Makrotrends als Gesamtdokument (PDF, 3,5 MB )
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20 Makrotrends Makrotrends Demografische Entwicklung Bereits seit 150 Jahren „altert“ die europäische Gesellschaft – aufgrund von Geburtenrückgängen und sinkenden Sterbeziffern – kontinuierlich. Derzeit hat die Lebenserwartung einen neuen Höchststand erreicht bei gleichzeitig extrem niedrigen Geburtenraten (Österreich: derzeit 1,3 Kinder im Schnitt). Wissenschafter gehen davon aus, dass die Gesamtbevölkerung der EU-15 ab dem Jahr 2025 abnehmen und sich das Verhältnis Jung zu Alt erstmals in der Geschichte umkehren wird. Denn während die Zahl der Jugendlichen bereits heute sinkt, steigt die der über 60-Jährigen. Am stärksten wird die Gruppe der über 80-Jährigen zunehmen.1 Die weltweite Bevölkerungszunahme hingegen findet zu 90 Prozent in den Entwicklungsländern statt. Das demografische Gewicht Europas wird daher kleiner und aufgrund dieses Gefälles ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu Wanderbewegungen kommen wird (der Migrationsdruck auf Europa wird vermutlich vor allem von nordafrikanischen Staaten ausgehen).2 Linz hat seit 1972 ein Geburtendefizit und während die Lebenserwartung in der Stadt gestiegen ist, nimmt die Bevölkerung trotzdem insgesamt weiter ab.3 Aufgrund der im Verhältnis geringen Gruppe der heute unter 20-Jährigen werden die Geburtenzahlen, wenn diese Gruppe zur Elterngeneration wird, automatisch weiter sinken.4 1951 gab es noch einen Geburtenüberschuss von 3,1 Personen auf 1000 Einwohner, 1961 stieg er auf 5,3 Personen auf 1000 Einwohner. 1998 machte das Geburtendefizit 1,6 Personen je 1000 Einwohner aus und 1999 bereits 2,2 Personen je 1000 Einwohner. Bis zum Jahr 2018 wird eine Bevölkerungsabnahme in der Stadt Linz um 2,02 Prozent prognostiziert. Der Anteil der älteren Menschen wird auf über ein Fünftel steigen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung verändern sich auch die Biografien. Der Zeitraum zwischen dem 50. und 65. Lebensjahr, der bisher vor allem der Vorbereitung auf die Pension diente, wird aktiver und konsumorientierter gestaltet.5 Als Folge des Überalterungstrends treten Probleme bei der Pensionssicherung und im Gesundheitswesen auf. Wenn nach dem Jahr 2010 die ersten geburtenstarken Jahrgänge in Pension gehen, wird die Belastung der öffentlichen Haushalte stark steigen und es ist mit Einschnitten im Pensionsrecht und im Gesundheitsbereich (höhere Selbstbehalte, höheres Kostenbewusstsein, Anreize zur Gesundheitsvorsorge) zu rechnen.6 Die Menschen werden künftig – teilweise freiwillig, großteils allerdings gezwungenermaßen – länger arbeiten. Möglicherweise bietet die „hinausgeschobene Pension“ aber auch Chancen auf einen nochmaligen Karriereneustart, wenn Unternehmen ältere und erfahrenere MitarbeiterInnen mehr zu schätzen wissen als bisher, und wenn Erfahrung, Reife, Toleranz, Teamorientierung sowie ein besserer Umgang mit komplexen Situationen zu den zentralen Fähigkeiten im Berufsleben aufgewertet werden.7 Die Gruppe der Jugendlichen sinkt von ca. 87 Mio Ende der 90er Jahre auf prognostizierte 84 Mio im Jahr 2010 und 80 Mio im Jahr 2020. Die Gruppe der über 60-Jährigen nimmt hingegen von ca. 80 Mio Ende der 90er Jahre auf 91 Mio 2010 und 104 Mio 2020 zu. Am stärksten steigt die Zahl der über 80-Jährigen von ca. 13 Mio Ende der 90er Jahre auf 18 Mio 2010 und 22 Mio 2020. Bertrand, Michalski, Pench, S. 62. 2 Bertrand, Michalski, Pench, S. 64. 3 Pass, S. 14. 4 Familien- und Sozialbericht, S. 8. 5 Horx, Sensual Society, S. 46. 6 Bertrand, Michalski, Pench, S. 62-63. 7 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 110-112. 1 251 Makrotrends In Folge der Überalterung ist der Arbeitsmarkt auch mit einer sinkenden Zahl an jungen Arbeitskräften konfrontiert, allerdings ist nicht davon auszugehen, dass es durch die Bevölkerungsabnahme gleichzeitig zu einem Schwinden der Arbeitslosigkeit kommt. Vielmehr wird sie sich, wenn entsprechende flankierende Maßnahmen fehlen (z.B. berufliche Weiterbildung, Änderungen beim Übergang Erwerbsleben - Ruhestand) von den Jüngeren zu den Älteren verlagern.8 Aufgrund des medizinischen Fortschritts steigt die Zahl der sehr alten Menschen (über 80 Jahren) – mit neuen Diskussionen über Pflege und Sterbehilfe ist daher zu rechnen.9 Nachdem die Betreuung alter Menschen immer weniger von der Familie übernommen wird, fällt diese Aufgabe zunehmend in den Bereich der öffentlichen Hand und von Sozialvereinen. Ein größeres Angebot an Mobilen Diensten und Seniorenheimen bzw. deren Finanzierung wird daher notwendig. 8 9 Bertrand, Michalski, Pench, S. 63. Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 70-71. 252 Makrotrends Grafiken 2000 2015 2030 90 80 70 Alter 60 50 40 30 20 10 15.000 10.000 5.000 0 5.000 10.000 15.000 15.000 10.000 5.000 0 5.000 10.000 15.000 15.000 10.000 5.000 0 5.000 10.000 15.000 0 Grafik 1 Bevölkerungsentwicklung: Altersstruktur der oberösterreichischen Bevölkerung in den Jahren 2000, 2015 und 2030 aus: Land Oberösterreich Abteilung Statistik: Die demografische Herausforderung, 2001, S. 12, URL: http://www.ooe.gv.at/statistik/Berichte/ am 7.10.2002. Geburtenüberschuss/Geburtendefizit 4000 3500 Geborene Personen 3000 Geburtenüberschuss 2500 Gestorbene Geburtendefizit 2000 Gestorbene 1500 1947 1950 1955 Geborene 1960 1965 1970 Jahre 1975 1980 1985 1990 1995 1999 Grafik 2 253 Makrotrends Bevölkerung in den Weltregionen 2000 bis 2030 in Millionen 4000 3000 2000 1000 Nordamerika 2030 und Karibik Lateinamerika 2000 Europa China Asien (ohne China) Afrika 0 Grafik 3 Quelle: United Nations Population Division (Basisvariante) aus: Demographic Fact Book 2001. Auszug. URL: http://www.keplerweb.de/fachber/geo/ GK_2002_03/Aids_Afrika/AIDS%20und%20Demographie/Demographic%20Factbook.pdf am 20.6.2003. Bevölkerungswachstum in den Weltregionen 2000 bis 2030 in Prozent 100 80 60 40 20 0 Nordamerika und Karibik Lateinamerika Quelle: United Nations Population Division (Basisvariante) Europa China Asien (ohne China) Afrika - 20 Grafik 4 aus: Demographic Fact Book 2001. Auszug. URL: http://www.keplerweb.de/fachber/ geo/ GK_2002_03/Aids_Afrika/AIDS%20und%20Demographie/Demographic%20Factbook.pdf am 20.6.2003. 254 Makrotrends Literaturverzeichnis Bertrand, Gilles (Koord.), Anna Michalski und Lucio R. Pench: Szenarien Europa 2010. Fünf Bilder von der Zukunft Europas. Arbeitspapier, o.O. 1999. Familien- und Sozialbericht 2000. Linz – eine soziale Stadt (CD-ROM). Mini-Babyboom in Frankreich. DSW Newsletter 2/2002. URL: http://www.dsw-online.de/kopf1/ newsletter02/b_nl022_7.html am 18.10.2002. Pass, Claudia: Linzer Gesundheitsbericht 2001, o.O. o.J. Veil, Mechthild: Geschlechtervertrag à la francaise. Familienpolitik und Gleichstellung in Frankreich. URL: http://www.oeko-net.de/kommune/kommune07-02/tveil.htm am 18.10. 2002. 255 Makrotrends Migration Aufgrund des Geburtenrückganges wird 2010 nur mehr Deutschland als einziges EU-Land zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Welt gehören, d.h. künftig wird vor allem aus den subsaharischen und nordafrikanischen Staaten, deren Geburtenrate hoch ist, ein Migrationsdruck auf die EU ausgehen. Während z.B. die Bevölkerung in den südlichen EU-Staaten (Spanien, Frankreich, Portugal, Italien, Griechenland) zwischen 1998 und 2010 im Wesentlichen unverändert bleibt, nimmt sie in Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten um ca. 32 Mio. Menschen zu. Die Migration von Afrika nach Europa wird einerseits durch die Bevölkerungsentwicklung, andererseits durch die bessere wirtschaftliche Lage in der Union gefördert. Während diese Zuwanderungsbewegungen ökonomisch betrachtet sinnvoll sind, wird es trotzdem zu kulturellen und verteilungspolitischen Problemen kommen.10 Der größte Teil der Zu- und Abwanderung aus und nach Österreich fließt aus und nach Deutschland. Es folgen Ex-Jugoslawien und die Türkei. Interessanterweise sind unter den wichtigsten zehn Aus- und Zuwanderungsländern keine weiteren EU-15-Länder, d.h. der freie Personenverkehr innerhalb der Union hat sich auf die österreichischen Migrationsbewegungen nicht nennenswert ausgewirkt.11 Im Zuge der EU-Osterweiterung wird mit einem stärkeren Zustrom von MigrantInnen aus den neuen Mitgliedsländern gerechnet, die Prognosen über ihre Anzahl sind allerdings sehr unterschiedlich. Die EU-Kommission geht von einer Zuwanderung von ca. 8000 Personen (ohne Pendler) aus Mittel- und Osteuropa nach Österreich pro Jahr aus.12 Das Institut für höhere Studien und das WIFO rechnen in ihren jeweiligen Studien mit ca. 26.000 Pendlern aus den Grenzregionen und 21.000 potenziellen Auswanderern, wobei das IHS von einem Rückgang an MigrantInnen ausgeht, je später der Beitritt der MOEL erfolgt bzw. wenn die Freizügigkeit vorerst eingeschränkt bleibt.13 Prinzipiell wird von den StaatsbürgerInnen aus den MOEL der Verbleib in den eigenen Ländern einer Migration vorgezogen, vor allem dann, wenn dort entsprechende Rahmenbedingungen (z.B. Arbeitsplätze) vorhanden sind.14 Laut Central European Opinion Research Group wollen generell nur 7% der Bevölkrung Ungarns und 4% der Bevölkerung Tschechiens außerhalb ihres Heimatlandes in der EU arbeiten. Ein höherer Prozentsatz, nämlich 13%, wird lediglich in Polen erreicht. Von dieser Migration dürfte allerdings vor allem Deutschland und weniger Österreich betroffen sein.15 Tschechische Arbeitsmigration wird Österreich vor allem in den Grenzregionen betreffen. Die PendlerInnen kommen dabei großteils aus Gebieten, die maximal 50 km von der Grenze entfernt liegen. Im Gegensatz zu den MigrantInnen, die speziell zur Gruppe der unter 24-Jährigen ohne familiäre Verpflichtungen gehören, gibt es bei den PendlerInnen keinerlei Einschränkung auf bestimmte Altersgruppen oder Bildungsstandards.16 Bertrand, Michalski, Pench, S. 64. Gächter, Maier, S. 6. 12 Hinteregger, Petsche, Polsterer, S. 50 nach URL: http://europa.eu.int/comm/enlargement/docs/pdf/migration_enl.pdf. 13 Hinteregger, Petsche, Polsterer, S. 51 nach Die Presse, 23.4.1999, S. 9. 14 Hinteregger, Petsche, Polsterer, S. 50. 15 Hinteregger, Petsche, Polsterer, S. 53 nach Die Presse, 30.5.2001, S. 6. 16 Vavrecková, S. 6-8. 10 11 256 Makrotrends Generell lassen sich Unterschiede in der Ansiedlung von MigrantInnen aus den unterschiedlichen Herkunftsländern ausmachen. Während ZuwanderInnen aus den klassischen Gastarbeiterländern (Kroatien, Bosnien, Ex-Jugoslawien, Türkei) sich großteils in den Städten ansiedeln, wo sie bessere Einkommensmöglichkeiten und bestehende Kontakte vorfinden, leben osteuropäische MigrantInnen in einem relativ kleinen Gebiet in Ostösterreich möglichst in der Nähe ihrer Herkunftsländer. ZuwanderInnen aus westlichen Staaten sind für gewöhnlich einkommensstärker als die beiden vorhergehenden Gruppen und siedeln sich daher eher in den Umlandbezirken und weniger in den Städten an. Deutsche wandern außerdem vermehrt in die grenznahen Gebiete zu Deutschland zu.17 17 Gächter, Maier, S. 23. 257 Makrotrends Grafiken Zielland Deutschland Bevölkerung landesweit Tschech.-österreich. Granzgebiet abs. % abs. % 152 25,4 73 33,2 Österreich 29 4,8 52 23,6 Britannien 74 12,4 26 11,8 Frankreich 19 3,2 5 2,3 Sonstige EU-Länder 42 7,0 10 4,6 USA (Kanada) 80 13,4 34 15,6 Sonstige Länder der Welt 45 7,5 5 2,3 Bisher unklar 166 26,3 15 6,8 Migranten insgesamt 607 100 220 100 4770 – 1197 – Befragte insgesamt Tabelle 1 aus: Vavrecková, Jana: Migrationsabsichten der Bürger der Tschechischen Republik, S. 5. URL: http://wiiwsv.wsr.ac.at/wiiwpubl/MigrationVavreckovaDt.pdf am 8.4.2003. Art des Auslandsaufenthaltes Pendeln Ständiger Aufenthalt Bevölkerung landesweit Tschech.-österreich. Granzgebiet abs. % abs. % 83 13,8 66 30,1 524 86,2 154 69,9 Tabelle 2 aus: Vavrecková, Jana: Migrationsabsichten der Bürger der Tschechischen Republik, S. 7. URL: http://wiiwsv.wsr.ac.at/wiiwpubl/MigrationVavreckovaDt.pdf am 8.4.2003. Literaturverzeichnis Bertrand, Gilles (Koord.), Anna Michalski und Lucio R. Pench: Szenarien Europa 2010. Fünf Bilder von der Zukunft Europas. Arbeitspapier, o.O. 1999. Gächter, August und Gunther Maier: Wer wandert? Migration in Österreich in den späten Neunzigerjahren, 6.10.2002, S. 1-24 (pdf-File von Prof. Maier). Hinteregger, G., A. Petsche und A. Polsterer (Red.): Österreich und die Osterweiterung der Europäischen Union. Argumente und Fakten, 3. Fassung, o.O. 2001. Vavrecková, Jana: Migrationsabsichten der Bürger der Tschechischen Republik. URL: http://wiiwsv.wsr.ac.at/wiiwpubl/MigrationVavreckovaDt.pdf am 8.4.2003. 258 Makrotrends Von der Individualisierung zum Soft-Individualismus „Während das Individuum in der traditionellen Gesellschaft dem Kollektiv untergeordnet war, steht es in der modernen Gesellschaft bald an erster Stelle. Die Art, in der Individuen von anderen abhängig sind, hat sich allerdings im Lauf der Modernisierung verändert. Während Individuen früher von relativ überschaubaren sozialen Einheiten abhingen, in die sie durch Geburt und Erziehung gehörten, sind moderne Individuen eher auf eine abstrakte, das heißt auf eine indirekte und nicht unmittelbar zu durchschauende Weise von anderen abhängig. Der abstrakte Charakter von Beziehungen bewirkt, zusammen mit einer immer pluralistischer werdenden Kultur, dass sich moderne Individuen zunehmend autonomer in der Beziehung zu anderen fühlen.“18 Diese oben beschriebene Quasi-Freiheit bzw. höhere Autonomie des modernen Menschen wird laut Horx/Huber tendenziell als bedrohlich/unsicher wahrgenommen. Eine Rückkehr zu „alten“ Formen der Nähe und Verbundenheit (z.B. Familie) ist aber ungebrochen nicht mehr möglich. So entstehen neue, alternative Formen des Zusammenlebens sowie – im Idealfall – eine größere Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen und -konzepten. Außerdem bilden sich „ClanKulturen“ aus, die über die Verwandtschaft hinausgehen, indem die/der Einzelne das soziale Netz seiner Kleinfamilie mit Nachbarschaften und Freundschaften ausbaut.19 Die Sehnsucht nach Community, wie sie nicht nur in einschlägigen Online-Gesellschaften propagiert wird, wird so zu einem Modell der Geborgenheit und des Rückzugs von einer unwirtlichen und unverbindlich erlebten Gesellschaft.20 Man sucht Dauerhaftigkeit in den Beziehungen, Freundschaften werden immer wichtiger und übernehmen teilweise die Rolle der Familien. Sie bieten einerseits Freiheit, andererseits aber auch Bindung. Der Generationenkonflikt entschärft sich und die Eltern werden oft als Freund oder Berater gesehen.21 In diesem sogenannten. „Soft-Individualismus“ versucht man Individualismus und Bindung, persönliche Freiheit und soziale Verantwortung zu verbinden. Toleranz, Ehrlichkeit und Freundschaft werden zu wichtigen Werten.22 In Arbeitszusammenhängen wiederum nimmt die Bedeutung der eigenen Selbstverwirklichung einen immer größeren Raum ein. „Arbeit“ ist nicht bloße Existenzgrundlage, sie ist vielmehr eng an das eigene Selbstverständnis und die eigene Identität gekoppelt. Konzepte der „Selbst- AG“ treiben diese Tendenz unter dem Motto „Du bist, was du aus dir machst“ noch weiter voran. Dabei geht es darum, das eigene Leben unter strategischen Gesichtspunkten zu führen und zu gestalten. Zeiten der Investition, etwa in Weiterbildung stehen Zeiten der Expansion in neue Lebensbereiche gegenüber. Die Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitgeber sinkt und die Akzeptanz von bisherigen Karrierejobs ebenfalls. Man versucht vielmehr, seine eigenen, divergierenden Vorstellungen zu verwirklichen und miteinander zu integrieren.23 Problematischerweise steht diese Form der „Entfaltung“ bis dato nur höher qualifizierten Menschen offen. van der Loo, van Reijen, S. 194 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 54. 20 Vgl. die wachsende Bedeutung des Kommunitarismus und die einschlägige Literatur zum Thema Net-Community. 21 Fischer, S. 38-42. 22 Horx, Sensual Society, S. 11-12. 23 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 14-15. 18 19 259 Makrotrends Auf der politischen Ebene spiegeln sich die Folgen von Individualisierung bzw. abnehmendem Hierarchiedenken in veränderten Einstellungen zur repräsentativen Demokratie wider. Die Wahlbeteiligung schrumpft ebenso wie die Bereitschaft sich in traditionellen politischen Parteien zu engagieren. Diese Tendenz ist nicht unbedingt mit Politikverdrossenheit gleichzusetzen, viel eher gibt es Bestrebungen und Wünsche nach direkteren Möglichkeiten der politischen Mitgestaltung. So empfinden Mitglieder von Gesellschaften mit direkter Demokratie diese Politikform als deutlich befriedigender. Als typisches Beispiel lässt sich die Schweiz anführen. Dort sind – laut einer Studie vom Jahr 2000 – die Menschen um so zufriedener, je besser die direkt-demokratischen Institutionen in ihrem geografischen Bereich entwickelt sind und je größer ihre Kompetenzen sind. Dieser Effekt ist zwei Gründen zuzuschreiben: Einerseits garantiert dezentrale Kompetenzzuordnung verbunden mit direkter Demokratie eine besser Erfüllung der Wünsche der Bewohner, andererseits erhöht die Teilnahme (oder die Teilnahmemöglichkeit) direkt das Wohlbefinden.24 Eine Folge der direkten Demokratie kann allerdings eine niedrigere Wahlbeteiligung sein, weil den BürgerInnen eine größere Zahl an Abstimmungen für ihre Willensäußerung zur Verfügung steht und die Wahlen an Bedeutung verlieren.25 Literaturverzeichnis Fischer, Michael: Trend-Landschaften. Blicke in unsere Gesellschaft, in: Michael Fischer, Robert Kriechbaumer, Michaela Strasser: Trend-Landschaften. Blicke in unsere Gesellschaft, o.O. 1997, S. 9-127. Horx, Matthias: Sensual Society. Die neuen Märkte der Sinn- und Sinnlichkeitsgesellschaft, Frankfurt 2002. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. van der Loo, Hans und Willem van Reijen: Modernisierung. Projekt und Paradox, München 1992. Stärkere Volksrechte – zufriedenere Bürger: eine mikroökonomische Untersuchung der Schweiz, in: „Schweizerische Zeitung für Politikwissenschaft“, Volume 6, Issue 3, Herbst 2000. Wahlen im Kanton Zürich. Wahlbeteiligung auf neuem Tiefstand. Tendenz auch in anderen Kantonen, aus: NZZ vom 8.4.2003. URL: http://www.nzz.ch/dossiers/2003/wahlen_zuerich/2003.04.08-zh-article8S901.html am 20.6.2003. Stärkere Volksrechte – zufriedenere Bürger: eine mikroökonomische Untersuchung der Schweiz, in: „Schweizerische Zeitung für Politikwissenschaft“, Volume 6, Issue 3, Herbst 2000. 25 Wahlen im Kanton Zürich. Wahlbeteiligung auf neuem Tiefstand. Tendenz auch in anderen Kantonen, aus: NZZ vom 8.4.2003. URL: http://www.nzz.ch/dossiers/2003/wahlen_zuerich/2003.04.08-zh-article8S901.html am 20.6.2003. 24 260 Makrotrends SingeIisierung All of my friends at school grew up and settled down And they mortgaged up their lives One thing's not said too much but I think it's true They just get married 'cause there's nothing else to do Mit dieser Strophe besingen Keith Richard und Mick Jagger 1967 das Single-Dasein und Udo Lindenberg wird 30 Jahre später mit „Ich bin ein Single“ (1995) das ungebundene Junggesellenleben abfeiern. Tatsache ist, dass in Europa die Zahl der Singlehaushalte im Steigen begriffen ist. Vor allem in den Städten zeigt die Kurve steil nach oben. „Überzeugte“ Singles, solche also, die diese Lebensform dauerhaft beibehalten wollen, machen jedoch lediglich drei Prozent der Einpersonenhaushalte aus.26 So verwundert es nicht, dass Singles an sich sehr bindungswillig wären, ihre Sehnsucht nach Bindung, Nähe und Gemeinschaft hervorheben und sich für die Zukunft eine harmonische Beziehung wünschen.27 Singles, also freiwillig oder unfreiwillig allein stehende Menschen, gibt es in allen Lebensabschnitten – von der Post-Aduleszenz bis ins Alter. Dazu zählen junge Menschen, die aus dem elterlichen Haushalt ausgezogen sind ebenso wie ältere Menschen zwischen 55 und 75 Jahren, die ihren Partner durch Scheidung oder Tod verloren haben und großteils wieder auf Partnersuche sind oder bewusst alleine bleiben wollen.28 Auch das spätere Heiratsalter und die verlängerte Zeit der Post-Aduleszenz tun ihr Übriges, um die Zahl der 25 – 35-Jährigen, die ohne feste Partnerschaft leben, anzuheben. Allerdings hat sich in dieser Altersschicht auch eine Gruppe ausgebildet, die ungewollt partnerlos ist und teilweise weiterhin im elterlichen Haushalt wohnen bleibt.29 Menschen, die in Einpersonenhaushalten leben, müssen allerdings nicht zwingend allein stehend sein. Vielmehr bringt es die steigende berufliche Mobilität mit sich, dass Menschen nur einen Teil der Woche bei ihrer Familie oder mit ihrer Partnerin/ihrem Partner zusammenleben und den Rest in Hotels oder einer Zweitwohnung verbringen. „Taktische Singles“ hingegen leben zwar in einer festen Partnerschaft, verfügen aber weiterhin über ihre eigene Wohnung, um sich nötigenfalls dorthin zurückziehen zu können.30 Auch der Markt beginnt sich bereits am Trend zum Singleleben zu orientieren. Am Nahrungsmittelsektor werden Einzelportionen angeboten, im Bauwesen Singlehäuser errichtet und in der Tourismusbranche eigene Singleangebote konzipiert.31 Horx, Die großen Trends, S. 13. Monyk, Elisabeth: Lieber alleine oder zu zweit? Ein quantitativer Vergleich über die individualistisch bestimmte Lebensführung von Singles und Paaren ohne Kinder, Diss., Wien 2002. 28 Friedemann, S. 49-51. 29 Friedemann, S. 49-51. 30 Friedemann, S. 51. 31 Friedemann, S. 52. 26 27 261 Makrotrends Grafiken Vormarsch der Singles (Österreich) Haushaltsgrößen % der Bevölkerung 50 40 1 Person 30 3 Personen 20 4 Personen und mehr 10 0 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Grafik 5 Quelle: Statistisches Zentralamt, Österreich 2000; Prognose Zukunftsinstitut aus: Zukunftsinstitut (Hg.): Mega-Trends – Die Dokumentation. www.zukunftsinstitut.de, Kelkheim 2002 (2 CDROM). Literaturverzeichnis Friedemann, Christiane: Haushalte und Lebensstile – die neue Vielfalt. Schwerpunkt Deutschland, in: Christiane Friedemann, Andreas Giger und Matthias Horx: Future Living. Lebensstile und Zielgruppen im Wandel, o.O. 2002, S. 40-87. Horx, Matthias: Die großen Trends des sozialen Wandels und die Lebensstil-Zielgruppen von morgen, in: Christiane Friedemann, Andreas Giger und Matthias Horx: Future Living. Lebensstile und Zielgruppen im Wandel, o.O. 2002, S. 12-38. Monyk, Elisabeth: Lieber alleine oder zu zweit? Ein quantitativer Vergleich über die individualistisch bestimmte Lebensführung von Singles und Paaren ohne Kinder, Diss., Wien 2002. 262 Makrotrends Neue Familienstrukturen An Stelle der traditionellen Familie mit der althergebrachten Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sind eine Reihe von Familienmodellen getreten, die neue Konstellationen jenseits der klassischen Kleinfamilie oder der Großfamilie hervorbringen. Diese neuen Strukturen werden von der Gesellschaft zunehmend akzeptiert, im traditionellen Sinn „normale“ Familien sind mittlerweile die Ausnahme.32 Parallel dazu lässt sich feststellen, dass der/die Einzelne mehrere unterschiedliche Lebensformen als bisher durchläuft, und die Bandbreite der Erfahrungen von der Wohngemeinschaft über die Klein- bis zur Patchwork-Familie und dem Single-Dasein reichen kann33. Gesellschaftlich weitgehend anerkannt sind heute bereits zum Großteil die freiwillig kinderlosen Paare, die zudem eine interessante Zielgruppe für die Wirtschaft darstellen, weil sie als Doppelverdiener über ein hohes Einkommen verfügen (DINK = Double Income No Kid). Obwohl die Kleinfamilie bestehend aus einem Ehepaar mit zwei Kindern immer noch als die klassische Familienform angesehen wird, überwiegen inzwischen die „Minifamilien“, die ein Elternpaar und ein Einzelkind umfassen. Dabei ist der Trend zum Einzelkind eine Folge des Kompromisses zwischen den eigenen individuellen Wünschen und dem Wunsch nach einer Familie. Außerdem bekommen immer mehr Frauen ihr erstes Kind relativ spät und wollen später kein zweites34. Begünstigt durch ein besseres Verhältnis zwischen den Generationen entstehen neue familiäre Netzwerke, Kombinationen aus alten Großfamilienstrukturen und moderner Lebensführung, die vor allem von berufstätigen Frauen als Entlastung angesehen werden35. Durch die neue Jobmobilität nimmt die Zahl der sog. „nomadischen Haushalte“ zu, in denen die Partner und Familien längere Zeit voneinander getrennt leben, weil die Elternteile an unterschiedlichen Orten leben und arbeiten36. Die steigende Zahl an Scheidungen und Wiederverheiratungen lässt so genannte Patchwork-Familien entstehen. Im Gegensatz zur klassischen Kleinfamilie, bestehend aus einem verheirateten Elternpaar und seinen leiblichen Kindern, setzt sich die Patchwork-Familie aus einem Paar, verheiratet oder nicht, und ihren Kindern aus früheren und der eigenen Beziehung zusammen37. Die Ehe wird heute nicht mehr als Voraussetzung für eine Familiengründung angesehen. Aus diesem Grund nimmt die Zahl der unehelich geborenen Kinder zu und die der Eheschließungen ab. Allerdings ist u.a. in Frankreich eine Trendumkehr mit steigenden Eheschließungszahlen zu erkennen. In Ländern, in denen die Erwerbstätigkeit von Frauen gesellschaftlich anerkannt und verbreitet ist, lässt sich bereits wieder ein Wachsen der Geburtenzahlen beobachten.38 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 64. Friedemann, S. 76. 34 Friedemann, S. 57/62-63. 35 Friedemann, S. 69. 36 Friedemann, S. 71. 37 In den USA gibt es bereits das „Family Networking“. Dabei werden u.a. Familienfeste von der gesamten Familie mit allen Exgatten und Kindern aus neuen Beziehungen gefeiert. Bei Problemen ist man sich gegenseitig behilflich, gleichgültig, ob man direkt verwandt ist oder nicht. (Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 64). 38 Friedemann, S. 82-84. 32 33 263 Makrotrends Trendforscher gehen von einer künftigen Renaissance der Familie aus, verursacht durch einen Wertewandel, einer kinderfreundlicheren Gesellschaft und dem Wunsch nach Familie als „ruhendem Pol“ in einer sich ständig verändernden Welt.39 Literaturverzeichnis Friedemann, Christiane: Haushalte und Lebensstile – die neue Vielfalt. Schwerpunkt Deutschland, in: Christiane Friedemann, Andreas Giger und Matthias Horx: Future Living. Lebensstile und Zielgruppen im Wandel, o.O. 2002, S. 40-87. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. 39 Friedemann, S. 77. 264 Makrotrends Neue Jugend Auf die Frage, was Jugendlichen in zehn Jahren wichtig sein wird, antwortet eine 23-Jährige: „Und ich weiß nicht, was dann grad’ wieder musiktechnisch in sein wird oder klamottentechnisch, aber auf alle Fälle sollten sie sich irgendwo selbst treu bleiben.“40 Und ein gleichaltriger junger Mann meint: „Also ich möchte denen jetzt natürlich nichts aufzwingen, wie das vielleicht andere Generationen vor mir gemacht haben. ... Also ich denke, dass denen wahrscheinlich ähnliche Sachen durch den Kopf gehen wie mir. Und dass sie den eigenen Interessen nachgehen.“ 41 Vier große „Jugend-Trends“ lassen sich aus Sicht der Jugendforscherin Beate Großegger ausmachen. Auffällig dabei ist, dass die Trends untereinander widersprüchlich erscheinen, aber im gelebten Alltag anscheinend integrierbar sind. 1. Jugendkultur ist Freizeitkultur Die Freizeitkultur der Jugendlichen bildet den Gegenpol zu Schule und Berufsalltag und spielt sich in verschiedensten „Szenen“ (z.B. Musikszene, Sportszene, New Media, Subkulturen) ab. Auffällig ist dabei, dass sie primär „ideologiefrei“ ist, viel wichtiger ist den Jugendlichen die Orientierung am jeweils aktuellen Lifestyle. 2. Gesellschaft der Gleichaltrigen Die Gesellschaft der Gleichaltrigen ist eine wichtige Alternative zum Generationenkonflikt. Bei Freunden finden Jugendliche Vertrauen und Verlässlichkeit – Eigenschaften, die sie in der Erwachsenenwelt vermissen. Freundschaft wird von Jugendlichen daher auch als sehr wichtiger Wert eingestuft. 3. Generation Networking Jugendliche vernetzen sich mithilfe neuer Kommunikationstechnologien entlang von gemeinsamen Interessenslagen und quer zu geografischen Grenzen. Die heutigen Jugendlichen sind die erste „mediensozialisierte Generation“ und in ihrer Realität spielen Medien eine wichtige Rolle.42 Internet und globalisierte Jugendkultur sind für sie die Proberäume der Netzgesellschaft. 4. Die Sampling-Gesellschaft Jugendliche suchen sich ihre Werte und Selbst-Stilisierungen baukastenartig zusammen und sampeln/kombinieren auf den ersten Blick teilweise Widersprüchliches (z.B. wird viel Wert auf Körperbewusstsein gelegt und andererseits bei Rave Partys Ecstasy konsumiert oder das Leistungsdenken ist stark ausgeprägt, andererseits strebt man nach Lockerheit und geringstem Widerstand). Jugendliche leben heute Patchwork-Lebensstile, die sich nicht mehr an einem Motiv orientieren, sondern eine Reihe von Elementen aus verschiedenen Lebensstilen umfassen.43 So können sie besser experimentieren und gestalten, kulturell/stilistisch innovativ sein und sich von der Elterngeneration abgrenzen. Außerdem hat sich im Zuge der allgemeinen Ver- Großegger, Beate: Jugend-Trends 2002 - 2012, Handouts, Institut für Jungendkulturforschung und Kulturvermittlung Wien, Herbst 2002. 41 ebenda 42 Fischer, S. 80. 43 Fischer, S. 87. 40 265 Makrotrends schiebungen der Lebensabschnitte zwischen die Phase der Jugend und der Familiengründung eine neue Phase, die Post-Aduleszenz, geschoben, die den Zeitraum vom 18. bis zum 30. Lebensjahr umfasst. In diesen neuen Abschnitt fallen Ausbildung, Jobexperimente, Versuche der Selbstfindung, Reisen und serielle Monogamie. Der Einstieg ins Erwerbsleben und die Familiengründung erfolgt heute später.44 44 Horx, Die großen Trends, S. 20. 266 Makrotrends Grafiken POLITISCHES INTERESSE BEI JUGENDLICHEN (1980 - 2000) in Prozent interessieren sich für Politik 1980 1986 1992 1996 1999 2000 • sehr stark 5 5 5 7 3 6 • eher stark 18 18 19 28 15 19 (sehr/eher stark) 23 23 24 35 18 25 eher wenig 39 34 42 37 33 29 (sehr wenig/nicht) 38 43 33 29 49 45 • sehr wenig 20 43 17 14 22 17 • überhaupt nicht 18 16 15 27 28 • Tabelle 3 Quelle: FESSEL-GfK: Jugendstudien (1980, 1986, 1992, 1996, 2000) aus: Fessel-GfK: Jugend und Politik 1980 – 2000, S. 4. URL: http://www.gfk.at/ am 13.11.2002. Literaturverzeichnis Fischer, Michael: Trend-Landschaften. Blicke in unsere Gesellschaft, in: Michael Fischer, Robert Kriechbaumer, Michaela Strasser: Trend-Landschaften. Blicke in unsere Gesellschaft, o.O. 1997, S. 9-127. Großegger, Beate: Jugend-Trends 2002 - 2012, Handouts, Institut für Jungendkulturforschung und Kulturvermittlung Wien, Herbst 2002. Horx, Matthias: Die großen Trends des sozialen Wandels und die Lebensstil-Zielgruppen von morgen, in: Christiane Friedemann, Andreas Giger und Matthias Horx: Future Living – Lebensstile und Zielgruppen im Wandel, o.O. 2002, S. 12-38. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. 267 Makrotrends Gender (Mainstreaming) Die Europäische Union definiert „gender“ als soziales Geschlecht im Gegensatz zum biologischen. Breit gefasst werden darunter alle wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Attribute und Chancen, die sich durch das Frau- oder Mannsein begründen, verstanden.45 „Gender Mainstreaming“ soll bewirken, dass die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Frauen und Männern in allen politischen Bereichen und Prozessen berücksichtigt werden. Um allerdings künftig eine Gleichstellung der Geschlechter erreichen zu können, bleiben gezielte Fördermaßnahmen auch weiterhin notwendig,46 da sich die Frauenförderung mit konkreten Beispielen der Benachteiligung beschäftigt und Maßnahmen dagegen entwickelt, während Gender Mainstreaming ein längerfristiger Prozess mit nachhaltiger Wirkung sein soll.47 Die Rollenbilder von Frauen und Männern befinden sich in einem ständigen Veränderungsprozess. Nachdem der Bildungsgrad von Frauen in den letzten Jahrzehnten immer höher geworden ist, steigt auch das weibliche Selbstbewusstsein. Frauen entscheiden zunehmend eigenständig über den Zeitpunkt der Familiengründung, ob sie mit einem festen Partner zusammenleben wollen oder nicht, ob und wann sie Kinder auf die Welt bringen und ob sie ein Leben als Hausfrau oder als Berufstätige führen wollen.48 Die traditionelle Rolle des Mannes als Familienerhalter und -ernährer, der Karriere macht, kann in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten werden, eine neue Männergeneration beginnt bereits, sich in den Bereichen Familien- und Erwerbsarbeit neu zu orientieren.49 Gleichzeitig tritt immer wieder der Wunsch nach alten Eindeutigkeiten auf, der zum Phänomen des „Retro-Machos“ und der „Neuen Hausfrau“ führt.50 Eine Rückkehr zu den alten Stereotypen ist trotzdem nicht mehr ungebrochen möglich.51 Die Unterschiede in männlichen und weiblichen Lebensläufen sind immer noch auffällig groß. So haben sich die Lehrabschlüsse von Frauen zwar seit 1971 verdoppelt, liegen allerdings immer noch unter denen der Männer. Weibliche Lehrlinge wählen ihren Lehrberuf aus einem relativ engen Spektrum. Fast 50 Prozent absolvieren eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau und Friseurin/Perückenmacherin. Zu den beliebtesten zehn Lehrberufen von Mädchen zählt kein einziger technischer. Im Gegensatz dazu sind bei den Burschen Lehrberufe aus dem Produktionsbereich, ausgenommen die Koch- und Einzelhandelskaufmannlehre, am beliebtesten.52 Im Schulbereich gibt es ebenfalls signifikante Unterschiede. Einen besonders hohen Frauenanteil weisen lehrerbildende Akademien, wirtschaftsberufliche, sozialberufliche und kaufmännische Schulen auf.53 Einen stärkeren Andrang an Burschen als an Mädchen verzeichnen wiederum die Höheren Technischen Lehranstalten. http://www.gendermainstreaming.at/GM/lexikon.htm am 21.5.2003. GM – Was ist das? URL: http://www.imag-gendermainstreaming.at/bmsg/imag/gender/gender1.htm am 21.5.2003. 47 Unterschiede zwischen Gender Mainstreaming und Frauenpolitik. URL: http://www.gender-mainstreaming.net/servlet/ShowContent?contentID=67193 am 2.6.2003. 48 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 60-62. 49 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 59 50 Horx, Sensual Society, S. 18. 51 Susan Faludi: Backlash. Die Männer schlagen zurück, Reinbeck 1995. 52 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 44. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 53 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 30. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 45 46 268 Makrotrends Seit dem Studienjahr 1992/93 gibt es österreichweit mehr weibliche als männliche Studienanfänger, wobei allerdings Frauen bevorzugt geisteswissenschaftliche Fächer wählen, Männer hingegen technische. Während Frauen bei den akademischen Erstabschlüssen inzwischen schon die Mehrheit stellen, gehören sie bei den Zweitabschlüssen (z.B. Doktorat) mit knapp 35% zur Minderheit. Eine ähnliche Verteilung ergibt sich auch beim Lehrpersonal. Während Frauen im Volks- und Sonderschulbereich noch die überwiegende Mehrheit bilden, sind nur knapp zehn Prozent der ProfessorInnen an den österreichischen Universitäten weiblich.54 In Oberösterreich erreicht das mittlere Einkommen der unselbständig erwerbstätigen Frauen lediglich 60 Prozent des mittleren Einkommens der Männer. Besonders gravierend ist dieser Unterschied bei den ArbeiterInnen.55 In der Europäischen Union ist eine ähnliche Entwicklung feststellbar. Österreich zählt dabei mit Deutschland und Griechenland zu den Mitgliedsstaaten mit den höchsten Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen am privaten Sektor.56 Zudem sind österreichweit zwischen 1997 und 1999 die mittleren Brutto-Jahreseinkommen bei den unselbständig erwerbstätigen Frauen weniger gestiegen als bei den Männern (Frauen: 1,7%, Männer: 4,6%). Die Durchschnittspension der Österreicherinnen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung ergibt derzeit etwa 55 Prozent der Durchschnittspension der Österreicher.57 Kinderbetreuung ist immer noch hauptsächlich Frauensache. Mehr als jede zweite Frau mit Kindern unter 15 Jahren ist entweder hauptsächlich oder großteils für die Kinderbetreuung verantwortlich.58 Laut einer Untersuchung der Westdeutschen Landesbausparkasse betrifft die Geburt eines Kindes auch heute noch hauptsächlich die Karriere der Mutter und nicht die des Vaters. Der Vater bleibt für die materielle Versorgung der Familie zuständig, die Mutter für die emotionale des Kindes.59 Frauen sind leichter dazu bereit, ihren Beruf für die Familie aufzugeben bzw. einzuschränken, mit allen negativen Folgen für ihr Einkommen, ihre Altersversorgung und ihre finanzielle Situation im Fall einer Scheidung.60 60 Prozent der teilzeitbeschäftigten Österreicherinnen geben als Grund für diese Beschäftigungsart die Kinderbetreuung bzw. andere familiäre Gründe an. Bei den Österreichern tun dies nur 17% der Teilzeitbeschäftigten. Zu den AlleinerzieherInnen zählen ebenfalls großteils Frauen. In dieser Gruppe ist auch die Zahl der berufstätigen Mütter höher als unter den verheirateten.61 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 30-31. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 55 Amt der oberösterreichischen Landesregierung Büro für Frauenfragen und Abteilung Statistik (Hg.), S. 17. 56 Eurostat: Das Leben von Männern und Frauen in Europa. Ein statistisches Porträt von Frauen und Männern in allen Lebensabschnitten, Pressemitteilung 121/2002. URL: http://europa.eu.int/comm/eurostat/Public/datashop/printproduct/DE?catalogue=Eurostat&product=3-08102002-DE-AP-DE&type=pdf am 21.5.2003. 57 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 66. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 58 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 87. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 59 Köster, Carlotta: Familie. Alte Rollenbilder halten sich hartnäckig, in: KND, Nr. 10, 24.2.2000, S. 3. URL: http://www.bdaonline.de/www/bdaonline.nsf/0/2c7e75d4a79714c7c125688f003a0dd2/$FILE/KND10internet.pdf am 21.5.2003. 60 Frauen und Männer im Alltag. Beispiel: Berufswahl und ihre Folgen. URL: http://www.gender-mainstreaming.net/Gender/inhalte/berufswahl.html am 21.5.2003. 61 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 24/35/52. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 54 269 Makrotrends Der Haushalt wird ebenfalls großteils von Frauen geführt. 60% verrichten diese Arbeit alleine, eine gemeinsame Haushaltsführung gibt es bei weniger als 30% und alleine für die Hausarbeit zuständig sind lediglich 13% der Männer, wobei es sich hierbei vor allem um Singlehaushalte handelt. Daraus ergibt sich eine höhere Gesamtarbeitsdauer (Erwerbs-, Haushalts, und Familienarbeit) für Mütter mit Kindern unter 15 Jahren als für Väter. Voll erwerbsfähige Frauen arbeiten um rund 11/2 Stunden pro Tag länger als ihre vollerwerbsfähigen Partner, Teilzeiterwerbstätige immer noch um eine 1/4 Stunde länger und eine Angleichung der Gesamtarbeitszeit ist erst bei voll erwerbsfähigen Vätern und Müttern, die keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehen, gegeben. Eine Ausdifferenzierung dieses Verhaltens lässt sich schon bei den Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren feststellen. Söhne helfen durchschnittlich eine 3/4 Stunde pro Tag im Haushalt mit, Töchter 1 1/2 Stunden.62 Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 88-90. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. 62 270 Makrotrends Grafiken aus: http://www.chancengleichheit.at/ am 21.5.2003. Grafik 6 271 Makrotrends Mittlere standartisierte Brutto-Jahreseinkommen1 der unselbständig Erwerbstätigen (ohne Lehrling) nach Altersgruppen - 1999 in Schilling 800.000 700.000 600.000 500.000 Beamte Beamtinnen männl. Angestellte weibl. Angestellte Arbeiter Arbeiterinnen 400.000 300.000 200.000 100.000 Grafik 7 0 bis 19 20 - 24 25 - 29 30 - 34 35 - 39 40 - 44 45 - 49 50 - 54 55 - 59 60 u. m. Quelle: Lohnsteuerstatistik 1999 - Sozialstatistische Auswertungen 1 Bruttojahresbezüge gemäß § 25 EStG abzüglich der mit festen Sätzen besteuerten Bezüge gem § 67 Abs. 3 bis 8 EstG. (das sind v.a. Abfertigungen und Urlaubsentschädigungen/-abfindungen), dividiert durch die Anzahl der Bezugstage, multiplizert mit 365. aus: Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002, S. 61. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. Literaturverzeichnis Amt der oberösterreichischen Landesregierung Büro für Frauenfragen und Abteilung Statistik (Hg.): Gender Mainstreaming 2002. Hinter den Zahlen steckt das Leben. Eurostat: Das Leben von Männern und Frauen in Europa. Ein statistisches Porträt von Frauen und Männern in allen Lebensabschnitten, Pressemitteilung 121/2002. URL: http://europa.eu.int/comm/eurostat/Public/datashop/print-product/DE?catalogue=Eurostat&product=3-08102002-DE-AP-DE&type=pdf am 21.5.2003. Frauen und Männer im Alltag. Beispiel: Berufswahl und ihre Folgen. URL: http://www.gendermainstreaming.net/Gender/inhalte/berufswahl.html am 21.5.2003. GM – Was ist das? URL: http://www.imag-gendermainstreaming.at/bmsg/imag/gender/gender1.htm am 21.5.2003. Horx, Matthias: Sensual Society. Die neuen Märkte der Sinn und Sinnlichkeitsgesellschaft, Frankfurt 2002. 272 Makrotrends Horx, Matthias: Die großen Trends des sozialen Wandels und die Lebensstil-Zielgruppen von morgen, in: Christiane Friedemann, Andreas Giger und Matthias Horx: Future Living. Lebensstile und Zielgruppen im Wandel, o.O. 2002. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Köster, Carlotta: Familie. Alte Rollenbilder halten sich hartnäckig, in: KND, Nr. 10, 24.2.2000, S. 3. URL:http://www.bdaonline.de/www/bdaonline.nsf/0/2c7e75d4a79714c7c125688f003a0dd2/ $FILE/KND10internet.pdf am 21.5.2003. Statistik Austria: Geschlechtsspezifische Disparitäten, Wien 2002. URL: http://www.webfactory.apa.at/bmsg/imag/downloads/disparitaeten.pdf am 21.5.2003. Unterschiede zwischen Gender Mainstreaming und Frauenpolitik. URL: http://www.gendermainstreaming.net/servlet/ShowContent?contentID=67193 am 2.6.2003. Werbung fixiert Rollenbilder. URL: http://www.agmedien.ch/Werbung4.htm am 21.5.2003. http://www.gendermainstreaming.at/GM/lexikon.htm am 21.5.2003. 273 Makrotrends Selbstbestimmte PatientInnen, Gesundheitsbewusstsein und Druck auf das Gesundheitssystem „Jeder kennt diese Situation: Man sitzt im Behandlungszimmer und wartet auf den Gott in Weiß. Auf seine Untersuchung, auf seine Diagnose und auf seine Therapievorschläge. Besonders die Generation unserer Eltern bzw. Großeltern zeigt eine fast indianische Ehrfurcht vor den Medizinmännern des 20. Jahrhunderts.“ 63 Der Glaube an die Götter in Weiß ist in den letzten Jahren einer deutlichen Skepsis gegenüber der Schulmedizin gewichen. Dies hängt mit einer gewissen Technikfixiertheit der Schulmedizin (High-Tech-Medizin) zusammen, der zunehmend der Vorwurf gemacht wird, sie sei zuwenig ganzheitlich ausgerichtet. Gefördert wird diese skeptische Haltung zusätzlich durch den Kontrast zwischen dem Image der MedizinerInnen als Alleskönner und der Ohnmacht, mit der sie chronischen Krankheiten oft gegenüberstehen. So gesehen verwundert es nicht, wenn der Wunsch nach alternativen Heilmethoden steigt, der besonders bei jüngeren und höher gebildeten Menschen besonders ausgeprägt ist.64 Gleichzeitig nimmt die Zahl jener ÄrztInnen zu, die eine Mischung aus alternativer und Schulmedizin praktizieren. Im Aufwind bleiben auch Gesundheits-Gurus und Körper-Philosophien aus Fernost.65 Auch die PatientInnen werden selbstbewusster. Betroffene beginnen sich zu organisieren, sie wollen nicht alles über sich ergehen lassen und hinnehmen, wenn sie sich nicht ausreichend aufgeklärt fühlen. Selbsthilfegruppen entstehen im realen Leben sowie online (angefangen von Rheuma über Neurodermitis, Grüner Star bis hin zu Harninkontinenz etc.), ebenso wie das Internet überhaupt als Informationsmedium in Gesundheitsfragen zunehmend genutzt wird. Netdoktor.at und ähnliche Websites informieren 24 Stunden am Tag über Krankheiten, Behandlungsmethoden und Risiken. Informationsveranstaltungen mit dem Themenbereich Gesundheit boomen und zeigen hohe Besucherzahlen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dabei Veranstaltungen, bei denen die Besucher zahlreiche Untersuchungen gleich vor Ort absolvieren können. Der Stellenwert von „Gesundheit“ nimmt zu und die Bedeutung des Begriffs „Gesundheit“ hat sich ausgeweitet. Man versteht darunter nicht nur das „nicht krank sein“, sondern eine aktivere Lebenshaltung – Prophylaxe wird immer wichtiger. Außerdem fallen unter den „neuen Gesundheitsbegriff“ Gebiete wie Stress, familiäre Krisen und das so genannte Burnout-Syndrom. Nicht übersehen werden darf bei aller Gesundheits- und Vorsorge-Euphorie, dass im Gegensatz zum allgemeinen Trend eines ansteigenden Gesundheitsbewusstseins dieses bei sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen stagniert. Es zeigt sich, dass die Einschätzung der persönlichen Gesundheit zutiefst sozial geprägt und abhängig von Einkommen und Bildungsgrad ist. Auch objektiv ist bei Menschen aus sozial schwächeren Gruppen der Gesundheitszustand und das Bewusstsein für Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsförderung schlechter. Rosing, S. 208. Die überwiegende Mehrheit der Linzer Bevölkerung vertraute nach eigenen Angaben der klassischen Schulmedizin. Acht von zehn Befragten waren von den Methoden der Schulmedizin überzeugt, wobei der Anteil bei Männern höher lag (88% zu 78%). Über ein Fünftel der unter 40-jährigen Bevölkerung bevorzugte bei gesundheitlichen Beschwerden alternative Heilmethoden. Bei den 50-59-jährigen Personen sank der Anteil auf die Hälfte (11%) und bei den über 59-Jährigen auf beinahe ein Viertel (6%)." (Pass, S. 95.). 65 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 35-36. 63 64 274 Makrotrends Viele Menschen sind mittlerweile bereit für bestimmte Leistungen medizinischer Dienstleister jenseits der Krankenversicherung in die private Tasche zu greifen und in ihre Gesundheit zu investieren. Nur noch zwei Drittel der Gesundheitsausgaben werden von der öffentlichen Hand getragen, ein Drittel wird von den PatientInnen selbst erbracht. Neben dem herkömmlichen medizinischen Angebot bildet sich zusätzlich ein neuer, privater Markt, in dem der Kunde „König“ ist und eine High-Care-Medizin entsteht, in welcher der gesunde Mensch zur/zum KundenpatientIn mutiert. Das Angebot richtet sich dabei nach den individuellen Bedürfnissen der/des Einzelnen (z.B. Vorsorge für Berufstätige mit sitzender Tätigkeit), die/der auch prophylaktisch behandelt wird.66 So entsteht ein System, das deutliche Kennzeichen einer Zwei-Klassen-Medizin trägt. Abschließend lässt sich daher sagen, dass in den kommenden Jahren mit einem deutlichen Druck auf das Gesundheitssystem zu rechnen ist, der nicht zuletzt durch die relative Überalterung der Gesellschaft, das Ansteigen der Zivilisationserkrankungen, gesellschaftspolitische Entscheidungen und die technologische Entwicklung verstärkt wird. 66 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 36-37. 275 Makrotrends Grafiken Tabelle 4 aus: http://www.wko.at/statistik/Nachbar/gesundheitsoziales.pdf am 28.10.2002. Literaturverzeichnis Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Pass, Claudia: Linzer Gesundheitsbericht 2001, o.O. o.J. Rosing, Stephan: Am Olymp wird gerüttelt – Medizin im Aufbruch?!, in: Christian Boeser, Thomas Schörner und Dirk Wolters (Hg.): Kinder des Wohlstandes. Auf der Suche nach neuer Lebensqualität, Frankfurt am Main 2000, S. 208-218. 276 Makrotrends Körper in Bewegung Immer mehr Menschen betreiben Sportarten, bei denen die Gesundheitsaspekte die Leistungsaspekte überwiegen. Selbsterfahrung und die sportliche Betätigung in der Natur stellen die so genannten „Soul Sports“ in den Vordergrund. Zu den Vorreitern dieser Sportarten gehören SurferInnen, Skate- und Snow-BoarderInnen. Im Zuge des Soul-Sport-Trends“ erleben aber auch klassische Ausdauersportarten wie Wandern, Klettern, Langlaufen und Running einen neuen Boom.67 Nordic Walking – also das flotte Gehen mit verlängerten Stöcken – ist der neueste Hit. Ähnliches gilt für „Ethno Sports“ mit fernöstlichem Hintergrund. In Disziplinen wie Tai Chi oder Qi Gong stehen Körperbeherrschung und Körpererfahrung im Mittelpunkt. Die wachsende Beliebtheit asiatischer Sportarten ist u.a. mit dem steigenden Interesse für den fernen Osten zu erklären (z.B. Meditationstechniken, chinesische Medizin, Ethno-Läden). Neben einer Asiatisierung ist auch eine gewisse Amerikanisierung der Sportarten zu beobachten (Cheer-Leading, Body-Styling oder American Football). Der Trend zur Internationalisierung der Sportarten wird aller Voraussicht nach weiterhin anhalten, nicht zuletzt, weil durch Globalisierung und Medialisierung Sportarten aus anderen, fremden und exotischen Ländern immer bekannter werden. Deutlich am Abflauen ist die Organisation von sportlichem Freizeitverhalten in Form von Vereinen – immer weniger junge Menschen sind an dieser Form der geselligen Fitness interessiert. Sportliche Aktivitäten werden häufig in Klein- und Kleinstgruppen privat organisiert, es kommt in der Folge zu einem Anwachsen der Freizeitmobilität, die sich im Winter an den Staus in den Schigebieten und im Sommer an den überfüllten Parkplätzen rund um die Badeseen zeigt. Im Bereich der Sportausrüstung spielt die High-Tech-Industrie eine immer wichtigere Rolle. Der Markt für Monitoring-Produkte (Messung von Puls, Atmung, Blutwerten) wächst kontinuierlich, außerdem werden neue technische Geräte und neue Materialien (z.B. atmungsaktive Bekleidung) entwickelt.68 Auch der passive Sportkonsum entwickelt sich in neue Dimensionen. Bei Sportveranstaltungen wird neben dem Sportereignis selbst die Erlebnisqualität und der Funfactor immer wichtiger. Aufgrund eines gesteigerten Wunsches nach „Erleben“ soll bei den Sportevents ein bestimmtes Lebensgefühl inszeniert werden (z.B. beim Air & Style Snowboard Contest in Seefeld). Eine wichtige Rolle bei dieser Inszenierung kommt den Medien zu, die das Image einer Veranstaltung schon in ihrem Vorfeld transportieren (z.B. das Hahnenkammrennen als das härteste Abfahrtsrennen der Welt). Einen immer größeren Stellenwert erhält bei diesen Events auch das Merchandising, da die Identifizierung der/des Einzelnen mit seinem jeweiligen Sportidol den Verkauf fördert (z.B. Hermann Maier und Atomic Ski). Literaturverzeichnis Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. 67 68 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 45-46. Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 48. 277 Makrotrends Steigende Beliebtheit von Wellness Während der Körper früher vor allem als Produktivmittel angesehen wurde, wird ihm heute ein viel höherer Stellenwert eingeräumt – kontinuierlich wird an seiner Erhaltung, Regenerierung und Gesundheit gearbeitet. Man achtet auf ausgewogene Ernährung, betreibt Sport und nimmt zum Entspannen die unterschiedlichsten Wellness-Angebote in Anspruch.69 So werden bewusst gesetzte Pausen und Erholungsphasen zum Kontrapunkt im hektischen Berufsalltag, in dem Zeitdruck und Flexibilität auf der Tagesordnung stehen. Ähnlich wie im Sportbereich entspricht die Lust auf Wellness aber auch dem Trend, Freizeit individuell und ohne Verpflichtungen zu verbringen. Die Auswirkungen des Wellness-Trends sind sehr vielfältig. Die Nahrungsmittelindustrie bietet bereits eigene Wellness-Produktlinien an, die – mit verschiedenen Inhaltsstoffen angereichert – Wohlbefinden und Gesundheit versprechen. Im Gesundheitsbereich wirkt sich das gesteigerte Körperbewusstsein positiv im Bereich der Prophylaxe aus. Im Fremdenverkehr hat sich durch den Thermentourismus ein neues Segment eröffnet, das jahreszeitenunabhängig ist. Thermenangebote werden auch gerne für Kurzaufenthalte über Wochenenden oder Feiertage genutzt. Besonders nachgefragt werden dabei Wellness-Angebote für Familien inklusive Kinderbetreuung und All-Inclusive-Packages, die Wellness mit Weinverkostungen und einem hochwertigen Restaurantangebot verbinden. Der Wellness-Trend wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen, sich aber verändern. Schon heute lässt sich erkennen, dass neben die passiven Elemente wie Fango-Packungen, Schlammbäder oder Massagen immer mehr aktive Elemente treten wie die aktive Veränderung der Ernährungsgewohnheiten. Energy- und Wellness-Coaches offerieren ihren Kunden bereits Yogastunden, Ernährungspläne und Time-Management-Programme. Auch in den Unternehmen kommt man zur Erkenntnis, dass das Wohlbefinden am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg spielt. Aus diesem Grund bieten diverse amerikanische Firmen ihren MitarbeiterInnen bereits fünf Balance Days im Jahr an, an denen sie zu Hause bleiben können, ohne dass diese freien Tage als Urlaub oder Krankenstand gerechnet werden.70 Dass diese Entwicklung zwei Seiten hat, sieht man nicht zuletzt in der Zentrale der Firma Microsoft in Seattle, deren integrierte Fitness Parks, Schwimmhallen und Sportplätze die Mitarbeiter zu noch höheren Leistungen anspornen sollen.71 Ein großes Problem der Wellness-Welle ist ihre soziale Selektivität. Um entsprechende Angebote in Anspruch nehmen zu können, muss man über genügend finanzielle Mittel verfügen. Im öffentlichen Bereich stellt sich daher die Frage, ob man über entsprechende Ermäßigungen auch einkommensschwächeren Schichten den Zugang zu diesem Sektor ermöglichen will bzw. kann. Horx, Sensual Society, S. 23. Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 133-134. 71 Vgl. Belz, Corinna und Regina Schilling: Leben nach Microsoft, Dokumentarfilm 2001 (gezeigt am 16.3.2003 auf 3sat). 69 70 278 Makrotrends Literaturverzeichnis Belz, Corinna und Regina Schilling: Leben nach Microsoft, Dokumentarfilm 2001 (gezeigt am 16.3.2003 auf 3sat). Horx, Matthias: Sensual Society. Die neuen Märkte der Sinn- und Sinnlichkeitsgesellschaft, Frankfurt 2002. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. 279 Makrotrends Die neue KonsumentIn „Der Konsum wird weiblich“, sagen die einen, während die anderen davon sprechen, dass Frauen einfach „anders konsumieren“. Fakt ist hingegen, dass Frauen zu den neuen, dominanten Käuferschichten zählen, so sie einem Beruf nachgehen, ein hinreichendes wenn nicht exzellentes Einkommen haben sowie einen mittleren bis höheren Bildungsgrad („Generation Ally“) vorweisen können. Sie verfügen über einen steigenden Anteil am Erwerbseinkommen und ihr Einfluss auf Kaufentscheidungen wächst. Dieser beschränkt sich künftig nicht auf den Bekleidungs- und Nahrungsmittelsektor, sondern kommt auch beim Kauf von Autos, Reisen und Luxusgütern vermehrt zum tragen. Marketing und Werbung richten sich daher stärker nach dieser Zielgruppe aus.72 Besonders relevant ist auch die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen, die nicht nur in Japan inzwischen als „Retter der Konjunktur“ bzw. als „Ledig-Genießen-Konsumentinnen“ gelten.73 Da sie oft noch bei den Eltern wohnen und stark karrierebetont sind, haben sie ein hohes verfügbares Einkommen, das sie u.a. für Luxuswaren ausgeben.74 Kontinuierlich steigt das Vermögen der älteren Generation. Die Babyboomer-Generation erbt in den nächsten Jahren das Vermögen ihrer Eltern und gewinnt dadurch an Kaufkraft. Sie bevorzugt Luxusprodukte mit langer Lebensdauer im Gegensatz zu Trendprodukten. Sie hebt die Nachfrage nach Smart-Tech, also Technik, die leicht bedien- und verstehbar ist. Außerdem lässt sie die Nachfrage in den Bereichen häusliche Dienstleistung, „Elder Care“, sowie Lifestyleund Anti-Aging-Produkten steigen. Die Wirtschaft wird auf diesen Trend mit eigenen SeniorenAngeboten in den unterschiedlichsten Bereichen reagieren (z.B. Reisen mit medizinischer Betreuung etc.)75 Im Bereich des Konsums etablieren sich mehrere Strömungen nebeneinander. Die Palette reicht vom Sinnlichkeitseinkauf bis hin zum Moralkonsum, vom Retro-Trend bis zum Wunsch nach Individualprodukten – maßgeschneiderte Schuhe sind für zahlungskräftige Käuferschichten nicht zuletzt aus Imagegründen wieder en vogue. Von Unternehmen wiederum werden großzügig Erlebnisparks geplant. Neben dem Produkt wird die Unternehmensgeschichte, die Firmenkultur und die Fertigung vorgestellt. „Die VWAutostadt verbindet unterschiedliche Themen und Blickwinkel zu einer spannungsreichen Erlebniswelt. Unser ZeitHaus zeigt Ihnen die Geschichte der Automobilität, unser AutoLab und eine VW-WerkTour die Kunst des Automobilbaus. Unsere KinderWelt und Kinderverkehrsschule führen vor, wie sich Spaß und Pädagogik verbinden lassen. Wie sich die Marken des VW-Konzerns präsentieren, und welche Prototypen von den Ingenieuren neu entwickelt wurden, erfahren Sie in den MarkenPavillons. Außerdem bietet Ihnen die ErlebnisAbholung das Vergnügen, die Auslieferung Ihres neuen Wagens mit einer unterhaltsamen und stressfreien Reise zu verbinden.“76 Die VW-Autostadt in Wolfsburg ist – mit sechs Millionen Besucher in drei Jahren – mittlerweile die zweiterfolgreichste Freizeiteinrichtung der Bundesrepublik Deutschland.77 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 142-143. Wirtschaftswoche 11/00 74 Huber, S. 91f. 75 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 154-156. 76 http://www.autostadt.de/www/info/cda/main/0,3606,1~17~0,00.html am 30.4.2003. 77 Die Zeit, 24.4.2003 72 73 280 Makrotrends Auch der Moralkonsum weitet sich aus. Produktionsbedingungen, Geschäfts-, Finanz- und Genderpolitik der Unternehmen rücken in den Mittelpunkt des Interesses und durch die Medien und NGOs werden Konsumentenboykotte wegen schlechter Arbeitsbedingungen, ungerechter Entlohnung oder Kinderarbeit immer professioneller aufgezogen. Vor allem jugendliche KonsumentInnen reagieren rasch auf moralische Themen (z.B. Imageprobleme von Nike aufgrund von Kinderarbeit). Die Unternehmen beginnen daher auf „Ethic Marketing“ zu setzen und vermarkten Produkte mit einem ethischen oder karitativen Aspekt.78 Außerdem bedienen sie sich medial geschickt idealistischer Ziele wie Umweltschutz, Entwicklungshilfe und der Ablehnung von Tierversuchen.79 78 79 Horx, Sensual Society, S. 48. Fischer, S. 73. 281 Makrotrends Grafiken Erlebnisökonomie Anteile der Wertschöpfung am Erlebnisprodukt (am Beispiel Kaffee) Euro 3 2,5 2 1,5 Erlebnis 1 Service 0,5 0 Produkt Rohstoff Grafik 8 Quelle: Pine & Gilmore, The Experience Economy aus: Zukunftsinstitut (Hg.): Mega-Trends – Die Dokumentation. www.zukunftsinstitut.de, Kelkheim 2002 (2 CDROM). Literaturverzeichnis Fischer, Michael: Trend-Landschaften. Blicke in unsere Gesellschaft, in: Michael Fischer, Robert Kriechbaumer, Michaela Strasser: Trend-Landschaften. Blicke in unsere Gesellschaft, o.O. 1997, S. 9-127. Horx, Matthias: Sensual Society. Die neuen Märkte der Sinn- und Sinnlichkeitsgesellschaft, Frankfurt 2002. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Huber, Thomas: Consumer-Trends 2005. 17 Konsumenten-Trends für das Zukunftsmarketing, Frankfurt 2002. Die Zeit vom 24.4.2003. http://www.autostadt.de/www/info/cda/main/0,3606,1~17~0,00.html am 30.4.2003. 282 Makrotrends Neue Arbeitsformen – neue Arbeitsstrukturen Laut Beschäftigungsprognose der Arbeiterkammer wird es 2008 in Oberösterreich 36.800 Beschäftigte mehr als im Jahr 2000 geben. Damit liegt das Beschäftigungswachstum in Oberösterreich über dem Bundesdurchschnitt. Insgesamt vollzieht sich – so wie in Gesamtösterreich – eine Verschiebung hin zum Dienstleistungssektor. 80 Prozent des Beschäftigungszuwachses wird auf Frauen entfallen. Ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung erhöht sich somit von 40 auf 43 Prozent. Die geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes ändert sich hingegen wenig. „Typische Frauenberufe“ sind solche mit geringeren Löhnen und hoher Teilzeitrate (z.B. Gesundheitsberufe, Sozialberufe, Verkäuferinnen, etc.). Die Berufsstruktur selbst bleibt stärker industrieorientiert als in anderen Bundesländern. In wichtigen Industriebranchen wird die Beschäftigung auch in Zukunft wachsen. Hoher Ausbildungsbedarf besteht weiterhin im Bereich der Facharbeit. Ebenso steigt die Nachfrage nach höher qualifizierten MitarbeiterInnen.80 Gleichzeitig ist – EU-weit betrachtet – die Zahl der Teilzeitjobs und befristeten Arbeitsverträge bzw. freien Dienstverträge im Steigen begriffen.81 Neue Arbeitsformen wie Neue Selbstständigkeit, Scheinselbstständigkeit, Tele-Arbeit und Personal Leasing nehmen zu. Folgen dieser atypischen Beschäftigungsverhältnisse sind: - Sinken des allgemeinen Anspruchsniveaus im Bezug auf den Arbeitsplatz - Soziale Segmentierung der Gesellschaft in die Gruppe der dauerhaft Vollzeitbeschäftigten und jene der atypisch Beschäftigten (Entsolidarisierung – Trennung zwischen Stamm- und Leasingbelegschaft) - Ausgeschlossensein von sozialrechtlichen und betrieblichen Leistungen oder betrieblichen Weiterbildungs- und Aufstiegschancen für freie Dienstnehmer und Werkvertragsnehmer. So gesehen überwiegen die Nachteile die Vorteile freier Arbeitsformen, wie bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Zusatzverdienstmöglichkeiten oder mehr Selbstbestimmung über die eigene Zeit.82 Mit der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse steigt die Zahl der „Working poor“, wobei das Armutsrisiko mit der zeitlichen Befristung eines Arbeitsverhältnisses bzw. bei Teilzeitarbeit, zunimmt.83 Derzeit gibt es laut eines vom Sozialministerium in Auftrag gegebenen Sozialberichts 57.000 Personen, die in Österreich trotz Arbeit unter die Armutsgrenze fallen. Rechnet man die Angehörigen, die Kinder, zu den „Working poor“ dazu, steigt die Zahl jener, die trotz Arbeitsverhältnis nicht genug verdienen, auf 178.000. Laut Karin Heinz, Autorin der Sozialberichts, könnten Mindestlöhne Abhilfe schaffen sowie Sozialtransfers für NiedrigstlohnbezieherInnen. Für etliche Menschen wird auch der steigende Leistungsdruck zum Problem. Menschen mit eingeschränkter Arbeitsleistung haben auf dem Arbeitsmarkt immer weniger Chancen und ihre Produktivität wird nicht mehr genutzt. Der Trend geht in Richtung staatlicher Beschäftigungs- Arbeiterkammer Oberösterreich: Beschäftigungsprognose für Oberösterreich 2000-2008, S. 2. URL: http://www.arbeiterkammer.com/plugin/template/newmedia/*/8169 am 30.4.2003. 81 Horx, Die großen Trends, S. 15. 82 Holzinger, S. 50-53. 83 Trotz Arbeit unter Armutsgrenze. Armutskonferenz: „Working poor“ in Österreich eine „Zeitbombe“, aus: Der Standard vom 4.3.2003. 80 283 Makrotrends maßnahmen für geringfügig Behinderte/Kranke, weil sie auf dem freien Arbeitsmarkt keine adäquaten Arbeitsplätze mehr finden. Auf der anderen Seite wird Arbeit häufig nicht mehr nur als notwendige Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes angesehen, sondern als Selbstverwirklichung – das Selbstverständnis der/des Einzelnen ist heutzutage eng mit ihren/seinen beruflichen Herausforderungen verknüpft.84 Menschen mit hohem Ausbildungsgrad verlangen daher immer mehr Selbstbestimmung nicht zuletzt über ihre Zeit, um Privat- und Berufsleben besser integrieren zu können. Häufig sind sie in so genannten Wissensberufen tätig und verstehen sich als Wissensarbeiter. Sie arbeiten projektbezogen, sind flexibel und mobil und verfügen über Wissen als freie Ressource. Der Fokus ihrer Aktivitäten liegt auf so genannter „immaterieller Arbeit“ (hochqualifizierte Dienstleistungsberufe wie NetzwerkspezialistInnen, KommunikationsberaterInnen, GesundheitsexpertInnen, DesignerInnen und GestalterInnen etc.).85 Bertrand, Michalski, Pench, S. 77. Berker, Thomas: Von Kalifornien nach Darmstadt. Immaterielle Arbeit und der Informationsraum. URL: http://www.copyriot.com/unefarce/no4/kairos.html am 4.4.2003 nach Kocyba, H.: Wissensbasierte Selbststeuerung: Die Wissensgesellschaft als arbeitspolitisches Kontrollszenario, in: W. Konrad und W. Schumm (Hg.): Wissen und Arbeit, Münster 1999, S. 100/110. vgl. Negri, Toni und Maurizio Lazzarato: Umherschweifende Produzenten, Berlin 1998. 84 85 284 Makrotrends Grafiken % 70 Der Beginn des „Wissenszeitalters“ Arbeiter in Industriebetrieben 60 Dienstleister und Wissensarbeiter 50 40 30 20 10 0 1960 1975 1990 2005 Arbeiter in Industriebetrieben 68 48 36 17 Dienstleister und Wissensarbeiter 18,5 23,8 38 62 Grafik 9 Quelle: OECD, Prognose Zukunftsinstitut aus: Zukunftsinstitut (Hg.): Mega-Trends – Die Dokumentation. www.zukunftsinstitut.de, Kelkheim 2002 (2 CDROM). Atypische Beschäftigung in Österreich 1999 Art des atypischen Atypische Beschäftigungen Beschäftigungsverhältnisses Relativ Absolut Teilzeitbeschäftigung 17,4 654.891 Geringfügige Beschäftigung 4,2 158.077 Befristetes Dienstverhältnis 3,1 116.676 Werkvertrag 1,0 37.637 Freier Dienstvertrag 0,6 22.582 Heimarbeit 1,0 37.637 Arbeitskräfteüberlassung 0,5 18.818 Alle Beschäftigungsverhältnisse 27,8 1.046.318 Tabelle 5 Teilauszug aus: Holzinger, Elisabeth: Atypische Beschäftigung in Österreich. Trends und Handlungsoptionen vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen, Wien 2001 (AMS Report 19), Tabelle 20 S. 44. 285 Makrotrends Literaturverzeichnis Trotz Arbeit unter Armutsgrenze. Armutskonferenz: „Working poor“ in Österreich eine „Zeitbombe“, aus: Der Standard vom 4.3.2003. Arbeiterkammer Oberösterreich: Beschäftigungsprognose für Oberösterreich 2000-2008. URL: http://www.arbeiterkammer.com/plugin/template/newmedia/*/8169 am 30.4.2003. Berker, Thomas: Von Kalifornien nach Darmstadt. Immaterielle Arbeit und der Informationsraum. URL: http://www.copyriot.com/unefarce/no4/kairos.html am 4.4.2003. Bertrand, Gilles (Koord.), Anna Michalski und Lucio R. Pench: Szenarien Europa 2010. Fünf Bilder von der Zukunft Europas. Arbeitspapier, o.O. 1999. Holzinger, Elisabeth: Atypische Beschäftigung in Österreich. Trends und Handlungsoptionen vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen, Wien 2001 (AMS report 19). Horx, Matthias: Die großen Trends des sozialen Wandels und die Lebensstil-Zielgruppen von morgen, in: Christiane Friedemann, Andreas Giger und Matthias Horx: Future Living. Lebensstile und Zielgruppen im Wandel, o.O. 2002, S. 12-38. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Negri, Toni und Maurizio Lazzarato: Umherschweifende Produzenten, Berlin 1998. 286 Makrotrends Lebenslanges Lernen „Lebenslanges Lernen“ wird zum Paradigma einer Gesellschaft, in deren Selbstwahrnehmung die Halbwertszeit von Wissen immer schneller sinkt. Gleichzeitig verliert die Erstausbildung zunehmend an Bedeutung,86 es gibt heute keine so genannten „Lebensberufe“ mehr, in die man mit 18 Jahren einsteigt und bis zur Pensionierung tätig bleibt. Die Häufigkeit von Arbeitsplatz- und Berufswechsel nimmt ständig zu.87 Die Bedeutung eines möglichst homogenen und kontinuierlichen Karriereverlaufes sinkt gegenüber häufigerem Arbeitsplatzwechsel und dem damit einhergehenden Sammeln von Erfahrungen. Derzeit beschränkt sich der Trend zum lebenslangen Lernen vornehmlich auf die jüngeren ArbeitnehmerInnen.88 Allerdings wird es künftig entscheidend sein, den Zugang zur Weiterbildung allen Schichten und Gruppen zu eröffnen, d.h. die Teilhabechancen zu verbessern.89 Auch der Bildungssektor ist einem großen Umgestaltungsprozess unterworfen, der die nächsten Jahre fortdauern wird. So orientiert sich die aktuelle Bildungslandschaft eher an kurz- und mittelfristigen wirtschaftlichen Interessen als an längerfristigen und gesamtgesellschaftlichen. Was die Universitäten selbst anbelangt, sind mehrere Entwicklungen denkbar. Einerseits kann sich das Lehrangebot tatsächlich mehr nach dem Bedarf der Wirtschaft ausrichten, andererseits setzen die Universitäten möglicherweise – in Abgrenzung zu den Fachhochschulen – verstärkt auf Forschung. Außerdem wird der Bildungsmarkt bei steigender Nachfrage nach Ausund Weiterbildungsangeboten weiter expandieren. Im Rahmen von Bildungssponsoring kommt es zur Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und Bildungsinstitutionen90 und Unternehmen beginnen damit, eigene Ausbildungsstätten zu errichten. Die Konkurrenz zwischen öffentlichen Bildungsinstitutionen und privaten wird sich verstärken, wobei die privaten Anbieter Wettbewerbsvorteile aufgrund einer besseren Studienplatzbewirtschaftung und geringerer Fixkosten im Personalbereich haben. Auf dem Bildungsmarkt etablieren sich neue Lernsysteme wie e-Learning und Fernunterricht.91 Die Verbreitung von e-Learning-Programmen bleibt zwar hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück, aber die Zahl derer, die sich online bilden, steigt.92 Zentrale Herausforderung in diesem Zusammenhang ist die medienadäquate Aufbereitung der Lerninhalte. Die Nutzung von e-Learning wird durch die EU und auf nationaler Ebene mit Förderprogrammen unterstützt. Saiger, S. 59 nach Ferdinand-Hahn, Sabine: Das duale System auf dem Prüfstand, in: Zukünfte, Zeitschrift für Zukunftsgestaltung & vernetztes Denken, 8. Jg. 28. Ausg., Sommer 1999, S. 39. 87 Sager, Krista: Lernen – ein Leben lang. Diskussionspapier zur Einstiegsdiskussion im Forum Bildung am 19.10.2000. URL: http://www.bildung2010.de/literatur/sager03-01.pdf am 25.3.2003. Laut einer IMAS-Studie aus dem Jahr 2000 bleibt fast ein Drittel der österreichischen Arbeitnehmer nicht länger als drei Jahre in einem Betrieb tätig, 39% zwischen drei und zehn Jahren und lediglich 30% über zehn Jahre. 1997 arbeiteten noch 41% länger als zehn Jahre in derselben Firma. (IMAS-Report. Umfrageberichte von IMAS-International. Revolution in der Arbeitswelt, Nr. 11, Mai 2000, S. 1. URL: http://www.imas-international.com/report/2000/11-05.pdf am 30.4.2003.). 88 Bertrand, Michalski, Pench, S. 76. 89 Sager, Krista: Lernen – ein Leben lang. Diskussionspapier zur Einstiegsdiskussion im Forum Bildung am 19.10.2000. URL: http://www.bildung2010.de/literatur/sager03-01.pdf am 25.3.2003. 90 BMW finanziert beispielsweise die Errichtung eines neuen Gebäudes für die TU München, das im Gegenzug nach einem der früheren Vorstandsvorsitzenden benannt wird. (Horx, Sensual Society, S. 43.). 91 Saiger, S. 66 nach Catenhusen, Wolf-Michael: Die Hochschulen und die Wissensgesellschaft. Rede im Rahmen der GEW-Sommerschule 99 am 30.8.1999, entn. www.berlinews.de/archiv/565.shtml. 92 Horx, Sensual Society, S. 43. 86 287 Makrotrends Ein weiteres Problem stellt derzeit die fehlende Qualitätssicherung im Bereich der Weiterbildung dar, da erworbene Zertifikate oftmals nicht allgemein anerkannt werden.93 Hier gibt es eine Tendenz, private Zertifikate offiziellen Abschlusszeugnissen gleichzustellen. Zunehmend wird sich auch die Frage der Zertifizierung informell erworbener Kenntnisse stellen. Als problematisch erweist sich die zunehmende Überwälzung der Bildungskosten auf die Nutzerinnen und Nutzer, weil dies einerseits zu einem eingeschränkten Themenangebot führt, andererseits soziale Unterschiede weiter vertieft. 93 Saiger, S. 64. 288 Makrotrends Grafiken Ausbildungszeit pro Person in Jahren Konstantes Wachstum Jahre 20 USA 18 Deutschland 16 UK 14 Japan 12 10 8 6 4 2 0 USA Deutschland UK Japan 1913 1950 1973 1992 2000 ohne Kindergarten 1820 1870 1,8 18,3 8 11,2 14,7 18 16,5 0 0 8,3 10,3 11,5 12,1 16,5 2 4,3 8,8 10,5 11,8 14 17 1,6 1,7 5,6 9,2 12 15 15,6 Grafik 10 Quelle: OECD, Economic Outlook 1999, Eidgenössisches Volksdepartement Wachstumsbericht 2002, aus: Zukunftsinstitut (Hg.): Mega-Trends – Die Dokumentation. www.zukunftsinstitut.de, Kelkheim 2002 (2 CD-ROM). Literaturverzeichnis Bertrand, Gilles (Koord.), Anna Michalski und Lucio R. Pench: Szenarien Europa 2010. Fünf Bilder von der Zukunft Europas. Arbeitspapier, o.O. 1999. Horx, Matthias: Sensual Society. Die neuen Märkte der Sinn- und Sinnlichkeitsgesellschaft, Frankfurt 2002. IMAS-Report. Umfrageberichte von IMAS-International. Revolution in der Arbeitswelt, Nr. 11, Mai 2000. URL: http://www.imas-international.com/report/2000/11-05.pdf am 30.4.2003. Sager, Krista: Lernen – ein Leben lang. Diskussionspapier zur Einstiegsdiskussion im Forum Bildung am 19.10.2000. URL: http://www.bildung2010.de/literatur/sager03-01.pdf am 25.3.2003. Saiger, Helmut: Z_dossier 01. Konturen der Wissensgesellschaft. Fakten, Konzepte, Strategien, Essen 2001. 289 Makrotrends Durchdringung aller Lebensbereiche mit Informationstechnologien Im Rahmen dieser Vorgabe verabschiedete der Europäische Rat im Juni 2000 den Aktionsplan „eEurope 2002“. Er zielt darauf ab, die Nutzung der neuen Medien in Europa voranzutreiben, die BürgerInnen mit dem Internet und den Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut zu machen und allen Menschen den Zugang zu den neuen Medien zu ermöglichen. Internet und neue Medien werden zukünftig alle Lebensbereiche durchdringen. Wer die neuen Kulturtechniken nicht nutzen kann, dem werden Chancen verschlossen bleiben, fast so, als wäre er Analphabet. Noch bis vor kurzem galt: Der weltweit typische Internetnutzer ist eine Minderheit: Er ist männlich, jünger als 35 Jahre, spricht Englisch, ist Stadtbewohner, hat eine Universitätsausbildung und ein hohes Einkommen. Wie neuere Erhebungen zeigen, schwächt sich dieses Bild langsam ab. So steigt zumindest der Frauenanteil kontinuierlich und auch die Alterspyramide bei den InternetnutzerInnen ist flacher geworden.94 Die wichtigsten Gründe, warum jemand nicht an der Wissensgesellschaft teilnimmt, sind neben fehlenden Kenntnissen, wie man einen Computer bedient, fehlende finanzielle Ressourcen, um sich einen Netzzugang leisten zu können und das Gefühl, im Internet nicht die „richtigen“ Informationen zu finden. Zwischen TeilhaberInnen und NichtteilhaberInnen an den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien bildet sich somit eine Kluft, ein Phänomen, das auch unter dem Stichwort „Digital Divide“ zusammengefasst wird.95 Die Palette an Nutzungsmöglichkeiten, die sich mit dem Internet auftut und auftun wird, reicht von der schlichten Informationsvermittlung bis hin zu Kommunikation und Transaktion. Während die Bereitstellung von Informationen im Internet mittlerweile alltäglich geworden ist, ist besonders im Feld der Kommunikation bzw. Transaktion in den nächsten Jahren einiges zu erwarten. Die Tools werden gänzlich andere sein und dürften über das schlichte Versenden von E-Mail weit hinausgehen. Dennoch ist zu sagen, dass derzeit die Nutzung von E-Mail nach wie vor die am meisten frequentierte Internetanwendung darstellt. (vgl. dazu Eurostat 2002). Gleichzeitig ist der Bedarf an qualitätsvollen Informationen im Steigen begriffen, während parallel die verfügbare Informationsmenge fast explosionsartig wächst und um ein Vielfaches das übersteigt, was in persönliches Wissen umsetzbar ist. Um eine sinnvolle Selektion zwischen brauchbarem Wissen und „Rauschen“ durchführen zu können, ergeben sich eine Reihe von Anforderungen in Richtung Vorselektion von Informationen (nur die bedeutsamen sollen die AdressatInnen erreichen), Aufbereitung von Informationen, und zwar so, dass die EmpfängerInnen sie besser rezipieren können, und in Richtung Umsetzung von Wissen in Kompetenz. Die Lösung dieser Anforderungen ist unter anderem Voraussetzung dafür, dem steigenden Informationsbedarf in allen Bereichen zu begegnen. Außerdem steigt das Qualitätsbewusstsein in Bezug auf Informationen. So verlangen informierte BürgerInnen, dass die Informationsaufbereitung auf ihre spezifischen Lebenslagen zugeschnitten ist. Ebenso ist der Bedarf an kompetenten Sofortinfos gegeben – wesentlich ist dabei Zielgruppengenauigkeit und Aktualität bzw. einer Integral-Erhebung von 2002 nutzten 49% aller Befragten das Internet, Frauenanteil 41%. Die Gruppe der 30- bis 40Jährigen scheint anteilsmäßig demnächst die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen zu überholen. (Integral: AIM Internet-Entwicklung. 2. Quartal 2002. URL: http://www.integral.co.at/dImages/Grafiken_Homepage2Quartal.pdf am 30.4.2003.). 95 Derzeit wird eine Debatte darüber geführt, ob die digitale Kluft nur eine Reproduktion der traditionellen sozialen Kluft ist oder ein eigenständiges Phänomen, dem gesondert zu begegnen ist. 94 290 Makrotrends Relevanz der Informationen. Verschoben hat sich außerdem das Verhältnis von Laien- und Expertenwissen. Laien sind aufgrund vielfältiger Zugänge zu Informationen mittlerweile besser und genauer informiert als früher, erwarten von ExpertInnen zusätzliches Fachwissen und stellen diese vor neue Herausforderungen (z.B. mündigere Patienten, die genau über neueste Behandlungsmöglichkeiten informiert sind). 291 Makrotrends Grafiken Steigende Anzahl der Surfer Anzahl der Internetnutzer weltweit (in Mio.) 600 605,6 9,5% der Weltbevölkerung 550 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Januar Januar Januar Januar Januar Januar September 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Quellen: IDC Research, Killen and Associates, MIDAS, MIDS, Nua Internet Surveys (http://www.nua.ie/surveys/). Grafik 11 aus: Rivière, Phillipe: Vernetzte Welt im Kommunikationszeitalter, in: Le Monde diplomatique. Atlas der Globalisierung, Berlin 2003, S. 11. 292 Makrotrends in Prozent Durchschnittliche Internetnutzung pro Woche (in Stunden) April - Juni 2002 40 38,3 35 30 29,6 25 20 15 10 10,7 5 0 6,1 5,8 2,9 weniger als 1 Std. 2,8 1-2 Std. 3-5 Std. 6-7 Std. 8-10 Std. 11-14 Std. 15-21 Std. © STATISTIK AUSTRIA, Seite wurde am 17.3.2003 von Huber-Bachmann aktualisiert. aus: http://www.statistik.at/fachbereich_forschung/ikt_grafik.shtml am 9.4.2003. 3,8 mehr als 21 Std. Grafik 12 Literaturverzeichnis Integral: AIM Internet-Entwicklung. 2. Quartal 2002. URL: http://www.integral.co.at/dImages/Grafiken_Homepage2Quartal.pdf am 30.4.2003. 293 Makrotrends Wachsende Bedeutung von Forschung & Entwicklung Forschung und Entwicklung, neue Technologien und Innovationen verfügen über einen steigenden Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen. Sie bestimmen sehr wesentlich die Wettbewerbsfähigkeit, den Wohlstand und die Zahl und Qualität der Arbeitsplätze in einer Region, einem Land bzw. einem Wirtschaftsblock. Die EU-15-Länder weisen dabei im Durchschnitt gegenüber anderen Ländern einen deutlichen Rückstand im Ressourceneinsatz für F&E auf. USA und Japan liegen mit knapp 3% des BIP deutlich vor den Ausgaben der EU-15 mit durchschnittlich 1,9% des BIP.96 Österreich liegt knapp unter dem EUweiten Mittelwert bei 1,8%, während die Spitzenreiter in der Union Schweden mit 3,8% und Finnland mit 3,4% sind.97 Diese niedrige F&E Quote auf EU-Ebene ist eine der Ursachen für den Rückstand Europas in wichtigen Technologiebereichen. In den USA und in einigen anderen Ländern wie Israel haben neugegründete, technologieorientierte Unternehmen einen enormen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung geleistet. Europa und auch Österreich haben diesbezüglich einen deutlichen Aufholbedarf. Die Ursachen dafür liegen im fehlenden Angebot an institutionellem Venture Capital und privaten Investoren, an der fehlenden Förderung von Unternehmensgründungen durch das gesellschaftliche Umfeld, und im niedrigen Anteil von AbsolventInnen technischnaturwissenschaftlicher Studienrichtungen. Bis zum Jahr 2010 will die EU daher die Ausgaben für F&E auf 3% des BIP heben, Österreich wiederum bis 2005 auf 2,5%. Die Union verfolgt außerdem das Ziel eines „Europäischen Forschungsraumes“ als zentraler Komponente einer wissensbasierten europäischen Wirtschaft und Gesellschaft zur Förderung von Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums. Sieben inhaltliche Schwerpunkte wurden für diese Forschungs- und Technologieoffensive von Seiten der EU festgelegt: - Genomik und Biotechnologie im Dienste der Menschen Informationstechnologie Nanotechnologie, intelligente Materialien und neue Produktionsverfahren Luft- und Raumfahrt Lebensmittelsicherheit und Gesundheitsrisiken Nachhaltige Entwicklung und globale Veränderungen BürgerInnen und modernes Regieren in der Wissensgesellschaft Auf österreichischer Ebene hat der Rat für Forschung und Technologieentwicklung vorgeschlagen, sich auf die Bereiche Life Sciences, Informations- und Kommunikationstechnologien, Nanotechnologie, Mobilität & Verkehr sowie Umwelt & Energie zu konzentrieren. Länder wie Österreich bzw. Regionen wie Oberösterreich sind außerdem gezwungen, aufgrund der knappen Vgl. Key Figures 2001: Indicators of benchmarking for national research policies. URL: http://europa.eu.int/comm/research/area/benchmarking2001.pdf am 30.4.2003. 97 In letztgenannten Ländern finden sich auch interessante Ansätze zur Förderung von Forschung und Entwicklung, es sei hier nur kurz auf das Konzept der Inkubatoren verwiesen, das Helsinki und sein Umland zu einem Spitzenstandort für wirtschaftsnahe Forschung gemacht hat. Vgl. z.B. Otaniemi Science Park. URL: http://www.cordis.lu/paxis/src/helsinki.htm am 30.4.2003. 96 294 Makrotrends Ressourcen ihre F&E-Aktivitäten auf bestimmte Technologiebereiche zu bündeln. Diese Technologiebereiche sollten sich vor allem an den vorhandenen Stärken bzw. Nischen orientieren, in denen interessante Entwicklungsmöglichkeiten für die jeweiligen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Institutionen vor Ort gegeben sind. Nicht zuletzt ist eine Konzentration der Forschungsinteressen aufgrund des 6. Rahmenprogramms der EU, das primär auf die Förderung von Großprojekten ausgerichtet ist, äußerst sinnvoll. Wichtige zusätzliche Voraussetzung für das Gelingen von oben genannten Schwerpunktsetzungen ist eine ausreichende Anzahl qualifizierter TechnikerInnen, die für die Gründung und Expansion wissens- und technologieorientierter Unternehmen eine Notwendigkeit bilden. Durch ein verstärktes diesbezügliches Angebot an Schulen, Fachhochschulen und Universitäten kann die Zahl der AbsolventInnen mit technischer Ausbildung erhöht werden. Dafür sind allerdings finanzielle Mittel für den Ausbau des tertiären Bildungsbereiches vor allem im Bereich der technisch-naturwissenschaftlichen Studien notwendig und es muss gelingen, mehr StudentInnen für diese Studienrichtungen zu gewinnen. 295 Makrotrends Grafiken Österreichische Forschungsquote 1990 - 2002 Forschungsausgaben in % des BIP 1,86 1,86 1999 2000 1,91 1,95 1,79 1,69 1,47 1,45 1,47 1991 1992 1993 1,39 1990 1,60 1,54 1,56 1994 1995 1996 1997 1998 2001 2002 Quelle: STATISTIK AUSTRIA Grafik 13 aus: http://wko.at/statistik/jahrbuch/forschung.pdf am 7.10.2002. EU-Vergleich Forschungsquoten Vergleich EU/USA/Japan Forschungsquoten F&E-Ausgaben in % des BIP F&E-Ausgaben in % des BIP Griechenland Portugal Spanien Italien Irland 0,67 3,0 0,75 0,94 2,7 1,04 1,21 Österreich 1,86 Großbritannien 1,86 Belgien 1,96 Niederlande 2,02 Dänemark Frankreich Deutschland Finnland Schweden Stand: 2000 oder letztverfügbares Jahr 1,9 2,09 2,15 2,48 3,31 3,78 EU Japan Stand: 2000 bzw. Japan: 1998 aus: http://wko.at/statistik/eu/eu-forschungsausgaben.pdf am 7.10.2002. 296 USA Grafik 14 Makrotrends Literaturverzeichnis Key Figures 2001: Indicators of benchmarking for national research policies. URL: http://europa.eu.int/comm/research/area/benchmarking2001.pdf am 30.4.2003. Otaniemi Science Park. URL: http://www.cordis.lu/paxis/src/helsinki.htm am 30.4.2003. 297 Makrotrends Technologische Entwicklungen (Beispiele zum Trend F&E) Einer der großen Zukunftsmärkte ist die Nanotechnologie, die im Bereich eines millionsten Teils eines Millimeters operiert. Sie ermöglicht die Erzeugung besonders widerstandfähiger Materialien und Geräte mit vielseitigen Anwendungen.98 Kunststoffscheiben können etwa durch Nanopartikel beschichtet werden, wodurch die Schmutzhaftung sinkt und Regen zu einer weitgehenden Reinigung führt.99 Im Bereich der Medizin wird Nanotechnologie u.a. zum Formen von Knochengewebe, in der Prothetik und in der Krebsforschung eingesetzt. Weitere Anwendungsgebiete sind der Energiesektor (u.a. Dünnfilmbatterien), die Mikromechanik und die Nano-Optik.100 Da der Energiebedarf weltweit ständig steigt, ist die Entwicklung alternativer Formen der Energiegewinnung eine Notwendigkeit. Im Bereich der Solarenergie forscht man derzeit an Solarzellen, die nach dem Vorbild der Photosynthese arbeiten. Anstelle des Chlorophylls in Pflanzen wird in den Zellen eine dünne Schicht eines farbigen Edelmetallkomplexes verwendet. Außerdem wird an flexiblen Solarzellen geforscht, die auf Kleidung, Geräten und Fahrzeugen montiert werden können. Mit Hilfe von Nanostrukturen soll ihre Leistung verbessert werden.101 Von zunehmender Bedeutung ist außerdem die Energiegewinnung aus Erdwärme und aus Biomasse sowie mittels Brennstoffzellen, die durch die chemische Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser Energie erzeugen.102 Realistischerweise ist damit zu rechnen, dass sich der Verkehr auch in der nächsten Zukunft zum Großteil auf der Straße konzentrieren wird, weshalb Telematik- und Navigationssysteme zur Entlastung der LenkerInnen und Hebung der Verkehrssicherheit immer gefragter werden.103 Durch Verkehrstelematik soll eine stärkere Vernetzung der Verkehrsträger erreicht und der Verkehr effizienter u.a. durch Vermeidung von „Suchfahrten“ gestaltet werden.104 Im Gegensatz zu den USA und Japan, wo vermehrt auf telematische Infrastrukturprojekte und fortgeschrittene Informationssysteme gesetzt wird, steigt in Europa die Zahl der individuellen Informationsund Leitsysteme.105 Derzeit wird beispielsweise an „Personal Travel Assistants“ (PTA) gearbeitet, die eine individuelle Verkehrsplanung ermöglichen. Anreize zum Mobilitätsmix sind für die individuelle Verkehrsreduktion zusätzlich sinnvoll. In Berlin kann man zum Beispiel per Handy den schnellsten Weg im Stadtgebiet ausrechnen und sich einen maßgeschneiderten Fahrplan aus S- und U-Bahnen, die aktuelle Parkhausbelegung, den Flugplan des Airport Tegel sowie Baustelleninformationen übermitteln lassen.106 BionikerInnen suchen in der Natur nach Anregungen für die Technik. Die effizienten Flossenbewegungen von Fischen und Pinguinen etwa dienen in der Schifffahrt als Vorbild für Antriebssysteme. In Testreihen konnte beispielsweise eine 17-prozentige Steigerung der Leistung gegenüber Propellerantrieben erreicht werden. Neben einer höheren Antriebseffizienz wurde Scheppach, S. 68/70. http://www.nanonet.de/anwendungen/index.php3?br=ulschi2&b=UltraSchi&a=Anwendungen&nav=nav2 am 10.4.2003. 100 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 191-192. 101 Bruschke-Reimer, Almut: Sonnige Aussichten – Geheimnisvolle Photosynthese. Noch ist die Natur als Energieerzeugerin ungeschlagen. Aber die Solar-Techniker holen auf, aus: Maßstäbe. Wissenschaftsjournalistisches Magazin der PTB, Heft 3 „Zum Licht“, Februar 2003, S. 50-53. URL: http://www.goethe.de/kug/ges/umw/thm/de37798.htm am 10.4.2003 102 Scheppach, S. 87-98. 103 Scheppach, S. 76-77. 104 http://www.bmvbw.de/Telematik-.496.htm am 10.4.2003. 105 Z_punkt, 2002. 106 Scheppach, S. 78. 98 99 298 Makrotrends außerdem der Bremsweg verringert und der Energieverbrauch gesenkt.107 In der Luftfahrt werden Rillenfolien entwickelt, die der Schuppenstruktur von Haifischen nachgebildet sind, die zu einer Verminderung der Reibung und damit zu einer Treibstoffreduktion führen.108 Im Bereich der Werkstoffe sind Entwicklungen, die Stoffe mit neuen mechanischen Eigenschaften hervorbringen, interessant. Vor allem „bionische“, nach Naturvorbildern gebaute Produkte charakterisieren die künftige Materialwirtschaft.109 Im Bereich der Hochleistungskeramik wird an Materialien gearbeitet, die sich durch hohe Druckfestigkeit und einen hohen Schmelzpunkt auszeichnen. Verwendung finden solche Produkte im Turbinenbau, der Flugzeugtechnik und als medizinische Implantate.110 Weitere Ergebnisse neuer Materialerzeugungstechnologien sind intelligente Bio-Membranen, Bio-Stahl und Bio-Plastik, das in seinen verschiedenen Formen bereits verarbeitet wird und dem sich immer neue Anwendungsgebiete (z.B. abbaubare Folien, Verpackungen) erschließen. In der Textilbranche werden wasserabweisende und fleckenresistente Materialien entwickelt und erprobt. Die neue Materialtechnik, die Chemie und molekulare Physik miteinander verbindet, wird in Zukunft zunehmend neue Stoffe mit neuen Anwendungsmöglichkeiten hervorbringen.111 Nachdem sich die sog. „grüne Gentechnik“ – die genetische Veränderung von Nahrungsmitteln – aufgrund massiver Akzeptanzprobleme nicht wie erwartet durchsetzen konnte, wird nun der Schwerpunkt auf die Genmanipulation für medizinische Zwecke (rote Gentechnik) und für die Rohstoffherstellung gelegt.112 Genveränderte Pflanzen können zur Produktion von Proteinen für den therapeutischen, biomedizinischen und technischen Einsatz verwendet werden. Derzeit wird an Antikörpern geforscht, die mithilfe von Pflanzen erzeugt, in der Krebstherapie zum Einsatz kommen sollen. Die Forschung beschäftigt sich auch mit „essbaren Impfstoffen“ gegen z.B. Durchfallerkrankungen. Das sog. „Molecular Farming“ muss unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen erfolgen. Transgene Pflanzen dürfen weder in die Nahrungskette gelangen, noch ihre Eigenschaften auf andere Pflanzen übertragen. Um dies zu gewährleisten, wird an neuen Technologien zur Minimierung dieses Risikos gearbeitet.113 Auf dem Gebiet der Lasertechnologie wird derzeit intensiv geforscht und es ist damit zu rechnen, dass künftig vor allem Kristall-Laser, die leichter in der Anwendung und zuverlässiger sind, eingesetzt werden. Sie könnten später von sog. „Orgo-Lasern“ abgelöst werden, deren Vorteile in der Energie- und Kostenersparnis liegen. Laser werden u.a. in der Sicherheitstechnik zur Überwachung von Räumen verwendet, im militärischen Bereich114 und im Verkehr.115 Eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten findet der Laser in der Medizin. Er wird u.a. bei Operationen, zum Anschweißen von Netzhäuten und zum Zertrümmern von Nierensteinen eingesetzt. Außerdem ist es mit Mikro-Lasern möglich, DNA-Strukturen punktgenau zu zerschneiden.116 http://www.bioniker.de/Vorbildtechnik/Neue_Antriebe/neue_antribe.html am 10.4.2003. Schmidt, Artur P.: Bionik. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/co/2502/1.html&words=Bionik am 10.4.2003. 109 Scheppach, S. 12-20. 110 http://2000plus.mpg.de/d/143/article am 10.4.2003. 111 Scheppach, S. 12-20. 112 Scheppach, S. 99. 113 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 185-187. 114 Das amerikanische Militär arbeitet beispielsweise an einer laserbasierten Waffe gegen Satelliten. (Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 175.). 115 Verschiedene Autofirmen arbeiten an laserbasierten Abbiege- und Spurwechselassistenten. (Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 176.). 116 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 174-176. 107 108 299 Makrotrends Literaturverzeichnis Bruschke-Reimer, Almut: Sonnige Aussichten – Geheimnisvolle Photosynthese. Noch ist die Natur als Energieerzeugerin ungeschlagen. Aber die Solartechniker holen auf, aus: Maßstäbe. Wissenschaftsjournalistisches Magazin der PTB, Heft 3 „Zum Licht“, Februar 2003, S. 50-53. URL: http://www.goethe.de/kug/ges/umw/thm/de37798.htm am 10.4.2003. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Scheppach, Joseph: High Tech 2010. Die 15 wichtigsten Technologie-Märkte der Zukunft: Welche Anwendungen setzen sich durch – und welche werden ein Flop? Eine Studie des Zukunftsinstitutes von Matthias Horx, 2001. Schmidt, Artur P.: Bionik. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/co/2502/1.html&words=Bionik am 10.4.2003. Z_punkt, 2002. (Interne Datenbank) http://2000plus.mpg.de/d/143/article am 10.4.2003. http://www.bioniker.de/Vorbildtechnik/Neue_Antriebe/neue_antribe.html am 10.4.2003. http://www.bmvbw.de/Telematik-.496.htm am 10.4.2003. http://www.nanonet.de/anwendungen/index.php3?br=ulschi2&b=UltraSchi&a=Anwendungen&nav=nav2 am 10.4.2003. 300 Makrotrends Globalisierung und Weltwirtschaft Betrachtet man die Globalisierung als neueres Phänomen, so versteht man darunter die „engere Verflechtung von Ländern und Völkern der Welt, die durch die enorme Senkung der Transport- und Kommunikationskosten herbeigeführt wurde, und die Beseitigung künstlicher Schranken für den ungehinderten grenzüberschreitenden Strom von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und (in geringerem Grad) Menschen. Die Globalisierung ging mit der Gründung von Institutionen einher, die gemeinsam mit älteren Organisationen grenzübergreifend tätig werden. [...] Eine mächtige Triebkraft der Globalisierung sind die internationalen Konzerne, die nicht nur Kapital und Güter, sondern auch Technologien über Grenzen hinweg bewegen. Der Prozess der Globalisierung wird durch internationale zwischenstaatliche Institutionen moderiert, wie die Vereinten Nationen, die sich weltweit für die Wahrung des Friedens einsetzen, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die ihr Anliegen weltweit unter dem Slogan „decent work“ propagieren, und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich besonders um die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung in der Dritten Welt bemüht.“117 Bezeichnete ursprünglich „Globalisierung“ die Entstehung weltweiter Finanzmärkte für Wertpapiere, Geld- und Devisengeschäfte sowie Kredite, deren „Agieren“ durch neue Informationsund Kommunikationstechniken begünstigt wurde, bezeichnet der Begriff Globalisierung mittlerweile auch den verstärkten internationalen Wettbewerb von Unternehmen auf den Weltmärkten.118 Weltweit vernetzte Strukturen entstehen und für die Unternehmen bedeutet das die Chance, ihre Gewinne zu steigern. Es kommt zu einer noch nie da gewesenen Integration von Märkten und einer steigenden Bedeutung von Staatenbünden. Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung spielen technische Innovationen, die Verminderung der Transportkosten und die Deregulierung der Kapital- und Gütermärkte. Gleichzeitig werden die Folgeerscheinungen der Globalisierung mit wachsender Skepsis beobachtet und Anti-Globalisierungsbewegungen (ATAC), die sich vor allem gegen die westlichen Staaten, speziell die USA, die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds richten, machen mobil.119 KritikerInnen der Globalisierung verweisen unter anderem auf die Instabilität des unregulierten Kapitalverkehrs und die Gefahren der Wechselkursspekulationen. Bestätigt sehen sie sich durch die Krisen in Asien, Lateinamerika und Russland.120 Seit den 90er Jahren steigt die Zahl der Fusionen, vor allem in den Industrieländern, stark an. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen in der Deregulierung und Privatisierung der Märkte und dem Streben der Konzerne, zu den „Global Players“ zu gehören.121 Dieser Trend verstärkt sich wiederum selbst, weil die Konkurrenz bei Firmenzusammenschlüssen nachzieht. Derzeit erfolgen Fusionen großteils zwischen Firmen, die auf dem selben Markt tätig sind, wodurch man sich synergetische Effekte, stärkere Marktpräsenz und Kosteneinsparungen erhofft. Künftig werden Fusionen allerdings vermehrt entlang der Wertschöpfungskette erfolgen. Firmenzusammenschlüsse bergen allerdings auch Risiken, wenn die synergetischen Effekte ausbleiben oder es zu Integrationsproblemen kommt. Nach Schätzungen werden höchstens bei der Hälfte der Stiglitz, S.24 vgl. Brockhaus 1998. 119 Z_punkt, 2002. 120 Z_punkt, 2002. 121 Jakobeit, S. 259-261. Seit 1998 nimmt vor allem die Zahl der sog. „Megafusionen“ zu. (Jakobeit, S. 261.). 117 118 301 Makrotrends Fusionen die angestrebten Ziele erreicht.122 In der Wirtschaft beginnen sich daher bereits neue Formen der Kooperation auszubilden. Dabei arbeiten Unternehmen in Bereichen, die nicht zu ihrem Kernbereich zählen, zusammen.123 Eine wachsende Bedeutung kommt auch den Querschnittsmärkten zu, die sich nicht mehr wie bisher an der traditionellen Brancheneinteilung, sondern an der Wertschöpfungskette orientieren. Ihr Stellenwert steigt vor allem aufgrund der größer werdenden Zahl an digitalen Produkten und Dienstleistungen. Gebiete wie Informationstechnik, Telekommunikation, Unterhaltungselektronik, Rundfunk, Fernsehen, die ursprünglich getrennte Bereiche waren, wachsen durch die Digitalisierung zusammen. Während die klassischen Dienstleistungen verlieren, kommt es in den Querschnittsmärkten zu einer Steigerung der Gewinne (z.B. Teleshopping). Alte Strukturen (z.B. Teile des Großhandels) werden von neuen (z.B. Information Broker) verdrängt.124 Der Einfluss der Big Emerging Markets125 auf die Weltwirtschaft steigt kontinuierlich.126 Im Gegensatz zu den Industriestaaten ist in diesen Ländern vorläufig mit einer Verjüngung der Bevölkerung zu rechnen und damit einhergehend mit einem steigenden Arbeitskräfteangebot. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass das Wachstum in diesen Ländern erheblich größer sein wird als in der Ersten Welt. So liegen im Bereich der wachsenden globalen Handelsströme die asiatischen Schwellenländer bereits voran. Außerdem ist mit einem weiteren Anstieg des globalen Handels zu rechnen – wenn auch gebremst durch Handelsschranken, da davon auszugehen ist, dass die Industrieländer auf ihre protektionistischen Vorteile im Rahmen der WTO nicht verzichten werden.127 Z_punkt, 2002. Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 102. 124 Z_punkt, 2002. 125 Big Emerging Markets (BEMs) = Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), also Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam; „Chinese Economic Area“ (CEA) also China, Hong Kong und Taiwan sowie Südkorea; Indien; Südafrika; Polen; Türkei; Mexiko; Brasilien und Argentinien. 126 Dazu gehören u.a. Mexiko, Brasilien, Südafrika, Polen, Indien, China. (Z_punkt, 2002.). 127 Z_punkt, 2002. 122 123 302 Makrotrends Grafiken Globale Indikatoren im Marktkräfte-Szenario 5 1995 2025 4 2050 1995 = 1 3 2 1 0 Bevölkerung Pro-KopfEinkommen WeltBIP Nahrungs- Hunger mittel Energiebedarf Wasser- CO2Waldbedarf Emmissionen fläche Grafik 15 aus: Raskin, Paul, Tariq Banuri, Gilberto Gallopín, Pablo Gutman, Al Hammond, Robert Kates und Rob Swart: Great Transition - Umbrüche und Übergänge auf dem Weg zu einer planetarischen Gesellschaft, Frankfurt am Main 2003, S. 34. Grafik 16 aus: http://www.akwien.at/dat/wirtschaft_im_ueberblick.pdf am 20.6.2003. 303 Makrotrends Grafik 17 aus: http://www.akwien.at/dat/wirtschaft_im_ueberblick.pdf am 20.6.2003. Literaturverzeichnis Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Jakobeit, Cord: Produktion und Handel, in: Ingomar Hauchler, Dirk Messner, Franz Nuscheler (Hg.): Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt am Main 2001, S. 244265. Stiglitz, Joseph: Die Schatten der Globalisierung, Berlin 2002. Z_punkt, 2002. (Interne Datenbank) 304 Makrotrends Verkehr und Mobilität Mobilität meint ganz allgemein die Möglichkeit, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, neue Räume kennen zu lernen, meint im Sinne einer physischen Mobilität „die reale oder potenzielle Raumüberwindung“,128 aber auch Lebensqualität und ein modernes Lebensgefühl. Mobil zu sein, bedeutet ein Stück Freiheit und eine ordentliche Portion Unabhängigkeit. „Mobilitätsexplosion“ als Schlagwort charakterisiert die Entwicklung in den letzten hundert Jahren, ein Trend, von dem angenommen wird, dass er sich die nächsten Jahre und Jahrzehnte fortschreibt. Im Verkehr findet die Mobilität ihre konkrete Realisierung. Trends wie „Zunahme des motorisierten Individualverkehrs“, „zunehmender öffentlicher Personenverkehr“, „zunehmender Luftverkehr“, „steigender Güterverkehr“, „Ausbau telematischer Verkehrssysteme“ sowie „Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen“ deuten die Richtung an, welche die Entwicklung nehmen wird. Zieht man zusätzlich Daten und Prognosen heran, so lassen sich diese allgemeinen Behauptungen noch verdichten. So haben im Rahmen der Delphi-Studie „Zukunft der Mobilität“ 134 Experten aus 13 europäischen Ländern ihre Verkehrsprognosen für das Jahr 2010 abgegeben.129 Signifikante Ergebnisse sind unter anderem die Aussagen, dass die Zahl der zugelassenen PKW um 20 % ansteigen wird, der motorisierte Individualverkehr um 20% ansteigen wird, die Länge des hochrangigen Straßennetzes um 10% zunehmen wird und die Verkehrsleistung des Straßengüterverkehrs um 40% zunimmt. Laut den ExpertInnen sind wichtige Ursachen für das stetige Anwachsen des motorisierten Individualverkehrs der wachsende Freizeitverkehr,130 die höhere Anzahl von AutobesitzerInnen per se sowie der Ausbau der Straßenverkehrsinfrastruktur. Außerdem steigen die Kilometerleistungen insgesamt. Dabei ist interessant, dass Anzahl und Dauer der Wege weniger stark zunehmen als die Anzahl der Fahrtziele. Der Trend zum Zweit- und Drittwagen hält an, neue „Nutzerschichten“ tun sich in der Gruppe der „jungen Alten“ auf, sowie bei den Frauen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der Firma Prognos, die für den Prognosezeitraum bis 2015 eine weitere Zunahme des motorisierten Personenverkehrs erwartet, die Steigerungsraten differieren allerdings zwischen den verschiedenen Regionen Europas. Während in Westeuropa mit einem Wachstum um 20 Prozent gerechnet wird, ist in Mittel- und Osteuropa eine Steigerung von mehr als 50 Prozent zu erwarten.131 Gegen den Trend wirksam werden könnten Kapazitätsgrenzen, steigende Energiepreise oder die Eindämmung des Individualverkehrs. Generell problematisch ist, dass im Verkehr keine Kostenwahrheit gegeben ist. Die sogenannten „externen Kosten“ wie Unfallfolge-, Umwelt- und Staukosten werden nicht vom Verursacher, sondern von der Allgemeinheit getragen, wodurch es zu einer Marktverzerrung kommt. Institut für Mobilitätsforschung: Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2020, S. 4. URL: http://www.ifmo.de/ifmo/ifmo.nsf/Titel/Library/$File/Szenario_Kurzfassung.pdf am 29.4.2003. 129 ÖAMTC Akademie (Hg.): Das Mobilitäts-Delphi. Zukunft der Mobilität, Wien 1999, S. 4. 130 Der Freizeitverkehr ist nicht nur ein bedeutsamer Wachstumssektor er ist außerdem extrem auto-affin und kaum steuerbar; vgl. Institut für Mobilitätsforschung bzw. Trend-Datenbank Z_Punkt, 2002. 131 Z_punkt, 2002 nach Prognos: European Transport Report 2002, Basel 2002. 128 305 Makrotrends Stark steigende Tendenzen zeigt auch der Güterverkehr aufgrund wachsender Transportmengen, Ausweitung der Transporträume (europäische Integration), Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft, zunehmender Arbeitsteiligkeit sowie aufgrund der Verringerung der Fertigungstiefe und einer zu geringen Attraktivität der Bahn. Hemmschuh für diese Entwicklung könnten gesteigerte Transportkosten, Verkehrseinschränkungen oder Sättigungseffekte sein.132 In Zahlen ausgedrückt wird – wie schon oben erwähnt – davon ausgegangen, dass in Westeuropa die Verkehrsleistung im Güterverkehr bis 2015 um mehr als 40 Prozent steigen wird. Damit wird sich voraussichtlich die Verkehrsleistung im Straßengüterverkehr von 1991 bis zum Jahr 2015 verdoppelt haben. Gleichzeitig sollen auch die Güterverkehrsströme auf der Schiene kräftig steigen: gegenüber 2000 wird bis zum Jahr 2015 eine Steigerung des Schienengüterverkehrs in Europa um 50 Prozent erwartet.133 Eine gewisse Flexibilisierung des Verkehrs wird durch den Einsatz von Telematik erwartet. Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Mischung aus aktuellsten Verkehrsinformationen und intelligenten Steuerungssystemen ein Sparpotenzial beim Verkehrsaufkommen um ca. fünfProzent bringt. Weiters wird angenommen, dass die vom Straßenverkehr verursachten CO2-Emissionen bis 2010 um drei Prozent zunehmen, entlastend könnten dabei moderne Antriebskonzepte und eine verbesserte Energieeffizienz wirken, die laut Schätzungen der Expertinnen und Experten wiederum zu einem Absinken der CO2-Emissionen um fünf Prozent führen könnten. Was den öffentlichen Verkehr anbelangt, so wird von einem hochrangigen Ausbau des Schienenverkehrs in der Größenordnung von zehn Prozent ausgegangen sowie von einer Zunahme des öffentlichen Personenverkehrs um 15 Prozent. Der öffentliche Verkehr bietet jedoch in nächster Zeit keine attraktive Alternative zum Individualverkehr. Während jahrzehntelang vorrangig in den Straßenbau investiert wurde, hat man sich erst in letzter Zeit verstärkt dem öffentlichen Verkehr zugewandt. Die Finanzierung erfolgt nicht durch eine Verlagerung des Schwerpunktes vom Individual- zum öffentlichen Verkehr, sondern durch die Setzung eines zweiten Schwerpunktes und damit durch die Aufwendung zusätzlicher Mittel. Durch diese Vorgehensweise kommt es zwar einerseits zu einer Verbesserung des Angebotes im öffentlichen Verkehr, andererseits erhält er gegenüber dem Individualverkehr keinen Wettbewerbsvorteil. Eine entscheidende Verlagerung des Verkehrs gelingt auf diese Weise nicht. 132 133 vgl. ÖAMTC Akademie (Hg.): Das Mobilitäts-Delphi. Zukunft der Mobilität, Wien 1999. vgl. Trenddatenbank Z_punkt, 2002. 306 Makrotrends Grafiken Autobestand vervielfacht sich weltweit Zunahme als Folge der Motorisierung der Entwicklungsländer 0,5 Mrd. Heute 2,3 Mrd. 2030 Grafik 18 Quelle: UPI aus: Daten, Fakten und Prognosen, Profil 29/2002, URL: http://www.profil.at/extra/trends am 25.2.2003. Autodichte in ausgewählten Ländern 750 400 8 USA Österreich China 7 Indien Autos pro 1000 Einwohner Grafik: JBZ, Quelle: Globale Trends 2000 Grafik 19 aus: Holzinger, Hans: Nachhaltig leben. 25 Vorschläge für einen verantwortungsvollen Lebensstil, Salzburg 2002, S. 55. 307 Makrotrends Literaturverzeichnis Institut für Mobilitätsforschung: Zukunft der Mobilität. Szenarien für das Jahr 2020, S. 4. URL: http://www.ifmo.de/ifmo/ifmo.nsf/Titel/Library/$File/Szenario_Kurzfassung.pdf am 29.4.2003. ÖAMTC Akademie (Hg.): Das Mobilitäts-Delphi. Zukunft der Mobilität, Wien 1999. 308 Makrotrends Steigende Umweltbelastung Umweltbelastung, Ressourcenverbrauch/Konsumverhalten, Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung stehen in enger Wechselwirkung zueinander. Wächst zum Beispiel die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf zehn Milliarden an und ändert sich an der Energieverteilung nichts Wesentliches, dann steigt der Ressourcenverbrauch trotz Bevölkerungswachstum im Vergleich zu heute nicht sehr stark. Nehmen hingegen immer mehr Menschen unseren ressourcenintensiven westlichen Lebensstandard an und liegt gleichzeitig das Wirtschaftswachstum pro Jahr bei rund drei Prozent, dann könnte der Ressourcenverbrauch 2050 mehr als das 25-fache im Vergleich zu heute betragen – mit allen Folgen für Natur, Umwelt und Energiereserven. Eine Entwicklung, die so oder so jede Menge Sprengstoff birgt, sowohl was eine gerechte Verteilung der Ressourcen anbelangt, als auch ökologisch und sozial orientierte Formen von Nachhaltigkeit in einen Konflikt zueinander bringt. Gleichzeitig ist das Verhältnis von Wirtschaft und Umwelt ein komplexes, da Wirtschaftswachstum, erreichter Entwicklungsstand und erhöhte Umweltbelastung nicht unbedingt Hand in Hand gehen. „So bessert sich bei einigen Schadstoffen (z.B. Schwebstaub in Großstädten) die Situation kontinuierlich mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen und Lebensstandard. In anderen Fällen (z.B. bei verschiedenen Formen der Luft- und Wasserverschmutzung) stellt sich der Zusammenhang in Form eines umgekehrten Hufeisens dar. Die Umweltqualität nimmt in der Anfangsphase des Wirtschaftswachstums ab, bis dann der Umschlagpunkt erreicht wird und die Belastung mit steigendem Einkommensniveau immer mehr zurückgeht. Bei bestimmten Schadstoffen (z.B. Kohlendioxid und Stickoxide) gibt es noch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Umschlagpunkt erreicht wurde.“134 Die Komplexität der Umweltproblematik liegt auch darin begründet, dass manche Umweltprobleme ein lokales Problem darstellen, das auf eine Region oder ein Gebiet beschränkt ist (Luftverunreinigung in den Städten), während andere wiederum globale Problemlagen und damit überregionale Herausforderungen (Treibhauseffekt) verkörpern.135 Hier entstehen neue Interdependenzen mit der Folge, dass räumlich weit entfernte Länder und Regionen voneinander „abhängig“ werden und neue Formen von „globaler Verflechtung“ entstehen.136 Einige der Umweltbelastungen, die auch aus österreichischer Perspektive wichtig und virulent sind, werden im Folgenden aufgelistet und stellen wichtige Herausforderungen und Problemlagen der nächsten Jahre und Jahrzehnte dar: Steigende Konsumaktivitäten in den Industrieländern: Einkaufen wird zur Freizeitaktivität. Die Menge an Verpackungsmaterial und weggeworfenen Gebrauchsgegenständen, die bei Funktionsstörungen nicht mehr repariert werden, wird immer größer und die Müllberge wachsen. Feinstaubproblematik: Feinstaub besteht hauptsächlich aus Dieselrusspartikel, ist Träger krebserregender Stoffe und kann besonders tief in die Lunge eindringen. Ein Großteil der Partikel stammt aus dem motorisierten Verkehr, ein überproportionaler Teil wiederum von Dieselfahrzeugen. Schwierig steuerbar ist das Problem des Feinstaubs auch insofern, als es eng verknüpft mit unserem täglichen Mobilitäts- und Konsumverhalten ist. Betrand, Michalski, Pench, S.82 Petschel-Held, S. 338. 136 Bertrand, Michalski, Pench, S. 83. 134 135 309 Makrotrends „Blaues Gold“, „Kampf ums Wasser“ sind mediale Schlagworte, die erst in letzter Zeit die Aufmerksamkeit auf das knappe Gut Süßwasser gerichtet haben. Mittlerweile ist die Verknappung der Wasservorräte ein weltweites Thema, wobei die Frage nach der „Ressource Wasser“ sowohl eine quantitative Dimension (zunehmende Verknappung der Ressource Wasser) als auch eine qualitative (Verschlechterung der Ressource Wasser) hat. Das Verhältnis von Waldflächen und Acker- bzw. Weideland hat sich massiv zugunsten von Siedlungsgebieten verschoben. Dieses Phänomen birgt vor allem für Entwicklungsländer eine Reihe von Problemen, da die Acker- und Anbauflächen für den eigenen Bedarf schrumpfen. Seit der industriellen Revolution hat sich die Erdatmosphäre gravierend verändert. Mitverantwortlich für die globale Erwärmung sind die so genannten Treibhausgase, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, durch Reisanbau und durch Viehzucht erzeugt werden.137 Der Treibhauseffekt kann einen Anstieg des Meeresspiegels, Störungen des hydrologischen Kreislaufes, Verlust an landwirtschaftlichen Nutzungsflächen, Gesundheitsgefährdungen (u.a. Hautkrebs) und extreme Wetterverhältnisse hervorrufen. Allerdings sind sich die WissenschafterInnen in der Bewertung der Folgen des Treibhauseffektes nicht einig 138 und die Funktionsweise des Klimaprozesses ist nicht vollständig erforscht.139 Petschel-Held, S. 342-344. Bertrand, Michalski, Pench, S. 83. 139 Petschel-Held, S: 344. 137 138 310 Makrotrends Grafiken Energieverbrauch pro Kopf in ausgewählten Ländern in kg SKE (nach UN) ...................... 1997 USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 493 Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 191 Australien . . . . . . . . . . . . . . . 7 873 Niederlande . . . . . . . . . . . . . . 7 588 Deutschland (1990/80: „alt“ ) . 5 692 Russland (1990/80 UdSSR) . . 5 636 Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . 5 507 Großbritannien . . . . . . . . . . . . 5 446 Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 189 Rep. Korea . . . . . . . . . . . . . . 4 604 Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 498 Österreich . . . . . . . . . . . . . . . 4 408 Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 147 Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 677 Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 354 Argentinien . . . . . . . . . . . . . . 2 209 Thailand . . . . . . . . . . . . . . . . 1 451 Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . 1 009 VR China . . . . . . . . . . . . . . . . 989 Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . 823 Philippinen . . . . . . . . . . . . . . 549 Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Pakistan . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Tansania . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Dem. Rep. Kongo (Zaire) . . . . . 32 Tschad . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1990 10 10 7 7 6 6 5 5 4 2 4 4 3 3 2 1 751 503 529 282 241 632 193 335 567 779 679 137 922 596 938 882 751 788 787 650 409 316 283 40 64 12 1980 10 10 6 6 6 5 4 4 3 1 3 4 3 4 2 1 381 457 222 965 036 677 507 809 710 349 835 139 346 969 321 739 371 762 557 512 330 202 195 46 75 23 Aus: Von Baratta, Mario (Hg.): Der Fischer Weltalmanach 2002. Zahlen, Daten, Fakten, Frankfurt am Main 2001, S. 1190 Tabelle 6 aus: von Baratta, Mario (Hg.): Der Fischer Weltalmanach 2002. Zahlen, Daten, Fakten, Frankfurt am Main 2001, S. 1190. 311 Makrotrends Grafik 20 aus: Durand, Frédéric: Der Klimawandel und seine Folgen, in: Le Monde diplomatique. Atlas der Globalisierung, Berlin 2003, S. 60. Verfügbarkeit von Frischwasser 1995 und 2025 Status Wassermangel . . . . . . . . . . . Definition Wasserangebot (m3 pro Person) Bevölkerung (Mio) 1995 Anteil an Weltbevölkerung (%) 2025 Bevölkerung Aneil an Welt(Mio) bevölkerung (%) 500 1077 19 1783 500–1000 587 10 624 25 9 „Stress“ . . . . . . . . . . . . . . . 500–1000 669 12 1077 15 Ausreichende Verfügbarkeit . 1000-1700 48 3091 55 3494 Nicht zugeordnet . . . . . . . . . 241 4 296 4 Summe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5665 100 7274 100 Tabelle 7 Quelle: Brunner et al., 2000 aus: von Baratta, Mario (Hg.): Der Fischer Weltalmanach 22002. Zahlen, Daten, Fakten, Frankfurt am Main 2001, S. 1285-1286. aus: von Baratta, Mario (Hg.): Der Fischer Weltalmanach 2002. Zahlen, Daten, Fakten, Frankfurt am Main 2001, S. 1285-1286. 312 Makrotrends Literaturverzeichnis Bertrand, Gilles (Koord.), Anna Michalski und Lucio R. Pench: Szenarien Europa 2010. Fünf Bilder von der Zukunft Europas. Arbeitspapier, o.O. 1999. Biermann, Frank: Trends und Interdependenzen in der Weltumweltpolitik, in: Ingomar Hauchler, Dirk Messner, Franz Nuscheler (Hg.): Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt/Main 2001, S. 312-335. Eberwein, Wolf Dieter und Sven Chojnacki: Umweltkonflikte und Umweltsicherheit, in: Ingomar Hauchler, Dirk Messner, Franz Nuscheler (Hg.): Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt/Main2001, S. 356-375. Petschel-Held, Gerhard: Umweltmedien und Umweltschäden, in: Ingomar Hauchler, Dirk Messner, Franz Nuscheler (Hg.): Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt/Main 2001, S. 337-355. 313 Makrotrends Sicherheitsdiskurs und Sicherheitsbedürfnis Der „Sicherheitsdiskurs“ durchlief in den vergangen drei Jahrzehnten verschiedene Stadien.140 In den 70er Jahren standen „Anti-Terrorismus-Kampagnen“ hoch im Kurs, gefolgt von der drohenden Gefahr der „Rauschgiftschwemme“ in den 80er Jahren. Später gerieten Migranten als Drogendealer und Gewalttäter in den Blick der medialen Aufmerksamkeit. Mittlerweile lässt sich eine weitere Verschiebung in den aktuellen Sicherheitsdiskursen beobachten: „Während der Fokus vorher auf der Kriminalisierung eines bestimmten Phänomens oder einer bestimmten Gruppe lag, rückt nun die Angst der Bevölkerung in den Mittelpunkt des Diskurses. Um neue Polizeitaktiken, härtere Kontrollmaßnahmen sowie Strafverschärfungen zu fordern oder zu legitimieren, wird nicht mehr auf ein wie immer begründetes Problem rekurriert, sondern auf subjektive Befindlichkeiten.“141 Allerdings lässt sich im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11.9. feststellen, dass der Terrorismus in den Mittelpunkt des allgemeinen Gefährdungsgefühls rückt und die Gruppe der (strenggläubigen) Moslems generell als potenzielle Terroristen betrachtet und dieses Bild von den Medien kolportiert wird. Auffällig ist, dass das Ausmaß der Bedrohung und das subjektive Angstgefühl häufig nicht korrelieren. So lebt die durchschnittliche Bewohnerin/der durchschnittliche Bewohner europäischer Städte heutzutage deutlich sicherer als vor 50 Jahren. Dennoch umfassen die Ängste der Gegenwart ein weites Spektrum und reichen von der Angst vor UV-Strahlen, Überfällen und Kriminalität bis zur Angst vor Armut, Krankheit und vor der Zukunft generell. Durch das wachsende subjektive Unsicherheitsgefühl einerseits und steigende Überwachsungsinteressen andererseits erleben verschiedenste einschlägige Technologien einen gewaltigen Aufschwung oder werden gar erst neu erfunden. So ermöglicht die Biometrie die automatische Erkennung von Personen anhand von eindeutigen biologischen Kennzeichen wie Fingerabdruck, Iris oder Stimme. Erste Gesichtserkennungssysteme sind seit Herbst 2001 auf kalifornischen aber auch europäischen Flughäfen installiert. Eine große Nachfrage besteht auch nach Sicherheitsprodukten wie „digitalen Aufpassern“, welche die Kontrolle der Wohnung über Internet ermöglichen, Strahlenblockern gegen Funkwellen oder „Rewebbern“, welche die Spuren, die man beim Surfen im Internet hinterlässt, löschen. Außerdem steigt die Zahl der MitarbeiterInnen bei privaten Sicherheitsdiensten kontinuierlich und wird bald die Zahl der offiziellen PolizeibeamtInnen erreichen.142 Unsicherheitsgefühle können auch zum Phänomen des sogenannten „Cocooning“ führen. Menschen beginnen sich auf ihr engeres Lebensumfeld zu konzentrieren und reisen weniger als früher. Möglicherweise nimmt so wie schon in den USA die Attraktivität von „Gated Communities“ zu.143 Diese Wohnanlagen bieten einerseits Sicherheit, andererseits aber auch Gemeinschaft und verhindern damit die Anonymisierung und Vereinsamung, die in Städten häufig auftritt. Sie besitzen meistens einen eigenen Wachdienst, Einkaufszentren, Sport-, Freizeit-, und Bildungseinrichtungen. Das Leben in den Communities ist streng reglementiert von der Zaunhöhe bis zum Anmeldeschein, der notwendig ist, um das Gelände überhaupt betreten zu können.144 Ronneberger, Lanz, Jahn, S. 126 ff. Böhnisch, S. 82 142 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 160-162. 143 Horx, Sensual Society, S. 57. In den USA bestehen bereits 20.000 dieser „gated communities“. In England wird in derartigen Wohnanlagen mehr Wert auf Service wie Sportstätten und Kinderbetreuung und weniger auf Sicherheit gelegt. (Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, HorxStrathern, S. 66.). 144 Horx, Huber, Mühlhausen, Scheppach, Horx-Strathern, S. 66. 140 141 314 Makrotrends Grafiken Hightech Trends: Biometrie Schätzung 1997 100 10.000 8.000 80 6.000 60 4.000 40 2.000 20 0 Zahl der Menschen, die elektronisch identifiziert werden In Prozent der Weltbevölkerung 1998 300 2003 2008 2013 1400 3000 6000 5 18 45 0 75 Grafik 21 Quelle: Fischer Atlas Zukunft 1998 aus: Zukunftsinstitut (Hg.): Mega-Trends – Die Dokumentation. www.zukunftsinstitut.de, Kelkheim 2002 (2 CDROM). Literaturverzeichnis Böhnisch, Tomke: Populismus, Leistungsideologie und Überlegenheit. Über verschiedene Formen, Erfahrungen im öffentlichen Raum zu thematisieren, in: Kriminologisches Journal, Heft 2. Boyle, T.C.: América, 2. Aufl., München 1998. Horx, Matthias: Sensual Society. Die neuen Märkte der Sinn- und Sinnlichkeitsgesellschaft, Frankfurt 2002. Horx, Matthias, Thomas Huber, Corinna Mühlhausen, Joseph Scheppach und Oona Horx-Strathern: 100 Top Trends. Die wichtigsten „Driving Forces“ des kommenden Wandels, o.O. 2001. Riedlberger, Peter: Gesichtserkennung am Flughafen Fresno. URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/inhalt/te/11461/1.html&words=Riedlberger am 29.4.2003. Ronneberger, Walter, Stephan Lanz und Walter Jahn: Die Stadt als Beute, Bonn 1999. Zerbst, Johannes: Gesichtserkennung auf dem Prüfstand. URL: http://www.heise.de /tp/ deutsch/html/such.html?T=Zerbst am 29.4.2003. 315