Änderung des Mietvertrages durch konkludentes Verhalten Dr
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Änderung des Mietvertrages durch konkludentes Verhalten Dr
Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Änderung des Mietvertrages durch konkludentes Verhalten Dr. Markus Artz, Universität Trier I. Einführung und Gang der Darstellung Dauerschuldverhältnisse unterliegen einer gewissen Dynamik. Die Parteien treffen zu Beginn eine Einigung über bestimmte Bestandteile des Vertrages, insbesondere über den Vertragsgegenstand und den Preis. Im Laufe der Zeit stellt sich aber heraus, dass einzelne Elemente des Vertrages abweichend von der ursprünglichen Übereinkunft gehandhabt werden. Zu denken ist etwa daran, dass es nach dem Inhalt des Vertrages dem Vermieter obliegt, den Winterdienst zu verrichten, also den Gehweg vor dem Haus von Schnee und Eis zu befreien1. Aus welchem Grund auch immer hat es sich aber eingebürgert, dass der Mieter der Erdgeschosswohnung als Frühaufsteher die morgendliche Räumung übernimmt. Damit weichen die Parteien widerspruchslos vom Vertrag ab und praktizieren, wie Wolfgang Zöllner einmal formulierte, „das Angemessene und das Notwendige wie selbstverständlich“2. Eine andere Frage ist es aber, ob die tatsächliche Übernahme dieser Tätigkeit zu einer schleichenden Änderung des ursprünglich geschlossenen Vertrages führt, der Mieter also im Ergebnis jedenfalls gegenüber dem Vermieter sogar verpflichtet sein könnte, für die Sicherheit auf dem Gehweg Sorge zu tragen. Auch in der Natur des Dauerschuldverhältnisses aber etwas anders liegt der Fall, dass eine Partei das ursprünglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht mehr für angebracht hält und in dieses eingreifen möchte. Beispielhaft sei das Mieterhöhungsverlangen des Vermieters genannt. Hier stellt sich die Frage, ob allein der vorbehaltlosen Zahlung des Mieters der Erklärungsinhalt zukommt, den Vertrag ändern zu wollen. 1 Zur Streupflicht Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 8. Aufl. 2003, § 535 BGB Rn. 116 ff; Hitpaß, ZMR 2005, 9. 2 Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979, S. 11 ff.; siehe auch Hau, Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag, 2003, S. 162 ff. 1 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Bei diesen und ähnlichen Fällen geht es im Kern stets darum, ob der eigentlichen Handlung, also der Schneebeseitigung oder der Überweisung der Miete auf das Girokonto des Vermieters, ein darüber hinaus gehender Erklärungswert zukommt. Denn, wie das AG Bonn kürzlich in einer Entscheidung zum Betriebskostenrecht in aller Schlichtheit und Offenheit festgestellt hat: Für das Zustandekommen einer Vereinbarung sind zwei übereinstimmende Willenserklärungen erforderlich3. In einem völlig anderen, aktienrechtlichen Zusammenhang hat auch der II. Zivilsenat kürzlich einen treffenden Leitsatz gebildet: „Ein Verhalten kann nur als Genehmigung eines Vertragsschlusses ausgelegt werden, wenn sich der Handelnde der Genehmigungsbedürftigkeit bewusst ist“4. Um derartige Fragen einer dogmatisch abgesicherten Lösung zuzuführen, wird sich der Vortrag zunächst vom Mietrecht ab- und den Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre zuwenden und die Voraussetzungen der Abgabe einer Willenserklärung durch konkludentes Handeln untersuchen (dazu II.). Es ist zu klären, welche Anforderungen an schlüssiges Verhalten zu stellen sind, um diesem rechtsgeschäftlichen Erklärungswert zukommen zu lassen. Auf das Mietrecht bezogen sollen alsdann drei Fallgruppen untersucht werden. Die Änderung des Vertragsgegenstandes durch schlüssiges Verhalten (III.), die Bedeutung der vorbehaltlosen Mietzahlung auf einen Änderungswunsch des Vermieters (IV.) und der Sonderfall, dass eine Partei der anderen eine Vertragsänderung geradezu unterschieben möchte (V.). Abschließend sei noch kurz auf die Problematik der Erwirkung und Verwirkung von Rechten im Mietrecht und deren Verhältnis zum Vertragsgegenstand hingewiesen (VI.). II. Abgabe einer Willenserklärung durch konkludentes Verhalten Versucht man genauer zu ergründen, wann vom Vorliegen einer Willenserklärung durch schlüssiges, konkludentes Handeln auszugehen ist, so bietet es sich an, die Rechtsgeschäftslehre Werner Flumes zu Rate zu ziehen5. 3 AG Bonn WuM 2005, 61. Urteil vom 29.11.2004, II ZR 364/02. 5 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 2, Das Rechtsgeschäft, 4. unveränderte Aufl. 1992. 4 2 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 1. Wille Dies führt zum Willen als innerem Bestandteil der Willenserklärung6. Nach Flume liegt das Wesen der Willenserklärung, Zitat: „in der schöpferischen Gestaltung von Rechtsverhältnissen in Selbstbestimmung durch das In-Geltung-Setzen einer rechtlichen Regelung“7. Für die hier darzustellende Problematik ist vornehmlich der Willenserklärung Aufmerksamkeit zu widmen, die auf die Änderung eines bestehenden Vertrages gerichtet ist. Der Wille des Erklärenden muss sich auf die rechtliche Umgestaltung des bestehenden Vertrages richten8. Liegt ein dahingehender Wille nicht vor, so fehlt es jedenfalls im Grundsatz an einer Willenserklärung. 2. Erklärung In der Erklärung des Willens ist alsdann die Äußerung dieses Willens, der äußere Tatbestand, zu sehen. Der Willenserklärung kommt somit eine Doppelfunktion zu: Erstens Mittel des Erklärenden zu sein, einen Willen zu äußern und zweitens von anderen zur Kenntnis genommen zu werden, am Gesellschaftsleben teilzunehmen9. Die Willenserklärung ist ein Akt sozialer Kommunikation10. 3. Insbesondere: Erklärung durch konkludentes Verhalten Gegenstand dieses Vortrags ist die Abgabe der Willenserklärung durch sogenanntes konkludentes Verhalten. Erfolgt die Äußerung des Willens durch schlüssiges Verhalten, so zeichnet sich dieses dadurch aus, dass das Handeln zunächst einen anderen primären Zweck verfolgt. Beispielhaft genannt sei nochmals die Beseitigung des Schnees auf dem Gehweg. Dem Handelnden muss darüber hinaus noch 6 Siehe zur Unterscheidung von innerem und äußerem Bestandteil Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2001, Rn. 566. 7 Flume, a.a.O., § 4, 3. 8 Flume, a.a.O., § 4, 5. 9 Flume, a.a.O., § 4, 4, 7, 8; Bork, a.a.O., Rn. 585 ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 24 Rn. 29 ff.; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Auflage 2002, Rn. 335; MK/Kramer, 4. Aufl. 2001, Vor § 116 BGB Rn. 39. 10 Larenz/Wolf, a.a.O., § 24 Rn. 31. 3 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 bewusst sein, durch den Vollzug der Handlung auch rechtsgeschäftlich tätig zu werden11. 4. Vertrauensschutz Weichen wirklicher Wille und geäußerte Erklärung voneinander ab, was im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, so stellt sich das Problem des aus der Selbstverantwortung erwachsenden Vertrauensschutzes. Die Verantwortung ist die Kehrseite der dem Bürger zuerkannten Möglichkeit, seine Rechtsverhältnisse privatautonom zu gestalten12. Auf die hier zu behandelnde Thematik bezogen geht es vor allem um die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, dass dem Erklärenden zwar das Erklärungsbewusstsein fehlt, nach dem äußeren Anschein aber ein solches besteht13. Folgt man streng dem Willensdogma, so kann ohne Erklärungswille keine Willenserklärung vorliegen, so dass weder ein Vertrag zu Stande kommt, noch eine Vertragsänderung eintritt. Eine Lösung erfolgt alsdann über die eigenständige Rechtsscheins- bzw. Vertrauenshaftung14. Die heute wohl herrschende Meinung lässt jedoch das potentielle Erklärungsbewusstsein genügen und löst den Konflikt zwischen wirklichem Willen und erzeugtem Vertrauenstatbestand über die Regeln der Irrtumsanfechtung15. Festzuhalten ist jedoch, dass Voraussetzung einer dahingehenden Lösung immer ist, dass der Empfänger darauf vertrauen durfte, sein Gegenüber handele mit Erklärungsbewusstsein. Das Erwachsen dieses Vertrauens muss dem Erklärenden zugerechnet werden können. III. Änderung des Vertragesgegenstandes durch konkludentes Verhalten 1. Fehlender Wille zur Rechtsgestaltung 11 Flume, a.a.O., § 5, 4; Larenz/Wolf, a.a.O., § 24 Rn. 17 ff; MK/Kramer Vor § 116 BGB Rn. 22; Bork, a.a.O., Rn. 571. 12 MK/Kramer Vor § 116 BGB Rn. 39. 13 Eingehend dazu Bork, a.a.O., Rn. 596. 14 Haftung des Erklärenden wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung (c. i. c., §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB), siehe dazu Bork, a.a.O., Rn. 596 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, insbesondere aber Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 427 ff.; vgl. auch die Nachweise bei MK/Kramer Vor § 116 BGB Rn. 41, Fn. 140. 15 Bork, a.a.O., Rn. 596 mit zahlreichen Nachweisen; MK/Kramer Vor § 116 BGB Rn. 41. 4 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Zum Mietrecht. Es geht in der ersten Fallgruppe um Dauerschuldverhältnisse, in denen eine vertragliche Pflicht einer Partei, sei es Vermieter oder Mieter, zugeordnet ist, die andere Partei der Erfüllung der Pflicht jedoch faktisch nachkommt. Betrachtet man den umfangreichen Pflichtenkatalog im Mietverhältnis, so soll die Erhaltungspflicht des Vermieters als Beispiel dienen16. Hat der Vermieter, wie es häufig vorkommt, die Pflicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen vertraglich auf den Mieter abgewälzt, kann es doch vorkommen, dass der Vermieter, aus welchem Grund auch immer, einzelne Renovierungsmaßnahmen vornimmt. Hintergrund mag die besondere handwerkliche Fachkunde des Vermieters oder, gerade im Wohnraummietrecht, schlicht ein gutes persönliches Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter sein. Der Vermieter, der den Renovierungsbedarf erkennt, führt die Maßnahme durch und fordert den Mieter nicht auf, dieses zu tun. Doch ist stets zu fragen, ob dem Handeln des Vermieters, das vornehmlich den Zweck verfolgt, die notwendige Renovierung durchzuführen, auch ein darüber hinaus gehender rechtsgeschäftlicher Wille innewohnt. Um noch einmal auf Flume zurückzukommen: Ist der Wille des Erklärenden auf die selbstbestimmte Rechtsgestaltung gerichtet? Dies wird man regelmäßig verneinen müssen. Der Vermieter führt die Reparatur schlicht durch, möchte damit aber nicht auf die Zukunft gerichtet den Mieter von der dahingehenden Verpflichtung freistellen. Der Vertrag wird nicht durch schlüssiges Verhalten geändert. Steht eine Renovierung nach dem vertraglich vereinbarten Plan an17, so kann der Vermieter die Durchführung der Arbeiten von dem Mieter verlangen, auch wenn er sie ihm in der Vergangenheit oftmals, wenn nicht gar regelmäßig abgenommen hat. Der Vermieter setzt auch keinen rechtsgeschäftlichen Vertrauenstatbestand in der Form, dass der Mieter sein Handeln als Antrag zur Vertragsänderung hätte verstehen müssen. Der Mieter übernimmt daher im eingangs gebildeten Fall auch nicht die Verkehrssicherungspflicht für den Gehweg, wenn er bei Eis und Schnee regelmäßig Salz streut. 16 Ausführlich Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 535 BGB Rn. 48 ff. Zur aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich starrer Renovierungsfristen Langenberg, NZM 2005, 51; Börstinghaus, NZM 2004, 801 (808); Häublein, ZMR 2005, 94; jüngst BGH NJW 2005, 425 mit Anm. Blank, LMK 2005, 17. 17 5 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Hier ist auch auf eine Fallkonstellation einzugehen, die insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung thematisiert wird. Es geht darum, ob der Mieter das Recht zur Minderung verliert, wenn er die Miete trotz Kenntnis des Mangels vorbehaltlos weiterzahlt18. Unter dem hier zu betrachtenden Gesichtspunkt der Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten ist dem Mieter regelmäßig der Willen abzusprechen, durch das vorbehaltlose Zahlen der vollen Miete die mangelhafte Mietsache zu der vertraglich geschuldeten machen zu wollen. Er will den Vertrag hinsichtlich des Gegenstandes nicht ändern. Auf der anderen Seite trifft der Vermieter keine Aussage über den Vertragsgegenstand, wenn er den Gebrauch der Sache trotz Minderung gewährt19. Vergleichbar ist mit nicht abgerechneten, vom Mieter aber geschuldeten Betriebskosten zu verfahren. Dem Vermieter ist nicht ohne weiteres der Wille zur Vertragsänderung zu unterstellen, wenn er es unterlässt, vom Mieter geschuldete Kosten in Rechnung zu stellen20. 2. Verwirkung und Erwirkung Eine andere Frage - und zwar eine der unzulässigen Rechtsausübung - ist es, ob eine Partei in den gerade genannten Beispielsfällen das vertraglich ihr zustehende Recht verwirkt (dazu unten VI.). 3 Rechtsfolgen einer Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten im Ausnahmefall Entgegen dem Regelfall kann ausnahmsweise einmal anzunehmen sein, dass der ständigen Übernahme von nicht geschuldeten Pflichten der Wille zur einvernehmlichen Vertragsänderung zu entnehmen ist. Dann dürfen die daraus 18 BGH NJW 2003, 2601 = JuS 2003, 1229 (Emmerich) mit ausf. Hinweis auf den Streitstand nach der Reform des Mietrechts und krit. Bspr. Timme, NJW 2003, 3099; zustimmend hingegen Börstinghaus, LMK 2003, 178 mit krit. Hinweis auf die Reaktion von Ober- und Langgerichten auf die klare gesetzgeberische Entscheidung; weiterhin Wendlandt, JR 2004, 71; Gerber, NZM 2003, 825 mit Erwiderung Streyl, NZM 2004, 15; Krauss, JA 2004, 3; Kandelhard, NZM 2005, 43; ausführlich dazu Schmidt-Futterer/Eisenschmid § 536 b BGB Rn. 32 ff.; auch MK/Schilling, 4. Aufl. 2004, § 536 b BGB Rn. 14 ff. Der XII. Zivilsenat ist der Auffassung des VIII. Senats auch für das Gewerbemietrecht gefolgt: Beschluss vom 16.2.2005... 19 Im Zusammenhang mit der Verwirkung dazu Kandelhard, NZM 2005, 43 (45). 20 Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 62; Staudinger/Weitemeyer, Neubearbeitung 2003, § 556 BGB Rn. 62; a.A. offenbar AG Gießen ZMR 2004, 824, dazu Derckx, ZMR 2005, 86 (88): „amüsant“. 6 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 erwachsenden Rechtsfolgen für den Mietvertrag jedenfalls im Wohnraummietrecht nicht unterschätzt werden. Insbesondere beim langfristigen Mietvertrag ergeben sich tiefgreifende Auswirkungen auf Grund der konkludenten Einigung über die Vertragsänderung. Nach Maßgabe von § 550 BGB sind Mietverträge, die über eine längere Zeit als ein Jahr geschlossen werden, schriftlich abzufassen. Andernfalls gelten sie für auf unbestimmte Zeit geschlossen21. Bei derartigen Verträgen bedürfen Änderungen des Vertragsinhalts, und seien es auch nur Nebenabreden, ebenfalls der Schriftform22. Erfolgt die Änderung des Vertrages aber durch konkludentes Verhalten, also formlos, so wirkt sich dies nicht nur auf den Änderungsvertrag aus, sondern schlägt auf den zu Grunde liegenden Vertrag durch. Der formwirksam geschlossene und an sich nicht kündbare Vertrag wird zu einem auf unbestimmte Zeit geschlossenen und ist nach Maßgabe von § 550 S. 2 BGB frühestens zum Ablauf eines Jahres nach der Änderung ordentlich kündbar23. IV. Zahlung der Miete als Zustimmung zum ausdrücklichen Vertragsänderungsbegehren Es ist nun ein anders gelagerter Themenkreis zu beleuchten, in dem die Annahme der Änderung des Mietvertrages durch schlüssiges Verhalten durchaus geläufig ist. Die vorbehaltlose Zahlung der Miete in Folge eines Mieterhöhungsbegehrens. Dabei soll der Begriff der Zahlung in dem Sinne verstanden werden, dass der Mieter die Vermögensverfügung positiv tätigt bzw. veranlasst. Nicht hierher gehört der Fall, dass der Mieter die veränderte Einziehung der Miete duldet und dieser nicht widerspricht24. Darin wird man nicht ernsthaft die Abgabe einer Willenserklärung sehen können. 21 In Frage kommen hier der qualifizierte Zeitmietvertrag nach § 575 BGB, ein Mietverhältnis, bei dem es zu einem Verzicht der Parteien oder des Mieters auf das Kündigungsrecht gekommen ist, sowie Verträge, die dem Mieter eine einseitige Option zur Vertragsverlängerung einräumen. 22 Schmidt-Futterer/Lammel § 550 BGB Rn. 40. 23 Schmidt-Futterer/Lammel § 550 BGB Rn. 53. 24 Scnmidt-Futterer/Börstinghaus § 557 BGB Rn. 21; Staudinger/Weitemeyer § 557 BGB Rn. 33; MK/Artz § 557 BGB Rn. 31. 7 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 So schlicht die Feststellung klingen mag, geht es auch hier darum, ob in Fällen veränderter Zahlung das Vorliegen von zwei übereinstimmenden Willenserklärungen festzustellen ist25. Dass gerade dies unerlässlicher Bestandteil einer jeden Vertragsänderung ist, wird im Mieterhöhungsrecht allzu häufig übersehen. Ohne im Folgenden näher darauf einzugehen, sei darauf verwiesen, dass in den Fällen der vorbehaltlosen Zahlung hinsichtlich bereits erfolgter Leistungen stets § 814 BGB zu berücksichtigen ist, dessen Voraussetzungen auch oftmals vorliegen. Eine Rückforderung gezahlter Miete ist ausgeschlossen. 1. Einvernehmliche Vertragsänderung im Wohnraummietrecht Vermieter und Mieter ist es unbenommen, privatautonom die Erhöhung der Miete zu vereinbaren. Beschreitet der Vermieter diesen Weg, ist er von sämtlichen Zwängen des Mieterhöhungsrechts befreit. Er hat beispielsweise keine Kappungsgrenze zu beachten26 und muss sich auch nicht um die Wahrung von Fristen kümmern 27. Ferner hat der Vermieter auch nicht zu befürchten, dass ihm der Mieter wegen der Ausübung des Sonderkündigungsrechts aus § 561 BGB abhanden kommt. Dieses ist bei der einvernehmlichen Mieterhöhung nicht einschlägig28. Es kann allenfalls die Ausübung eines verbraucherschützenden Widerrufsrechts drohen29. Zahlt der Mieter in Folge des privatautonom angedienten Änderungsangebots die erhöhte Miete, so verfolgt er nach den eingangs dargestellten Grundsätzen nicht nur den Zweck, die Forderung des Vermieters zu erfüllen. Der Mieter bringt durch die Zahlung in einem derartigen Fall auch schlüssig zum Ausdruck, dass er das Angebot zur freiverantwortlichen Vertragsänderung annimmt. Er wird rechtsgestaltend tätig. 25 Deutlich Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 60. § 558 Abs. 3 BGB. 27 § 558 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB; Der Vermieter kann abweichend von den halbzwingenden Regelungen des Mieterhöhungsrechts (§§ 558b Abs. 1, 559b Abs. 2, 560 Abs. 2 BGB) frei bestimmen, wann die Vertragsänderung eintreten soll und es bedarf weder einer Begründung noch einer Erläuterung, wie sie §§ 558a, 559b Abs. 1, 560 Abs. 1 BGB vorsehen. 28 MK/Artz § 557 BGB Rn. 24. 29 Dient der gewerblich handelnde Vermieter dem Wohnraummieter eine Änderung des Vertrages beim einem Besuch in der Mietwohnung an, so ist die Änderungsvereinbarung nach Maßgabe der Vorschriften über Haustürgeschäfte (§ 312 f. BGB) widerruflich. Belehrt der Vermieter den Mieter über das Bestehen des Widerrufsrechts nicht, kann dem Vermieter die Ausübung des Widerrufsrechts noch nach langer Zeit drohen. Die Widerruflichkeit beschränkt sich dabei jedoch auf die Änderungsvereinbarung und lässt den zu Grunde liegenden Vertrag unberührt. Dazu MK/Artz § 557 BGB Rn. 33 ff.; zur Änderung einer Betriebskostenvereinbarung AG Löbau WuM 2004, 610. 26 8 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Dabei ist es nicht notwendig, dass eine fortlaufende Zahlung erfolgt. Bereits die erste vom Willen des Mieters getragene Zahlung der erhöhten Miete führt zur Wirksamkeit der einvernehmlichen Vertragsänderung. Welchen Erklärungswert sollte die erste Zahlung auch haben, wenn man nur der mehrfachen Zahlung rechtsgestalterischen Gehalt zukommen ließe30. Am Rande sei erwähnt, dass § 557 Abs. 1 BGB dabei nur klarstellende Bedeutung zukommt. Die Vertragsparteien verfügen auf Grund der Vertragsfreiheit über die Möglichkeit, die Bedingungen des bestehenden Dauerschuldverhältnisses zu ändern. Eine dahingehende Kompetenz verleiht ihnen § 557 Abs. 1 BGB nicht. Die Vorschrift ist als Bekenntnis zu der Möglichkeit der kontinuitätswahrenden Umgestaltung bestehender Schuldverhältnisse zu verstehen und stellt keine Kompetenznorm dar31. 2. Vergleichsmietensystem Neben der einvernehmlichen, Mieterhöhungsrecht weitere privatautonomen Wege zur Vertragsänderung Verfügung, die stellt Bedingungen das im Wohnraummietverhältnis zu ändern. Von zentraler Bedeutung ist dabei das Vergleichsmietensystem. Danach hat der Vermieter das Recht, die Miete der ortsüblichen Vergleichsmiete anzupassen. Diesbezügliche Regelungen finden sich in §§ 558 ff. BGB. Rechtstechnisch ist die Mieterhöhung im Vergleichsmietensystem so ausgestaltet, dass der Vermieter einen Anspruch gegen den Mieter auf Zustimmung zur Änderung des Vertrages hat. Die Mieterhöhung erfolgt somit nicht etwa durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts seitens des Vermieters, sondern durch den Abschluss eines Änderungsvertrages, auf den der Vermieter einen gesetzlichen Anspruch hat. Man kann vom Abschluss eines gesetzesgestützten Änderungsvertrags sprechen.32 Dem Vermieter steht es dabei im Ergebnis nicht zu, den Mieter zur Vertragsänderung zu zwingen. Ist der Mieter nicht zur Leistung der 30 Überzeugend Schmidt-Futterer/Börstinghaus § 557 BGB Rn. 22; Emmerich in FS Lüke 1997, S. 65 (69); LG Duisburg WuM 2004, 331; in diese Richtung auch Derckx, ZMR 2005, 86 (88); Singer ZfA 1993, 487 (493 f.) im Zusammenhang mit der Zuwendung von Sonderleistungen im Rahmen der betrieblichen Übung; a.A. wohl BGH NJW 1998, 445 (446). 31 Hau, a.a.O., S. 22, 50, 198, 312 ff.; MK/Artz § 557 BGB Rn. 24; kritisch zum Verhältnis des § 557 BGB als „Erlaubnisnorm“ zum Prinzip der Privatautonomie Oestmann, NZM 2003, 1 (4); ein Anwendungsfall des § 557 Abs. 1 BGB ist auch in § 553 Abs. 2 BGB zu sehen. 32 Grundlegend Hau, a.a.O., S. 245 ff. 9 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 erhöhten Miete bereit, so kann er von dem Sonderkündigungsrecht aus § 561 BGB Gebrauch machen. Zahlt der Mieter auf das ordnungsgemäß unterbreitete Angebot des Vermieters die veränderte Miete, so ist auch hierin eine Zustimmung zu der Vertragsänderung kraft konkludenten Verhaltens zu sehen. Dem Mieter sind die Umstände der Vertragsänderung bekannt und er führt sie in Übereinstimmung mit dem Vermieter herbei. 3. Mieterhöhung bei Modernisierung Einem völlig anderen Mechanismus gehorcht die Mieterhöhung wegen durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen33. Der Vermieter kann nach einer Modernisierungsmaßnahme eine Mieterhöhung durch die Erklärung gegenüber dem Mieter herbeiführen. Das Gesetz billigt dem Vermieter damit ein Gestaltungsrecht zu. Es kommt zur Vertragsänderung durch einseitige Erklärung seitens des Vermieters. Eines Mitwirkens des Mieters in ausdrücklicher Form oder durch schlüssiges Verhalten bedarf es hier nicht. Die Vertragsänderung tritt durch die wirksame Geltendmachung der Mieterhöhung ein. Dem Mieter steht aber auch hier ein Sonderkündigungsrecht zu34. 4. §§ 558 und 559 BGB als Anpassungsbestimmungsrechte Es zeigt sich die Parallele zwischen den gesetzesgestützten Mieterhöhungen aus §§ 558 und 559 BGB. Beide sind keine Anpassungserzwingungs- sondern Anpassungsbestimmungsrechte, was bedeutet, dass der Vermieter die Vertragsänderung zwar antragen und deren Umfang bestimmen kann, dabei aber Gefahr läuft, dass der Mieter von seinem Sonderkündigungsrecht aus § 561 BGB Gebrauch und den Vertrag völlig zu Nichte macht35. Der Vermieter kann die Vertragsänderung nicht erzwingen. Darin liegt die wesentliche Parallele zwischen 33 Auf die Erhöhung der Miete wegen gestiegener Betriebskosten wird an dieser Stelle nicht separat eingegangen. 34 Es besteht sogar ein zweifaches Kündigungsrecht, zum einen aus § 554 Abs. 3 S. 2 BGB in Folge der Mitteilung der anstehenden Maßnahme und zum anderen aus § 561 BGB in Folge der Erklärung der Mieterhöhung. 35 Hau, a.a.O., S. 251. 10 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 den beiden Instrumenten der Vertragsänderung, wohinter die völlig unterschiedliche rechtliche Konstruktion, als gesetzesgestützter Vertragsschluss oder einseitige Erklärung, im Grunde als zweitrangig zurücktritt. Dies ist für das hier im Mittelpunkt stehende Thema der Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten von großer Relevanz, was sich im nun Folgenden zeigen wird. 5. Umdeutung gescheiterter gesetzesgestützter Mieterhöhung Sowohl die Mieterhöhung im Rahmen des Vergleichsmietensystems als auch diejenige in Folge einer Modernisierungsmaßnahme gehorchen einem sehr komplizierten System, das hier nicht näher erläutert und im Wesentlichen als bekannt vorausgesetzt wird. Ebenso wenig wird unbekannt sein, wie schwierig es ist, eine gesetzesgestützte Mieterhöhung wasserdicht durchzuführen. Gerade der nicht professionell handelnde Vermieter hat seine große Mühe damit, eine wirksame Mieterhöhung herbeizuführen. Die Fülle der Gerichtsentscheidungen zum Recht der Mieterhöhung gibt Zeugnis davon. Was passiert aber nun, wenn es dem Vermieter nicht gelingt, ordnungsgemäß die Miete zu erhöhen, der Mieter aber gleichwohl den erhöhten Betrag vorbehaltlos zahlt. In der Rechtsprechung hat man in der Zahlung vielfach eine Zustimmung des Mieters zu der ihm angetragenen unwirksamen Mieterhöhung gesehen und die gesetzesgestützte Änderung kurzerhand in eine privatautonome Vertragsänderung umgedeutet. Der Vermieter habe stets auch einen Antrag zur einvernehmlichen Vertragsänderung unterbreitet, den der Mieter durch Zahlung annehme. Dem ist entschieden entgegenzutreten. a) Gestaltungsrecht Hinsichtlich der Mieterhöhung durch Gestaltungserklärung in § 559 BGB liegt es auf der Hand, dass eine Umdeutung nicht in Betracht kommt. Es fehlt nicht nur an der Willenserklärung des Mieters durch Zahlung der erhöhten Miete, sondern auch an einem dahingehenden Antrag des Vermieters. Wollte man die Zahlung als konkludente Annahme eines Änderungsantrags verstehen, wie es etwa das LG 11 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Leipzig in zwei Entscheidungen getan hat36, verstößt man nicht nur gegen die Systematik des Mieterhöhungsrechts, sondern stellt die Rechtsgeschäftslehre auf eine große, ja nicht zu bestehende Probe. Der Vermieter hat ein Gestaltungsrecht ausgeübt und das Gericht deutet dieses in eine Willenserklärung gerichtet auf die einvernehmliche Vertragsänderung um. Dies ist schlicht unmöglich. Auch auf Mieterseite ergeben sich erhebliche Probleme, die Grenzen der zulässigen Auslegung nicht zu verlassen. Der Mieter zahlt, da er davon ausgeht, in Folge der einseitig durch den Vermieter herbeigeführten Mieterhöhung dazu verpflichtet zu sein. Darin erübrigt sich die Bedeutung der Zahlung. Hier fehlt dem Mieter der Wille, über den eigentlichen Zweck der Zahlung hinausgehend rechtsgestaltend tätig zu werden. Er möchte den Vertrag nicht ändern, sondern geht von der durch Gestaltung des Vermieters bereits eingetretenen Änderung aus. Durch Umdeutung wird aus einer gescheiterten einseitigen Mieterhöhung keine einvernehmliche Vertragsänderung37. Eine Vertrauenshaftung kommt hier evident nicht in Frage. b) Gesetzesgestützter Vertragsschluss Bedeutend schwieriger ist die Rechtslage bei § 558 BGB einzuschätzen. Hier trägt der Vermieter ja immerhin die Mieterhöhung im Konsens an, hat aber, anders als bei der privatautonomen Vertragsänderung, einen Anspruch auf die Zustimmung des Mieters und kann diese einklagen und schließlich durch Urteil ersetzen lassen. Wie ist es nun zu bewerten, dass der Mieter auf ein unwirksames Erhöhungsverlangen zahlt. Überwiegend wird hierin eine einvernehmliche Vertragsänderung gesehen38. Doch, auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick verwundern mag, ist auch dem entgegenzutreten39. Die freie einvernehmliche Vertragsänderung ist nicht als Auffangtatbestand einer gescheiterten gesetzesgestützten Mieterhöhung zu bergreifen40. 36 LG Leipzig ZMR 2001, 548; 1999, 767, 768; dagegen ausdrücklich LG Berlin GE 2003, 807 (808). 37 LG Berlin GE 2003, 807 (808); LG Bautzen WuM 2002, 497; LG Berlin ZMR 2001, 544 (545); Emmerich/Sonnenschein/Weitemeyer, 8. Aufl. 2003, § 557 BGB Rn. 4; dies., NZM 2000, 313, 317; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, § 557 BGB Rn. 23; MK/Artz § 557 BGB Rn. 39. 38 BGH NJW 1998, 445 (446); LG Berlin GE 2003, 807 (808); Staudinger/Weitemeyer § 557 BGB Rn. 33; dies. NZM 2000, 313 (316 f.); Staudinger/Emmerich § 558a BGB Rn. 13, 61; Schmidt-Futterer/Börstinghaus § 557 BGB Rn. 17; Bamberger/Roth/Ehlert, 2003, § 557 BGB Rn. 6; Herrlein/Kandelhard/Both, 2. Aufl. 2004, § 557 BGB Rn. 28. 39 So schon ausf. in MK/Artz § 557 BGB Rn. 40. 40 Siehe auch Hau, a.a.O., S. 324 ff. 12 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Wiederum ist auf den Willen des Mieters bei der Zahlung der erhöhten Miete abzustellen. Dem Mieter stehen in einer derartigen Situation im Grunde zwei Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Er gibt dem Erhöhungsverlangen nach, auf das der Vermieter aus seiner Sicht einen Anspruch hat, und zahlt die erhöhte Miete, oder er kündigt und zieht aus. Zahlt der Mieter also die neue Miete, so ist die Zahlung in der Regel von dem Willen getragen, dem scheinbar bestehenden Anpassungsanspruch des Vermieters zu entsprechen. Dabei ist dem Mieter auch bewusst, dass seine Zahlung als Zustimmung zu dem gesetzesgestützen Änderungsverlangen zu verstehen ist und sich damit eine Vertragsänderung durch den Abschluss eines Änderungsvertrages vollzieht. Gleichwohl ist damit der Weg zur Umdeutung noch nicht eröffnet. Dem Verlangen des Vermieters wird man unterstellen können, dass es im Falle des Scheiterns einer gesetzlich vorgesehenen Vertragsanpassung auf eine privatautonome gerichtet sein soll. Er möchte die Anpassung der Miete an das ortsübliche Niveau, seinetwegen auch einvernehmlich erreichen. Das Mitschwingen eines Angebots auf einvernehmliche Vertragsänderung wird man annehmen können. Anders sieht aber die Interessenlage des Mieters aus. Seine Zahlung ist von dem Bewusstsein getragen, andernfalls das Mietverhältnis beenden zu müssen. Ihm ist nicht zu unterstellen, auch selbstbestimmt durch die Zahlung eine Vertragsänderung herbeiführen zu wollen. Er zahlt, weil ihm keine andere Wahl bleibt. Um nochmals auf Flume zurückzukommen: Der Mieter handelt nicht, um in Selbstbestimmung durch das In-Geltung-Setzen einer rechtlichen Regelung ein Rechtsverhältnis schöpferisch zu gestalten, sondern mit dem Willen, einem Anspruch des Vermieters zu entsprechen, den diesem das Gesetz scheinbar zugesteht. Es stellt sich auch das prozessuale Problem der Klageinitiativlast. Es kann dem Mieter nicht vorgehalten werden, hinsichtlich eines unangemessenen gesetzesgestützten Anspruchs auf Erhöhung der Miete keinen Vorbehalt erklärt und eine einzige Zahlung geleistet zu haben. Es verhält sich vielmehr der Vermieter widersprüchlich, der angesichts eines übermäßigen gesetzlich abgesicherten Verlangens auf einen frei vereinbarten Änderungsvertrag nach § 557 Abs. 1 BGB 13 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 umschwenkt41. Dem Vermieter obliegt es, einen privatautonomen Anpassungsvertrag herbeizuführen, bzw. dessen Vorliegen zu beweisen. Auch vorbehaltlos erklärt der Mieter nur das Einverständnis zu einem dem Vermieter scheinbar kraft Gesetzes zustehenden Verlangen. Ohne weiteres ist diese Erklärung nicht in eine privatautonome Erklärung hinsichtlich der Änderung der Miethöhe umzudeuten42. 6. Ergebnis Im Ergebnis können somit weder die Zahlung auf eine unwirksame einseitige Mieterhöhung noch Änderungsverlangen diejenige als auf ein unwirksames Zustimmung zu gesetzesgestütztes einem privatautonomen Änderungsbegehren gedeutet werden. Der Zahlung des Mieters kommt nicht die Bedeutung eines schlüssigen rechtsgestaltenden Verhaltens zu. Damit zeigt sich, dass die Mieterhöhungen aus §§ 558 und 559 BGB zwar rechtstechnisch völlig unterschiedlich konstruiert, ihrem Wesen aber als gesetzesgestützt ähnlich und der einvernehmlichen privatautonomen Vertragsänderung fremd sind. Festzuhalten ist, dass die einvernehmliche Vertragsänderung keinen Auffangtatbestand für gescheiterte gesetzlich vorgesehene Änderungsversuche darstellt. V. Zahlung der Miete auf ein verdecktes Änderungsbegehren Angesichts des soeben dargestellten restriktiven Umgangs mit der Annahme einer Vereinbarung über die Vertragsänderung in dem Fall, dass zumindest der Vermieter offen das Begehren zur Änderung zum Ausdruck bringt, verwundert es nicht, dass in Fällen, in denen nicht einmal der Änderungswille des Änderungsinteressenten offen zu Tage tritt, eine einvernehmliche Vertragänderung schlicht abzulehnen ist. Der VIII. Zivilsenat des BGH hat im April des vergangenen Jahres im Anschluss an die Rechtsprechung des XII. Senats jedoch entschieden, dass in der jahrelangen widerspruchslosen Zahlung vertraglich nicht geschuldeter Betriebskosten eine 41 Zutreffend Hau, a.a.O., S. 327 ff. Sollte in einem solchen Fall der Vermieter die Zahlung einmal nur als Zustimmung zu dem mitschwingenden einvernehmlichen Änderungsangebot verstehen können und daher ein Vertrauenstatbestand erwachsen, erfolgt die Lösung über die Anfechtung der Änderungsvereinbarung. 42 14 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 stillschweigende Vereinbarung hinsichtlich der zukünftigen Umlage dieser Kosten auf den Mieter zu sehen ist43. Diese Entscheidung ist auf erhebliche Kritik gestoßen44, was bei einer Begutachtung im Licht der hier erfolgten Ausführungen sehr verständlich ist. Wiederum geht es darum, einem primär anderen Zwecken dienenden Handeln auch rechtsgestalterischen Willen zuzuordnen45. Der Vermieter legt dem Mieter eine Abrechnung der Betriebskosten vor, die unter anderem Kosten für die Dachrinnenreinigung enthält, die der Mieter nicht zu zahlen hätte. Der Mieter zahlt daraufhin. Dies ist der eigentliche Vorgang. Liegt darin tatsächlich auch eine stillschweigende Vereinbarung über die Umlegung der nicht geschuldeten Kosten für die Zukunft? Liegen mit anderen Worten zwei übereinstimmende, durch schlüssiges Verhalten abgegebene Willenserklärungen zur Änderung des Vertrages vor? Dies nimmt der Senat an, obwohl er am selben Tag in einer anderen Entscheidung festgestellt hat, dass derartige Betriebskosten nur umlagefähig sind, wenn die Umlegung der im Einzelnen bestimmten Kosten mit dem Mieter vereinbart worden ist46. Auf eine Änderung der Betriebskostenvereinbarung werden somit zu Recht die allgemeinen Grundsätze der Mietvertragsänderung angewendet47. Man wird in derartigen Fällen im Ergebnis nicht einmal eine verwertbare Willenserklärung finden48. Der Vermieter stellt dem Mieter nicht geschuldete Kosten in Rechnung. Dies kann im Grunde entweder irrtümlich oder arglistig geschehen. Irrt der Vermieter, so fehlt auch ihm der Wille zur rechtsgeschäftlichen Gestaltung. Handelt er arglistig, so kann er sich nicht darauf berufen, dass seine Abrechnung vom redlichen Mieter nur als Offerte zur Vertragsänderung hätte verstanden werden können49. Jedenfalls scheidet ein verwertbares Angebot zur Vertragsänderung aus. Dem Vermieter ist es 43 BGH NZM 2004, 418 mit krit. Rez. Kappus, NZM 2004, 411, Langenberg, NZM 2005, 51 (52 f.); dazu auch Eisenschmid MietPrax-AK § 2 BetrKV Nr. 2; krit. ebenso Derckx, ZMR 2005, 86 (88); BGH NZM 2000, 961 mit krit. Rez. Schmid NZM 2003, 55. 44 Siehe etwa Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 60; Kappus, NZM 2004, 411; Börstinghaus, NZM 2004, 801 (806); MK/Schmid § 556 BGB Rn. 29; scharf Schumacher, WuM 2004, 507 (508); „Die entgegenstehenden rudimentären Ausführungen des BGH sind apodiktisch und weit entfernt von überzeugender revisionsgerichtlicher Dogmatik“. 45 Siehe auch Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 58; MK/Schmid § 556 BGB Rn. 29. 46 BGH NZM 2004, 417; dazu Börstinghaus, NZM 2004, 801 (806); Langenberg, NZM 2005, 51; s. auch AG Bonn WuM 2005, 61. 47 Staudinger/Weitemeyer § 556 BGB Rn. 60. 48 Staudinger/Weitemeyer § 556 BGB Rn. 61 mit umfangreichem Hinweis auf instanzgerichtliche Rechtsprechung. 49 Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 60. 15 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 im Übrigen angesichts dieser Sachlage verwehrt, sich auf den Vertrauensschutz zu berufen50. Auf der anderen Seite zahlt der Mieter, weil er glaubt dazu verpflichtet zu sein51. Es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass der Mieter allein durch die Zahlung der Betriebskosten den Vertrag zu seinen Ungunsten ohne Gegenleistung ändern möchte. VI. Verwirkung und Erwirkung Im Grunde wesensverschieden sind Vertragsänderung auf der einen und Verwirkung und Erwirkung auf der anderen Seite. Geht es bei der soeben untersuchten Vertragsänderung darum, dass der Inhalt der vertraglichen Bindung sich in der Tat ändert, also der Kreis von Rechten und Pflichten einem dynamischen Prozess unterliegt, bleibt bei den aus § 242 BGB erwachsenden Rechtsinstituten der Verwirkung und Erwirkung der vertragliche Pflichtenkreis der selbe. Da gleichwohl faktisch in das Austauschverhältnis im Dauerschuldverhältnis eingegriffen wird, hat man bei der Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen von Ver- und Erwirkung grundsätzlich besondere Strenge walten zu lassen52. Die Verwirkung stellt eine besondere Ausprägung der unzulässigen Rechtsausübung als Unterfall des Rechtsgedankens von Treu und Glaubens dar53. Obwohl keine Verjährung vorliegt, kann es treuwidrig sein, einen Anspruch bzw. ein Recht noch geltend zu machen. Verwirkung kann auch bei Gestaltungsrechten oder Einreden eintreten, die dem Reglement der Verjährung nicht unterliegen54. Voraussetzung dafür ist stets neben dem Umstand des Zeitablaufs ein weiteres, das Vertrauen der anderen Partei begründendes Moment. Allein auf den Zeitablauf kann die Verwirkung niemals gestützt werden55. Die Untätigkeit des Rechtsinhabers muss den Eindruck vermittelt haben, das Recht werde nicht mehr ausgeübt und der andere Teil muss ein besonderes Maß an Schutz genießen56. Im Hinblick auf das vieldiskutierte Problem 50 51 52 53 54 55 56 Völlig zutreffend Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 59. Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 BGB Rn. 58; Börstinghaus, NZM 2004, 801 (806). MK/Roth § 242 BGB Rn. 354. Siehe etwa Soergel/Niedenführ 13. Aufl. 1999, Vor § 194 BGB Rn. 16. Larenz/Wolf, a.a.O., § 16 Rn. 47. Medicus, a.a.O., Rn. 137 ff.; Larenz/Wolf, a.a.O., § 16 Rn. 47 ff. Medicus, a.a.O., Rn. 139; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 337 ff., 510 ff. 16 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 der Verwirkung von Minderungs- und Kündigungsrechten im Mietrecht57 sei der Hinweis erlaubt, dass man bei den hohen Anforderungen, die man zum Teil an Mieter und Vermieter stellt, um dem Verlust eines Rechts durch Verwirkung vorzubeugen, die besondere Natur des Mietverhältnisses nicht aus dem Auge verlieren sollte. Das Dauerschuldverhältnis Miete kann von einem friedlichen Zusammenleben der Parteien - unter Umständen unter einem Dach - geprägt sein58. Dass der Mieter eine Minderung nicht sofort erklärt oder der Vermieter nicht unmittelbar außerordentlich kündigt, obwohl jeweils die Voraussetzungen vorliegen, wird häufig seinen Grund darin haben, dass die Parteien ein Interesse an der harmonischen Fortsetzung des Mietverhältnisses haben. Dass sie damit einen Vertrauenstatbestand setzen, ihr Recht nicht mehr auszuüben, ist nicht gesagt. Hinsichtlich der Erwirkung sind zwei Fälle voneinander zu unterscheiden. Zum einen ist die Erwirkung als Spiegelbild der Verwirkung anzusehen. Dadurch, dass eine Partei ein Recht verwirkt, erwirkt die andere eines59. Darüber hinaus kann der Erwirkung aber auch selbständige Bedeutung zukommen60. Hier wächst einer Partei ein Recht zu, da über einen Zeitraum ein Zustand besteht, der ein berechtigtes Vertrauen erzeugt, für dessen Erwachsen die andere Partei verantwortlich ist. Relevant wurde der Tatbestand der selbständigen Erwirkung insbesondere im Arbeitsrecht unter dem Stichwort der ständigen Übung61. Auch im Dauerschuldverhältnis Miete sind derartige Fallkonstellationen gut vorstellbar. Erinnert sei an den Eingangsfall der ständigen Schneebeseitigung durch den Mieter. Zutreffend wird man solche Erwirkungstatbestände allein über den Vertrauenstatbestand aus § 242 BGB erfassen und das eigentliche vertragliche Austauschverhältnis unberührt lassen müssen62. Es fehlt nach allgemeinen Grundsätzen an einem Vertragsschluss. Das BAG vertritt bezüglich der ständigen 57 BGH NJW 2003, 2601 = JuS 2003, 1229 (Emmerich) mit Bspr. und Anm. von Timme, NJW 2003, 3099; Börstinghaus, LMK 2003, 178 Wendlandt, JR 2004, 71; Gerber, NZM 2003, 825; Streyl, NZM 2004, 15; Krauss, JA 2004, 3; Kandelhard, NZM 2005, 43. 58 In diese Richtung argumentiert auch Kandelhard, NZM 2005, 43 (48). 59 MK/Roth § 242 BGB Rn. 353. 60 MK/Roth § 242 BGB Rn. 354; Erman/Hohloch 11. Aufl. 2004, § 242 BGB Rn. 124 a.E.; Larenz/Wolf, a.a.O., § 16 Rn. 33. 61 MK/Roth § 242 BGB Rn. 353; MK/Müller-Glöge, 4. Aufl. 2005, § 611 BGB Rn. 411 ff.; Hanau, AcP 165 (1965), 220 (261); Canaris, a.a.O., S. 372 ff.; Singer, Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, 1993, S. 347 ff. 62 So etwa Erfurter Kommentar/Preis § 611 BGB Rn. 262; überzeugend Singer, ZfA 1993, 487 (494). 17 Dr. Markus Artz Deutscher Mietgerichtstag 2005 Übung indes die sogenannte Vertragstheorie, nimmt eine Willenserklärung des die Leistung erbringenden Arbeitgebers an, die der Arbeitnehmer stillschweigend annimmt und konstruiert so einen Vertragsschluss63. Inwiefern die arbeitsrechtlichen Grundsätze für das Mietrecht nutzbar zu machen sind, bietet jedoch Stoff für einen eigenständigen Vortrag. 63 BAG NZA 1994, 513. 18