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USA: NORTH CAROLINA grÜne hÖlle mit sÜdstaatenflair Wenn vom amerikanischen „Biker‘s Dream“ die Rede ist, denken die meisten nur an den Wilden Westen der USA. Dabei hat der Osten mit alpinen Straßen, sattem Grün und jeder Menge Geschichte eine lohnenswerte Alternative zu bieten, wie Stephan Fennel zu berichten weiß. b ill Kniegge begrüßt uns mit einem typisch amerikanischen gewinnenden Lächeln: „Welcome!“ Doch so amerikanisch, wie er auftritt, ist er gar nicht. Die Wurzeln seiner Abstammung reichen nach Deutschland zurück, und zwar nach Bremen, wo die Knigges, hier noch ohne „e“, bis heute eine traditionsreiche Konditorei betreiben. Onkel Wolfgang war es denn auch, der den kleinen Bill, der genauso gut Willi heißen könnte, mit dem Motorradvirus infizierte. 1956 hatte er seine 500er-BMW in die USA verschiff t, um nicht nur den Verwandten im fernen Iowa einen Besuch abzustatten, sondern um gleich ganz Nordamerika zu durchqueren. Sein Aufenthalt in Davenport zog sich aber hin, weil die Weiß-Blaue einige Reparaturen benötigte. Dabei nahm er Bill immer mal wieder mit ums Eck – und legte so den Grundstein für ein langes Bikerleben. All das erfahren wir – auch typisch amerikanisch – gleich am ersten Abend unserer Tour durch North Carolina, Virginia und Tennessee. Und noch so manches mehr. Bill sitzt mit uns beim Dinner in Charlotte, wo er zusammen mit seiner Frau Debbie seit zwei Jahren Blue Strada Tours betreibt, einen kleinen Anbieter von sehr persönlich geführten Motorradtouren – im Westen wie im Osten der USA. Er weist uns in die Bikes ein, 650er und 1000er VStrom Suzukis, die sich auf der Tour als perfekt für diese Gegend herausstellen sollen. Er spricht von Verkehrsregeln und dem besonderen Auge der Cops auf Biker, die es an den schönsten Stellen der vor uns liegenden Meilen gerne mal übertreiben. Und er bringt das alles mit einem gewinnenden Witz und Charme rüber, so dass die Vorfreude auf die nächsten Tage über die Müdigkeit nach der langen Anreise siegt. 26 REISE MOTORRAD 2008/6 rende Ampeln oder sonstige Hindernisse, wenn man einmal von den zahlreichen Ausblicken absieht, die immer wieder zum Anhalten verleiten. Die Nationalparkstraße, in den 1930ern teilweise als Arbeitsbeschaff ungsmaßnahme erbaut, ist das gekrümmte Rückgrat der Blue Ridge Mountains und führt auf Höhen zwischen 700 und 1.900 Metern von Nordosten nach Südwesten. Wir nehmen heute aber nur 130 Kilometer davon unter die Räder, bis wir nach Damascus in Virginia abzweigen. Bill Kniegge von Blue Strada Tours führt seine Gäste durch Amerikas Osten. In einer knappen Stunden haben wir nach einem reichhaltigen Frühstück die Straßen der Großstadt hinter uns gelassen. Jetzt sind wir auf dem Weg in die Berge. Die Blue Ridge Mountains sind unser Ziel, Teil eines Nationalparks, der in Sachen Besucherzahlen selbst dem berühmten Grand Canyon den Rang abläuft. Die Straßen sind eng geworden und schmiegen sich in anspruchsvollen Kurven an das stetig steiler werdende Gelände. „Up and up and up we go...“, schießt es mir durch den Kopf, bis wir schließlich zum Lunch in einem Dorf landen, das auf den malerischen Namen Little Switzerland hört. Im Switzerland Café machen wir erste Bekanntschaft mit einer Spezialität der Region – dem Barbeque, kurz BBQ. Gegrilltes und Geräuchertes bordet über den Tellerrand hinaus. Wenn das so weitergeht, wird nach einer Woche die Kombi drücken. Aber wir können die Kalorien ja anschließend auf dem Blue Ridge Parkway abarbeiten. 700 Kilometer lang schlängelt sich diese Route über die Bergkette der Appalachen – ohne stö- a ls wir an unserem Nachtquartier, dem Martha Washington Inn in Abingdon, eintreffen, tauchen wir dafür in einen ganz anderen Aspekt dieser Tour ein: Geschichte. Das Südstaatenflair unserer Herberge nimmt uns unweigerlich gefangen. Ein Gebäude, wie aus Fackeln im Sturm! Weiße Veranda, antikes Mobiliar, plüschige Atmosphäre. Die Besitzer erzählen nur zu gerne von der für europäische Verhältnisse zwar kurzen, nichtsdestoweniger spannenden Historie des Gebäudes, um uns anschließend mit einem Südstaaten-Dinner zu verwöhnen, das dem Begriff Gastfreundschaft eine neue Dimension verleiht. Beim gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen überfliegen wir die Karte mit der vor uns liegenden Tagesetappe und auf geht’s nach Tennessee: Hügel, Berge, Flusslandschaften fliegen an uns vorbei auf dem Weg nach Asheville. Im Shady Valley weist uns ein Schild auf die vor uns liegenden drei Berge und 389 (!) Kurven hin. Nein, wir sind nicht in den Alpen – aber was für einen Ritt haben diese tollen Strecken durch den Cherokee National Forest zu bieten. Auch in Asheville haben Bill und Debbie mit dem Princess Anne Hotel Verwirrende Schilderwälder sind auf dem Blue Ridge Parkway schnell vergessen. Abgeschiedene Orte in den Bergen und an einsamen Seen gehören ebenso zum Reiseprogramm wie der Weinkeller der Vanderbilts in Biltmore Castle. Überraschend erlesene Country Inns mit viel Historie und leckeren Speisen stehen bei Blue Strada Tours für die Übernachtungen bereit (von oben links nach unten). REISE MOTORRAD 2008/6 27 USA: NORTH CAROLINA Deals Gap, Ausgangspunkt für einen Ritt über den Tail of the Dragon. eine kleine, feine Südstaatenperle in ihr Programm eingebaut. Zum Dinner gehen wir ins Fiddle & Pig, der Name ist Programm. Wieder ein BBQ, diesmal musikalisch untermalt mit Bluegrass-Musik, die selbst chronische Nichttänzer in „good vibrations“ versetzt. Da wir zwei Nächte vor Ort verweilen, können wir am Morgen unbeschwert von Gepäck durch die Landschaft rollen. Kultur steht heute auf dem Programm, ein Besuch in Amerikas größtem Wohnhaus, dem BiltmoreCastle. Die Vanderbilts ließen sich das private Schloss in die Landschaft North Carolinas setzen. Vorbild waren gleich drei verschiedene französische Anwesen aus dem 16. Jahrhundert. Mit 250 Zimmern, 34 Schlafzimmern, 43 Bädern und 65 offenen Kaminen hat sich eine der reichsten Familien Amerikas zum Ende des 19. Jahrhunderts ein formidables Heim geschaffen – inmitten einer Parklandschaft, die jede Menge Freizeitaktivitäten bietet – vom besinnlichen Angeln bis hin zu einem Offroad-Kurs mit Land Rover-Fahrzeugen. Uns stehen tags darauf noch einige der größten Motorrad-Attraktionen in den USA bevor. Auf dem Weg dorthin kehren wir in Wheels Through Time, einem spannenden Motorrad-Museum mitten im Nichts dieser Grünen Hölle, ein. Nicht nur wir geraten ins Schwärmen angesichts der Ausstellungsobjekte aus über 100 Jahren Motorradgeschichte. Auch Bill ist jedes Mal wieder fasziniert. So erfahren wir noch mehr über unseren Tourguide und wie er über 30 Jahre lang in der Szene tätig war. Als 28 REISE MOTORRAD 2008/6 Marketing Direktor von Husqvarna USA oder für den Helmhersteller Bell oder als Gründer eines Herstellers für Packtaschen und Zubehör. Und jetzt eben als sympathischer Reiseführer durch touristisches Neuland. w ir nisten uns für die nächsten zwei Nächte in der Blue Waters Mountain Lodge ein, einem der vielen kleinen Inns der Gegend, in denen man todsicher auf Biker triff t. Der Cherohala Skyway und vor allem der Tail of the Dragon locken sie in Scharen, nicht nur an den Wochenenden. Und nach den nächsten beiden Tagen wissen auch wir warum. Der Tail of the Dragon hat seinen Namen natürlich nicht von ungefähr: Sage und schreibe 318 Kurven auf nur elf Meilen (knapp 18 Kilometer) machen den Trip zum Tanz auf dem Schwanz des Drachens! Am Deals Gap, im Grenzgebiet North Carolinas zu Tennessee, treffen sich die Biker, bevor sie auf die insgesamt 200 Kilometer lange Runde gehen. Hier steht auch der „Baum der Am Baum der Schande manifestiert sich das Unvermögen manches Bikers. Schande“, zugepflastert mit Motorradteilen, die allzu Übermütige auf ihrer Fahrt als unnötig erachteten Ballast abgeworfen haben. Wir tanken auf und tauchen dann ein in ein Fahrerlebnis, das keiner von uns so schnell vergessen wird. Hier können wir uns wahrlich schwindelig fahren – und tun das auch. Gut, dass immer mal wieder ein Coffee Shop mit ein paar Dutzend davor geparkten Motorrädern zur Pause lädt. Und jetzt wissen wir auch, warum Bill die V-Strom für seine Touren ausgewählt hat. Sie ist auf den welligen Straßen mit zahllosen Kurven so easy zu handeln, dass wir uns alle ganz beschwingt von einem Turn zum nächsten treiben lassen. So verbringen wir einen abwechslungsreichen Tag hier, mit zahllosen Fotostopps und jeder Menge Spaß, die ein Grinsen in die Gesichter der Gruppe schmiedet, das selbst dann nicht vergeht, als ein paar von uns von den lokalen Ordnungshütern zur Seite genommen werden. Angesichts der europäischen Führerscheine drücken die Sheriffs aber anderthalb Augen zu und wir kommen mit einer mündlichen Verwarnung und einem Augenzwinkern davon: „Wir wissen ja, dass Ihr in Europa fahren könnt, aber übertreibt es nicht. Have a nice day!“ Haben wir... Für den Rückweg hat Bill sich dann den Blue Ridge Parkway in seiner ganzen Länge aufgehoben. Bei Asheville nehmen wir seine Fährte erneut auf und rollen über den Rücken der Blauen Berge nordostwärts. Damit haben wir eine grandiose Acht durch drei Bundesstaaten gedreht. Bevor es uns erneut aus North Carolina heraustreibt, drehen wir bei und nehmen Kurs auf Charlotte. Als wir wieder an unserem Ausgangsort einrollen, liegen rund 1800 Kilometer zumeist traumhafter Straßen hinter uns. Verkehr? Kaum existent. Kurven? Im Übermaß. Und dazu die alles umgarnende Gastfreundschaft des Südens, stärkende Barbeques und jede Menge Anekdoten. Ein Traum. Schade nur, dass wir aus ihm wieder erwachen und in die Realität zurückkehren müssen. North Carolina, Tennessee und Virginia sind drei US-Bundesstaaten im Osten der USA. Gleichzeitig sind sie historisch betrachtet die nördlichsten Bundesstaaten des „Alten Südens“. Zahlreiche Herrenhäuser zeugen noch heute von der Südstaatengeschichte der Region. Drei Landschaftsformen bestimmen das Gebiet: die Atlantikküste, die Gebirgszüge der Appalachen und dazwischen das fruchtbare Hügelland, das in North Carolina etwa die Hälfte der Fläche ausmacht. Hier wird seit einigen Jahren Wein in hoher Qualität angebaut. Nicht umsonst nennen die Einheimischen die Gegend liebevoll ihr „Piemont“. Im Gebirge wechseln Höhenlagen zwischen 700 und knapp über 2.000 Metern. Mount Mitchell ist mit 2.037 Metern der höchste Berg der Appalachen. Zudem ist er der höchste Punkt östlich des Mississippi in Nordamerika und wird vom Appalachian Trail überquert. Ein Großteil des Gebirges ist mit Laubwald bedeckt. Das macht vor allem den Herbst zu einer beliebten Reisezeit, wenn sich das Laub färbt und die Berge in Gold und Rot erstrahlen lässt. Der Blue Ridge Parkway gehört zum Nationalparksystem der USA. Der Abschnitt entlang der Straße ist der längste und gleichzeitig schmalste Nationalpark Amerikas. Außerdem ist er in Sachen Besucherzahlen mit gut 18 Millionen die unumstrittene Nummer Eins. • www.visitnc.de, offizielle deutschsprachige Website North Carolinas, sehr informativ. • www.nps.gov/blri, Webseite des National Park Service zum Blue Ridge Parkway. Attraktionen Wheels Through Time ist ein spannendes Museum zur Geschichte amerikanischer Automobile und Motorräder. Über 250 Exponate, vor allem aus den frühen Jahren der Massenmobilität, sind ausgestellt. Hinzu ge- „Wheels Through Time“ präsentiert amerikanische Mobilitätsgeschichte. Dauer 1 Woche ca. 1.800 km sellen sich Sonderausstellungen zu verschiedenen Themenaspekten, aktuell (ab September 2008): „Motorcops: A 100 Year Love Affair Between Police and the Motorcycle“. • Wheels Through Time, 62 Vintage Lane, Maggie Valley, NC 28751, Tel. +1 (828) 92662 66, www.wheelsthroughtime. com Klima und Reisezeit An der Küste und im Hügelland herrschen besonders im Sommer deutlich höhere Temperaturen als im Gebirge. Im Frühjahr beginnt die Motorradsaison etwa im April/Mai, im Herbst geht sie bis in den Oktober hinein. Regenbekleidung sollte man immer dabei haben, besser ist angesichts der wechselnden Wetterbedingungen ein Textilanzug mit Klimamembran. Motorrad fahren Die Straßen auf dieser Tour waren in gutem bis sehr gutem Zustand. Außerhalb der Ortschaften herrscht nur geringe Verkehrsdichte. Lediglich rund um Deals Gap ist während der Bike-Saison immer was los, vor allem an Wochenenden. Dann sollte das Ausflugsziel der einheimischen Biker und HobbyRennfahrer gemieden werden. Bill Kniegge von Blue Strada Tours veranstaltet seit zwei Jahren geführte Touren durch die Gebirgsregionen von North Carolina, Tennessee und Virginia. Außerdem sind auch Touren im Wilden Westen der USA im Angebot. Und dann gibt es noch ein paar Highlights, die nur jemand bieten kann, der wie Bill seit Jahrzehnten in der Motorszene arbeitet: Seine guten Kontakte zur Branche öffnen die Tore zu Sportstätten wie dem Indianapolis Motor Speedway. Biltmore Castle zeigt den Reichtum der Vanderbilts. Deftige Speisen kommen mittags auf den Tisch. • Blue Strada Motorcycle Tours, P.O. Box 13 36, Waxhaw, NC 28173, +1 (704) 292 88 01, [email protected], www.bluestradatours.com Essen und Trinken Die Speisekarte in North Carolina besteht vor allem aus Fleisch. Barbeque ist das Nationalgericht. Geräuchertes und Gegrilltes kommt in allen möglichen Variationen auf den Tisch. Dazu gibt es schwere Saucen und Kartoffeln in ihrer ganzen Vielfalt. An der Küste bestimmt Seafood die Speisekarten, Austern, Muscheln, Meeresfrüchte und Fisch sind hier an der Tagesordnung. Neben einer Vielzahl an Bieren aus lokaler Produktion munden auch die Weine North Carolinas ausgezeichnet. Über den ganzen Staat verteilt finden zahlreiche Foodfestivals statt, bei denen sich die ganze Vielfalt genießen lässt. Übernachten Warum nicht mal hochherrschaftlich statt in normalen Motels nächtigen? Im „Alten Süden“ ist das kein Problem. Zahlreiche historische Gebäude sind zu guten, oftmals noch privat geführten Inns umgewandelt, in denen die Besitzer den Geist der „southern hospitality“, der berühmten Gastfreundschaft des Südens, aufleben lassen. • The Martha Washington Inn, 150 West Main Street, Abingdon, VA 24210, Tel. +1 (276) 628-31 61, Fax +1 (276) 62888 85, [email protected], www.marthawashingtoninn.com • The Princess Anne Hotel, 301 East Chestnut Street, Asheville, NC 28801, Tel. +1 (828) 258-09 86, Fax +1 (828) 25809 89, info@princessannehotel. com, www.princessannehotel.com • Blue Waters Mountain Lodge, 292 Pine Ridge Road, Robbinsville, NC 28771, Tel. +1 (828) 258-09 86, Fax +1 (828) 25809 89, [email protected], www.bluewatersmtnl.com Weitere allgemeine Informationen finden Sie auf Seite 24. REISE MOTORRAD 2008/6 29