fortschritte in der hirnforschung
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fortschritte in der hirnforschung
FORTSCHRITTE IN DER HIRNFORSCHUNG Ausgabe 2008 Einleitung von Eve Marder, PhD Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen Essay von Michael S. Gazzaniga, PhD Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD FORTSCHRITTE IN DER HIRNFORSCHUNG Einleitung von Eve Marder, PhD Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen Essay von Michael S. Gazzaniga, PhD Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD Ausgabe 2008 THE EUROPEAN DANA ALLIANCE FOR THE BRAIN EXECUTIVE COMMITTEE William Safire, Chairman Edward F. Rover, President Colin Blakemore, PhD, ScD, FRS, Vice Chairman Pierre J. Magistretti, MD, PhD, Vice Chairman Carlos Belmonte, MD, PhD Anders Björklund, MD, PhD Joël Bockaert, PhD Albert Gjedde, MD, FRSC Sten Grillner, MD, PhD Malgorzata Kossut, MSc, PhD Richard Morris, Dphil, FRSE, FRS Dominique Poulain, MD, DSc Wolf Singer, MD, PhD Piergiorgio Strata, MD, PhD Eva Syková, MD, PhD, DSc Executive Committee Barbara E. Gill, Executive Director Die European Dana Alliance for the Brain (EDAB) ist ein Zusammenschluss von 183 führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus 27 Ländern. Zu ihren Mitgliedern zählen fünf Nobelpreisträger. Die EDAB hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Bedeutung der Gehirnforschung aufmerksam zu machen. Die Organisation wurde 1997 gegründet und versteht sich als Schnittstelle zwischen der medizinischen Laborarbeit, der Forschung sowie der breiten Öffentlichkeit. Für weitere Informationen: The European Dana Alliance for the Brain Dr Béatrice Roth, PhD Centre de Neurosciences Psychiatriques Site de Cery 1008 Prilly / Lausanne E-mail: [email protected] Deckel: Keystone FORTSCHRITTE IN DER HIRNFORSCHUNG Ausgabe 2008 Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen 5 Einleitung von Eve Marder, PhD Präsidentin, Society for Neuroscience 11 Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen von Michael S. Gazzaniga, PhD 17 Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2007 25 In der Kindheit auftretende Störungen 33 Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik 41 Schädigungen des Nervensystems 49 Neuroethik 57 Neuroimmunologische Erkrankungen 65 Schmerz 71 Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten 81 Störungen der Sinnes- und Körperfunktion 89 Stammzellen und Neurogenese 97 Denken und Erinnern 107 Referenzen 117 Stelle Dir eine Welt vor... Einleitung von Eve Marder, PhD Präsidentin, Society for Neuroscience A ngesichts des vorliegenden Berichts, der neuere Erkenntnisse zusammenfasst, die unser Leben und das unserer Familien in Gegenwart und Zukunft entscheidend beeinflussen, lege ich Ihnen hier die Ansichten einer unerschrockenen und kompromisslosen Grundlagenwissenschafterin vor. Als Wissenschafterin habe ich das Privileg, mich mit den grundlegendsten Fragen der Neurowissenschaft zu befassen, etwa mit der homeostatischen Regulation (dem lebenslangen Aufrechterhalten einer stabilen neuronalen Funktion), und durfte erkennen, dass diese auch für klinische Problemstellungen, etwa im Hinblick auf Epilepsie, relevant ist 1, 2. Gleichzeitig konnte ich als Tochter verblüfft miterleben, wie sich mein Vater von einer traumatischen Hirnverletzung erholte, die er bei einem Verkehrsunfall erlitten hatte. Bis heute staune ich darüber, dass sich sein damals 76 Jahre altes Gehirn selbst wieder so weit herstellte, dass heute niemand, der ihm sieben Jahre später erstmals begegnet, auch nur im Traum auf den Gedanken käme, dass jemals etwas derart Bedauerliches vorgefallen ist. Nichtsdestoweniger bezeugt seine Gesundung wohl mehr die ausserordentliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich von einem Insult zu erholen, sowie die chirurgische Kunst und weniger unser Wissen, wie und weshalb er völlig gesund wurde. Nichts beunruhigt einen Neurowissenschafter oder eine Neurowissenschafterin mehr, als im vollen Bewusstsein um unseren begrenzten Wissensstand miterleben zu müssen, dass eine nahe stehende Person oder ein Familienmitglied an einer Hirnverletzung oder -krankheit leidet; daher begrüsse ich alle in der vorliegenden Ausgabe beschriebenen Fortschritte. Als wissenschaftliche Forscherin an einer geisteswissenschaftlichen Hochschule gebe ich einen Kurs „Grundlagen der Neurowissenschaft“; er 5 umfasst die gesamten Grundlagen der Neurowissenschaft und deren Anwendung bei konkreten klinischen und allgemein menschlichen Fragestellungen. Für mich als Pädagogin ist es äusserst befriedigend festzustellen, dass häufig ausgefallene Einzelfragen, mit denen sich die Grundlagenwissenschaft befasst, die für das Verständnis von Krankheiten notwendigen Voraussetzungen schaffen. Angesichts der vorliegenden Sammlung von Aufsätzen erfüllt es mich auch mit Genugtuung, dass die langjährige Grundlagenforschung in mancherlei Hinsicht zu bedeutsamen Fortschritten geführt hat und schliesslich eine erfolgreichere Behandlung von Menschen ermöglichen wird. Weshalb und auf welche Weise Einzelne, die in den verschiedensten Familien aufwachsen, Maler, Musiker oder Tänzer werden, gehört zu den grossen Geheimnissen des Lebens. Dass künstlerische Begabungen und Tätigkeiten familiär gehäuft vorkommen, ist allgemein bekannt. Beruht dies auf Vererbung, auf früher Exposition und Übung, oder auf beidem? Es wird oft behauptet, Fachpersonen in Mathematik und Physik würden sich musikalisch besonders hervortun. Haben formales abstraktes Denken und Musizieren tatsächlich gewisse Beschaffenheiten des Kortex gemein? Fördert Kunstunterricht auch andere Arten der kognitiven Entwicklung? Mit Fragen dieser Art beschäftigt sich das Dana Arts and Cognition Consortium. In der Kindheit auftretende Störungen – z. B. Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und Entwicklungsverzögerung – gehören zu den besonders herzzerreissenden neurologischen Erkrankungen. Niederschmetternd sind auch degenerative Erkrankungen wie Chorea Huntington, Parkinson und Alzheimer, von denen Erwachsene betroffen sind. Neuere Arbeiten zeigen das grosse Potential der Genetik für das Verständnis der Ursachen dieser Krankheiten. Die jahrzehntelange Untersuchung der grundlegenden genetischen Mechanismen trägt heute Früchte, besonders da wir nun über ein Instrumentarium verfügen, um die Interaktionen multipler Gene bei komplexen Krankheiten zu untersuchen. Dasselbe zeigt sich bezüglich neuerer Studien von Hirntumoren. Die Erforschung zellulärer Signalwege, die das Wachstum und die Ausbreitung verschiedener Krebsarten, einschliesslich jener des Gehirns, steuern, könnte zur Entwicklung neuer Therapien für Gliome und weitere Hirntumoren führen. 6 Das Gehirn meines Vaters wurde durch einen rasch eingeleiteten chirurgischen Eingriff gerettet; wie im vorliegenden Bericht dargestellt wird, ist Einleitung auch für den Schutz des Gehirns nach einem Schlaganfall und nach transitorischen ischämischen Attacken, die kleinere neurologische Auswirkungen zu haben scheinen, das rechtzeitige Eingreifen entscheidend. Wir wissen heute, dass durch die rechtzeitige Behandlung einer transitorischen ischämischen Attacke das Risiko eines schweren Hirnschlags in den folgenden Wochen reduziert wird. Bei vielen Krankheiten können die aus Tiermodellen stammenden Erkenntnisse und Befunde nur schwer in die klinische Praxis übertragen werden. Ausschlaggebend sind hervorragende und gut kontrollierte klinische Studien, doch ist ihre korrekte Durchführung oft fraglich. Deshalb hat die International Campaign for Cures of Spinal Cord Paralysis (ICCP) neue Kriterien erarbeitet, um die Teilnahme und Beurteilung von Patienten an klinischen Studien bezüglich neuer Therapien von Rückenmarkverletzungen zu regeln. Entsprechende Kriterien für klinische Studien sind für sämtliche Bereiche von grosser Bedeutung, bei denen die Behandlung neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen beurteilt werden müssen. Das Interesse an Fragen, die zur neuen Disziplin der Neuroethik gehören, ist im vergangenen Jahr enorm gewachsen; das American Journal of Bioethics widmet diesem Bereich nun jährlich drei Ausgaben. Vier Themen erhielten 2007 besondere Aufmerksamkeit: die Kommerzialisierung des Lügendetektors, die tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Depressionen, genetische Studien von Abhängigkeit, und bildgebende Verfahren. Die Entwicklung neuer Techniken zu Diagnose und Behandlung von Hirnkrankheiten lässt dabei unerwartete, heikle Konsequenzen erkennen. Gleichzeitig macht die Stammzellbiologie bemerkenswerte Fortschritte, die dazu führen könnten, dass viele mit der Verwendung embryonaler Stammzellen zusammenhängende Kontroversen hinfällig werden. Unterdessen werden die Interaktionen von Immunsystem und Nervensystem immer klarer fassbar. Am deutlichsten ist dies im Falle der Multiplen Sklerose, einer Krankheit, bei der Vererbungs- und Umweltfaktoren bewirken, dass das Immunsystem die Myelinscheide, die viele Nervenzellen umgibt, angreift. Neuere Studien belegen einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Genen des Immunsystems und dem Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken. Interessant sind auch neue Befunde, denen zufolge ein enger Zusammenhang zwischen Vitamin D, Sonnenbestrahlung (die Vitamin D erhöht), Immunsystem und Multipler Sklerose 7 besteht. Das Immunsystem könnte sich auch als wichtig erweisen für ein besseres Verständnis gewisser chronischer Schmerzerkrankungen. Die zu chronischen Schmerzzuständen führenden Mechanismen sind geheimnisvoll; möglicherweise gehören zu den Ursachen auch Fehlanpassungen auf eine Verletzung, welche nicht unmittelbar auf das Ereignis folgen. Da starker chronischer Schmerz eine massive Beeinträchtigung darstellt und oft nur schwer wirksam behandelt werden kann, sind neue Erkenntnisse über den Aufbau und die Tätigkeit von Schmerzbahnen nötig und neue Behandlungsmethoden besonders willkommen. Dabei geht es vor allem um die Suche nach Alternativen zur langfristigen Verwendung von opiathaltigen Medikamenten, die zu Abhängigkeit führen können. Zu den besonders viel versprechenden, neuen, intensiv erforschten Behandlungsformen gehört die Neurostimulation, bei der Elektroden entweder in der Nähe des Rückenmarks oder peripher implantiert werden. Mit dieser Methode sollen Schmerzsignale durch eine direkte Stimulation blockiert werden, bevor sie das Gehirn erreichen. In anderen Bereichen lassen faszinierende Studien erkennen, auf welche Weise das Gehirn als Reaktion auf eine Infektion Fieber erzeugt 3; auch diese Einsichten verdanken wir unserem neuen Verständnis der Signalübertragung zwischen Zellen und der Möglichkeit, sie in Tiermodellen genetisch zu verändern. Leider werden schwere psychiatrische Krankheiten wie Schizophrenie, Depression und Sucht in vielen Fällen erst erkannt, wenn die davon betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Lage sein sollten, als kreative und selbständige Personen ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Im Jahr 2007 hat die Forschung zu einem Paradigmenwechsel bei der Beurteilung dieser Krankheiten beigetragen. 8 Lange Zeit hatte sich die Wissenschaft darauf konzentriert, einzelne biochemische und molekulare Ursachen zu suchen. Heute erkennen wir, dass Störungen des Denkens und des Gemüts auf fehlerhaften Verbindungen in Hirnschaltkreisen beruhen können, obwohl möglicherweise jede einzelne Nervenzelle richtig funktioniert. Neue bildgebende Verfahren und Genmanipulationen lassen jene Gene leichter erkennen, die für den Aufbau und die Funktion der Schaltkreise unter unterschiedlichen Umweltbedingungen verantwortlich sind. Darüber hinaus dürfte der Paradigmenwechsel zu neuen Behandlungsformen von Störungen beitragen. Es ist zu erwarten, dass wir auch Denkstörungen bei degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, etwa der Alzheimer-Krankheit, besser Zu den grössten Schwierigkeiten bei der Behandlung psychiatrischer Krankheiten gehört die enorme Heterogenität der Bevölkerung; eine der grössten Hoffnungen besteht darin, dass künftig bereits bei der Wahl einer medikamentösen oder anderen Behandlung berücksichtigt werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand aufgrund der genetischen Konstitution auf eine bestimmte Behandlung anspricht. Einleitung verstehen werden, bei welchen Nervenzellen zugrunde gehen und damit bestimmte Schaltkreiskomponenten ausfallen. Viele junge Forschende entscheiden sich für die Neurowissenschaft, weil sie von den wirklichen „grossen“ Fragen fasziniert sind: Sie interessieren sich für die Beschaffenheit des Bewusstseins; den Aufbau des menschlichen Denkens; die Beziehung zwischen spezifischen Hirnstrukturen und unserer Fähigkeit, mit Sprache umzugehen, Musik zu geniessen oder mit anderen in Beziehung zu treten. Die Studien des Jahres 2007 lassen uns besser verstehen, wie das Gehirn mit seinen Nervenschaltkreisen bei komplexen Denkvorgängen funktioniert. Trotz der ausserordentlichen Erkenntnisse über die Tätigkeit des Gehirns in Gesundheit und Krankheit lässt uns jeder neue Befund nur umso deutlicher erkennen, wie viel wir noch nicht verstehen. Wir alle erleben beispielsweise geistige Ermüdung, haben aber keine Ahnung, welche biologischen Korrelate diesem Zustand entsprechen. Wir wissen, dass sich unser Gehirn von dem anderer Personen unterscheidet, dass wir unterschiedliche Erinnerungen gespeichert haben und diese auf je einzigartige Weise dazu benutzen, auf einander und auf die Welt zu reagieren. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass die grundsätzlichen Regeln, welche die Tätigkeit unseres Gehirns bestimmen, erhalten bleiben – und zwar grösstenteils nicht nur beim Menschen sondern auch im Tierreich. Wie wir angesichts des gemeinsamen Sets von biochemischen, molekularen und genetischen Mechanismen unsere individuellen menschlichen Eigenschaften verstehen, ist die grösste Herausforderung für unsere weitere Arbeit. 9 Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen von Michael S. Gazzaniga, PhD I m Jahr 2004 versammelte das Dana Arts and Cognition Consortium an sieben amerikanischen Universitäten tätige kognitive Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen, die sich mit der Frage auseinandersetzten, worauf der Zusammenhang von Kunstunterricht und einer höheren akademischen Leistung beruht. Fühlen sich kluge Leute einfach dazu hingezogen, künstlerisch „tätig“ zu werden – Musik, Tanz, Schauspiel zu studieren und auszuüben – oder ruft früher Kunstunterricht Veränderungen im Gehirn hervor, die andere wichtige Aspekte der Kognition fördern. Die Arbeitsgemeinschaft kann nun Ergebnisse vorlegen, dank denen wir die möglichen ursächlichen Beziehungen zwischen Kunstunterricht und der Fähigkeit des Gehirns, in anderen kognitiven Bereichen zu lernen, besser verstehen. Die Studie enthält neue Daten über die Auswirkungen von Kunstunterricht und regt dadurch künftige Untersuchungen an. Die bisherigen, noch vorläufigen Schlussfolgerungen dürften schon bald zuverlässige Annahmen darüber erlauben, wie sich Kunstunterricht auf das Gehirn auswirkt; Eltern, Studierende, Erziehende, Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen sowie politisch Verantwortliche würden dadurch in ihrer jeweils persönlichen, institutionellen und politischen Entscheidungsfindung unterstützt. Genaueres über die Forschungsprogramme aller einzelnen Teilnehmenden sind in den Berichten ausgeführt, die Sie von www.dana.org herunterladen können. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der Erkenntnisse dieser Gruppe. 11 1. Das Interesse an darstellender Kunst führt zu einer hohen „Motivation“; diese erzeugt eine für Fortschritte notwendige „anhaltende Aufmerksamkeit“ und das Aufmerksamkeitstraining seinerseits führt zu Verbesserungen in anderen Wissensgebieten. 2. Genetische Studien lassen Kandidatengene erkennen, die möglicherweise zur Erklärung der individuell unterschiedlichen Kunstinteressen beitragen. 3. Zwischen intensivem Musikunterricht und der Fähigkeit, sowohl im Arbeits- als auch im Langzeitgedächtnis Informationen zu handhaben, gibt es spezifische Beziehungen, die über den Bereich des Musikunterrichts hinaus reichen. 4. Bei Kindern scheinen spezifische Beziehungen zwischen musikalischer Aktivität und darstellender Geometrie zu bestehen, die jedoch andere Arten des Umgangs mit Zahlen nicht mit einschliessen. 5. Wechselbeziehungen gibt es zwischen Musikunterricht einerseits und lesen Lernen sowie sequentiellem Lernen andererseits. Einer der wichtigsten Hinweise auf eine frühe Lesefähigkeit ist das phonologische Bewusstsein; es korreliert sowohl mit Musikunterricht als auch mit der Entwicklung einer bestimmten Hirnverbindung. 6. Schauspielunterricht scheint über das Erlernen allgemeiner Fertigkeiten zur Verarbeitung semantischer Informationen zu einem besseren Gedächtnis zu führen. 7. Zwischen dem selbst deklarierten Interesse an Ästhetik und der Veranlagung zu Offenheit, die ihrerseits durch auf Dopamin bezogene Gene beeinflusst wird, besteht ein Zusammenhang. 8. Zwischen tanzen Lernen durch aufmerksames Beobachten und Lernen durch eigenes Üben besteht ein enger Zusammenhang, und zwar sowohl was den Erfolg anbelangt als auch bezüglich der neuralen Substrate, die solche komplexen Tätigkeiten ermöglichen. Lernen durch aufmerksames Beobachten kann sich auf andere kognitive Fähigkeiten auswirken. 12 Die vorangehenden Ausführungen erweitern unser Wissen über die Beziehung zwischen Kunst und Kognition. Bezüglich der Frage, ob Kunstunterricht Darin besteht das besondere Problem von Korrelationen; da einige Studien schwache und sogar bloss scheinbare Korrelationen aufzeigten, wurde diese Arbeitsgemeinschaft gebildet. Es ist zwar interessant, begleitende, parallele, ergänzende oder reziproke „Korrelationen“ festzustellen, doch sind Aktionen und Veränderungen erst möglich, wenn wir die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen verstehen. Zwar muss die Wissenschaft stets darauf hinweisen, dass es notwendig ist, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden, doch ist ebenfalls festzuhalten, dass gerade die Neurowissenschaft häufig mit Korrelationen beginnt – üblicherweise von der Entdeckung, dass eine bestimmte Art von Hirnaktivität und eine bestimmte Verhaltensweise gemeinsam auftreten. Um jedoch zu entscheiden, welche Forschungsarbeit am sinnvollsten ist, muss man darauf achten, ob diese Korrelationen niedrig oder hoch sind. Indem viele der hier erwähnten Studien bereits früher festgestellte Korrelationen bestätigen, schaffen sie die Voraussetzung, dass das Verständnis der zugrunde liegenden biologischen Vorgänge und Hirnmechanismen schliesslich zu echten kausalen Erklärungen führt. Ausserdem gibt es nicht nur hohe und niedrige Korrelationen, sondern auch starke und schwache Kausalzusammenhänge. Ebenso wie bei „Rauchen verursacht Krebs“, könnten wir theoretisch aufgrund von Ergebnissen randomisierter prospektiver Studien, denen zufolge Kinder mit Kunstunterricht einen kognitiven Vorteil haben, im weitesten Sinne einen Kausalzusammenhang postulieren. Doch selbst ein derart eindeutiges Ergebnis würde nur wenig über die Ursache aussagen; wir hätten dadurch keinen einzigen Lernmechanismus im Gehirn entdeckt, der uns solche Mechanismen besser „verstehen“ liesse und zu einer optimalen Begegnung mit Kunst anleiten könnte. Wir wüssten weder Bescheid darüber, durch welche Mechanismen das Gehirn das Gelernte generalisiert noch über die Entwicklungsstadien, in denen das Gehirn besonders gut auf bestimmte Arten der Erfahrung anspricht. Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen das Gehirn so verändert, dass allgemeine kognitive Fähigkeiten gefördert werden, stellen diese Erkenntnisse einen ersten Schritt des neurowissenschaftlichen Forschungsansatzes dar. Die Frage ist – ähnlich wie bei bestimmten organischen Krankheiten – von so hohem allgemeinem Interesse, dass unhaltbare Antworten zwar rasch eine grosse Kraft entwickeln, dann aber einen Bumerangeffekt haben können. 13 Zwischen hoher Korrelation und eindeutig wissenschaftlich fundierten kausalen Erklärungen ist viel Raum für wertvolle Untersuchungen. Fragestellungen, die von Theorien ausgehen können mit neurowissenschaftlichen Methoden untersucht werden und zu Experimenten führen, die sich nicht mit dem Nachweis von Erfolgsergebnissen begnügen; vielmehr können sie aufzeigen, auf welche Weise durch Kunstunterricht hervorgerufene Veränderungen im Gehirn das Leben von Menschen bereichern und wie sich eine solche Erfahrung auf Bereiche übertragen lässt, die eine akademische Bildung fördern. Auch wenn solche in einem mittleren Bereich angesiedelte Studien nicht auf der Ebene von zellulären oder molekularen Erklärungen liegen, könnten sie unser Wissen entscheidend voranbringen. Die von der Arbeitsgemeinschaft durchgeführte Untersuchung zum Tanzen ist hierfür ein gutes Beispiel. Unsere Forschungsarbeit zeigt, dass sich Personen, die Tanzunterricht nehmen, zu höchst erfolgreichen Beobachtenden entwickeln können. Wir stellten fest, dass man durch blosses Zuschauen sehr erfolgreich tanzen lernen kann und dass dieser Erfolg auf der neuralen Ebene dadurch gestützt wird, dass sich jene Hirnbereiche weitgehend überlappen, die beim Beobachten der Abläufe bzw. beim Ausführen der entsprechenden Bewegungen aktiv sind. Diese gemeinsamen neuralen Substrate sind bedeutsam, wenn es gilt, komplizierte Abläufe so zu organisieren, dass eine sequenzielle Struktur entsteht. In der Zukunft können wir untersuchen, ob sich diese erfolgreiche Beobachtungsstrategie auch auf andere akademische Bereiche übertragen lässt. Im komplizierten Schaltkreis des Gehirns kausale Mechanismen festlegen zu wollen, ist ein bisschen viel verlangt. Die Studien zu Kunst und Kognition, welche die Arbeitsgemeinschaft der Dana in den letzten drei Jahren durchgeführt hat, ermöglichten das Verständnis der für Handlungen notwendigen Mechanismen; auf dieser Grundlage – so glauben wir – werden künftige Studien aufbauen können. 14 Die Neurowissenschaft eröffnet eine lebensbejahende Dimension: Die Entdeckung, dass künstlerische Tätigkeiten und Kunstgenuss unsere kognitiven Fähigkeiten erweitern, ist ein entscheidender Schritt hin zur Erkenntnis, wie wir besser lernen und sowohl angenehmer als auch produktiver leben können. Nachstehend geben wir einige Anregungen, wie die hier vorgestellten Forschungsarbeiten weiter geführt werden könnten. 2. Wir wollen auch Klarheit darüber erhalten, auf welche Weise eine hohe künstlerische Motivation raschere Veränderungen in diesem Netzwerk bewirkt, und wie stark sich solche Veränderungen auf andere Arten der Kognition auswirken. 3. Der Zusammenhang zwischen Unterricht in Musik und in bildender Kunst einerseits und bestimmten Bereichen der Mathematik, etwa der Geometrie, anderseits muss mit modernen bildgebenden Verfahren genauer untersucht werden. 4. Weiter nachgehen wollen wir auch dem Zusammenhang von intrinsischer Motivation für eine bestimmte Kunstsparte (z. B. Musik und bildende Kunst) und der dafür erforderlichen Fähigkeit der beständigen Aufmerksamkeit; wir brauchen Forschungsresultate auf der Verhaltensebene und mittels bildgebender Verfahren, um aufzeigen zu können, dass in spezifischen Bahnen bei höherer Motivation grössere Veränderungen auftreten. Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen 1. Bisherige Untersuchungen haben ergeben, dass für verschiedene Sparten der Kunst – Musik, bildende Kunst, Theater, Tanz – jeweils unterschiedliche neurale Netzwerke zuständig sind. In künftigen Studien soll überprüft werden, in welchem Ausmass diese Netzwerke eigenständig sind bzw. sich überlappen. 5. Die Suche nach individuellen Indikatoren für das Interesse an Kunstunterricht und für dessen Einfluss sollte weitergeführt werden; sinnvoll wären Untersuchungen, welche Erhebungen mittels Fragebogen, die Bestimmung bereits bekannter Kandidatengene und eine umfassende Überprüfungen des Genoms miteinander kombinieren. Weitere Untersuchungen sollten auch den folgenden Fragen nachgehen: 1. In welchem Ausmass ist der Zusammenhang zwischen Musikunterricht, Lesen und sequentiellem Lernen kausaler Art? Falls tatsächlich eine Kausalität bestehen sollte, geht sie mit einer Anpassung der Verbindungen zwischen beteiligten Hirnbereichen einher? 2. Ist der Zusammenhang zwischen Musik- und Schauspielunterricht und Gedächtnisfunktionen kausaler Art? Falls ja, lassen sich diese Mechanismen mittels bildgebender Verfahren untersuchen? 15 3. Welche Rolle spielen aufmerksame Beobachtung und Nachahmung bei darstellenden Künsten? Können wir unser motorisches System auf komplizierte Tanzbewegungen vorbereiten, indem wir die gewünschten Bewegungen ganz einfach beobachten oder sie uns vorstellen? Lassen sich die zur Erreichung dieses Ziels notwendige Disziplin und die kognitiven Fertigkeiten übertragen? Der Arbeitsgemeinschaft ist es gelungen, einige der in kognitiver Neurowissenschaft weltweit führenden Fachpersonen zusammenzubringen, um Korrelationsstudien zu Kunst und Kognition zu sichten und auf allfällige kausale Beziehungen zu überprüfen. Die neuen Erkenntnisse und konzeptuellen Fortschritte der Arbeitsgemeinschaft haben geklärt, was als Nächstes zu tun ist. Die oben angeführten spezifischen Vorschläge sind ein Ergebnis dieser Arbeiten, wobei es natürlich auch weitere Möglichkeiten gibt. Ziel dieser Vorschläge ist es, ein neu erschlossenes Forschungsgebiet weiter zu vertiefen. Die vorliegenden aktuellen Ergebnisse und neuen Ideen zeigen die Richtung an, in der dieser Bereich weiter erforscht werden könnte. Meines Erachtens hat dieses Projekt Kandidatengene identifiziert, die zu einer künstlerischen Begabung beitragen, und es hat zudem aufgezeigt, dass sich kognitive Verbesserungen auf bestimmte geistige Fähigkeiten, etwa die geometrische Vorstellung, beschränken können; das Projekt hat gezeigt, dass sich spezifische Bahnen im Gehirn identifizieren lassen, welche sich möglicherweise im Verlauf des Unterrichts verändern; dass die Lösung eines Problems manchmal auf veränderten kognitiven Strategien beruht und nicht auf veränderten Hirnstrukturen; und dass früher Musikunterricht die Kognition über einen bisher noch nicht bekannten neuralen Mechanismus verbessern kann. All diese Entdeckungen sind bemerkenswert und faszinierend. 16 Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD Einleitung D a es im vergangenen Jahrhundert noch keine wirksamen Medikamente gab, um verzweifelten Kranken zu helfen, die an körperlichen Behinderungen infolge Parkinson (Parkinson’s disease; PD), Tremor und anderen Bewegungsstörungen litten, begann die Neurochirurgie, die Auswirkungen von Läsionen auf verschiedene Hirnstrukturen zu untersuchen. Seinen Höhepunkt hatte dieses Vorgehen in den 1950er und 1960er Jahren, etwa zur selben Zeit, als auch chirurgische Eingriffe bei verschiedenen psychiatrischen Störungen und bei abnormem Verhalten den Höchststand erreichten. Nachdem in den 1960er Jahren die Substitutionstherapie mit Levodopa als Behandlung der ParkinsonKrankheit eingeführt worden war und auch als Reaktion auf den lauten Aufschrei der Öffentlichkeit gegen Auswüchse der Psychochirurgie nahmen neurochirurgische Eingriffe in den nachfolgenden Jahrzehnten rapide ab. Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, dass neurochirurgische Eingriffe sowohl bei neurologischen als auch bei psychiatrischen Störungen im vergangenen Jahrzehnt eine eigentliche Renaissance erfuhren. Das Wiederaufleben von neurochirurgischen Massnahmen beruht in erster Linie auf dem bemerkenswerten Fortschritt der Grundlagenforschung, die sich mit der Organisation des motorischen Systems und mit der Neurobiologie von Störungen wie der Parkinson-Krankheit befasste. Die an Primatenmodellen durchgeführten Forschungsarbeiten wiesen nach, dass 17 Bewegungsstörungen wie die Parkinson-Krankheit auf der regelwidrigen Aktivität ganz bestimmter Hirnschaltkreise beruhen und dass eine Regulierung der Aktivität in diesen Schaltkreisen mittels gezielter chirurgischer Eingriffe an einzelnen Knotenpunkten die Symptome wirksam zu lindern vermag 1. Der Impuls für das Wiederaufleben neurochirurgischer Therapien hat verschiedene Gründe: Bei vielen dieser chronischen neuropsychiatrischen Störungen lassen sich die Krankheitssymptome in fortgeschrittenen Stadien entweder nicht ausreichend bekämpfen oder aber es kommt zu unzumutbaren Nebenwirkungen; das öffentliche Bewusstsein für die Belastung, die solche Störungen für die Betroffenen und ihre Betreuungspersonen darstellen, ist gewachsen; und – dies gilt insbesondere für psychiatrische Erkrankungen – das Einholen von Einverständniserklärungen der Betroffenen sowie andere Massnahmen zum Schutze von Patientenrechten werden heute einheitlich gehandhabt. Die meisten heute gebräuchlichen funktionellen neurochirurgischen Verfahren sind auf bestimmte Hirnstrukturen, die so genannten Basalganglien gerichtet. Diese subkortikalen Hirnstrukturen gelten als Komponenten einer Familie von anatomisch unterschiedlichen Hirnschaltkreisen, die auch die Grosshirnrinde und den Thalamus einbeziehen. Diese Schaltkreise unterstützen Aspekte des motorischen Verhaltens (motorischer Schaltkreis), des kognitiven Verhaltens (assoziativer Schaltkreis) sowie von Emotion und Motivation (limbischer Schaltkreis). Allgemein ausgedrückt beruhen Bewegungsstörungen wie die ParkinsonKrankheit auf abnormen neuronalen Aktivitäten im motorischen Schaltkreis; Regelwidrigkeiten in limbischen oder assoziativen Schaltkreisen verursachen dagegen Symptome und Merkmale von neuropsychiatrischen Erkrankungen. Daher richten sich Operationen bei Personen mit Bewegungsstörungen auf Ziele im motorischen Schaltkreis und Eingriffe bei neuropsychiatrischen Erkrankungen auf den limbischen oder assoziativen Schaltkreis. 18 Unter den chirurgischen Ansätzen der neuen Generation zeichnet sich die tiefe Hirnstimulation (THS) dadurch aus, dass sie die Aktivität in bestimmten Schaltkreisen verändert. Im Zusammenhang mit Bewegungsstörungen wurde THS erstmals Ende der 1970er Jahre zur Behandlung des Tremors untersucht; im Laufe der Zeit gelang es, besser geeignete Zielpunkte zu Im Verlauf einer THS-Operation implantiert man stimulierende Elektroden mit vier verschiedenen Anschlüssen in ganz bestimmte Hirnregionen und – ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher – einen programmierbaren Impulsgeber direkt unterhalb des Schlüsselbeins unter die Haut. Der Impulsgeber kann so programmiert werden, dass er die anvisierte Hirnregion ununterbrochen mit einer optimalen Frequenz, Amplitude und Impulsdauer stimuliert. Dass diese Stimulation reversibel ist und angepasst werden kann, gehört zu den grossen Vorzügen der THS; zudem richtet sie sich direkt auf die relevanten Ziele und führt daher zu weniger unerwünschten Nebenwirkungen als auf das gesamte Gehirn wirkende Medikamente. Tiefe Hirnstimulation hat für Personen, die von einer fortgeschrittenen Bewegungsstörung oder anderen Krankheiten betroffen sind, bemerkenswerte Vorteile, doch bleibt unklar, worauf ihre Wirkung letztlich beruht. Zuerst hatte man angenommen, sie ahme einfach die Wirkungen von Läsionen nach, doch deuten neuere Untersuchungen der Hirnaktivität bei Tieren und Menschen darauf hin, dass THS Axone aktiviert, die vom stimulierten Bereich des Zellkerns weg- oder zu ihm hinführen, und auf diese Weise Aktivitätsmuster in den mit der stimulierten Hirnregion verbundenen Netzwerken verändert. Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation identifizieren und THS erwies sich auch bei der Parkinson-Krankheit und anderen Bewegungsstörungen als äusserst wirksam. Anders als beim Setzen von Läsionen, welche irreversible Auswirkungen haben, wird das Gehirn durch THS nicht dauerhaft verändert, sondern durch die lokale Applikation von elektrischem Strom in einer Weise modifiziert, die verändert und sogar rückgängig gemacht werden kann. Bewegungsstörungen Am häufigsten wird tiefe Hirnstimulation bei Personen im fortgeschrittenen Stadium der Parkinson-Krankheit (einer progredienten Erkrankung mit typischer Verlangsamung der Bewegungen sowie Tremor und Muskelstarre) eingesetzt. Die Symptome beruhen auf einer Einbusse des Neurotransmitters Dopamin in den Basalganglien, was die neuronale Aktivität im gesamten motorischen Schaltkreis beeinflusst. Frühe Stadien der Parkinson-Krankheit sind einer medikamentösen Behandlung zugänglich; in späteren Krankheitsstadien ist sie dadurch begrenzt, dass dann häufig arzneimittelinduzierte unwillkürliche Bewegungen, so 19 genannte Dyskinesien, auftreten; auch nimmt die Wirksamkeit der Medikamente rasch ab. THS innerhalb der motorischen Teilbereiche zweier Kerne der Basalganglien, dem Nucleus subthalamicus und dem inneren Segment des Pallidum, behebt Bewegungsstörungen der ParkinsonKrankheit sowie die durch Arzneimittel induzierten Komplikationen 2, 3. Die Operation führt nur selten, bei 1-2% der Betroffenen, zu grösseren Problemen und die langfristigen Vorteile sind erheblich. Ausser dem Nucleus subthalamicus und dem Pallidum werden zurzeit weitere mögliche THS-Zielstrukturen erforscht, unter anderem der Nucleus pedunculopontinus, der im Falle von schweren Parkinson-Erkrankungen mit behandlungsresistenten Gang- und Gleichgewichtsstörungen viel versprechend erscheint. Auch bei Personen mit anderen Bewegungsstörungen als Tremor und Parkinson wird THS bereits erfolgreich eingesetzt. Getestet werden z. B. Stimulationen bei verschiedensten Arten der Dystonie, einer höchst unbeständigen Bewegungsstörung mit typischen, generalisiert oder fokal auftretenden, unwillkürlichen Drehbewegungen und unnatürlichen Körperhaltungen; dies weckt Hoffnung für Kranke, die nur schlecht auf die heute verfügbaren Behandlungen ansprechen 4. Neuropsychiatrische Erkrankungen Die bemerkenswerten Erfolge der tiefen Hirnstimulation im Falle der Parkinson-Krankheit und bei anderen Bewegungsstörungen sowie die Erkenntnis, dass etliche verbreitete neuropsychiatrische Erkrankungen ebenfalls auf abnormen Aktivitätsmustern in neuronalen Netzwerken beruhen könnten, haben die Neurochirurgie zu vorsichtigen Versuchen mit THS auch bei verschiedenen derartigen Erkrankungen angeregt. Zurzeit befinden sich die Anwendungen ausschliesslich in einem experimentellen Stadium. Viel versprechend ist auch die Behandlung der Zwangserkrankung (obsessive-compulsive disorder; OCD), eine Störung die durch zwanghaftes Denken und Handeln charakterisiert ist. Im Falle der OCD richteten sich neurochirurgische Läsionen jeweils auf empirische Zielstrukturen, etwa das Vorderhorn der inneren Kapsel. Kürzlich wurde berichtet, dort 5 oder im nahen ventralen Striatum ansetzende THS sei ebenfalls wirksam. 20 Das Tourette-Syndrom, bei dem unwillkürliche, rasche und stereotype Bewegungen und Vokalisationen (motorische und vokale Ticks) häufig mit OCD, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität, Depression Gegenwärtig laufen auch verschiedene Studien, um die Möglichkeiten der THS bei Personen zu evaluieren, die an einer schweren, auf konventionelle Therapien nicht ansprechenden Depression leiden. Nachdem Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren gezeigt hatten, dass der kortikalen subgenual cingulären Region (Cg25) bei Depressionen eine Schlüsselrolle zukommt, ergab eine neuere Studie, dass THS in diesem Bereich bei Personen mit einer Depression eine signifikante klinische Besserung bewirkte 7. Eine fortgesetzte Stimulation (während sechs Monaten) führte bei zwei Dritteln der Versuchspersonen, die alle bereits verschiedene erfolglose Therapieversuche hinter sich hatten, zu einer deutlichen und anhaltenden Besserung. Jetzt sind Folgestudien und grösser angelegte Untersuchungen mit Kontrollgruppen erforderlich, um diese Ergebnisse zu überprüfen und weitere Zielstrukturen, wie etwa das ventrale Striatum zu explorieren. Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation und psychosozialen Auffälligkeiten verbunden sind, lässt sich möglicherweise ebenfalls mit THS behandeln 6. Da die Symptome nach der Pubertät häufig nachlassen, bleibt eine Behandlung schweren Fällen vorbehalten, in denen keine spontane Besserung erfolgt. Ausgehend von früheren empirischen Läsions-Studien und angesichts der relevanten Anatomie des limbischen Schaltkreises wurde THS bei diesen Personen versuchsweise auf mehrere Zielstrukturen gerichtet, unter anderem auf die intralaminaren thalamischen Kerne entlang der Mittellinie und auf die motorischen und limbischen Teilbereiche des Pallidum. Diese ersten Anwendungen führten in einigen Fällen zu einer deutlichen Besserung der Symptome. Schlussfolgerungen Die tiefe Hirnstimulation ist für Patienten, deren Bewegung stark eingeschränkt ist, zum neurochirurgischen Verfahren der Wahl geworden; gegenwärtig wird sie auch an Personen mit verschiedenen schweren neuropsychiatrischen Erkrankungen erprobt. Zwar wissen wir über die neurobiologischen Grundlagen von Krankheiten wie OCD, Tourette-Syndrom und Depression weniger als über jene von Bewegungsstörungen, doch scheint allen gemein zu sein, dass sie auf Fehlfunktionen von Hirnschaltkreisen beruhen, die bei therapieresistenten Fällen durch THS erfolgreich beeinflusst werden könnten. 21 Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2007 23 In der Kindheit auftretende Störungen Die Genetik des Autismus 26 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung 27 Rett-Syndrom Fortschritte 29 Wichtiges Enzym bei Fragilem-X 31 25 F ür zwei besonders häufige Arten von Entwicklungsstörungen – die Autismus-Spektrum-Störungen und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – konnte die Wissenschaft im Jahr 2007 einige genetische Grundlagen bestimmen. Erste Erfolge gab es auch im Hinblick auf eine mögliche Behandlung des Rett-Syndroms (dabei handelt es sich um eine Variante der Autismus-Spektrum-Störungen, die zu schwersten körperlichen Behinderungen führt und vor allem bei Mädchen diagnostiziert wird, da die betroffenen Knaben selten mehr als zwei Jahre alt werden) und des Fragilen-X-Syndroms (dies ist die häufigste erbliche Form von geistiger Behinderung und sie betrifft vor allem Knaben). Die Genetik des Autismus Zwar haben Zwillingsstudien ergeben, dass Autismus-Spektrum-Störungen in hohem Masse erblich sind, doch liessen sich bisher keine überzeugenden Kandidatengene bestimmen. Überdies kommt diese Krankheit in der Familienanamnese der meisten von Autismus Betroffenen nicht vor – ein Hinweis darauf, dass die ererbten Risikofaktoren sehr vielschichtig sind. 2007 konnte eine von Jonathan Sebat geleitete Forschungsgruppe am Cold Spring Harbor Laboratory neue Erkenntnisse zur Genetik dieser Störungen vorlegen. In einem im April in Science veröffentlichten Paper berichteten Sebat und seine Mitarbeitenden, dass Genmutationen, die bei keinem Elternteil vorhanden sind, so genannte Varianten der Kopienzahl, mit einem grösseren Autismusrisiko einhergehen als bisher angenommen 1. Typisch für diese Mutationen sind Deletionen kleiner Gensegmente. Sebats Gruppe suchte bei 264 Familien nach solchen Varianten der Kopienzahl: bei 118 „Simplex“-Familien mit nur einem an Autismus erkrankten Kind, bei 47 „Multiplex“-Familien mit mehreren betroffenen Geschwistern und bei 99 Kontroll-Familien, in denen kein Fall von Autismus festgestellt wurde. 26 Die Forschenden stellten bei 10% der Kinder mit Autismus-SpektrumStörungen, die kein Geschwister mit einer solchen Störung hatten, Deletionen von Gensegmenten fest; bei aus Multiplex-Familien stammenden Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen waren es 2,6% und bei der Kontrollgruppe 1%. Diese Deletionen kamen an den verschiedensten Stellen des Genoms vor. Die Daten stimmen mit der Hypothese überein, Die Tatsache, dass eine Störung durch viele Gene bedingt sein kann, verweist auch auf einen grundsätzlichen Aspekt des Autismus: Vielleicht beruht die Gemeinsamkeit der üblichen Merkmale des Autismus (Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, Kommunikationsprobleme sowie eingeschränkte Interessen und Verhaltensweisen) nicht auf gemeinsamen Genen sondern auf einer gemeinsamen biologischen Signalübertragung, an der ein grosses und verschiedenartiges Set von Genen beteiligt ist. Die Befunde wirken sich auch auf den klinischen Bereich aus. Wenn Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen im Spital generell auf das Vorhandensein von spontanen Mutationen untersucht würden, könnte man den Eltern mitteilen, wie hoch ihr Risiko ist, ein zweites Kind mit einer Autismus-Spektrum-Störung zu bekommen – wobei man annimmt, es sei im Falle einer spontanen Mutation niedriger. In der Kindheit auftretende Störungen dass es viele Autismus-Gene gibt, und könnten die Widersprüchlichkeit der Befunde früherer genetischer Studien teilweise erklären. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung Für die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind verschiedene Merkmale charakteristisch: sie ist sehr häufig (betroffen sind 3-7% der Kinder), stark erblich bedingt und hat eine Tendenz, beim Heranwachsen der betroffenen Kinder schwächer zu werden. In einer im August in Archives of General Psychiatry veröffentlichten Studie untersuchten Philip Shaw und Mitarbeitende am National Institute of Mental Health die Wirkungen eines der wichtigsten bekannten genetischen Risikofaktoren dieser Störung 2. Die Forschenden untersuchten das Gen D4, das zu den selteneren Formen des Rezeptors für den Neurotransmitter Dopamin gehört. Im Gegensatz zu anderen Dopaminrezeptoren verfügt dieser in einem Teil des Gens, dem Axon 3, über die Variante 7-Repeat-Allel. Diese Genvariante ist für ca. 30% der ererbten Fälle der Störung verantwortlich und somit bei weitem das aussichtsreichste Kandidatengen. Die Forschenden bestimmten die DNA, erhoben klinische Daten und machten Magnetresonanzaufnahmen des Gehirns bei 105 Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und bei 103 Kindern ohne diese Störung. Die Analyse der Daten ergab, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, die über das Gen 7-Repeat Allel 27 8 9 10 11 12 13 14 15 16 T statistic –2 –5 Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung haben einen dünneren Kortex als solche ohne diese Störung, doch zeigen Hirnscans (die Zahlen geben das Alter des Kindes an), dass diese Diskrepanz in jenen 30% der Fälle, bei denen ADHS mit einer ganz bestimmten, seltenen Genvariante einhergeht, bis zum Alter von etwa 16 Jahren verschwindet. verfügten, einen besseren klinische Status aufwiesen und intelligenter waren als Kinder ohne das Gen 7-Repeat-Allel. Dieser Befund war hochspezifisch: Bei zwei anderen bekannten genetischen Risikofaktoren für ADHS wurde weder was den klinischen Status noch was den charakteristischen Verlauf der kortikalen Entwicklung anbelangt ein vergleichbarer Zusammenhang gefunden. Bei Kindern mit der Genvariante 7-Repeat-Allel fanden die Forschenden ein unverkennbares kortikales Entwicklungsmuster: In Regionen, die für die Kontrolle der Aufmerksamkeit bedeutsam sind, war der Kortex anfänglich dünn, wurde dann jedoch dicker und näherte sich bei ca. 16-Jährigen der Entwicklungskurve von gesunden Kindern. 28 In einer früheren Studie hatte dieselbe Forschungsgruppe berichtet, mit diesem kortikalen Entwicklungsmuster sei ein besserer klinischer Status der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung verbunden. Die Untersuchung aus dem Jahr 2007 brachte die Genetik sowohl mit dem klinischen In der Kindheit auftretende Störungen Adrian Bird und Mitarbeitende am Wellcome Trust Centre for Cell Biology in Schottland beeinflussten die Produktion des Proteins MeCP2 in einem Mausmodell des Rett-Syndroms. Sie stellten fest, dass die Wiederherstellung der MeCP2-Produktion die Symptome beseitigte. Bild als auch mit der kortikalen Entwicklung in Zusammenhang und lässt hoffen, dass solche genetische Informationen künftig in die klinische Behandlung einfliessen werden. Rett-Syndrom Fortschritte Das Rett-Syndrom beruht auf Genmutationen des Methyl-CpG Bindungsproteins 2 (MeCP2) und betrifft vor allem Mädchen. Die Symptome entwickeln sich in der frühen Kindheit und führen dazu, dass die Sprache und normale Bewegungen, insbesondere der Gebrauch der Hände, verloren gehen. Pathologische Atemmuster und Parkinson ähnliches Zittern sind häufig. Frauen mit Rett-Syndrom haben ein mutiertes und ein normales MeCP2Gen. Deshalb eignen sich weibliche Mäuse mit einem Stopp-Gen auf dem einen X Chromosom am besten als genetisches Modell für diese Krankheit. Bei diesen Mäusen entwickeln sich im Alter von 4 – 12 Monaten Rett ähnliche Symptome – Zittern sowie Störungen der Beweglichkeit und der Gangart – und diese Symptomatik bleibt während einer offenbar normalen Lebensdauer bestehen. Zwar haben die Neuronen weniger Ausläufer als normal, doch gibt es weder im Mausmodell noch bei vom Rett-Syndrom betroffenen Menschen 29 CrH Expression ist erhöht in MeCP2308 Mäusen Wild-Typ MeCP2308 Paraventrikulärer Hypothalamus CrH Expressions Level stark schwach Mutationen des Proteins MeCP2 verursachen das Rett-Syndrom. Mit diesen Mutationen gezüchtete Mäuse zeigen erhöhte Spiegel des Stresskontrollhormons Corticotrophin freisetzendes Hormon (CrH) im Hypothalamus, was wahrscheinlich zu Stress und Angst beiträgt, Symptome, die für Rett typisch sind. Hinweise auf einen Verlust an Nervenzellen – dies im Gegensatz zu degenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Chorea Huntington oder Alzheimer. Da die fehlerhaften Neuronen am Leben bleiben, fragten sich Forschende am Wellcome Trust Centre for Cell Biology an der Edinburgh University in Schottland, ob eine Wiederherstellung des MeCP2-Proteins die Funktionsfähigkeit der Nerven bewahren und die Mäuse „heilen“ könnte. Adrian Bird und Mitarbeitende überprüften diese Hypothese, indem sie ins MeCP2-Gen der Maus eine „Stopp-Kassette“ einfügten, welche die Produktion des MeCP2-Proteins verhinderte; diese Studie erschien im Februar in Science 3. Das Stopp-Gen konnte nach Belieben reaktiviert werden, indem man der Maus Tamoxifen injizierte; dieses setzte eine Reihe molekularer Abläufe in Gang, die zur Deletion der Stopp-Kassette führten und auf diese Weise das MeCP2-Gen reaktivierten, so dass es das Protein herstellte. 30 Die Forschenden verabreichten Tamoxifen erst, nachdem sich bei den weiblichen Mäusen das volle Krankheitsbild entwickelt hatte. Sobald das MeCP2-Gen wieder dazu gebracht wurde, MeCP2-Protein zu produzieren, Versuche mit Tamoxifen wurden auch an männlichen Mäusen durchgeführt, bei denen bereits Symptome aufgetreten waren. Auch bei ihnen verschwanden die meisten oder alle Symptome, wenn das MeCP2-Gen wieder hergestellt war, und die Mäuse erreichten ein der normalen Lebenserwartung entsprechendes Alter. Da diese Ergebnisse annehmen lassen, dass die Symptome des RettSyndroms potentiell reversibel sind, könnten sie zu ähnlichen Forschungsarbeiten im Hinblick auf verwandte Autismus-Spektrum-Störungen anregen. In der Kindheit auftretende Störungen hörte überraschenderweise das Zittern auf und Atmung, Beweglichkeit sowie die Gangart der Mäuse, die zuweilen wenige Tage vor dem Tod standen, normalisierten sich. Dass ausserdem auch die elektrophysiologischen Funktionen der weiblichen Mäuse wieder hergestellt waren, belegten Messungen des Reaktionsvermögens von stimulierten Nervenzellen. Wichtiges Enzym bei Fragilem-X Ähnlich ermutigende Ergebnisse erzielte eine von Nobelpreisträger Susumu Tonegawa geleitete Forschungsgruppe am Massachusetts Institute of Technology bezüglich des Fragilen-X-Syndroms, der häufigsten erblichen Art von Entwicklungsverzögerung, die vor allem männliche Personen betrifft. Die Arbeit erschien in der Juli-Ausgabe von Proceedings of the National Academy of Sciences 4. In dieser Studie an einem Mausmodell des Fragilen-X-Syndroms wiesen die Tiere ähnliche Symptome auf wie von der Krankheit betroffene Menschen: Hyperaktivität, repetitive Bewegungen, Aufmerksamkeitsdefizite und Schwierigkeiten mit Lern- und Gedächtnisaufgaben. Auch die strukturellen Abweichungen der Versuchstiere glichen jenen, die man bei Menschen festgestellt hatte. Die Neuronen im Gehirn der betroffenen männlichen Personen haben viele dendritische Dorne, die jedoch länger und dünner sind als normal und schwächere elektrische Signale übertragen als jene von nicht betroffenen Personen. Dendritische Dorne sind kleine Ausstülpungen auf den Dendriten-Ästen von Neuronen; sie empfangen chemische Signale von anderen Neuronen und leiten sie zum Zellkörper weiter. Die Forschenden nahmen an, die Hemmung eines bestimmten Enzyms im Gehirn könnte ein wirksamer Weg sein, diesen strukturellen Veränderungen 31 und den schwer beeinträchtigenden Symptomen des Fragilen-XSyndroms zu begegnen. Das Enzym p21-aktivierte Kinase beeinflusst Zahl, Grösse und Form der Verbindungen von Neuronen im Gehirn. Wenn sie die Aktivität des Enzyms blockierten, bildeten sich bei Mäusen die abnormen Strukturen der neuronalen Verbindungen zurück. Darüber hinaus förderte die Hemmung des Enzyms die elektrische Kommunikation zwischen Neuronen im Gehirn der Mäuse und damit besserten sich auch ihre Verhaltensauffälligkeiten. Da die Genexpression, welche p21-aktivierte Kinase hemmt, nach der Geburt auftritt, könnte es eines Tages möglich sein, durch Präparate, welche die Aktivität des Enzyms hemmen, bereits bei kleinen Kindern mit Fragilem-X-Syndrom geistige Einbussen zu verhindern oder zu beheben. 32 Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik Chorea Huntington 34 Parkinson-Krankheit 37 33 D ie Erforschung der Chorea Huntington und der Parkinson-Krankheit liess 2007 die genetischen und molekularen Grundlagen dieser Bewegungsstörungen deutlicher erkennen, offenbarte aber zugleich, wie überaus kompliziert diese sind und mässigte dadurch übertriebene Hoffnungen auf Behandlungsfortschritte. Von Seiten der Forschung wird betont, für ein besseres Verständnis dieser beiden Krankheiten seien tiefere Einblicke in die molekularen Aktivitäten innerhalb der Hirnzellen notwendig. Chorea Huntington Menschen, bei denen sich Chorea Huntington entwickelt, kommen mit der Genmutation, welche diese Krankheit verursacht, zur Welt, doch zeigen sich Symptome oft erst, wenn sie in den Vierzigern sind. Diese lange zeitliche Verzögerung war für die Wissenschaft ein Rätsel; nun beginnen sich aber Erklärungen abzuzeichnen. Cynthia T. McMurray und Mitarbeitende an der Mayo Clinic und andernorts kamen 2007 zu einem Aufsehen erregenden Befund bezüglich Chorea Huntington: sie führten den Krankheitsprozess auf die gewöhnliche Oxidation und Reparatur der DNA zurück, deren Schlüsselrolle beim Alterungsvorgang seit langem bekannt ist. Während des ganzen Lebens binden in jeder Zelle Sauerstoffatome an Nukleotide des DNA-Strangs. Enzyme der Zelle schneiden diese oxidierten Fragmente heraus und reparieren die DNA. In einem Aufsatz in Nature weist McMurray nach, dass bei Trägern der Chorea Huntington-Mutation dieser Vorgang dazu führt, dass die Zahl der zur Zeit der Geburt auf Chromosom 4 bestehenden Wiederholungen einer aus drei Basen – Cytosin, Adenin und Guanin (CAG) – bestehenden Sequenz zunimmt 1. Diese Sequenz enthält Bauanweisungen für das Huntingtin-Protein, welches benötigt wird, um Neurotransmitter vom Zellkörper durch das Axon zur Synapse zu transportieren, wo die Kommunikation zwischen Zellen stattfindet. 34 Normalerweise haben Menschen 10-35 CAG-Wiederholungen auf Chromosom 4. Bei Personen mit 40 oder mehr CAG-Wiederholungen treten schliesslich Symptome der Chorea Huntington auf und zwar desto früher, je höher die Zahl der Wiederholungen ist. So kam es beispielsweise bei einem Kind mit 95 Wiederholungen bereits im Alter von drei Jahren zu Anfällen, einer Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten und neuromuskulären Störungen; mit elf Jahren starb es an Chorea Huntington. Die normale DNA-Reparatur tendiert dazu, die Zahl der CAG-Wiederholungen zu erhöhen, meint McMurray. Verantwortlich dafür sei ein einziges Enzym, das OGG1, das Neuronen zur Produktion einer zunehmend toxischen Form des Huntingtin-Proteins veranlasst, das zu viel Glutamin, eine für den Zellstoffwechsel notwendige Aminosäure, enthält. Dieses zusätzliche Glutamin bewirkt, dass das Huntingtin-Protein klebrig wird, verklumpt und im Nukleus Zusammenballungen bildet. Das setzt eine Kaskade von zellulären Fehlfunktionen in Gang, die schliesslich zur Entstehung von Symptomen der Chorea Huntington führen. Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik Hirnscans zeigen den auffallenden Unterschied zwischen einer gesunden Person (links) und einer mit der HuntingtonKrankheit (rechts). Diese Beobachtung stimmt mit der linearen Beziehung zwischen der Zahl von CAG-Wiederholungen und dem Alter des Krankheitsausbruchs überein. Bei Personen, die von Geburt an eine grosse Zahl von CAGWiederholungen aufweisen, treten schon früh Symptome auf, wohingegen bei jenen, die mit einer kleineren Zahl von Wiederholungen geboren wurden, Symptome erst dann auftreten, wenn dieser DNA-Reparaturvorgang Zeit hatte, die Zahl der CAG-Wiederholungen auf ein toxischeres Niveau zu erhöhen. Bei Mäusen ohne OGG1-Enzym, wurde die CAG-Expansion massiv unterdrückt, ohne dass schädliche Auswirkungen aufgetreten wären – ein Hinweis darauf, dass die DNA-Wiederherstellung möglicherweise durch „Backup“-Enzyme ausgeführt wurde. Somit scheint dieses Enzym ganz spezifisch für eine Förderung der CAG-Expansion verantwortlich zu sein; wenn man also OGG1 bei Menschen auf irgendeine Weise blockieren könnte, liesse sich möglicherweise die durch Chorea Huntington verursachte Schädigung entscheidend hinauszögern oder gar verhindern. 35 Forschende in Cambridge und Harvard versuchten die toxischen Wirkungen des mutierten Huntingtin-Proteins auf andere Weise zu vermindern; sie brachten Zellen dazu, die toxischen Ablagerungen wirksamer zu entsorgen. In einem Aufsatz in Nature Chemical Biology berichten Stuart L. Schreiber, David C. Rubinsztein und Mitarbeitende, wenn man der Hefe so genannte „Klein-Molekül-Verstärker“ beimische, fördere dies die Autophagie – einen Zellvorgang zum Abbau fehlerhafter und falsch gefalteter Proteine, etwa mutiertem Huntingtin 2. Wenn es gelingen würde, die Autophagie bei Personen mit Chorea Huntington anzuregen, würde dies die Produktion von Huntingtin zwar weder verlangsamen noch stoppen, doch könnte der wirksamere Abbau toxischer Ablagerungen nach Meinung der Forschenden das Auftreten von Symptomen hinauszögern. Mutiertes Huntingtin-Protein scheint jedoch noch viele andere Probleme zu verursachen; diesen gehen Elena Cattaneo und Mitarbeitende an der Universität Milano nach. Normales Huntingtin stimuliert z. B. die Produktion eines Nervenwachstumsfaktors im Gehirn (brain-derived neurotrophic factor; BDNF); dieses Protein fördert das Überleben bestehender Neuronen sowie die Entwikklung von Synapsen und neuen Neuronen. Bei von Chorea Huntington Betroffenen sterben Neuronen im Striatum ab, was Spastik und viele weitere Symptome verursacht. Im Jahr 2001 zeigten Cattaneo und Mitarbeitende, dass Huntington-Kranke ein niedrigeres BDNF-Niveau aufweisen 3. Die Forschende hätten diesen Cholesterinmangel auch im Mausmodell der Chorea Huntington gefunden; für dieses Defizit machen sie dasselbe mutierte Huntingtin-Protein verantwortlich, das auch bei Menschen mit Chorea Huntington vorkam. 36 Ausgehend von dieser Entdeckung gelang es ihnen 2007 die Fehlfunktion einem regulierenden Genabschnitt zuzuweisen, der sich bei HuntingtonKranken auf BDNF auswirkt 4. Allerdings liegt dieser Abschnitt in einer Region mit über 1000 Genen, die nicht nur BDNF beeinflussen; dies lässt vermuten, dass bei Huntington-Kranken möglicherweise auch andere, Neuronen beeinflussende Gene eine Fehlfunktion aufweisen. Zurzeit sucht Cattaneos Gruppe nach Molekülen, welche die Aktivität von normalem Huntingtin imitieren und die Expression von BDNF und verwandten Genen steigern. Bisher haben sie drei Wirkstoffe bestimmt, welche die Produktion von BDNF in von Chorea Huntington betroffenen Zellen steigern 5. Die Forschenden vermuten, die Signalübertragung von BDNF übe einen direkten Einfluss auf die Biosynthese von Cholesterin aus – eine Hypothese, die einen Zusammenhang zwischen zwei anscheinend unabhängigen Fehlfunktionen herstellt. Zwar ist eine Heilbehandlung bei Chorea Huntington erst möglich, wenn es gelingt, die für das fehlerhafte Huntingtin-Protein verantwortlichen DNA-Wiederholungen zu verhindern, doch zeigt eine neuere Studie, dass ein kleines Molekül C2-8 die Zusammenballung von mutiertem Huntingtin in Zellen hemmen und dadurch die Entwicklung der Symptome zumindest verlangsamen könnte 9. Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik Indem BDNF die Menge von Cholesterin in synaptischen Bläschen erhöht, scheint er auch die Bildung von Synapsen zu regulieren 6. 2005 stellten Cattaneo und Mitarbeitende fest, dass Zellen und Gewebe von Huntington-Kranken zu wenig Cholesterin enthielten und dass eine ergänzende Cholesterinzufuhr die von der Krankheit am meisten betroffenen Neuronen im Striatum vor dem Untergang bewahrte 7. In einem Paper in Human Molecular Genetics berichten Cattaneo und Mitarbeitende, sie hätten diesen Cholesterinmangel auch im Mausmodell der Chorea Huntington gefunden; für dieses Defizit machen sie dasselbe mutierte HuntingtinProtein verantwortlich, das auch bei Menschen mit Chorea Huntington vorkam 8. Parkinson-Krankheit Im Jahr 2007 wurden zwei neue Formen der Behandlung der ParkinsonKrankheit entwickelt, die darauf hoffen lassen, dass sie zumindest Symptome wie Tremor und Muskelsteifheit mildern können. Forschende an der Northwestern University berichteten in Nature, es sei ihnen gelungen, in einer bestimmten Hirnregion, der kompakten Zone der Substantia nigra, Dopamin produzierende Neuronen zu „verjüngen“. Da diese Neuronen bei Parkinson-Kranken zugrunde gehen, stehen dem Gehirn nicht mehr genug Neurotransmitter zur Verfügung, um die normale Bewegungsfähigkeit aufrechtzuerhalten 10. Für gewöhnlich dienen bei diesen Zellen Kalziumkanäle der Aufrechterhaltung des normalen Stoffwechsels. James Surmeier und Mitarbeitende fanden jedoch heraus, dass sich genetisch veränderte Mäuse, die über keine Kalziumkanäle verfügten, normal verhielten, da ihre Dopamin 37 produzierenden Zellen auch weiterhin jene Natriumkanäle verwendeten, die normalerweise nur in der frühen Entwicklung aktiv sind. Mittels Isradipin, einem Kalziumkanalblocker, blockierten sie die Kalziumkanäle in Neuronen, die sie normalen Mäusen entnommen hatten. Während rund 30 Minuten funktionierten diese Zellen nicht mehr. Als dann die bislang untätigen Natriumkanäle wieder zu funktionieren begannen, nahmen sie ihre Schrittmachertätigkeit wieder auf. Als die Forschenden Isradipin-Pellets unter die Haut von genveränderten ParkinsonModell-Mäusen implantierten, kam es bei diesen Tieren nicht zu den für die Krankheit typischen motorischen Einbussen. Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit von Isradipin, ergibt sich aus der Tatsache, dass es einer Medikamentenklasse angehört, die zur Behandlung von Bluthochdruck verwendet wird. Eine retrospektive Studie deutet darauf hin, dass von Bluthochdruck betroffene Personen, die mit solchen Medikamenten behandelt wurden, seltener an Parkinson erkranken 11. Auch dass Versagen der Mitochondrien, der Energie produzierenden Bläschen innerhalb der Zellen, kann den Untergang der Dopamin produzierenden Neuronen verursachen. Forschende an der Stanford University wiesen nach, dass eine Mutation des Gens Pink1 mit einem gehäuften Auftreten der Parkinson-Krankheit korreliert 12. Bei Fruchtfliegen, die mit dieser Mutation gezüchtet wurden, degenerierten sowohl die Flugmuskulatur als auch die Dopamin produzierenden Neuronen. Der Muskeldegeneration gingen Anomalien in den Mitochondrien, welche Energie für die Zellen produzieren, voraus. Die Forschenden halten fest, die Funktionsstörung der Mitochondrien bei der Parkinson-Krankheit beruhe vermutlich darauf, dass Pestizide, die bekanntlich das Krankheitsrisiko erhöhen, eine hemmende Wirkung auf die Mitochondrien ausüben. Allerdings traten diese Probleme nicht auf, wenn die Fliegen genetisch so verändert wurden, dass sie zu viel Parkin – ein Protein, das beim Abbau von falsch gefalteten Proteinen mitwirkt – exprimierten; dies deutet darauf hin, dass Pink1 und Parkin ihre Aktivität in einem gemeinsamen Wirkmechanismus entfalten, der bei Fruchtfliegen die Tätigkeit der Mitochondrien und das Überleben der Zellen regelt. 38 Was die Behandlung anbelangt, weckte die Forschung im Jahr 2007 Hoffnungen auf die Möglichkeit einer Gentherapie. In der ersten Gentherapie-Studie zur Parkinson-Krankheit wurden entscheidende Verbesserungen der Symptome ohne unerwünschte Wirkungen erzielt 13. Forschende am New York-Presbyterian Hospital/Weill Cornell Medical Center implantierten zwölf Kranken ein unschädliches Virus mit dem Gen für das Enzym Glutaminsäure-Decarboxylase (glutamic acid decarboxylase; GAD). GAD produziert GABA, einen Neurotransmitter, der die übermässige neuronale Entladung unterdrückt und koordinierte Bewegungen fördert. Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik Yu-Hung Kuo, links, sieht zu, wie Michael Kaplitt vom New York-Presbyterian Hospital/ Weill Cornell Medical Center die Infusion eines Enzyms vorbereitet, das die Bewegung von Parkinson-Kranken verbessern soll. Das unschädliche Virus mit GAD wurde in den Nucleus subthalamicus implantiert, in jenes Hirnzentrum also, das Bewegung steuert um, wie Michael Kaplitt als Hauptautor ausführt, die Produktion von GABA anzuregen und auf diese Weise das normale Funktionieren wiederherzustellen. (Im Jahr 2003 hatte Kaplitt die erste chirurgische Gen-Therapie bei Parkinson-Kranken durchgeführt.) Um allfällige Risiken zu minimalisieren, wurde das unschädliche Virus nur in eine Seite des Gehirns implantiert; da aber die Symptome der Kranken in beiden Körperhälften gleichermassen auftreten, erlaubte es diese Massnahme auch, Fortschritte zu erkennen und zu messen. Drei Monate nach der Operation hatten sich die Bewegungsstörungen der gesamten 39 Patientengruppe, gemessen mit der Parkinsonskala (Unified Parkinson’s Disease Rating Scale) um 25-30% gebessert. Bei Einigen betrug die Besserung 40-65%. Derart eindrückliche Fortschritte lassen diese potentielle Therapie als ebenso interessant erscheinen wie tiefe Hirnstimulation; letztere wird bei Personen, welche keine medikamentöse Behandlung mehr ertragen, bereits häufig zur Normalisierung der parkinsonschen Gang- und Bewegungsstörungen eingesetzt (vgl. auch Neuroethik, S. 52). Kurzfristig ist tiefe Hirnstimulation bei Parkinson-Kranken das aussichtsreichste Verfahren. Bei der Therapie werden Elektroden in den Nucleus subthalamicus, eine tief im Gehirn gelegene Region, implantiert. Diese Elektroden werden dann stimuliert und regulieren die elektrische Kommunikation von Nervenzellen innerhalb von Hirnschaltkreisen und zwischen ihnen. Auf diese Weise blockiert tiefe Hirnstimulation die pathologischen Signale, welche die motorischen Symptome der Parkinson-Krankheit, insbesondere den Tremor, hervorrufen. Im Jahr 2007 gingen Forschende in Italien bei der tiefen Hirnstimulation einen Schritt weiter und platzierten Elektroden in eine neue Region, den Nucleus pedunculopontinus, der fürs Gehen sehr bedeutsam ist 14. Sechs Parkinson-Kranke, die auf Medikamente nicht gut ansprachen, zeigten gute Erfolge bei implantierten Elektroden, die den Nucleus pedunculopontinus mit einer Frequenz von 25 Hz und den Nucleus subthalamicus mit 185 Hz stimulierten. Insgesamt betrug die Verbesserung über 60% auf der Beurteilungsskala – weitaus mehr als durch die Stimulation nur einer Hirnregion oder durch medikamentöse Behandlung erreicht wurde. Tiefe Hirnstimulation ist heute eine zugelassene und anerkannte Therapie für Parkinson-Kranke, deren Symptome nicht mehr mit L-DOPA behandelt werden können oder bei denen die Nebenwirkungen einer langfristigen LDOPA-Behandlung zu schweren Beeinträchtigungen geführt haben. 40 Wissenschaftliche Studien zur tiefen Hirnstimulation untersuchen weiterhin, wo Elektroden im Gehirn platziert werden sollen, um Symptome am wirksamsten zu mildern. Eine weitere neuere Studie ergab, dass sich tiefe Hirnstimulation sogar neuroprotektiv auf die Dopamin produzierenden Zellen in der Substantia nigra auswirken könnte, die im Verlauf der Krankheit degenerieren 15. Schädigungen des Nervensystems Ein Schlaganfall erfordert schnelles Handeln 42 Mit molekularer Präzision Hirntumoren anvisieren 44 Rückenmarkverletzung: Den Weg für klinische Studien bahnen 47 41 S chädigungen des Nervensystems umfassen verschiedenartige Störungen, die Gehirn und Rückenmark betreffen, einschliesslich Schlaganfall, Rückenmarkverletzungen und Hirntumoren. Im Jahr 2007 wiesen Forschende nochmals deutlich darauf hin, dass ein Hirnschlag schnelles Handeln erfordert; ausserdem wurden neue Ansätze zur Behandlung von Hirntumoren getestet und Verbesserungen der klinischen Versuche bei Rückenmarkverletzungen erarbeitet. Ein Schlaganfall erfordert schnelles Handeln Dass die Betroffenen frühzeitig hospitalisiert und dort angemessen behandelt werden, steht für die klinische Hirnschlagforschung weiterhin im Vordergrund; neue Daten aus Europa lassen die Nachbehandlung von Personen mit transitorischen neurologischen Symptomen als ebenso dringlich erscheinen. Im Mai brachten die American Heart Association und die American Stroke Association ihre Empfehlungen zur Akutbehandlung des Schlaganfalls auf den neusten Stand; sie bestätigten, dass die Verabreichung des GewebePlasminogen-Aktivators (tissue plasminogen activator; tPA) vorrangig ist und dass dieses gerinnungshemmende Mittel innert drei Stunden verabreicht werden muss, um Hirnschäden nach einem ischämischen Schlaganfall auf ein Minimum zu reduzieren (der ischämische Schlaganfall beruht auf einem Sauerstoffmangel im Gehirn, der typischerweise daher rührt, dass Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen, nicht mehr durchlässig sind) 1. Die Empfehlungen fordern ausserdem eine bessere Vorbereitung auf rasche Massnahmen bei Notaufnahmen in Spitälern und bei Erstversorgern; neue Daten der Centers for Disease Control and Prevention zeigen, dass weniger als die Hälfte der von einem Schlaganfall Betroffenen innert zwei Stunden nach dem ersten Auftreten akuter neurologischer Symptome ein Spital erreichen 2. 42 Während die Symptome bei einem schweren Schlaganfall oft offenkundig sind (z. B. verschwommene Sicht, verwaschene Sprache oder Gefühllosigkeit bzw. Lähmung auf einer Körperseite), kommt es bei einer Ischämie auch zu vorübergehenden Funktionsveränderungen des Gehirns, die keine klinisch erkennbaren Symptome hinterlassen. Man spricht dann von einer transitorischen ischämischen Attacke. Bildgebungsstudien weisen bei vielen Personen mit transitorischen neurologischen Symptomen eine Hirnschädigung nach, die auf einen subklinischen Schlaganfall hindeutet. Schädigungen des Nervensystems Wurde die Ursache einer Hirn-Ischämie (egal ob es sich dabei um eine transitorische ischämische Attacke oder einen leichten klinischen Schlaganfall handelt) erst einmal manifest, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass diese Ursache ohne entsprechende Behandlung fortbesteht; daher sind transitorische ischämische Attacken und leichte Schlaganfälle ganz entscheidende Risikofaktoren für einen schweren Schlaganfall. Bei Interventionen nach einer transitorischen ischämischen Attacke geht es darum, in den darauf folgenden Wochen und Monaten weitere Schlaganfälle zu verhindern. Viele Hinweise lassen darauf schliessen, dass sich Schlaganfälle durch eine Reduktion der entsprechenden Risikofaktoren (dazu gehören hoher Blutdruck und ein erhöhter Cholesterinspiegel) verhindern lassen. Zwei im Oktober veröffentlichte Arbeiten betonen, dass bei Personen, die eine transitorische ischämische Attacke erlitten haben, unverzüglich mit einer solchen Behandlung begonnen werden muss. Das erste Paper stammt vom Neurologen Peter Rothwell und Mitarbeitenden an der University of Oxford in England und erschien in Lancet; es macht deutlich, dass Personen, die innerhalb von 24 Stunden nach einer transitorischen ischämischen Attacke mit herkömmlichen präventiven Therapien behandelt wurden, wesentlich weniger gefährdet waren, in den folgenden drei Monaten einen Schlaganfall zu erleiden, als solche, die keine unmittelbare Nachbehandlung erhielten 3. Insbesondere die Gefahr eines rezidivierenden Schlaganfalls sank von 10% auf 2%; dies entspricht einer Abnahme von 80%, was den Autoren zufolge, allein in Grossbritannien einer Verhinderung von jährlich 10 000 Schlaganfällen entspricht. In die Studie einbezogen waren 600 Personen aus einer grösseren OxfordStudie, die das Auftreten von Schlaganfällen und transitorischen ischämischen Attacken bei nahezu 100 000 Personen verfolgt. Die zweite Studie wurde vom Neurologen Pierre Amarenco, einem Spezialisten für Schlaganfälle am Universitätsspital Bichat-Claude Bernard in Paris geleitet und erschien in Lancet Neurology; auch sie bestätigt den Nutzen einer frühzeitigen Intervention zur Vermeidung von Schlaganfällen 4. Die Forschenden werteten die Daten von 1085 Personen aus, die mit dem Verdacht auf eine transitorische ischämische Attacke in eine rund um die Uhr betriebene Klinik aufgenommen worden waren. Zu den Notfallmassnahmen zählten Bildgebung des Gehirns, der Blutgefässe und des Herzens. Personen, bei denen eine transitorische ischämische Attacke festgestellt oder vermutet wurde, erhielten unverzüglich eine Präventivbehandlung; dazu gehörten im Allgemeinen Medikamente zur 43 Senkung des Blutdrucks und/oder des Cholesterinspiegels sowie Aspirin zur Hemmung der Blutgerinnung. Bei etwa 5% der Kranken wurden Massnahmen zur Offenhaltung der Karotis ergriffen, der Halsschlagader, die das Gehirn mit Blut versorgt. Sie wurden entweder einer offenen Operation (Karotisendarterektomie) unterzogen oder man platzierte einen transarteriellen Stent (ein „Gitterröhrchen“), um die Karotis zu erweitern (endovaskuläre Therapie). Weitere 5% litten an Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung, die zur Bildung von Blutgerinnseln im Herzen führen kann; um dieses Risiko zu vermindern, wurden sie mit gerinnungshemmenden Medikamenten behandelt. Solche Blutgerinnsel können nämlich vom Herzen ins Gehirn wandern und einen Schlaganfall verursachen. Bei den frühzeitig behandelten Personen betrug die Hirnschlagrate in den auf die transitorische ischämische Attacke folgenden 90 Tagen etwas mehr als 1%; demgegenüber lag die aufgrund früherer Beobachtungsstudien erwartete Rate beinahe bei 6%. Zusammen mit dem Bericht in Lancet führten diese Erkenntnisse dazu, dass Fachleute weltweit auf neue Behandlungsnormen für Personen mit einer transitorischen ischämischen Attacke drängen; als vorrangig gilt dabei die unverzügliche Beurteilung und Behandlung zur Vermeidung eines Schlaganfalls. Mit molekularer Präzision Hirntumoren anvisieren Da wir immer noch nicht über wirksame Behandlungsansätze für Hirntumoren verfügen, richtet sich die Hoffnung heute vor allem auf die Entwicklung von Therapien, die Tumoren gezielt auf der molekularen Ebene bekämpfen – wie es in der Krebsforschung ganz allgemein der Fall ist. Ausserdem wächst die Einsicht, dass sich die besonders letalen Hirnkrebsarten wohl kaum durch eine einzige Therapie ausmerzen lassen; dies führt zur vermehrten Erforschung von kombinierten Ansätzen, bei denen neue Therapieformen die Standardbehandlungen, etwa Bestrahlung und Chemotherapie, ergänzen. 44 Viele Forschende sind überzeugt, dass solche multimodalen Therapien für Personen mit einem malignen Gliom – eine Familie von relativ seltenen Hirntumoren, die aber bereits während eines kurzen Zeitraums nach der Diagnose mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden ist – die grösste Hoffnung darstellen. Das multiforme Glioblastom, eines der aggressivsten Mitglieder dieser Familie, war bis anhin besonders schwer behandelbar. Schädigungen des Nervensystems Rakesh Jain und Mitarbeitende am Massachusetts General Hospital Cancer Center untersuchten ein Präparat, welches das Wachstum von Hirntumor-Blutgefässen unterdrückt. Das Aufdecken der spezifischen Signalfaktoren und -wege, welche Tumoren für Wachstum und Streuung nutzen, verhilft der klinischen Forschung auf diesem Gebiet zu neuen Einsichten in die Pathogenese der Tumorentwicklung auf der molekularen Ebene. Die Verschiedenartigkeit von Tumoren macht allerdings deutlich, dass es keinen „Einheits-Behandlungsansatz“ geben kann. Doch scheint es bezüglich einiger Elemente der von Tumoren genutzten Bahnen Gemeinsamkeiten zu geben und auf diese gemeinsamen Merkmale richtet sich die Forschung zu einem grossen Teil. Fachleute für Hirntumoren sind der Ansicht, ausschlaggebend für eine verbesserte Behandlung maligner Gliome sei eine präzisere Auswahl jener Personen, die mit der grössten Wahrscheinlichkeit auf spezifische Therapien ansprechen, sowie eine Verbesserung der kombinierten Behandlungsansätze. Ein viel versprechender Weg besteht darin, die Blutzufuhr von Tumoren zu unterbinden – ein Ansatz, der für viele Arten von Krebs erforscht wird. Im Januar 2007 berichteten Rakesh Jain und Mitarbeitende vom Massachusetts General Hospital Cancer Center in Cancer Cell über erste Ergebnisse mit einem Forschungspräparat, welches das Wachstum jener Blutgefässe unterdrückt, die Tumoren versorgen 5. Das Präparat AZD2171 blockiert die drei Hauptrezeptoren für den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor); dieser fördert das Wachstum von Blutgefässen und kommt auf jenen Gefässen vor, die Glioblastome versorgen. (Das Überleben voll entwickelter Blutgefässe im normalen Gewebe beruht nicht auf VEGF.) 45 Die experimentelle Substanz erweist sich als viel versprechend im Hirnscan von Testpatienten, die am besten ansprechen. Die oben stehenden Zahlen entsprechen den Tagen vor und nach dem Behandlungsbeginn. Die oberste Reihe zeigt, wie der Tumor im Laufe der Zeit kleiner wird. Andere Reihen zeigen die Verkleinerung der Tumor-Blutgefässe, die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke und das Anschwellen in Gebieten um den Tumor. Die letzte Reihe zeigt, wie die weisse Substanz beim Abklingen der Schwellung sichtbar wird. 46 Bei der Hälfte von 16 Personen mit rezidivierendem Glioblastom, die in einem Phase 2 klinischen Versuch mit AZD2171 behandelt wurden, verkleinerten sich die Tumoren um 50% oder mehr und bei dreiviertel der an der Studie Teilnehmenden um mindestens 25%. Die Bildgebung des Forschende an der Duke University führten an 32 Personen mit fortgeschrittenem Gliom eine Phase 2 Studie durch, bei der sie einen anderen Angiogenese-Hemmer, Bevacizumab (Avastin), und Chemotherapie mit Irinotecan kombinierten. Erste Resultate wurden von James Vredenburgh und Mitarbeitenden im Februar in Clinical Cancer Research publiziert; sie deuten darauf hin, dass die Kombination gegen diese letale Tumorart wirksam ist und eine „akzeptable“ Toxizität aufweist 6. Bei nahezu Zweidrittel der Kranken verkleinerte sich der Tumor um mindestens 50% und bei 38% hatte auch nach sechs Monaten kein neues Tumorwachstum eingesetzt. Im Gegensatz dazu verlangsamt Chemotherapie allein das Wachstum von Gliomen normalerweise nur während eines Zeitraums von sechs Wochen bis drei Monaten. Schädigungen des Nervensystems Gehirns zeigte eine rasch einsetzende Normalisierung der Blutgefässe (bei einigen Kranken begann sie bereits nach einer einzigen Dosis des Medikaments) und einen Rückgang der Hirnschwellung, einem häufigen Problem bei Hirnkrebs. Der Versuch ist noch im Gang und die Forschenden beabsichtigen, das Präparat in Kombination mit herkömmlichen Krebstherapien bei neuen Glioblastom-Patienten zu untersuchen. Vredenburgh und weitere Fachleute für Hirntumoren sind der Ansicht, ausschlaggebend für eine verbesserte Behandlung maligner Gliome sei eine präzisere Auswahl jener Personen, die mit der grössten Wahrscheinlichkeit auf spezifische Therapien ansprechen, sowie eine Verbesserung der kombinierten Behandlungsansätze. Notwendig seien auch bessere klinische Studiendesigns, um in kürzester Zeit ein Maximum an Informationen zu erhalten. Rückenmarkverletzung: Den Weg für klinische Studien bahnen Bessere klinische Studiendesigns stehen auch bei der Erforschung des Rückenmarks im Vordergrund, geht es doch auf diesem Gebiet zunehmend darum, Ergebnisse der Grundlagenwissenschaft auf Therapieansätze zu übertragen. Im März 2007 veröffentlichte ein internationales, fachübergreifendes Forschungsgremium in Spinal Cord eine Serie von vier Aufsätzen mit den ersten Empfehlungen für klinische Studien bei Rückenmarkverletzungen 7-10. Die von der International Campaign for Cures of Spinal Cord Paralysis unternommene Anstrengung versucht für möglicherweise wirksame Methoden, die zurzeit in präklinischen Studien getestet werden, Kriterien aufzustellen, die robuste, realistische und nützliche klinische Studien 47 ermöglichen. Das Gremium ruft dazu auf, bei der Planung und Durchführung von Humanstudien die Messgrössen, die Ein- und Ausschlusskriterien und die Ethik rigoros und einheitlich zu handhaben. Die Autoren hielten beispielsweise fest, die Messgrössen müssten anatomische und neurologische Bestimmungen umfassen, welche die „Wiederverbindung“ des Rückenmarks belegen; ausserdem brauche es Kriterien, um beurteilen zu können, welche Aktivitäten des täglichen Lebens den Kranken möglich sind, sowie Erhebungen der Lebensqualität. Was die Ein- und Ausschlusskriterien anbelangt, hält das Gremium fest, die an der Studie teilnehmenden Personen müssten einen Verletzungsgrad aufweisen, für den bereits Daten aus Tierversuchen oder früheren Humanstudien vorliegen, welche ein positives Resultat der Intervention erwarten lassen; ausserdem müssten Schwere, Ausmass, Art und Grösse der Verletzung und die Wahrscheinlichkeit, dass die Kranken von einer experimentellen Therapie profitieren können, in einem günstigen Verhältnis stehen. Weiter betonen die Autoren, es sei nötig, dass Studienteilnehmende eine Einverständniserklärung abgeben, nachdem sie klar und angemessen über Risiken, Vorteile und wissenschaftlichen Gründe experimenteller Therapien aufgeklärt wurden. Prospektive, randomisierte Doppelblindstudien mit einer angemessenen Kontrollgruppe hält das Gremium für optimal, wobei es anerkennt, dass allenfalls in gewissen Situationen andere Studiendesigns in Betracht gezogen werden müssen. 48 Zu diesen Empfehlungen hatte wohl zum Teil die Frustration von Forschenden der westlichen Welt geführt, als sie versuchten, die Wirksamkeit unkontrollierter Humanstudien zu beurteilen. Da es im Bereich von Rückenmarkverletzungen keine wirklich wirksame Therapie gibt, nehmen verzweifelte Kranke und ihre Angehörigen jede nur denkbare Behandlung in Kauf. Dies hatte zur Folge, dass sie und gewisse Forschende bereit waren, alles zu versuchen. Besonders problematisch wurde dies in Ländern, in denen die klinische Forschung keinerlei Regeln unterworfen ist; dazu gehört auch China, wo Kranke mit Rückenmarkverletzungen massenhaft unerprobten Stammzelltransplantationen unterzogen werden. Das Gremium möchte auch Probleme mit klinischen Studiendesigns verhindern, welche früher bei der Suche nach Behandlungen komplexer neurologischer Erkrankungen aufgetreten waren – so etwa die unzureichende Empfindlichkeit der Messgrössen bei klinischen Studien zu neuroprotektiven Therapien des Schlaganfalls. Neuroethik Vermarktung der Lügendetektion 50 Tiefe Hirnstimulation bei schwerer Depression 52 Genetische Grundlagen von Abhängigkeit 53 Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken 54 49 D ie ethischen Implikationen der vielen und rasanten Fortschritte der Neurowissenschaft fördern weiterhin das Wachstum der Neuroethik, so dass diese im grösseren Bereich der Bioethik einen immer prominenteren Platz einnimmt. Seit dem Jahr 2007 publiziert das American Journal of Bioethics zwölf statt sechs Hefte – dies auch deshalb, weil es der Neuroethik jährlich drei ganze Hefte widmen möchte. Diese Spezialhefte, die so genannten AJOB Neuroscience, sind heute das offizielle Journal der Neuroethik. Vier bedeutende Entwicklungen haben im vergangenen Jahr Diskussionen und Debatten hervorgerufen: die Vermarktung der Lügendetektion; das Ansinnen, tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Depressionen einzusetzen; Fortschritte im Verständnis der genetischen Grundlagen von Abhängigkeit; sowie Verbesserungen der Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken. Vermarktung der Lügendetektion Da es in den letzten Jahren immer besser gelang, die Aktivität in verschiedenen Hirnregionen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (functional magnetic resonance imaging; fMRI) abzubilden, wuchs auch das Interesse daran, diese Technik für das Aufdecken von Lügen einzusetzen. Obwohl erst Vorversuche gemacht wurden und die Resultate problematisch sind, haben bereits zwei Firmen auf fMRI basierende Produkte und Dienstleistungen zur Lügendetektion entwickelt: Cephos Corporation und No Lie MRI. Als mögliche Verwendungszwecke nennen die Firmen die Ermittlung bei Verbrechen, Anhörungen zu bedingter Haftentlassung und Sorgerecht, Spionageabwehr sowie Befragungen, die mit Versicherungsrecht und Staatssicherheit zusammenhängen. 50 Im Jahr 2007 veröffentlichte das American Journal of Law and Medicine einen Aufsatz von Henry Greely (Stanford) und Judy Illes (sie ist inzwischen an der University of British Columbia), in dem sie die bisherigen Forschungsresultate der auf fMRI beruhenden Lügendetektion analysieren und dringend zum Erlass von Richtlinien aufrufen 1. Die Autoren geben zu bedenken, dass es sich zwar um eine viel versprechende Technik handle, dass aber ihre Zuverlässigkeit für die reale Welt durch die bisherigen Studien in keinerlei Weise erwiesen sei, zumal es in den Experimenten um künstliche und triviale Lügen gehe. Neuroethik In einer gemeinsam mit Henry Greely verfassten Publikation hat Judy Illes zum Erlass von Richtlinien aufgerufen, welche die auf funktioneller Magnetresonanztomographie beruhende Lügendetektion regeln. Den Autoren zufolge hat sich dieses Verfahren in Studien nicht als zuverlässig erwiesen. Ausserdem sei keine einzige dieser an kleinen Stichproben durchgeführten Studien durch unabhängige Forschende bestätigt worden, und die Möglichkeit, dass Versuchspersonen Gegenmassnahmen getroffen hätten, um die Lügendetektoren auszutricksen, habe man nicht in Betracht gezogen. Das von den Autoren vorgeschlagene Kontrollsystem – es entspricht den FDA (Food and Drug Administration)-Kontrollen für die Verwendung von Medikamenten – würde verlangen, dass Firmen, die Verfahren zur Lügendetektion vermarkten wollen, deren Genauigkeit und Leistungsfähigkeit mit gross angelegten Studien belegen. Aufgrund einer derartigen Regelung wäre die Vermarktung dieser Technik ohne behördliche Zulassung gesetzwidrig. Gemeinsam mit Margaret Eaton in Stanford verfasste Illes auch einen Kommentar für die im April 2007 erschienene Ausgabe von Nature Biotechnology, der einige ethische, soziale und politische Aspekte im Zusammenhang mit der Vermarktung der kognitiven Neurotechnologie im Allgemeinen behandelt 2. Sie äussern unter anderem Bedenken bezüglich der Präzision, der Privatsphäre des Gehirns und der Vertraulichkeit sowie potentiellen Interessenkonflikten bei jenen, die diese Techniken auf den Markt bringen. Eine besondere Gefahr einer unkontrollierten Lügendetektions-Industrie ist die Ausbeutung der verletzlichsten Gruppen der Bevölkerung, etwa jener, die an neurologischen oder psychiatrischen Störungen leiden. Allerdings scheint unsere Gesellschaft derart auf Geräte zur Lügendetektion erpicht zu sein, dass zahlreiche Personen deren angeblicher Brauchbarkeit noch so gern Vertrauen schenken, so die Autoren. 51 Tiefe Hirnstimulation bei schwerer Depression Nachdem tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation; DBS) zur Behandlung der körperlichen Parkinson-Symptome so erfolgreich war und nachdem Bildgebungsstudien eine spezifische Hirnregion identifiziert hatten, die bei Depression involviert ist und mittels tiefer Hirnstimulation behandelt werden könnte, begannen Forschende an einer kleinen Zahl von Personen mit behandlungsresistenter Depression klinische Studien mit dieser Technik durchzuführen. Im Jahr 2005 veröffentlichte Befunde belegten für viele dieser operierten Kranken beachtliche Symptomverbesserungen, doch 2007 begann man, diese Behandlung einer ethischen Prüfung zu unterziehen. Da tiefe Hirnstimulation auch als Methode zur Behandlung der ParkinsonKrankheit relativ neu ist, erkennen die Forschenden nun auch unerwartete Risiken. Eine in Acta Neuropsychiatrica veröffentlichte Fallstudie zeigte im Juni 2007, dass geringfügige Verschiebungen des Kontakts oder der Spannung der Elektrode bei zwei Parkinson-Kranken eine lebensbedrohliche (mit Selbstmordabsichten einhergehende) Depression auslösten 3. Forschende stellen fest, dass Fragen der Sicherheit zwar immer wichtig seien, doch wenn es um die Behandlung schwer beeinträchtigender oder gar letaler Krankheiten wie Parkinson gehe, seien Menschen bereit, beachtliche Risiken einzugehen. Depression ist wesentlich brisanter: Einige Patientenvereinigungen sind der Ansicht, diese Diagnose werde zu häufig gestellt; andere meinen, selbst die tatsächlich Betroffenen müssten lernen, mit ihr zu leben; und wiederum andere erinnern daran, dass viele Antidepressiva zur Verfügung stehen. Allerdings ist tiefe Hirnstimulation für behandlungsresistente Depressionen bestimmt, also für solche, die nicht auf Medikamente ansprechen. Und ohne wirksame Behandlung können Kranke schwer beeinträchtigt und manchmal auch suizidgefährdet sein. Für die tiefe Hirnstimulation zur Depressionstherapie und für andere klinischen Indikationen fehlen zur Zeit die Richtlinien. Daher traf sich im Jahre 2007 eine Gruppe führender Forscher und Forscherinnen auf diesem Gebiet, um in einer Consensus-Konferenz Richtlinien zur experimentellen Anwendung tiefer Hirnstimulation zu entwerfen. 52 Auch die Einverständniserklärung weckt ethische Bedenken. Aufgrund von Wahrnehmungsstörungen und Verzweiflung als möglichen Begleiterschei- Neuroethik nungen von schweren Depressionen, kann die Urteilsfähigkeit von Kranken stark beeinträchtigt sein. Über dieser ganzen Debatte schwebt das Schreckgespenst der Elektrokrampftherapie, deren therapeutischer Nutzen zwar unbestritten, deren Anwendung jedoch weiterhin höchst kontrovers ist. Genetische Grundlagen von Abhängigkeit Im Jahr 2007 wurden mehrere wissenschaftliche Artikel über Gene publiziert, die für Abhängigkeiten verantwortlich sein können. Beispielsweise veröffentlichten Colin Haile und Mitarbeitende in Behavior Genetics 4 einen Artikel mit dem Titel „Genetics of Dopamine and Its Contribution to Cocaine Addiction“ (Genetik des Dopamin und ihr Beitrag zu Kokainabhängigkeit). Joel Gelernter und Mitarbeiter publizierten den in Biological Psychiatry 5. erschienenen Artikel „Genomewide Linkage Scan for Nicotine Dependence: Identification of a Chromosome 5 Risk Locus“ (Linkage Scan des gesamten Genoms bezüglich Nikotinabhängigkeit: Identifizierung eines Risiko-Locus auf Chromosom 5). Mit dem Nachweis, dass Gene gewisse Personen zu Suchtverhalten prädisponieren, sind ethische Fragen verbunden. Was Alkohol anbelangt, legte Charles O’Brien 6 2007 in einem Kommentar der November-Ausgabe von Addiction dar, es zeige sich immer deutlicher, dass eine Genvariante des Mu-Opiatrezeptors im Gehirn mit einer verstärkten Anfälligkeit für Alkoholeuphorie, einem erhöhten Risiko für Alkoholismus, einem erhöhten Risiko für Opiatabhängigkeit und einem guten klinischen Ansprechen auf das in klinischen Alkoholismusstudien verwendete Medikament Naltrexon verbunden sei. Mit dem Nachweis, dass Gene gewisse Personen zu Suchtverhalten prädisponieren, sind ethische Fragen verbunden. Ein Fragenkomplex betrifft die Untersuchung an sich. Sollen wir bestimmte Gene überhaupt überprüfen, wenn sie zwar zu Sucht beitragen, diese aber nicht absolut bestimmen? Wie gross muss der Vorhersagewert der Gene oder ihre Bedeutung im Hinblick auf die Wahl einer Therapie sein, damit wir uns für ihre Überprüfung entscheiden? Wie früh soll man mit der Überprüfung beginnen? Wenn beispielsweise Eltern erfahren, dass ihr Kind zu Nikotinabhängigkeit neigt, können sie entsprechende Vorkehrungen treffen, die Kinder etwa besonders aufklären und vor Zigarettenwerbung schützen – das Wissen kann aber auch zu Gängelung und übertriebener Angst der Eltern führen. Die Kenntnis der eigenen Suchtgefährdung könnte auch zur selbst erfüllenden Prophezeiung werden. 53 Auch die Beratung wirft Fragen auf: Was soll ein Arzt oder eine Ärztin Eltern sagen, deren Kind sich aufgrund seiner Gene mit grösserer Wahrscheinlichkeit zum Raucher, Alkoholiker oder Heroinsüchtigen entwickeln wird? Noch heikler wird diese Frage, wenn die genetische Information in utero zur Verfügung steht; manche Eltern könnten es sich nochmals überlegen, ob sie diese Schwangerschaft überhaupt wollen. Das frühzeitige Wissen um eine Suchtgefährdung wirft auch die Frage auf, ob Sucht hemmende Medikamente (etwa Naltrexon) vorbeugend, also noch bevor sich eine Sucht entwickelt hat, verabreicht werden sollten. Angesichts der hohen Kosten einer Suchtbehandlung könnten künftige Arbeitgeber und Versicherungsgesellschaften ein rechtmässiges Interesse an einer solchen Überprüfung geltend machen – und sie könnten Träger dieser Gene diskriminieren. (Die heutigen Gesetze verhindern die unbefugte Weitergabe von genetischen Informationen an Versicherer und Arbeitgeber.) Ein weiterer Gesichtspunkt ist wie bei jeder genetischen Abweichung die soziale Stigmatisierung. Blosse Träger dürften mehr Mühe haben, Ehe- und Fortpflanzungspartner zu finden, und Eltern könnten sich selbst dann schuldig fühlen, schlechte Gene weitergegeben zu haben, wenn ihr Kind keinerlei Anzeichen einer Sucht aufweist. Je mehr wir über genetische Risikofaktoren für Abhängigkeit erfahren, desto hitziger dürfte die Diskussion solcher Fragen noch werden. Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken 54 Während der Einsatz der Bildgebung des Gehirns zur Diagnose der meisten psychiatrischen Erkrankungen noch in weiter Ferne liegt, erfolgten bezüglich Alzheimer-Krankheit und anderen Arten von Demenz dieses Jahr bereits die ersten Schritte. Im August 2007 veröffentlichte Agneta Nordberg in Current Opinion in Neurology 7 einen Übersichtsartikel, der ein neues Amyloid-Bildgebungsverfahren mittels PositronenEmissions-Tomographie diskutiert, das eindeutige Unterschiede zwischen dem Gehirn von Alzheimer-Kranken und gesunden Versuchspersonen aufzeigt. Diese Studie deutet darauf hin, dass eine frühzeitige Diagnose der Alzheimer-Krankheit möglich sein könnte. Ähnlich berichtete eine 2007 in der Märzausgabe von Archives of Neurology 8 publizierte Fallstudie, dass der Bildgebungstracer Pittsburgh Compound B erfolgreich dazu benutzt wurde, leichte kognitive Beeinträchtigungen sichtbar zu machen. Neuroethik Studien dieser Art lassen hoffen, dass Bildgebung auch zu einer präziseren Diagnose von Angst- und Autismus-Spektrum-Störungen beitragen könnte. Besonders gefragt ist eine bessere Diagnose im Zusammenhang mit eingeschränkten Bewusstseinszuständen, insbesondere um exakt unterscheiden zu können, ob es sich um Personen im Wachkoma oder um solche in einem minimalen Bewusstseinszustand handelt. Zwar gab es auf diesem Gebiet im Jahr 2007 keine grösseren technischen Fortschritte, doch hat sich das ethische Bezugssystem weiterentwickelt. Im Juni leiteten Judy Illes und Joseph Fins an der Stanford University einen gut besuchten Workshop „Ethics, Neuroimaging, and Limited States of Consciousness“ (Ethik, neurologische Bildgebung und eingeschränkte Bewusstseinszustände), in dem diese Punkte wissenschaftlich diskutiert wurden. Einigkeit erzielte man unter anderem bezüglich folgender Aspekte: Forschung sowie klinische Ziele bei der Durchführung von Neuroimaging-Studien an Kranken mit eingeschränktem Bewusstseinszustand; die Problematik, eine Einverständniserklärung oder Bewilligung für solche Studien einzuholen; dass experimentelle Protokolle ein ethisch begründetes Vorgehen bei der Auswahl von Probanden und der Gestaltung von Tests beachten sollen. Eine Sonderausgabe des American Journal of Bioethics Neuroscience zu diesem Thema soll in Kürze erscheinen. Doch obwohl in der Neuroethik bezüglich dieser Fragen Einigkeit besteht und obwohl die Bildgebung zweifellos weiter verbessert wird, diskutieren Forschende und klinisch Tätige weiterhin über die viel heikleren Fragen, wie die Aufnahmen des Gehirns zu interpretieren seien und welchen prognostischen Wert sie für Kranke mit Bewusstseinsstörungen hätten. In einem im April in Neurology erschienen Artikel empfahlen Joseph Fins, Nicholas Schiff und Kathleen Foley, man solle versuchen, die Epidemiologie des minimalen Bewusstseinszustands zu definieren, die Vorgänge während der Erholung zu klären und klinisch anwendbare diagnostische und prognostische Merkmale zu bestimmen, die der Entscheidungsfindung am Krankenbett dienen 9. 55 Neuroimmunologische Erkrankungen Auf den Rezeptor IL-7 konvergieren 58 Sonnenstrahlen bringen Licht in die Multiple Sklerose 62 57 D as Immunsystem verwendet sein grosses und vielseitiges Arsenal von Zellverbänden und Molekülen, mittels derer Zellen kommunizieren, um uns vor den ständigen Angriffen durch krankheitserregende Organismen zu schützen. Doch können diese Zellen und Moleküle des Immunsystems, wenn sie nicht richtig auf ihr Ziel ausgerichtet und reguliert sind, ihrerseits Krankheiten hervorrufen. Es ist zwar nicht klar warum, doch scheint bei Multipler Sklerose, einer neurologischen Krankheit, das Immunsystem der Aggressor zu sein. Eine immunologisch bedingte Schädigung jener isolierenden Schicht, welche die Axone von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark umgibt, beeinträchtigt die Übertragung der Nervenimpulse zwischen den Zellen. Multiple Sklerose kann ganz verschiedenartige Symptome hervorrufen, von Sehstörungen bis zu Gangstörungen, und der Verlauf besteht oft aus einem Auf und Ab, wobei sich die Symptome periodisch verschlimmern. Die Anfälligkeit für Multiple Sklerose beruht sowohl auf genetischen Faktoren als auch auf Umweltfaktoren, doch hängen Verlauf und Progression der Krankheit wahrscheinlich vom Zusammenspiel vieler verschiedener Gene und vieler verschiedener Umweltfaktoren ab. Für eine Beteiligung des Immunsystems gibt es klare Hinweise, und im Jahr 2007 fand die Forschung neue Indizien für genetische Einflüsse und Umweltfaktoren, die über das Immunsystem wirken. Auf den Rezeptor IL-7 konvergieren Im Jahr 1972 erkannte man erstmals eine Verbindung zwischen jenen Genen, welche die Anfälligkeit für Multiple Sklerose vererben und einer Gruppe von so genannten HLA-Genen des Immunsystems. Was die Bestimmung weiterer spezifischer genetischer Risikofaktoren anbelangt, wurden seither kaum Fortschritte erzielt. Doch brachte die Auflistung der gesamten Genom-Sequenz des Menschen (des vollständigen Sets von DNA-Instruktionen in jeder menschlichen Zelle) im Jahr 2001 die Genanalyse ausserordentlich voran. Dank neuen Labormethoden und leistungsfähigen Computern können Forschende heute bei ihrer Suche nach der schwer fassbaren Nadel im Genom-Heuhaufen eine früher undenkbar grosse Datenmenge analysieren. 58 Das menschliche Genom besteht zwar aus 3 Milliarden Basenpaaren, doch beschränken sich die meisten Variationen auf 250000 bis 500000 Segmente Neuroimmunologische Erkrankungen Ein DNA- Microarray oder „Gen-Chip“ hat dazu beigetragen, genetische Risikofaktoren für Multiple Sklerose aufzudecken. der DNA. Alle diese vielen Segmente können mittels DNA-Microarrays oder „Gen-Chips“ gleichzeitig abgefragt werden. Genomweite Scans liessen Gene erkennen, die mit Brustkrebs, Herzkrankheiten und Diabetes verbunden sind 1. Allerdings erlaubt bei multiplen genetischen Faktoren, von denen jeder nur einen geringen Einfluss ausübt, erst die Analyse grosser Stichproben eine Aussage über statistische Zusammenhänge. (Mehr zu „genomweiter Assoziation“ finden Sie im Kapitel „Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten“, S. 71.) Die Ergebnisse einer genomweiten Suche nach Genen, die das Risiko für Multiple Sklerose übertragen, wurden in der Augustausgabe des New England Journal of Medicine 2 publiziert. Eine internationale Arbeitsgemeinschaft von Forschenden verwendete die Gen-Chip-Methode, um hunderttausende von einzelnen genetischen Veränderungen in insgesamt über 12 000 Proben zu untersuchen. Ohne im Voraus eine Idee zu haben, was sie dabei finden könnten, bestätigten sie den Zusammenhang zwischen der HLA-Region und der Krankheit und spürten zwei weitere Marker auf: einen im Gen für den Rezeptor Interleukin-2 (IL-2) und einen für den Rezeptor Interleukin-7 (IL-7). Interleukine sind Proteine des Immunsystems, über welche Zellen miteinander kommunizieren und die Tätigkeit anderer Zellen beeinflussen. Diese Rezeptoren sind für die Signalübertragung zwischen den Zellen des Immunsystems bedeutsam. Ebenso wie die zum Gen HLA gehörenden Proteine sind auch die Rezeptoren IL-2 und IL-7 wichtige Regulatoren des 59 Ein auf den Gen-Chip Array gerichteter Laserstrahl lässt die markierten DNA Fragmente, welche hybridisierten, aufleuchten Nicht-hybridisiertes DNA Hybridisiertes DNA Hybridisierte DNA-Fragmente leuchten auf, wenn ein Laser-Lichtstrahl auf ein Microarray gerichtet wird, das viele Millionen von Fragmenten enthält. Immunsystems; so lässt sich verstehen, dass die Gene, welche diese beiden Interleukin-Rezeptoren hervorbringen, an Multipler Sklerose beteiligt sein können. Allerdings begnügte sich diese Studie damit, einen statistischen Zusammenhang aufzuzeigen. Genetische Studien lassen oft mehrere mögliche genetische Risikofaktoren für eine bestimmte Krankheit erkennen, die alle nicht besonders überzeugend sind. Nachfolgende Bemühungen, diese Risikofaktoren zu bestätigen, schlagen oft fehl. Durch die Kombination mehrerer verschiedener experimenteller Ansätze – Michael Hauser vom Center for Human Genetics an der Duke University spricht von „genomischer Konvergenz“ – kann man das aussichtsreichste Kandidatengen herausgreifen. 60 Kombiniert man Resultate aus Studien, die Gene mit familiären Krankheiten in Beziehung bringen – dabei wird die gemeinsame Vererbung von Genen analysiert und geprüft, welche Gene im betroffenen Gewebe aktiv sind – so kann sich ein aussichtsreicherer genetischer Marker In zwei Studien, die in der Ausgabe vom September 2007 in Nature Genetics erschienen, wurde ein solcher genomischer Konvergenz-Ansatz durchgespielt; bei ihrer Suche nach Kandidatengenen betrachteten die Forschenden ganz gezielt jene, die sich in früheren funktionellen und genetischen Studien als aussichtsreich erwiesen hatten 3, 4. Ebenso wie bei der Genom-Analyse bezogen auch die Nature Genetics-Studien den Rezeptor IL-7 mit ein. Und sie identifizierten dieselbe Variation einzelner Basenpaare (Single-Nucleotid-Polymorphism oder SNP) im Gen, welches den Rezeptor IL-7 produziert. Neuroimmunologische Erkrankungen abzeichnen. Dieser Ansatz wurde für die Untersuchung der genetischen Grundlagen verschiedener komplexer neurologischer Krankheiten, einschliesslich Parkinson- und Alzheimer-Krankheit sowie Multipler Sklerose, verwendet. Es war erwartet worden, diese besondere Genvariante würde die Bindung des Rezeptors an die Zellmembran, dem Ort seiner signalübertragenden Funktion, vermindern, so dass er mehr in löslicher Form vorhanden wäre und durch die Bindung von IL-7 dieses von der Interaktion mit Zellen abhalten könnte. Dies war tatsächlich der Fall und zwar sowohl im Laboratorium als auch bei Personen mit Multipler Sklerose. Theoretisch könnte diese Veränderung die Wirkung von IL-7 im Körper vermindern. Ausserdem war sowohl die Genexpression für IL-7 als auch jene für den Rezeptor IL-7 im Liquor von Personen mit dieser Krankheit verändert. Die Hinweise mehren sich, dass IL-7 und sein Rezeptor entscheidend am Krankheitsprozess mitwirken, doch ist nicht klar auf welche Weise. Zwar wird dem Gen für den Rezeptor IL-7 nur eine geringe Erhöhung des Krankheitsrisikos zugeschrieben, doch lässt sich der Rezeptor IL-7 immer weniger ignorieren. Weitere Untersuchungen des Rezeptors IL-7 sollen seine Rolle bei der Multiplen Sklerose klären und neue Behandlungsansätze liefern 5. Im gesamten Krankheitsprozess wäre ein auf IL-7 beruhender Vorgang nur einer von vielen verschiedenen Mechanismen, welche die Krankheit fördern. Aufgrund der Analyse dieses Markers und anderer genetischer Marker könnte es schliesslich möglich werden, genau zu bestimmen, was bei den einzelnen Kranken geschieht, die diagnostischen Verfahren zu verbessern und den Behandlungsplan individuell zu gestalten. 61 Sonnenstrahlen bringen Licht in die Multiple Sklerose Das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken, hängt eng mit dem Breitengrad zusammen; wer weiter vom Äquator entfernt lebt, hat ein höheres Risiko. Selbst bei Menschen mit gemeinsamen Vorfahren kann die Anfälligkeit unterschiedlich sein, wenn sie – insbesondere in jungen Jahren – in verschiedenen geografischen Breiten leben. Die neuere Forschung macht hierfür die Sonne verantwortlich. Eine in Neurology publizierte Studie untersuchte den Einfluss der Sonnenexposition bei eineiigen Zwillingen in Nordamerika 6. Die von Thomas Mack von der Keck School of Medicine an der University of Southern California geleitete Studie ergab, dass jener Zwilling, der als Kind mehr Zeit im Freien verbrachte (z. B. weil er an den Strand ging oder an Teamsport teilnahm) ein kleineres Multiple Sklerose-Risiko aufwies als der andere Zwilling. Dank der Untersuchung von eineiigen Zwillingen liess sich der Zusammenhang mit Umweltfaktoren – ohne den Störeinfluss von genetischen Unterschieden – belegen. Auch eine in Norwegen durchgeführte und im Journal of Neurology veröffentlichte Studie zeigte, dass Sonnenexposition während der Kindheit das Risiko für Multiple Sklerose verringerte 7. Darüber hinaus wies die Studie nach, dass eine fischreiche Ernährung das Risiko herabsetzte. Unter der Federführung von Margitta Kampman wiesen die Autoren darauf hin, dass der hohe Vitamin D-Gehalt von Fischen für diese Schutzwirkung verantwortlich sein könnte. 62 Die Befunde lassen einen direkten Einfluss von Vitamin D aufs Gehirn erkennen. Studien haben gezeigt, dass Vitamin D im Tiermodell das Schlaganfallrisiko verringert. Die Schutzwirkung der Sonnenexposition könnte auf einem direkten Einfluss der Ultraviolettstrahlung oder indirekt auf der Produktion von Vitamin D beruhen. Wir nehmen zwar eine gewisse Menge von Vitamin D mit der Nahrung auf, doch wird der grösste Teil aufgrund von Sonnenexposition von der Haut produziert; deshalb wird Vitamin D manchmal als Sonnenschein-Vitamin bezeichnet. Wenn die Tage im Winter kürzer sind und die Sonne tiefer am Himmel steht, treten häufig Vitamin D-Mangelzustände auf. Tatsächlich erhalten Personen, die auf dem Breitengrad von Boston – Barcelona – Rom – Sofia oder nördlich davon leben, zwischen November und Februar überhaupt kein Vitamin D durch die Sonne. Neuroimmunologische Erkrankungen Im Jahr 2007 zeigten Forschungsarbeiten, dass in der Haut durch Sonnenexposition produziertes Vitamin D das MultipleSklerose-Risiko herabsetzen könnte. Man weiss, dass Vitamin D für den Erhalt der Knochendichte wichtig ist. Weniger bekannt sind vielleicht seine regulierenden Einflüsse auf das Immunsystem. Vitamin D-Rezeptoren finden sich auf Zellen des Immunsystems und ein Vitamin D-Mangelzustand wurde bereits mit Autoimmunund entzündlichen Erkrankungen, einschliesslich Asthma, Gelenkrheumatismus, entzündlicher Darmerkrankung und Diabetes in Verbindung gebracht. Zurzeit ist der schützende Einfluss von Vitamin D an Mausmodellen der Multiplen Sklerose Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Mehrere neuere Populationsstudien erbrachten den Nachweis einer umgekehrten Korrelation zwischen dem Vitamin D-Spiegel im Blut und dem Multiple Sklerose-Risiko. Eine in Tasmanien, Australien, durchgeführte Studie ergab, dass von dieser Krankheit Betroffene niedrigere Vitamin D-Spiegel im Blut hatten 8. Bei einer Untersuchung, die am 20. Dezember 2006 im Journal of the American Medical Association veröffentlicht wurde, bestimmte man den Zeitverlauf des Vitamin D-Spiegels von amerikanischen Militärangehörigen und fand, dass er vor dem Auftreten von Multiple Sklerose-Symptomen herabgesetzt war. Dieser Befund stützt die Interpretation, dass Vitamin D-Mangel zu Multipler Sklerose beiträgt und die verminderte Sonnenexposition nicht auf die Krankheit zurückzuführen ist 9. Und eine weitere Studie, sie stammt aus Finnland und erschien im Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry, wies nach, dass herabgesetzte Vitamin D-Spiegel im Blut mit einer Verschlechterung der Symptome einhergingen 10. 63 Da es möglicherweise die Anfälligkeit für Multiple Sklerose und andere Krankheiten beeinflusst, werden heute die Empfehlungen, wie viel Vitamin D mit der Nahrung aufgenommen werden soll, neu überprüft. Zurzeit hält das Institute of Medicine of the National Academy of Sciences 200 Internationale Einheiten (IE) oder 5 Mikrogramm Vitamin D täglich für die meisten nicht über 50jährigen Personen für angemessen. Im September 2007 empfahl die Canadian Paediatric Society in einer Erklärung, schwangere und stillende Frauen sollten eine Vitamin D-Ergänzung bis zu 2000 IE täglich in Betracht ziehen 11. Die Gruppe empfahl ausserdem, dass Säuglinge, die voll gestillt werden, 400 IE Vitamin D bekommen, und dass Säuglinge, die über dem 50. Breitengrad leben (etwa so weit nördlich wie Edmonton, Kanada, Frankfurt am Main und Prag), in den Wintermonaten 800 IE erhalten sollen. Tierversuche deuten darauf hin, dass sich Vitamin D sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung der Multiplen Sklerose einsetzen lässt, doch braucht es weitere Untersuchungen, um diesen Befund auf Menschen übertragen zu können. 64 Schmerz Chronischer Schmerz und Opiatabhängigkeit 66 Das Schmerzsignal ins Visier nehmen 68 Erfolgreiche Behandlung von Rückenschmerzen durch Neurostimulation 69 65 I n den USA ist Schmerz der Hauptgrund dafür, dass Menschen medizinische Hilfe suchen. Dabei ist es für Ärzte und Ärztinnen weiterhin ein ständiger Kampf, Mittel zu finden, mit denen sich chronische und akute Schmerzen wirksam behandeln und kontrollieren lassen. In der Schmerzforschung gab es im Jahr 2007 mehrere Ansätze. Zum einen wurde nach Möglichkeiten gesucht, die Abhängigkeit von starken Opiaten, die oft das wirksamste Mittel zur Schmerzlinderung darstellen, zu reduzieren. Zum andern wurde ein entscheidender Schmerzsignalweg identifiziert, der neue Möglichkeiten für die Behandlung von Kranken eröffnet, die nach einer Rückenmarkverletzung an starken Phantomschmerzen leiden. Ausserdem wurde eine wirksamere Therapie für chronischen neuropathischen Schmerz gefunden, was Millionen von durch Rückenschmerzen behinderten Menschen neue Hoffnung gibt. Chronischer Schmerz und Opiatabhängigkeit Opium wurde während einigen tausend Jahren zur Linderung von Leiden und Schmerzen eingesetzt; auch heute werden viele von Opium abgeleitete Arzneimittel, so genannte Opiate, zu erlaubten und unerlaubten Zwecken verwendet. Dass diese Medikamente infolge ihrer ausgeprägten euphorischen Wirkung abhängig machen können, stellt die Ärzteschaft vor ein Dilemma, denn es gilt, das Bedürfnis der Kranken nach Schmerzlinderung und das Risiko einer Abhängigkeit gegeneinander abzuwägen. Forschende an der Wake Forest University School of Medicine haben herausgefunden, dass chronischer Schmerz nicht nur die analgetische Wirkung vieler Opiate vermindert, sondern auch dazu führt, dass die betroffenen Person weniger dazu neigen, von gewissen Medikamenten abhängig zu werden; dies gilt für Morphin, Hydromorphon und Fentanyl. Der in der Ausgabe vom 27. Februar 2007 von Anesthesiology publizierte Befund weist darauf hin, dass Kranke, deren chronische Schmerzen nicht ausreichend mit angemessenen Medikamenten behandelt werden, schliesslich nicht mehr die verschriebenen Medikamente nehmen sondern auf Alternativen ausweichen, einschliesslich Heroin und Methadon, welche chronischen Schmerz zwar wirksamer bekämpfen, jedoch die gefürchteten abhängig machenden Folgen haben 1. 66 Die Forschenden von Wake Forest implantierten Ratten – bei der Hälfte von ihnen waren die Spinalnerven unterbunden oder rotiert worden – einen Schmerz Katheter und brachten den Tieren bei, sich selbst Clonidin und Adenosin zuzuführen, zwei opiatähnliche Substanzen, welche die Schmerzüberempfindlichkeit herabsetzen. Die Forschenden stellten fest, dass keines der beiden Medikamente das Heroin-Suchtverhalten gesunder Tiere beeinflusste, da – wie sie festhalten – das Heroin-Missbrauchpotential beim gesunden Tier über Stellen im Gehirn und nicht im Rückenmark vermittelt wird. Hingegen führte die spinale Verabreichung von Clonidin bei Ratten mit chronischem Schmerz zu einer drastischen Reduktion des HeroinSuchtverhaltens. Die Zufuhr von Adenosin auf Ebene des Rückenmarks beeinflusste die Heroinsucht von Ratten mit Nervenverletzung nicht, obwohl dieses Medikament bekanntlich die Schmerzüberempfindlichkeit in solchen Fällen vermindert. Dieser Befund lässt darauf schliessen, dass zumindest im Tiermodell die kombinierte Gabe von Clonidin und Adenosin schmerzlindernd wirken kann, ohne ein Verlangen nach Heroin zu provozieren. Eine andere Studie zeigte auf, dass eine Untergruppe von Kranken mit chronischen Schmerzen zu Drogensucht neigt. Eine andere Studie zeigte auf, dass eine Untergruppe von Kranken mit chronischen Schmerzen zu Drogensucht neigt. Forschende am Massachusetts General Hospital analysierten mehrere Studien um herauszufinden, wie Opiat-Abhängigkeit und Linderung chronischer Schmerzen zusammenhängen. Im Juni berichteten sie in der Zeitschrift Pain, erste Annahmen, wonach gegen chronische Schmerzen behandelte Personen selten abhängig würden, hätten sich als falsch erwiesen 2. In Wirklichkeit kommen bei einer kleinen Gruppe von Kranken mit chronischen Schmerzen Drogensucht und andere problematische Verhaltensweisen durchaus vor. Diese Untergruppe unterscheidet sich allerdings bezüglich der Art, wie die Abhängigkeit entsteht. Der Übergang zu Abhängigkeit erfolgt nämlich schleichender und ist schwerer erkennbar. Ärzte und Ärztinnen verfügen zwar über eine Fülle von Informationen, um bei der Behandlung von Personen mit chronischen Schmerzen die Entwicklung einer Opiat-Abhängigkeit zu vermeiden; die Forschenden stellen jedoch fest, dass besser geeignete Methoden nötig sind, um entscheiden zu können, welche dieser Kranken zu Abhängigkeit neigen. Dann könnten Ärzte und Ärztinnen, unterstützt von Suchtspezialisten, strukturierte Therapiepläne entwickeln, die allenfalls die Verwendung von Alternativen zu Opiaten erfordern. 67 Das Schmerzsignal ins Visier nehmen Beinahe 80% der Personen mit einer Rückenmarkverletzung leiden unter klinisch signifikanten Schmerzen, die als brennend, reissend, bohrend oder stechend beschrieben werden. Ausserdem kommt es bei vielen Kranken, die in gewissen Körperteilen ohne Gefühl sind, zu Phantomschmerzen, so dass sie ihren Körper unterhalb der Rückenmarkverletzung „fühlen“ und in diesen völlig empfindungslosen Bereichen Schmerzen haben. Mikrogliazellen, hier als helle Flecken zwischen dunkleren Neuronen im lumbalen Hinterhorn erkennbar, sind für den chronischem Schmerz nach einer Rückenmarkverletzung mitverantwortlich. Forschende am Yale University Center for Neuroscience and Regeneration Research sehen eine Fehlfunktion des Nervensystems als Ursache der häufig nach einer Rückenmarkverletzung auftretenden abnormen Schmerzen. Wie sie in der Ausgabe vom 28. Februar 2007 im Journal of Neuroscience berichteten, konnten sie im verletzten Rückenmark erstmals einen direkten Signalweg zwischen Neuronen und der Mikroglia nachweisen, zwischen jenen Immunzellen also, die im Zentralnervensystem vorhanden sind und eine Entzündungsreaktion hervorbringen, die das Nervensystem eigentlich schützen soll, es aber manchmal auch schädigt 3. Bei Ratten, deren Rückenmark gequetscht worden war, stellten die Forschenden fest, dass bei chronischem Schmerz, der durch Mikroglia vermittelt wird, das Molekül Prostaglandin E2 (PGE2) eine wichtige Rolle spielt. Dieses Molekül wird von aktivierter Mikroglia freigesetzt und trägt zur Sensibilisierung der spinalen Neuronen nach einer Verletzung bei. 68 Die Forschenden von Yale sind der Ansicht, dass eine gezielte Einflussnahme auf diesen Übertragungsmechanismus zwischen Mikroglia und Schmerz Neuronen zu einem erfolgreichen Schmerzmanagement nach einer Rückenmarkverletzung führen könnte. Sie überprüfen nun Substanzen, die den Signalweg an verschiedenen Orten im Rückenmark blockieren. Der Prototyp ist Minocyclin, ein Antibiotikum, das von der amerikanischen Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration) zur Behandlung einiger Infektionskrankheiten zugelassen wurde und dessen Wirksamkeit nun im Rahmen von klinischen Studien in „zulassungsüberschreitenden“ Anwendungen bei neurologischen Störungen wie Huntington-Krankheit, Amyotropher Lateralsklerose und Multipler Sklerose getestet wird. Das Team von Yale möchte mittels Positronen-Emissions-Tomographie, einem bildgebenden Verfahren, nachweisen, dass Menschen und Mäuse über ähnliche, wenn nicht identische Schmerzmechanismen verfügen. Falls dem so ist, werden sie testen, ob Minocyclin bei Kranken mit einer Rückenmarkverletzung die auf Prostaglandin E2 beruhenden schmerzvermittelnden Vorgänge wirksam auszuschalten vermag. Erfolgreiche Behandlung von Rückenschmerzen durch Neurostimulation Rückenschmerzen gehören in den USA zu den häufigsten Gesundheitsproblemen; etwa 80% der Bevölkerung sind irgendwann in ihrem Leben davon betroffen. Laut einer Studie der Duke University vom Jahr 2004 kosten Rückenschmerzen – Kreuzschmerzen, Nackenschmerzen und Ischias – die USA jährlich beinahe 100 Milliarden Dollar in Form von Arztrechnungen, Invalidenrenten und verlorener Produktivität. Herkömmliche Therapien und chirurgische Eingriffe konnten Rückenschmerzen zwar bis zu einem gewissen Grad lindern, doch stellten Forschende fest, dass Neurostimulation – dabei wird ein medizintechnisches Gerät implantiert, das elektrische Impulse abgibt – bei chronischen neuropathischen Schmerzen in Rücken und Beinen erfolgreicher ist. Diese elektrischen Impulse werden in den Epiduralraum der Wirbelsäule gesendet und sollen verhindern, dass Schmerzsignale das Gehirn erreichen. Die bisher grösste multizentrische, randomisierte kontrollierte Studie zu Neurostimulation wurde von einer internationalen Forschungsgruppe unter der Leitung von Krishna Kumar vom Regina General Hospital in Kanada durchgeführt und ergab, dass Neurostimulation bezüglich Schmerzbehandlung, Lebensqualität und Funktionsfähigkeit wirksamer ist als herkömmliche Behandlungsformen wie Schmerzmittel, pharmakologische Nervenblockade, Steroidinjektionen, Physiotherapie und chiropraktische Behandlung. 69 Die im November in Pain publizierte Studie ergab, dass beinahe die Hälfte jener Kranken, die begleitend zu herkömmlichen Therapien auch mit Neurostimulation behandelt worden waren, nach sechs Monaten eine um mindestens 50% stärkere Besserung ihrer Beinschmerzen zeigte als jene Personen, die nur konventionell behandelt worden waren 4. Alle Kranken hatten mindestens eine Rückenoperation wegen Diskushernie hinter sich, litten aber während mindestens sechs Monaten nach der Operation weiterhin an mässigen bis starken Schmerzen in einem oder beiden Beinen sowie im Rücken. Da sich behindernde neuropathische Schmerzen schwer behandeln lassen, empfehlen die Forschenden, Neurostimulation auf die Liste von Routinebehandlungen zu setzen, die Kranken mit chronischen Rückenschmerzen angeboten werden. Forschende an der Westküste – vom Coast Pain Management in Kalifornien – berichteten in der Juli-Ausgabe von Neuromodulation, eine bestimmte Art der Neurostimulation, die so genannte periphere Nervenfeldstimulation (peripheral nerve field stimulation; PNFS) biete Personen mit chronischen Kreuzschmerzen eine sichere und wirksame Alternative 5. Die medizinische Forschungsgruppe prüfte die Wirksamkeit dieser Behandlung an sechs Personen mit chronischen Kreuzschmerzen, bei denen herkömmliche Therapien erfolglos gewesen waren. Anders als die Stimulation des Rückenmarks oder die direkte Stimulation peripherer Nerven erfolgt die periphere Nervenfeldstimulation über Elektroden, die durch die Haut zum schmerzenden Bereich führen und die Region der betroffenen Nerven stimulieren. Bei allen sechs Personen ermöglichte dieses Verfahren eine Reduktion der Schmerzmittel, eine Zunahme der Aktivität und damit verbunden eine höhere Lebensqualität. Die Forschenden betonen, die periphere Nervenfeldstimulation weise gegenüber anderen Arten der Neurostimulation klare Vorteile auf, unter anderem weniger Komplikationen und eine geringere Morbidität; die Behandlung sei als Ergänzung bestehender Therapien viel versprechend und verdiene eine weitere Abklärung. 70 Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten Depression 72 Bipolare affektive Störung 76 Zwangsstörung 77 Schizophrenie 77 Alkoholismus 78 Künftige Ausrichtung von Studien und Behandlung 79 71 I m Jahr 2007 konzentrierte sich die psychiatrische Forschung darauf, die Ursachen gewisser Störungen besser zu verstehen und wirksame Behandlungen zu finden. Viele Forschende hielten an der grundlegenden Bedeutung der Genetik für psychiatrische Erkrankungen fest und begannen auch gezielter zu untersuchen, wie sich Gene auf die Bewältigung und Behandlung auswirken. Ausserdem richteten sich neurobiologische Studien auf einen weiteren Bereich: um den Einfluss unterbrochener oder fehlgeleiteter Signale auf den psychischen Zustand zu erkennen, untersuchten sie nicht mehr bloss einzelne Regionen sondern ganze Nervenschaltkreise oder Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnbereichen. Neuere Befunde der Depressionsforschung liessen die der Krankheit zugrunde liegenden Veränderungen in neuralen Schaltkreisen besser verstehen und verwiesen auf potentielle nicht medikamentöse Behandlungen. Die Erforschung der manisch-depressiven Erkrankung führte zu einem wahrscheinlichen genetischen Indikator sowie zum ersten Mausmodell, also zu Ausgangspunkten für weitere Studien. Schliesslich ergaben sich aus Studien über Schizophrenie und Alkoholismus neue potentielle medikamentöse Behandlungen. Depression Der Hippokampus ist völlig mit dem für menschliche Emotion verantwortlichen System, dem limbischen System, verbunden und wurde lange mit Gedächtnis und räumlicher Vorstellung in Zusammenhang gebracht. Nachdem sich gezeigt hatte, dass der Hippokampus in Hirnregionen projiziert, die mit Depression zusammenhängen, und dass die durch Antidepressiva angeregte Neurogenese im Hippokampus in Beziehung steht zum therapeutischen Erfolg der Pharmaka, wurde diese Region auch für die Depressionsforschung interessant. Laut einem am 10. August in Science erschienenen Bericht identifizierten Karl Deisseroth und Mitarbeitende aus verschiedenen Fachgebieten an der Stanford University einen neurophysiologischen Schaltkreis, der den Hippokampus einschliesslich des Gyrus dentatus mit Depression in Verbindung bringt 1. Dieser Schaltkreis könnte für zukünftige Interventionen von Interesse sein. 72 Das Team setzte eine Gruppe von Ratten Stresssituationen aus, z. B. Schlafentzug, unangenehme Lichtbedingungen und laute Geräusche, und liess eine Kontrollgruppe in einer relativ stressfreien Umgebung leben. Einige der gestressten Ratten erhielten ausserdem Antidepressiva. Nach einigen Wochen wurden beide Gruppen in Wasser getaucht. Die gestressten Ratten, die keine Antidepressiva erhalten hatten, schwammen weniger kräftig als jene, die entweder nicht gestresst oder aber medikamentös behandelt worden waren – die Forschenden werten das als Ausdruck von Hoffnungslosigkeit. Anschliessend wurde mittels einer Bildgebung mit Hochgeschwindigkeits-Messtechniken, der so genannten Bildgebung mit spannungsempfindlichen Farbstoffen (voltage-sensitive dye imaging), die elektrische Aktivität im Bereich des Hippokampus – insbesonders ihre Projektionen in den Gyrus dentatus – registriert. Es zeigte sich, dass die Signale sowohl bei den nicht gestressten als auch bei den medikamentös behandelten Ratten erfolgreich im Schaltkreis weitergeleitet wurden; bei den gestressten wurden sie jedoch unterbrochen, so dass der Schaltkreis schliesslich zugrunde ging. Dieser Befund lässt darauf schliessen, dass Depression wohl nicht auf einer einzigen Ursache beruht, dass aber ein einzelnes Erlebnis, etwa ein Todesfall in der Familie oder eine stressige Arbeitssituation eine Störung im Schaltkreis bewirken kann, welche die bei Depression vorherrschenden Symptome zur Folge hat. Die Autoren empfehlen den Schaltkreis als einen aussichtsreichen Ort für künftige therapeutische Interventionen. Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten Der Forscher Karl Deisseroth und Mitarbeitende an der Stanford University zeigten mithilfe von HochgeschwindigkeitsBildgebung, der so genannten Bildgebung mit spannungsempfindlichen Farbstoffen, bei Ratten einen Zusammenhang zwischen einem fehlerhaften Schaltkreis im Hippokampus und Depression. 73 Pre-op MRI Pre-op PET Elektroden Kontakte Zielstruktur der Elektrode: Cg25 weisse Substanz Depression: Hyperaktives Cg25 Post-op MRI 6 Monate DBS PET Bestätigung der Elektrodenplatzierung Erholung durch DBS: Cg25 Suppression Frühere Bildgebungsstudien zeigten einen Zusammenhang zwischen erhöhter Aktivität im Areal Cg25, einem Teil des subgenualen Cingulum, und schwerer Depression. Arbeiten im Jahr 2007 lassen vermuten, dass tiefe Hirnstimulation im Areal Cg25 antidepressiv wirkt. Diese Bilder zeigen eine Abnahme des Blutflusses zum Areal Cg25 nach tiefer Hirnstimulation, die über eine implantierte Elektrode erfolgte. Auch andere neurale Schaltkreise im limbischen System wurden mit Depression in Verbindung gebracht. Diese Schaltkreise umfassen häufig Hirnregionen wie den präfrontalen Kortex, die Amygdala und das subgenuale Cingulum – Regionen also, die mit der Verarbeitung von Emotionen, mit der Herstellung von Neurotransmittern, die mit traurigen Gemütslagen in Zusammenhang stehen und auch mit dem Ansprechen auf Antidepressiva verbunden sind. 74 In einer Übersichtsarbeit in Nature Neuroscience vom September stellen Kerry J. Ressler und Helen S. Mayberg vom Emory University’s Department Unter diesen nicht medikamentösen Ansätzen ist die tiefe Hirnstimulation (vgl. auch „Bewegungsstörungen“, S. 33 und „Neuroethik“, S. 49) besonders hervorzuheben. Klinische Versuche mit tiefer Hirnstimulation zur Behandlung schwerer Depressionen basierten auf Maybergs ersten Bildgebungsstudien mittels Positronen-Emissions-Tomographie, die das subgenuale Cingulum (Cg25) als eine mit schwerer Depression verbundene Region identifiziert hatten. Tiefe Hirnstimulation verändert in dieser Region mittels Hochfrequenzstimulation über die implantierten Elektroden die Kommunikation innerhalb von Hirnschaltkreisen und zwischen ihnen. Die Behandlung wirkte antidepressiv, führte zu einer deutlichen Reduktion des Blutflusses zum Areal Cg25 und zu Veränderungen in mehren Hirnregionen, die mit Stimmungsregulation und mit dem Ansprechen auf eine Behandlung in Verbindung gebracht werden. Zurzeit sollen weitere klinische Studien an einer grösseren Zahl von Kranken die Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung einwandfrei feststellen, die Wirkmechanismen von Hirnschaltkreisen in dieser Region bei Depressionen klären und aufzeigen, auf welche Weise tiefe Hirnstimulation diesen Schaltkreis erfolgreich beeinflusst. Weitere mögliche Alternativen zu Antidepressiva sind unter anderem die Vagus-Nerv-Stimulation, die Elektrokrampftherapie und die repetitive transkranielle Magnetstimulation. Während Elektrokrampftherapie lange Zeit zur Behandlung schwerer Depressionen eingesetzt wurde und in den letzten Jahren wieder an Akzeptanz gewonnen hat, werden die tiefe Hirnstimulation, die Vagus-Nerv-Stimulation und die transkranielle Magnetstimulation zurzeit auf ihre Fähigkeit geprüft, mit Depression und Emotionsregulation verbundene Hirnschaltkreise zu unterbrechen und zu verändern. Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten of Psychiatry and Behavioral Sciences Fortschritte fest bezüglich der Identifizierung und der Einsicht in Wirkmechanismen von neuralen Schaltkreisen, die mit der Depression in Verbindung stehen; Fortschritte gebe es auch im Hinblick auf die Lokalisierung bestimmter Bereiche innerhalb dieser Schaltkreise, deren Dysregulation mit Verhaltensauffälligkeiten in Zusammenhang steht, was die Möglichkeit viel versprechender nicht medikamentöser Therapien eröffne 2. Für schwer depressive Personen, die auf die heute verfügbaren Antidepressiva nicht ansprechen, sind wirksame Alternativen äusserst wichtig. 75 Indem man bildgebende Verfahren, etwa Positronen-Emissions-Tomographie und funktionelle Magnetresonanztomographie, vor und nach der Behandlung einsetzt, lassen sich Veränderungen der regionalen Aktivierung des Gehirns beobachten, die Veränderungen in den beteiligten Schaltkreisen anzeigen. Wenn wir die zugrunde liegenden Schaltkreise besser verstehen, könnten mit diesen Therapien möglicherweise auch andere psychiatrische Krankheiten, etwa die Zwangsstörung, behandelt werden. Obwohl tiefe Hirnstimulation mittlerweile bei Personen, welche die medikamentöse Behandlung mit L-DOPA nicht länger ertragen, als Behandlung der Parkinson-Krankheit anerkannt ist und auch als Behandlung von schweren Depressionen erste Erfolge zeigt, empfehlen Ressler und Mayberg weitere Forschungsarbeiten, um einerseits mehr über die Langzeitwirkungen zu erfahren und andererseits optimale Behandlungsbedingungen festzulegen. Bipolare affektive Störung Frühere Studien liessen darauf schliessen, dass die gestörte Regulation zirkadianer Rhythmen der inneren Uhr des Körpers, entscheidend zur bipolaren affektiven Störung beiträgt, einer psychiatrischen Erkrankung, die manchmal auch manisch-depressiv genannt wird. In einer Studie, die in Proceedings of the National Academy of Sciences USA veröffentlicht wurde, schufen Colleen McClung und Mitarbeitende das erste mutierte Mausmodell der bipolaren Störung: sie induzierten Mutationen jener Proteine, welche die zirkadianen Rhythmen des Tieres regulieren und schalteten dadurch das so genannte Clock-Gen (circadian locomotor output cycles kaput) aus 3. Man vermutet, dass Clock ein Protein produziert, das für die Regulation der komplizierten Rückkoppelungsschleife, welche die zirkadianen Rhythmen im Gehirn steuert, gebraucht wird. McClungs mutierte Clockfreie Mäuse zeigten maniforme Verhaltensweisen, die den bipolaren Symptomen bei Menschen glichen. Zu diesen Symptomen gehörten Hyperaktivität und verkürzte Schlafdauer, sowie ein gesteigertes Ansprechen auf neue Reize und Stimulanzien wie Kokain. 76 Bei der Clock-mutierten Maus handelt es sich um das erste Tiermodell der Manie; es eröffnet die Möglichkeit, die neuronale und genetische Regulation zirkadianer Rhythmen besser zu verstehen und nachzuvollziehen, wie eine Dysregulation zu bipolaren Symptomen führen kann. Ausserdem Zwangsstörung In den letzten Jahren stand bei der Erforschung der Zwangsstörung (obsessive-compulsive disorder; OCD) stets das Striatum, das InputZentrum des Basalgangliensystems, im Mittelpunkt. Dieses System wird mit motorischer Kontrolle, Lernen und Belohnungsverarbeitung in Verbindung gebracht. Guoping Feng und Mitarbeitende überprüften diese Hypothese. In einer Arbeit, die in Nature veröffentlicht wurde, brauchte Fengs Team Techniken des Gen-Knockout, um bei Mäusen das Gen Sapap3 auszuschalten, das für die erfolgreiche synaptische Kommunikation jener Neuronen im Gehirn erforderlich ist, die den Neurotransmitter Glutamat verwenden 4. Dieser Befund vermittelt neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen Ursachen, die der Zwangsstörung zugrunde liegen, und eröffnet Wege für künftige Behandlungen. Die bezüglich Sapap3 gentechnisch veränderten Mäuse wiesen verschiedene OCD ähnliche Symptome auf; dazu gehörten verstärkte Ängstlichkeit und übermässiges Putzverhalten bis hin zum Verlust des Fells. Wenn man die Mäuse jedoch mit Fluoxetin (Prozac) behandelte, einem Medikament, das häufig zur Behandlung der OCD eingesetzt wird, oder wenn das Sapap3-Gen wieder direkt ins Striatum der mutierten Mäuse eingefügt wurde, klangen die Symptome ab. Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten weist das Modell den Forschenden eine neue Richtung zur Entwicklung neuer und besserer Behandlungsmöglichkeiten für manisch-depressive Patienten und Patientinnen. Dieser Befund vermittelt neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen Ursachen, die der Zwangsstörung zugrunde liegen, und eröffnet Wege für künftige Behandlungen. Während sich bisherige Studien und Behandlungen auf den Neurotransmitter Serotonin konzentriert hatten, könnte dieser Befund, der das Glutamat einbezieht, zur Entwicklung medikamentöser Therapien Anlass geben, die auf die glutamaterge neuronale Erregungsübertragung ausgerichtet ist. Schizophrenie In den Jahren 2005 und 2006 zeigte eine Reihe unabhängiger Studien, dass atypische Neuroleptika, also solche der zweiten Generation, weniger 77 wirksam sind als ältere Medikamente, die oft mit mehr Nebenwirkungen einher gehen. In einer von Jeffrey Lieberman geleiteten Studie, die 2005 im New England Journal of Medicine publiziert wurde, gab es eine Ausnahme: Olanzapin, eine atypische Substanz, welche die Kranken seltener absetzten als entsprechende andere Pharmaka 5. Allerdings führte sie zu andauernder Gewichtszunahme und weiteren, den Stoffwechsel betreffenden Nebenwirkungen. Die Ergebnisse dieser Studien riefen in Psychiatrie und Forschung verbreitet Besorgnis hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten von Schizophreniekranken hervor. Unter der Leitung von Sandeep Patil von den Lilly Research Laboratories testete eine andere Forschungsgruppe den neuen Wirkstoff LY2140023, der den Neurotransmitter Glutamat im Gehirn herabsetzt. In Nature Medicine berichteten die Forschenden über eine vierwöchige Studie an 200 Schizophreniekranken, in der sie diese neue Substanz mit Olanzapin und Placebo verglichen 6. Mehr als 25% der Kranken sprachen auf die Behandlung mit LY2140023 an, ohne dass negative Nebenwirkungen aufgetreten wären. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass Medikamente, die dazu beitragen, dass sich die gestörten glutamatergen Verbindungen im Gehirn normalisieren, künftig eine sichere und wirksame Behandlung für Schizophreniekranke sein könnten. Alkoholismus In der Behandlung des Alkoholismus wurden Medikamente mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt. Eine Studie von Lara Ray und Kent Hutchison, die im September in den Archives of General Psychiatry erschien, lässt darauf schliessen, dass der Opiatrezeptor-Antagonist Naltrexon, eine jener Substanzen, die bei Alkoholismus verschrieben wird, bei Personen mit einem bestimmten Genotyp wirksamer ist als bei anderen 7. 78 Ray und Hutchison stellten fest, dass Alkoholabhängige mit einem gewissen Typ des Gens OPRM1 nicht nur von einem stärkeren Rauscherlebnis nach dem Trinken berichteten, sondern nach der Einnahme von Naltrexon auch weniger auf Alkohol ansprachen. Dieser Befund macht den Weg für weitere Studien frei und zwar sowohl im Hinblick auf genetische Merkmale für Alkoholismus als auch auf allfällige Wechselwirkungen zwischen diesen Merkmalen und einer Behandlung. Als im Jahr 2005 das Internationale HapMap-Projekt – ein Katalog häufiger menschlicher Genvarianten – fertig gestellt wurde, eröffnete dies der Psychiatrieforschung die Gelegenheit, zur Bestimmung der genetischen Faktoren, die komplexen psychiatrischen Erkrankungen zugrunde liegen, das gesamte Genom zu untersuchen. „Genomweite Assoziationsstudien“ zu Herzkrankheiten, Diabetes und gewissen Arten von Krebs haben völlig neue Wege der Entwicklung und Behandlung von Krankheiten aufgezeigt; nun besteht Hoffnung, dass vergleichbare Studien zu Schizophrenie, bipolaren Störungen und Zwangsstörungen ähnlich erfolgreich sein werden. Thomas R. Insel, Direktor des National Institute of Mental Health (NIMH), und Thomas Lehner von der Division of Neuroscience and Basic Behavioral Science an diesem Institut, führten im Mai in einem Leitartikel in Biological Psychiatry aus, das Potential für genomweite Assoziation sei zwar gross, doch müssten Forschende die für erfolgreiche Analysen notwendigen Bedingungen beachten 8. Grosse Stichproben mit klar definierten Merkmalen sind ein Muss, können aber für kleinere Forschungslaboratorien mit kleinem Patientengut ein Problem darstellen. Ausserdem kann es bei jenen Störungen, deren Diagnosekriterien weit gefasst oder umstritten sind, schwer sein, die beteiligten genetischen Faktoren einzugrenzen. Um mit diesen Problemen fertig zu werden, raten die Autoren zur gemeinsamen Nutzung von Genom-Datenbanken. Eine solche Datenbank ist die Bipolar Disorder Phenome Database des NIMH. Sie wurde von Forschenden dieses Instituts zusammengestellt und umfasst validierte Variablen von über 5000 Personen mit bipolarer Störung 9. Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten Künftige Ausrichtung von Studien und Behandlung Die Datenbank steht Laboratorien und Forschungszentren für die Bestimmung von genetischen Merkmalen und Wirkungen zur Verfügung. Der Aufbau von weiteren solchen allgemein zugänglichen Datenbanken würde ein differenzierteres Verständnis der Bedeutung von Genen bei psychiatrischen Erkrankungen ermöglichen und es könnten auch neue und wirksamere Behandlungen gefunden werden. 79 Störungen der Sinnesund Körperfunktion Die Fieberreaktion 82 Der allgemeinmenschliche Sinn für Musik 84 Die komplizierte Wahrnehmung der gesprochenen Sprache 85 81 I m Jahr 2007 befassten sich wissenschaftliche Untersuchungen weiterhin mit der Frage, wie das Gehirn wahrgenommene Stimulationen verarbeitet und beantwortet. Forschende an der Harvard University erforschten die Gründe für unser Gefühl, krank zu sein, und machten erste Schritte, um diese Empfindung bei Personen mit gewissen Krankheiten zu mildern. Forschende an den Universitäten Duke und Johns Hopkins trieben die komplizierte Erforschung der auditiven Wahrnehmung mit Untersuchungen über Musik bzw. Sprache voran. Die Fieberreaktion Eine Person, die den Eindruck hat, krank zu werden leidet üblicherweise unter einer Reihe bekannter Symptome: Schmerzen, Schlappheit, Appetitmangel sowie – im Zusammenhang mit Fieber – Schüttelfrost und Hitzewallungen. Der Körper reagiert auf verschiedene Situationen, die er als bedrohlich wahrnimmt, mit Fieber. Meistens wird das Fieber durch bakterielle Infektionen hervorgerufen, doch können auch einige Virusinfektionen und nichtinfektiöse Krankheiten, die das Immunsystem mit einbeziehen, z. B. rheumatoide Arthritis und Crohn-Krankheit, den Körper dazu veranlassen, seine Temperatur auf über 37o Celsius zu erhöhen. Fieber haben ist zwar eine unangenehme Erfahrung, doch unterstützt es den Kampf des Körpers gegen eine Infektion. Weisse Blutzellen, die zum Immunsystem des Körpers gehören, werden bei erhöhter Körpertemperatur aktiver und verstärken ihre Abwehr gegen die eindringenden Organismen 1. Ausserdem überleben und gedeihen Erreger von Infektionen in einem heisser werdenden System nur mit Mühe. Bis vor kurzem konnte man die zu Fieber führenden Mechanismen jedoch nicht vollumfänglich wissenschaftlich erklären. Man wusste, dass Fieber auftritt, wenn Prostaglandin E2 (PGE2) – ein Hormon, das von Blutgefässen am Rand des Gehirns produziert wird – ins Blut freigesetzt wird, ins Gehirn gelangt und an EP3-ProstaglandinRezeptoren (EP3R) bindet. Diese Rezeptoren gibt es in einem Teil des Hypothalamus, dem so genannten medianen Nucleus praeopticus, sowie in anderen Bereichen des Zentralnervensystems. 82 Clifford B. Saper und sein Forschungsteam versuchten folgende Frage in 2007 zu beantworten: Welche Rezeptoren lösen als Reaktion auf das Hormon PGE2 im Körper Fieber aus? Störungen der Sinnes- und Körperfunktion Forschende konnten bei Mäusen die Entwicklung von Fieber verhindern, indem sie die EP3-Prostaglandin-Rezeptoren (weiss gefärbt) über dem dritten Ventrikel, einem normalen Hohlraum des Gehirns, ausschalteten. Die dunklen Zellen wurden von der Injektion eines Gens beeinflusst, das EP3-Rezeptoren blockiert. Das eingefügte Bild zeigt eine stärkere Vergrösserung dieses Vorgangs. Um die Rezeptor Reaktion zu untersuchen, benutzte Sapers Team virale Vektoren, so genannte adeno-assoziierte Viren; dabei handelt es sich um gutartige Viren, die so modifiziert werden, dass sie bestimmtes genetisches Material übertragen. In diesem Fall wurde durch die adeno-assoziierten Viren selektiv das Gen EP3 entfernt und dadurch verhindert, dass dort überhaupt Hormone PGE2 binden konnten. Das Team schaltete die Rezeptoren jeweils in einem klar umschriebenen, winzigen Hirnbereich der Mäuse aus und untersuchte dann deren Fieberreaktion. Wurden die EP3R-Rezeptoren im medianen Nucleus praeopticus ausgeschaltet – wurden also die Gene EP3 dort eliminiert – reagierten die Mäuse auf eine Infektion nicht mit Fieber 2. Sapers Team vermutet, dass das Hormon PGE2 und seine Rezeptoren EP3R für die Symptome verantwortlich sind, die wir normalerweise mit dem Gefühl von krank sein verbinden; Substanzen wie Aspirin und Ibuprofen, welche die Synthese von Prostaglandinen blockieren, wirken nämlich sowohl gegen Fieber als auch gegen Schmerzen. Aus zwei Gründen entschlossen sie sich, zuerst die Fieberreaktion zu untersuchen. Erstens lässt sich die Körpertemperatur relativ einfach messen (leichter als Schlappheit oder Schmerzen). Zweitens war Fieber schon besser erforscht als die anderen Reaktionen auf Infektionen. Im Jahr 2008 werden Saper und seine Mitarbeitenden wiederum an Mäusen den Einfluss 83 der Hormone PGE2 und ihrer Rezeptoren EP3R auf die Schmerzreaktion im Krankheitsfall untersuchen. Wenn sich zeigen sollte, dass der kranke Organismus über genau dieselben Mechanismen Schmerz empfindet, die auch Fieber produzieren, könnte man Schmerz durch die Beeinflussung des Hormons PGE2 und seiner Rezeptoren in den Griff bekommen. Ein solcher Fortschritt brächte Klinikern für die Behandlung der Leiden von chronisch Kranken und von Personen im Endstadium – für Situationen also, in denen die Schmerzreaktion nicht mehr eine vorbeugende und adaptive Funktion hat – eine Alternative zu Betäubungsmitteln und anderen Schmerzmitteln. Im Idealfall könnten Ärzte und Ärztinnen die Schmerzreaktion bei diesen Kranken einfach „herunterfahren“ und dadurch ihre Lebensqualität verbessern. Der allgemeinmenschliche Sinn für Musik Das menschliche Ohr kann zwar eine grosse Vielfalt von Klängen hören, doch hat die Musikwissenschaft verschiedene Kulturen untersucht und dabei festgestellt, dass alle etwa die gleiche kleine Untermenge von Klängen, die so genannten Tonleitern, zum Musizieren verwenden. Dale Purves und sein Forschungsteam am Duke fragten sich, warum dies so sei, und stellten die Vermutung auf, es könnte etwas mit den Tönen der menschlichen Sprache zu tun haben. Im Jahr 2007 machten sich diese Forschenden daran, den Zusammenhang zwischen menschlicher Sprache und jenen musikalischen Klängen, die alle Menschen als angenehm empfinden, zu entschlüsseln. Anfänglich meinte das Team, in der Musik würden jene Intervalle bevorzugt, die das Auf und Ab der Tonlage von sprechenden Menschen nachahmen. Sie erwarteten, allgemeine Stimmmodulationen anhand der allgemein gebräuchlichen Tonleitern entschlüsseln zu können, doch handelte es sich nicht um dieselben Intervalle. Daraufhin befasste sich das Team mit den so genannten Formanten. 84 Wenn ein Instrument einen Ton erzeugt, kann dieser als Spektrum dargestellt werden. Formanten sind die wichtigsten Frequenzkomponenten, die dargestellt werden, wenn ein Instrument – dazu gehört auch der menschliche Kehlkopf – einen Ton hervorbringt. Wenn jemand einen Vokallaut ausspricht, sind jene stärksten Tonlagen oder Formanten, dafür verantwortlich, dass man dieses Klangbild von anderen Vokallauten unterscheiden kann. Die Selektionsmechanismen der Evolution lassen darauf schliessen, dass das ästhetische Empfinden von Menschen einen praktischen Ursprung hat. Die oben angeführte Entdeckung lässt vermuten, dass das Gehirn jene Harmonien als angenehm empfindet, die Aspekten unserer Umwelt entsprechen, welche wichtige Informationen enthalten, bzw. einmal enthielten. Darauf zu achten, was eine andere Person sagt, konnte buchstäblich über Leben und Tod entscheiden (und kann es auch heute noch); Menschen, die Sprache als besonders angenehm empfanden, hörten hin, nutzten ihre lebensrettenden Vorteile und vermehrten sich. Die Nachkommen dieser frühen Menschen benutzten dann dieselben reizvollen Intervalle, um Musik zu erzeugen – soweit diese Theorie. Störungen der Sinnes- und Körperfunktion Purves und seine Mitarbeitenden werteten die durch Musik und gesprochene Vokale gebildeten Spektren statistisch aus (die Spektren wurden visuell dargestellt) und stellten fest, dass es zu 68% der Zeit dieselben Intervalle waren, die Menschen unabhängig von Zeit und Ort in der Musik als angenehm empfinden, die auch beim Sprechen von Vokallauten betont wurden 3. Die betonten harmonischen Schwingungen der menschlichen Sprache – jene Frequenzen, die die Harmonie und Form dessen bilden was wir in der Sprache als Vokallaut erkennen – stimmen häufig mit den chromatischen Intervallen unserer Musik überein. Mit anderen Worten, die Klangbilder der Musik sind tatsächlich in unsere Sprache eingebaut. Diese Art der Musikforschung weckte das Interesse von Purves und so plant er, als nächstes den Zusammenhang von Musik und Emotionen zu untersuchen. Menschen interpretieren Musik, die in einer Dur-Tonart gespielt wird, als hell und hoffnungsvoll, während eine Melodie in einer Moll-Tonart melancholisch zu sein scheint. Purves vermutet, dass sich der Kehlkopf als Reaktion auf Vorgänge im Nervensystem so verändert, dass beim Sprechen Veränderungen der Formanten auftreten, die diesen Durund Moll-Tonarten entsprechen. Gemäss dieser Theorie veranlasst das Nervensystem einer glücklichen Person den Kehlkopf dazu, Formanten in Dur zu produzieren; das Nervensystem einer traurigen Person bringt Formanten in Moll hervor. Die komplizierte Wahrnehmung der gesprochenen Sprache In den 1970er Jahren erkannten Murray Sachs und Eric D. Young von der Johns Hopkins University den Mechanismus, über den das Gehirn Sprache kodiert und folglich versteht. Sie entdeckten, dass Haarzellen im Ohr als Reaktion auf einen Laut vibrieren und dass diese Vibration in ein 85 Die Intervalle zwischen Noten der chromatischen Tonleiter (den markierten Klaviertasten) entsprechen Schlüsseltönen der menschlichen Sprache (den Gipfeln der weissen Linie). Diese Spitzen ermöglichen es uns, Vokallaute zu erkennen und machen möglicherweise verständlich, weshalb Menschen gewisse Töne als musikalisch empfinden. elektrisches Signal – einen Nervenimpuls – übersetzt und dann vom Hörnerv in andere Hirnbereiche geleitet wird. In den 1980er Jahren konnten sie darüber Aufschluss geben, wie das Gehirn die vielfältigen über die Ohren eingehenden Informationen abbildet. Jede der 30 000 Fasern des Hörnervs ist für eine ganz kleine Zahl von spezifischen Frequenzen zuständig. Die entscheidenden Frequenzen, also die Formanten – es handelt sich um dieselben Muster, die das Team von Purves untersucht hat – werden dann in der Hörschnecke, welche die Frequenzverarbeitung der Fasern des Hörnervs interpretiert, herausgefiltert. 86 Xiaoqin Wang, der sich inzwischen dieser Forschungsgruppe angeschlossen hat, interessiert sich dafür, wie das Gehirn sprachähnliche Stimuli in der Hörrinde verarbeitet. Anfänglich untersuchte er an Krallenaffen, wie Tiere entscheiden, welchen auditiven Reizen sie ihre Aufmerksamkeit schenken. Krallenaffen wurden gewählt, weil sie über ein grosses Repertoire an Vokalen verfügen; mittels Lauten, die an Vogelgezwitscher erinnern, geben sie mannigfaltige Informationen zu sozialen und praktischen Belangen weiter. Auch in Gefangenschaft behalten sie die Kommunikation über Zwitschern bei. Wang und sein Team spielten aufgezeichnete Affenrufe vorwärts (wie sie normalerweise gehört werden) und dann rückwärts ab und stellten fest, dass Affen und Katzen Affenrufe unterschiedlich verarbeiten. Katzen reagierten auf die Affenrufe unabhängig davon, wie Der von Young ausgiebig untersuchte Colliculus inferior bezieht die Zeit als Faktor für das Sprachverständnis mit ein. Wenn wir etwas Gesprochenem lauschen, hören wir einzelne Laute, entschlüsseln sie und speichern sie im Kurzzeitgedächtnis, ausserdem nehmen wir bereits die nächsten Laute vorweg. Wenn wir mehreren Sprechenden gleichzeitig zuhören, etwa in einer Gruppendiskussion, wird jeder Redefluss für sich verstanden und von den anderen unterschieden. Da das Gehirn in Gesprochenem rasch einen Sinn erkennen kann, ist Sprache für Menschen eine zweckmässige Möglichkeit der Informationsübertragung. Zurzeit erforscht Young, wie das auditorische System neben der jeweils augenblicklichen Lautverarbeitung auch das Kurzzeitgedächtnis für das Verständnis von Sprache einsetzt. In einem nächsten Forschungsschritt will er untersuchen, worauf unsere Fähigkeit beruht zu ahnen, was jemand als Nächstes sagen wird. Störungen der Sinnes- und Körperfunktion diese abgespielt wurden, gleich; die Neuronen in den artgleichen Affen reagierten jedoch stärker auf die vorwärts gespielte, vertraute Version des Rufes. Es zeigte sich also, dass Tiere die Laute von Artgenossen auf spezifische Weise verarbeiten; diese Unterschiede wurden im Colliculus inferior, dem auditorischen Mittelhirn, sichtbar. Im Jahr 2008 möchte Sachs ins Labor von Young und Wang zurückkehren und untersuchen, woran ein Krallenaffe die Rufe eines ganz bestimmten anderen Affen erkennt, wenn es viele sind, die weit weg – sichtbar und auch unsichtbar – zwitschern. Diesen Vorgang, von allen Lauten jene einer einzigen Quelle zu isolieren, nennt man Bildung eines auditorischen Objekts. Die Forschenden suchen im Colliculus inferior nach Neuronen, die diese Analyse vornehmen; im Wesentlichen handelt es sich um dieselbe Analyse, dank welcher Menschen inmitten einer Menge Gesprochenes verstehen oder bei einer Band oder einem Orchester den Klang eines einzelnen Instruments heraushören können. Die Gruppe möchte erforschen, wie Musik erlebt wird. Ebenso wie Purves interessiert sich auch Sachs für den Einfluss von Tönen auf Emotionen. 87 Stammzellen und Neurogenese Stammzellen aus Hautgewebe 90 Stammzellen von nicht lebensfähigen Embryos 91 Nicht alle neuralen Stammzellen sind gleich 92 Stammzellen schützen Neuronen bei ALS 93 Leistungsfähige neue Mittel zur Erforschung von Krankheiten 94 89 D ie unreifen, vielseitigen Vorläufer des menschlichen Gewebes, die so genannten Stammzellen, sind, weiterhin viel versprechend für das Verständnis und die Behandlung von Krankheiten – insbesondere von degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, bei denen bedeutende Hirnzellpopulationen allmählich zugrunde gehen. Im Jahr 2007 berichteten Forschende über neue Möglichkeiten, auf ethisch unbedenkliche Weise serienmässig Stammzellen zu gewinnen und im ganzen Körper, auch im Gehirn, einzusetzen. Ausserdem zeigten Studien, dass Stammzellen dazu beitragen können, Prozesse der Nervendegeneration zu erforschen, und dass man durch sie absterbenden Hirnzellen eine Behandlung zukommen lassen kann. Stammzellen aus Hautgewebe Im Jahr 2007 gelang der Stammzellforschung ein gewaltiger Schritt in Richtung auf ein seit langem angestrebtes Ziel: aus adultem menschlichem Gewebe gewonnene Zellen allmählich dazu zu bringen, sich wie embryonale Stammzellen zu verhalten und so die ethischen Hindernisse zu umgehen, welche die Verwendung von Embryos aufwirft. In der am 20. November erschienenen Ausgabe von Cell, beschrieben Shinya Yamanaka und Mitarbeitende von der Kyoto University, Japan, sie hätten vier Gene, die während der embryonalen Entwicklung aktiv sind, in ein modifiziertes Virus eingefügt. Anschliessend wurde das Virus in Fibroblasten eingesetzt; dabei handelte es sich um Hautzellen, die Erwachsenen entnommen worden waren. Diese Gene bewirkten eine „Umprogrammierung“ der Hautzellen, so dass diese eine Stammzelllinie produzierten, die sich selbst erneuern und ebenso viele neue Zellen bilden konnte, wie dies üblicherweise bei embryonalen Stammzellen der Fall ist 1. Ein anderes Team unter der Leitung von James Thompson von der University of Wisconsin, Madison, verwendete eine etwas andere Kombination von Genen um auf ähnliche Weise Neugeborenen entnommene Hautzellen umzuprogrammieren. Ihre Ergebnisse erschienen am 19. November online und am 21. Dezember in der gedruckten Ausgabe von Science 2. 90 Stammzellen, die mit dieser Methode hergestellt wurden, weisen dieselbe "Pluripotenz“ auf wie embryonale Stammzellen, d. h. sie können sich in jede gewünschte Art von Gewebe entwickeln. Zwei in der Ausgabe vom 19. Juli in Nature publizierte Studien – die eine wurde von Yamanaka, die andere von Rudolph Jaenisch vom Whitehead Institute, Boston, und Mitarbeitenden durchgeführt – hatten mittels demselben Ansatz diese Die unmittelbarste Anwendung dieses Verfahrens wird darin bestehen, Zelllinien herzustellen, die Gene enthalten, von denen man weiss, dass sie bestimmte Krankheiten verursachen, etwa erbliche Arten der Alzheimerund der Parkinson-Krankheit. Anhand dieser Zelllinien kann dann erforscht werden, auf welche Weise die Genprodukte eine Neurodegeneration bewirken, und es lassen sich in Frage kommende Therapien überprüfen. Letztlich erhofft man sich von dieser neuen Stammzelltechnik den Beginn eines neuen Zeitalters der Medizin, in dem viele Hirnkrankheiten dadurch behandelt werden können, dass man beschädigte Nervenzellen durch eine neue Population von Hirnzellen ersetzt; diese stammen von Hautzellen, die den betreffenden Kranken selbst entnommen wurden. Es gibt allerdings noch viele Hindernisse. Beispielsweise könnte die Verwendung modifizierter Viren, welche Gene in Hautzellen bringen, zur Entwicklung von Tumoren führen. Ausserdem sind die von Hautzellen gewonnenen Stammzellen und die von Embryos gebildeten nicht identisch, und dieser Unterschied könnte sich als bedeutend erweisen. Obwohl es noch gilt, diese potentiellen Schwierigkeiten erfolgreich zu meistern, ist die Möglichkeit grosse Mengen von Stammzellen zu produzieren, ohne auf befruchtete menschliche Embryos zurückgreifen zu müssen, ein entscheidender Fortschritt. Stammzellen und Neurogenese Pluripotenz für Zelllinien nachgewiesen, die aus Hautzellen von Mäusen gebildet wurden 3, 4. Stammzellen von nicht lebensfähigen Embryos Das erfolgreiche Klonen des Schafes Dolly im Jahr 1997 mit Hilfe des so genannten somatischen Zellkern-Transfers weckte die Hoffnung, man könnte auf dieselbe Weise einen endlosen Vorrat an Stammzellen produzieren – entweder gesunde Zellen von Kranken oder, zu Forschungszwecken, Zellen mit einer bestimmten genetischen Störung. Die Methode beruht allerdings darauf, dass das gewünschte genetische Material in eine Oozyte oder Eizelle eingesetzt wird. Von Menschen eine ausreichende Zahl von Eizellen zu gewinnen, ist mit technischen und ethischen Problemen verbunden. Am 7. Juni erschien in Nature eine Studie, die aufzeigt, wie sich viele dieser Probleme umgehen lassen. Dieter Egli und Mitarbeitende an der Harvard University arbeiteten mit Mäusen und wiesen nach, dass es möglich ist, Stammzellmaterial in befruchtete Embryos oder Zygoten einzusetzen – dies war in früheren Forschungsarbeiten fehlgeschlagen. 91 In einer Phase des Experiments verwendeten die Forschenden Zygoten mit zusätzlichen Chromosomen – diese sind nicht lebensfähig und können sich daher nicht zu lebenden Nachkommen entwickeln – entfernten die abnormalen Chromosomen und setzten die DNA jener Stammzellen ein, die sie vermehren wollten. Einem Bericht der American Society for Reproductive Medicine/Society for Assisted Reproductive Technology Registry aus dem Jahr 2000 zufolge sind in Kliniken für In-Vitro-Fertilisations schätzungsweise 3-5% der menschlichen Zygoten Träger solcher Anomalien und werden üblicherweise entsorgt 5. Die Studie zeigt erstmals auf, wie diese unbrauchbaren Zygoten – ihre Zahl geht in die Zehntausende – zu einem grossen Vorrat an Stammzellen führen könnten. Da die Chromosomenstörungen der Embryos mit Leben nicht vereinbar sind, würde dieser Ansatz kein potentielles Leben zerstören. Ausserdem wäre das genetische Material in den entstandenen Stammzellen nicht das der ursprünglichen Spender. Die Technik könnte eine ethisch annehmbare Möglichkeit zur serienmässigen Entwicklung von Stammzellen für die Erforschung vieler Erbkrankheiten des Menschen darstellen 6. Nicht alle neuralen Stammzellen sind gleich Um die therapeutischen Möglichkeiten von neuralen Stammzellen nutzbar zu machen muss man jene Faktoren, genau verstehen, die ihre Entwicklung steuern. Es wird allgemein angenommen, dass neurale Stammzellen mit einem einheitlichen Potential ihr Leben beginnen und theoretisch auf beinahe jeden Entwicklungsweg gebracht werden können. Diese Annahme gründet jedoch auf Forschungsarbeiten mit Zellkulturen; über das Verhalten von Stammzellen im Gehirn ist weniger bekannt. Eine am 20. Juli in Science veröffentlichte Studie zeigt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten einer Stammzelle abhängig von ihrer Lokalisation eingeschränkt sind 7. 92 Arturo Alvarez-Buylla und Mitarbeitende von der University of California in San Francisco verfolgten bei ihrer Arbeit mit neugeborenen und adulten Mäusen die Vermehrung einer kleinen Gruppe von Stammzellen. Dabei wurden ausgewählte Stammzellen dauerhaft mit einem grün fluoreszierendem Protein markiert. Das Team verfolgte den Verbleib von Stammzellen aus 15 verschiedenen Orten einer grossen „zellbildenden“ Hirnregion von adulten Tieren, in der auch nach der Geburt noch Neuronen und andere Hirnzellen generiert werden. Stammzellen und Neurogenese Zwar brachten alle dieser Orte reife, grün markierte Nervenzellen hervor, doch unterschied sich die Art der entstandenen Neuronen je nach ihrem Herkunftsort. Ausserdem erwiesen sich die Stammzellen gegenüber Veränderungen ihrer Umgebung als erstaunlich widerstandsfähig. Selbst wenn man sie aus dem Gehirn entfernte und mit den verschiedensten Wachstumsfaktoren in Zellkulturen züchtete – oder wenn man sie an unterschiedlichen Orten der zellbildenden Region anderer Tiere implantierte – stets gingen aus den Stammzellen Neuronen oder andere Hirnzellen hervor, und die gebildeten Neuronen waren wiederum für ihren Herkunftsort spezifisch. Der Befund lässt darauf schliessen, dass Stammzellen zwar wirklich vielseitig sind, dass aber eine einzelne Stammzelle nur Neuronenarten hervorbringen kann, die auf einen bestimmten Hirnbereich zugeschnitten sind und dass sie nicht leicht eine neue Identität annimmt, wenn man sie an einen anderen Ort verpflanzt. Diese regionale Spezifizität könnte den therapeutischen Nutzen einer bestimmten Population von Stammzellen einschränken. Stammzellen schützen Neuronen bei ALS Üblicherweise werden Stammzellen dafür gepriesen, dass sie einen gesunden Ersatz für jene Zellen produzieren können, die durch eine degenerative Erkrankung absterben. Sie können aber auch verwendet werden, um geschädigte Neuronen mit therapeutischen Substanzen zu versorgen. Clive Svendsen und Mitarbeitende von der University of Wisconsin, Madison, manipulierten Stammzellen so, dass diese den Wachstumsfaktor GDNF (glial-derived neurotrophic factor) freisetzten, eine Substanz, die Neuronen nährt und schützt. Wie sie in der Ausgabe vom 31. Juli in PLoS One, der Online-Zeitschrift der Public Library of Science berichteten, implantierten sie GDNF sezernierende Stammzellen ins Rückenmark von Ratten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS, oder Lou-GehrigSyndrom), bei der Motoneuronen geschädigt werden 8. Die Transplantate etablierten sich und waren in der Lage, bei Ratten in einer frühen Krankheitsphase praktisch alle geschädigten Neuronen zu schützen. Die manipulierten Zellen zeigten eine hohe Affinität zu den geschädigten Neuronen, bewegten sich direkt in die verletzten Bereiche und gaben dort GDNF ab. Das Verfahren stellte jedoch die Kommunikation zwischen Motoneuronen und Muskeln nicht wieder her und es verbesserte auch die Fähigkeit der 93 Clive Svendsen und Mitarbeitende von der University of Wisconsin, Madison, haben Stammzellen hergestellt, die den Wachstumsfaktor GDNF (glial-derived neurotrophic factor) freisetzten. Implantate solcher Zellen erhielten bei Ratten im Frühstadium von ALS die geschädigten Motoneuronen am Leben. Ratten nicht, ihre Glieder zu gebrauchen; als Behandlung der ALS würde sich seine Aufgabe darauf beschränken, die Neuronen am Leben zu erhalten. Dennoch zeigt dieser Ansatz eine weniger bekannte Verwendung von Stammzellen auf, die zur Behandlung vieler Krankheiten nützlich sein könnte. Stammzellen dafür einzusetzen, dass sie an geschädigte Orte im Gehirn wandern, wird derzeit als gezielte Behandlungsmöglichkeit von Hirntumoren erforscht. Leistungsfähige neue Mittel zur Erforschung von Krankheiten Zwei Teams verwendeten Stammzellen zur Erforschung der Amyotrophen Lateralsklerose und fanden einen entscheidenden Hinweis im Zusammenhang mit dieser geheimnisvollen Krankheit. Mehr als 90% der Fälle treten vereinzelt auf, d. h. die Krankheit kam in der Familie der Betroffenen nie vor. Dennoch wurde bei einigen Personen ein mutiertes Gen, welches für das Enzym Superoxid Dismutase-1 (SOD1) kodiert, als eine Krankheitsursache identifiziert. 94 Auf welche Weise das mutierte Gen Motoneuronen schädigt, weiss man nicht. Unklar ist insbesondere, ob das geschädigte Gen die Funktion von Motoneuronen direkt beeinflusst oder ob andere Zellen daran beteiligt sind. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sogar bei gesunden Motoneuronen typische Merkmale von ALS auftreten, wenn man sie zusammen mit nicht neuronalen Zellen züchtet, die Träger dieser Mutation sind. Dennoch führten Astrozyten mit dieser Mutation zum Tod von Motoneuronen, und dies geschah über denselben degenerativen Prozess wie im Falle von ALS. Ausserdem erkannte das Team, dass die Astrozyten eine schädigende Wirkung entfalten, indem sie eine Substanz freisetzen, die selektiv für Motoneuronen toxisch ist – dies im Gegensatz zu unschädlichen Substanzen, die von anderen Arten von Helferzellen, etwa der Glia, freigesetzt werden. Stammzellen und Neurogenese Diese neuen Studien, die beide in der Mai-Ausgabe von Nature Neuroscience publiziert wurden, deuten darauf hin, dass die Astrozyten, sternförmige Zellen, die im Gehirn viele Schutzfunktionen wahrnehmen, dafür verantwortlich sind. Forschende unter der Leitung von Serge Przedborski an der Columbia University arbeiteten sowohl mit Motoneuronen, die Mäuseembryos direkt entnommen worden waren, als auch mit Neuronen, die aus embryonalen Stammzellen von Mäusen stammten; in ihrer ersten Studie stellten sie fest, dass Motoneuronen, welche Träger der menschlichen SOD-Mutation waren, zwar einige Anomalien erkennen liessen, aber keine Neurodegeneration 9. Die zweite Studie wurde von Kevin Eggan und Mitarbeitenden an der Harvard University und der Universität Perugia durchgeführt; sie verwendeten embryonale Stammzellen von Mäusen, um dieselbe Frage anhand eines Modells zu untersuchen 10. Die Forschenden benutzten Stammzellen von speziell gezüchteten Mäusen, die entweder über das normale menschliche SOD-Gen oder über die mutierte Version verfügten, und liessen sie zu einer grossen Menge von Motoneuronen differenzieren. Die mutierten Zellen durchliefen die charakteristischen Krankheitsschritte, was zum Tod der Motoneuronen führte; demnach dürfte der Stammzellen-Ansatz langfristig ein erfolgreiches Forschungsmodell der ALS darstellen. Ausserdem zeigte sich sowohl bei den normalen wie auch bei den mutierten Motoneuronen Anzeichen einer Neurodegeneration, wenn sie zusammen mit SOD-mutierten Helferzellen in Kulturen gezüchtet wurden. Indem beide Befunde aufzeigen, dass ALS auf Faktoren beruhen könnte, die, wie z. B. Astrozyten, eigentlich nicht zu den Motoneuronen gehören, diese jedoch beeinflussen, eröffnen sie neue Behandlungsmöglichkeiten. Sie machen auch deutlich, dass Stammzellen ein leistungsfähiges Mittel sein könnten, um den Verlauf dieser Krankheit zu untersuchen – die Arbeit der letztgenannten Studie stellt sogar eine auf Zellen beruhende Screening-Methode zur Suche nach potentiellen neuen Medikamenten bereit. 95 Denken und Erinnern Beta-Amyloid und Alzheimer-Krankheit 98 Genvarianten 100 Andere Ansatzpunkte für eine Behandlung 101 Die Alzheimer-Krankheit vorhersagen 103 Erinnerung und Vorstellung 104 97 W as das Verständnis und die Behandlung degenerativer Erkrankungen des Nervensystems, einschliesslich der Alzheimer-Krankheit, anbelangt, bearbeitete die Forschung im Jahr 2007 Neuland. Daraus ergaben sich auch neue Erkenntnisse über die Art und Weise, wie das Gehirn Erinnerungen an Vergangenes für Zukunftspläne einsetzt. Bisher wurde noch keine Behandlung gefunden, die nachweislich den Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu beeinflussen vermag, doch sind die Forschenden an verschiedenen Fronten so nahe dran, dass deren Kombination die Behandlung und möglicherweise sogar die Prävention der Alzheimer-Krankheit verbessern könnte. Dem Protein Beta-Amyloid gilt dabei ein besonderes Augenmerk, doch richtet sich die Forschung weiterhin auch auf andere Ziele. Beta-Amyloid und Alzheimer-Krankheit Einige der Forschungsfortschritte betreffen die aus Beta-Amyloid Protein bestehenden Plaques und Fibrillen, die sich im Gehirn von Alzheimer-Kranken bilden. Plaques entstehen in Zwischenräumen zwischen Hirnzellen, und Fibrillen entwickeln sich innerhalb von Hirnzellen, doch wird angenommen, dass die Schädigung der Neuronen und die Beeinträchtigung von Hirnfunktionen bereits erfolgen bevor diese Strukturen sichtbar werden. Die Ergebnisse verschiedener Studien mit synthetischen Beta-Amyloid Peptiden, an Zellkultur-Modellen, transgenen Mäusen (die aufgrund genetischer Veränderungen menschliche DNA enthielten) sowie am menschlichen Gehirn weisen alle in dieselbe Richtung: Demnach wirkt die fortschreitende Ansammlung von Beta-Amyloid längst zelltoxisch bevor sich sichtbare Plaques und Fibrillen bilden. Die Untereinheiten oder Bausteine des Beta-Amyloid Proteins waren im Jahr 2007 Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten. Ein von Lennart Mucke an der University of California, San Francisco, geleitetes Team untersuchte transgene Mäuse, die über grosse Mengen von Beta-Amyloid Untereinheiten im Gehirn verfügten; diese Tiere zeigen viele Alzheimer-Symptome, unter anderem auch kognitive Einbussen 1. 98 Die Häufigkeit nicht konvulsiver Anfallstätigkeit im Hippokampus und im Kortex, d. h. in Strukturen, die bekanntlich für das Gedächtnis wichtig sind, war hoch. In diesen Hirnregionen bewirken Beta-Amyloid Denken und Erinnern ADDL sind toxische Proteine, die im Gehirn und im Liquor von Alzheimerkranken entstehen und die für das Gedächtnis verantwortlichen Synapsen einer Hirnzelle angreifen. Im Jahr 2007 haben Forschende die Auswirkung von ADDL untersucht. Untereinheiten, dass sich die Impulsrate in gewissen erregenden neuronalen Schaltkreisen erhöht. Als Reaktion darauf organisieren sich hemmende Schaltkreise neu und in der Folge davon nimmt die Impulsrate der Nervenzellen in den erregenden Schaltkreisen ab. Das Team folgerte daraus, dass die mit der Alzheimer-Krankheit verbundenen kognitiven Einbussen möglicherweise auf die Kombination von übermässiger neuronaler Aktivität infolge der Beta-Amyloid Untereinheiten einerseits und der darauf folgenden Reorganisation der hemmenden Schaltkreise anderseits zurückzuführen sind. Die Reorganisation könnte die Tätigkeit der erregenden Schaltkreise verringern. Mucke nimmt an, dass eine therapeutisch hervorgerufene Blockade der durch Beta-Amyloid ausgelösten Übererregung von Neuronen sowohl die Aktivierung der hemmenden Bahnen als auch die nachfolgende Reorganisation und die sich daraus ergebenden kognitiven Beeinträchtigungen verhindern könnte. Andernorts erforschte ein von William Klein geleitetes Team der Northwestern University den Einfluss der von Beta-Amyloid gesteuerten Untereinheiten, der so genannten ADDL, auf den Aufbau, die Struktur und die Menge der Synapsen 2. Diese Moleküle entstehen im Gehirn und im Liquor. Sie binden an Synapsen und stören deren Plastizität, d. h. die Fähigkeit der Synapse sich zu verändern. Schliesslich degeneriert die Synapse und verursacht den im Anfangsstadium der Alzheimer-Krankheit auftretenden Gedächtnisverlust. 99 Klein und sein Team untersuchten dendritische Dornen, d. h. Auswüchse auf den schmaleren, verästelten Fortsätzen von Neuronen. Bei den meisten Neuronen leiten Dendriten Impulse zum Nervenzellkörper. Klein und seine Mitarbeitenden züchteten Neuronen aus dem Hippokampus und stellten fest, dass ADDL an dendritische Dornen von bestimmten Typen von Nervenzellen binden und bewirken, dass die Zahl gewisser, für das Gedächtnis bedeutsamer Rezeptoren zunimmt. Eine fortgesetzte Exposition führt zu einer abnorm langen, dünnen Form dendritischer Dornen, und schliesslich zur Reduktion ihrer Anzahl. Als Folge davon gehen die Synapsen zugrunde. Wie die Gruppe berichtete, konnte das Anti-Alzheimer-Medikament Namenda beide Veränderungen verhindern. In einer verwandten Studie wies ein Team unter der Leitung von Bernardo Sabatini in Harvard nach, dass Untereinheiten von Proteinen, die von BetaAmyloid stammen, den fortschreitenden Verlust von Synapsen in Zellen des Hippokampus hervorriefen – dies allerdings nur, wenn diese Untereinheiten aus zwei oder drei Molekülen zusammengesetzt waren, nicht aber, wenn sie aus einem einzigen Molekül bestanden 3. Nachdem sie den kleinen, löslichen Molekülen ausgesetzt worden waren, nahmen die Dichte der Dornen auf den Dendriten und die Zahl der aktiven Synapsen von pyramidenförmigen Neuronen ab. Beta-Amyloid-spezifische Antikörper wirkten dem Verlust der Dornen ebenso entgegen wie eine Substanz, die verhinderte, dass sich die kleinen Moleküle zu grösseren Einheiten zusammenschlossen. Sabatini schloss daraus, dass kleine, lösliche Untereinheiten von Beta-Amyloid den Verlust von Synapsen auslösen. Die genaue molekulare Struktur dieser löslichen, diffusionsfähigen Untereinheiten, die sich zu sichtbaren Plaques und Fibrillen zusammenfügen, wird weiter erforscht. Nichtsdestotrotz beginnt man bereits Therapien zu entwickeln und zu testen, welche die Bildung dieser Untereinheiten verhindern sollen. Ziel solcher Behandlungen ist es, das Zugrundegehen neuronaler Schaltkreise zu verlangsamen oder sogar zu stoppen, noch bevor Symptome der Alzheimer-Krankheit auftreten 4. Genvarianten 100 Beta-Amyloid wird in verschiedenen Bereichen der Zelle aus dem Amyloid-Vorläufer-Protein (amyloid precursor protein; APP) gebildet. Ein Denken und Erinnern wichtiger Schritt bei der Herstellung von Beta-Amyloid erfolgt während des Wiedereintritts und der Wiederaufbereitung von APP, wenn es von der Zelloberfläche über eine bestimmte Bahn ins Innere der Zelle gelangt. Ein grosses internationales Forschungsteam unter der Leitung von Peter St. George-Hyslop von der University of Toronto kam zum Schluss, dass sich ererbte Unterschiede in dieser Bahn sowohl auf die Verarbeitung von APP als auch auf das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, auswirken könnten. Wie sie in Nature Genetics berichteten, hängen ererbte Unterschiede im Gen SORL1 mit der spät beginnenden Alzheimer-Krankheit zusammen 5. Die Varianten kommen in mindestens zwei verschiedenen Clustern von nicht kodierender DNA im SORL1-Gen vor. Möglicherweise steuern diese Cluster, wie SORL1 im Hirngewebe exprimiert wird. Das Team stellte fest, dass APP von SORL1 in Wiederaufbereitungsbahnen gelenkt wird. Wenn es an SORL1 mangelt, gelangt APP in Regionen, in denen sich Beta-Amyloid Proteine bilden. Die Forschenden schlossen daraus, dass ererbte oder erworbene Veränderungen der SORL1-Expression oder -Funktion eine Ursache der Alzheimer-Krankheit darstellen. Andere Ansatzpunkte für eine Behandlung Beta-Amyloid Proteine sind nicht der einzige Ansatzpunkt für mögliche Behandlungen der Alzheimer-Krankheit. Ein weiterer ist das Tau-Protein. Tau ist in normalen Neuronen reichlich vorhanden. In Zusammenarbeit mit dem Protein Tubulin fördert und stabilisiert es Mikrotubuli, jene hohlen, zylinderförmigen Strukturen in Zellen, welche die Zelle stützen und durch die Material befördert wird. Allerdings können gewisse abnorme Formen von Tau den Aufbau der Neurofibrillen und Fasern bewirken, die man in den Neuronen von Alzheimer-Kranken findet. Forschende gehen nun der Frage nach, ob auf Tau gerichtete Behandlungen die durch Beta-Amyloid hervorgerufenen kognitiven Einbussen verhindern können. Ein von Eric Roberson am Gladstone Institute of Neurological Disease in San Francisco geleitetes Team untersuchte diese Frage anhand von transgenen Mäusen. Die Mäuse waren so verändert worden, dass sie hohe Konzentrationen des Amyloid-Vorläufer-Proteins exprimierten. Ihre 101 Lernfähigkeit und ihr Gedächtnis wurden in einem Wasserlabyrinth getestet. Roberson stellte fest, dass eine Reduktion der Tau-Level bewirkte, dass Mäuse selbst bei hohen Beta-Amyloid-Spiegeln noch lernen konnten, sich im Labyrinth zurechtzufinden. Eine weitere mögliche Therapie stützt sich auf das Peptid NAP, das erwiesenermassen vor dem durch Beta-Amyloid hervorgerufenen Untergang von Neuronen schützt. Ausserdem beobachtete Roberson, dass eine Reduktion von Tau sowohl transgene als auch nicht transgene Mäuse vor der so genannten Exzitotoxizität schützte; diese tritt auf, wenn eine bestimmte Aminosäure im Gehirn eine für Neuronen toxische Wirkung entfaltet. Die in Science publizierte Studie kam zum Schluss, dass eine Reduktion von Tau sowohl Beta-Amyloid als auch eine exzitotoxische Störung von Neuronen zu hemmen vermag 6. Somit könnte die Tau-Reduktion eine wirksame Strategie zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit und verwandter Störungen darstellen. Eine weitere mögliche Therapie stützt sich auf das Peptid NAP, das erwiesenermassen vor dem durch Beta-Amyloid hervorgerufenen Untergang von Neuronen schützt. NAP scheint zu verhindern, dass sich aus BetaAmyloid Plaques und Fibrillen bilden. Ausserdem bindet es an Tubulin und verhindert dadurch die mit der Alzheimer-Krankheit verbundene Schädigung der Mikrotubuli. Paul Aisen und sein Forschungsteam an der Georgetown University untersuchten transgene Mäuse, die beide Merkmale der Alzheimer-Krankheit aufwiesen: eine Anhäufung von Beta-Amyloid und die mit einer Fehlfunktion der Mikrotubuli verbundenen modifizierten Formen von Tau. Als die Tiere neun Monate alt waren, erhielten sie – noch vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen – während dreier Monate täglich eine Dosis NAP. Im Journal of Molecular Neuroscience berichtete das Team, die Behandlung hätte den Spiegel von Beta-Amyloid im Gehirn der Tiere entscheidend gesenkt 7. NAP setzte auch die Konzentration von abnormalem Tau herab. Die Forschenden schliessen daraus, dass NAP eine viel versprechende Behandlung der Alzheimer-Krankheit sein könnte. 102 Unterdessen untersuchten Forschende am Massachusetts Institute of Technology Mäuse, bei denen sie den kurzfristigen und örtlich begrenzten Das Team untersuchte das im Hirngewebe der Mäuse vorhandene genetische Material. Dabei interessierte es sich vor allem für die Histon-Enden des Chromatins jenen Komplex von DNA und Proteinen, aus denen die Chromosomen bestehen. Chromatinstränge enthalten Histone, einen Proteintyp, um den DNA gewickelt ist. Die Arme oder Enden der Chromatinfasern bestehen vor allem aus Histonen. Denken und Erinnern Untergang von Neuronen nachprüfen konnten. Einige der Mäuse wurden in einer „angereicherten Umgebung“ gehalten – ihre Käfige enthielten Laufräder, Spielsachen, Tunnels und Klettervorrichtungen. In dieser angereicherten Umgebung gewannen die Mäuse selbst nach einer Hirnatrophie und dem Untergang von Neuronen ihr Lernverhalten zurück und konnten wieder auf ihr Langzeitgedächtnis zurückgreifen. Die Forschenden stellten fest, dass es in einer angereicherten Umgebung zu chemischen Veränderungen in diesen Histon-Armen kam. Wenn dieselben Veränderungen durch eine Substanz ausgelöst wurde, welche die Aktivität des verwandten Enzyms HDAC hemmt, dann sprossen Dendriten aus, stieg die Zahl der Synapsen an und besserten sich das Lernverhalten sowie der Zugriff zum Langzeitgedächtnis. Die Forschenden kamen in ihrem Artikel in Nature vom 10. Mai zum Schluss, dass Substanzen, die dieses Enzym hemmen, die Behandlung der Alzheimer-Krankheit und anderer Formen von Demenz unterstützen könnten 8. Andere Forschende untersuchen die Tätigkeit von HDAC-Inhibitoren. Verändern sie die Expression vieler Gene und beeinflussen sie Gedächtnisvorgänge ganz allgemein? Oder ist ihre Wirkung spezifisch? Eine Studie stellte zwei spezifische Auswirkungen fest. Die eine bezieht sich auf das Protein CREB, das innerhalb der Neuronen gebildet wird und bekanntlich für den Aufbau des Gedächtnisses von Bedeutung ist. Inhibitoren beeinflussen ausserdem die Expression mehrerer einzelner Gene während der Konsolidierung des Gedächtnisses 9. Die Alzheimer-Krankheit vorhersagen Ein von David Holtzman an der Washington University in Saint Louis geleitetes Team berichtete im März 2007 in Archives of Neurology, die Verhältniszahlen bestimmter Typen von Beta-Amyloid und Tau gäben bei Personen mit normalen kognitiven Fähigkeiten darüber Aufschluss, ob im Gehirn amyloide Ablagerungen vorhanden sind, welche die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Demenz erhöhen. 103 Die Forschenden analysierten den Liquor und das Blut von 139 Freiwilligen im Alter zwischen 60 und 91 Jahren, die als kognitiv gesund, bzw. als an einer sehr milden oder moderaten Demenz leidend diagnostiziert worden waren 10. Das Team berichtete, dass im Liquor von Personen mit sehr milder oder moderater Alzheimer-Krankheit ein bestimmter Typ von BetaAmyloid weniger und Tau mehr vorhanden war als bei gesunden Kontrollpersonen. Die Konzentration dieses Typs von Beta-Amyloid erlaubte eine Aussage über das Vorhandensein von Amyloid im Gehirn von Personen mit und ohne Demenz. Erinnerung und Vorstellung Ebenfalls im Jahr 2007 untersuchte eine zunehmende Zahl von Forschungsgruppen die Beziehung zwischen der Erinnerung an Vergangenes und der Vorstellung von Zukünftigem. Personen, mit einer Schädigung des Hippokampus haben Mühe, sich an vergangene Ereignisse zu erinnern und sich künftige Szenarien vorzustellen. Schizophrenie-Kranke erinnern sich ebenfalls weniger an spezifische vergangene Ereignisse und stellen sich eine kleinere Zahl von spezifischen zukünftigen Ereignissen vor als Gesunde, berichtete Arnaud D’Argembeau von der belgischen Universität in Liège. Die Forschungsarbeit ist im Journal of Abnormal Psychology beschrieben 11. Der Verlust des episodischen Gedächtnisses führt unter anderem dazu, dass es älteren Erwachsenen manchmal schwer fällt, Informationen einzuordnen und Elemente miteinander in Beziehung zu bringen. Eine Harvard-Studie, über die in Psychological Science berichtet wurde, kam zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Forschungsteam untersuchte das episodische Gedächtnis von gesunden, älteren Erwachsenen und von College-Studierenden. Das episodische Gedächtnis ist bedeutsam, da es uns die Erinnerung an persönliche Erlebnisse ermöglicht, die in einzigartiger Weise unser individuelles Leben ausmachen. Dank ihm können wir uns in der subjektiven Zeit sowohl rückwärts als auch vorwärts entwerfen. 104 Wenn das Team die Freiwilligen aufforderte, sich vergangene und künftige Ereignisse vorzustellen, fielen den älteren Erwachsenen zu vergangenen Ereignissen weniger episodenspezifische Einzelheiten ein als den jüngeren Erwachsenen. Dasselbe galt für künftige Ereignisse: Vorgestellte Ereignisse enthielten weniger episodische Informationen 12. Der Verlust des episodischen Gedächtnisses führt unter anderem dazu, dass es älteren Erwachsenen manchmal schwer fällt, Informationen einzuordnen und Elemente miteinander in Beziehung zu bringen. Denken und Erinnern Studien mit bildgebenden Verfahren belegen, dass die Erinnerung an Vergangenes und die Vorstellung von Künftigem auf denselben Hirnbereichen beruhen. In einer Studie wurden 21 Freiwillige im Alter zwischen 18 und 32 Jahren einer Magnetresonanzbildgebung unterzogen, während sie sich als Reaktion auf entsprechende Stichworte an vergangene Ereignisse erinnerten und sich künftige vorstellten 13. Die Aufnahmen liessen eine erstaunliche Überschneidung der mit vergangenen und künftigen Ereignissen verbundenen Aktivität erkennen: Bei der Erinnerung an Vergangenes und der Vorstellung von Künftigem handelt es sich um Vorgänge, die mit einem zentralen Bereich des Gehirns zusammenhängen, der sowohl die Bereiche des präfrontalen und medialen Schläfenlappens als auch die posterioren Bereiche (einschliesslich des Precuneus und des Cortex retrosplenialis) umfasst; diese werden übereinstimmend als Komponenten des Erinnerungs-Abruf-Netzwerks des Gehirns angesehen. Ergebnisse dieser Art führten zum Konzept des „prospektiven Gedächtnisses“, d. h. zur Annahme, das Gehirn verwende gespeicherte Informationen dazu, sich mögliche künftige Ereignisse vorzustellen, sie zu simulieren und vorherzusagen. Dieses Konzept bietet eine neue Denkweise und neue Untersuchungsmöglichkeiten in Bezug auf das Gedächtnis – so die Harvard-Psychologen und -Psychologinnen Daniel Schacter, Donna Rose Addis und Randy Buckner 14. Es geht von der Annahme aus, dass sowohl die Erinnerung als auch die Vorstellung auf gemeinsame Netzwerke zurückgreifen, um gespeicherte Informationen abzurufen. Sich etwas vorstellen verlangt jedoch, dass man einzelne Inhalte auf eine neue Weise kombiniert; dies beansprucht zusätzliche Hirnbereiche. Diese Überlappung könnte erklären, weshalb das Abrufen nicht eine perfekte Erinnerung des Vergangenen sondern einen konstruktiven Vorgang darstellt. Die Fähigkeit, im Gedächtnis gespeicherte Informationen neu zu organisieren und umzuformen, kann für die Zukunftsplanung entscheidend sein, meinen Schacter, Addis und Buckner. 105 Referenzen Einleitung 1 Echegoyen J, Neu A, Graber KD, and Soltesz I. 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Intranasal NAP administration reduces accumulation of amyloid peptide and tau hyperphosphorylation in a transgenic mouse model of Alzheimer’s disease at early pathological stage. Journal of Molecular Neuroscience. 2007 31(2):165-170. 8 Fischer A, Sananbenesi F, Wang X, Dobbin M, and Tsai L-H. Recovery of learning and memory is associated with chromatin remodelling. Nature. 2007 447:178-182. 9 Vecsey CG, Hawk JD, Lattal KM, Stein JM, Fabian SA, Attner MA, Cabrera SM, McDonough CB, Brindle PK, Abel T, and Wood MA. Histone deacetylase inhibitors enhance memory and synaptic plasticity via CREB: CBP-dependent transcriptional activation. Journal of Neuroscience. 2007 27(23): 6128-6140. 10 Fagan AM, Roe CM, Xiong C, Mintun MA, Morris JC, and Holtzman DM. Cerebrospinal fluid tau/β-amyloid42 ratio as a prediction of cognitive decline in nondemented older adults. Archives of Neurology. 2007 64(3):343-349. 11 D’Argembeau A, Raffard S, and Van der Linden M. Remembering the past and imagining the future in schizophrenia. Journal of Abnormal Psychology (in press for December 2007 or January 2008). 12 Addis DR, Wong AT, and Schacter DL. Age-related changes in the episodic simulation of future events. Psychological Science (in press for January 2008). Prepublication copy available at http://www.wjh.harvard.edu/∼dsweb/pdfs/inpress_DRA_ATW_DLS.pdf 13 Szpunar KK, Watson JM, and McDermott KB. Neural substrates of envisioning the future. Proceedings of the National Academy of Sciences USA. 2007 104(2):642-647. 14 Schacter DL, Addis DR, and Buckner RL. Remembering the past to imagine the future: The prospective brain. Nature Reviews Neuroscience. 2007 8(9):657-661. Abbildungen / Fotos S. 5: Photo courtesy of Mike Lovett S. 11: Photo courtesy of Michael S. Gazzaniga S. 17: Above photo courtesy of Mahlon R. DeLong, MD Down photo courtesy of Thomas Wichmann, MD S. 25: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 28: Image courtesy of Philip Shaw / NIH S. 29: Photo courtesy of Adrian Bird, University of Edinburgh S. 30: Image courtesy of Adrian Bird, University of Edinburgh S. 33: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 35: Image courtesy of Cynthia McMurray S. 39: Photo courtesy of New York Presbyterian / Weill Cornell Medical College S. 41: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 45: Photo courtesy of Rakesh Jain S. 46: Image courtesy of Rakesh Jain S. 49: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 51: Photo courtesy of Judy Illes S. 57: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 59: Photo courtesy of Affymetrix S. 60: Image courtesy of Affymetrix S. 65: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 68: Photo courtesy of Bryan Hains, Yale University S. 71: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 73: Photo courtesy of School of Engineering, Stanford University S. 74: Image courtesy of Helen Mayberg S. 81: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 83: Image courtesy of Clifford B. Saper S. 86: Image courtesy of Dale Purvis S. 89: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 94: Photo courtesy of Clive Svendsen S. 97: Illustration by Jennifer E. Fairman S. 99: Image courtesy of William Klein 115 Stelle Dir eine Welt vor . . . … in der Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Lou Gehrig (ALS) sowie Retinitis pigmentosa und andere Ursachen von Erblindung jeweils in einem frühen Stadium erkannt und umgehend mit Medikamenten behandelt werden, die eine Verschlimmerung, noch vor dem Auftreten schwerwiegender Schädigungen verhindern. … in der die genetischen Bahnen und die umweltbedingten Auslöser, die Menschen für Geisteskrankheiten disponieren, bekannt sind, so dass entsprechende diagnostische Tests und zielgerichtete Therapien – einschliesslich Medikamente, Beratung und vorbeugende Eingriffe – in grossem Umfang zur Verfügung stehen und umfassend angewendet werden. … in der neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns dazu verwendet werden, die entscheidenden Vorteile des Lernens in den ersten Lebensjahren zu fördern und mit dem Altern zusammenhängende Krankheiten zu bekämpfen. … in der Rückenmarksverletzungen nicht länger zu lebenslänglichen Lähmungen führen, da das Nervensystem dazu gebracht werden kann, Nervenschaltkreise neu zu gestalten und die Bewegung der Muskeln wieder herzustellen. … in der Drogenabhängigkeit und Alkoholismus das Leben von Menschen nicht länger im Griff haben, da leicht zugängliche Behandlungen jene Veränderungen im Gehirn beeinflussen können, die für das Absetzen von Abhängigkeit erzeugenden Substanzen verantwortlich sind, aber auch Sucht und Verlangen hervorrufen können. … in der das tägliche Leben der Menschen 118 nicht mehr von depressiven Episoden oder Angstattacken beeinträchtigt wird, da wirksamere Medikamente zur Behandlung dieser Krankheiten verfügbar werden. Es mag zwar vielen unrealistisch und utopisch vorkommen, aber wir dürfen festhalten, dass wir gegenwärtig in einer ausserordentlich aufregenden Zeit der Geschichte der Neurowissenschaft leben. Die im vergangenen Jahrzehnt erfolgten Fortschritte in der Forschung haben uns weiter gebracht als wir gehofft hatten. Wir verstehen die grundlegenden Mechanismen der Hirntätigkeit wesentlich besser und sind nun an dem Punkt angelangt, an dem wir diese Erkenntnisse für therapeutische Zwecke fruchtbar machen können. Wir haben bereits angefangen, Strategien, neue Techniken und Behandlungsformen zur Bekämpfung einer ganzen Reihe neurologischer Krankheiten und Störungen zu entwickeln. Indem wir Therapieziele festlegen und unser Wissen anwenden, werden wir wirksame Behandlungen und in einigen Fällen wohl auch Heilmethoden entwickeln. Bei allem, was wir in letzter Zeit im Bereich der Neurowissenschaft gelernt haben, erkennen wir immer deutlicher, wie vieles wir nicht wissen. Dadurch wird es immer dringlicher, dass wir die Grundlagenforschung vorantreiben, die sich mit der weiterreichenden Frage, wie lebende Organismen überhaupt funktionieren, befasst. Dies wird dazu beitragen, jene komplexen Fragestellungen anzugehen, welche zu wissenschaftlichen Entdeckungen führen. Die koordinierte Arbeit von Tausenden, die in den verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung wissenschaftlich tätig sind, hat uns eine grosse Menge an Informationen gebracht; sie umfassen so unterschiedliche Gebiete wie die Strukturanalyse von Molekülen, die gezielte Entwicklung neuer Pharmaka, die Genomforschung, bildgebende Untersuchungen des Gehirns, kognitive Neurowissenschaft und klinische Studien. Dieses ganze Wissen können wir nun breit zur Behandlung neurologischer Krankheiten und Störungen einsetzen. Diese wissenschaftliche Arbeit werden wir auch weiterhin nicht nur individuell und ausgerichtet auf die das eigene spezifische Interessengebiet weiterführen, sondern können, wecken die begründete Hoffnung, dass der Krankheitsverlauf wirkungsvoll behandelt werden kann. Um unsere Aufgabe erfolgreich zu erfüllen, sind wir auch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. Forschende und Laien müssen daher aus den neuen Erkenntnissen der Hirnforschung entstehenden ethischen und sozialen Konsequenzen gemeinsam erörtern. Die optimale Behandlung der ParkinsonKrankheit herausfinden. Medikamente, die auf die Dopaminbahnen des Gehirns einwirken, wurden erfolgreich zur Behandlung der motorischen Störungen der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Leider verliert sich dieser therapeutische Effekt bei vielen Patienten nach 5 bis 10 Jahren. Nun werden neue Medikamente entwickelt; sie sollen die Wirkung der auf Dopamin beruhenden Behandlungen verlängern und den für die Krankheit verantwortlichen selektiven Untergang von Nervenzellen verzögern. Patienten, die auf die medikamentöse Behandlung nicht ansprechen, könnten von chirurgischen Methoden, etwa der tiefen Hirnstimulation, profitieren. Dank neueren Formen der Bildgebung des Gehirns lässt sich feststellen, ob diese Behandlungsformen tatsächlich Nervenzellen vor dem Untergang bewahren und die normalen Schaltkreise wieder herstellen können. Die Dana Alliance for Brain Initiatives und die European Dana Alliance for the Brain ist eine Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern und Neurowissenschaftlerinnen, die sich hochgesteckte Ziele gesetzt haben ; dies zeigte sich bereits im Jahre 1992, als in Cold Spring Harbor, New York, ein Forschungsplan aufgestellt wurde und dann im Jahre 1997, als die neu gebildete europäische Gruppe sich auf ihre eigenen Zielsetzungen verpflichtete. Beide Gruppen sind gegenwärtig daran, ihre konkreten Zielvorstellungen so anzupassen, dass sie die erreichten Fortschritte optimal ausnützen können. Wir stecken uns auch neue Ziele, die uns den Weg zu bald Erreichbarem weisen, und stellen langfristige Pläne auf. Indem wir uns ausmalen, welche positiven Auswirkungen diese neue Ära der Neurowissenschaft voraussichtlich haben wird, beschleunigen wir die auf das Erreichen unserer Ziele ausgerichteten Entwicklungen. Die Ziele Die verheerenden Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit bekämpfen. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zur Ansammlung eines Proteinfragments von Amyloid, welches die Nervenzellen schädigt. Der Mechanismus dieser Ansammlung wurde inzwischen in Tierversuchen biochemisch genetisch untersucht. Aufgrund dieser Tiermodelle werden gegenwärtig therapeutische Substanzen und ein möglicherweise wirksamer Impfstoff entwickelt, die die Anhäufung dieser schädlichen Substanz verhindern oder ihren Abbau beschleunigen sollen. Diese neuen Therapien, die schon bald an Menschen erprobt werden Stelle Dir eine Welt vor ... gemeinsam mit Kollegen aller wissenschaftlichen Bereiche nach Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit suchen. Das Auftreten von Hirnschlag reduzieren und die Therapie des Hirnschlags verbessern. Herzkrankheiten und Hirnschlag treten beträchtlich seltener auf, wenn Leute aufhören zu rauchen, auf einen tiefen Cholesterinspiegel achten, durch Diät und sportliche Betätigung ihr normales Gewicht beibehalten und wenn ein vorhandener Diabetes diagnostiziert und behandelt wird. Wenn ein Hirnschlag aufgetreten ist, können die rasche Erhebung des Befunds und sofortige Behandlung eine erstaunliche Verbesserung mit weniger Folgeerscheinungen bewirken. Neue Behandlungsmethoden, um die akuten Auswirkungen eines Schlaganfalls auf Hirnzellen weiter zu reduzieren, sind im Entwicklungsstadium. Weitere Verbesserungen erwarten wir von neuen Rehabilitationsverfahren, die auf der neuen Erkenntnis von Reorganisationsvorgängen im Gehirn nach Schädigungen beruhen. Erfolgreichere Behandlungen von Gemütskrankheiten entwickeln wie Depression, 119 Schizophrenie, Zwangserkrankung und manisch-depressive Erkrankung. Zwar wurden im letzten Jahrzehnt die für diese Krankheiten verantwortlichen Gene noch nicht gefunden, doch dürfte die Sequenzierung des menschlichen Genoms einige an diesen Krankheiten beteiligte Gene aufdecken. Neue bildgebende Verfahren gepaart mit Erkenntnissen über die Aktivitäten dieser Gene im Gehirn werden erkennen lassen, was bei diesen Erkrankungen des Gemüts und des Denkens in den einzelnen Hirnschaltkreisen schief läuft. Dies wird die Grundlage für eine bessere Diagnose, für eine wirksamere Anwendung der heute zur Verfügung stehenden Medikamente und für die Entwicklung völlig neuartiger therapeutischer Substanzen bilden. Die genetischen und neurobiologischen Ursachen der Epilepsie aufdecken und die Behandlung verbessern. Das Verständnis der genetischen Grundlagen der Epilepsie und der neuralen Vorgänge, die zu Anfällen führen, wird präventive Diagnosen und zielgerichtete Therapien ermöglichen. Die Fortschritte der elektronischen und chirurgischen Therapien lassen wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten erwarten. Neue, wirkungsvolle Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung der Multiplen Sklerose finden. Heute stehen uns erstmals Medikamente zur Verfügung, die erlauben, den Verlauf dieser Krankheit zu beeinflussen. Neue Medikamente, die die Immunreaktion des Körpers verändern, werden Anzahl und Intensität der Schübe der Multiplen Sklerose weiter vermindern. Ausserdem werden wir neue Methoden anwenden, um die langfristige Progression aufzuhalten, die durch den Untergang von Nervenfasern verursacht wird. Bessere Behandlungen bei Hirntumoren entwickeln. Viele Arten von Hirntumoren, vor allem die bösartigen und solche, die durch Ableger einer Krebserkrankung ausserhalb des Gehirns zustande kommen, lassen sich nur 120 schwer behandeln. Bildgebende Verfahren, die Behandlung mit fokussierter Bestrahlung, verschiedene Methoden, um Medikamente in den Tumor zu bringen, und die Bestimmung von genetischen Markern, die zur Diagnose beitragen werden, bilden die Grundlage zur Entwicklung innovativer Therapien. Die Erholung nach traumatischen Hirn- und Rückenmarksverletzungen verbessern. Wir sind dabei, Behandlungsmöglichkeiten zu erproben, die unmittelbar nach einer Verletzung den Umfang des verletzten Gewebes verringern sollen. Andere Wirkstoffe zielen darauf ab, die Schaltkreise der Nervenfasern wiederherzustellen. Techniken zur Förderung der Zellregeneration im Gehirn, um die abgestorbenen und beschädigten Nervenzellen zu ersetzen, werden ausgehend von Tiermodellen schon bald auch an Menschen klinisch erprobt werden. Gegenwärtig werden elektronische Prothesen entwickelt, die die Mikrochip-Technik verwenden, um Nervenschaltkreise zu steuern und dadurch die Bewegungsaktivität gelähmter Gliedmassen wieder zu ermöglichen. Neue Methoden für den Umgang mit Schmerzen entwickeln. Der Schmerz muss heute in der Medizin nicht mehr einfach hingenommen werden. Die Erforschung der Ursachen von Schmerzen sowie der Nervenaktivität, die für ihn verantwortlich ist, wird den Neurowissenschaftlern Mittel in die Hand geben, um wirksamere und zielgerichtete Therapien zur Schmerzbekämpfung zu entwickeln. Die Ursachen der Abhängigkeit auf der Ebene des Gehirns behandeln. Forschende konnten jene Nervenschaltkreise im Gehirn bestimmen, die an der Abhängigkeit aller gängigen Mittel beteiligt sind, und haben die wichtigsten Rezeptoren für diese Wirkstoffe geklont. Neue bildgebenden Verfahren, werden die neurobiologischen Mechanismen feststellen lassen, die ein normales Gehirn in ein abhängiges Gehirn verwandeln, und die Entwicklung von Therapien ermöglichen, um diese Veränderung entweder rückgängig zu machen oder zu kompensieren. Die Strategie Die Entdeckungen der Erforschung des Genoms ausnützen. Die vollständige Sequenz aller Gene, des menschlichen Genoms wird schon bald zur Verfügung stehen. Dies bedeutet, dass wir im Verlauf der nächsten 10 bis 15 Jahre in der Lage sein werden, für jeden Bereich des Gehirns und für jedes Lebensstadium – vom frühen embryonalen Leben an, über die Kindheit, die Adoleszenz bis zum Erwachsenenalter – zu bestimmen, welche Gene aktiv sind. Wir werden feststellen können, welche Gene bei verschiedensten neurologischen und psychiatrischen Krankheiten verändert sind, so dass ihre Proteinprodukte entweder ganz fehlen oder auf eine abnorme Weise funktionieren. Dank dieser Methode ist es bereits möglich, die genetische Grundlage von Krankheiten wie Huntington, spinozerebelläre Ataxie, Muskeldystrophie und fragiles X-Syndrom zu bestimmen. Insgesamt verspricht die Entdeckung von Genen und ihre Anwendung zur klinischen Diagnose die Neurologie und Psychiatrie grundlegend zu verändern und stellt eine der grössten Herausforderungen der Neurowissenschaft dar. Zum Glück verfügen wir über Mikroarrays oder „Gen-Chips“, die diese Entwicklungen sehr beschleunigen und uns sowohl für die Diagnose als auch für die Entwicklung neuer Therapien wirkungsvolle Mittel in die Hand geben. Unser Wissen über die Entwicklung des Gehirns anwenden. Von der Empfängnis bis zum Tod durchläuft das Gehirn ganz bestimmte Entwicklungsstadien mit jeweils unterschiedlicher Anfälligkeit für Schädigungen und Fähigkeit zur Entwicklung, Tendenzen, die entweder gefördert oder gehemmt werden können. Um die Behandlung von Entwicklungsstörungen wie Autismus sowie Aufmerksamkeits- und Lernstörungen zu verbessern, wird die Neurowissenschaft eine detailliertere Darstellung der Hirnentwicklung erarbeiten. Da gewisse Probleme der Hirnentwicklung mit anderen Entwicklungsphasen wie der Adoleszenz oder dem Altern zusammenhängen, wird uns das Verständnis der Veränderungen des Gehirns im Verlauf dieser Perioden neue Therapien ermöglichen. Stelle Dir eine Welt vor ... Die Hirnmechanismen verstehen, die der Reaktion auf Stress, Angst und Depression zugrunde liegen. Geistige Gesundheit ist eine Vorbedingung für eine gute Lebensqualität. Stress, Angst und Depression schaden nicht nur dem Leben der davon betroffenen Personen, sie können auch verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wenn es uns gelingt, die Stressreaktion des Organismus sowie die an Angst und Depression beteiligten Hirnschaltkreise besser zu verstehen, werden wir wirksamere präventive Massnahmen entwickeln können und auch bessere Behandlungsverfahren, um ihre Auswirkungen zu lindern. Das riesige Potential der Plastizität des Gehirns ausnutzen. Wenn wir die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns sich selbst wiederherzustellen und anzupassen – ausnutzen, kann die Neurowissenschaft Behandlungen von degenerativen neurologischen Erkrankungen fördern und Möglichkeiten zur Verbesserung von gesunden und kranken Hirnfunktionen bereitstellen. In den kommenden zehn Jahren werden Zellen therapeutisch ersetzt werden und die Förderung der Neubildung von Zellen wird zu neuen Behandlungen von Hirnschlag, Rückenmarksverletzungen und der Parkinson Krankheit führen. Unser Verständnis des spezifisch Menschlichen vergrössern. Wie funktioniert das Gehirn ? Die Neurowissenschaft ist nun so weit, dass sie die entscheidenden Fragen nicht nur stellt, sondern auch anfängt sie zu beantworten. Welche Mechanismen und grundlegenden Nervenschaltkreise ermöglichen es uns, Erinnerungen zu speichern, aufmerksam zu sein, unsere Emotionen wahrzunehmen und auszudrücken, Entscheidungen zu treffen, Sprache zu gebrauchen und kreativ zu sein ? Die Bemühungen, eine „einheitliche Feldtheorie“ des Gehirns zu entwickeln, werden grosse Möglichkeiten eröffnen, das menschliche Potential zu maximieren. 121 Die Methoden Zellen ersetzen. Ausgewachsene Nervenzelle können sich nicht replizieren, um die durch eine Krankheit oder eine Verletzung verloren gegangenen Zellen zu ersetzen. Methoden, die sich die Fähigkeit der Nervenstammzellen (den Vorläufern von Nervenzellen) zunutze machen, sich zu neuen Nervenzellen zu differenzieren, werden die Behandlung neurologischer Erkrankungen möglicherweise revolutionieren. Die Verpflanzung von Nervenstammzellen, die bisher an Tiermodellen durchgeführt wird, wird schon bald das Stadium von klinischen Studien an Menschen erreichen. Wie die Entwicklung dieser Zellen gesteuert werden kann, wie sie an den richtigen Ort gebracht und veranlasst werden können, die geeigneten Verbindungen zu bilden, sind aktuelle Themen der Forschung. Reparaturmechanismen von Nervenzellen. Dank der dem Nervensystem innewohnenden Fähigkeit der Wiederherstellung – in gewissen Fällen werden neue Nervenzellen regeneriert, in andern die Verkabelung wiederhergestellt – hat das Gehirn die Möglichkeit, sich selbst „wieder in Ordnung zu bringen“. Wenn es uns gelingt, diese Prozesse zu fördern, dürfen wir hoffen, Patienten mit Rückenmarks- oder Kopfverletzungen heilen zu können. Verfahren, um die Degeneration des Nervensystems aufzuhalten oder ihr vorzubeugen. Viele Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Huntington und ALS sind die Folge einer Degeneration spezifischer NervenzellPopulationen in bestimmten Hirnbereichen. Die heutigen Behandlungsmethoden beeinflussen zwar die Symptome einer Krankheit wie Parkinson, nicht aber den fortschreitenden Untergang der Nervenzellen. Techniken, die auf unseren Kenntnissen der Mechanismen des Zelltods aufbauen, werden vermutlich zu Methoden führen, die die Degeneration von Nervenzellen verhindern und damit ein Fortschreiten der Krankheit aufhalten können. Verfahren, um die Expression von Genen 122 im Gehirn zu verändern. Es ist möglich, die Wirkung bestimmter Gene im Gehirn von Versuchstieren entweder zu verstärken oder zu blockieren. Mutierte Gene von Menschen, die neurologische Krankheiten wie Huntington und ALS verursachen, werden bei Versuchstieren eingesetzt, um die Entwicklung neuer Therapien zur Prävention der Neurodegeneration voranzutreiben. Solche Techniken haben uns bereits wertvolle Informationen über normale Vorgänge wie die Entwicklung des Gehirns, Lernen und die Bildung neuer Erinnerungen vermittelt. Diese Techniken bieten uns die Möglichkeit, normale und abnorme Hirnprozesse wesentlich intensiver als je zuvor zu untersuchen; sie werden wohl mit der Zeit auch klinisch zur Behandlung verschiedener Hirnkrankheiten angewendet werden. Verbesserte bildgebende Verfahren. Die Abbildungen sowohl der Hirnstrukturen wie auch der Hirnfunktionen wurden stark verbessert. Dank der Entwicklung von Verfahren, die Hirnfunktionen ebenso rasch und genau abbilden wie sie stattfinden, sind „Echtzeit“-Abbildungen von Hirnfunktionen möglich geworden. Diese Techniken erlauben es den Forschenden genau zu verfolgen, welche Teile des Gehirns am Denken, Lernen und Erleben von Emotionen beteiligt sind. Elektronische Hilfsmittel als Ersatz für nicht funktionstüchtige Hirnbahnen. Mit der Zeit wird es wohl möglich sein, verletzte Hirnbahnen zu umgehen. Wir hoffen, dass die Verwendung von Multielektroden-Implantaten und Mikro-Computer-Vorrichtungen – welche die Aktivität im Gehirn aufzeichnen und in Signale übersetzen, die ans Rückenmark, an die motorischen Nerven oder direkt an die Muskeln weitergeleitet werden – uns so weit bringen wird, dass Verletzte auf die Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit hoffen dürfen. Neuartige Methoden um Heilmittel zu entdecken. Fortschritte der strukturellen Biologie, der Genomforschung und der rechnergestützen Chemie erlauben es Forschenden, neue Pharmaka in einem nie zuvor gekannten Ausmass hervorzubringen, von welchen viele in Unsere Verpflichtung : Vom Labor zum Krankenbett Die heutige neurowissenschaftliche Forschung profitiert von einem nie dagewesenen Ausmass an Möglichkeiten. Unser Verständnis der Funktionsweise des Gehirns, vom Beginn und der Progredienz von Krankheiten hat zugenommen. Ein ausgeklügeltes Arsenal von Hilfsmitteln erlaubt es uns, unser Wissen anzuwenden und die Fortschritte der Hirnforschung zu beschleunigen. Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind wir verpflichtet, am Laborplatz auch weiterhin Fortschritte zu erzielen. Zur Bekämpfung der schweren Hirnkrankheiten wie Alzheimer-Krankheit, Hirnschlag oder Parkinson-Krankheit ist es notwendig, die Grundlagenforschung kontinuierlich weiterzuführen, so dass Kliniker auf ihr aufbauen und neue Behandlungsmethoden und Therapien entwickeln können. Es ist unsere Verantwortung, die Forschungsarbeiten fortzusetzen und zu versuchen, die Unterstützung der Öffentlichkeit zu erlangen. Ausserdem ist es unsere Pflicht, jene Bereiche der wissenschaftlichen Forschung verständlich zu machen, die schon bald konkrete Anwendungsmöglichkeiten für den Menschen bieten könnten. Um über das Laboratorium hinaus Fortschritte zu erzielen, müssen wir die nächsten klinischen Schritte partnerschaftlich mit der Öffentlichkeit zusammen unternehmen – es gilt also, die wissenschaftlichen Erkenntnisse fruchtbar zu machen, um aus ihnen wirkliche und echte Fortschritte „am Krankenbett“ zu erzielen. Da unsere Methoden und Techniken immer raffinierter werden, können sie, wenn man den möglichen Missbrauch ins Auge fasst, auch als bedrohlich empfunden werden. Es ist wichtig, dass wir die verständlichen Ängste wahrnehmen, die Hirnforschung könnte zu Möglichkeiten führen, die zentralsten Aspekte unseres Gehirns und Verhaltens, also genau das, was unsere menschliche Einzigartigkeit ausmacht, zu verändern. Das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit in die Integrität der wissenschaftlich Tätigen, in die Sicherheit der klinischen Versuche – den Eckstein angewandter Forschung – und in die Sicherstellung der Vertraulichkeit von Patientendaten muss ständig aufrecht erhalten werden. Stelle Dir eine Welt vor ... der klinischen Anwendung von beträchtlichem Nutzen sein könnten. Die Entwicklung neuer, rascher Screening-Verfahren, die auf „Gen-Chips“ und anderen hochentwickelten Techniken beruhen, werden in gewissen Fällen das Zeitintervall zwischen der Entdeckung einer neuen Substanz und ihrer klinischen Erprobung von mehreren Jahren auf einige Monate reduzieren. Die Wissenschaft in den Zusammenhang des wirklichen Lebens zu stellen, ist immer eine Herausforderung. Die Leute wollen nicht nur wissen, wie und warum Forschung betrieben wird, sie wollen auch wissen, inwieweit sie für sie von Belang ist. Es ist daher sehr wichtig, den Bedenken der Öffentlichkeit, die Erkenntnisse der Hirnforschung könnten auf schädigende oder ethisch fragwürdige Weise angewendet werden, entgegenzutreten. So gilt es, beiden Herausforderungen gerecht zu werden, damit die von einer neurologischen oder psychiatrischen Krankheit Betroffenen von den Errungenschaften der Hirnforschung voll profitieren können. Der Auftrag der Neurowissenschaftler und Neurowissenschaftlerinnen reicht über die Hirnforschung hinaus. Wir stellen uns auch der Verantwortung, in einer verständlichen Sprache zu erklären, wohin uns unsere Wissenschaft mit ihren neuen Verfahren und Techniken vermutlich führen wird. Wir, die Mitglieder der amerikanischen Dana Alliance und der Europäischen Dana Alliance, sind gerne bereit, beim Aufbruch in ein neues Jahrzehnt der Hoffnung, der harten Arbeit und der Partnerschaft mit der Öffentlichkeit diese Aufgabe zu übernehmen. 123 Members of EDAB AGID Yves* Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France AGUZZI Adriano University of Zurich, Switzerland CARLSSON Arvid University of Gothenburg, Sweden ANDERSEN Per* University of Oslo, Norway CASTRO LOPES Jose University of Porto, Portugal ANTUNES João Lobo University of Lisbon, Portugal CATTANEO Elena University of Milan, Italy AUNIS Dominque INSERM Strasbourg, France CHANGEUX Jean-Pierre Institut Pasteur, Paris, France AVENDAÑO Carlos University of Madrid, Spain AZOUZ Rony Ben-Gurion University of the Negev, Israel, TM BADDELEY Alan University of York, UK BARDE Yves-Alain* University of Basel, Switzerland CHERNISHEVA Marina University of Saint Petersburg, Russia CHVATAL Alexandr Institute of Experimental Medicine ASCR, Prague, Czech Republic CLARAC François CNRS, Marseille, France BATTAGLINI Paolo University of Trieste, Italy, TM CLARKE Stephanie University of Lausanne, Swiss Society for Neuroscience, TMP BELMONTE Carlos Instituto de Neurosciencias, Alicante, Spain CLEMENTI Francesco* University of Milan, Italy BENABID Alim-Louis INSERM and Joseph Fourier Universtiy of Grenoble, France BEN-ARI Yehezkel INSERM-INMED, Marseille, France BENFENATI Fabio University of Genova, Italy COLLINGRIDGE Graham* University of Bristol, UK British Neuroscience Association president, P CUÉNOD Michel* University of Lausanne, Switzerland CULIC Milka University of Belgrade, Yugoslavia BERGER Michael University of Vienna, Austria BERLUCCHI Giovanni* Università degli Studi di Verona, Italy DAVIES Kay* University of Oxford, UK DEHAENE Stanislas INSERM, Paris, France BERNARDI Giorgio University Tor Vergata-Roma, Italy DELGADO-GARCIA José Maria Universidad Pablo de Olavide, Seville, Spain BERTHOZ Alain* Collège de France, Paris, France DEXTER David Imperial College London, UK, TM BEYREUTHER Konrad* University of Heidelberg, Germany DE ZEEUW Chris Erasmus University, The Netherlands, TM BJÖRKLUND Anders* Lund University, Sweden BLAKEMORE Colin* University of Oxford, UK DICHGANS Johannes University of Tübingen, Germany BOCKAERT Joel CNRS, Montpellier, France DIETRICHS Espen University of Oslo, Norway, TM BORBÉLY Alexander University of Zurich, Switzerland DOLAN Ray University College London, UK BRANDT Thomas University of Munich, Germany DUDAI Yadin* Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel BRUNDIN Patrik Lund University, Sweden BUDKA Herbert University of Vienna, Austria BUREŠ Jan* Academy of Sciences, Prague, Czech Republic BYSTRON Irina University of Saint Petersburg, Russia ELEKES Károly Hungarian Academy of Sciences, Tihany, Hungary ESEN Ferhan Osmangazi University, Eskisehir, Turkey EYSEL Ulf Ruhr-Universität Bochum, Germany FERRUS Alberto* Instituto Cajal, Madrid, Spain FIESCHI Cesare University of Rome, Italy INNOCENTI Giorgio Karolinska Institute, Stockholm, Sweden FOSTER Russell University of Oxford, UK IVERSEN Leslie University of Oxford, UK FRACKOWIAK Richard* University College London, UK IVERSEN Susan* University of Oxford, UK FREUND Hans-Joachim* University of Düsseldorf, Germany JACK Julian* University of Oxford, UK FREUND Tamás University of Budapest, Hungary FRITSCHY Jean-Marc University of Zurich, Switzerland JEANNEROD Marc* Institut des Sciences Cognitives, Bron, France JOHANSSON Barbro Lund University, Sweden KACZMAREK Leszek Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland GARCIA-SEGURA Luis Instituto Cajal, Madrid, Spain KASTE Markku University of Helsinki, Finland GISPEN Willem* University of Utrecht, The Netherlands KATO Ann Centre Médical Universitaire, Geneva, Switzerland GJEDDE Albert* Aarhus University Hospital, Denmark KENNARD Christopher Imperial College School of Medicine, UK GLOWINSKI Jacques Collège de France, Paris, France KERSCHBAUM Hubert University of Salzburg, Austria GRAUER Ettie Israel Institute of Biological Research, Israel, TM KETTENMANN Helmut Max-Delbrück-Centre for Molecular Medicine, Berlin, Germany GREENFIELD Susan The Royal Institution of Great Britain, UK KORTE Martin Technical University Braunschweig, Germany GRIGOREV Igor Institute of Experimental Medicine, Saint Petersburg, Russia KOSSUT Malgorzata* Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland GRILLNER Sten* Karolinska Institute, Stockholm, Sweden KOUVELAS Elias University of Patras, Greece HAGOORT Peter F.C. Donders Centre for Cognitive Neuroimaging, Nijmegen, The Netherlands, TM HARI Riitta* Helsinki University of Technology, Espoo, Finland HARIRI Nuran University of Ege, Izmir, Turkey KRISHTAL Oleg* Bogomoletz Institute of Physiology, Kiev, Ukraine LANDIS Theodor* University Hospital Geneva, Switzerland LANNFELT Lars University of Uppsala, Sweden HERMANN Anton University of Salzburg, Austria LAURITZEN Martin University of Copenhagen, Denmark HERSCHKOWITZ Norbert* University of Bern, Switzerland LERMA Juan Instituto de Neurociencias, Alicante, Spain HIRSCH Etienne Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France, French Neuroscience Society, P LEVELT Willem* Max-Planck-Institute for Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands HOLSBOER Florian* Max-Planck-Institute of Psychiatry, Germany LEVI-MONTALCINI Rita* EBRI, Rome, Italy HOLZER Peter University of Graz, Austria LOPEZ-BARNEO José* University of Seville, Spain HUXLEY Sir Andrew* University of Cambridge, UK LYTHGOE Mark University College London, UK, TM LIMA Deolinda University of Porto, Portugal MAGISTRETTI Pierre J* University of Lausanne, Switzerland POCHET Roland Université Libre de Bruxelles, Belgium MALACH Rafael Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel POEWE Werner Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck, Austria MALVA Joao, University of Coimbra, Portugal, Portuguese Society for Neuroscience, TMP POULAIN Dominique Université Victor Segalen, Bordeaux, France MARIN Oscar Universidad Miguel HernandezCSIC, Spain PROCHIANTZ Alain CNRS and Ecole Normale Supérieure, France MATTHEWS Paul University of Oxford, UK PYZA Elzbieta Jagiellonian University, Krakow, Poland MEHLER Jacques* SISSA, Trieste, Italy MELAMED Eldad Tel Aviv University, Israel MOHORKO Nina University of Ljubljana, Slovenia, TM MOLDOVAN Mihai University of Copenhagen, TM MONYER Hannah* University Hospital of Neurology, Heidelberg, Germany MORRIS Richard* University of Edinburgh, Scotland; President of FENS MOSER Edvard Norwegian University of Science and Technology NALECZ Katarzyna Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland RAFF Martin* University College London, UK RAISMAN Geoffrey Institute of Neurology, UCL, London, UK REPOVS Grega University of Ljubljana, Slovenia. Slovenian Neuroscience Association (SINAPSA), TMP RIBEIRO Joaquim Alexandre University of Lisbon, Portugal RIZZOLATTI Giacomo* University of Parma, Italy ROSE Steven The Open University, Milton Keynes, UK ROTHWELL Nancy University of Manchester, UK RUTTER Michael King’s College London, UK NALEPA Irena Polish Academy of Sciences, TM NEHER Erwin Max-Planck-Institute for Biophysical Chemistry, Göttingen, Germany NIETO-SAMPEDRO Manuel* Instituto Cajal, Madrid, Spain NOZDRACHEV Alexander State University of Saint Petersburg, Russia SAKMANN Bert Max-Planck-Institute for Medical Research, Heidelberg, Germany SCHWAB Martin* University of Zurich, Switzerland SEGAL Menahem Weizmann Institute of Science, Rehovot, Israel SEGEV Idan Hebrew University, Jerusalem, Israel SHALLICE Tim* University College London, UK OERTEL Wolfgang* Philipps-University, Marburg, Germany OLESEN Jes Glostrup Hospital, Copenhagen, Denmark; Chairman European Brain Council ORBAN Guy* Catholic University of Leuven, Belgium SINGER Wolf* Max-Planck-Institute for Brain Research, Frankfurt, Germany SKALIORA Irini Biomedical Research Foundation of the Academy of Athens, TM SMITH David University of Oxford, UK SPERK Günther University of Innsbruck, Austria PARDUCZ Arpad Institute of Biophysics, Biological Research Centre of the Hungarian Academy of Sciences, Szeged, Hungary STAMATAKIS Antonis University of Athens, Greece,TM STEWART Michael The Open University, UK PEKER Gonul University of Ege Medical School, Izmir, Turkey. Turkish Neuroscience Society, P STOERIG Petra* Heinrich-Heine University, Düsseldorf, Germany PETIT Christine Institut Pasteur & Collège de France, Paris STOOP Ron University of Lausanne, Switzerland, TM STRATA Pierogiorgio* University of Turin, Italy SYKOVA Eva Institute of Experimental Medicine ASCR, Prague, Czech Republic. Czech Neuroscience Society, P BANDTLOW Christine Austrian Neuroscience Association, Innsbruck Medical University, Austria THOENEN Hans* Max-Planck-Institute for Psychiatry, Germany DI CHIARA Gaetano Italian Society for Neuroscience (SINS) University of Cagliari, Italy TOLDI József University of Szeged, Hungary EFTHYMIOPOULOS Spyros Hellenic Neuroscience Society, University of Athens, Greece TOLOSA Eduardo University of Barcelona, Spain TSAGARELI Merab Beritashvili Institute of Physiology, Tblisi, Republic of Georgia VETULANI Jerzy Institute of Pharmacology, Krakow, Poland VIZI Sylvester* Hungarian Academy of Sciences, Budapest WALTON Lord John of Detchant* University of Oxford, UK WINKLER Hans* Austrian Academy of Sciences, Austria DE SCHUTTER Erik Belgian Society for Neuroscience, University of Antwerp, Belgium FRANDSEN Aase Danish Society for Neuroscience, Copenhagen University Hospital, Denmark GALLEGO Roberto Spanish Neuroscience Society, Instituto de Neurociencias/Universidad Miguel Hernández, Spain GORACCI Gianfrancesco European Society for Neurochemistry, University of Perugia, Italy JOELS Marian Dutch Neurofederation, University of Amsterdam, The Netherlands KHECHINASHVILI Simon Georgian Neuroscience Association, Beritsashvili Institute of Physiology, Tblisi, Republic of Georgia KOSTOVIC Ivica Croatia Society for Neuroscience, Institute for Brain Research, Zagreb, Croatia ZAGREAN Ana-Maria Carol Davila University of Medicine and Pharmacy, Romania, TM NUTT David, European College of Neuropharmacology, University of Bristol, UK ZAGRODZKA Jolanta Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland, TM PITKANEN Asla FENS Secretary General University of Kuopio, Finland ZEKI Semir* University College London, UK ROTSHENKER Shlomo Israel Society of Neuroscience, The Hebrew University of Jerusalem ZILLES Karl* Heinrich-Heine-University, Düsseldorf, Germany * Original signatory to the EDAB Declaration P = Full Member and NSS president TMP = NSS president term member TM = BAW Term member SAGVOLDEN Terje Norwegian Neuroscience Society, University of Oslo, Norway SKANGIEL-KRAMSKA Jolanta Polish Neuroscience Society, Nencki Institute of Experimental Biology, Warsaw, Poland STENBERG Tarja Finnish Brain Research Society, Institute of Biomedicine/Physiology Biomedicum Helsinki, Finland ZAGREAN Leon National Neuroscience Society of Romania, Carol Davila University of Medicine, Bucharest, Romania Federation of European Neuroscience Societies Presidents ANTAL Miklós Hungarian Neuroscience Society, University of Debrecen, Hungary BÄHR Mathias German Neuroscience Society, University Hospital Göttingen, Germany June 2008 A Dana Alliance for the Brain Inc Publication prepared by EDAB, the European subsidiary of DABI Gedruckt in der Schweiz 6.2008