Marc Ingegno TurbokIT Italienisches Turbo

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Marc Ingegno TurbokIT Italienisches Turbo
service +
know-how
Turbo-Motor
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Text und Fotos: Marino Boric
Marc Ingegno‘s
Turbo-Motor
eingebaut im STOL
Flugzeug Parrot.
Marc Ingegno Turbokit
Italienisches Turbo-Doping
für den Rotax 912
In den letzten zwei Jahren gab es überdurchschnittlich viele Neuheiten auf dem
Motorenmarkt. Viele neue Motoren bieten
Leistungen, die weit über 100 PS liegen.
Dies ist in erster Linie interessant für Flugzeughersteller, nützt Besitzern von älteren
Flugzeugen allerdings wenig. Denen bietet
sich jedoch als eine Möglichkeit mehr Leistung aus ihrem Motor herauszukitzeln die
Turboaufladung an, die sich besonders für
Rotax 912 Saugmotoren eignet. Neben den
schon bekannten Turboaufladungsbausätzen aus Deutschland, Frankreich und
Österreich kommt nun aus Italien ein viel
versprechendes Turbo-Kit zu einem interessanten Preis hinzu. FLÜGEL besuchte
den Hersteller in Norditalien.
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Flügel Das Magazin
Wirklich neu ist die Idee nicht, zusätzlich
Leistung aus einem bestehenden Viertaktmotor durch den Einsatz eines Kompressors oder Aufladung herauszuholen. Aber
dank der rasanten Entwicklung der Turboaufladung im Kfz-Bereich ist diese Art der
Leistungssteigerung mittlerweile normal.
Fast alle modernen Diesel-Automotoren
sind mit Turboladern ausgestattet. Seit einigen Jahren kann man diese Entwicklung
auch bei Benzinmotoren beobachten. Dort
wird diese Technik der Leistungssteigerung oft eingesetzt, weil viele Hersteller ein
Downsizing ihrer Motoren durchführen. So
besitzen neue Motoren zwar immer weniger Hubraum und Zylinder, aber entwickeln
gleiche, ja teilweise sogar mehr Leistung
als ihre größeren Brüder. Erreicht wird dies
durch den intelligenten Einsatz von modernen Turboladern, die die Energie der Abgase zur besseren Aufladung der Brennräume
verwenden. Diese im Kfz-Bereich verbreitete Technik, wurde und wird noch heute in
der Luftfahrt verwendet, wo die Zwangsbeatmung von Motoren besonders sinnvoll erscheint. Die zur Verfügung stehende
Leistung von Flugzeugmotoren verringert
dramatisch mit zunehmender Flughöhe,
weil die Luftdichte sinkt. In den Motorbrennräumen befindet sich dann weniger Sauer01/2014
stoff, es wird weniger Treibstoff verbrannt und die Motoren entwickeln
weniger Leistung. Das lässt sich
mit einem Turbolader gut kompensieren.
Nun, das klingt einfach, ist es aber
nicht. So eine nachträgliche Turboumrüstung kann nämlich recht
kompliziert sein, nicht nur technisch, auch rechtlich. Deshalb
kann ein normaler Flugzeugbesitzer ein Turbo-Kit kaum selbst entwickeln und sollte deswegen auf
vorhandene Motorentuningsätze
zurückgreifen. Die Anzahl dieser
Turbo-Kits hat sich, besonders in
Europa, in den letzten drei bis vier
Jahren erheblich vergrößert. Da
die Motorenszene bei UL-Flugzeugen von Rotax 912 und Rotax 912S
dominiert wird, haben Firmen fast
ausschließlich Turbokits für diese Rotax-Motoren entwickelt. Die
meisten dieser auf dem Markt zu
findenden Bausätze wurden bisher
in sehr geringen Stückzahlen hergestellt und in noch kleineren Zahlen in Fliegern verbaut. Einige dieser Turbobausätze verlangen sehr
viel Arbeit für eine ordnungsgemäße Installation, so dass der durchschnittliche
Privatflugzeugbesitzer schnell an seine technischen,
finanziellen und handwerklichen
Grenzen gerät.
Während eines Testfluges Ende
2013 hatte ich Gelegenheit, ein
Flugzeug mit einem Rotax 912 Motor zu fliegen, der nachträglich mit
einer Turboaufladung versehen
wurde. Der italienische Hersteller
Marc Ingegno, dessen neu entwickeltes STOL-Flugzeug Parrot ich
flog, war in der Vergangenheit nur
als Luftfahrtteile-Lieferant bekannt.
Seit Jahrzehnten stellt die Firma
Komponenten wie Räder, Bremsen und Fahrwerksteile auch für
renommierte UL- und Leicht-Flugzeughersteller her. Alberto Macchini, Inhaber von Marc Ingegno, führt
in zweiter Generation die metallverarbeitende Firma, die sich in Norditalien nahe der Schweizer Grenze
mitten in den Alpen befindet. Die
Notwendigkeit für das neue Flugzeug ausreichend Leistung auch in
den Bergen zu haben, ließ die Entscheidung bei Alberto Macchini reifen, einen eigenen Turbobausatz
für Rotax 912 Motoren zu entwickeln. Das Vorhaben war schneller realisiert als er ursprünglich geplant hatte, denn die notwendigen
Maschinen waren schon vorhanden und das erforderliche Knowhow lieferte eine spezialisierte Firma in der Nachbarschaft. Mehr als
50 Turbobausätze seien schon verkauft, die meisten auch bereits installiert und im täglichen Einsatz,
was Macchini besonders freut. Mit
seinem Bausatz lässt sich laut Alberto in weniger als einem Tag Arbeit ein 80 PS Rotax 912 Motor
umrüsten, da er tatsächlich alle notwendigen Teile zum Umbau liefert.
Bausatz
Das Gesamtgewicht des Bausatzes
(siehe Kasten auf dieser Seite) beträgt zehn Kilo. Nach Herstellerangaben erbrachten die Messungen
auf dem hauseigenen Prüfstand
eine durchschnittliche Leistung
von 121 PS und einen Kraftstoffverbrauch bei voller Dauerleistung von
21 Liter pro Stunde.
Der Marc Ingegno Turbobausatz
verwendet einen Turbolader aus
dem Mitsubishi Kfz-Programm. Er
ist mit Wastegate bzw. einem By-
Der Marc Ingegno Turbo-Bausatz für den Rotax 912
besteht aus folgenden Teilen:
- Turbolader
- Edelstahlauspuffkrümmer, 4in1-Anlage mit
- Edelstahlschalldämpfer
- Luftfilter
- 2 elektrische Benzinpumpen (Pierburg)
- Kraftstoffdruckregler (höhenkompensiert)
- neue Düsen für die Original-Vergaser
- Aluminium-Airbox
- Zusatz-Ölpumpe für den Turbolader
- Vor- und Rücklauf-Ölleitungen
- Luftzuführröhre vom Turbolader bis zur Airbox
- Vergaser-Gummianschlussmanschetten
- alle Schellen und sonstigen Befestigungsmaterialien.
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pass-Ventil ausgestattet, das für
die Ladedruckregelung zuständig
ist. Dieses Ventil begrenzt den Ladeüberdruck auf Meereshöhe auf
0,4 bar (400 hPa). Ab einem bestimmten Ladedruck wird das Ventil
durch einen Geber auf der Verdichterseite geöffnet und leitet dann Abgase an der Turbine vorbei in den
Auspuff, was auch ein weiteres Ansteigen der Turbinendrehzahl unterbindet.
Die Firma Marc Ingegno liefert den
kompletten Bausatz, der den sperrigen Namen „MI8120PA00 REV0
Kit“ trägt, zum Preis von 3600 Euro
zzgl. Mehrwehrsteuer.
Ich konnte die Installation des Bausatzes auf dem Hersteller-Demonstrator Parrot in Augenschein nehmen. Die Art, wie die einzelnen
Teile des Bausatzes hergestellt
und montiert sind, zeugen von einer gewissen Reife der verbauten
Komponenten und die gesamte Installation hinterlässt eine gute, ordentliche und aufgeräumte Optik.
Alle Fragen, die ich Alberto Macchini stellte, beantwortete er prompt
ohne Scheu und jegliche Geheimniskrämerei. Dabei kamen mehrere
interessante Details zutage, die das
Verständnis für den gesamten Bausatz wesentlich erleichtern.
Die Entwicklung des Kraftstoffsystems stellte die Firma vor eine große Herausforderung. Auf der Suche
nach gut funktionierenden Lösungen, die alle in einer Höhenkammer vor dem Einbau getestet wurden, entwickelte die Firma mit Hilfe
eines Kfz-Rennspezialisten ein geeignetes System. Der eingesetzte Druckregler berücksichtigt sehr
fein den Treibstoffdruck in Bezug zur Flugzeugdichtenhöhe. Zur
Treibstoffversorgung befinden sich
zwei elektrische Kraftstoffpumpen
an Bord, von denen eine immer im
Einsatz ist. Die zweite kann parallel
manuell zugeschaltet werden. Sie
ist in der Lage, den nötigen Kraftstoffdruck auch alleine aufrecht zu
halten. Diese (hier manuell gesteuerten) Ein- und Ausschaltfunktionen
der Pumpen können auch automatisch durch fast jedes moderne EIS
(Engine Information System)-Instrument gesteuert werden.
SERVICE know-how
service Technik
know-how
Hier sieht man die
meisten Komponenten
des Turbo-Bausatzes:
4 ins 1 Krummer,
Luftfilter, Turbolader,
Schalldämpfer (Foto
links) und der Treibstoffdruckregler (Foto
rechts).
Interessanterweise behalten die 912 Rotax-Motoren die originale, mechanische
Membrankraftstoffpumpe bei, trotz der
zwei zusätzlichen elektrischen Kraftstoffpumpen. „Diese Lösung erlaubt beim Ausfall von beiden elektrischen Treibstoffpumpen einen Weiterflug mit einer reduzierten
Leistung“, berichtet Alberto Macchini
stolz. Redundanz ist ihm sehr wichtig. Eine
zusätzliche Ölpumpe, die auf die Original-Rotax-Ölpumpe gesetzt wird, bedient
ausschließlich den Turbolader. Um zu verhindern, dass der heiße Turbolader nach
dem Abstellen des Motors mit Motoröl geflutet wird, ist in der Hochdruckförderleitung direkt vor dem Turbolader ein Absperrventil eingebaut. Es unterbricht den
Ölfluss, sobald der Öldruck nach dem Motorstopp abfällt. Der Edelstahl-Endschalldämpfer gibt es preisgleich ohne oder mit
Kabinenwärmvorrichtung. Die Heißluft zur
Vergaservorwärmung ist bei einem Turbomotor nicht nötig, da die verdichtete
Luft nach dem Turbolader ohnehin viel zu
warm ist.
Für Einsätze in heißen klimatischen Umgebungen und für diejenigen, die den
Motor durch kühlere Luft beatmen oder
schonen möchten, testet Alberto
Macchini zurzeit einen Ladeluftkühler für seinen Bausatz. Diese Option
soll bis zur AERO 2014 erprobt und
serienreif sein.
Eine Höhenleistungskurve konnte der Hersteller mir zum Zeitpunkt
des Besuchs noch nicht geben.
Sie ist in Vorbereitung und wird bis
zur AERO 2014 auch veröffentlicht.
Aus der täglichen Erprobung nennt
Macchini folgende Daten: 120 PS
auf Meereshöhe und 100 PS bis
4500m Höhe. Irgendwann musste
ich Alberto diese Frage stellen, die
berüchtigte, aber notwendige Frage nach der Haltbarkeit des Motors nach dem Einbau des Turbos.
Seine Antwort: “Im normalen Gebrauch, also nicht bei voller Dauerleistung, erwarten wir, dass ein
neuer Rotax 912 Motor mit unserem Turbobausatz 1500 Stunden
erreicht. Es hängt alles davon ab,
wie der Motor genutzt wird.“ Macchini fügte hinzu: „Alle unsere Kunden sind bis jetzt mit dem Bausatz zufrieden. Ausfälle sind uns
Eine ganz, ganz kleine Turbolader-Kunde
Ein Turbolader, auch Abgasturbolader
(ATL) oder landläufig Turbo genannt, dient
der Leistungs- und/oder Effizienzsteigerung von Kolbenmotoren. Turbolader nutzen den Druck und die Bewegungsenergie
der Abgase (Stauaufladung/Stoßaufladung). Ein Turbolader besteht aus einer
Turbine und einem Verdichter, die sehr
ähnlich aussehen und auf einer gemeinsamen Welle starr miteinander verbunden
sind. Die Abgasturbine, auch die „heiße“
Turboseite genannt, treibt den Verdichter,
die so genannte „kalte“ Seite an und erhöht den Luftdurchsatz bzw. vermindert
die Ansaugarbeit des Kolbens. Der Abgasturbolader bezieht die Energie aus dem
Restdruck der Abgase, die den Brennraum
mit Überschall-Geschwindigkeit verlassen.
Bei der Stauaufladung werden die Abgase nach Verlassen der Zylinder zusammengeführt, gesammelt und erst dann auf die
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Abgasturbine mit nur einem Rohr geleitet.
Deswegen spricht man je nach Zylinderzahl von „4 in 1“ oder „6 in 1“-Krümmeranlagen. Die Anströmung der Turbine erfolgt
vor allem durch den Druckaufbau im gesamten Krümmerabschnitt vor der Turbine. Wenn ein Ladeluftkühler (auch „Intercooler“ genannt) zwischen dem Verdichter
und dem Motor (Brennräume) eingebaut
wird, kann ein höherer Arbeitsdruck bei
gleicher Temperatur im Zylinder erreicht
werden. Die Schalldämpfer sind üblicherweise kleiner als bei Motoren ohne Turboaufladung, da sich davor die Abgasturbine befindet. Die Leistungssteigerung des
Turbos beruht weniger auf einem verbesserten Wirkungsgrad des Motors als darauf, dass sich in der Luft in den Brennräumen mehr Sauerstoff befindet und deshalb
mehr Kraftstoff verbrannt werden kann.
nicht bekannt. Unser jetziges Testflugzeug ist bisher über 250 Stunden ohne jegliche Probleme geflogen und alle unsere Werksmotoren
haben über 1000 Stunden Flugzeit
gesammelt.“
Bis Mitte 2014 soll auch eine Turbovariante speziell für den französischen Markt entwickelt werden,
deren Leistung 90 bzw. 100 PS betragen wird. Auf einer Höhe von
6000 Meter soll der Motor noch 90
PS liefern. Diese Variante wird zum
gleichen Preis zu haben sein.
Während meines Testfluges hatte
ich Gelegenheit, den Leistungszuwachs des Motors durch den Turbobausatz zu erleben. Dass erheblich mehr Leistung zur Verfügung
stand als bei einem 80 oder 100
PS starken Original-Triebwerk, war
besonders beim Flug in Höhen ab
3000 Meter über NN deutlich zu
spüren. Ein Start auf einem hoch
gelegenen Notlandeplatz auf 2500
m Höhe erfolgte nach kaum 150
Metern Startstrecke. Die oft hohe
Motortemperatur bei turboaufgeladenen Motoren bemerkte ich hier
nicht. Bei Vollgas im längeren Flug
erhöhte sich die Motortemperatur
lediglich um etwa zehn Grad Celsius. Trotzdem entwickelt die Firma
Marc Ingegno derzeit einen Intercooler und testet verschieden große Motorkühler.
Bei meinem Besuch überzeugte mich das Konzept des TurboKits der Firma Marc Ingegno. Für
alle Hersteller, aber auch für private Flieger, die mehr Leistung im Bereich von 100 bis 120 PS benötigen wie beispielsweise Autogyros
und UL-Helis, scheint dieser durchdachte Bausatz eine preiswerte
und praktikable Lösung zu bieten.
www.marc-ingegno.it l
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