A Midsummer Night`s Dream | 2009

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A Midsummer Night`s Dream | 2009
A Midsummer Night’s Dream | 2009
Ist man sein eigener Herr? Zu den Beziehungen in Shakespeares »A Midsummer Night’s Dream« Unsere Inszenierung ist ohne Vorbelastung oder Konditionierung durch Interpretationsgeschichte, Rezeption und Aufführungspraxis von »A Midsummer Night’s Dream« entstanden. In der Arbeit mit den Schauspielern stand die Frage im Mittelpunkt: Wie entwickeln und formen sich die Rollen unter Einbezug der Persönlichkeiten der Schauspieler? Und weiter: Gibt Shakespeares Originaltext in der zeitgenössischen Übersetzung von Frank Günther bereits alles vor, oder darf man – ja: soll man sogar textliche oder gar inhaltliche Dinge verändern? Wir haben gemerkt, daß inhaltliche Veränderungen kaum möglich sind, solange man die Perfektion des Stücks erhalten will, die Shakespeare geschaffen hat. Schon geringe Änderungen brächten empfindliche inhaltliche Brüche mit sich, die für die Dramaturgie des Stückes in unserem Sinne nicht zu verantworten wären. So haben wir nur wenige, pointierte Zusätze angebracht (etwa für Theseus, als er Egeus sein Waffenarsenal demonstriert). Ansonsten halten wir uns an den Originaltext. Durch die Texttreue zeigte sich von Probe zu Probe mehr, daß die heutigen Schauspieler in ihrem persönlichen Empfinden, in ihrem Denken und Tun Shakespeares Figuren unglaublich nahe sind. Und wir haben erfahren, erlebt und gelernt, »A Midsummer Night’s Dream« als ein nicht ort-­‐ oder zeitgebundenes Stück zu lesen. – So haben wir eine Inszenierung erarbeitet, die frei davon sein will, aktuell zu sein oder auf eine bestimmte Zeit Bezug zu nehmen. Vielmehr soll jeder Zuschauer durch unsere Darstellung in seiner eigenen Persönlichkeit angesprochen, aufgewühlt, erbaut und unterhalten werden. »Der Mensch ist nicht bloß ein Zuschauer der Welt, sondern er ist Schauplatz der Welt, auf dem sich die großen kosmischen Ereignisse immer wieder und wieder abspielen. [...] Der Mensch ist mit seinem Seelenleben der Schauplatz, auf dem sich Weltgeschehen abspielt«, sagt Rudolf Steiner in einem Vortrag über allgemeine Menschenkunde. Was er kurz und prägnant formuliert hat, hat Shakespeare in seinen Stücken veranschaulicht und verwirklicht. In bezug auf unsere Arbeit stellt sich hiermit beispielsweise folgende grundlegende Frage: Ist »A Midsummer Night’s Dream« eine Komödie? – Die Antwort muß sein: der Bezeichnung nach ja, dem Inhalt nach: nein. Das Stück ist ein Mosaik aus Komödien-­‐ und Tragödiensteinchen. Wie bei jedem Stück von Shakespeare, ist die Handlung eine fortwährende Verstrickung von Komödie und Tragödie, ein pausenloses sich-­‐Anspannen und sich-­‐wieder-­‐Lösen. Dieser Rhythmus nimmt Zuschauer wie Schauspieler gleichermaßen mit auf eine Höhen-­‐ und Tiefenfahrt durch die seelischen und psychologischen Innenwelten der Menschen. Und im menschlichen Seelenleben existiert Komisches wie Tragisches: das Seelenleben als Spiegel des täglichen Lebens der Menschen. Über der Welt der Menschen steht in »A Midsummer Night’s Dream« die Welt der Elfen. Oberon und Titania sind ihre Herrscher; Puck, ein »Troll«, ist ihr Diener. Er läuft und rennt und purzelt und kriecht, er fliegt, fährt, brummt, saust und braust durch die Welt auf seinen unermüdlichen Botengängen, die die Tätigkeit der Elementarwesen mit dem Tun der Menschen verbinden. Puck ist mal elementar, mal menschlich: er bringt den Menschen Witz, Streit, Glück, Zwist, Freude, Gelächter, Gewitter, Sonne und Sturm, je nachdem, was die elementare Welt in ihrem spielerischen Austausch mit den Menschen vorhat. – Zur Tätigkeit der Elementarwesen schreibt der Geomantie-­‐Experte Marko Pogačnik: »Die elementare Welt kennt keine Arbeit in diesem [im menschlichen] Sinn. Aus unserem Blickwinkel gesehen, werden Elementarwesen schöpferisch dadurch, daß sie faulenzen. Unsere Phantasie nimmt ihr „Arbeiten“ so wahr, daß sie andauernd lachen, tanzen und singen. Das ist in gewisser Weise zwar richtig, hat aber mit Faulenzen nichts zu tun. Sie haben eine andere Rolle in der Schöpfung zu erfüllen, und deswegen sieht ihr Schaffen anders aus als unseres. Um schöpferisch zu sein, führen sie bestimmte Rituale aus. – Rituell tätig zu sein, heißt nicht, Materie zu bearbeiten, sondern Kräfte zu lenken, sie umzuwandeln, zu fokussieren usw. Rituale kann man als Imaginationen verstehen, durch die Kräfte bewegt werden, welche hinter den Kulissen der physischen Welt walten. [...] Das ist es, was die Elementarwesen tun, wenn sie lachen, tanzen, singen und ähnlichen Tätigkeiten nachgehen. Die Früchte ihrer Rituale nehmen wir um uns herum als Wunder des Lebens wahr. [...] Für den modernen Menschen sind Rituale nichts weiter als formelle Traditionen, die weitergeführt werden, um die bunte Mischung der Feiertagsereignisse und des touristischen Angebots zu steigern. – O weh! Durch die Entwertung der Rituale haben wir unseren Anteil an der universellen Schöpfung verspielt. Unser heutiges Tun bewegt sich nur noch in den engen Kreisen der manifestierten Welt, es kennt keine kosmischen Auswirkungen mehr.« Bei der ersten Begegnung von Oberon und Titania stellt sich heraus, daß der Wind aus der Richtung einer Krise der Elementarwesen weht, denn ihre Rituale sind offenbar gestört worden. – Was ist geschehen? Titania hat sich aus Indien einen jungen Mann »zur Lust geholt« und vergnügt sich mit ihm. Und Oberons Eifersucht auf sie ist zweigeteilt: Nicht nur Titanias Betrug stört ihn, sondern auch die Tatsache, daß er den jungen Mann gerne selber zum lustvollen Vergnügen bei sich hätte. Titania gibt ihn aber nicht her. Deshalb haben die beiden Herrscher seit Monaten Streit, und durch ihre Uneinigkeit ereignen sich auf der Erde und unter den Menschen Natur-­‐ und Beziehungskatastrophen. Das Klima steht Kopf, die Jahreszeiten »tauschen ihre Kleider«, »die Welt wird irr an ihren Früchten«. »Fieberkrankheit« verbreitet sich, und das »kranke Vieh« wird zum Opfer räuberischer Tiere. »Die Menschen beten, daß der Winter kommt«, aber die Natur ist so aus dem Gleichgewicht gebracht, daß nur durch eine Einigung zwischen Oberon und Titania allmählich wieder Ruhe einkehren könnte. Titanias Monolog vor Oberon beschreibt diese Zustände und Ereignisse eindringlich und bildstark. Was Titania schildert, entspricht in allen Dingen unserer heutigen Klimaerwärmung und den damit verbundenen Umweltkatastrophen. Titanias Klage richtet sich an uns alle und wünscht eine Einigung der Elementarwesen wie auch der menschlichen mit der elementaren Welt. Die Beziehung von Oberon und Titania sieht aber keineswegs nach Einigung aus: Oberon hatte Affären mit Hippolyta, mit Aurora (der Morgenröte) und auch mit anderen Frauen, die nicht näher erwähnt werden; und Hippolyta hatte vor ihrer »indischen Affäre« eine »liaison amoureuse« mit Theseus. Auf der Ebene der Diskussion ist der Streit nicht beizulegen, und so greift Oberon zu einem anderen Mittel. Er bringt eine Droge ins Spiel, ein Kraut. Seine Wirkungen werden wie in einer Packungsbeilage von Oberon beschrieben: »Sein Saft, im Schlaf aufs Augenlid getropft, / Zwingt Mann wie Frau zur Liebesraserei / Beim ersten Blick aufs nächste beste Wesen.« Diesen Saft verpaßt er Titania, und das erste Wesen, das sie erblickt, ist ein Mensch, der von Puck mit einem »Eselskopf« versehen wurde. Ein »Menschenvieh« nennt es der Troll: als Bindeglied zwischen der elementaren und der menschlichen Welt hat er eine neuartige Kreatur geschaffen, ein hybrides, monsterartiges Wesen. Titania begibt sich durch die hemmungslose Liaison mit dem »Esel« mitten in die Sodomie, ohne dies zu realisieren oder gewollt zu haben. Dennoch mag es sein, daß in ihrer Phantasie derartige Spielchen schon einmal existiert haben. Der Handwerker »Fudi« als »Esel« ist ein Streich von Puck, zwar nicht von Oberon in Auftrag gegeben, aber doch ganz in dessen Sinn. Denn Oberon weiß: Wenn er jetzt von der krankhaft verliebten Titania den jungen Inder fordert, wird sie ihn sofort herausgeben, da sie ihn dank der Eselsgeschichte nicht mehr begehrt. Erst, wenn Oberon ihr mit einer Gegendroge »das ekle Zerrbild [den »Esel«] aus den Augen löst«, wird sie sich vor Abscheu vor dem Monstrum wieder – und dann ausschließlich! – ihrem Gatten zuwenden. Und genau so geschieht es: Oberon »genießt« den jungen Inder; Titania treibt es mit dem Monstrum; und am Schluß tritt durch die Gegendroge das natürliche Gleichgewicht wieder ein: Der Rausch, der Trip ist vorbei, und das Auge »blickt wie früher, ungeknickt« (Oberon). Hiermit ist der natürliche Zustand bei den Elementarwesen ganz wieder hergestellt. Oberon ist mit bewußtseinsverändernden Substanzen sehr erfahren. Als Herrscher der Naturgewalten und als uralte Kraft, die in der Natur wie im Menschen gleichermaßen und gesetzgebend wirksam ist, weiß er sehr wohl, was er tut und was für Kräfte er auszulösen vermag. Die Spiele, die nun Puck Oberons Naturgesetzen hinzufügt, bescheren dem Menschen Lust, Leid und Last, Begierde, Leidenschaft und Liebe, kurz: vieles von dem, was den Menschen zum Menschen macht und ihn ein für allemal vom Tier unterscheidet. Vielleicht würde Oberon die Auswirkungen von Pucks Tätigkeit so formulieren, wie wenn der Schriftsteller Philip Roth über seine schriftstellerische Arbeit spricht: »Ich könnte keinen lustigen Roman mehr schreiben. Mich treibt um, wie Schicksale Gestalt annehmen, zur Tragödie werden, ins Leiden münden. Leiden ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Neben der Leidenschaft. Nie ist der Mensch so bei sich, wie wenn er leidet oder wenn er sich sexuell auslebt.« – Diesen Komponenten haben wir in unserer Arbeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet, und wir beziehen sie sehr bewußt in die Inszenierung mit ein. Das hat nichts mit Perversion zu tun: »pervers« kommt von »perversus« (lat. »verdreht/verkehrt, von der Rück-­‐/Kehrseite«. Wir wollen Leiden, Leidenschaft und Sexualität nicht pervertieren und von jener häßlichen Kehrseite zeigen, die ihnen durch menschliche Komplexe zugefügt wird, sondern wir wollen sie sehen und verstehen als das, was sie sind: ur-­‐menschliche Zustände und Ausdrucksmittel. Analog zu Oberon und Titania ist auch die Beziehung von Theseus und Hippolyta nicht unproblematisch. Einen Blick auf die Herkunft der beiden: Theseus ist der diktatorische, unumschränkte Herrscher eines patriarchalisch organisierten Staates. Er kennt keine Gefühle (»Ich glaube nicht an diese Märchen, diesen Feenzauber. [...] Verrückte, Dichter, Liebende bestehen schlichtweg aus Einbildung «), und seine Mittel sind Macht und Gewalt, die unerbittlich regieren (analog zu Oberon, der aber als lebendes »Naturgesetz« im Gegensatz zu Theseus ein einigermaßen integres Wesen ist). – Theseus’ »Jagdhunde« (IV. Akt) haben wir in Atomwaffen verwandelt: die Wasserstoffbombe, brutales und perverses Jagdgeschwader unserer Zeit. Theseus hat um Hippolyta, die Königin des matriarchalischen Amazonenreichs, mit »Waffen gefreit«; er hat ihr Herz »mit roher Kraft besiegt« und zwingt sie zur Heirat mit ihm. Sie muß sich seiner Gewalt beugen. Nie hätte sie es für möglich gehalten, einem patriarchalischen Popanz Folge leisten zu müssen. Aber Theseus’ atomare Macht war rein von der militärischen Kräfteverteilung her stärker als die Amazonen. Und so findet sich Hippolyta zu Beginn des Stücks in einer dekadenten Hochzeitsgesellschaft wieder. Kaum ist ihr klar geworden, daß ihr Schicksal an der Seite des Diktators Theseus besiegelt ist, nimmt dieser sie – wieder mit Brachialgewalt! – buchstäblich auf den Arm. Als ihm in dieser Stellung plötzlich Staatsgeschäfte dazwischenkommen, läßt er seine zukünftige Gattin einfach fallen und vergißt sie am Boden: Egeus, ein ebenso militanter Patriarch wie er, will Theseus als Schlichter einschalten in einer Sache, in der er selbst nicht weiter weiß. Was ist passiert? Hermia, Egeus’ Tochter, liebt nicht den Strahlemann Demetrius, jenen Mann, den ihr Vater für sie vorgesehen hat, sondern einen anderen: den Poeten und Schöngeist Lysander. Ihrer beider Liebe bedarf keinerlei Nachhilfe oder weiterer äußerer Einflüsse: sie besteht von innen heraus und ist für die beiden das natürlichste überhaupt. Deswegen können sie die Gesetze der Stadt, vertreten von Theseus und Egeus, nicht akzeptieren. – Lysander, ein Schlaukopf, hat einen Plan: Flucht auf das nicht weit entfernte Gebiet eines Staates, in dem andere Gesetze gelten. Hermia stimmt dem Plan zu. Aber wenden wir unseren Blick auf das zweite junge Paar: Helena und Demetrius. – Man denke sich folgende Vorgeschichte: Helena habe sich schon seit langem einen Traummann »erträumt«, und dieser sei ihr in Gestalt von Demetrius über den Weg gelaufen. Sofort habe sie sich in ihn verliebt. Er seinerseits habe vorher eine traumatisch belastete Beziehung zu einer Frau gehabt, die ihn nicht wollte und die ihn zurückgewiesen haben muß. Vielleicht habe sie sich auch einfach über ihn hinweggesetzt. Das habe Spuren hinterlassen: Demetrius sei »beziehungsunfähig« geworden und könne die Liebe einer Frau nicht mehr annehmen. Nun habe sich Helena (psychisch und seelisch) an ihn geklammert. Das habe er nicht ertragen: er stieß sie wohl zurück, was wiederum bei ihr ein Trauma ausgelöst habe. In wahrscheinlich betrunkenem Zustande muß Demetrius sich aber doch einmal auf eine etwas nähere »Begegnung« mit Helena eingelassen haben, allerdings ohne Geschlechtsverkehr (er spricht ja später vom »Schatz« ihrer »Jungfräulichkeit«). Daß die beiden jedoch zusammengewesen seien, sagt Lysander eindeutig: »Demetrius [...] hat Nedars Tochter Helena bezirzt...«). Nun setzt die im Stück gezeigte Episode der Geschichte ein: Egeus »angelt« Demetrius für seine Tochter Hermia, die aber eigentlich bei Lysander in festen Händen ist. Demetrius nimmt das Angebot an, da einerseits der mögliche Schwiegervater viel Geld verspricht, und andererseits, da Hermia, die ihn nicht will, die ideale Frau für ihn wäre: er wäre ihr aufgrund ihrer Ablehnung keine Liebe schuldig, jene Liebe, die er bedingt durch sein Trauma ohnehin nicht geben könnte. Helena liebt Demetrius trotz seiner Ablehnung weiter. Sie erzählt ihm von Hermias und Lysanders Flucht, um ihn Hermia wieder auszuspannen und für sich zu erhalten. Das geht nicht auf. Helena und Demetrius begegnen sich im Wald, und da kommen ihre Traumata schonungslos tief zum Vorschein: Helenas bedingungslose Liebe, die unerfüllt bleibt, und Demetrius’ völlige Unfähigkeit, sich ihr hinzugeben, vermischt mit seiner trotzdem vorhandenen Gier nach ihr als Frau und nach der Erfüllung seiner krankhaft ungestillten emotionalen und sexuellen Liebe. – Gedeckelte Emotionen, verhinderte Zornes-­‐ und Liebesausbrüche, ins Langsame überhöhte Bewegungen und fast totale Berührungslosigkeit sind einige der »Formen«, die wir für diese Szene als Ausdrucksmittel gefunden haben. Oberons Eingriff in die Beziehung von Demetrius und Helena macht die Sache nicht einfacher: Demetrius handelt danach unter dem Einfluß bewußtseinsverändernder Substanzen und ist hiermit nicht mehr Herr seiner selbst. Und Helena mißversteht seinen Stimmungsumschwung (»Oh, ich versteh’, verschworen seid ihr drei«). Sie zerbricht hieran fast (»Laßt mich geh’n«) und will der scheinbaren Intrige entfliehen. Oberon »erlöst« Demetrius nicht von seiner Illusion: nur Lysanders Augen werden mit einem »Gegenkraut« reingewaschen. Helena ist aufgrund dieser plötzlichen Wechsel verunsichert und hat jeglichen Halt verloren. Dementsprechend verstummt sie im IV. und V. Akt völlig, während Demetrius im Vergleich zu vorher regelrecht zum Plappermaul wird, gerade im V. Akt. Seine Aussagen lassen auch sprachlich erkennen, daß er unter dem Einfluß einer Droge steht (zum Beispiel »Ja, und Wand auch!«: kein ganzer Satz). Theseus geht auf Demetrius’ Rechtfertigung der Liebe zu Helena nicht ein: Er »glaubt nicht an diese Märchen, diesen Feenzauber«. Demetrius hat aber recht, wenn er ahnt, daß »höhere Gewalt« (Oberon!) im Spiel war, als er sich dann doch in Helena »verliebte«. Und sein Versuch, Freude zu stiften (»Und unterwegs erzählen wir die Träume«), schlägt fehl: niemand antwortet. Warum? Hermia und Lysander brauchen für ihr eigenes Glück keine fremde und auch keine eigene Traumdeutung, und Helena hat nach der eben vergangenen Nacht ohnehin kein Interesse mehr an Männern. Ihr ist es nach den Wechselbädern, die sie im Zusammenhang mit Demetrius erleben mußte, nicht mehr nach Beziehung zumute. Zwar akzeptiert sie die Ehe mit Demetrius als standesamtliche Tatsache, aber auch sie hat zwischen IV. und V. Akt zur Flasche gegriffen und erscheint im V. Akt sturzbetrunken auf der Hochzeitsfeier. Die Theateraufführung der städtischen Handwerker ist Slapstick und Vergnüglichkeit, dilettantische Pedanterie und pure Freude, Lust am Spiel und übertriebenes Pathos. All das zieht an den drei Paaren spurlos vorbei. Die Jugendlichen sind betrunken und nehmen die humorvolle Realität nicht mehr wahr. Theseus glaubt nach wie vor nicht an Kunst und Schauspielerei. Egeus, der sich in seinen Rechten vernachlässigt fühlt, verfällt dem Nikotin. Einzig Hippolyta kann ihre wirklichen Gefühle nicht zurückhalten: Als Pyramus sich das Leben nimmt, weil er den Mantel seiner geliebten Thisbe »tot« vorfindet, heult sie los. Niemand tröstet sie. Vielleicht hat das Spiel der Handwerker sie an eine vergangene Beziehung erinnert? Offen bleibt, wie sich der Weg der drei Paare weiterentwickeln wird. Ob sich der Trott der Gewohnheit ihrer bemächtigt? Ob die Liebhaber fähig werden, ihre Traumata aus eigener Kraft zu bewältigen und so ihr Glück aneinander zu finden? Ob ein Paartherapeut wird nachhelfen müssen? – Es wird keine Lösung verraten. Höchstens ein Ansatz: Titania und Oberon »segnen« die Paare mit den Worten: »Jedes der drei Paare sei / In der Liebe ewig treu, / Und die Kinder sind befreit / Von des Lebens Widrigkeit. [...] Friede sei mit diesem Haus!« Also: Wenn auch vielleicht die Eltern es nicht schaffen werden, Herr ihrer selbst und ihrer komplexen Probleme zu werden, so solle es doch wenigstens die kommende Generation schaffen (»Und die Kinder sind befreit...«). Das ist der »Haussegen« der Elementarwesen Oberon und Titania: ein besänftigendes, versöhnendes Schlußwort der ewig-­‐guten und in ihrem Kontinuum beständigen, unausweichlichen Naturgewalten. Sie streben den Austausch mit den Menschen an. Und sie führen und lenken den Menschen: In seinem Umfeld lassen sie ihn innerhalb ur-­‐gültiger und wirksamer Gesetze sich zur Freiheit entwickeln. Und sie zeigen uns, daß sich Kontinuität und Veränderung nicht widersprechen müssen: in der Kontinuität der menschlichen Werte ist die Veränderung des Widerspenstigen, Problematischen, Antipathischen in ein Fließendes, Gelöstes und Sympathisches möglich. © Copyright 2009 | Nikolaus Matthes Zitate: -­‐ Marko Pogačnik, »Elementarwesen; Begegnungen mit der Erdseele«; Baden und München 2007. – Rudolf Steiner, »Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik« Vierzehn Vorträge, Stuttgart 1919. Rudolf-­‐Steiner-­‐Verlag, Dornach 1973. (Zitiert aus dem 3. Vortrag; S. 59) NZZ am Sonntag, 1. Februar 2009, S. 61: »Mit dem Zorn der Jugend«; über Philip Roth. Von Manfred Papst.