JAHR DER MATHEMATIK IM REICH DER ZAHLEN

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JAHR DER MATHEMATIK IM REICH DER ZAHLEN
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JAHR DER MATHEMATIK
IM REICH DER ZAHLEN
MUM 03 | 2008
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Im Jahr der Mathematik ist Gelegenheit, den Beweis anzutreten,
dass unser Alltag ohne Mathe nicht möglich wäre. Mathematische
Anwendungen tragen dazu bei, das Leben vieler Menschen leichter zu machen. Ohne Mathematik würde das Handynetz nicht
funktionieren, die Finanzwelt wäre aufgeschmissen und die
Wettervorhersage müsste sich wieder auf Bauernregeln verlassen. Schwierig scheint dabei nur, die Bedeutung der Mathematik
auch verständlich zu machen. Denn die scheinbar spröde Wissenschaft erschließt sich nicht jedem auf den ersten Blick.
Ben Campbell ist Mathematikstudent, einer der begabtesten seines Jahrgangs. Also macht ihm sein Professor eines Tages ein
verlockendes Angebot: Er lädt Ben in sein geheimes Black Jack
Team ein. Denn dieser Professor hat eine Methode aus Kartenzählen
und Handzeichen erdacht, mit der sein Team die Regeln des Glücksspiels aushebelt und so beim Black Jack die Spielkasinos reihenweise
ausnimmt.
Professor Martin Schottenloher kann über solche Geschichten
schmunzeln, denn Ben Campbell ist kein echter Student, sondern
die Hauptfigur des Hollywood-Blockbusters „21“, der es jüngst auch
in die deutschen Kinos schaffte. Aber immerhin basiert das Drehbuch
auf einer wahren Geschichte und ist auch für einen Matheprofessor wie Schottenloher nicht meilenweit von der Realität entfernt. So
gebe es ja auch beim Tic Tac Toe eine relativ einfache Strategie, mit
der man immer gewinne, erzählt Schottenloher. Nur reich wird man
dabei wohl eher nicht.
Dieter Kotschick, Professor für Differentialgeometrie am Mathematischen Institut der LMU, freut sich über Filme, in denen wie auch in
„Good Will Hunting“ oder ,,A Beautiful Mind‘‘ Mathe ein LeinwandThema ist, denn seiner Meinung nach spielt die Mathematik bei uns
eine viel zu kleine Rolle im öffentlichen Leben. Er würde sich auch
nie darüber aufregen, dass im Film nicht alles mathematisch korrekt
dargestellt wird. „Da muss man über den eigenen Schatten springen
und sich freuen, wenn vor einem breiten Publikum Werbung für die
Mathematik gemacht wird“, sagt er.
Er selbst ist bereits über seinen Schatten gesprungen – mit einem
Fußball im Gepäck. Der Wissenschaftler, der sich normalerweise mit
sehr abstrakten mathematischen Problemen beschäftigt, die Menschen ohne ein mehrsemestriges Mathestudium nicht zu erklären
seien, hat sich mit dem Aufbau des Fußballs beschäftigt und ist damit
auf ein enormes öffentliches Interesse gestoßen.
Grob gesagt ging es Kotschick darum, zu zeigen, dass ein Fußball
nicht so aussehen muss, wie er normalerweise aussieht. Der klassische Spielball – mathematisch gesprochen ein Ikosaederstumpf –
setzt sich aus 12 schwarzen Fünfecken und 20 weißen Sechsecken
zusammen. Kotschick und sein damaliger Mitarbeiter Dr. Volker
Braungardt überlegten sich Alternativen mit anderen Formen oder
anderen Anordnungen. Die Mathematik, die sie für die Lösung verwendeten, stamme, so Kotschick, aus dem 19. Jahrhundert. Das sei
nur eine „Babyversion“ von den wirklich interessanten Techniken,
mit denen in der modernen Geometrie gearbeitet wird. Trotzdem
war es für ihn nicht einfach, eine komplette Lösung zu finden, das
heißt, den Beweis zu führen, dass die naheliegende Konstruktion alle
möglichen Varianten des Fußballes ergibt.
Für Dieter Kotschick zeigt der Fußball geradezu exemplarisch, worum es ihm in der Mathematik geht. Jedes Problem, egal wie einfach
es scheint, habe das Potenzial zur Weiterentwicklung, wenn man nur
die richtigen Fragen stelle. Das will er auch seinen Studierenden vermitteln. Für den Mathematiker war schon immer klar, dass er Mathematik „machen muss“. Mathematiker werde man nur, wenn man
so gefesselt von der Materie sei, dass man sich gar nichts anderes
vorstellen könne.
Dabei beschäftigen sich die gut 20 Mathematikprofessoren an der
LMU mit den unterschiedlichsten Themenbereichen. Mathe ist vielfältig. Häufig überschreiten sie dabei auch die Grenzen zu anderen
Wissenschaften wie Physik oder Medizin, zu den Ingenieurswissenschaften oder auch zu den Wirtschaftswissenschaften. Hier ist es
vor allem die Spieltheorie, die beide Bereiche eng verbindet. Sie
untersucht rationales Verhalten in Entscheidungssituationen, denn
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die richtige Entscheidung lässt sich ausrechnen. Professor Martin
ren
Schottenloher vom Mathematischen Institut gibt seit einigen Jahren
ern
Kurse in Spieltheorie. Sein Wissen ist auch bei Nicht-Mathematikern
der
gefragt, zum Beispiel ist er immer wieder in Schulen zu Gast oder
hält an der Volkshochschule Vorträge zur Spieltheorie. Auch die
m,
Automobilindustrie ist interessiert. Hier geht es vor allem darum,
das Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Kooperation zu beten
schreiben und zu bewerten sowie zu berechnen, welches Verhalten
optimal ist.
Was die Spieltheorie so anschaulich macht, ist, dass sie immer mit
Anwendungen verknüpft ist. Es geht nicht nur um die Zahlen an sich.
Zum Beispiel können die Mathematiker mit Hilfe der Spieltheorie
ausrechnen, wie der Internet-Auktionator Ebay seine Auktionen besonders fair gestalten kann. Für Schottenloher ist das Bietsystem von
Ebay mit der so genannten „Zweitpreisauktion“ übrigens durchaus
sehr fair. Man zahle nur so viel, wie auch der zweithöchste Bieter
bereit sei zu zahlen. So werde verhindert, dass die Auktion manipuliert wird und der Höchstbietende den Zuschlag zu einem völlig
überzogenen Preis erhält.
Früher habe er mal den Dünkel gehabt, die „reine Mathematik“ zu
machen, erzählt Helmut Küchenhoff. Und heute? Beschäftigt er sich
da mit „unreiner Mathematik“? Der Leiter des Statistischen Beratungslabors STABLAB an der LMU lacht. „Man kann ja genauso
gut von angewandter und abgewandter Mathematik sprechen. Und
ich vertrete die angewandte.“ Als Professor Küchenhoff studierte,
gab es die Statistik als eigenständigen Studiengang noch gar nicht.
Heute studieren etwa 300 junge Menschen an der LMU Statistik,
mit einem erstaunlichen Frauenanteil von 50 Prozent. Was viele an
dem Fach lockt, ist der Bezug zum realen Leben mit gleichzeitigen
methodischen Herausforderungen.
Auch für Helmut Küchenhoff ist es der Anwendungsbezug, der die
Arbeit so interessant macht. Er entwickelt Methoden für die Schufa, um das Kreditrisiko genauer zu bestimmen, erstellt Mietspiegel,
entwickelt für die Bundeswehr Strategien, wie man Truppenübungs-
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n, analys
iert die Häufigkeit von Herzinplätze am besten räumen kann
kann,
analysiert
WM 200
farkten während der Fußball
Fußball-WM
2006 oder untersucht gemeinsam
mit Geophysikern den Zusammenhang von Regen und Erdbeben.
Das STABLAB berät Studierende, die für ihre Abschlussarbeit statistische Hilfe brauchen, LMU-Forscher aus allen Arbeitsgebieten
sowie externe Auftraggeber aus Forschung und Industrie. Gerade
die bunte Mischung, bei der er sich jedes Mal auf ein ganz neues
Problem einlassen muss, macht für Küchenhoff den Reiz seiner
Arbeit aus.
In der Wissenschaft gewinnt die Statistik immer mehr an Bedeutung,
vor allem in den Life Sciences, der Genetik, Medizin oder Biologie.
„International hochrangiges Publizieren erfordert eine hieb- und
stichfeste Statistik“, sagt Helmut Küchenhoff. Auch die immer größeren und weltweit zugänglichen Datenbanken machen die Statistik unentbehrlich. Dabei ist es schon fast unheimlich, wie weit die
Forscher mit Formeln in unser Alltagsleben blicken können. Marktforscher können zum Beispiel mit komplexen statistischen Methoden
errechnen, wie sehr Nachbarn oder Freunde unser Kaufverhalten
steuern.
Das erinnert schon fast ein bisschen an das Hollywood-Geschehen
um die Black Jack Truppe aus dem Film „21“. Da endet die Geschichte
allerdings moralisch einwandfrei damit, dass der Student Ben
Campbell den Kasinos den Rücken kehrt und sich lieber um seinen
College-Abschluss und ein Stipendium für das Medizinstudium an
der Harvard Medical School kümmert. Eine Variante, die den LMUProfessoren sicher auch die liebste wäre.
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