Kurzfilmtage Oberhausen 2011 Milena Virchow Mein

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Kurzfilmtage Oberhausen 2011 Milena Virchow Mein
Kurzfilmtage Oberhausen 2011
Milena Virchow
Mein Kurzfilmfestival Oberhausen 5. - 10. Mai 2011. Das Kinderprogramm ab 6
Jahre.
In Oberhausen war ich noch nie. Bisher hatte ich auch nicht das Gefühl, dadurch
unbedingt etwas verpasst zu haben. Diese Vermutung war nicht ganz unberechtigt.
Die Stadt Oberhausen hat es geschafft mich, die ich aus Gießen komme, rein optisch
wirklich ein bisschen zu erschüttern. Zwischen den vielen Eineuroläden konnte man
jedoch, wenn man den richtigen Weg dorthin fand, den Lichtburg Filmpalast
entdecken.
Kurzfilm um Kurzfilm konnte ich mich ein bisschen mehr für Oberhausen begeistern –
oder zumindest für das Kurzfilmfestival dieser Stadt. Mal völlig verquere,
abgefahrene und dann wieder ausgesprochen einleuchtende und schlichtweg
geniale Filme begeisterten mich mal weniger und mal mehr, wobei sie, ganz ohne
Frage, meinen Horizont deutlich mehr erweiterten, als ich es im Vorhinein gedacht
hätte.
Besonders begeistert hat mich das Kinderprogramm ab 6 Jahre am Sonntag. Anna
und ich hatten das Glück, das wir eine Vorstellung erwischten, die außer uns noch
ungefähr 150 kleine Grundschulkindern miterleben durften. So gestaltete sich die
Vorstellung eher wie eine interaktive Schulstunde, als ein normales
Kurzfilmprogramm. Als wir die Kinder-Schlange vor dem Kino sahen waren wir
zunächst zugegebener Maßen, etwas erschrocken und erwarteten brüllende Kinder,
die während der Filme wohl alles andere als still sein würden. Aber schon in dem
Moment, als wir den Kinosaal als Letzte betraten konnten wir nicht mehr anders, als
zu grinsen und uns über die Kinderschar zu freuen. Sicher waren sie unruhiger als
die Zuschauer in den Programmen davor, aber die Kinder waren auch lebendiger
und begeisterungsfähiger. Die Vorstellung war, im Grunde genommen, ein
Kontrastprogramm zu den Kurzfilmkonstellationen zuvor. Denn nicht nur die Kinder
reagierten viel stärker auf das Gesehene, auch die Filme erschienen mir in ihrer
Botschaft meist ausdrucksstärker. Der erste Film „Der letzte norwegische Troll“, ein
Trickfilm auf Norwegen, thematisierte Eigenschaften wie Einsamkeit, Traurigkeit und
Tod auf eine sehr ruhige, humorvolle und einfühlsame Art und Weise. Die Kinder
lachten dazu an den, aus Erwachsenensicht, falschen Stellen und interessierten sich
im späteren Gespräch mit den etwas überforderten, aber freundlichen jungen
Moderatoren vor allem dafür, ob es Trolle eigentlich heute noch gibt. Im zweiten Film
„Nass“, der in den Niederlanden produziert wurde, geht es um einen Jungen, der sich
nachts noch manchmal einnässt, aber auf einer Klassenfahrt zu stolz ist seine
Windeln mitzunehmen. Schnell merkt er im Laufe der Geschichte, dass man
manchmal gar nicht so allein mit einem Problem ist. Der dritte Film „Flaschenpost“,
eine US-Amerikanische Produktion, zeigt sehr anschaulich, wie sich zwei
„Lebewesen“ (in diesem Fall sind es lebendige Sand-/bzw. Schneemänner), sich und
der jeweiligen Kultur des anderen annähern. Obwohl die weit voneinander entfernt
leben, senden sie sich abwechselnd viele Male eine Falschenpost, mit jeweils einem
typischen Gegenstand ihrer Heimat gefüllt, zu. Der Empfänger nimmt die „Kultur“ des
anderen wortwörtlich an, indem er sich mit den Utensilien aus der Flasche schmückt.
Irgendwann möchten sich die
beiden Figuren treffen und steigen dazu ins Meer hinab, wo sie – natürlicher Weise –
schmilzen bzw. dem Erdboden gleich gemacht werden. Sowohl nach diesem Film,
als auch nach „Nass“ und dem letzten Film „Abi – leerer Teller“, indem es um Kulturund Religionsaustausch und weniger um die fressende Katze geht, die in einer
Einstellung gezeigt wird, liegt nach der Diskussion der Kinder mit den Moderatoren
der Verdacht nahe, dass viele Filme von den Kleinen nicht recht verstanden wurden.
„Wie alt ist die Katze?“, „Warum hat der Junge Windeln an?“ und „Warum gehen die
Figuren am Ende ins Wasser?“ sind nur ein Ausschnitt der Fragen, die die
Grundschüler stellten.
Aber auch wenn sie vielleicht nicht jeden Handlungsstrang vollends nachvollziehen
und verstehen konnten, waren die Kinder doch mit einer Begeisterung und
Aufmerksamkeit, sowohl während der Filme als auch im Laufe der Fragerunden, bei
der Sache. Das hat mich wirklich beeindruckt und ich bin mir sicher dass viele Kinder
vielleicht nicht die Essence der einzelnen Geschichten mitgenommen haben, aber
trotzdem ein Interesse für Kino-Kurzfilme geweckt wurde, das sie (und ihre Eltern)
dazu anregt, häufiger an kulturellen Programmen teilzunehmen.
Das Kinderprogramm in Allgemeinen und die Atmosphäre, die die lebendigen Kinder
erzeugt haben, hat mich an diesem Wochenende mit Abstand am meisten berührt
und begeistert. Wirkliche Emotionen und Denkanstöße sind für mich viel stärker im
Kinderprogramm vermittelt worden als in jedem anderen Programm, eben weil ich
hier auf wahre Gefühlsregungen gestoßen bin. Mit seinen tollen Bildern,
durchdachten und zugleich niedlichen Geschichten verbringt mein Gehirn gerne noch
ein bisschen Zeit, auch wenn der Film schon längst vorbei ist. Dann denke ich
darüber nach, wie man anspruchsvolles kulturelles Programm kindgerecht gestalten
kann und wie diese Filme sich doch in ihrer Menschlichkeit von manch anderem Film
unterscheiden. Tolle Effekte und neue Computertechniken (MuVi-Program) sind ohne
Frage beeindruckend, aber sie besitzen aus meiner Sicht einen geringeren
persönlichen Wert für den Zuschauer als jeder Film, den ich im Kinderprogramm
sehen konnte. Und hier liegt der Grundstein für meine Begeisterung bezüglich des
Kinderprogramms: Der hohe persönliche Wert für den Zuschauer. Ich hatte bei keiner
anderen Vorstellung das Gefühl, dass sich das Publikum tatsächlich mit dem Inhalt
der Filme identifizierte. Es ging häufig stärker darum, dem Inhalt der Filme halbwegs
folgen zu können oder, sollte man dazu nicht in der Lage gewesen sein, zumindest
so zu tun als habe man sie verstanden. Das Interpretieren und Nachdenken, was der
Künstler nun mit dieser oder jener Einstellung gemeint haben kann oder die tollen
Bilder auf mich wirken zu lassen, hat mir zu großen Teilen wirklich viel Freude
bereitet und hat mich in meiner Wahrnehmung von Kurzfilmen wirklich positiv
geprägt. Am Ende des Tages, zählen für mich im Kino jedoch wirkliche Emotionen
(egal welcher Art!), wie man sie in Filmen und Kinosälen heutzutage nur noch selten
findet. Das Kinderprogramm ab 6 Jahre hat mir mit dem Inhalt der Vorstellung und
dem Inhalt des Saals gezeigt, zu wie vielen Emotionen Kino fähig sein kann.
Janina Kremkow
Kommentar zu den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen 2011 Musikvideo Lotus Flower von Radiohead, Programm: MuVi International
Lotus Flower ist die erste Singleauskopplung aus dem neuen Album King of Limbs
der Alternative-Rock-Band Radiohead. Regisseur Garth Jennings, der seinen
Durchbruch im Spielfilmgenre mit The Hitchhiker's Guide to the Galaxy 2005
schaffte, rückt im oben genannten Video den Vokalisten der Band, Thom Yorke, in
den Mittelpunkt. Dieser verwandelt mit seinen rhythmischen Bewegungen das
Musikvideo in eine einzige Performance. Die Choreografie stammt von Wayne
McGregor, der schon 2005 für den Film Harry Potter and the Goblet of Fire den
ästhetischen Ausdruck übernahm.
Das Video zeigt zu Beginn Yorke als Schattenfigur, nur der Hintergrund ist leicht
ausgeleuchtet. Alles ist in schwarz-weiß gehalten. Die Musik beginnt zu spielen und
er lässt den Rhythmus der Musik auf seine Bewegungen überfließen. Als der Gesang
einsetzt, wird auch Yorkes Körper ausgeleuchtet und somit seine Mimik gut sichtbar.
Seine Bewegungen wirken schwungvoll und dynamisch, fast schon exzentrisch. Er
scheint abgeschottet von der Welt, auch wenn sein Blick direkt in die Kamera fällt,
scheint er unseren trotzdem nicht zu streifen. Bei jedem erneuten Aufklingen der
Musik verfällt Yorke immer wieder ihrem Rhythmus, wird gepackt und scheint wie in
einer psychedelischen Trance. Einzelne Einstellungen zeigten Yorke ganz im
Seitenprofil, dabei wird er stark von vorn beleuchtet und sein harter Schattenwurf
verliert sich in dem tiefen Dunkel hinter ihm. In den Nahaufnahmen scheinen seine
Bewegungen zu verharren bzw. einzufrieren. Es wirkt sehr melancholisch,
dieser Eindruck wird durch die exzellente Beleuchtung noch unterstützt. Mit dem
wiederholten Einsetzen der Musik verfällt der Betrachter, genauso wie Yorke,
ebenfalls dem Rhythmus und lässt sich mittragen. So wie die Musik zu ihrem
Höhepunkt kommt, nehmen die Schnitte am Schluss innerhalb des Videos zu, bis
letztendlich alles wieder dunkel wird und in die Ausgangsstellung zurück fällt.
Garth Jennings schafft mit seinem Video ein Werk, welches sich ausschließlich auf
eine einzelne Person, seine Bewegungen und seinen Ausdruck reduziert. Die
wunderbar eingesetzte Ausleuchtung der einzelnen Sequenzen und die
Kameraeinstellungen unterstreichen die Tanzbewegungen Yorkes und den
Rhythmus der Musik. Ganz ohne spezielle Effekte wird so ein ästhetisches und
authentisches Sehvergnügen für den Betrachter geschaffen.
Frauke Engelhardt
Filmmarathon in einzigartiger Atmosphäre
Die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen zählen zu den größten und
bekanntesten Filmfestivals weltweit. Im Rahmen des diesjährigen Themas: Das Kino
der Tiere. Eine kurze Geschichte des Tierfilms waren in der Zeit vom 5. bis zum 10.
Mai rund 470 Filme in verschiedenen Wettbewerben und Sonderprogrammen zu
sehen. Während der Festspieltage faszinierten viele Kurzfilme durch einen offenen,
manchmal schwer greifbaren aber stets kreativen Charakter. Als Besucher befand
man sich in einem, sich ständig verändernden Spannungsfeld, zwischen Momenten
der Begeisterung, Irritation, Verwunderung, freudigen Heiterkeit, Erschöpfung, tiefen
Rührung und des Glücks. So repräsentierte sich das Festival insgesamt in einer wohl
einmaligen Atmosphäre, die sich durch die vielfältigen Programmgestaltungen und
Rezeptionsmöglichkeiten auszeichnet. MuVi: Der Festivalpreis für Musikvideos
Die Tatsache, dass sich auch Musikvideos mit der Zeit zu einem unabhängigen
Kurzfilm-Genre entwickelt haben scheint für die Veranstalter der Oberhausener
Filmfestspiele schon lange klar zu sein. Bereits seit 1999 wird hier der MuVi, ein
Festivalpreis für deutsche Musikvideos verliehen.
Die Rede über außergewöhnliche visuelle Formen von Musikvideos findet ganz
besonders in dem Werk von Daniel Franke, dem Gewinner des deutschen MuViAwards 2011 Bestätigung. Mit dem Videoclip One Minute Soundsculpture (Ryoji
Ikeda)i begeisterte er Jury und Publikum gleichermaßen. In Frankes Interpretation
von Ryoji Ikedas Stück One Minute verwandeln sich die verschiedenen Geräusche
und Töne elektroakustischer Musik in eine visuelle Skulptur. Zu Beginn des
Videoclips ist ein Galerieraum zu sehen, indem sich nur einige auf den Boden
gestapelte weiße Kartonkisten befinden. Der Raum wirkt zunächst unscheinbar und
leer. Mit dem Einsetzen der ersten Töne erscheinen jedoch plötzlich wie aus dem
Nichts abstrakte Linien und Formen. Nach und nach entsteht eine schwebende,
virtuelle Figur im Raum, die sich mit dem Rhythmus der Musik bewegt, wächst und
ihre Farben ändert. Der technische Hintergrund der Entstehung dieser virtuellen
Skulptur (FFT-Algorithmen, durch die der Sound in Daten übersetzt wird) wirkt im
Vergleich zum Ergebnis unscheinbar und belanglos. Am Ende ist eine scheinbar
lebendige Skulptur entstanden, die mit dem Sound verschmolzen ist. Für den
Betrachter eröffnet sich die Möglichkeit diese, ganz spezielle Verbindung zwischen
dem Bild und dem Ton nachzuempfinden und so eine völlig neue Perspektive auf die
perspektivische Wahrnehmung und auch die Musik selbst zu werfen. Das Ergebnis
ist somit nicht nur optisch ansprechend, sondern auch überaus faszinierend und
anregend. In jedem Fall wird so manch ein Betrachter, seit er dieses Werk gesehen
hat, Musik mit anderen Augen oder vielmehr Ohren wahrnehmen.
Ann-Kathrin Volbers
Ein bisschen Spaß muss sein. Erfahrungsbericht zum Kinder- und
Jugendfilmpanel der Oberhausener Filmfestspiele am 06.05.2011.
Hunderte von kleinen Füßchen in Sandalen, Sneakers, Halbschuhen und Flip-Flops
der Schuhgrößen 31 bis 34. Brav die Hand des Partners fest umklammert, in Reih
und Glied und dabei einen ohrenbetäubenden Krach produzierend, tippeln die
dazugehörigen Kinobesucher aufgeregt Stück für Stück voran, dem großen Saal mit
den samtigen roten Sesseln entgegen. Tief versunken in den viel zu ausladenden
Sitzmöbeln recken sich unzählige Köpfchen nach oben, während sie ihre Eindrücke
ungefiltert und in ungeahnter Lautstärke an ihre Umwelt abgeben. Das
Moderatorenduo im Alter von zarten 17 Jahren und mit der dazugehörigen
pädagogischen Kompetenz ausgestattet: chancenlos. Resigniert lächelnd bleibt
ihnen nur die Flucht nach vorn und damit die Eröffnung des Panels. Kinder- und
Jugendfilm ab 6 Jahren. Hatten wir uns das wirklich gut überlegt?
Nachdem die resolute Lehrkraft uns in der ersten Reihe noch zwei Plätze eingeräumt
hatte und wir damit ca. 300 schreiende Kehlen hinter uns hatten, tauschten wir
skeptische und gleich auch erwartungsvolle Blicke. Ein kurzes, respektvolles
Schweigen legte sich über den fieberhaft gespannten Kinosaal, als der dunkelrote
Vorhang aufglitt. Doch kaum flackerte die drollige Figur des norwegischen Trolls über
die Leinwand, war sämtliche Disziplin dahin und ein ungehemmter Lachanfall überfiel
unsere kleinen Mitzuschauer. Sämtliche Gedanken, die kurz in den kleinen Gehirnen
aufgeblitzt sein mussten, wurden ungebremst verbalisiert und schaukelten die
ohnehin schon gelöste Stimmung zu einer immer größer werdenden Euphorie. Als
dann auch noch eine halbnackte Meerjungfrau ins Bild schwamm, hielt es die
Kleinen nicht mehr auf ihren Sitzen. Ein Johlen ging durch die Reihen und einige
Kommentare der vermeintlich unschuldigen Kinderschar, trieb uns die Schamesröte
ins Gesicht.
Ein Film, der für Kinder gemacht war, und dabei den eigentlichen Nerv der
Halbwüchsigen klar verfehlte. Nicht die romantische Quintessenz der erzählten
Geschichte rief Reaktionen hervor, sondern zum Einen humoristische Elemente, wie
zum Beispiel die kunstvoll ausgeschmückte Inszenierung der Ziegenafter, aus denen
kleine Köttelchen fielen. Zum Anderen wurden anmutig oder sentimental angedachte
Momente unabsichtlich komisch interpretiert, indem den Kindern die Intention dieses
Augenblicks und deren Bedeutung für die Narration verschlossen blieb. Die
Albernheit täuschte über das Nichtverstehen hinweg und hatte folgenden Effekt für
uns, durch Erfahrung vorbereitete, ältere Zuschauer: Wir begannen auf einmal
ebenfalls an unpassenden Stellen zu lachen! Beflügelt durch die Naivität der Kinder,
wurde traurigen Szenen die Tragik genommen und romantischen die Intimität. Zwar
mag das nicht Sinne der Filmemacher sein, doch man empfand auf diese Weise
plötzlich eine gewisse Leichtigkeit beim Zusehen und gab sich mehr und mehr der
Arglosigkeit hin, die überall verbreitet wurde. Und schließlich darf sich auch niemand
an den Reaktionen der Kinder stören, wenn ihnen auch Filme gegeben werden, die
sie nicht verstehen.
Dieses Spielchen ging nun anderthalb Stunden so weiter, was bei uns zu immer
gelösterer Stimmung und zu einem Wir-Gefühl mit den kleinen Radaumachern führte.
Die Fragerunden zwischen den Filmen waren dabei jedes Mal kleine Highlights, da
ein ums andere Mal bestätigt wurde, dass der wesentliche Inhalt des Films, komplett
am Publikum vorbeigegangen war. Zum Thema Integration und kulturellen
Unterschieden, fiel die Frage nach dem Alter der Katze, die kurz in einem Bild zu
sehen war. Bei einem Film über die Freundschaft zwischen zwei grundverschiedenen
Wesen, war die tote Ratte, die am Rande der Geschichte auftauchte, von viel
größerem Interesse als die für Sechsjährige viel schwerer zu verdauende Tragik der
Selbstaufopferung, die am Ende vorkam.
Ungetrübte, ja geradezu ausschweifende Stimmung trotz Unverständnis. Aber es ist
doch eigentlich auch viel wichtiger, dass man Spaß hat an dem, was man guckt,
oder? Muss man unbedingt all die wertvollen Moralvermittlungen aufnehmen, die uns
von Produktionsseite aufgedrückt werden sollen oder darf man einfach mal unbedarft
durch Kinderaugen sehen? Wer hatte wohl den meisten Spaß in einem Panel der
Oberhausender Filmfesttage? Ich denke, wir sollten die Kinder fragen…
Helena Kierst
About Love?! Über Liebe. Liebe? Liebe!
Rückblickend hat mich der Film „Pro lyubov“ (Kasachstan, 2005) von Vladimir Tyulkin
vergleichsweise am meisten beschäftigt. Noch lange nachdem wir ihn am 06.05.11
gegen 20 Uhr im Programm „Das Kino der Tiere – About Love“ gesehen hatten,
schwirrten unaufhörliches, lautstarkes Hundegebell, sterbende Welpen, Dreck,
Chaos, Gewusel und die Frage: Das soll Liebe sein?! durch meinen Kopf.
Eine ältere Frau, Nina Vasilyevna, lebt gemeinsam mit 50 bis 120 verwahrlosten
Hunden in einem kleinen Haus in Kasachstan. Die Hunde sind überall. Sie kauern
unter Tischen, Stühlen, springen, entledigen sich auf Ninas Bett und dem Boden,
sitzen auf Kommoden und dem Klavier, sie wuseln und wimmeln in jedem einzelnen
Raum. Sie regieren das Haus und sie sind laut, unfassbar laut.
Nina liebt Hunde.
Sie rettet die Vierbeiner vor dem sicheren Tod durch Hundejäger und muss dabei mit
einem kleinen Obolus von 40 Dollar im Monat auskommen.
Der Tod aber, ist auch in Ninas Haus ein Thema. Wir sehen einen Welpen bei seinen
letzten Atemzügen und auch ein ausgewachsener Hund stirbt, was Nina sehr
berührt. Sie weint bitterlichst. Scheinbar besteht zu jedem Hund eine sehr innige
Beziehung.
Nina lebt für die Hunde.
Sie steht für die Hunde auf und geht abends ins Bett um am nächsten Tag wieder für
sie dazusein. Dieser Eindruck verfestigt sich im Laufe des Films. Abends bittet sie die
Hunde sogar zu sich ins Bett.
Dennoch zeigen sich wenig positive Gefühlsregungen bei Nina. Alles wirkt routiniert
und nicht besonders liebevoll. Sie steht auf, isst, kocht für die Hunde, beseitigt den
Dreck.
Vielleicht ist es gerade die Routine, die die Situation so gefühllos erscheinen lässt.
Die Trauer, in die Nina gegen Ende des Films versinkt, ist der erste markante
Gefühlsausbruch, der passiert. Das mag damit zusammenhängen,dass sie hier aus
ihrer Gewohnheit gerissen ist. Genau wie am Schluss des Films, als sie zwei neue
Wellensittiche aufnimmt. Gerade noch zu Tode betrübt, steht sie nun himmelhoch
jauchzend vor dem Käfig der Piepmätze.
Dieses Verhalten ist für mich so konrtär, dass es Unverständnis in mir auslöst. Nina
liebt Hunde? Nina lebt für die Hunde? Wieso freut sie sich dann so über zwei
Wellensittiche, obwohl doch gerade einer ihrer Lieben gestorben ist?
Der nächste Gedanke eröffnet mir: „Sie liebt halt alle Tiere.“
Dennoch fällt es mir schwer die positive Heldin in Nina Vasilyevna zu sehen. Sie
bietet Hunden Obdach und bewahrt sie vor dem Tod, allerdings stellt sich mir die
Frage ob das Leben auf engstem Raum, in heruntergekommener Umgebung ohne
individuelle Betreuung und Pflege für einen Hund nicht eher ein wahrhaftiges
Hundeleben ist.
Sie leben zusammengefercht, im Schmutz, unter schlechtesten Bedingungen,
Mensch und Tier.
Soll so Hunderettung aussehen? Hat Liebe nicht auch immer etwas damit zu tun, das
möglichst Beste für den Anderen zu wollen und angenehme Lebensumstände zu
schaffen? Ich bin der Überzeugung ja.
Über Liebe?! Ich weiß es nicht.
Elisa d'Augello
Jugendprogramm der Kurzfilmtage Oberhausen
Drei Tage voller Kurzfilmvorstellungen in Oberhausen lagen bereits hinter uns, als wir
am Montag endlich dazu kamen, uns ein Programm des Kinder- und
Jugendfilmwettbewerbes anzusehen. Bereits auf dem Weg zum Kino ließ sich
erahnen, auf was wir uns da eingelassen hatten: dieser Montag war offensichtlich ein
echter Schulklassentag. Wuselnde Massen drängten sich durch die Kinotüren und
okkupierten bereits die größten Teile des Saals. So suchten wir uns ein Plätzchen
am Rande und ließen erst mal das Geschehen auf uns wirken. Was für ein
Kontrasterlebnis! In den letzten Tagen hatten wir Vorstellungen des deutschen und
internationalen Wettbewerbes, Beiträge zu den Themen Der rote Hahn – frühes
Kino der Pathé Frères – und Das Kino der Tiere, aber auch Musikfilme in den MuViAwards gesehen. Die Filme der genannten Programme hätten sich zwar inhaltlich
und stilistisch mitunter kaum mehr voneinander unterscheiden können, hatten jedoch
eines stets gemeinsam: Die Art des Publikums. Und zwar ist die Rede von einem
Publikum, das sich deutlich von dem des Popcornkinos unterscheidet: Ein Publikum,
welches – zumindest tendenziell – die gezeigten Filme als Kunst wahrnimmt und
sich dementsprechend anerkennend und gediegen verhält. So wird der Saal
geordnet betreten, geräuschintensive Verköstigungen vermeidet man besser und
jeder Film, gar jede begrüßende oder einführende Rede wird mit einem Applaus
quittiert. Wir warteten nun also auf den Beginn des Jugendprogramms für die
Zielgruppe ab 14, während die Moderatoren – ein selbst noch eher jugendliches Duo
– gerade den von Schülern erstellten Trailer für das Programm ankündigten. Dessen
Vorführung wurde mit wildem klatschen, stampfenden Füßen und lautstarkem Jubeln
gewürdigt. Während der Vorführung des ersten Kurzfilms, der französischen
Produktion Aglaée, wurde es im Kinosaal dann ein wenig ruhiger, wenn doch eine
stetige Geräuschkulisse verblieb. Aber immerhin, so hatte ich zumindest den
Eindruck, schien der erste Kurzfilm des Programms, der sich um eine verlorene
Wette, Scham und heimliches Begehren drehte, dem Schülerpublikum inhaltlich
weitgehend zugänglich zu sein. Der folgende, ebenfalls französische Kurzfilm Reflux
provozierte mit seiner Handlung – ein junges Pärchen sitzt am Strand, er macht
Schluss, sie möchte das nicht wahrhaben – zunächst inhaltliche Zwischenrufe – „SIE
sieht doch geil aus, warum macht ER denn Schluss?!“ – um das jugendliche
Publikum dann mit einem ihm bisher unbekannten Stilmittel zu verwirren. Einwürfe
wie „Das war doch grad schon!“, „Wieso sagt der das jetzt nochmal?“ oder einfach
nur „Häh?“ und „Versteh‘ ich nicht!“ sind die Reaktion auf eine Szene, die sich so
lange wiederholt, bis das Mädchen mit der unangenehmen Situation umzugehen
lernt. Noch verwirrender sollte Wandernd Haus voll Vogelwasser aus Deutschland
wirken, den die Moderatoren bereits im Vorfeld als abstrakt und schwer verständlich
ankündigten. Ein Mädchen – so ließ sich zumindest vermuten – in einer fremdartigen
Welt, außerdem taucht von Zeit zu Zeit ein Vogel auf. Nach der Vorführung gaben
die Moderatoren die Intention der Filmemacherin preis – wir für unseren Teil lagen
mit unseren Interpretationen gänzlich falsch. Und die erste Wortmeldung ließ nicht
lange auf sich warten: „Warum zeigt ihr uns Filme, wenn schon von vornherein klar
ist, dass man sie sowieso nicht versteht?“ Und wenig später hat der erste Redner
seine Frage noch einmal überdacht: „Warum macht ein Filmemacher seine Filme
überhaupt so, dass man sie nicht verstehen kann?“ Nach diesen grundsätzlichen
Fragen mussten die folgenden Filme, Mosquito aus den USA und Someone Else aus
Großbritannien, gegen ein besonders unruhiges Publikum ankämpfen. Wirklich
unangenehm wurde der Kontrast aus der Haltung des Publikums zu der Stimmung
im Film jedoch erst beim letzten Titel Små barn, stora ord – Kleine Kinder, große
Worte. In dem schwedischen Film fordert eine Lehrerin ihre siebenjährigen Schüler
auf zu erzählen, was sie später einmal werden wollen. Alex möchte „Vergewaltiger“
werden. Die anderen Kinder sind verwirrt, wissen nicht, was das ist, fragen, was ein
solcher mache und was für Werkzeug er denn benutze. Die Lehrerin gerät so in die
bitterernste Situation, eine Erklärung liefern und schließlich herausfinden zu müssen,
wie Alex zu diesem Gedanken kam. Doch all das wird überlagert von immer lauter
werdendem Raunen, Gescherze und Gerede von einem jungen Publikum, welches
längst nicht mehr gewillt ist, sich mit dem Gezeigten auseinander zu setzen. Mein
Schluss also: Nach drei Tagen Filmfestival können reihenweise Schüler im Kinosaal
durchaus erfrischend sein. Und das Jugendprogramm ab 14 ist auch dann
sehenswert, wenn man über die 14 hinaus ist. Oder aber vielleicht nur dann?
Insgesamt hat man gegenüber der Zielgruppe wohl mit etwas zu hartem Geschütz
agiert: Eine kleine Endlosschleife, ein wenig Abstraktes oder einen Hauch
Ernsthaftigkeit hätten sie sicher ertragen, aber insgesamt war es offensichtlich etwas
viel des Guten. Im Verlauf des Programms fehlte es an Auflockerung – vielleicht
durch Filme, die mehr der Lebenswelt von Vierzehnjährigen entsprechen. Und den
bewegendsten Film des Programms an den Schluss zu platzieren, an dem die
Aufnahmefähigkeit des jungen Publikums längst verbraucht war, halte ich für äußerst
misslungen.
Florian Brunken
„Führung“
Was sind die Aufgaben und Pflichten des deutschen Bundespräsidenten? Gesetze
unterzeichnen, öffentliche Einrichtungen feierlich eröffnen, sich auf roten Teppichen
im In- und Ausland präsentieren und Weihnachten eine nette Rede halten. Führt man
sich diese repräsentativen Aufgaben vor Augen, so entsteht der Eindruck eines
entspannten Arbeitsalltags.
Das diese vermeintlich „seichten“ Pflichten auch sehr anstrengend sein können, wird
in dem Film „Führung“ (2011) von René Frölke deutlich.
Die unkommentierte Dokumentation beginnt vor den Türen der Hochschule für
Gestaltung Karlsruhe (HFG) und zeigt mehrere Personen, darunter der HFG-Rektor
Peter Sloterdijk, die anscheinend auf jemanden warten. Die erwartete Person
entpuppt sich als der 9. Deutsche Bundespräsident Horst Köhler, der
amtsentsprechend in einem Limousinen Konvoi vorgefahren kommt und von einem
Tross Leibwächtern und Beratern begleitet wird. Nach der formellen aber
freundlichen Begrüßung durch die Hochschuldelegation, beginnt die sonderbare und
höchst amüsante Führung durch die Räume der Kunstakademie. In den folgenden
Minuten wird dem Zuschauer vor Augen geführt, womit der erste Mann des Staates
seine Zeit verbringt. Immer umschwärmt von seiner unauffälligen Entourage,
durchwandert Horst Köhler die Räume und wird dabei von den
Hochschulmitarbeitern über ihre Arbeit und die Arbeit ihrer Studenten aufgeklärt.
Horst Köhler wirkt hierbei stets interessiert. Trotz seiner freundlichen und
interessierten Art, wird man das Gefühl nicht los, dass der erfahrene Diplomat Köhler
nur sein eingespieltes Repertoire an Fragen abspult, um nicht in die Verlegenheit zu
geraten, uninteressiert zu wirken.
Doch wahrscheinlich ist genau das die wesentliche Aufgabe eines
Bundespräsidenten, dem Gegenüber zu zeigen: Deutschland interessiert sich für
dich und deine Arbeit. Dies beherrscht Köhler gut, obwohl man merkt, dass die
gezeigten Werke nicht zu seinen Interessengebieten gehören. Nach einigen Minuten
schweift das Gesprächsthema von der Kunst auf die Wirtschaftskrise und man merkt
das Horst Köhler förmlich aufblüht. Sein Auftreten verändert sich, der gelernte
Volkswirt wird richtig lebhaft und seine diplomatische Maske fällt. Man glaubt zu
erkennen, dass er sich nun auf bekanntem Terrain befindet und es folgt ein
Rollentausch. Horst Köhler wird vom geführten Laien zum führenden Experten und
die Umstehenden hängen an seinen Lippen.
Sobald die Führung weitergeht und es wieder um die Kunst geht, fällt Horst Köhler
wieder in seinen Diplomatenmodus zurück. Im Folgenden wird versucht, das
Gesprächsthema so oft wie möglich auf die Wirtschaft zu lenken. Dies ist bei
Kunstwerken die auf den ersten und zweiten Blick nichts mit Ökonomie zu tun haben,
sehr schwer und führt zu sonderbaren und bizarren Vergleichen. Dies macht in der
Kombination mit dem sichtlich aufgesetzten Interesse des Bundespräsidenten, die
Komik der Dokumentation aus.
Auf mich wirkte die Führung wie der Versuch, meinem interessierten Großvater, das
Internet zu erklären. René Frölke ist mit dem Film „Führung“ auf jeden Fall ein
interessanter Film gelungen, der bei dem Publikum der Internationalen Kurzfilmtage
in Oberhausen einige laute Lacher hervorgerufen hat. Ich habe aus dem Film die
Erkenntnis geschlossen, dass ich den Bundespräsidenten nicht um sein Amt
beneide.