(PDF, 97KB, Datei ist barrierefrei⁄barrierearm)
Transcrição
(PDF, 97KB, Datei ist barrierefrei⁄barrierearm)
Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 465 Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa 1 Einleitung Als Folge von Globalisierung, Transformationsprozessen sowie damit zusammenhängenden wirtschaftlichen und sozialen Restrukturierungen haben sich in Städten aller EU-Staaten benachteiligte Quartiere herausgebildet, die von der jeweiligen gesamtstädtischen bzw. regionalen Entwicklung abgekoppelt sind oder zumindest kurz davor stehen; Motor hierfür sind meist kleinräumige Segregationsprozesse. Bei diesen Stadtteilen handelt es sich oftmals um innerstädtische Altbauquartiere und/ oder Großwohnsiedlungen, deren Benachteiligung sich durch eine Mischung komplexer, miteinander zusammenhängender Probleme charakterisieren lässt1: • städtebauliche Probleme: hoher Sanierungsbedarf, Desinvestition, Leerstand etc. • lokalökonomische Probleme: niedergehender Einzelhandel, unzureichendes wohnortnahes Arbeitsplatzangebot etc. • unzureichende Versorgungs-, soziale und kulturelle Infrastruktur (z. B. fehlende Treffpunkte für Jugendliche) • sozialökonomische Probleme: überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, Kaufkraftverlust, Armut etc. • sozialstrukturelle Probleme: soziale Entmischung, überdurchschnittliche Anteile von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund etc. • soziale Probleme: Konzentration einkommensschwacher Haushalte, Konflikte zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, niedriges (Aus-)Bildungsniveau der Quartiersbevölkerung, instabile Familienstrukturen, schulische Probleme bei Kindern und Jugendlichen, fehlendes Zusammengehörigkeitsgefühl, fehlende soziale Netzwerke, Perspektivlosigkeit, Drogen- und Alkoholmissbrauch, Vandalismus und Kriminalität etc. • Umweltprobleme: fehlende Grün- und Freiflächen, Lärm- und Abgasbelastungen etc. Thomas Franke Wolf-Christian Strauss Vor diesem Hintergrund gewinnen seit Mitte der 1990er Jahre in allen EU-Mitgliedstaaten zwei Fragen an Bedeutung 2: 1. Wie können lokales Wirtschaftswachstum, internationale und interregionale ökonomische Konkurrenzfähigkeit und – damit verbunden – die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten als ein Pfeiler der Zukunftsfähigkeit und -sicherung europäischer Städte erreicht werden? 2. Wie können dabei Bevölkerungsgruppen und städtische Teilräume, denen eine Abkopplung von der lokalen Wirtschaftsentwicklung, dem städtischen Arbeitsmarkt und sozialräumlichen Zusammenhängen droht, an den angestrebten Entwicklungen beteiligt werden, um Städte als gesellschaftliche und räumliche Einheiten zu erhalten? Trotz weitgehender Übereinkunft zu diesen Fragen scheint die Realisierung entsprechender Politiken, Programme, Projekte und Maßnahmen vielerorts noch mit Unsicherheiten behaftet zu sein. Ein Grund wird darin gesehen, dass sich Rahmenbedingungen, Probleme und Poten. ziale nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Stadt zu Stadt unterscheiden3. Hinzu kommt, dass Städtepolitik in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten eine unterschiedlich große Bedeutung hat und von nationaler Ebene nicht überall in gleich starkem Maße unterstützt wird. Insgesamt lassen sich jedoch einige grundlegende gemeinsame Anforderungen an geeignete Strategien formulieren, in deren Mittelpunkt die auf europäischer Ebene seit rund zehn Jahren erhobene Forderung nach der Entwicklung benachteiligter Quartiere durch integrierte Stadt(teil)entwicklungspolitik steht. Mit der am 24. Mai 2007 in Leipzig verabschiedeten „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ haben sich die 27 Stadtentwicklungsministerinnen und -minister der EU auf neue handlungsorientierte Strategien zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in den benachteiligten Stadtquartieren verständigt. Dipl.-Geogr. Thomas Franke Dipl.-Ing. Wolf-Christian Strauss Deutsches Institut für Urbanistik Straße des 17. Juni 112 10623 Berlin E-Mail: [email protected] [email protected] 466 Thomas Franke, Wolf-Christian Strauss: Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa 2 Integrierte Stadtentwicklungspolitik: Strategie und Elemente Allgemein kann unter integrierter Stadtentwicklung eine räumliche, zeitliche und sachliche Abstimmung und Vernetzung unterschiedlicher politischer Handlungsfelder und Fachplanungen verstanden werden, bei der unter Vorgabe bestimmter (finanzieller) Instrumente definierte Ziele erreicht werden sollen. Dabei spielt die frühzeitige und umfassende Einbindung aller auch außerhalb von Politik und Verwaltung stehenden, für die Stadtentwicklung relevanten Akteure (Bevölkerung, Unternehmer etc.) eine herausragende Rolle. (1) Vgl. Franke, Thomas; Löhr, Rolf-Peter; Sander, Robert: Soziale Stadt – Stadterneuerungspolitik als Stadtpolitikerneuerung. Arch. f. Kommunalwiss. 39 (2000) H. 2, S. 243–268 (2) Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Nachhaltige Stadtentwicklung in der Europäischen Union: Ein Aktionsrahmen. – Brüssel 1999; dies.: Die Kohäsionspolitik und die Städte: Der Beitrag der Städte zu Wachstum und Beschäftigung in den Regionen. – Brüssel 2006; dies.: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine thematische Strategie für die städtische Umwelt. – Brüssel 2006; The Lisbon European Council – An Agenda of Economic and Social Renewal for Europe. Contribution of the European Commission to the Special European Council in Lisbon, 23–24th March 2000. – Brüssel; Lille Priorities. Conclusions of the French Presidency of the European Union at the end of the informal meeting of Ministers responsible for urban affairs at the Conference „Europe, spatial and urban development”. – Lille 2000 (3) Vgl. Ministry of the Interior and Kingdom Relations (Hrsg.): Gemeinsamer Rahmen für die zukünftige Städtepolitik in Europa. Die Städte als Motor Europas, Entwurf vom 20.9.2004 Konkret ist integrierte Stadtentwicklung gekennzeichnet durch – eine zunehmende Abkehr von einem strikten Top-down-Prinzip in Richtung partizipativer Governance-Strukturen, – die Orientierung von Zielformulierungen, Strategien, Maßnahmen und Projekten an spezifischen Stadtteilen im Kontext gesamtstädtischer, teilweise auch regionaler Ansätze sowie – eine stärkere Orientierung sektoraler Politiken und Handlungsfelder an den Problemen und Potenzialen der jeweiligen städtischen Teilräume. In der Praxis zeichnen sich Ansätze integrierter Stadt(teil)entwicklung durch die Bündelung von Ressourcen, die intensive Einbeziehung eines breiten Akteursspektrums, den Aufbau dafür geeigneter Management- und Organisationsstrukturen in den Stadtverwaltungen und Quartieren sowie einen dezidierten Gebietsbezug aus: • Gebietsbezug Der Gebietsbezug bildet die Grundlage nicht nur für die Identifizierung von Problemen und Potenzialen einzelner Stadtteile, sondern auch für Kommunikation und Kooperation zwischen allen beteiligten professionellen und nicht-professionellen Akteuren. Er ist damit zugleich Fokus und kleinster gemeinsamer Nenner integrierter Ansätze zur Stadt(teil)entwicklung. • Ressourcenbündelung Weiteres zentrales Element ist die fachübergreifende Zusammenarbeit auf allen beteiligten Steuerungsebenen (nationale, regionale, kommunale Ebene). Es geht darum, nationale Förderprogramme besser aufeinander abzustimmen, EU-Förderprogramme in die jeweilige nationale Kulisse zu integrieren, kommunale Ressortmittel miteinander zu vernetzen und mit Förderprogrammen in Einklang zu bringen. Vor allem die Integration auch nichtstaatlicher Ressourcen – insbesondere von privatwirtschaftlichen Unternehmen – spielt zunehmend eine Rolle. Ressourcenbündelung meint darüber hinaus auch die verbesserte inhaltliche Kooperation verschiedener Behörden oder Verwaltungsbereiche (Knowhow). Insgesamt soll durch die Bündelung knapper Ressourcen deren effizienterer Einsatz gewährleistet werden. • Aktivierung und Beteiligung, Empowerment Ebenso unverzichtbar ist die Einbeziehung verwaltungsexterner Akteure in die Gestaltung des Stadtteilentwicklungsprozesses. Vor allem Bewohner und Unternehmer in den Quartieren sind nicht nur Experten für die Situation vor Ort mit ihren Problemen und Potenzialen, sondern tragen in ihrem Alltagsleben die Entwicklung des Gemeinwesens. Sie sollten sich daher intensiv an der Entwicklung von Projekten beteiligen können und dazu befähigt werden, eigenständig zu einer Verbesserung ihrer Lebenssituation beizutragen. Voraussetzung sind geeignete partizipative Verfahren sowie Instrumente der Aktivierung und des Empowerments. Auch Träger im sozialen Bereich sowie Vereine und Initiativen auf Stadtteilebene sollten umfassend einbezogen werden. • Vernetzungsorientiertes Management und Organisation/Quartiersmanagement Management und Organisation integrierter Stadtteilentwicklung sollten an der Komplexität der Probleme und Potenziale vor Ort ausgerichtet werden. Es geht darum, ressortübergreifende Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene zu koordinieren, die Kommunikation mit und innerhalb der Quartiersbevölkerung zu ermöglichen, die Verwaltungs- und Quartiersebene miteinander zu vernetzen sowie verwaltungsexterne Akteure – beispielsweise aus Bildungseinrichtungen oder der (lokalen) Wirtschaft – in die Planung, Beratung, Entscheidungsfin- Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 dung und auch Umsetzung von Projekten und Maßnahmen einzubeziehen. Durch die vertikale Vernetzung der Verwaltungs- und der Vor-Ort-Ebene wird in organisatorischer Hinsicht unter anderem die Integration benachteiligter Stadtteile in gesamtstädtische Strategien hergestellt. Das inhaltliche Spektrum integrierter Ansätze zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile umfasst unterschiedlichste Themen aus den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Städtebau und Stadtentwicklung, Kultur und Umwelt. Dabei lässt sich beobachten, dass insbesondere die Handlungsfelder Städtebauliche Aufwertung, Stärkung der Lokalen Ökonomie und der lokalen Arbeitsmarktpolitik sowie Bildungs- und Ausbildungspolitik an Bedeutung gewinnen. 3 Integrierte Stadtentwicklung in den 27 Mitgliedstaaten der EU Zur fachlichen Vorbereitung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 war das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) beauftragt, im Rahmen einer internationalen Vergleichsstudie zu untersuchen, inwieweit Ansätze einer integrierten gebietsbezogenen Entwicklung benachteiligter Stadtteile in den 27 EU-Mitgliedstaaten realisiert werden. Dabei standen unter anderem folgende Fragestellungen im Vordergrund: • Welche Politiken, nationale Programme und/oder regionale oder kommunale Ansätze einer integrierten, gebietsbezogenen Entwicklung benachteiligter Stadtteile werden auf nationaler, regionaler und/oder kommunaler Ebene umgesetzt? • Welches sind die wesentlichen Zielsetzungen dieser Politiken, nationalen Programme, regionalen oder kommunalen Ansätze? • Welche Formen politikfeld- oder ressortübergreifender Zusammenarbeit sind auf nationaler, regionaler und/oder kommunaler Ebene eingerichtet worden? • Inwieweit sind unterschiedliche politische Handlungsfelder für die Entwicklung benachteiligter Stadtteile integriert worden? 467 • Welche Bedeutung haben Empowerment, Aktivierung und Beteiligung für integrierte Ansätze zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile? • Verfolgen die Ansätze einen klaren Gebietsbezug? Im Folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung (stark zusammengefasst) dargestellt. Dabei wurden die 27 EUStaaten je nach Reichweite und Tiefe ihrer Stadt(teil)entwicklungsansätze drei Gruppen zugeordnet, deren Grenzen allerdings fließend sind, weil in vielen Mitgliedstaaten integrierte Stadtentwicklung derzeit an Bedeutung gewinnt (z. B. in Irland und Portugal): 1. Länder mit umfassenden nationalen Programmen zur integrierten Entwicklung benachteiligter Stadtteile (z. B. Deutschland, Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Niederlande) 2. Länder mit Ansätzen integrierter Stadtteilentwicklung für einzelne Regionen und Städte (z. B. Österreich und Spanien) 3. Länder mit Ansätzen integrierter Stadtteilentwicklung im Rahmen einzelner Projekte und Maßnahmen. 3.1 Länder mit umfassenden nationalen Programmen zur integrierten Entwicklung benachteiligter Stadtteile Belgien In Belgien werden sowohl auf nationaler als auch regionaler Ebene Programme zur integrierten Entwicklung benachteiligter Stadtteile durchgeführt. Dazu gehört das Ende 1999 aufgelegte staatliche Förderprogramm „Grootstedenbeleid/Politique des Grandes Villes“. Grundlage sind Partnerschaften zwischen staatlicher, regionaler und kommunaler Ebene auf einer vertraglichen Basis („contrat de ville“), bei der die Gemeinden jährlich aktualisierte Entwicklungskonzepte vorlegen müssen. Zu den Programmzielen gehören die Stärkung von Lokaler Ökonomie und Beschäftigung im Quartier sowie die Verbesserung des Wohnumfelds und der Wohnungsversorgung. 4 In den einzelnen Regionen Belgiens sind je individuelle Programme aufgelegt worden, beispielsweise der „Stedenfonds“ in Flandern oder das Programm „Zones (4) Vgl. u. a. Vranken, Jan; de Decker, Pascal; van Nieuwenhuyze, Inge: National City Contexts, Urban Development Programmes and Neighbourhood Selections. The Flemish (Belgian) Background Report. A working paper for UGIS. – Antwerpen 2001, S. 28 468 (5) Vgl. u. a. Leonardsen, Lykke; Matthiessen, Lasse; Klint, Jakob et al.: The Danish Neighbourhood Regeneration Programme. Kvarterløft in Copenhagen. The Copenhagen report of the ENTRUST study. 2003, S. 7 f. (http://ensure.org/entrust/ cases/copenhagen/); Skifter Andersen, Hans; Nørgård, Helle, Pedersen, Dan Ove: Danish report on national trends, urban policies and cities and neigbhbourhoods selected for the UGIS project. – Kopenhagen 2000, S. 8 ff. (6) Vgl. u. a. Franke, Thomas; Strauss, Wolf-Christian: Management gebietsbezogener integrativer Stadtteilentwicklung. Ansätze in Kopenhagen und Wien im Vergleich zur Programmumsetzung „Soziale Stadt“ in deutschen Städten. – Berlin 2005, S. 26 f.; Leonardsen, Lykke; Matthiessen, Lasse; Klint, Jakob et al.: The Danish Neighbourhood Regeneration Programme, a. a. O., S. 10 ff.; Skifter Andersen, Hans; Nørgård, Helle, Pedersen, Dan Ove: Danish report on national trends, urban policies and cities and neigbhbourhoods, a. a. O., S. 13 (7) Vgl. u. a. Deutsches Institut für Urbanistik i. Auftr. des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen (Hrsg.): Strategien für die Soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven – Umsetzung des Bund-LänderProgramms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. Bericht der Programmbegleitung. – Berlin 2003, S. 99 (8) Ebda., S. 148 ff.; vgl. außerdem Franke, Thomas; Grimm, Gaby: Quartiermanagement als Instrument einer integrativen Stadtteilentwicklung – konzeptionelle Grundlagen und Praxiserfahrungen. In: Stadtmanagement. Strategien zur Modernisierung der Stadt(-Region). Hrsg.: Sinning, Heidi. – Dortmund 2006, S. 307–319 Thomas Franke, Wolf-Christian Strauss: Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa d’Initiatives Priviligiées“ (ZIP) in Wallonien. Die Großstadtregion Brüssel setzt seit 1994 Stadterneuerungsprogramme für benachteiligte Quartiere um, bei denen neben baulich-städtebaulichen Schwerpunkten und der Verbesserung der sozialen und kulturellen Infrastruktur auch die Aktivierung und Beteiligung von Bewohnern betont wird. In jedem Quartier wird zudem ein intermediäres Steuerungsgremium („Commission locale de Développement intégré“ – CLDI) eingerichtet, bestehend unter anderem aus Vertretern von Gemeinde und Regionalverwaltung, Bewohnerschaft, Wohnungswirtschaft, Sozialdienst und Projektträgern. Dänemark In Dänemark wurde 1996 auf nationaler Ebene das gebietsbezogene integrative Programm „Kvarterløft“ aufgelegt, dessen Kernidee die ressortübergreifende Kombination zielgruppen- und gebietsorientierter Förderansätze im Rahmen einer integrativen Strategie unter starker Einbeziehung des lokalen Gemeinwesens ist. Die Zusammenarbeit von Verwaltung und Quartier bzw. die Beteiligung der Quartiersbevölkerung und anderer lokaler Akteure werden daher betont.5 Die Programmumsetzung ist in drei Phasen unterteilt: Sie beginnt mit einer einjährigen Planungsphase, in der vor allem die Quartiersbevölkerung ihre Vorstellungen einer künftigen Quartiersentwicklung einbringen kann. Diese Ideen fließen in einen mit der Stadtverwaltung zu erarbeitenden „Kvarterplan“ ein, der schließlich im Stadtrat diskutiert und beschlossen wird; er wird Teil eines zwischen dem zuständigen Ministerium und der Stadt geschlossenen Vertrags zur Programmumsetzung. Es folgen die eigentliche Maßnahmen- und Projektumsetzungsphase sowie schließlich die einjährige Verstetigungsphase, in der geklärt wird, ob und wie bereits realisierte Projekte auch nach Programmende weiterbetrieben werden können. Insbesondere in Kopenhagen sind komplexe Organisationsstrukturen zur Programmumsetzung aufgebaut worden: ämterübergreifende Abstimmungsrunde und Programmkoordination auf Verwaltungsebene, Projektsekretariat/lokales Büro in jedem Kvarterløft-Gebiet, lokale Steuerungsgruppe zwischen Verwaltungs- und Quartiersebene 6. Deutschland Um den komplexen Problemlagen in benachteiligten Quartieren begegnen zu können, wurde in Deutschland 1999 das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ gestartet. Es hat das übergeordnete Ziel, die Lebensbedingungen in den benachteiligten Gebieten umfassend zu verbessern. Die Grundphilosophie dabei ist ein integrierter Ansatz, wobei sich die ineinander greifenden Handlungsfelder in drei Kategorien zusammenfassen lassen:7 (1) Verbesserung der physischen Wohn- und Lebensbedingungen (überwiegend baulichinvestive, auf Gebäude, Wohnumfeld und öffentliche Räume bezogene Maßnahmen und Projekte) (2) Verbesserung der individuellen Lebenschancen (unter anderem Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten/Empowerment, Hilfen zur Selbsthilfe, Angebot umfassender Mitwirkung) (3) Integration und Vernetzung (unter anderem Maßnahmen und Projekte zur Integration von Migranten, zur Vermittlung benachteiligter Personen in den Arbeits- und Wohnungsmarkt, zur Förderung von Stadtteilleben und lokaler Ökonomie sowie zur Gesundheitsförderung). Der integrative Ansatz basiert auf der Bündelung von Ressourcen (Zusammenführung unterschiedlicher Finanzmittel, inhaltliche Kooperation unterschiedlicher Verwaltungsbereiche) sowie umfangreicher Aktivierung und Beteiligung der Quartiersbevölkerung. Fokus ist ein expliziter Gebietsbezug, Basis sind integrierte Entwicklungskonzepte (IEK), die von Kommunen und Gebietsakteuren gemeinsam erarbeitet werden. Als Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung des Programms gilt ein umfassendes Quartiermanagement, das zugleich in der kommunalen Verwaltung (ämterübergreifende Zusammenarbeit, horizontale Vernetzung), im Quartier (Vor-Ort-Büros, horizontale Vernetzung von Bevölkerung und Stadtteilakteuren) sowie zwischen diesen beiden Ebenen (moderierte Gebietsverfahren, vertikale Vernetzung von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Trägern und Quartier) angesiedelt ist.8 Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 Frankreich In Frankreich konzentrieren sich sozialräumliche Benachteiligungen vor allem in den Vorstädten der (Groß-)Städte. Staatliche Programme zur Entwicklung dieser benachteiligten Stadtteile werden seit den 1980er Jahren aufgelegt; sie umfassen vielfältige Aspekte – Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Schule(n), soziale und kulturelle Infrastruktur, Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftsförderung, Kriminalitätsbekämpfung – und werden unter dem Dach der „Politique de la Ville“ zusammengefasst. Gegenwärtig spielt vor allem das 2003 erlassene „Gesetz über Stadtentwicklungs- und Stadtumbauplanung“ (Loi d’orientation et de programmation pour la ville et la rénovation urbaine) eine zentrale Rolle, das neben Sanierung und Wirtschaftsentwicklung die Notwendigkeit sozialer Chancengleichheit und die Überwindung von Ausgrenzung betont. Integriertes Vorgehen wird hervorgehoben, wenngleich der Mitteleinsatz vor allem auf städtebauliche Handlungsfelder bis zum Gebäudeabriss konzentriert wird. Anstrengungen der Stadterneuerung zur Entwicklung benachteiligter Quartiere wurden stets von sozialorientierten Gesetzen und Programmen begleitet.9 Mitte der 1990er Jahre wurde in Frankreich damit begonnen, verschiedene Sonderförderzonen – gestuft nach sozialem und wirtschaftlichem Problemdruck – und damit einen dezidierten Gebietsbezug einzurichten: „Zones Urbaines Sensibles“ (ZUS) umfassen benachteiligte Quartiere mit mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten, „Zones de Redynamisation Urbaine“ (ZRU) weisen stärkere soziale Probleme als ZUS auf, und „Zones Franches Urbaines“ (ZFU) werden in besonders problematischen Großwohnsiedlungen ausgewiesen. In diesen Zonen werden lokale Unternehmen mit einem gestuften System von Steuererleichterungen gefördert 10. Traditionell sind politische Programme in Frankreich in starkem Maße zentralstaatlich organisiert. Die unter dem Dach der „Politique de la Ville“ zusammengefassten Ansätze sozial-orientierter Stadtpolitik zeigen dagegen Elemente eines stärker dezentralisierten Vorgehens, da die Kommunen bis Ende 2006 im Rahmen sog. Stadtverträge mit der Zentralregierung stärker in die Programmumsetzung involviert wurden. Diese „Contrats de Ville“ werden seit Jahresbeginn 469 2007 von „Contrats Urbain de Cohésion Sociale“ abgelöst, mit denen bisher singulär einsetzbare bzw. eingesetzte Programme stärker zusammengefasst werden.11 Großbritannien In Großbritannien wurden mit der 1994 auf nationaler Ebene begonnenen Initiative „Single Regeneration Budget“ (SRB) – dabei handelt es sich um die Bündelung von 18 zuvor eigenständigen Programmen aus fünf Ministerien – erste Ansätze eines integrierten Vorgehens zur Entwicklung benachteiligter Quartiere gestartet. Inhaltlich spielten dabei neben baulich-städtebaulichen Belangen auch soziale Aspekte eine wesentliche Rolle. Außerdem sollten Regionen, Lokalregierungen und die lokale Bevölkerung stärker in Stadterneuerungsprozesse involviert werden. Dieser Ansatz wurde 1997 grundsätzlich in Richtung integrierter, gebietsbezogener Programme und Maßnahmen zur Bekämpfung sozialräumlicher Exklusion und zur ganzheitlichen Entwicklung benachteiligter Stadtteile weiterentwickelt – integrierte Ansätze der Stadtteilerneuerung wurden zur nationalen Hauptaufgabe erklärt, und ihre Koordinierung übernahmen eigens dafür eingerichtete Arbeitsgremien auf Regierungsebene.12 Eine weitere Konkretisierung des neuen Politikansatzes erfolgte 2000 mit dem Start des Programms „New Deal for Communities“, in dessen Mittelpunkt – wie auch schon bei den SRB – der Aufbau von Partnerschaften für benachteiligte Stadtteile steht. Solche Kooperationen von staatlichen Stellen, lokalen Organisationen, Institutionen und Unternehmen, Gemeinwesenorganisationen, Vertretern der Kommunalverwaltung sowie Bürgern werden von der lokalen Verwaltung initiiert und sind Voraussetzung für eine Programmteilnahme. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört die gemeinsame Erarbeitung eines quartiersbezogenen Handlungsrahmens. Die Förderperiode für solche gebietsbezogenen Governance-Ansätze für das Quartier beträgt zehn Jahre. Zentral ist außerdem die Einrichtung von lokalen Quartiermanagements, um auf die spezifische Situation vor Ort eingehen zu können, Bewohner und andere lokale Akteure zu aktivieren und zu vernetzen sowie den Kontakt zwischen Quartiersebene und Kommunalverwaltung herzustellen.13 (9) Vgl. u. a.: durch stadt + raum. Verein für raumbezogene Sozialforschung (Bearb.): Arbeiterkammer Wien (Auftr.): Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Herausforderungen für eine sozialverträgliche Stadterneuerungsund Stadtentwicklungspolitik. – Wien o. D. (http://wien.arbeiterkammer.at/ pictures/d22/Stadtstrategien_ gegen_Armut.pdf); Neumann, Wolfgang: Gesellschaftliche Integration gescheitert? Stadtpolitik in Frankreich vor Herausforderungen in einer neuen Dimension. Aktuelle Frankreich-Analysen (2006) H. 21, S. 7 ff. (10) Ebda., S. 10 (11) Ebda, S. 7; vgl. Sander, Robert: Europäische und amerikanische Erfahrungen mit der sozialen Stadtentwicklung. Transferpapier. In: Die Soziale Stadt. Eine erste Bilanz des Bund-LänderProgramms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. Hrsg.: Deutsches Institut für Urbanistik. – Berlin 2002, S. 296–321 (12) Vgl. Atkinson, Rob: Urban Policy and Regeneration: bringing the fragments together? In: New Developments in British Social Policy. Hrsg.: Ellison, N.; Pierson, C. – London 2003, S. 2 ff.; Office of the Deputy Prime Minister: State of the English Cities. A Research Study. Volume 2. – London 2006, S. 70 ff. (13) Vgl. Office of the Deputy Prime Minister: State of the English Cities. A Research Study. Volume 1. – London 2006, S. 18 ff.; Office of the Deputy Prime Minister: State of the English Cities. Volume 2, a. a. O., S. 73 f. 470 Thomas Franke, Wolf-Christian Strauss: Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa Italien In Italien wird die Erneuerung benachteiligter Stadtteile seit 1992 durch mehrere aufeinanderfolgende integrative Programme („Programmi Complessi“) unterstützt. Im Zentrum dieser Ansätze stehen neben baulich-städtebaulichen Handlungsfeldern zunehmend auch die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung, Beteiligung der lokalen Bevölkerung sowie allgemein die Verbesserung der Lebensqualität in Beständen des sozialen Wohnungsbaus (v.a. „Contratti di quartiere“, seit 1997). Mit dem Programm „Contratti di quartiere II“ werden seit 2002 in stärkerem Maße auch die Regionen in die Finanzierung einbezogen14. (14) Vgl. u. a. Sept, Ariane: Urbanistica in Movimento. Die Italienische Stadtplanung und das europäische Programm URBAN. Diplomarbeit am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin. – Berlin 2006, S. 51 f.; Zajczyk, Francesca; Mugnano, Silvia; Borlini, Barbara et al.: Large Housing Estates in Italy. Policies and Practices. RESTATE report 3d I. – Utrecht 2005, S. 19 ff. (15) Vgl. u. a. Nuvolati, Giampaolo: Urban development programmes in Italy. The UGIS project for analyse the effects of the URBAN Community Initiative. – Milano 2002, S. 5; Sept, Ariane: Urbanistica in Movimento, a. a. O., S. 41 ff. (16) Vgl. u. a. Burgers, Jack; Dukes, Thea; Hoes, Jasper et al.: Urban Development Programmes, Urban Governance, Social Inclusion & Sustainability. National and City Contexts, Urban Development Programmes and Neighborhood Selection. The Dutch Background Report. A Working Paper for UGIS. – Amsterdam 2001, S. 11; Dekker, Karien; van Kempen, Ronald: Urban Governance within the Big Cities Policy. Cities 2 (2004) H. 21, S. 109–117 (109) (17) Vgl. Eriksson-Bech, Karin: Aktivierung und Beteiligung in Schweden. Soziale Stadt Info (2003) H. 14, S. 16–18 (16); Ministry of Justice: Fact Sheet. Metropolitan Policy. – Stockholm 2006 Breite Erfahrungen mit integrierten gebietsbezogenen Ansätzen konnten in Italien vor allem durch die EU-Gemeinschaftsinitiativen URBAN I und II gewonnen werden. Darauf aufbauend fördert der italienische Staat mit seiner Initiative „URBAN ITALIA“ seit 2003 weitere Städte, und die „Programmi Complessi“ werden in der zweiten Generation mit besonderer Betonung öffentlich-privater Partnerschaften und der Einbettung von Entwicklungsstrategien in regionale Kontexte aufgelegt.15 Niederlande Angesichts problematischer Quartiersentwicklungen vor allem in niederländischen Großstädten werden hier seit den 1970er Jahren gebietsbezogene Politikansätze zur Stabilisierung und Erneuerung der Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen erprobt. Auch dabei kann ein Trend von eher städtebaulichen Zielsetzungen in Richtung sozialer Schwerpunkte beobachtet werden. Im Zentrum dieser Ansätze steht die 1994 ins Leben gerufene „Big Cities Policy“ (BCP; Grotestedenbeleid), die in Amsterdam, Utrecht, Den Haag und Rotterdam gestartet und im Laufe der Zeit auf 27 Städte ausgeweitet wurde. Der Ansatz basiert auf einem gebietsbezogenen Konzept, in dem städtebauliche, soziale sowie ökonomische Ziele und Maßnahmen miteinander verknüpft werden. Schlüsselelemente sind Ressourcenbündelung, dezentrale und flexible Organisationsstrukturen, Bürgerbeteiligung und Monitoring16. Während der ersten Programmrunde (1995–1999) wurden Projekte in einzelnen Handlungsfeldern umgesetzt, während der Fokus der zweiten BCP-Phase (1999–2004) auf langfristigen programmatischen Vereinbarungen zwischen Städten und Zentralregierung auf Basis kommunaler Entwicklungspläne mit den Schwerpunkten Beschäftigung und Ökonomie, städtebauliche und soziale Entwicklung lag. Seit 2005 wird die dritte Phase des BCP umgesetzt, wobei der Kanon der Handlungsfelder um die Bereiche Sicherheit, Integration und Einbürgerung ethnischer Minoritäten ergänzt wurde. Mittelbündelung, Bürokratieabbau und Zielvereinbarungen werden als wesentliche strategische Ziele formuliert. Dabei sind die Städte aufgefordert, in stärkerem Maße gebietsbezogene, maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, was durch sog. „Special Purpose Grants“ gefördert wird. Schweden In Schweden konzentriert sich sozial-räumliche Benachteiligung auf kommunale Wohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren an den Stadträndern insbesondere von Stockholm, Göteborg und Malmö, in denen vor allem Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund leben. Zur Entwicklung dieser Gebiete setzt die schwedische Regierung seit 1999 im Rahmen ihrer integrierten „Big Cities Policy“ oder „Metropolitan Development Initiative“ – MDI (storstadspolitiken) unter anderem auf gebietsbezogenes Handeln, Aktivierung und Beteiligung lokaler Akteure sowie ressortübergreifende Zusammenarbeit sowohl auf staatlicher als auch kommunaler Ebene. Mit dem Programm sollen Projekte und Maßnahmen in den Handlungsfeldern Beschäftigungs- und Sprachförderung, Bildung, Gesundheit sowie Sicherheit angestoßen und damit weniger bauliche als vielmehr soziale Akzente gesetzt werden. Dafür wurden während der ersten MDI-Phase (1999–2003) zwischen Regierung und Gemeinden „Local Development Agreements“ (LDA) abgeschlossen. Die Aktivierung und Beteiligung vor allem der Gebietsbewohner, aber auch anderer lokaler Akteure wie Polizei, Wohnungsunternehmen, Schulen, lokale Unternehmen waren unverzichtbare Bestandteile dieser Vereinbarungen.17 Im Jahr 2004 zog sich der schwedische Staat aus der Förderung zurück, weshalb es in der zweiten MDI-Phase darum geht, neue Fördermöglichkeiten zu erschließen. Eine Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 Möglichkeit zeigt die Stadt Stockholm auf, die ein eigenes Programm – „City District Regeneration“ – aufgelegt hat, in dem Ansätze der MDI aufgegriffen und weitergeführt werden.18 3.2 Länder mit Ansätzen integrierter Stadtteilentwicklung für einzelne Regionen und Städte 471 Hauptstadt Vilnius wird jedoch versucht, im Rahmen des 2002 verabschiedeten „Vilnius City Strategic Plan 2002–2011“ die in der nationalen Strategie formulierten Ziele in Gänze zu verfolgen – zu den geplanten Maßnahmen zählen unter anderem die Förderung lokaler Partnerschaften sowie die Stärkung von Gemeinwesenarbeit und von Beteiligungsprozessen.20 Irland Österreich Im Zentrum irischer Ansätze zur integrierten Entwicklung benachteiligter Stadtteile – betroffen sind vor allem Quartiere in Region und Stadt Dublin – stehen „Integrated Area Plans“ (IAP) zur gebietsbezogenen Ausrichtung von Stadterneuerungsmaßnahmen. Dieser Ansatz im Rahmen des staatlichen Programms „Urban Renewal 2000 – New Approaches“ wurde 1998 von der irischen Regierung gesetzlich verankert, wobei die lokale Ebene für die Umsetzung verantwortlich ist. IAPs müssen Angaben zu den Bereichen Flächennutzung, Städtebau, Denkmalschutz, sozialer Wohnungsbau, öffentliche Dienstleistungen, Verkehr und öffentliche Infrastruktur sowie zu Akteursbeteiligung und der Umsetzung von Projekten und Maßnahmen enthalten. Damit liegt der Fokus in starkem Maße auf baulichstädtebaulichen Aspekten. Neuere Ansätze einer nationalen Stadtentwicklungspolitik werden im Rahmen der irischen „National Spatial Strategy 2002–2020“ erarbeitet, wobei vor allem die Verbesserung von Managementstrukturen, Aspekte der Nachhaltigkeit sowie eine effektive Maßnahmenumsetzung im Vordergrund stehen.19 Obwohl Österreich über vergleichsweise günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen verfügt, kommt es in den Großstädten – insbesondere in Wien – dennoch zur Herausbildung benachteiligter Quartiere. Um diesen Entwicklungen begegnen zu können, sind zwar bisher weder auf nationaler noch auf bundesstaatlicher Ebene entsprechende Förderprogramme aufgelegt worden, allerdings werden Ansätze integrierter Stadtteilentwicklung in Wien, Graz und Linz im Rahmen von EU-StrukturfondsFörderungen erprobt. Dabei zeichnen sich die Wiener Ansätze, die an die mehr als 30-jährige Erfahrung mit sanfter Stadterneuerung anknüpfen, durch eine starke Betonung der Entwicklung des Gemeinwesens aus: In zwei Ziel-2-Fördergebieten der Stadt dienen „Grätzelmanagements“ (Quartiermanagements) als Pilotprojekte für eine „sozialorientierte Stadterneuerung“ im Sinne integrativer Stadtteilentwicklungsstrategien. Ziel ist es, mittels langfristiger gebietsbezogener Aktivierung und Beteiligung vor allem von Quartiersbevölkerung und Gewerbetreibenden sowie durch Vernetzung lokaler Institutionen, Einrichtungen und Unternehmen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in den Projektgebieten zu bekämpfen. Dabei spielt die Umsetzungsebene des Quartiers die größte Rolle, während die Verwaltungen eher für Finanzierungsfragen und die technische Projektabwicklung zuständig sind.21 Litauen In Litauen konzentriert sich sozialräumliche Benachteiligung vor allem auf Quartiere mit (historischer) Altbausubstanz oder Großwohnsiedlungen in den fünf größeren Städten des Landes. Vor dem Hintergrund eines nahezu vollständig privatisierten Wohnungsmarkts verfolgt die 2004 ins Leben gerufene nationale „Lithuanian Housing Strategy“ unter anderem die Ziele, im Rahmen einer integrierten Stadtteilentwicklung Wohnmöglichkeiten für benachteiligte Bewohnergruppen zu schaffen und eine stärkere Durchmischung der Bewohnerstrukturen zu erreichen. In der Praxis konzentrierten sich bisherige Ansätze allerdings auf baulich-städtebauliche Erneuerungsmaßnahmen. Insbesondere in der Portugal Auch in Portugal ist auf nationaler Ebene bisher noch keine umfassende Stadtentwicklungspolitik formuliert worden, doch gibt es hier Einzelprogramme mit der erklärten Zielsetzung einer integrierten Stadtentwicklung. Dazu gehören das 1985 begonnene „Urban Rehabilitation Programme for Derelict Areas“ (PRAUD) zur Verbesserung der Lebensqualität in benachteiligten (18) Vgl. u. a. Andersson, Roger; Palander, Camilla: National and City Contexts, Urban Development Programmes and Neighborhood Selection. A Swedish Background Report. A Working Paper for UGIS. – Uppsala 2001, S. 34 (19) Vgl. u.a. Bannon, Michael J.: Irish Urbanisation: Trends, Actions and Policy Challenges. PEB (Planning and Environmental Policy Research Series) Working Paper. – Dublin 2004 (www.ucd.ie/gpepinfo/publications/workingpapers/04-03.pdf); Entrust (Hrsg.): Urban Regeneration in the City of Dublin: Partnership structures and integrated area planning. Final Draft of the Dublin Case Study. – Dublin/Maynooth 2003 (www.ensure.org/entrust/cases/ dublin/index.htm) (20) Vgl. u. a. Government of the Republic of Lithuania: The Lithuanian Housing Strategy. Resolution No. 60. – Vilnius 2004, S. 6 ff.; Petkevicius, Algirdas: Cities in Lithunia. In: Cities in the New EU Countries. Position, Problems, Policies. Ministry of the Interior and Kingdom Affairs (Hrsg.). – Amstelveen 2004, S. 61–66.; Vilnius City Municipal Council: Vilnius Strategic Plan 2002–2011 (full version). – Vilnius 2002 (21) Vgl. u. a. Breitfuss, Andrea; Dangschat, Jens S. et al.: Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Herausforderungen für eine sozialverträgliche Stadterneuerungsund Stadtentwicklungspolitik. durch stadt + raum – Verein für raumbezogene Sozialforschung im Auftrag der Arbeiterkammer Wien. – Wien 2004, S. 5; Franke, Thomas; Strauss, Wolf-Christian: Management gebietsbezogener integrativer Stadtteilentwicklung, a. a. O., S. 34 ff.; Steiner, Karin; Kreiml, Thomas et al.: Evaluierung des Pilotprojektes „Grätzelmanagement Rund um den Wallensteinplatz“ im 20. Bezirk. Endbericht. – Wien 2003, S. 4 472 Thomas Franke, Wolf-Christian Strauss: Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa Stadtteilen (u. a. Einrichtung lokaler Organisationsbüros) oder das „Slum Eradication Programme“ (PER) aus dem Jahr 1993 mit dem Ziel, Elendsviertel in den Ballungsgebieten Lissabons und Portos zu beseitigen und gleichzeitig kommunalen bzw. sozialen Wohnungsbau zu fördern. 2006 wurde außerdem die „Critical Neighbourhoods Initiative“ als Pilotprojekt in drei benachteiligten Gebieten von Lissabon und Porto gestartet, um neue Formen der Zusammenarbeit zwischen nationaler und kommunaler Verwaltung sowie zwischen Verwaltungsakteuren und Bewohnerschaft zu erproben und damit finanzielle und personelle Ressourcen zu bündeln.22 Spanien (22) Vgl. u. a. Critical Urban Area Programme, Lisbon and Oporto, Portugal. Learning and skills development through experimentation: The Portuguese Critical Urban Neighbourhoods Initiative. – ohne Autor, o. O. 2006 (23) Vgl. u. a. Eastaway, Pareja Montserrat; Berteli, Teresa Tapada et al.: Large Housing Estates in Spain. Policies and practices. Restate report 3h. – Utrecht 2004, S. 11 ff. (24) Vgl. u. a. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Beautiful Bulgaria II: Temporary Employment and Vocational Training. BG 9914, Summary. – o. O. 2006 (http://ec.europa.eu/enlargement/fiche_projet/document/ bg9914-beautiful_bulgaria_ ii.pdf); UNDP: Country Programme for Bulgaria (2006-2009). – o. O. 2005 (http://www.undp.org/rbecdocs_2005/BUL-CP.doc (Stand 11/2006). (25) Vgl. u. a. Paadam, Katrin; Pavelson, Marje; Tomson, Liis et al.: Estonian National Report (NEHOM). – Tallinn 2002, S. 12 ff. Im politischen Gefüge Spaniens spielt die regionale Ebene eine große Rolle; von ihr gehen daher stadtentwicklungspolitische Ansätze aus. Zwei Beispiele sind der „Investment Plan“ für benachteiligte Quartiere in Madrid (Plan de Inversiones) und der „Community Development Plan“ (Plan de Sesenvolupament Comunitari) in Katalonien. Letzterer ist ein gebietsbezogenes Instrument zur städtebaulichen, sozialen und ökonomischen Quartiersentwicklung, das aus einer 1995 von der Regionalregierung gestarteten Initiative gegen Armut und soziale Exklusion hervorgegangen ist. Auf Basis kommunaler Aktionspläne (Stärken-Schwächen-Analysen, Handlungsfelder) werden unter Bewohnerbeteiligung Projekte und Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, je zur Hälfte von der katalanischen Regierung und der jeweiligen Kommune finanziert. Mit dem Madrider „Investment Plan“ für benachteiligte Quartiere sollen stadträumliche Disparitäten durch gebietsbezogene Entwicklungsförderung ausgeglichen und Bürgerbeteiligung gestärkt werden. Thematische Arbeitsgruppen, an denen vor allem Quartiersbewohner teilnehmen, erarbeiten Projektvorschläge, die mit der regionalen und der lokalen Regierung abgestimmt und in einem Aktionsplan festgehalten werden. Die Interventionen sind überwiegend baulich-städtebaulicher Art, soziale Maßnahmen werden nachrangig behandelt.23 3.3 Länder mit Ansätzen integrierter Stadtteilentwicklung im Rahmen einzelner Projekte und Maßnahmen Bulgarien In Bulgarien findet sich sozialräumliche Benachteiligung vor allem in Großwohnsiedlungen am Stadtrand sowie in Quartieren, in denen sich Bewohner der Roma-Minderheit konzentrieren – häufig in provisorisch und teilweise illegal errichteten Wohngebäuden mit schlechten Wohnbedingungen. Zwar gibt es in Bulgarien noch keine übergreifende nationale Stadtentwicklungspolitik, um Problemen benachteiligter Stadtteile zu begegnen, jedoch erste programmatische Konzepte (z. B. „National Strategy and Action Plan on Poverty Reduction and Social Inclusion“, „National Programme for Improving the Living Conditions of Ethnic Minorities in Urban Areas“) sowie innovative Einzelprojekte, die in diese Richtung zielen. Hervorzuheben ist das 1998 begonnene Schlüsselprogramm „Beautiful Bulgaria“, mit dem in elf bulgarischen Städten Ausbildungs- und Beschäftigungsförderung insbesondere für Roma und Langzeitarbeitslose mit baulichen Maßnahmen der Stadterneuerung verknüpft werden. Zu den Zielen dieses Ansatzes gehören unter anderem die Wiedereingliederung der Projektteilnehmer in den ersten Arbeitsmarkt, die Unterstützung von Existenzgründungen, entsprechende Fortbildung von Verwaltungsakteuren sowie Aktivierung und Beteiligung von Stadtteilbewohnern.24 Estland In Estland spielt Stadtpolitik sowohl auf nationaler als auch kommunaler Ebene zurzeit eine noch eher untergeordnete Rolle. Hier wird davon ausgegangen, dass der Markt Probleme in benachteiligten Quartieren lösen wird, so dass bisherige Erneuerungsansätze fast ausschließlich von Gebäude- und Wohnungseigentümern umgesetzt werden und sich auf baulich-städtebauliche Maßnahmen beschränken (Sanierung, Renovierung, Wohnumfeldverbesserung). Zwar liegen auch in Estland erste Erfahrungen mit umfassenderen bewohnergetragenen Quartierserneuerungsansätzen vor, jedoch beschränkt sich Beteiligung in den meisten Fällen auf Wohnungseigentümerorganisationen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben.25 Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 Finnland Im Vergleich zu anderen EU-Staaten sind benachteiligte Stadtteile in Finnland weitgehend unbekannt; Entwicklungsrückstände finden sich eher in Teilen des ländlichen Raums. Da die meisten finnischen Städte relativ klein sind, ist Stadtpolitik in Finnland vielerorts Teil regionalpolitischer Ansätze oder sogar von Politiken für den ländlichen Raum. Eine besondere Rolle spielen dabei wiederum solche Regionen, in denen sich größere Städte befinden. Hier wird im Rahmen des „Centre of Expertise Programme“ und des „Regional Centre Programme“ ein besonderer Schwerpunkt auf die Sicherung internationaler wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit durch einen integrierten Policy-Mix gelegt, wobei der Staat auf Basis der jeweiligen regionalen Entwicklungsstrategien Investitionen in die einzelnen Stadtregionen kanalisiert. Vor allem im Zuge der Umsetzung der EU-Gemeinschaftsinitiativen URBAN I und II in der Region Helsinki – Vantaa sind darüber hinaus auch erste programmatische Ansätze zur Verbesserung der Wohn- und Wohnumfeldsituation in suburbanen Gebieten (mit eher einkommensschwacher Bevölkerung), zur Bürgerbeteiligung und zur Stärkung der sozialen Kohäsion erprobt worden.26 Griechenland Benachteiligte Quartiere griechischer Städte sind lange Zeit kaum wahrgenommen worden, unter anderem weil hier sozioökonomische Ungleichheiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen vergleichsweise seltener als in anderen europäischen Ländern zu ausgeprägten räumlichen Konzentrationen führen. Daher sind in Griechenland bis Mitte der 1990er Jahre auch keine nationalen Stadtpolitiken zur Bekämpfung sozialer und ökonomischer Probleme erarbeitet worden. Sektorale programmatische Schwerpunkte lagen vor allem auf baulich-städtebaulicher Erneuerung. Eine erste Einbeziehung auch sozioökonomischer Zielsetzungen erfolgte erst im Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN I (1994 bis 1999) in sechs griechischen Stadtgebieten. Die hierbei sowie im Rahmen der Umsetzung von URBAN II gewonnenen Erfahrungen fließen nun in rund 100 nationale Projekte zur integrierten Entwicklung benachteiligter Siedlungsein- 473 heiten sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum ein.27 Lettland Ähnlich wie in Estland sind Ansätze städtebaulicher Erneuerung in Lettland auf der kommunalen Ebene angesiedelt und konzentrieren sich überwiegend auf baulich-städtebauliche Ziele (Sanierung, Verbesserung der Verkehrs- und öffentlichen Infrastruktur, Wohnumfeldverbesserung). Im Rahmen einzelner Pilotprojekte wurde jedoch versucht, diesen Ansatz um einige Handlungsfelder zu erweitern. So sind in den Städten Daugavpils und Rezekne mit Unterstützung von EU-Fördermitteln (PHARE) u. a. Existenzgründungen, kleine und mittlere Unternehmen und Beschäftigungsmaßnahmen im Rahmen der städtebaulichen Erneuerung mit dem Ziel einer generellen Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen unterstützt worden. In der Hauptstadt Riga wurde in einem Sanierungsprojekt der Einsatz umfangreicher Bewohnerbeteiligung erprobt.28 Luxemburg Zwar hat das Großherzogtum Luxemburg auf nationaler Ebene ebenfalls bislang kein Programm explizit zur integrierten Stadt(teil)entwicklung aufgelegt, doch bildet das 2003 verabschiedete „Programme Directeur“ einen Referenzrahmen für die räumliche Planung, mit der auch Ziele im sozialen Bereich verfolgt werden. So werden u.a. ein gerechter Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, die Bekämpfung sozialer Probleme, die Stärkung des sozialen Zusammenhalts sowie stärkere Aktivierung und Beteiligung gefordert. Auf kommunaler Ebene der Stadt Luxemburg gibt es darüber hinaus erste Überlegungen zu integrativen Erneuerungsansätzen auch für benachteiligte Quartiere. Hier wurde 2005 das „Integrative Stadtentwicklungskonzept Luxemburg 2020“ aufgestellt, zu dessen Bestandteilen Stadtteilrahmenpläne gehören, die unter Beteiligung der Gebietsbewohnerschaft entstanden sind und Vorschläge für Maßnahmen auf Quartiersebene enthalten. Die Finanzierung dieser Ansätze erfolgt hauptsächlich aus kommunalen Haushaltsmitteln.29 (26) Vgl. u. a. Ministry of the Interior: National Regional Development]. – o. O. 2006 (www.kuntait.fi/intermin/home. nsf/pages/521E4C0E6BB 6D91CC2256FB9006F420C? opendocument) (27) Vgl. u.a. Koutalakis, Charalampos: Cities and the Structural Funds. The Domestic Impact of EU Initiatives for Urban Development. – Florenz 2001, S. 7 ff. (28) Vgl. u.a. Hughes, Charles: Latvia. Urban Regeneration Sector. Scoping Mission to Latvia on behalf of UK Trade and Investment. – o. O. 2004, S. 5 ff. (www.smart-futures.com/files/ example/DOCTWO.pdf) (29) Vgl. u. a. Ministerium für Inneres und Raumplanung, Direktion Raumplanung (Hrsg.): Eine nachhaltige Raumentwicklung für Luxemburg. Die wesentlichen Leitideen aus dem Programme Directeur. – Luxemburg 2005, S. 12; Ville de Luxembourg (Hrsg.): Integratives Stadtentwicklungskonzept Luxemburg 2020. – Luxemburg 2005, S. 5 ff. (www.vdl.lu/Stadtentwicklungs_ konzept.html; 05/2006) 474 (30) Vgl. u. a. Cassar, Godwin: Cities on Malta. In: Cities in the New EU Countries. Position, Problems, Policies. Hrsg.: Ministry of the Interior and Kingdom Affairs: – Amstelveen 2004, S. 73–78 (73 ff.); ENTRUST (Hrsg.): A Regeneration Strategy for Valetta. Il Biccerija – a Case Study. – o. O. 2004, S. 20 ff. (http://207.36.166.168/entrust/ Case%20Studies/Entrust3rd_ Draft_Valletta.pdf.) (31) Vgl. u. a. Bierzynski, Adam: Large Housing Estates in poland. Success and fail factors of policies. RESTATE report WP8. – Utrecht 2005, S. 7 ff. (32) Vgl. u. a. Center for Urban Development Studies. Harvard University Graduate School of Design: Urban Planning and Local Economic Development Program in Romania. Summary Discription. – o. O. 2002 ( w w w. g s d . h a r v a r d . e d u / r e search/research_centers/cuds/ upled/UPLED.pdf) (33) Vgl. u. a. Bucek, Ján: Cities in Slovakia. In: Cities in the New EU Countries. Position, Problems, Policies. Hrsg.: Ministry of the Interior and Kingdom Affairs. – Amstelveen 2004, S. 37– 42 (39 f.); Hurrle, Jakob: Die Dritte Welt in der Ersten Welt. Entwicklungs- und Erneuerungsstrategien für ländliche Roma-Ghettos in der Slowakei. In: Zwischen Anpassung und Neuerfindung. Raumplanung und Stadtentwicklung in den Staaten der EU-Osterweiterung. Planungsrundschau Nr. 11. Hrsg.: Altrock, Uwe; Güntner, Simon et al. – Cottbus 2004, S. 89–107 (89) Thomas Franke, Wolf-Christian Strauss: Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa Malta Rumänien Wesentliches Element der strategischen Steuerung in Malta ist der 1992 für eine Laufzeit von zwanzig Jahren aufgestellte nationale räumliche Strukturplan („Structure Plan for the Maltese Islands“), der im Rahmen eines handlungsfelderübergreifenden Ansatzes den Flächenverbrauch unter Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und umweltrelevanter Fragen koordinieren soll. Er bildet die Basis für detaillierte Pläne auf lokaler Ebene, in deren Rahmen auch erste Ansätze einer integrierten Stadtentwicklungsstrategie – u. a. durch Einbeziehung von Partnerschaften zwischen privatem und öffentlichem Sektor – erprobt werden sollen. Darüber hinaus hat Malta bislang kein nationales Programm zur integrierten Stadtentwicklung aufgestellt. Erneuerungsansätze in den benachteiligten Quartieren, die sich vor allem im Hafenumfeld des Agglomerationsraums Valletta finden, konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf eine baulich-städtebauliche Sanierung der Gebäudebestände mit dem Ziel, durch Aufwertung den anhaltenden Bevölkerungsverlust an diesen Standorten aufzuhalten.30 In Rumänien sind zahlreiche Städte von baulich-städtebaulicher Vernachlässigung, ausbleibenden Investitionen und ökonomischer Stagnation betroffen. Um diesen Problemen zu begegnen, werden mit internationaler Unterstützung erste (Modell-) Projekte integrierter Stadtentwicklung in einigen Städten durchgeführt. Hierzu gehört das „Urban Planning and Development Programme“ (UPLED), ein Fortbildungsprogramm für Akteure aus lokaler Verwaltung und Politik. Ein weiteres Projekt in Sibiu zielt auf die Unterstützung bewohner- und eigentümergetragener Sanierung der Altstadt sowie die Neugestaltung des öffentlichen Raums. Im Rahmen des Programms „Support for Cities“ unterstützt das europäische URBACT-Netzwerk integrierte Stadtentwicklungsprojekte in zehn rumänischen Städten.32 Polen In polnischen Städten – insbesondere in Warschau – lässt sich im Zuge marktwirtschaftlicher Entwicklungen zunehmend ein Gegenüber neu errichteter (Luxus-) Wohnareale und stark sanierungsbedürftiger Quartiere beobachten. Diese benachteiligten Stadtteile finden sich sowohl in der gründerzeitlichen, stark vernachlässigten Altbausubstanz als auch in den Großwohnsiedlungen des sozialistischen Städtebaus. Spezifische Programme zur Entwicklung solcher Stadtteile wurden in Polen bisher noch nicht aufgelegt. Ähnlich wie in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas sind Ansätze städtebaulicher Erneuerung in Polen hauptsächlich auf der kommunalen Ebene angesiedelt, wo lokale Entwicklungsstrategien, insbesondere auch Revitalisierungsmaßnahmen in benachteiligten Stadtteilen erarbeitet werden sollen. Bürgerbeteiligung ist bei Planungsverfahren zwar in einem gewissen Umfang vorgesehen und durch den nationalen „Spatial Planning and Spatial Management Act“ geregelt, allerdings sind generelle Tendenzen in Richtung bottomup-basierter, integrierter Planung bisher noch kaum erkennbar.31 Slowakei Sozialräumliche Benachteiligung findet sich in der Slowakei insbesondere in innerstädtischen Altbauquartieren und Großwohnsiedlungen sowie in – häufig isoliert gelegenen – Wohnquartieren, in denen vom slowakischen Staat seit den 1990er Jahren Wohnraum speziell für die Volksgruppe der Roma bereitgestellt wird. In der Slowakei gibt es bislang weder eine kohärente Stadtpolitik noch ein nationales Programm zur Lösung der Probleme benachteiligter Stadtteile. Allerdings gibt es erste Ansätze der Berücksichtigung städtischer Fragestellungen, die sich jedoch auf sektorale Politiken samt zugehöriger Regulierungen (z. B. im Rahmen des „Slovakia Territorial Development Plan“), einzelne Handlungsfelder oder Maßnahmen der Regionalplanung beschränken.33 Slowenien Auch Slowenien hat auf nationaler Ebene bislang kein integriertes Programm zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile aufgelegt, jedoch existieren in unterschiedlichen staatlichen Politiken eine Reihe sektoral orientierter, ressortspezifischer Ansätze, Strategien und Programme, die für eine integrierte Stadtentwicklung von Bedeutung sind und zum Teil direkt auf die wachsenden städtischen Probleme reagieren. Hervorzuheben ist dabei die räumliche Entwicklungsstrategie für Slowenien („Spatial Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 Development Strategy“), die u. a. betont, dass die Stabilisierung von benachteiligten Stadtteilen Priorität genießen soll. Die Umsetzung ist dabei weitgehend der kommunalen Ebene überlassen. Mit ersten Ansätzen zu Stadtteilentwicklungskonzepten, die über eine rein baulich-städtebauliche Erneuerung der Quartiere hinausgehen, wurde beispielsweise in Ljubljana begonnen.34 Tschechien Zu den Ursachen für sozialräumliche Benachteiligung einzelner Stadtteile In Tschechien zählen – ähnlich wie in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas – die Deregulierung und Privatisierung des Wohnungsmarkts in den 1990er Jahren. Die Probleme solcher Quartiere spielen in der öffentlichen Diskussion Tschechiens bisher eine untergeordnete Rolle, was sich u.a. im Fehlen einer nationalen Stadtpolitik widerspiegelt. Erneuerungsansätze werden daher auch hier vor allem auf kommunaler Ebene entwickelt, unterstützt durch einzelne nationale Programme beispielsweise in den Bereichen Wohnen, Umwelt, Verkehr. Einen Rahmen dafür bilden kommunale Stadtentwicklungspläne („Strategic Plans“), die unter Mitwirkung von Politikern, Unternehmern und Bürgern im Sinne eines prozess- und konsensorientierten Verfahrens erstellt werden. Wesentliches Ziel ist es, im Zuge sowohl von Top-down- als auch Bottom-up-Prozessen partnerschaftlich Prioritäten der Stadt-, Wirtschafts- und sozialen Entwicklung festzulegen.35 Ungarn Zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile in Ungarn ist ebenfalls bislang kein Programm auf nationaler Ebene aufgelegt worden. Vielmehr hat sich der Staat nach der Wende 1989 weitgehend aus dem Stadtentwicklungsprozess zurückgezogen, und erst seit 2006 existiert wieder ein Ministerium, das die wesentlichen Kompetenzen der Raumordnungs-, Stadtentwicklungsund Baupolitik bündelt. Die bisherigen, fast ausschließlich auf kommunaler Ebene angesiedelten Erneuerungsansätze in benachteiligten Stadtteilen richten sich im Schwerpunkt auf eine baulich-städtebauliche Erneuerung. Zwar wurde in ungarischen Städten der Bedarf für eine integrative gebietsbezogene Entwicklung benachteiligter Stadtteile erkannt, jedoch stellt die Ent- 475 wicklung entsprechender Strategien die Kommunen noch immer vor große Herausforderungen.36 Zypern Ursache für sozialräumliche Benachteiligung, die sich in Zypern vor allem auf die historischen Kerne der vier großen Städte konzentriert, sind nicht – wie in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten – wirtschaftliche Polarisierung und die räumliche Konzentration von stark benachteiligten Bevölkerungsgruppen, sondern Tendenzen starker Bevölkerungs- und Unternehmenssuburbanisierung. Neben bestehenden städtebaulichen Problemen kommt es in der Folge zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur und ökonomischem Niedergang in den Innenstädten. Zur Lösung dieser Probleme werden in Zusammenarbeit von nationaler und kommunaler Ebene Entwicklungsansätze erprobt, die sich vor allem auf die baulich-städtebauliche Erneuerung der Innenstädte zwecks Attraktivitätssteigerung konzentrieren.37 4 Schlussfolgerungen Die Praxiserfahrungen in den 27 EUMitgliedstaaten zeigen – wenn auch mit von Land zu Land unterschiedlicher Intensität –, dass integrierte Stadtentwicklungspolitik geeignet sein kann, Potenziale benachteiligter Stadtteile zu entwickeln. Insbesondere die Bedeutung des Zusammenhangs von Stadtentwicklung und sozialer Kohäsion wird in den meisten Ländern herausgestellt. Die Ergebnisse des Vergleichs integrierter Stadtentwicklungsansätze in der EU lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: • In allen 27 EU-Mitgliedstaaten haben sich infolge von Globalisierung und Transformationsprozessen benachteiligte Quartiere herausgebildet, die meist eine komplexe Mischung aus städtebaulichen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Problemen aufweisen. Problemausprägungen und ihr Gewicht im gesamtstädtischen und regionalen Kontext unterscheiden sich je nach der spezifischen Situation und müssen im Einzelfall betrachtet werden. (34) Vgl. u. a. Černič Mali, Barbara; Sendi, Richard et al.: Large Housing Estates in Slovenia. Success and fail factors of policies. RESTATE report WP8. – Utrecht 2005, S. 10 ff.; Ministrstva za okolje in proctor/Ministry of the Environment, Spatial planning and Energy Slovenia: SDSS – Spatial development Strategy of Slovenia. – Ljublijana 2004, S. 15 (35) Vgl. u. a. Sýkora, Ludek: Cities in the Czech Republic. In: Cities in the New EU Countries. Position, Problems, Policies. Hrsg.: Ministry of the Interior and Kingdom Affairs. – Amstelveen 2004, S. 17 ff. (36) Vgl. u.a. Dóvényi, Zoltán; Kovács, Zoltán: Stadtentwicklung in Ungarn nach der Wende. In: Zwischen Anpassung und Neuerfindung. Raumplanung und Stadtentwicklung in den Staaten der EU-Osterweiterung. Planungsrundchau Nr. 11. Hrsg.: Altrock, Uwe; Güntner, Simon et al. – Cottbus 2004, S. 71; Erdosi, Sándor; Geroházi, Eva et al.: Large Housing Estates in Hungary. Overview of developments and problems in Budapest and Nyíregyháza. RESTATE report 2c. – Utrecht 2003 (37) Vgl. u. a. Demetriou, Christodoulos: Nicosia Urban Area. In: Dubois-Taine, Geneviève (Hrsg.): European Cities – Insights on Outskirts. From Helsinki to Nicosia. Eleven Case Studies & Synthesis. COST Action C10. – Paris 2004. S. 237– 266 (255); Oktay, Derya: Cities in Cyprus. In: Cities in the New EU Countries. Position, Problems, Policies. Hrsg.: Ministry of the Interior and Kingdom Affairs. – Amstelveen 2004, S. 67–72 (69) 476 Thomas Franke, Wolf-Christian Strauss: Integrierte Stadtentwicklungspolitik für benachteiligte Stadtteile in Europa • Integrierte Stadtentwicklung hat sich in vielen Ländern als geeignetes Instrument erwiesen, mit dem dieser Entwicklung entgegengewirkt werden kann. • In Ländern, in denen bereits Ansätze integrierter Stadtentwicklung erfolgreich umgesetzt werden, spielt die nationale Ebene als Impulsgeberin eine wichtige Rolle. Insbesondere von nationalen Programmen zur integrierten Entwicklung benachteiligter Stadtteile gehen starke Anstoßwirkungen aus. Diese Motorenfunktion wird nicht nur durch die Formulierung inhaltlicher Rahmenbedingungen, sondern auch durch die Bereitstellung von Fördermitteln für die Entwicklung benachteiligter Stadtteile ausgefüllt (z. B. in Dänemark, Deutschland, Großbritannien). • In den meisten westeuropäischen Mitgliedstaaten umfassen integrierte gebietsbezogene Ansätze zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile neben städtebaulichen Aspekten auch soziale und lokalwirtschaftliche Fragestellungen, Umweltbelange sowie Fragen der Integration ethnischer Minderheiten und der (Aus-)Bildung benachteiligter Bevölkerungsgruppen. • Eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten, vor allem der Großteil der mittel- und osteuropäischen Länder, konzentriert sich bei der Entwicklung benachteiligter Stadtteile auf städtebauliche Maßnahmen. Hier spielen die Privatisierung ehemals öffentlicher Wohnungsbestände und ihre Folgen (unter anderem private Desinvestition) eine zentrale Rolle. Erste Schritte in Richtung eines integrierten Ansatzes der Stadtentwicklung erfolgen häufig über die Verknüpfung städtebaulicher Maßnahmen mit solchen zur Förderung der Lokalen Ökonomie (z. B. in Rumänien). • Integrierte Entwicklungskonzepte sind in vielen Ländern (formalisierte) Basis sowie Instrument einer nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik (z. B. in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Schweden, Österreich und Luxemburg). • Detaillierte Ziele, Strategien, Maßnahmen und Projekte sind dann besonders erfolgversprechend, wenn sie sich an einem definierten Gebietsbezug orientieren. • Vor allem in Ländern, in denen komplexe integrierte Stadterneuerungspolitiken umgesetzt werden, spielt die Bündelung unterschiedlicher Finanzmittel auf nationaler, regionaler und/oder kommunaler Ebene eine wichtige Rolle (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Schweden). Dies geht in den meisten Fällen mit einem Vertragsschluss zwischen nationaler oder regionaler und kommunaler Ebene einher. • Insbesondere in westeuropäischen EU-Ländern sind für die Umsetzung integrierter gebietsbezogener Ansätze gesonderte Management- und Organisationsstrukturen aufgebaut worden. Dabei stehen die ressortübergreifende Zusammenarbeit auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene sowie die Vernetzung dieser Ebenen untereinander im Vordergrund (z. B. in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien). Auf kommunaler Ebene wird die Zusammenarbeit auch mit verwaltungsexternen Akteuren – in erster Linie mit der Quartiersbevölkerung – beispielsweise im Rahmen von Partnerschaften betont. Der Erfolg integrierter gebietsbezogener Stadtentwicklungspolitik scheint somit von einem geeigneten, auf Kooperation und Koproduktion ausgerichteten Management auf Verwaltungs- und Gebietsebene abhängig zu sein. • Vor allem in westeuropäischen Mitgliedstaaten spielen Aktivierung und Beteiligung der lokalen Bevölkerung bei der integrierten Stadtentwicklung eine (zunehmend) große Rolle. Im Rahmen eher städtebaulich fokussierter Ansätze in mittel- und osteuropäischen Ländern können Tendenzen in diese Richtung beobachtet werden (z. B. in Estland und Litauen). • Gleiches gilt für die Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen (Beteiligung, Empowerment), also ein Aufweichen von Mustern herkömmlicher Top-downProzesse zugunsten von Governance-Ansätzen unter Beteiligung von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, privaten Trägern und Zivilgesellschaft, was bis zur demokratisch legitimierten Ressourcenverfügung vor Ort reichen kann. • Die Integration von Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund gehört zu den zentralen Herausforderungen in benachteiligten Stadtteilen. Informationen zur Raumentwicklung Heft 7/8.2007 Insgesamt zeigt sich, dass integrierte Ansätze zur gebietsbezogenen Entwicklung benachteiligter Stadtquartiere in zunehmend mehr EU-Mitgliedstaaten als Strategien zur Überwindung sozial-räumlicher Spaltungstendenzen eine Rolle spielen. Dabei muss jedoch – trotz aller bisherigen Erfolge – noch eine Reihe von Herausforderungen bewältigt werden. So zeigen mehrere Evaluationsstudien, dass zwar Verbesserungen in den Quartieren erzielt, allerdings noch keine umfassenden Problemlösungen erreicht werden konnten. Vielfach ist die ressortübergreifende Kooperation auf na- 477 tionaler, regionaler und kommunaler Verwaltungsebene verbesserungsbedürftig. Umgekehrt wird für einige westeuropäische EU-Staaten eine zu große Komplexität der „Förderlandschaft“ und ihrer Organisationsstrukturen konstatiert. Fehlende Beteiligungstradition bzw. rechtliche Verankerung von Partizipation erschwert vielerorts integrierte Ansätze auf der Umsetzungsebene. Generell erscheint es wünschenswert, baulich-städtebauliche Ziele noch stärker um solche aus dem sozialen und wirtschaftlichen Bereich zu ergänzen.