Metastasierter Brustkrebs

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Metastasierter Brustkrebs
Ungekürztes Interview mit Frau Professor Nadia Harbeck vom November 2012
Metastasierter Brustkrebs
Auf dem Krebsinformationstag konnte die Arbeitsgruppe zum Thema „Brustkrebs im
metastasierten Stadium“ nicht stattfinden. Wir haben deshalb mit Frau Prof. Dr. med.
Nadia Harbeck gesprochen. Sie ist Leiterin des Brustkrebszentrums am Klinikum der
Universität München, Campus Großhadern und Maistrasse-Innenstadt.
Frau Prof. Harbeck, Sie äußerten immer wieder, dass dem metastasierten Brustkrebs
viel mehr Beachtung
Beachtung zukommen sollte. Warum?
Brustkrebs ist heute zwar kein Tabuthema mehr wie noch vor zehn Jahren. Doch die
öffentliche Darstellung des Themas ist geprägt von Geschichten junger bekannter Frauen
mit frühem Brustkrebs, wie Kylie Minogue oder Sylvie van der Vaart, die unter Therapie
und Chemo waren, ihre Haare verloren, aber jetzt wieder gesund sind. Dass der Krebs auch
wiederkommen kann, und dass das nicht notwendigerweise gleichbedeutend ist mit einem
schnellen Sterben, wird jedoch kaum thematisiert.
Metastasierter Brustkrebs ist eine chronische Erkrankung, und die Frauen können lange mit
ihr leben, mit einer durchaus gleichbleibenden Lebensqualität. Die betroffenen Frauen
bleiben oft ins Leben integriert - bis manchmal wenige Wochen vor dem Tod. Dies
unterscheidet metastasierten Brustkrebs auch von anderen fortgeschrittenen Krebsarten,
wie beispielsweise Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Das wissen wahrscheinlich nicht viele.
Richtig. Deshalb ist für die Patientinnen das Reden darüber nicht leicht. Reaktionen wie:
„Wie lange hast du denn noch zu leben?“ sind für die betroffenen Frauen schmerzhaft. Sie
leben schließlich mit dem ständigen Bewusstsein, dass es irgendwann in der Zukunft
schlimmer werden und sie sterben können.
Wie viele Frauen betrifft das Thema metastasierter
met astasierter Brustkrebs?
Nach den neuesten Zahlen des Robert-Kochinstituts erkranken in Deutschland jährlich
etwa 70.000 Frauen an Brustkrebs. Wir gehen davon aus, dass fünf bis maximal zehn
Prozent dieser Patientinnen bereits bei der Erstdiagnose Metastasen aufweisen. Von den
primär erkrankten und nicht metastasierten Patientinnen können heute ungefähr 70 bis 80
Prozent so behandelt werden, dass sie aller Voraussicht nach nie mit Metastasen
konfrontiert sind. Alles in allem betrifft das Thema Metastasierung also rund 20-30
Prozent aller Frauen mit Brustkrebs.
Wie sehen die Behandlungsmöglichkeiten heute aus?
Wir sind heute in der Lage, die Erkrankung mit regelmäßigen Therapieintervallen über
lange Zeit zu kontrollieren. Das gelingt nicht bei allen Patientinnen, aber doch bei sehr
vielen. Möglich ist dies, weil es mittlerweile sehr viele Behandlungsmöglichkeiten und
Medikamente gibt. Wir haben zum Teil ganz neue Chemotherapien und auch raffinierte
Darreichungsformen bereits bekannter Medikamente. Damit können wir für jede Patientin
eine individuelle Therapie zusammenstellen, die ganz auf ihre Situation und Bedürfnisse
zugeschnitten ist.
Welche Rolle spielt dabei das Gespräch?
Wir sind im ständigen Gespräch mit den Patientinnen. Das Gespräch ist meiner Meinung
nach das Wichtigste. Es bildet die Grundlage für die individuell zusammengestellte
Therapie und die ganzheitliche Betreuung der Patientin. Ich spreche mit der Patientin über
die neue Lebenssituation, den Therapieerfolg und eine eventuelle Therapieumstellung. Ich
muss wissen, in welcher Lebenssituation sie sich befindet, welche Wünsche sie hat und
worüber man frühzeitig reden muss. Z.B. dass die ältere Dame mit Knochenmetastasen die
Treppen zu ihrer Wohnung im fünften Stock ohne Aufzug kaum mehr schafft. Ich frage
auch: Hätten Sie die Chemotherapie lieber als Tablette oder als Infusion, alle vier Wochen
oder einmal pro Woche? Ist Haarverlust für Sie akzeptabel? Mit all diesen Informationen
kann ich eine Therapie zusammenstellen, die sich in das Leben der Patientin gut einpasst.
Leider wird das Gespräch heute am schlechtesten vergütet in unserem Gesundheitssystem.
Hier sind Änderungen im Interesse der Patientinnen unbedingt notwendig. Wir haben
eigentlich nicht die Zeit, doch wir nehmen sie uns. Da sind wir sicher an einer solch großen
Klinik in einer komfortablen Situation..
Die Therapie ist also stets eine individuelle Antwort auf die Lebensumstände der
Patientin?
Ja, aber individuell ist nicht zu verwechseln mit beliebig, das ist mir sehr wichtig. Es gibt
klare Daten, was gut ist und was nicht wirkt. Ich habe gerade die europäischen Leitlinien –
die ESMO-Guidelines für die metastasierte Behandlung mitgeschrieben und bin auch an
den deutschen Leitlinien beteiligt. Wir haben heute neue zielgerichtete Therapien, die
wirklich lange Zeit das Überleben verlängern können, also mehr erreichen als nur eine
Stabilisierung. Nur: das muss ich wissen, das muss ich anbieten können und in der Lage
sein, mit der Patientin zu besprechen, was für sie am besten ist.
Wie sieht
si eht eine solche wirksame Stabilisierung der Krankheit aus?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine meiner Patientinnen ist Anfang 30 mit einem kleinen
Kind. Sie ist eine der wenigen Frauen, die primär mit metastasiertem Krebs diagnostiziert
werden, in ihrem Fall mit Lebermetastasen. Sie hat auf die Therapie exzellent
angesprochen und innerhalb von drei Monaten eine komplette Remission erreicht, d.h., wir
finden den Tumor in ihrem Körper nicht mehr mit der Bildgebung. Sie hat die Chance, mit
der Erkrankung eine sehr lange Zeit leben zu können.
Wo finden Frauen mit metastasiertem Brustkrebs die Betreuung und Behandlung, die
sie benötigen?
Die Patientinnen sollten unbedingt dorthin gehen, wo man auf metastasierten Brustkrebs
spezialisiert ist, die besonderen Bedürfnisse dieser Patientinnen und auch Patienten kennt
und ganzheitlich behandelt. . In der Regel sind zertfizierte Brustzentren mit ihren
niedergelassenen Kooperationspartnern am besten aufgestellt, allerdings sind nicht alle von
ihnen auch auf metastasierten Brustkrebs spezialisiert.
Wie sieht die Versorgung von Frauen mit metastasiertem Brustkrebs bei Ihnen am
Klinikum der Universität München (LMU) aus?
Als Universitätsklinikum sind wir in der glücklichen Lage, den Patientinnen an unseren
zwei Standorten Maistraße-Innenstadt und Großhadern das ganze Betreuungskontinuum
anzubieten. Das fängt mit der OP, Strahlentherapie und medikamentöser Therapie nach
der Erstdiagnose an. Und wenn die Frauen mit einer Metastasierung kommen, erhalten Sie
eine darauf ausgerichtete, ganzheitliche Behandlung. Hier ist das Überleben der Patientin
vorrangig.
Wir kümmern uns darum, dass die Patientin bei uns zu den Spezialisten geht, die sie
braucht bzw. dass diese an ihr Bett kommen. Wir können unseren Patientinnen im Rahmen
von Studien neue Therapien anbieten, lange bevor diese in die Regelversorgung
aufgenommen werden. Und wir verfügen über hervorragende Kooperationspartner wie z.B.
Psychoonkologie, Röntgendiagnostik, Strahlentherapie und Nuklearmedizin.
Bei aller Spezialisierung und Erfahrung auf der Therapieseite aber ist uns eines ganz
wichtig: die frühe Einbindung der Palliativmedizin.
Warum die Palliativmedizin?
Was das Verständnis der Palliativmedizin angeht, so gibt es großen Aufklärungsbedarf –
nicht nur bei Patientinnen und Angehörigen, sondern auch bei uns Ärzten. Palliativmedizin
wird oft mit Sterbebegleitung gleichgesetzt. Dabei zielt sie auf den Erhalt der
Lebensqualität durch Symptomkontrolle.
Während wir therapieführenden Ärzte uns darauf konzentrieren, die richtige Therapie zu
finden und die Krankheit zu stabilisieren, sorgen die Palliativmediziner für die
bestmögliche Lebensqualität der Patienten. Die Verzahnung von Therapie und
Palliativmedizin wollen wir hier noch weiter ausbauen.
Das Klinikum in Großhadern steht
steh t für modernste Medizin. Doch die schiere Größe des
Hauses schreckt auch ab.
Ja, das ist leider so. Ich kann nur betonen, dass wir uns hier eine sehr moderne aber auch
eine sehr menschliche Medizin machen. Wir bemühen uns sehr, für die metastasierten
Patientinnen die beste, umfassende Betreuung zu bieten, mit Palliativmedizin, mit den
Brustschwestern, die Patientinnen persönlich betreuen und durch die verschiedenen
Therapien und Abteilungen begleiten.
Wenn es gelingt, die Erkrankung zu stabilisieren, eröffnen
eröffnen sich also Gestaltungsräume
für die Patientinnen?
Sicherlich. Natürlich gibt es Einschränkungen, vielleicht Schmerzepisoden, bis man den
Schmerz therapeutisch in den Griff bekommt. Aber eine metastasierte
Brustkrebserkrankung ist keinesfalls das Siechtum, das Warten auf das Sterben, wie es in
vielen Köpfen noch ist. Die Patientinnen sind durchaus mobil und können ihre Wünsche
leben.
Ein Beispiel?
Diese junge Frau mit den Lebermetastasen, von der ich eingangs erzählt habe, ist das
optimale Beispiel. Natürlich geht es nicht immer so gut. Wir haben eine andere Patientin
mit Lebermetastasen, bei der wir nach einer medikamentösen Therapie eine Selektive
Interne Radio-Therapie – kurz SIRT – SIRT durchgeführt haben, welche die
Lebermetastasen lokal quasi verkocht. Die medikamentöse Therapie haben wir gemeinsam
festgelegt und die Patientin handhabt sie sehr individuell. Manchmal treten Beschwerden
auf, dass die Hände rot werden und wehtun. Dann weiß sie, dass sie längere Pausen
machen muss und berichtet uns kurz darüber.
Diese Patientin hat mich sehr früh informiert, dass sie eine drei- bis vierwöchige Fernreise
plant. Wir haben besprochen, was sie für die Reise selbst berücksichtigen muss. Nun
planen wir alle Termine um diese Reise herum. Die Frau hat also eine Dauertherapie, mit
dieser eine sehr gute Lebensqualität und sie wird mit allen nötigen Vorkehrungen verreisen
können.
Inwiefern binden Sie die betreuenden HausHaus- und Frauenärzte mit ein?
Die Kommunikation mit den Kollegen muss stattfinden und funktionieren – sie haben
einen bedeutenden Anteil an der umfassenden Betreuung. Das ist manchmal von unserer
Seite noch nicht optimal, aber da arbeiten wir täglich dran.
Die Behandlung von metastasiertem Brustkrebs erfordert eine große klinische Erfahrung.
Sie ist wie das Fahren auf Sicht, und wir brauchen die niedergelassenen Ärzte als
Mitfahrer. Die optimale Kooperation sieht so aus, dass wir Art, Dauer und Kontrollzeitpunkt
einer Therapie mit der Patientin bestimmen, die mitbehandelnden Ärzte ausreichend dazu
informieren und mit ihnen in Kontakt bleiben. Dann können wir gemeinsam das Beste für
unsere Patientinnen erreichen.
Frau Professor Harbeck, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview für lebensmut e.V. führte Regine Kramer

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