Praktischer übergabefall
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Praktischer übergabefall
Beurteilungsaspekte eines praktischen Übergabefalls Der Fall Die Eheleute Elisabeth und Heinrich Walser sind seit 40 Jahren miteinander verheiratet, sie haben zwei mittlerweile erwachsene Söhne. Zu Beginn ihrer Ehe hat sich Heinrich mit einer Schreinerei selbständig gemacht. Um die Buchhaltung kümmerte sich Elisabeth. Da die Schreinerei sich gut entwickelte, war es den Eltern möglich, ein Zweifamilienhaus zu erwerben, das mittlerweile schuldenfrei ist, d.h. der dafür aufgenommene Kredit ist abbezahlt. Beide Söhne wurden dazu „erzogen“, die Schreinerei gemeinsam zu übernehmen – auch in der Erwartung, dass der Betrieb immer weiter wachsen wird. So haben sich beide Söhne inzwischen zum Schreinermeister ausbilden lassen und arbeiten im elterlichen Betrieb als Angestellte mit. Kummer macht Michael Walser. Während seiner Schulzeit träumte er – sehr zum Leidwesen seiner Eltern – davon, Künstler zu werden; allerdings wurde er nicht zu einem Studium an einer Kunsthochschule angenommen. Deshalb beugte er sich schließlich dem elterlichen Wunsch und wurde Schreiner. Verheiratet ist er mit der erfolgreichen Dolmetscherin Jeanette Goldner. Sie haben zwei Töchter im schulpflichtigen Alter. Nachdem Michael einige Jahre als Schreiner gearbeitet hatte, entwickelte er eine Stauballergie, so dass er schließlich den Beruf des Schreiners aufgeben musste. Umschulungsversuche scheiterten. Er versucht nunmehr, seinen Traum als Künstler zu verwirklichen. Seine Familie lebt von Jeanettes Einkünften. Demgegenüber ist Harald Walser als Schreiner glücklich und freut sich darauf, endlich den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Dazu soll es Mitte nächsten Jahres kommen. Derzeit arbeitet er als Angestellter im elterlichen Unternehmen mit. Allerdings ist die Freude nicht ungetrübt. Offensichtlich sind die goldenen Zeiten des Unternehmens vorbei. Die Umsätze und damit auch die Mitarbeiterzahl gehen zurück. Hier könnte sich die Qualifikation von Haralds Ehefrau, Mia-Hanna, positiv auswirken, weil sie als Diplom-Kauffrau in der Lage wäre, positive Signale zu setzen. Allerdings ist ihr Verhältnis zu den Schwiegereltern wegen ihres selbstbewussten Auftretens getrübt, so dass sie sich, solange die Betriebsübergabe noch nicht erfolgt ist, mit Vorschlägen zurückhält. Ohne dies gegenüber den Schwiegereltern offen zu legen, haben sie und ihr Mann aber geplant, dass sie die Betriebsführung und Buchführung der Schreinerei nach der Betriebsübergabe übernimmt. Gleichzeitig hat Heinrich Walser in den letzten Jahren, sehr zum Unmut seiner Frau, immer mehr von den Buchführungsaufgaben an sich gezogen und führt mittlerweile auch allein die Korrespondenz mit dem Steuerberater. Dies macht ihm so viel Spaß, dass er diese Aufgabe auch über die Übergabe des Unternehmens an seinen Sohn weiterführen will. Steuerliche Beurteilung Die steuerliche Beratung läuft darauf hinaus, den Übergang des Vermögens auf die beiden Söhne steueroptimal zu gestalten. Von erheblicher Bedeutung sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls, etwa der Wert und die Art des Vermögens, die familiäre Beziehung von Erben und Erblasser (die Höhe des persönlichen Freibetrages hängt davon ab) und der Zeitpunkt der Übertragung (Ausnutzung mehrfacher Freibeträge bei Streckung der Übertragung auf einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren). Außerdem ist die derzeitige Rechtsentwicklung zu beachten. Es ist zu befürchten, dass bestimmte erbschaftssteuerliche Vergünstigungen in naher Zukunft fallen werden, da beim Bundesverfassungsgericht geprüft wird, ob die erbschaftssteuerliche erhebliche Bevorzugung von Betriebsvermögen und Grundvermögen vor dem Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 des Grundgesetzes Bestand hat. Im konkreten Fall ist zunächst zu klären, mit welchem erbschaftssteuerlichen Wert die Schreinerei zu bewerten ist. Für die Übertragung von Betriebsvermögen wird (noch!) ein Freibetrag von 256.000 € gewährt, d.h. erst bei einem über diesem Wert liegen Betriebsvermögen wird die Schenkung oder Vererbung der Schreinerei Erbschafts- oder Schenkungsteuer auslösen. Vorausgesetzt, der oder die Erwerber führen die Schreinerei mindestens fünf Jahre weiter. Würde demgegenüber der künstlerisch ambitionierte Sohn Michael ausbezahlt werden, würde der Nennwert dieser Zahlung in vollem Umfang der Erbschaftsteuer unterliegen. Günstiger könnte es sein, ihm z.B. eine der beiden Wohnungen des Einfamilienhauses zu übertragen. Dieses wird nach dem sog. Grundbesitzwert bewertet. Dieser Wert liegt in der Regel weit unter dem tatsächlichen Wert des Hauses. Bei den Gestaltungen ist auch zu berücksichtigen, dass Kindern ein persönlicher Freibetrag in Höhe von 205.000 € gewährt wird. Das bedeutet, dass Erbschafts- oder Schenkungsteuer erst bei einem erbschaftssteuerlichen Vermögen, das über dem persönlichen Freibetrag liegt, erhoben wird. Ehegatten wird ein persönlicher Freibetrag in Höhe von 307.000 € gewährt. Zu beachten ist, dass Erwerbe während eines Zeitraums von zehn Jahren zusammengerechnet werden. Aber diese Regelung eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten insofern, als dass nach zehn Jahren der volle Freibetrag erneut in Anspruch genommen werden kann. Deshalb macht es bei größeren Vermögen Sinn, frühzeitig mit Regelungen zur vorweggenommen Erbfolge zu beginnen, um evtl. den Freibetrag mehrfach in Anspruch nehmen zu können. Ob neben der Schreinerei auch das Zweifamilienhaus übertragen werden soll, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Pläne die Eltern mit dem Haus haben. Etwa, ob sie darin wohnen wollen oder ob sie es lediglich vermieten. Spätestens hier ist die Zusammenarbeit mit einer Rechtsanwältin/Rechtsanwalt unerlässlich. Betriebswirtschaftliche Beurteilung Im Rahmen der geplanten Übernahme durch Harald und/oder Michael Walser ist zunächst einmal der Kaufpreis des Unternehmens zu bestimmen. In der Betriebswirtschaft gibt es mehrere Methoden zur Berechnung des Kaufpreises. In der Praxis wird zur Zeit am häufigsten das Generationenwechsel in Familienbetrieben sogenannte Ertragswertverfahren angewendet. Dieses Verfahren gewährleistet eine neutrale Bewertung des Unternehmens. Im vorliegenden Fall ist diese Art der Kaufpreisfindung besonders wichtig, da eventuell nur einer der beiden Söhne den Betrieb übernehmen möchte. So kann sichergestellt werden, dass sich keiner der beiden Söhne benachteiligt fühlt. Zur Ermittlung des Kaufpreises müssen die Jahresabschlüsse der letzten 3-5 Jahre analysiert, aufbereitet und bewertet werden. Anhand der Ergebnisse kann anschließend nach dem oben genannten Ertragswertverfahren die Kaufpreisberechnung erfolgen. Wichtig ist, dass der berechnete Kaufpreis nur eine Verhandlungsbasis darstellt. Der tatsächliche Kaufpreis kann dann auf Grund anderer Faktoren wie außerordentlicher Standort, Bekanntheitsgrad des Unternehmens etc. höher oder niedriger ausfallen. Der Kaufpreis sollte in enger Zusammenarbeit mit einem Steuerberater ermittelt werden. Da sich der Betrieb seit etwa 40 Jahren im elterlichen Besitz befindet, ist zu prüfen, ob im Rahmen der Übergabe behördliche Auflagen wie zum Beispiel von der Berufsgenossenschaft oder dem Gewerbeaufsichtsamt zu erwarten sind. Damit ist zu rechnen, da dem bisherigen Betriebsinhaber bei Gesetzesänderungen in der Vergangenheit sicherlich Bestandsschutz eingeräumt wurde. Mögliche neue Auflagen für den Übernehmer müssen bekannt sein, da von deren Erfüllung die Weiterführung des Betriebes und sicherlich auch Investitionen abhängen. Um der rückläufigen Geschäftsentwicklung entgegen zu wirken, ist eine Überprüfung der gesamten Betriebsorganisation erforderlich. Das Leistungsangebot inklusive der Preispolitik sind in Bezug auf Kundenwünsche und die Wettbewerbssituation zu überprüfen. Die Marketingmaßnahmen zur Kundengewinnung und Kundenbindung müssen ebenfalls überprüft werden, ob sie den aktuellen Marktgegebenheiten Stand halten. Auch ist der Betriebsablauf vom Erstellen eines Angebotes bis hin zur Ausführung eines Auftrages auf Effizienz zu überprüfen. Hinzu kommt eine Bewertung der technischen Ausstattung des Betriebes im Hinblick auf mögliche Rationalisierungsmaßnahmen. All diese Analysen und Ergebnisse sind in einem Übernahmekonzept festzuhalten, das die Basis für Finanzierungsgespräche bei einer Geschäftsbank bildet. Bestandteil des Konzeptes ist neben den oben genannten Faktoren auch der Finanzbereich des Unternehmens. Das heißt, es muss ein Investitions-, Finanzierungs-, Umsatz-/Kosten- und Liquiditätsplan erstellt werden. Besonders für die Erstellung eines Übergabekonzeptes bietet sich der Einsatz eines externen Unternehmensberaters an. Seine Leistung wird auf Bundes- bzw. Landesebene durch Zuschüsse unterstützt, so dass für den Auftraggeber überschaubare Kosten zu tragen sind. Vertrags- und Erbrechtliche Beurteilung Die rechtliche Beratung beginnt mit der Darstellung der verschiedenen Möglichkeiten der Unternehmensnachfolge. Je nachdem, welche Vorstellungen die übergabewilligen Inhaber von ihrem weiteren Leben haben und inwiefern sich die Betriebsnachfolger in das Unternehmen einbringen wollen, ist eine Betriebsübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, im Rahmen eines Unternehmertestaments oder gegen Entgelt denkbar. Dabei könnte das Entgelt auch als regelmäßige Versorgungsleistung zu zahlen sein. Haben die Mandanten bereits eine steuerliche und/oder betriebswirtschaftliche Beratung erfahren, werden sie entsprechend vorinformiert sein. Es gilt hier, die Vorstellungen und Wünsche der Beteiligten zu erfahren und festzuhalten und diese in eine für jeden verständliche und rechtlich sichere Form zu bringen. Im Beispielsfall liegt der Gedanke nahe, dass der Sohn Michael als Beteiligter des Unternehmens ausscheiden, der Sohn Harald dagegen, vielleicht auch zusammen mit seiner Frau, dieses übernehmen wird. Hier ist es ganz wichtig, zu klären und vertraglich zu regeln, zu welchem Zeitpunkt eine Unternehmensübergabe stattfinden soll. Ist an eine Übernahme erst nach dem Tod des Vaters gedacht? Wenn er arbeitsunfähig erkrankt ist? Wenn er ein bestimmtes Alter erreicht hat? Wenn der Betrieb nicht erst nach dem Tod des Vaters übernommen werden soll, wird er dann weiter mitarbeiten, so wie er es sich vorstellt? Wird die Mutter mitarbeiten? In welcher Form wird die Schwiegertochter Mia-Hanna mitarbeiten? Teil- oder Vollzeit? Angestellt oder als Aushilfe? Was geschieht mit den anderen Angestellten des Betriebs? Soll der Betrieb im Rahmen der Übergabe eine andere Rechtsform erhalten, an der der Vater noch beteiligt ist? Alle diese Fragen sollten einer vertraglichen Regelung zugeführt werden. Wird Sohn Michael ausbezahlt, sollte die Summe klar benannt werden, wenn auch das Hauseigentum der Eltern mit übertragen werden soll. Auch höhere Geldbeträge, die die Söhne z.B. während ihrer Ausbildung erhalten haben, sollten berücksichtigt und benannt werden. Soll die Übernahme durch die Söhne erst nach dem Tod des Vaters geschehen, sind die Parteien über die erbrechtlichen Konsequenzen aufzuklären, wenn testamentarisch nichts geregelt wird. Hier ist dann das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge und der Ehefrau zu besprechen. Ebenfalls ist dann zu klären, ob die Nachfolge durch Testament oder durch Erbvertrag erfolgen soll. Während das eine allein vom Willen des Vaters abhängt und jederzeit widerrufen und neu gestaltet werden kann, bindet eine erbvertragliche Regelung alle Vertragsbeteiligten. Emotionale bzw. psychologische Beurteilung Beim systemischen Vorgehen schaut man auf die Wechselbeziehungen von Person, Rolle, Funktion, Organisation und Kundeninteressen. Damit lassen sich Familien- bzw. Organisationsstrukturen veranschaulichen. Fragestellungen die dabei aufgeworfen werden: • Ist Elisabeth, die Ehefrau des Inhabers Heinrich Walser, Mitinhaberin der Schreinerei? • Welcher der beiden Söhne ist der erstgeborene? • Ist die Ehe des Sohnes Harald mit der Schwiegertochter Mia-Hanna kinderlos? • Wer bewohnt derzeit das Zweifamilienhaus der Senioren? • Was tut der Sohn Michael konkret, um seinen Traum als Künstler in die Tat umzusetzen? • Welche Qualität haben die Beziehungen zwischen - den beiden Brüdern Harald und Michael, - den beiden Familien der Brüder, - den Senioren und der Familie des Sohnes Michael, - den Senioren und dem Sohn Harald sowie der Schwiegertochter Mia-Hanna? Mögliche Hypothesen: • Zwischen dem Seniorehepaar gibt es einen verdeckten bzw. offenen Konflikt wegen der Buchführungsaufgaben. • Weder Senior noch Seniorin verfügen über sinnstiftende Aktivitäten außerhalb des Unternehmens. • Zwischen dem Seniorehepaar und der Schwiegertochter Mia-Hanna gibt es einen verdeckten Konflikt wegen des selbstbewussten Auftretens der Schwiegertochter, das vom Seniorehepaar vermutlich als Einmischung oder Besserwisserei aufgefasst wird. • Der Sohn Harald gerät gegenüber seinen Eltern und seiner Ehefrau in einen Loyalitätskonflikt, wenn geklärt werden muss, wer nach der Übergabe die Buchführungsaufgaben übernimmt. • Die Eltern Elisabeth und Heinrich Walser sind unglücklich und evtl. sogar ärgerlich über die berufliche Entwicklung ihres Sohnes Michael, der als Familienvater kein eigenes Einkommen erwirtschaftet und sich von seiner Ehefrau „aushalten“ lässt. • Vater Heinrich und Sohn Harald führen die schlechte Entwicklung der Firma evtl. mit auf den Ausstieg des Sohnes Michael zurück. • Wegen der vorhandenen Enkelkinder ist das Verhältnis des Seniorehepaares zu der Familie des Sohnes Michael vermutlich besser als das zum Sohn Harald und seiner „aufmüpfigen“ Ehefrau Mia-Hanna. • Vater bzw. Inhaber Heinrich Walser und Sohn bzw. potenzieller Nachfolger Harald verbindet in der Schreinerei ein gutes Arbeitsverhältnis. • Sohn Michael erwartet bei der Firmenübergabe an den Bruder Harald eine gute finanzielle Abfindung. • Insbesondere die Mutter wird mit darauf achten, dass Sohn Michael und seine Familie bei der Übergabe finanziell gerecht berücksichtigt werden. • Der Inhaber Heinrich Walser stellt sich eine schrittweise Übergabe vor, damit er durch die Buchführungsaufgaben weiterhin sowohl eine Beschäftigung im Alltag als auch Einblick in die Geschäftsabläufe der Schreinerei hat. • Sohn Harald kann sich eine zeitlich befristete, schrittweise Übergabe vorstellen, seine Ehefrau Mia-Hanna dagegen ist nur mit einer sofortigen Übergabe einverstanden.