Das Jahrzehnt zwischen 1961 und 1970 verlief für die
Transcrição
Das Jahrzehnt zwischen 1961 und 1970 verlief für die
80 JAHRE AGRARTECHNIK Teil 5: Die Jahre von 1961 bis 1970 Das Jahrzehnt zwischen 1961 und 1970 verlief für die Fotos: Herrmann, Archiv Im Zeichen der E westdeutsche Landwirtschaft alles andere als langweilig. Unübersehbare Dynamik ging vor allem von der in den Römischen Verträgen von 1958 festgelegten Schaffung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aus, die sich anschickte, Westeuropa zu einem Binnenmarkt umzugestalten. Dazu war es erforderlich, die über dem europäischen Durchschnitt liegenden nationalen Erzeugerpreise abzusenken. Für die deutschen Landwirte bedeutete dies Einkommenseinbußen, was ihnen schlecht oder gar nicht zu vermitteln war. n vielen Fronten formierte sich bäuerlicher Widerstand, als dessen Sprachrohr der streitbare Bauernverbandspräsident Edmund Rehwinkel fungierte. In unzähligen Veranstaltungen war er nicht müde geworden, den von den Europäern verlangten „Opfergang der deutschen Bauern“ zu geißeln. Doch die einmal in Gang gesetzten Mechanismen des einheitlichen Marktes konnte er weder verhindern noch aufhalten. Die für die Landwirtschaft relevanten Passagen enthielt Artikel 39 der Römischen Verträge. Er formulierte unter anderem als anzustrebende Ziele innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Sicherung der Nahrungsversorgung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen auf der einen und die Steigerung des Einkommens der landwirtschaftlich Tätigen auf der anderen Seite. Beide Forderungen waren berechtigt, jedoch – wie sich rasch zeigte – gleichzeitig nicht zu erreichen. A 6 Als Problem wurde vor allem die ungünstige Agrarstruktur erkannt. Es existierten zu viele und, vor allem, zu viele kleine Betriebe, die nicht in der Lage waren, europäischen Maßstäben zu genügen. 1960 wurde der Prototyp des Ladewagens „Hamster“ Spezialisten waren gefragt Das Gebot der „Landwirtschaft nach Maß“ machte denn auch bald die Runde. An die Stelle der traditionellen Vielfalt – der Bauer für alles und jedes – sollten „Milchmeier“, „Schweine-“ oder „Rübenmeier“ treten. Spezialisten also, denen man noch am ehesten zutraute, unter den Bedingungen des Weltmarktes wettbewerbsfähig agieren zu können. Die Proteste der Landwirtschaft hielten während der ganzen, bis zum 1. Juli 1968 festgesetzten, Übergangszeit an. Petitionen, Tumulte bei Veranstaltungen, Traktoren-Sternfahrten und viele andere Formen des Protests brachten den Unmut der bäuerlichen Bevölkerung sichtbar zum Ausdruck. Doch war dies nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen türmten sich Überschüsse bei Getreide, Milch, Butter und Zucker auf. Diese „Berge“ verschlangen in Lagerhaltung und Verarbeitung Subventionen in Milliardenhöhe. Das Dilemma war gewaltig und wurde von der Bevölkerung mit wachsendem Unmut zur Kenntnis genommen. Einschneidende Lösungen wurden verlangt, sollte die noch junge EWG nicht Schaden nehmen. Mansholt-Plan bringt Ärger Sicco Mansholt als seinerzeitiger Agrarkommissar der Gemeinschaft sah die Probleme wohl. In einem „Memorandum“ AGRARTECHNIK MAI 2001 WG theoretisch – durch „anonyme Agrarfabriken“ ersetzt zu werden. Allerorten sprach man von einer „Revolution auf dem Lande“, die so nicht hingenommen werden konnte. Aber wer mochte Sicco Mansholt die Ernsthaftigkeit seines Konzepts absprechen? Gewöhnungsbedürftig waren seine Überlegungen, und so entschied man sich ab sofort für eine Politik des „wachse oder weiche“. Diese war auf 1,08 Millionen, darunter eine wachsende Anzahl von Zu- und Nebenenerwerbslandwirten. Im Gegensatz dazu stieg die Durchschnittsgröße je Betrieb von 9,3 Hektar im Jahr 1960 auf 11,7 Hektar im Jahr 1970, was auch in der „Wachstumsschwelle“ seinen Niederschlag fand. Galten 1960 noch Betriebe mit mehr als zehn Hektar Nutzfläche als entwicklungsfähig, so traute man nur ein Jahrzehnt später Betrieben mit mehr als 20 Hektar positive Entwicklungsaussichten zu. An Anstrengungen der Bauern, ihre Betriebe zu wirtschaftlich tragfähigen Einheiten zu gestalten, hat es die ganzen 60er Jahre hindurch nicht gefehlt. In großem Umfang wurde investiert und mechanisiert, ausgesiedelt und zusammengelegt, bis Dörfer und Fluren zuletzt ein anderes Aussehen hatten. Weitsichtige sprachen bereits damals von „Dörfem ohne Bauernhof“ und erhielten Bestätigung vor allem im Weichbild der Großstädte, wo so mancher einstmals ländlich geprägte Vorort ohne Vollerwerbslandwirt auskommen mußte. PS-Zahl mehr als verdoppelt von Ernst Weichel erstmals präsentiert. entwickelte er Alternativen für einen möglichen Ausweg. Doch was als Entlastung gedacht war, brachte die Gemüter erst richtig zum Kochen. Unvorstellbar schien den europäischen Bauern, was er forderte: Herausnahme von vier bis fünf Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aus der Produktion; Betriebsaufgabe von rund der Hälfte der zehn Millionen Höfe; Schaffung größerer Betriebseinheiten mit 80 bis 120 Hektar beim Pflanzenbau, von 40 bis 60 Kühen beim Milchviehbetrieb und 450 bis 600 Schweinen im Mastbetrieb. Das von der offiziellen Agrarpolitik vertretene Leitbild vom bäuerlichen Familienbetrieb geriet angesichts solcher Postulate ins Wanken und drohte – zumindest AGRARTECHNIK MAI 2001 den Bauern leichter verständlich zu machen, und nach ihr verfuhr man ohne größeres Wenn und Aber ab sofort in der Landwirtschaft. Strukturwandel setzte ein Zwischen 1960 und 1970 verringerte sich in der westdeutschen Landwirtschaft die Zahl der Vollbeschäftigten von 3,33 auf 1,88 Millionen, und die Zahl der Teilzeitbeschäftigten nahm von 1,55 auf 1,17 Millionen Menschen ab. Gleichzeitig schrumpfte auch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von 1,39 Doch was sollten die Bauern machen, um sich und ihren Familien eine zukunftsträchtige Existenz zu erhalten? Nun, der Maschinenbesatz nahm zwischen 1960 und 1970 weiter zu. Und nicht nur das, er wurde auch qualitativ aufgebessert. Die Zahl der in der westdeutschen Landwirtschaft eingesetzten Traktoren stieg von 860 000 auf 1,36 Millionen Stück an. Standen 1960 insgesamt 17,7 Millionen Schlepper-PS zur Verfügung, waren es 1970 bereits 39,9 Millionen PS. Man besaß also nicht nur mehr, sondern vor allem auch stärkere Zugmaschinen, die den Einsatz von Zugtieren binnen kürzester Frist zur absoluten Seltenheit werden ließen. Dieser Trend führte Mitte der 60er Jahre erstmals zu Maschinen mit mehr als 100 PS Motorleistung. Es war das besondere Verdienst Anton Schlüters, dass diese imaginäre „Schallmauer der Agrartechnik“ überwunden werden konnte. Nicht müde A 7 80 JAHRE AGRARTECHNIK wurde der bayerische Schlepperfabrikant, immer wieder auf das Potenzial großvolumiger, mehrzylindriger Motoren im landwirtschaftlichen Einsatz hinzuweisen. Anfangs begegneten die meisten Experten seinen Thesen mit Skepsis, doch es gelang ihm und seinen Mitstreitern auf DLG-Wanderausstellungen und bei Vorführungen – vor allem auf den ab 1964 mit bester Resonanz durchgeführten Schlütertagen – die technische wie wirtschaftliche Überlegenheit der Großschlepper eindrucksvoll zu belegen. Mähdrusch boomte Viel Geld investiert wurde seitens der Bauern auch in die Anschaffung von Mähdreschern. Aus den 46 000 Maschinen des Jahres 1960 waren bis zum Jahre 1970 160 000 Stück geworden. Immer öfter wurden selbstfahrende, mit Korntank ausgerüstete Maschinen gekauft. Die Hersteller aus Übersee hatten ihre Drescher mit beachtlichem technischen Aufwand an die eu- Auch in den 60er Jahren legten die Kunden Wert auf Qualität – hier das Claas-Prüf- und Messzentrum. Innenwirtschaft kommt nicht zu kurz F Mit größeren Arbeitsbreiten und neuartigen Geräten – hier ein vierreihiges Einzelkornsägerät Mitte der 60er Jahre – steigerten die Landwirte ihre Produktivität erheblich. F Es „brummte“ im Markt für Traktoren: Bei Ford liefen 1965 in Antwerpen täglich 100 Maschinen vom Montageband. ropäischen Getreidearten angepasst. Kostengünstig war der Einsatz dieser Mähdrescher insbesondere im überbetrieblichen Einsatz, sei es bei Genossenschaften, bei Lohnunternehmen oder in den sich aus Bayern im ganzen Bundesgebiet verbreitenden Maschinenringen. Auch in der sozialistischen Landwirtschaft der DDR war der Siegeszug des Mähdreschers nicht aufzuhalten. 1971 wurde ein Bestand von exakt 15 905 Maschinen erfasst, darunter rund ein Drittel Mähdrescher des in Singwitz gebauten Typs E 512. 8 Überwiegend auf den Einzelbetrieb zugeschnitten blieben dagegen die Melkmaschinen, bei denen es in den 1960er Jahren gleichfalls zu einem regelrechten Boom kam. In Westdeutschland schnellte die Zahl von 1960 gezählten 310 000 Einheiten auf 519 000 Melkmaschinen im Jahr 1970 hoch. Dabei war der Bauchmelker von 1960 nur schwer mit der Rohrmelkanlage von 1970 zu vergleichen. Bei der Anschaffung einer Melkmaschine blieb es damals zumeist nicht. Da wurde in den Stallbau investiert, kamen Futtermischund dosieranlagen hinzu und auch was die Mistbeseitigung betraf, ließ man sich zunehmend technisch aufwendige Verfahren und Vorrichtungen einfallen. Anschaffungsund Unterhaltungskosten der Innenwirtschaft stiegen gewaltig an, doch das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Der Anteil der tierischen Produktion lag 1970 fast dreimal so hoch wie der der pflanzlichen Erzeugung! Im Stall wurde also nicht nur investiert, sondem auch erfolgreich produziert und beträchtlicher Umsatz – nicht selten sogar Gewinn – gemacht. Revolutionär: der Ladewagen Gänzlich neue Maschinen trugen in den 60er Jahren mit dazu bei, die Investitionsbereitschaft der Landwirte weiter anzuregen. A AGRARTECHNIK MAI 2001 80 JAHRE AGRARTECHNIK einer Fülle neuer Vorschriften, von denen hier nur die Einführung der Betriebserlaubnis für Anhänger, die Nachrüstung von Blinkanlagen und die Ausstattung neuer Traktoren mit Sicherheitsbügeln erwähnt werden sollen. Auch entdeckten ausländische Anbieter zunehmend den deutschen Markt für ihre Produkte. Fiat, Renault und Zetor sind einige der international operierenden Unternehmen, die in den 60er Jahren ihr Deutschland-Engagement begannen, an dem sie bis in die Gegenwart erfolgreich festgehalten haben. Allerdings ist da, wo viel Licht ist, immer auch Schatten. Der internationale Wettbewerb und die zum Abschluss kommende Erstausstattung der Landwirtschaft mit Traktoren und Landmaschinen veranlasste zahlreiche traditionsreiche Unternehmen, sich aus der Landtechnik zurückzuziehen. Gezogener Kartoffelvollernter „Samro“ von Niemeyer um das Jahr 1965. Herausragendes Beispiel ist zweifellos das Aufkommen des Ladewagens, der 1960 auf der Kölner DLG-Ausstellung erstmals vom schwäbischen Tüftler-Landwirt Ernst Weichel der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das Prinzip der Maschine bestand darin, das Halmfutter mit Hilfe einer Pickup in den Wagen aufzunehmen, es dort mit Hilfe eines Kratzbodens zu verdichten und es am gewünschten Ort wieder abzuladen. Dies alles war so einleuchtend und technisch gut gelöst, dass die Grünlandbetriebe im Ladewagen einen entscheidenden Fortschritt erblickten. Die Nachfrage nach dieser Maschine explodierte geradezu, so dass Ende des Jahrzehnts an die 40 Firmen vollauf damit beschäftigt waren, die von den Bauem verlangten rund 200 000 Lagewagen zu produzieren. Daneben gab es auch zahlreiche andere landtechnische Entwicklungen von nachhaltiger Wirkung. Sie reichten vom Rotormäher, der zunehmend den Messerbalken als Schneidwerkzeug verdrängte, bis hin zum Kreiselheuer, von den Kombigeräten bei der Bodenbearbeitung bis hin zu den Einzelkornsägeräten, vom Greiferhof bis zum FarmContainer. Die Landwirte standen all diesen landtechnischen Neuerungen aufgeschlossen gegenüber. Sie nahmen aufmerksam zur Kenntnis, was im damals noch existierenden Bad Kreuznacher „Max-PlanckInstitut für Landarbeit und Landtechnik“ mit großer wissenschaftlicher Akribie ermittelt wurde. Die von Professor Preuschen und seinen Mitarbeitern gewonnenen Arbeitszeitberechnungen und Zeitvergleiche lieferten solide Anhaltspunkte für Kaufentscheidungen und die betriebsinterne Organisation von Arbeitsabläufen. Zum 10 Anton Schlüter und weitere Experten sprachen sich für leistungsstarke Ackerschlepper aus, hier der Schlüter Super 1250 mit 110 PS aus dem Baujahr 1970. regelrechten „Renner“ avancierte schließlich das 1963 erstmals vorgestellte KTLTaschenbuch für Arbeits- und Betriebswirtschaft. Es machte in der Landwirtschaft anfallende Kosten transparent. Kalkulierbar erschienen nun Maschinen und Gebäude, Arbeitsvorgänge, Maschinenring- sowie Lohnunternehmerkosten, kurzum fast alles, was den landwirtschaftlichen Betrieb zum Wirtschaftsunternehmen machte. Märkte im Umbruch Alle Landwirte konnten zusätzliche Informationen gut gebrauchen. Die Öffnung nach Europa ging schließlich einher mit Bautz, Dechentreiter, Güldner, PorscheDiesel, Speiser und auch Stille haben in den 60er Jahren ihre unternehmerische Selbstständigkeit eingebüßt, ohne deshalb aber ihren guten Ruf in der Landwirtschaft verloren zu haben. Was für die Industrie gilt, trifft auch für die Landmaschinen-Fachbetriebe zu. Zum einen waren sie stolz auf die erreichte starke Stellung in Handwerk und Handel. Die 1963 erfolgte Gründung der Meisterschule für das LandmaschinenMechanikerhandwerk in Kirchheim/Teck war für das ausgeprägte Selbstbewusstsein ebenso ein deutliches Zeichen wie die anhaltend hohe Zahl von Berufsanfängern. AGRARTECHNIK MAI 2001 Es wirkte sich positiv aus, dass die Rivalitäten mit Schmieden und Stellmachern – die man Ende der 60er Jahre sowohl hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten als auch des Umsatzes klar überflügelt hatte – ausgestanden waren. Einzig bei der Anzahl der Betriebe lagen die traditionsreichen Handwerke noch vor den Landmaschinen-Fachbetrieben, was letztere aber nicht schmerzte. Bekanntlich ist AGRARTECHNIK MAI 2001 nicht alles Gold, was glänzt. Der allerorten spürbare Wandel der Agrarstruktur forderte von den Fachbetrieben erhöhte Anpassungsbereitschaft. Nicht wenige suchten ihr Heil in der Ausweitung der Aktivitäten in den Kfz-, Baumaschinen-, Kommunalfahrzeug- und Gartenbedarfbereich hinein. Aber frei von Risiken war auch dies nicht. Aufwendige Lagerhaltung, komplizierte Werkstatteinrichtungen, großer Schulungs- und Weiterbildungsbedarf beim Personal gingen mit hohem finanziellen Aufwand einher, den nicht alle Betriebe auf Dauer zu leisten vermochten. „Europa, wir kommen“, hieß es dort, wo die Entwicklung positiv gesehen wurde. „Europa, wir leiden“, sagten dagegen jene, denen überschaubare Verhältnisse im nationalen Rahmen sicherer zu sein schienen. Dr. Klaus Herrmann 11