Bis zu 150 Maschinen hämmerten los«
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Bis zu 150 Maschinen hämmerten los«
MITTELBADISCHE PRESSE www.bo.de Samstag, 8. August 2015 FRIESENHEIM »Bis zu 150 Maschinen hämmerten los« »Anja Rolfes zu Hause bei...« (1/6): Ingeborg Götz aus Friesenheim war bei zwei Weltmeisterschaften im Maschinenschreiben dabei W ofür ihr Herz schlägt – davon erzählen sechs Menschen in der Großgemeinde Friesenheim in der neuen Sommerserie des Lahrer Anzeigers Lokalredakteurin Anja Rolfes, die sie zu Hause besucht. Los geht es heute mit Ingeborg Götz (76) aus Friesenheim, deren Leidenschaft Geschwindigkeit und Buchstaben sind. E s sind die Anschläge, die zählen. Die Geschwindigkeit. Möglichst fehlerfrei zu sein. Das ist das Maschinenschreiben. An diesem Morgen tauche ich zu Hause bei Ingeborg Götz (76) in eine Welt ein, die jungen Leuten wie die Steinzeit erscheinen muss. Die Schreibmaschine wurde längst von Computern verdrängt. Das Tippen auf den modernen Tastaturen lässt sich kaum mit dem Hämmern auf den alten Tasten vergleichen. Wo heute ein leichter Druck auf den Buchstaben genügt, war früher mehr Muskelkraft gefordert. AN JA ROLFES ZU HAUSE BEI... Ingeborg Götz Serie D as Zehn-Finger-System perfekt zu beherrschen, das gehörte »zum Rüstzeug jeder Sekretärin« dazu, als Ingeborg Götz ihre Ausbildung zur Verwaltungsangestellten bei der Stadt Ettlingen begann. Ebenso wie die Stenografie, die es mit ihren kurzen Zeichen ermöglicht, schneller das gesprochene Wort mitzuschreiben als mit den Buchstaben des Alphabets. »Es war die Zeit, in der alles diktiert wurde. 20, 30 Seiten Gemeinderats protokolle wurden nach jeder Sitzung nach Diktat geschrieben. Im Grundbuchamt wurden seitenweise Verträge diktiert«, erzählt sie. Schnell schreiben, schnell tippen – darauf kam es an, um die Flut an Informationen Tag für Tag von Hand zu bändigen. Und all das ohne Fehler auf dem fertigen Protokoll, dem fertigen Vertrag. Falsche Wörter oder Zahlendreher einfach mal mit einem Wisch der Maus löschen? In der Computer-Vorzeit unmöglich. »Anfangs gab es einen Radierstift, später Tipp-Ex flüssig.« Aber schön sah das nicht aus und gern gesehen wurde es erst recht nicht. D eshalb hieß es: üben, üben, üben. Einmal in der Woche besuchte die junge Auszubildende Ingeborg den Stenografenverein. »Die gab es damals in jedem größeren Ort.« Kurzschrift trainierte sie da auch. »Aber ich war kein leidenschaftlicher Stenograf«, bekennt sie. »Ich war voll auf Maschinenschreiben programmiert. Das hat mich fasziniert.« Warum? »Das ist schwierig zu erklären«, antwortet sie. »Ich konnte mich von Stress und Ärger an der Schreibmaschine erholen, manches Mal mitten in der Nacht.« Sie schwärmt von der Trainerin, »die zu begeistern wusste«, von der Gemeinschaft im Verein. Die flinken Finger hatte sie schon als junges Mädchen gehabt – »vom Klavierspielen«. Der Funke fürs Maschinenschreiben war entfacht. Als in ihrem zweiten Lehrjahr Wettbewerbe von der Stadt Ettlingen eingeführt wurden, flammte die Leidenschaft richtig auf. »60 Mark bekam ich monatlich. Und jetzt konnte ich zweimal jährlich zehn Mark fürs Maschinenschreiben und fünf Mark für Steno dazuverdienen. Das war Ansporn.« U nd dabei blieb es nicht. Im Verein bildete sich »eine Gruppe eifriger Maschinenschreiber und Stenografen, die sich jeden Donnerstag zum Training traf, um einen Pokal bei der jährlichen Vereinsmeisterschaft zu erringen«. Von der Stadt Ettlingen wurde der Narrenbrunnen, das Wahrzeichen der Stadt, ausgelobt, von der Zeitung ein Sektkühler. »Dann kam die Idee auf, an Wettschreiben außerhalb des eigenen Vereins teilzunehmen«, erinnert sich Ingeborg Götz. Bei anderen Ver- Ihre alte IBM Typenradmaschine hat Ingeborg Götz nur für den Besuch des L ahrer Anzeigers herausgeholt. Heutzutage schreibt sie auch auf einem Computer. Foto: Anja Rolfes Einige Stationen aus der Geschichte der Schreibmaschine 1714 In einer Patentschrift für den Wasserwerks ingenieur Henry Mill wird eine Art Schreibmaschine erwähnt. 1910 Der berühmte Schriftsteller Mark Twain zählte zu den ersten Käufern einer Remington. Frister & Rossmann aus Berlin produzieren die erste Typenhebelmaschine in Deutschland, die nach Patenten des Calligraph (1880, gerühmt wegen ihrer Schönheit) gefertigt wird. 1892 einen, beim Südwestdeutschen Stenografenverband, an Deutschen Meisterschaften und schließlich bei Weltmeisterschaften. 1973 war sie in Valencia und 1975 in Budapest dabei. Gegen 18 bis 20 andere Nationen wurde angetreten. Und da hieß es nicht nur: Frauen gegen Frauen. »Die Protokollanten beim Bundestag waren zum Beispiel Männer. Die waren in Kurzschrift führend.« Schnell schreiben und sprechen Übersetzung: in Kurzschrift Das ist ein Satz Sie auch einnn We n. be geschrie en-Text in ab st ch mal einen Bu llen, ge ben wo en tz se er üb o Sten gende Ad resSie im Internet fol se ein: / h ttp://steno.tu-clausthal.de 1961 Und wieder IBM: die Schreibmaschine mit Kugelkopf (re.) kommt heraus. Einer der vielen Vorzüge: die Geschwindigkeit. Ab 1963 wurden die Weltmeisterschaften im Maschinenschreiben laufend auf und mit ihr gewonnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam keiner mehr an IBM vorbei. Die IBM Executive war die erste elektrische Schreibmaschine mit Proportionalschrift. 1947 nicht schwitzen«. Die Trillerpfeife ertönte – und bis zu 150 Maschinen hämmerten los. »Das war eine Geräuschkulisse!« 30 Minuten wurde getippt, was das die Finger hergaben. Die Geschwindigkeit zählte. Wer schnell war, füllte acht der extralangen DIN4-Seiten mit Buchstaben. »Da musste man alles um sich herum vergessen können. Wenn der Mann vor einem umfällt, dann fällt er halt ie in anderen Sport- um. Nach einer halben Stunarten üblich brach- de trillerte es wieder. Manchte jeder sein eigenes mal war ich so vertieft, dass Sportgerät mit, in dem Fall die ich erschrocken bin.« Im zweiSchreibmaschine. Ingeborg ten Teil ging es um »die PerfekGötz hatte eine IBM Kugelkopf. tion«. Zehn Minuten wurde ein »Der Techniker hat sie vor Text abgeschrieben. »Da war Ort extra auf mich eingestellt. man bewusst langsam.« Denn Das war eine Wissenschaft für auf 1000 Anschläge war nur ein sich.« Sie rieb sich ihre Hän- Fehler erlaubt. de mit Talkum ein, »damit sie Um die beste Leistung zu bringen, wurde vor den Wettbewerben und INFORMIERT Meisterschaften trainiert. Jeden Tag »anderthalb Auch wenn Stenografen-Wettbewerben ebenfalls bis zwei Stunden fie nie ihr Ding war, lerauf Geschwindigkeit ankam, zu Hause, einnen musste es Ingemusste auch der Sprecher mal wöchentlich borg Götz natürlich für deutlich schneller reden im Verein bis zu ihren Beruf dennoch. als Menschen das im Alltag eineinhalb Stun»60 Silben pro Minute tun. »In meiner Ausbildung den und acht Woschafften Anfänger, die im Stenografenverein habe chen vor dem schnellsten 500. Das ich auch diktiert«, erinnert großen Tag trakönnen nur ganz wenige sich Ingeborg Götz. »Aber fen wir uns zweidiktieren.« Dieter Thobei 280 Silben habe ich aufbis dreimal mit mas Heck, der berühm- gehört, da mein Atem nicht der Trainerin«, te Showmaster und trainiert war. Die Geschwinerzählt Ingeborg Schauspieler, »konnte digkeit musste man immerGötz. Die allerdas zum Beispiel«. Da hin sieben bis zehn Minuten besten kamen es bei den Stenogradurchhalten.« auf fast 800 Anschläge pro Mi- W (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Der Computer hat die Schreibmaschine in den Büros dieser Welt abgelöst. Aber immerhin: 2013 verkauft Olympia in Deutschland noch 8000 elektrische Schreibmaschinen. heute nute. Sie schaffte bis zu 600. »Wissen Sie, wie viele Anschläge das pro Sekunde sind?«, fragt sie mich. »Zehn.« Zehn Buchstaben, Zahlen und Leerzeichen – in einer kurzen Sekunde. »Aber ich habe nie eine Sehnenscheidenentzündung gehabt. Ich habe immer mit den Armen schwingend über der Tastatur geschrieben.« W ar sie gut in ihrem Sport? Sie lächelt. »Ja.« Bei der Frage nach Plätzen wird sie ruhiger. »Das war nicht wichtig.« Sie hat zwar für meinen Besuch einen Ordner mit Urkunden vom Speicher gekramt, aber »die unzähligen Bücher und Teller, die ich erschrieben habe, sind irgendwo in einer Kiste«. Das Siegen trieb Ingeborg Götz nie an. Es war das Maschinenschreiben an sich. Davon konnte sie nie die Finger lassen, auch nicht, als sie ihre Wettkampfzeit 1977 beendete. 1976 wurde ihr Mann Eugen zum Bürgermeister von Friesenheim gewählt. Die Familie zog in die Großgemeinde. »Den Stenografenverein in Lahr gab es damals schon nicht mehr.« Ingeborg Götz hatte sich jedoch bereits auf dem zweiten Bildungsweg zur technischen Lehrerin im Maschinenschreiben ausbilden lassen (Abschluss 1974). »Damals herrschte ein Mangel und das Kultusministerium förderte das.« In ihrer neuen Heimat brachte sie nun anderen Menschen das Maschinenschreiben nahe. »In verschiedenen Einrichtungen, jahrelang auch bei der VHS, immer nur in der Erwachsenenbildung.« 2000, als Eugen Götz in den Ruhestand ging, zog sich auch seine Frau ganz ins Private zurück. »Aber ich schreibe immer noch leidenschaftlich gerne Briefe«, bekennt sie. Allerdings am Computer. Und statt der Geschwindigkeit steht nun mehr der Text im Vordergrund. IN FOLGE Heute Ingeborg Götz (Friesenheim) 15. August Eddy Bähr (Friesenheim) 22. August Eberhard Walter (Oberschopfheim) 29. August Familie Jörgensen (Oberweier) 5. September Renate Mahr (Heiligenzell) 12. September Roland Munz (Schuttern) Alle Folgen der Serie finden sich auch im Internet unter der Adresse: w ww.bo.de/zuhausebei