Rechtsbaustein für Betriebsräte und Betriebsrätinnen

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Rechtsbaustein für Betriebsräte und Betriebsrätinnen
Rechtsbaustein
für Betriebsräte und Betriebsrätinnen
IG Metall Vorstand, Ressort Frauen- und Gleichstellungspolitik, Februar 2013
Auf geht´s – Faires Entgelt für Frauen
Rechtsbaustein
Entgeltlisten sind in vielen
Betrieben immer noch Geheimsache nach dem Motto: „Über
Geld spricht man nicht.“ Doch
wer Entgeltungerechtigkeit
beseitigen will braucht Daten
und muss die Entgeltsituation im
Betrieb regelmäßig im Blick
behalten.
Welche rechtlichen Möglichkeiten
hat der Betriebsrat zur Informationsbeschaffung?
Einsicht in die Lohn- und Gehaltslisten durch
den Betriebsrat
In § 80 Abs. 2 BetrVG ist geregelt, dass der
Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben
rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu
unterrichten ist.
Dieses allgemeine Unterrichtungsrecht ist nur
Der Betriebsrat hat nach dem
Betriebsverfassungsgesetz ein
Einblicksrecht in die Lohn- und
Gehaltslisten. Dabei sind
bestimmte Regeln zu beachten:
dann eingeschränkt, wenn das Verlangen des
Betriebsrats rechtsmissbräuchlich ist, also
erkennbar nicht wirklich dem Ziel dient, eine
ausreichende Informationsbasis zu bekommen
(BAG v. 11.7.1972 – 1 ABR 2/72).
Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 2.Halbsatz BetrVG hat
(nur) der Betriebsausschuss oder ein anderer
nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss auch ein
Einsichtsrecht in die Listen über Bruttolöhne
und -gehälter. Wo ein solcher Ausschuss nicht
besteht, geht dieses Recht auf den/die BR-Vorsitzende/n oder ein beauftragtes BR-Mitglied
über (BAG v. 18.09.1973 – 1 ABR 7/73). Auch
dieses Einsichtsrecht setzt voraus, dass die Einsichtnahme zur Durchführung der Aufgaben des
Betriebsrats erforderlich ist.
Der Betriebsrat hat jedoch nach § 80 Abs. 1 Nr. 1
BetrVG auch darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze
durchgeführt werden. Hierzu gehört der Grundsatz der Entgeltgleichheit von Mann und Frau
(§§ 1, 2, 3 und 7 AGG) ebenso wie der allgemeine
Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 BetrVG)
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sowie die jeweiligen unions- und verfassungs-
Das Recht auf Einblick schließt aber die Möglich-
rechtlichen Verankerungen (Art. 3 Absätze 1, 2
keit ein, ausführliche Notizen zu machen, auch in
und 3 GG, Art. 157 AEUV sowie die verschiedenen
hierfür eigens vom BR vorbereiteten Listen.
Gleichbehandlungsrichtlinien).
Das Recht zum Anfertigen von Notizen ist im
Ferner benötigt der Betriebsrat diese Informatio-
Prinzip unbeschränkt! Nur ein komplettes
nen zur Prüfung, ob die Mitbestimmungsrechte
Abschreiben der Listen wäre unzulässig.
des Betriebsrats bei der betrieblichen Entgeltgestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG)
Dem Betriebsrat sind nur solche Unterlagen
berührt werden.
zur Verfügung zu stellen, die der Arbeitgeber
tatsächlich besitzt. Für die Wahrnehmung des
Der Betriebsrat ist „Hüter der Lohngerechtigkeit
Rechtes des Betriebsrats ist es nicht wichtig,
und Transparenz“ im Betrieb
in welcher Form die Daten vorliegen, ob als
(vgl. BAG 28.04.2008, Az.: 1 ABR 50/97).
wirkliche Liste oder als Datei in einem Computer
oder einer EDV-Anlage.
So benötigt der Betriebsrat die Kenntnis der
effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein
Es kann nach den betrieblichen Gegebenheiten
Urteil darüber bilden zu können, ob eine inner-
eine entsprechende Form der Einsichtnahme
betriebliche Entgeltgerechtigkeit erreicht ist
vereinbart werden, z.B. Freigabe des Computer-
oder durch andere betriebliche Entgeltgestal-
zugangs für den Betriebsrat auf die entsprechen-
tungen erreicht werden kann
den Daten.
(BAG v. 30.06.1981 – 1 ABR 26/79).
In der Praxis sind viele Arbeitgeber dazu übergeDer Betriebsrat braucht keinen besonderen
gangen, dem Betriebsrat in regelmäßigen Abstän-
Anlass für sein Einsichtsrecht darzulegen
den bzw. auf Anforderung die Lohn- und Gehalts-
(BAG a.a.O. sowie v. 16.8.1981- 6 ABR 60/79).
listen in Kopie auszuhändigen und zu überlassen.
Können die Gehaltslisten fotokopiert
Welche Entgeltbestandteile umfasst das
werden?
Einblicksrecht?
Es besteht lediglich ein Recht auf „Einblick
Einblicksrecht besteht nur hinsichtlich der Brutto-
nehmen“. Das bedeutet, dass die Listen nicht
und nicht hinsichtlich der Nettoentgelte. Die
an den BR ausgehändigt werden müssen: Der
Nettodaten, aus denen die persönlichen Verhält-
Betriebsrat kann also nicht verlangen, dass ihm
nisse wie z.B. Lohnpfändung oder Besteuerung
eine Fotokopie der Listen bzw. die Originalliste
hervorgehen, sind für die Betriebsratsarbeit
zur Verfügung gestellt wird.
nicht notwendig und deshalb nicht zulässig.
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Auf geht´s – Faires Entgelt für Frauen
Mit Bruttolohn und -gehaltslisten sind die Listen
Hat der Arbeitgeber keine Listen bzw. reichen die
der effektiven Bruttobezüge zu verstehen. Dies
vorhandenen Listen nicht aus, sind die entspre-
schließt ein:
chenden Auskünfte nach dem allgemeinen Aus-
• übertarifliche Zulagen,
kunftsanspruch § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in der
• freiwillige Prämien,
Regel – in Entgeltfragen wegen der Komplexität-
• alle weiteren Zahlungen, (Sonderzahlungen,
schriftlich zu erteilen. So kann der Betriebsrat
Gratifikationen und sogenannte Einmalzah-
schriftlich Auskunft über Höhe und Empfänger
lungen, die individuell ausgehandelt und
von außertariflichen Sonderzulagen verlangen
gewährt werden).
(BAG v. 10.10.2006, 1 ABR 68/05). Dies führt
(BAG v. 30.06.1981 – 1 ABR 26/79).
dazu, dass der Arbeitgeber Unterlagen aushän-
Die Gehälter der außertariflichen Angestellten
digen muss.
sind darin ebenso einbezogen. Ausgeschlossen
Kommt eine schriftliche Auskunft im Bereich
sind die Gehälter der leitenden Angestellten
Löhne/Gehälter inhaltlich einer Bruttolohn- und
i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG, da diese keine Arbeit-
-Gehaltsliste gleich, genügt der Einblick in die
nehmer i.S.d. BetrVG sind.
schriftlich gefassten Angaben
(BAG, Beschluss v. 30.09.2008 – 1 ABR 54/07).
Zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männer nach § 75 BetrVG
Anwesenheit des Arbeitgebers während der
und zur Verhinderung von Diskriminierungen
Einsichtnahme
nach AGG kann der Betriebsrat eine geschlechter-
Ein Recht des Arbeitgebers oder eines Beauf-
spezifische Aufschlüsselung der Entgelte ver-
tragten bei der Einsichtnahme durch den BR
langen.
anwesend zu sein besteht nicht.
Damit der BR in der Lage ist, Vergleiche anzu-
Keine Einschränkung des Einsichtsrechts durch
stellen, ist der AG verpflichtet, die Bruttoentgel-
das Bundesdatenschutzgesetz
te nach ihren einzelnen Bestandteilen z.B. Über-
Dem BR dürfen keine Informationen unter Hin-
stunden, Schichtarbeit, Gratifikationen oder
weis auf datenschutzrechtliche Bestimmungen
Prämien aufzuschlüsseln.
verweigert werden. Das Informationsrecht des
Betriebsrates nach § 80 Abs. 2 BetrVG ist durch
Wenn die Gehaltsliste nicht ausreicht oder
das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) nicht ein-
(angeblich) nicht vorliegt
geschränkt. Das BDSG verbietet allein die unbe-
Nach BAG-Rechtsprechung kann unter bestimm-
fugte Bekanntgabe geschützter Daten an Dritte.
ten, eng gefassten Voraussetzungen nicht nur Ein-
Die Unterrichtung des BR ist jedoch nicht unbe-
sicht in die Listen, sondern eine Übermittlung von
fugt, sondern gerade durch § 80 Abs.2 BetrVG
Unterlagen an den Betriebsrat verlangt werden.
gesetzlich vorgesehen.
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Ein Einblicksrecht in die Lohn- und Gehaltslisten
Beispiel:
besteht unabhängig vom Einverständnis des
Auf einer Betriebs- und/oder Abteilungsver-
Beschäftigten ggfs. selbst gegen dessen Willen.
sammlung wird eine Entgelt-Statistik als Ergeb-
Der Schutz der Persönlichkeitsrechte tritt inso-
nis vorgestellt werden, mit der Aussage: Die Ent-
weit gegenüber der dem Betriebsrat obliegenden
geltlücke zwischen Männern und Frauen beträgt
sozialen Schutzfunktion zurück.
x-Prozent im Bereich xy!
Diese Aussage weist keinen direkten Bezug zu
Was ist beim Umgang mit Daten unbedingt zu
einer konkreten Person auf.
beachten?
Gleichwohl muss mit Gehaltsdaten aber sensibel
Anders würde es sich verhalten, wenn für die
und verantwortungsvoll umgegangen werden. In
Erstellung dieser Statistik nur ein kleiner Perso-
den in §§ 82 Abs. 2, 83 Abs. 1, 99 Abs. 1 und 102
nenkreis herangezogen würde. In so einem Fall
Abs. 2 S. 5 BetrVG geregelten Fällen ist der
könnte sehr leicht auf eine konkrete Person
Betriebsrat ohnehin zur Verschwiegenheit ver-
geschlossen werden.
pflichtet. Darüber hinaus hat er das Persönlich-
Ein Beispiel: Sind nur 3 Personen in einem
keitsrecht bzw. das Recht auf informationelle
Bereich, davon 2 Frauen und ein Mann, könnte
Selbstbestimmung der Beschäftigten nach § 75
evtl. aus der Veröffentlichung des Entgelts des
Abs. 2 BetrVG zu schützen. Hieraus wird abgelei-
Mannes sichtbar werden. Das wäre nicht zu-
tet, dass der Betriebsrat bezüglich der Entgelt-
lässig.
daten einzelner Arbeitnehmer/innen auch bei
Nichtvorliegen der soeben genannten Fälle der
Der Bekanntgabe oder Veröffentlichung anony-
Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Ohne
misierter Daten über gezahlte durchschnittliche
Zustimmung der Betroffenen darf der Betriebsrat
Bruttogehälter, die der Betriebsrat nach erfolgter
keine konkreten Angaben über die Entgelthöhe
Einsichtnahme selbst erstellt hat, steht daher
einzelner Beschäftigter machen.
nichts im Wege. Das sind Daten, die es nicht
erlauben, auf eine bestimmte oder bestimmbare
Person zu schließen (wann Daten als anonymisiert gelten, steht im § 3 Abs. 6 BDSG).
Stellt der Betriebsrat Ungleichheiten fest, so
kann er auch die davon betroffenen Beschäftigten in anonymer Form darüber informieren –
ohne die persönlichen Daten der Beschäftigten
zu nennen.
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Auf geht´s – Faires Entgelt für Frauen
Es gibt keine Geheimhaltungspflicht von Betriebs-
Die gerichtliche Durchsetzung des
ratsmitgliedern untereinander (entsprechend
Einsichtsrechts
§ 79 Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Die Einsicht nehmen-
Verweigert der AG die Einsichtnahme, so kann
den Betriebsratsmitglieder sind daher berech-
der BR beim Arbeitsgericht im Beschlussverfahren
tigt, die Informationen an den Betriebsrat wei-
beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, die
terzugeben damit dieser entscheiden kann, ob
entsprechenden Unterlagen zur Einsichtnahme
begründeter Handlungsbedarf besteht.
zur Verfügung zu stellen. Auch kann eine Androhung von Zwangsgeld in Betracht kommen.
Keine Einschränkung durch das Betriebs- und
Geschäftsgeheimnis
Je nach Umständen des Einzelfalls kann auch
Bei der Behandlung von Informationen, beson-
eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers
ders bei der Beschaffung und Verwertung, kann
nach § 23 Abs. 3 BetrVG gegeben sein.
es nur dann zu Problemen kommen, wenn es
sich um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
Der jährliche Gleichstellungsbericht als weitere
handelt.
rechtliche Möglichkeit
Lohn- und Gehaltsdaten sind grundsätzlich keine
Nach § 43 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG hat der
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Dies gilt
Arbeitgeber mindestens einmal in jedem Kalen-
jedenfalls für anonymisierte Daten, die der
derjahr in einer Betriebsversammlung über den
Betriebsrat nach erfolgter Einblicknahme in die
Stand der Gleichstellung von Männern und Frauen
Brutto-Gehaltslisten selbst erstellt hat.
zu berichten. Hierzu gehört auch die Entgeltgleichheit.
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Unwirksam: Geheimhaltungsklauseln im
Betriebliche Auskunftspersonen einbeziehen
Arbeitsvertrag
(§ 80 Abs. 2 Satz 3 BetrVG)
Die einzige Möglichkeit für die Beschäftigten,
Der Arbeitgeber hat auf Vorschlag des Betriebs-
festzustellen, ob sie Ansprüche aus dem Gleich-
rates diesem sachkundige Beschäftigte als soge-
behandlungsgrundsatz hinsichtlich der Entgelt-
nannte Auskunftspersonen zur Verfügung zu
höhe haben, ist das Gespräch mit Arbeitskolle-
stellen. Das ermöglicht dem Betriebsrat, den
gen und -kolleginnen. Eine Klausel, die den
internen Sachverstand der ArbeitnehmerInnen
Beschäftigten verpflichtet, über das Entgelt auch
und damit auch gewerkschaftlichen Vertrauens-
gegenüber ArbeitskollegInnen Verschwiegenheit
leute bzw. Vertrauenspersonen noch besser
zu bewahren, ist unwirksam.
zu nutzen und sie bei der Suche nach Problem-
Eine solche Klausel würde Beschäftigte daran
lösungen mit einzubeziehen.
hindern, Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Rahmen der Entgeltgestaltung
1. Beauftragung von externen Expertinnen und
gegenüber dem Arbeitgeber erfolgreich geltend
Experten (§ 80 Abs. 3 BetrVG)
zu machen.
Ist im Betrieb die entsprechende Sachkenntnis nicht vorhanden, kann der Betriebsrat auf
Darüber hinaus verstößt sie gegen Art. 9 Abs. 3 GG,
das Wissen von externen Expertinnen und
da sie Mitteilungen über die Entgelthöhe auch
Experten zurückgreifen. In erster Linie bietet
gegenüber einer Gewerkschaft verbietet.
sich dafür die Einbeziehung und gezielte
(Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern,
Zusammenarbeit mit Gewerkschaftssekre-
Urteil v. 21.10.2009, Az.: 2 Sa 237/09)
tärinnen und -sekretären an. Gleichstellungsbeauftragte kommen ebenso in Frage wie
Fachwissen organisieren
Beauftragte für Chancengleichheit der ört-
Hat der Betriebsrat die Entgeltdaten ausgewer-
lichen Arbeitsagenturen oder andere Exper-
tet vorliegen, kommt es darauf an, Maßnahmen
tinnen und Experten zum Thema.
abzuleiten um Entgeltgerechtigkeit herzustellen.
Das können Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung, Frauenförderpläne o.ä. sein. Sind dazu
besondere Fachkenntnisse erforderlich, die im
Betriebsrat nicht vorhanden sind, kann und sollte
sich der Betriebsrat Unterstützung holen.
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