Galleria Castelnuovo Ascona, Gedächtnis

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Galleria Castelnuovo Ascona, Gedächtnis
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Ferien-Journal Nr. 124/6, vom 16. August 1969
G alleria Castelnu o v o Asco n a , Gedä c htnis-Ausstellun g v o n Walter Helbig 9.4.1878 26.3.1968
von Hans Neuburg
Walter Helbig ist am 9. April 1878 in Falkenstein (Vogtland, Sachsen) geboren, wäre also am 9. April 90 geworden.
Schon als Sechzehnjähriger begann er an der Dresdener Akademie zu studieren und während dieser Zeit freundete
er sich mit dem bekannten Maler Otto Mueller an. Anfangs des neuen Jahrhunderts arbeiteten Helbig und Mueller
für einen grossen Auftrag zusammen. 1909 wurde Helbig in den Kreis der Berliner Künstlergemeinschaft „die Brücke“ aufgenommen, deren damals namhafteste Vertreter Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottlufft waren. Im selben
Jahr fuhr Helbig in die Schweiz und trat in München mit den Malern des „Blauen Reiters“, Kandinsky, Klee, Marc in
Kontakt. Helbig wurde der Mitbegründer der Berliner „Neuen Sezession“.
1910 siedelte er endgültig in die Schweiz über, wo er in Weggis Mitbegründer und Leiter des „Modernen Bundes“
wurde, dem Arp, Lüthy, Klee, Gimmi und der kürzlich verstorbene Hermann Huber angehörten. Die erste grosse
Ausstellung des „Modernen Bundes“, fand im Kunsthaus Zürich, 1912, statt. Es war eine zusammen mit dem „Blauen
Reiter“ veranstaltete Schau. Neben Kandinsky, Klee, Marc, Münter waren Werke von Matisse, Delaunay und Sauconnier zu sehen. 1914 beteiligten sich einige Mitglieder des inzwischen aufgelösten „Modernen Bundes“, also auch
Walter Helbig, an der ersten Dada-Ausstellung der Galerie Coray in Zürich. Helbig nahm ab 1916 – 1924 Wohnsitz in
Zürich und wurde Mitglied der GSMBA, an deren Ausstellungen und n der so genannten „Nationalen“ er sich mehrmals beteiligte.
1924 kam Walter Helbig nach Ascona und lebte seither hier. Er gründete auch hier, mit Gesinnungsfreunden, eine
Künstlervereinigung, nämlich den unvergessenen „Grossen Bär“, 1924; diese Gruppe, d.h. Helbig, Rohlfs und
Schmidt-Rotluff, stellte in Berlin aus. Zu jener Zeit erlebte Ascona eine Hochblüte von weltweiter Auswirkung. Maler
wie Jawlensky, Werefin, Van Rees, Schmidt-Rotluff, Rohlfs, Mac Couch, Arp und Klee fanden zueinander, regten sich
gegenseitig an, wurden fruchtbare Antipoden.
Walter Helbig hat in der Schweiz unzählige Male seine Werke gezeigt, erstmals 1933, abwechselnd in verschiedenen Städten wie Luzern, Zürich, St. Gallen usw. 1958 beteiligte er sich an einer repräsentativen Schau des Kunsthauses Zürich, unter dem Titel „Abstrakte Kunst“. In der Casa Serodine zeigte er zur selben Zeit einige seiner Bilder.
1959 hatte Helbig Gelegenheit, im Folkwangmuseum Essen und in der Kunsthalle Darmstadt auszustellen.
In letzter Zeit huldigte der Verstorbene, an künstlerisch-malerischer Gesinnung vital gebliebene Interpret von
Wachträumen, wie Hans Arp einmal u.a. „Das Fensterbild“ genannt hat, der art informel. Damit beweist er, wie
intensiv er sich den Strömungen unserer Zeit verpflichtet fühlte. Wir erkennen auch in den anscheinend ungegenständlichen Werken jenes Gefüge, das Ausdruck eines den Bildraum organisierenden Willens ist. Immer wieder sehen wir in den Werken von Walter Helbig zentrale Kräfte, Bildkerne, bewusste Kompositionselemente, die in rhythmischem Gleichklang mit den formstützenden Elementen die Fläche beherrschen und doch den lyrischen Eindruck
nicht beeinträchtigen.
Dem Maler, der längst seinen Lebensabend hätte feiern dürfen, war es vergönnt, die Kunst in eine Synthese von
höchster Lebensfreude und rein malerischer Zelebrierung einmüden zu lassen und Bilder zu schaffen, die um ihrer
selbst willen entstanden sind.
„Felsengewächse“ z.B. ist von jenem Schwung, jener Harmonisierung erfüllt, wie sie der mit allen Fasern eines Malergewissens erlebten und für die Betrachter erlebbaren Kunst innewohnt. Man fragt nicht nach dem Thema und
Aussage, sondern gibt sich dem Genuss des durch die Form verdichteten Farbklangs hin. Um im Sinn des Künstlers
selbst zu sprechen: der Bildbetrachter ist in der Lage und verpflichtet, sich mit dem Werk auseinanderzusetzen, es
mit seinen Sinnen wahrzunehmen. Walter Helbig war es Zeit seines Lebens gelungen, diese Bereitschaft bei seinen
vielen Freunden zu wecken und wachzuhalten. Das war der schönste Lohn seines langen Künstlerlebens.