland, Griechenland und
Portugal,
wird
dazu
verwendet,
grenzüberschreitende
Nettozahlungsabflüsse
von
Kreditinstituten
in
diesen
Ländern
zu
Kreditinstituten in anderen Euroländern, wie Deutschland, zu kompensieren. Wegen dieser Zahlungsströme brauchen Banken in
Irland, Griechenland und Portugal mehr EZB-Kredit, und Banken in Länder wie Deutschland weniger als früher. Den Banken in
Deutschland mangelt es im Allgemeinen nicht an Liquidität, um Kredite vergeben zu können. Im Gegenteil: deutsche Banken nutzen
die Einlagenfazilität der EZB. Dies zeigt, dass deutsche Banken tatsächlich Liquiditätsüberschüsse haben.
Heterogenität
Bisweilen wird die Frage aufgeworfen, ob die heterogene wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Mitgliedsstaaten untereinander
die einheitliche Geldpolitik überfordert. Zeitweilige Unterschiede beim regionalen Wirtschaftswachstum oder der Inflationsrate sind
typisches Merkmal jeder Währungsunion – und damit auch des Euroraums. So sind etwa die Unterschiede in den Lohnstückkosten
innerhalb des Euroraums nicht größer als in den Vereinigten Staaten. Solche Unterschiede können darauf zurückzuführen sein, dass
sich einige Volkswirtschaften in einem Aufholprozess befinden, oder vorübergehend von asymmetrischen Störungen getroffen werden.
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Bedenklich sind jedoch Wachstumsunterschiede über längere Zeit hinweg. Ist zum Beispiel eine dauerhaft hohe Wachstumsrate in
einem Land nicht durch nachhaltige angebotsseitige Entwicklungen gerechtfertigt, so schlägt sich die damit verbundene
wirtschaftliche Überhitzung in der Regel in starken Lohn- und Preissteigerungen nieder. Diese wiederum führen über die Zeit zu einer
zunehmenden Erosion der Wettbewerbsfähigkeit, so wie wir sie in einigen Ländern des Euroraums beobachten konnten.
Derartige Ungleichgewichte müssen korrigiert werden. Dies ist Grundvoraussetzung dafür, dass die Währungsunion reibungslos
funktionieren kann. Der Anpassungsbedarf liegt eindeutig bei den so genannten Defizitländern, also solchen Ländern, die
Wettbewerbsfähigkeit verloren haben und durch anhaltende Leistungsbilanzdefizite und oft hohe öffentliche und private Verschuldung
gekennzeichnet sind. Generell, also auch in Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland, gilt es, Investitionen in
zukunftsweisenden Sektoren voranzutreiben und die Mechanismen struktureller Anpassung weiter zu stärken. Dazu zählt vor allem,
die Güter- und Arbeitsmärkte weiter zu flexibilisieren.
Die EZB kann bei diesem notwendigen Abbau bestehender Ungleichgewichte keinen direkten Beitrag leisten. Ihre zentrale Aufgabe
besteht darin, die Preisstabilität für den Euroraum zu gewährleisten. Die EZB darf und wird davon nicht abweichen, weil
beispielsweise das reale Wachstum oder die Inflationsrate in einigen Mitgliedsländern des Euroraums erheblich niedriger sind als in
anderen Mitgliedsstaaten. Aber dies bedeutet nicht, dass der EZB-Rat die Entwicklungen in einem einzelnen Land des Euroraums
ignoriert. Spezifische nationale Entwicklungen können eine Rolle für die europäische Geldpolitik spielen, sofern sie für die
mittelfristige Entwicklung der Preisstabilität im gesamten Euroraum von Bedeutung sind.
Glaubwürdige Geldpolitik in einer Währungsunion souveräner Mitgliedsstaaten kann und muss den stabilen nominalen Anker liefern,
auf den sich alle nationalen und regionalen wirtschaftspolitischen Akteure implizit koordinieren können. Die Mitgliedsländer stehen
somit selbst in der Verantwortung die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die dauerhaft die wirtschaftlichen
Vorteile des Euro sichern.
Welche wirtschaftspolitischen Optionen haben die Mitgliedsstaaten in der jetzigen Krise, um die Bedingungen für Wachstum und
Beschäftigung wiederherzustellen, also wieder wettbewerbsfähig zu werden?
Wettbewerbsfähigkeit kann in einer Währungsunion nur durch anhaltende Phasen der Lohnzurückhaltung – und in manchen Fällen
auch tatsächlichen Nominallohnsenkungen – und flexible Lohnstrukturen erreicht werden. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, die
darauf zielen, den Lohnfindungsprozess zu dezentralisieren, so dass das Lohnwachstum der Produktivitätsentwicklung auf
Firmenebene und auch dem regionalen Niveau der Arbeitslosigkeit Rechnung trägt. In einigen Ländern gilt es, bestehende
Lohnindexierungssysteme abzubauen. Auch Reformen mit dem Ziel, die Arbeitsmärkte zu flexibilisieren, sind absolut erforderlich.
Insbesondere diskriminieren bestehende Mindestlohnregelungen als auch übermäßige Kündigungsschutzregelungen häufig vor allem
bestimmte Gruppen – junge, gering ausgebildete, aber auch Langzeitarbeitslose –und müssen daher dringend reformiert werden.
Maßnahmen, die den Wettbewerb auf den Gütermärkten intensivieren tragen dazu bei, dass notwendige Strukturveränderungen in
den Volkswirtschaften in Europa rasch voranschreiten können. Strukturelle Veränderungen sind vor allem wichtig in Ländern, deren
Wachstum sich vor der Krise auf nicht-handelbaren Sektoren, insbesondere den Bau- und Immobiliensektor, stützte und nicht
nachhaltig war. Verkrustungen, die Ressourcen erneut hin zu export-orientierten Sektoren lenken und Innovationen behindern,
müssen dringend abgebaut werden.
Reformen, die den Wettbewerb in den Netzwerkindustrien und im Bereich der Dienstleistungen vorantreiben, tragen entscheidend zu
einer Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungsaussichten bei und müssen fortgeführt werden. Insbesondere müssen die
Mitgliedsländer die Europäische Dienstleistungsrichtlinie zügig umsetzen.
Darüber hinaus können Strukturreformen, die zu einer Stärkung des Potentialwachstums beitragen, eine Rückführung überhöhter
Schuldenstände vereinfachen. Das betrifft insbesondere Mitgliedsstaaten, in denen vor der Krise Vermögenspreise – insbesondere
Immobilienpreise – übermäßig gewachsen sind.
Es reicht aber nicht aus, bestehende Ungleichgewichte abzubauen. Auch müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass
keine neuen Ungleichgewichte entstehen. Diese Herausforderung lässt sich nicht ohne institutionelle Reformen auf europäischer
Ebene bewältigen. Im Kern geht es darum, den Rahmen zur Koordinierung längst überfälliger Strukturreformen grundlegend zu
überarbeiten und zu stärken.
Auf europäischer Ebene werden solche Maßnahmen im Rahmen der Europa 2020 Strategie koordiniert und überwacht. Europa 2020 hat
die frühere Lissabonstrategie abgelöst. Die Lissabonstrategie hat vor allem mit Blick darauf, Wachstum und Beschäftigung in Europa
zu stärken, im Wesentlichen enttäuscht.
Die Gründe für die enttäuschende Lissabon-Bilanz sind vielfältig. Es fehlte vor allem an Überwachungsinstrumenten. So konnte nur
mangelhaft überprüft werden ob und inwieweit, wirtschaftspolitische Empfehlungen auch umgesetzt wurden. Die nationalen
politischen
Entscheidungsträger
haben
dann
auch
die
an
sie
gerichteten
Empfehlungen
zu
wirtschafts-,
struktur-
und
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen häufig praktisch ignoriert.
Die reformierten Rahmenbedingungen unter Europa 2020 stärken die Rolle des Europäischen Rats in der Umsetzung der ReformAgenda, und sie haben auch zum Ziel, die Mitgliedstaaten selbst in der Festlegung ihrer nationalen Reformziele stärker einzubinden.
Darüber hinaus wird gegenwärtig über ein integriertes Regelwerk zur engeren wirtschaftlichen Überwachung der Mitgliedsländer
verhandelt. Damit sollen übermäßigen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Zukunft verhindert werden.
Es hat sich gezeigt, dass solche Krisen auch erhebliche Risiken für die Währungsunion insgesamt bergen können. Es ist daher
wichtig, dass alle Beteiligten den Ernst und die Dringlichkeit der aktuellen Lage verstehen: Die neuen Regelungen müssen klar sein.
Sie müssen darauf zugeschnitten sein, Bedingungen zu schaffen, die wirtschaftliche Ungleichgewichte in einer Währungsunion
verhindern.
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Die gegenwärtigen Vorschläge sehen vor, dass ausgehend von einer überschaubaren, klar definierten Anzahl an makroökonomischen
Indikatoren die wirtschaftlichen Entwicklungen der einzelnen Mitgliedsländer genauer kontrolliert werden und so frühzeitig auf
Fehlentwicklungen reagiert werden kann.
[Folie 11: Wirtschaftspolitische Überwachung]
Die Leistungsbilanz, die Lohnstückkosten, der Verschuldungsgrad privater Haushalte oder nationale Vermögenspreisentwicklungen
sind solche Kennzahlen, die in die Bewertung eines Landes einfließen sollten. Bei Fehlentwicklungen werden hier rechtzeitig
Empfehlungen ausgesprochen werden. Bei Missachtung können Sanktionen verhängt werden. Allerdings wäre es aus unserer Sicht
erforderlich, die vorgesehenen Automatismen zu verstärken und Sanktionen frühzeitig und schrittweise greifen zu lassen.
Zurzeit wird darüber verhandelt, wie man außergewöhnliche Veränderungen in der Wettbewerbsposition eines Landes erkennt,
verhindert oder korrigiert. Das gilt sowohl für außergewöhnliche Verschlechterungen, also auch für außergewöhnliche Verbesserungen
der Wettbewerbsposition. Wir haben unseren Standpunkt hierzu wiederholt deutlich gemacht: Es ist wesentlich, dass der
Überwachungsrahmen vor allem auf solche gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte ausgerichtet ist, die das reibungslose
Funktionieren der Währungsunion gefährden. Dies sind beträchtliche Wettbewerbsverluste, anhaltende Leistungsbilanzdefizite,
untragbare Anstiege der Vermögenspreise, sowie eine hohe Verschuldung. Eine symmetrische Ausgestaltung der Überwachung der
Wettbewerbsfähigkeit birgt die Gefahr, dass sich die Bemühungen nicht auf die größten Herausforderungen für die Währungsunion
konzentrieren.
Hohe Leistungsbilanzüberschüsse und außergewöhnliche Zunahmen der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes können im Einzelfall
durchaus ein Symptom binnenwirtschaftlicher Probleme sein. Sie können beispielsweise auf eine schwache inländische Nachfrage
hindeuten oder auch auf Fehlanreize im inländischen Arbeitsmarkt, die eine übermäßige Orientierung der Wirtschaft auf profitable
Exportsektoren bewirken können.
Allerdings sollten solche Probleme im Rahmen der Strategie Europa 2020 betrachtet werden. Das gilt ebenso für weitere
wirtschaftspolitische Ziele, wie beispielsweise eine höhere Energieeffizienz, die Verbesserung der Beschäftigungschancen und die
Verhinderung von Armut in Europa: Diese können besser im Rahmen von Europa 2020 verfolgt werden.
Das neue Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte muss hingegen möglichst effektiv and klar
auf dieses Ziel ausgerichtet werden. Diese Überwachungsprozesse darf nicht zu einer wirtschaftspolitischen Feinsteuerung in Form
kurzfristiger Nachfragesteuerung führen. Wenn wir hier die Ziele und die Überwachungsprozesse vermischen, werden wir in Zukunft
kaum in der Lage sein, wirtschaftliche Ungleichgewichte in Europa erfolgreich zu korrigieren und zu verhindern.
c) Fiskalpolitik
Lassen Sie mich nun zur Fiskalpolitik kommen. Wie bereits gesagt: Wir sehen uns im Moment einer Krise der Staatsfinanzen in
einigen Ländern der Eurozone gegenüber. Wie Sie wissen, mussten Griechenland, Irland und zuletzt auch Portugal finanzielle
Unterstützung von der EU sowie des Internationalen Währungsfonds in Anspruch nehmen. Diese finanzielle Unterstützung ist an
strikte
Bedingungen
geknüpft:
für
alle
drei
Länder
bedeutet
dies
eine
wirtschaftspolitische
Kehrtwende
mit
striktem
Konsolidierungskurs und umfassenden Strukturreformen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Die konsequente Umsetzung dieser
Programme ist von entscheidender Bedeutung, um die makroökonomische Entwicklung in diesen Ländern zu stabilisieren und die
Kapitalmärkte von der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu überzeugen.
[Folie 12: Entwicklung der Staatsverschuldung: Euroländer]
Die finanzpolitische Situation ist nach der Krise aber auch in anderen Euroländern besorgniserregend. Seit 2007 ist die
Staatsverschuldung bezogen auf das Bruttoinlandprodukt in der Eurozone um fast 20 Prozentpunkte angestiegen. Zuletzt lag die
Schuldenquote bei rund 85% und damit deutlich über dem 60% Referenzwert des Maastrichtvertrags. Dazu haben nicht zuletzt starke
Anstiege in der Verschuldung in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien beigetragen. Laut der Frühjahrsprognose der
Europäischen Kommission wird die Schuldendynamik über den Prognosezeitraum bis 2012 zwar nachlassen, der Aufwärtstrend bleibt
jedoch intakt.
[Folie 13: Entwicklung der Staatsverschuldung: Internationaler Vergleich]
Der internationale Vergleich zeigt, dass sich die Verschuldungssituation sowie die mittelfristige Entwicklung in den USA und
insbesondere in Japan noch deutlich bedrohlicher darstellen als in der Eurozone.
Die Gründe für die starke Zunahme der Verschuldung im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sind zahlreich. So sind die
öffentlichen Defizite aufgrund von finanzpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen sowie der konjunkturell bedingten Verschlechterung
der Haushalte in vielen Ländern stark angestiegen. Hinzu kamen Maßnahmen zur Stützung des Finanzsektors.
Simulationsrechnungen verdeutlichen, dass die gegenwärtige Ausrichtung der Finanzpolitik in allen genannten Wirtschaftsregionen
nicht tragfähig ist und langfristig eine Explosion der Staatsverschuldung impliziert. Wir haben es derzeit mit der höchsten staatlichen
Verschuldung in Friedenszeiten zu tun.
[Folie 14: Schuldensimulationen: Eurozone]
Die jährlichen Konsolidierungsanstrengungen, die notwendig sind um lediglich eine Stabilisierung der Verschuldung zu erreichen, sind
bereits beträchtlich. In der Eurozone würde eine jährliche Anpassung um 0.5 Prozent der Wirtschaftskraft erst in etwa 7 Jahren zu
einer Trendumkehr bei der Verschuldung führen. Sogar bei einer jährlichen Anstrengung von 1 Prozent des BIP würde der
Schuldenstand im Euroaggregat erst wieder etwa im Jahr 2030 unter die 60 Prozentmarke des Stabilitäts- und Wachstumspakts
fallen.
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[Folie 15: Schuldensimulationen: Internationaler Vergleich]
Aufgrund der schlechteren fiskalischen Ausgangssituation zeichnen die Simulationsrechnungen für die USA, das Vereinigte Königreich
und Japan ein noch bedrohlicheres Bild.
Im Anbetracht des außerordentlich starken Konjunktureinbruchs waren die finanzpolitischen Maßnahmen, die zur Abfederung der
Rezession beschlossen wurden, sicherlich gerechtfertig. Gleichzeitig bin ich jedoch der Meinung, dass die krisenhafte Zuspitzung der
budgetären Situation in einigen Euroländern nicht ausschließlich der Krise zuzuschreiben ist, sondern eine Entwicklung mit Ansage
war.
[Folie 16: Stabilitäts- und Wachstumspakts: Die Bilanz]
Viele Regierungen haben trotz des günstigen konjunkturellen Umfelds bis 2007 ihre finanzpolitischen Hausaufgaben nicht gemacht.
Sie haben die mittelfristigen Haushaltsziele, die der präventive Arm des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgibt, verfehlt. Als
Resultat war der finanzpolitische Spielraum bereits zu Beginn der Krise oftmals begrenzt oder nicht vorhanden. Die Folge war, dass
die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten die 3% Defizitgrenze - zum Teil deutlich - überschritten hat, sodass Verfahren aufgrund
übermäßiger Defizite eingeleitet werden mussten.
Rückblickend muss daher festgestellt werden, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht konsequent genug umgesetzt wurde.
Fristen für die Erreichung von Konsolidierungszielen wurden immer wieder verlängert, Verfahren bei übermäßigem Defizit vorzeitig
ausgesetzt, Sanktionen nie verhängt. Konsolidierungsprogramme beruhten oft auf zu optimistischen Wachstumsannahmen.
Aus meiner Sicht hat die Reform des Stabilitätspaktes im Jahr 2005 dazu maßgeblich beigetragen, da sie zu einer stärkeren
Politisierung der Entscheidungen führte. Diese Aufweichung des finanzpolitischen Regelwerks hat dessen Bindungswirkung
maßgeblich unterminiert.
[Folie 17: Stabilitäts- und Wachstumspakts: Reformvorschläge]
Es ist daher zu begrüßen, dass ein breit angelegter Reformprozess zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts initiiert wurde.
Eckpfeiler
der
angestrebten
Reform
sind
einen
stärkerer
Fokus
auf
Verschuldungsentwicklungen,
einen
effektiverer
Sanktionsmechanismus sowie eine umfassendere nationale Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts.
Die Europäische Zentralbank hat zu diesen Vorschlägen bereits Stellung genommen und wir sehen das Reformpaket als einen Schritt
in die richtige Richtung an. Allerdings bleibt es hinter dem zurück was notwendig gewesen wäre, um eine effektive Koordinierung der
Fiskalpolitik, insbesondere im Euroraum sicherzustellen.
Vor allem ist bedauerlich, dass bisher die Gelegenheit verpasst wurde, einen stärkeren Automatismus einzuführen. Denn nach wie vor
hätten die Europäische Kommission sowie der Europäische Rat maßgeblichen Einfluss auf wichtige Entscheidungen etwa bzgl. der
Erteilung von Empfehlungen sowie der Bestimmung der Höhe von Sanktionen. Ein entscheidender Schwachpunkt des Stabilitäts- und
Wachstumspakts wird bei der angestrebten Reform also nicht in überzeugender Weise behoben.
Dies ist umso bedauerlicher im Hinblick auf die beträchtlichen finanzpolitischen Herausforderungen, denen sich viele Länder der
Eurozone gegenübersehen. Der Konsolidierungsprozess nach der Krise hat nun auf breiter Front begonnen. Im Rahmen der
aktualisierten Stabilitätsprogramme haben die Mitgliedsländer Strategien zur Korrektur der übermäßigen Defizite vorgelegt. Diese gilt
es nun Punkt für Punkt und in voller Übereinstimmung mit den Vorgaben des Europäischen Rates umzusetzen.
Darüber hinaus wird es in vielen Mitgliedsländern notwendig sein, die Sparanstrengungen auch längerfristig aufrechtzuerhalten, um
die Verschuldung auf ein nachhaltiges Niveau im Einklang mit den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückzuführen.
Dies ist unerlässlich, insbesondere im Hinblick auf die erheblichen finanzpolitischen Risiken aufgrund des demographischen Wandels.
Der notwendige Konsolidierungsprozess sollte durch eine Stärkung nationaler Budgetinstitutionen im Einklang mit der vorgesehenen
Ratsdirektive flankiert werden, um so die Glaubwürdigkeit der Konsolidierungsstrategien zu untermauern.
Gibt es eine Alternative zu diesem notwendigen Konsolidierungsprozess? Im Falle von Griechenland wird derzeit in vielen
Diskussionen eine Umschuldung als einziger Ausweg, als schnelle und einfache Lösung erachtet. Dies ist aber eine Illusion. Eine
Schuldenreduzierung kann nicht die wirtschaftlichen und strukturellen Probleme, die für die Krise verantwortlich sind, beheben.
Tatsächlich könnte sich die Lage durch eine solche Maßnahme sogar verschlimmern, da eine Umschuldung die Anreize für die
betroffenen Regierungen schwächt, notwendige Reformen umzusetzen. Ein solcher Vorschlag verkennt zudem die massiven negativen
Folgen für das betroffene Land. Der Zugang zu internationalen Finanzmärkten könnte für einen langen Zeitraum behindert sein, was
die weitere wirtschaftliche Entwicklung dämpfen dürfte. Zudem kann eine Umstrukturierung der Staatsschulden in einem Land das
dortige Bankensystem erschüttern. Nicht zuletzt kann eine Umschuldung eines Eurolandes erhebliche Nachteile für das gesamte
Währungsgebiet mit sich bringen, da es zu neuen Verwerfungen an den Finanzmärkten kommen kann. Es gibt folglich keine
Alternative zur Konsolidierung des Staatshaushaltes und strukturelle Reformen.
d) Ein europäischer Mechanismus zur Krisenbewältigung
[Folie 18: Mechanismen zur Krisenbewältigung]
Der europäische Mechanismus zur Krisenbewältigung, auf den ich jetzt näher eingehen möchte, ist ebenso wenig ein Ersatz für die
notwendigen umfassenden Anpassungen. Als im Mai 2010 die europäische Schuldenkrise in Griechenland ihren ersten Höhepunkt
erreichte, war schnelles Handeln gefragt, um ein übergreifen der Krise auf den Euroraum als Ganzes zu verhindern. Wie Sie wissen,
haben die EU-Staaten dazu zunächst - zusammen mit dem IWF - Gelder für Griechenland bereitgestellt. Gleichzeitig wurden die
Europäische Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) und der Finanzstabilitäts-Mechanismus (EFSM) gegründet.
21.06.2011 14:12
EZB: Staatsschuld und Geldpolitik: Lehren aus der globalen Finanzkrise
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http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2011/html/sp110620.de.html
Zudem wurde die Schaffung eines permanenten Mechanismus zur Bewältigung von Finanzkrisen zur Sicherstellung der Finanzstabilität
im Euroraum als
Ganzes
beschlossen.
Der Europäische
Stabilitäts-Mechanismus
(ESM) wird
die
bestehenden,
kurzfristig
eingerichteten und zeitlich begrenzten Mechanismen im Juli 2013 ablösen.
[Folie 19: Europäischer Stabilitäts-Mechanismus]
Über einige Details des ESM Vertrages wird noch verhandelt. Erlauben Sie mir aber im Folgenden die Eckpfeiler des ESM kurz zu
umreißen, wie sie vom Europäischen Rat in März verabschiedet wurden: - er ist eine internationale Organisation, basierend auf einem
Vertrag zwischen den Mitgliedsstaaten der Eurozone, geführt von den Finanzministern des Euroraums. Wichtige Entscheidungen –
über die Gewährung von finanzieller Hilfe, über die Höhe der Kreditfähigkeit des Mechanismus und über das Instrumentarium –
werden im Einverständnis getroffen. - Finanzielle Mittel aus dem ESM werden nur auf Antrag gewährt, unterliegen strengen Auflagen
zur Umsetzung von fiskal- und strukturpolitischen Korrekturen, werden primär in Form von Krediten mit Zinsen über dem Marktniveau
und sehen von Fall zu Fall eine Beteiligung privater Gläubiger vor. Insgesamt erhält der ESM auch eine solide Kapitalstruktur.
Wie ist die Schaffung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus zu beurteilen? In diesem Zusammenhang möchte ich auf
zwei Sachverhalte nachdrücklich hinweisen.
Erstens, der ESM ist so konstruiert, dass Fehlanreize für die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten des Euroraums minimiert werden.
Moralisches Risiko lässt sich bei einem Versicherungsmechanismus, wie es der ESM ist, nicht vollkommen ausschließen. Nicht
umsonst lehnt sich der ESM jedoch in seiner institutionellen Ausgestaltung und seinen Instrumenten sehr eng an den IWF an und
bezieht ihn darüber hinaus in seine Aktivitäten mit ein. Insbesondere werden finanzielle Hilfen ausschließlich nach einer
Tragfähigkeitsprüfung des öffentlichen Haushalts des betroffenen Mitgliedsstaates und unter dem Vorbehalt der Umsetzung eines
strikten Anpassungsprogramms gewährt.
Zweitens ist der ESM keineswegs der Einstieg in eine Transferunion. Er ist vielmehr als Komplement zu einer reformierten
europäischen wirtschaftspolitischen Koordinierung – also des verschärften Stabilitäts- und Wachstumspaktes und des neu
eingerichteten makroökonomischen Überwachungsmechanismus – gedacht. Insbesondere sollen diese Reformen die europäische
Wirtschafts- und Währungsunion auf eine solide institutionelle Basis stellen, Ungleichgewichte und Überschuldung von vorneherein
vermeiden und so das Risiko einer erneuten Finanzkrise im Euroraum minimieren. Sie sollen also den ESM praktisch redundant werden
lassen.
Aber eine Haushaltskrise kann nie völlig ausgeschlossen werden. Es entspricht dem Prinzip angemessener Sorgfalt, in Zukunft besser
vorbereitet
zu
sein
und
ein
letztinstanzliches
Instrument
vorzuhalten,
um
im
Zweifelsfall
einer
Bedrohung
für
die
gesamtwirtschaftliche Stabilität des Euroraums effektiv entgegentreten zu können.
e) Gesamtbeurteilung der Reformvorhaben
[Folie 20: Gesamtbeurteilung]
Kommen wir zu einer Gesamtbeurteilung der eingeleiteten institutionellen Reformen. Diese sind notwendig, da das „MikroManagement“ von Fiskal- und Wirtschaftpolitik auf nationaler Ebene häufig versagt hat. Viele Mitgliedsländer haben sich
unzureichend an die Bedingungen der Währungsunion angepasst. Sie haben von dem einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraum
profitiert, aber gleichzeitig ungleichgewichtiges und nicht nachhaltiges Wirtschaftswachstum gefördert und über ihre Verhältnisse
gelebt. Sie haben sich schlicht nicht damit abgefunden, dass die Mitgliedschaft in einer Währungsunion neben der Aufgabe einer
nationalen Geldpolitik auch staatliche Souveränitäts-Einschränkungen im wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich mit sich bringt.
Der institutionelle Rahmen der Wirtschaft- und Währungsunion wurde im Laufe der Zeit unterhöhlt. Auch bei der Auslegung der
Qualifikationskriterien für die Wirtschafts- und Währungsunion war man zu lax. Ausschlaggebend waren immer wieder politische
Erwägungen. Die aktuelle Finanz- und Fiskalkrise hat diesen Rahmen weiter verändert, in dem drei Mitgliedsstatten umfangreiche
finanzielle Unterstützung gewährt wurde. Das Regelwerk für den Wirtschaftsteil der WWU wurde mit den Beschlüssen des
Europäischen Rates vom März 2011 umgestaltet.
Wird diese Reform die Krise im Eurogebiet lösen und ähnliche Krisen in Zukunft vermeiden? Nun, die Reformen sind ein wichtiger
Schritt in die richtige Richtung. Aber sie entsprechen keinesfalls dem Quantensprung, den wir erforderlich halten, um Stabilität und
ein reibungsloses Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion zu gewährleisten. Das neue Regelwerk bietet weiterhin zu viel
Raum für Diskretion, ist kein klarer Schritt in die zumindest stückweise Abgabe nationaler Souveränität, birgt die Gefahr einer
Detailsteuerung und schließt „moral hazard“ nicht vollständig aus.
Zur Lösung der Krise gilt es, das neue Regelwerk zügig und konsequent umzusetzen. Alle Mitgliedsstaaten müssen nun ihre
Haushalts- und Wirtschaftspolitik auf einen nachhaltigen Kurs bringen. Kommt jeder Mitgliedsstaat seiner Verantwortung innerhalb
der Währungsunion nach, wird der Einsatz des ESM redundant. Zukünftige Krisen bleiben aber nicht ausgeschlossen. Hier sind die
Regierungen des Euroraums gefragt, entschieden zum Erfolg der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beizutragen.
Ich komme zum Schluss auf meine Eingangsfrage zurück: Welche Lehren können wir aus der aktuellen Krise ziehen? Eines ist
klar: Wir benötigen eine stärkere Entpolitisierung von Entscheidungsprozessen. Gleichzeitig sind stärkere Regelbindungen und
institutionelle Reformen notwendig, um die richtigen Anreize zu setzen. Insbesondere benötigen wir Mitgliedsstaaten, die verstehen,
dass sie ihre nationale wirtschafts- wie fiskalpolitische Autonomie in ihrem eigenen Interesse teilweise zum Wohle der Wirtschaftsund Währungsunion aufgeben müssen.
Die geldpolitische Strategie und der operationelle Handlungsrahmen der EZB haben sich bewährt. Die EZB hat ein klares Mandat. Das
haben wir erfüllt. Wir werden auch weiterhin diesem Mandat folgen und bei Risiken für die Preisstabilität rasch, entschieden und in
voller Unabhängigkeit handeln und weiterhin den Prinzipien einer soliden Geldpolitik und unseren Regeln folgen. In diesem Sinne
bleiben wir Stabilitäts- und Vertrauensanker für den Euroraum.
21.06.2011 14:12
EZB: Staatsschuld und Geldpolitik: Lehren aus der globalen Finanzkrise
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http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2011/html/sp110620.de.html
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