JAHR DER MATHEMATIK IM REICH DER ZAHLEN
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JAHR DER MATHEMATIK IM REICH DER ZAHLEN
PROFILE JAHR DER MATHEMATIK IM REICH DER ZAHLEN MUM 03 | 2008 24 Im Jahr der Mathematik ist Gelegenheit, den Beweis anzutreten, dass unser Alltag ohne Mathe nicht möglich wäre. Mathematische Anwendungen tragen dazu bei, das Leben vieler Menschen leichter zu machen. Ohne Mathematik würde das Handynetz nicht funktionieren, die Finanzwelt wäre aufgeschmissen und die Wettervorhersage müsste sich wieder auf Bauernregeln verlassen. Schwierig scheint dabei nur, die Bedeutung der Mathematik auch verständlich zu machen. Denn die scheinbar spröde Wissenschaft erschließt sich nicht jedem auf den ersten Blick. Ben Campbell ist Mathematikstudent, einer der begabtesten seines Jahrgangs. Also macht ihm sein Professor eines Tages ein verlockendes Angebot: Er lädt Ben in sein geheimes Black Jack Team ein. Denn dieser Professor hat eine Methode aus Kartenzählen und Handzeichen erdacht, mit der sein Team die Regeln des Glücksspiels aushebelt und so beim Black Jack die Spielkasinos reihenweise ausnimmt. Professor Martin Schottenloher kann über solche Geschichten schmunzeln, denn Ben Campbell ist kein echter Student, sondern die Hauptfigur des Hollywood-Blockbusters „21“, der es jüngst auch in die deutschen Kinos schaffte. Aber immerhin basiert das Drehbuch auf einer wahren Geschichte und ist auch für einen Matheprofessor wie Schottenloher nicht meilenweit von der Realität entfernt. So gebe es ja auch beim Tic Tac Toe eine relativ einfache Strategie, mit der man immer gewinne, erzählt Schottenloher. Nur reich wird man dabei wohl eher nicht. Dieter Kotschick, Professor für Differentialgeometrie am Mathematischen Institut der LMU, freut sich über Filme, in denen wie auch in „Good Will Hunting“ oder ,,A Beautiful Mind‘‘ Mathe ein LeinwandThema ist, denn seiner Meinung nach spielt die Mathematik bei uns eine viel zu kleine Rolle im öffentlichen Leben. Er würde sich auch nie darüber aufregen, dass im Film nicht alles mathematisch korrekt dargestellt wird. „Da muss man über den eigenen Schatten springen und sich freuen, wenn vor einem breiten Publikum Werbung für die Mathematik gemacht wird“, sagt er. Er selbst ist bereits über seinen Schatten gesprungen – mit einem Fußball im Gepäck. Der Wissenschaftler, der sich normalerweise mit sehr abstrakten mathematischen Problemen beschäftigt, die Menschen ohne ein mehrsemestriges Mathestudium nicht zu erklären seien, hat sich mit dem Aufbau des Fußballs beschäftigt und ist damit auf ein enormes öffentliches Interesse gestoßen. Grob gesagt ging es Kotschick darum, zu zeigen, dass ein Fußball nicht so aussehen muss, wie er normalerweise aussieht. Der klassische Spielball – mathematisch gesprochen ein Ikosaederstumpf – setzt sich aus 12 schwarzen Fünfecken und 20 weißen Sechsecken zusammen. Kotschick und sein damaliger Mitarbeiter Dr. Volker Braungardt überlegten sich Alternativen mit anderen Formen oder anderen Anordnungen. Die Mathematik, die sie für die Lösung verwendeten, stamme, so Kotschick, aus dem 19. Jahrhundert. Das sei nur eine „Babyversion“ von den wirklich interessanten Techniken, mit denen in der modernen Geometrie gearbeitet wird. Trotzdem war es für ihn nicht einfach, eine komplette Lösung zu finden, das heißt, den Beweis zu führen, dass die naheliegende Konstruktion alle möglichen Varianten des Fußballes ergibt. Für Dieter Kotschick zeigt der Fußball geradezu exemplarisch, worum es ihm in der Mathematik geht. Jedes Problem, egal wie einfach es scheint, habe das Potenzial zur Weiterentwicklung, wenn man nur die richtigen Fragen stelle. Das will er auch seinen Studierenden vermitteln. Für den Mathematiker war schon immer klar, dass er Mathematik „machen muss“. Mathematiker werde man nur, wenn man so gefesselt von der Materie sei, dass man sich gar nichts anderes vorstellen könne. Dabei beschäftigen sich die gut 20 Mathematikprofessoren an der LMU mit den unterschiedlichsten Themenbereichen. Mathe ist vielfältig. Häufig überschreiten sie dabei auch die Grenzen zu anderen Wissenschaften wie Physik oder Medizin, zu den Ingenieurswissenschaften oder auch zu den Wirtschaftswissenschaften. Hier ist es vor allem die Spieltheorie, die beide Bereiche eng verbindet. Sie untersucht rationales Verhalten in Entscheidungssituationen, denn PROFILE die richtige Entscheidung lässt sich ausrechnen. Professor Martin ren Schottenloher vom Mathematischen Institut gibt seit einigen Jahren ern Kurse in Spieltheorie. Sein Wissen ist auch bei Nicht-Mathematikern der gefragt, zum Beispiel ist er immer wieder in Schulen zu Gast oder hält an der Volkshochschule Vorträge zur Spieltheorie. Auch die m, Automobilindustrie ist interessiert. Hier geht es vor allem darum, das Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation zu beten schreiben und zu bewerten sowie zu berechnen, welches Verhalten optimal ist. Was die Spieltheorie so anschaulich macht, ist, dass sie immer mit Anwendungen verknüpft ist. Es geht nicht nur um die Zahlen an sich. Zum Beispiel können die Mathematiker mit Hilfe der Spieltheorie ausrechnen, wie der Internet-Auktionator Ebay seine Auktionen besonders fair gestalten kann. Für Schottenloher ist das Bietsystem von Ebay mit der so genannten „Zweitpreisauktion“ übrigens durchaus sehr fair. Man zahle nur so viel, wie auch der zweithöchste Bieter bereit sei zu zahlen. So werde verhindert, dass die Auktion manipuliert wird und der Höchstbietende den Zuschlag zu einem völlig überzogenen Preis erhält. Früher habe er mal den Dünkel gehabt, die „reine Mathematik“ zu machen, erzählt Helmut Küchenhoff. Und heute? Beschäftigt er sich da mit „unreiner Mathematik“? Der Leiter des Statistischen Beratungslabors STABLAB an der LMU lacht. „Man kann ja genauso gut von angewandter und abgewandter Mathematik sprechen. Und ich vertrete die angewandte.“ Als Professor Küchenhoff studierte, gab es die Statistik als eigenständigen Studiengang noch gar nicht. Heute studieren etwa 300 junge Menschen an der LMU Statistik, mit einem erstaunlichen Frauenanteil von 50 Prozent. Was viele an dem Fach lockt, ist der Bezug zum realen Leben mit gleichzeitigen methodischen Herausforderungen. Auch für Helmut Küchenhoff ist es der Anwendungsbezug, der die Arbeit so interessant macht. Er entwickelt Methoden für die Schufa, um das Kreditrisiko genauer zu bestimmen, erstellt Mietspiegel, entwickelt für die Bundeswehr Strategien, wie man Truppenübungs- MUM 03 | 2008 25 n, analys iert die Häufigkeit von Herzinplätze am besten räumen kann kann, analysiert WM 200 farkten während der Fußball Fußball-WM 2006 oder untersucht gemeinsam mit Geophysikern den Zusammenhang von Regen und Erdbeben. Das STABLAB berät Studierende, die für ihre Abschlussarbeit statistische Hilfe brauchen, LMU-Forscher aus allen Arbeitsgebieten sowie externe Auftraggeber aus Forschung und Industrie. Gerade die bunte Mischung, bei der er sich jedes Mal auf ein ganz neues Problem einlassen muss, macht für Küchenhoff den Reiz seiner Arbeit aus. In der Wissenschaft gewinnt die Statistik immer mehr an Bedeutung, vor allem in den Life Sciences, der Genetik, Medizin oder Biologie. „International hochrangiges Publizieren erfordert eine hieb- und stichfeste Statistik“, sagt Helmut Küchenhoff. Auch die immer größeren und weltweit zugänglichen Datenbanken machen die Statistik unentbehrlich. Dabei ist es schon fast unheimlich, wie weit die Forscher mit Formeln in unser Alltagsleben blicken können. Marktforscher können zum Beispiel mit komplexen statistischen Methoden errechnen, wie sehr Nachbarn oder Freunde unser Kaufverhalten steuern. Das erinnert schon fast ein bisschen an das Hollywood-Geschehen um die Black Jack Truppe aus dem Film „21“. Da endet die Geschichte allerdings moralisch einwandfrei damit, dass der Student Ben Campbell den Kasinos den Rücken kehrt und sich lieber um seinen College-Abschluss und ein Stipendium für das Medizinstudium an der Harvard Medical School kümmert. Eine Variante, die den LMUProfessoren sicher auch die liebste wäre. ■ gra