Die digitale Fabrik wird einfacher
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Die digitale Fabrik wird einfacher
© 2002 Carl Hanser Verlag, München www.cad-cam.de Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. REPORTAGE Schnelle Bewegungen, Zischen, Funkensprühen — der Nächste bitte. Keine Angst, hier geht es nicht um die Zahnarztpraxis des nächsten Jahrhunderts. Vielmehr geht es um die ersten Eindrücke, die man hat, wenn man einen Karosserierohbau für Automobile betritt. Ganz gleich, ob »beim Daimler«, bei VW, BMW oder allen anderen, Roboter beherrschen das Bild. Aus Zeit- und Kostengründen wird jedes Auto soweit wie möglich automatisiert zusammengebaut. Damit dabei alles reibungslos funktioniert, ist eine akkurate Planung und Programmierung jeder einzelnen Fertigungszelle und ihrer Verknüpfung notwendig. Die heutigen Softwaretools im CAUmfeld geben das her. Was dabei vor 10 Jahren noch einzelne Insellösungen waren, fügt sich nun zu kompletten Systemen zusammen. Genau in diesem Geschäft ist die Firma Delmia tätig, die in Deutschland mit dem Hauptsitz in Fellbach bei Stuttgart vertreten ist. Delmia ist bei der aktuellen Entwicklung seiner Produkte einen entscheidenden Schritt weiter gegangen als alle Hersteller solcher Software bisher: Sie werden auf der Plattform eines CAD-Systems, in diesem Fall der Catia V5, entwickelt und ermöglichen damit erstmals den nahtlosen Übergang von Produkt- und Fertigungsmittelkonstruktion. Einer der ersten Anwender und Beta-Tester der neuen Software ist die Firma VIAx im schwäbischen Dürnau, unweit von Göppingen. Bevor wir zu deren Erfahrungen mit der neuen Software kommen, zunächst ein Blick auf das Unternehmen selbst. Beratung und Ingenieurdienstleistungen Viax Solutions, so der komplette Firmenname, steht nach Aussage des Geschäftsführers Dr. Walter Commerell »für Lösungswege«. Ganz gleich, ob ein Unternehmen Consulting braucht oder Customizing, Training oder Konstruktion/Berechnung, Fabrikplanung oder Fertigungssimulation, »stets kann der optimale Weg gefunden werden«, meint Commerell. Das Pfund, mit dem Viax dabei wuchert, ist die große Erfahrung der Mitarbeiter im CAX-Umfeld: Praktiker erarbeiten praxisgerechte Lösungen beziehungsweise vermitteln entsprechendes Wissen an den Kunden. Einige wichtige Punkte aus dem Angebotsspektrum sind: 34 CAD CAM 4/2002 Delmia V5 ist einsatzbereit: Um die Fabrikplanung und -simulation weiter zu vereinfachen und zu beschleunigen, hat Delmia, ein Tochterunternehmen von Dassault, seine Tools jetzt auf die Basis von Catia V5 gebracht. Erste Kunden und Systemtester, wie die Firma Viax in Dürnau, bestätigen den problemlosen Umgang und die Praxisreife der neuen Software Die digitale Fabrik wird einfacher ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ganzheitliche Prozessanalyse Workflow-Analyse Beratung bei der Systemauswahl Optimierung der Ablaufprozesse technische Konzepterstellung Unterstützung bei der Umsetzung softwaretechnische Systemanpassungen und Systemtrainings ■ Strukturierung des Fertigungsbereiches Eine der neuesten Ideen von Viax heißt Webbased-Simulation. »Für Kunden, die nur gelegentlich eine Simulation benötigen, bieten wir einen besonderen Service über das Internet an. Die Simulationsmodelle können dabei über das Internet variiert und simuliert werden. Der Kunde bekommt die aufbereiteten Simulationsergebnisse über das Internet geliefert. Sie liegen dann bei uns zentral auf einem Server und können über ein KundenLogin angesprochen werden«, so Commerell. Bei einem so breiten Einsatzspektrum traut man den Viax-Managern auch eine vielfältige Erfahrung mit CAX-Tools zu. Eine gute Grundlage also, ein neues Werkzeug sachgerecht beurteilen zu können. Delmia V5 auf der Basis von Catia V5 Dassault hat schon vor einigen Jahren die Catia-Version 5 vorgestellt. Gegenüber der bisherigen Version 4 kann sie als Neuentwicklung gesehen werden. Sie verfolgt unter anderem das Konzept der Integration aller digitalen Bausteine entlang der Ingenieurprozesskette. Die neuen Delmia-Lösungen wurden nun wieder auf dieser Basis aufgebaut, um eben eine wirkliche Integration hinzuzubekommen und nicht nur ein Verbinden über Schnittstellen wie früher. Die bislang häufig erforderliche Datenkonvertierung entfällt, »und © 2002 Carl Hanser Verlag, München www.cad-cam.de Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. REPORTAGE Der Eingangsbereich der Firma Viax in Dürnau. Hier wurde die Delmia-Software ausgiebig geprüft Die Delmia V5-Software wurde in einem konkreten Projekt für den Karosserierohbau untersucht. 25 Roboter fertigen den Hinterbau eines Autos der Aufwand bei Konstruktionsänderungen am Produkt wird drastisch reduziert«, wie Joachim Bauer, Vertriebsleiter bei Delmia, feststellt. Warum das so ist, erklärt er so: »Im Karosserierohbau erfolgt in der Automobilindustrie die Produktionsplanung und Fertigungsmittelkonstruktion in engem Bezug zur Bauteilgeometrie. Die Festlegung von Fügefolgen erfordert die Absicherung kollisionsfreier Pfade, und dies nicht nur in Bezug auf die Bauteilgeometrie, sondern auch in Bezug auf Fertigungsmittel wie zum Beispiel Spannvorrichtungen und Schweißzangen. Gleiches gilt für die Robotersimulation, bei der die Erreichbarkeit und der Anfahrweg an Schweißpunkte unter Berücksichtigung der Robotereigenschaften und im Kontakt der Arbeitszellenumgebung simuliert werden müssen«. Bei Konstruktionsänderungen am Produkt sind diese in den Planungs- und Simulationsaufgaben nachzuziehen, häufig begleitet von Konstruktionsänderungen bei den Fertigungsmitteln. Das betrifft beispielsweise Spannwerkzeuge oder Schweißzangen. Diese Änderungen — das kommt erschwerend hinzu — verteilen sich häufig auch noch auf mehrere Unternehmen, wie Automobilhersteller, Systemlieferant, Anlagenbauer und Dienstleister. »Die auf der Basis der V5-Technologie entwickelte V5-Delmia-Body-in-WhiteLösung ermöglicht es den Beteiligten, nun durchgängig auf einer Datenbasis zu arbeiten«, so weit Joachim Bauer. Praktisch kann man sich das so vorstellen: Stellt ein Bearbeiter, der eine Fertigungszelle zu konfigurieren hat, plötzlich fest, dass ein Spannwerkzeug nicht mehr passt, so kann er es in Delmia V5 doppelklicken und kommt dann automatisch in die Catia V5-Umgebung, in der das Spannmittel konstruiert wurde. Hier führt er die Änderung durch und kehrt dann wieder in seine Umgebung zurück. Dort findet er das geänderte Werkzeug dann vor. Das gilt für alle möglichen Fälle, in denen eben solche Anpassarbeiten erfolgen. Wenn man sich nun überlegt, wie lange das früher gedauert hat, mit »ewigen« Übertritten über Schnittstellen, dann kann man Bauer schon folgen, wenn er von drastischen Zeitreduzierungen spricht. Die Sache bekommt schlicht und einfach eine neue Qualität. Ähnliche Abläufe existieren auch bei der Montageplanung von komplexen Produkten. Durch den Einsatz von Delmia V5 DPM Assembly können schon in frühen Planungsphasen die Montageprozesse auf der Basis von 3D-Produktgeometrie überprüft werden. Der Montageplaner kann fertigungsrelevante Informationen (zum Beispiel Toleranzen), die am 3D-Modell angebracht sind, visualisieren, die Verbaureihenfolge festlegen, Animationen für deren Visualisierung erzeugen, Bauteile und Fertigungsmittel platzieren, Kollisionsuntersuchungen durchführen und Prozessdaten in Gantt- und Pert-Charts darstellen. Als wichtige Ergebnisse können dadurch Aussagen über die Durchführbarkeit, die notwendigen Fertigungsmittel und Montagezeiten gemacht werden, bevor teure Prototypen und Vorrichtungen gebaut werden. Durch die schnell verfügbaren Darstellungen in 3D wird die unternehmensweite Kommunikation der Ergebnisse entscheidend unterstützt. Neue Delmia-Produkte auf der Basis von V5 erlauben es, auch andere Prozessketten effizienter zu gestalten. Neue Lösungen für die NC-Bearbeitung und Off-Line-Programmierung unterstützen die Herstellung von Einzelteilen in ähnlicher Weise. Mit Delmia V5 Virtual NC Zipp Mill können 2- und 3-Achsen-Fräsbearbeitung simuliert und zum Beispiel der Materialabtrag visualisiert werden. Durch die Verbindung zwischen VNC und Catia V5 ist es möglich, Produkt- und Maschinengeometrie in einem Modell darzustellen und im Kontext für die Bauteilpositionierung und Platzierung der Spannelemente sowie automatische Kollisionsuntersuchungen heranzuziehen. Mit Delmia V5 Inspect wird in Verbindung mit FTA (Functional Tolerancing & Annotation) in Catia V5 die Prüfplanung und die Simulation und Programmierung von Koordinationsmessmaschinen durchgängig auf der Basis von 3D-Geometrie und 3D-Features ermöglicht. So viel zum Produkt selbst. Nun zu den Erfahrungen der Firma Viax Solutions. Verbesserte Kostensituation bringt Wettbewerbsvorteile Um die neue Software wirklich beurteilen zu können, wurde ein konkretes Projekt durchgeführt. »Dabei wurde ein Anlagenbereich für CAD CAM 4/2002 35 © 2002 Carl Hanser Verlag, München www.cad-cam.de Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. REPORTAGE Beispiel für ein Gantt-Chart den Karosserierohbau untersucht. 25 Roboter fertigen in einer Linie den Hinterbau eines Kraftfahrzeugs«, wie Dipl.-Ing. Rainer Raab sagt, der bei Viax maßgeblich an dem Projekt mitgearbeitet hat. Zum Aufbau des Modells im Simulator »Quest« wurden Prozesszeiten, Anzahl der Stationen et cetera über die grafische Benutzeroberfläche (Windows und Unix möglich) eingegeben. Dazu kamen die Logiken von statistisch verteilten Störungen und die Aufteilung in Störkreise. Zur Visualisierung der CAD-Daten von Produkt und Ressource war zur Zeit der Durchführung des Projekts noch kein direkter Datenzugriff wie vorher beschrieben möglich. Deshalb mussten die Daten noch über die üblichen Standardschnittstellen eingebracht werden. »Aber schon das Kinematisieren von Maschinen zur besseren Visualisierung des Fertigungsprozesses funktionierte einfach und problemlos. Somit lassen sich schnell und anschaulich Aussagen über die Anlage und deren Parameter machen.« (Raab) Um schnell zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen, ist oft keine detailgetreue Visualisierung nötig. Deshalb wurde hier, laut Dr. Commerell und R. Raab, erst ein Modell ohne Anspruch an die realitätsgetreue Abbildung erzeugt. Es lieferte dennoch die gesamten Simulationsergebnisse. Wird anschließend eine Visualisierung gewünscht, können den Standardelementen 36 CAD CAM 4/2002 neue Geometrien zugewiesen werden, ohne das eigentliche Simulationsmodell zu verändern. Für statistische Analysen ist ein vereinfachtes visualisiertes Modell ausreichend. Für die Ausführungsplanung der Roboterbewegung mit Igrip lassen sich detailliertere Untersuchungen einzelner Schweiß-, Klebeund Handlingprozesse durchführen. Mit dem Werkzeug Igrip lassen sich folgende Fragestellungen beantworten: ■ Können alle erforderlichen Schweißpunkte erreicht werden? ■ Ist die ausgewählte Schweißzange für den Prozess geeignet? ■ Gibt es Kollisionen? ■ Wird die geforderte Taktzeit erreicht? Zur Überprüfung dieser Fragen bietet Igrip auch eine Reihe eingebauter Hilfsmittel und gestattet so die Optimierung, Prüfung und Offline-Programmierung von Produktionsprozessen. Das Tool beinhaltet Werkzeuge für die mechanische Konstruktion, Steuerungs- und Analysesoftware. In dreidimensionaler Umgebung werden reale Bedingungen dargestellt. Die Platzierung von Robotern, deren Bewegungsabläufe und Zykluszeiten lassen sich optimieren. Teure Kollisionen zwischen Robotern, Teilen, Werkzeugen, Betriebsmitteln oder Bestandteilen der Fertigungsumgebung können vermieden werden. Zur Überprüfung der Prozessvariablen werden deren Abhängigkeiten und jeder Prozess in Pert- und Gantt-Chart visualisiert. Dr. Commerell: »Igrip existiert in der Version V5, die den Zugriff über den PPRHub auf die CAD-Daten ermöglicht. Durch Die Gesprächsteilnehmer in Dürnau (v.l.n.r): Joachim Bauer, Dr. Walter Commerell und Rainer Raab Für den Aufbau einer Roboterzelle stehen Standardbibliotheken der Roboterhersteller zur Verfügung die Aufteilung in Prozess-, Produkt- und Ressourcendaten ist jederzeit eine klare Struktur des Simulationsmodells zu erkennen. Prozesse können schnell in Abhängigkeit, Reihenfolge und Dauer im Pert- und Gantt-Chart geändert und verwaltet werden. Zum Aufbau einer Roboterzelle stehen Standardbibliotheken der Roboterhersteller zur Verfügung, Bauteile wie Spanner oder Schweißzangen können kinematisiert und einem Prozess zugeordnet werden.« Das Projekt, welches im Juni 2002 abgeschlossen war, hat gezeigt, dass die neue Software von Delmia einsatzbereit ist. Sie ist einfach zu erlernen und zu bedienen, und sie bringt den versprochenen Integrationseffekt. Das Fazit der Viax- Fachleute lautet: Durch die optimierten Abläufe und den optimierten Einsatz von Ressourcen ergibt sich eine verbesserte Kostensituation und dadurch ein großer Wettbewerbsvorteil. Rund 20 Prozent aller Investitionen sind durch Simulation beeinflussbar. Durch die Wiederverwertbarkeit des Simulationsmodells reduzieren sich die Kosten bei folgenden Untersuchungen. Eine weitere Reduzierung der Kosten erwartet man aus der Verwendung einer einheitlichen Datenbasis, da bisher viel Zeit durch Schnittstellen und Konvertierungsarbeit verbraucht worden ist.