Fasten, Diät und Energie Kapitel V
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Fasten, Diät und Energie Kapitel V
Kapitel V Fasten, Diät und Energie Druck 209 12.10.10 20:29 210 Fasten, Diät und Energie Befasse dich mit Dingen, bevor sie passieren, und ordne Dinge bevor Unordnung ausbricht. lao zi In allen Kulturkreisen dient die Fastenzeit dazu, Körper und Geist zu reinigen. Viele unserer Patient/innen nützen diesen im Kalender definierten Zeitraum auch ohne religiösen Hintergrund, um, wie sie es selbst beschreiben, »zu entgiften«. Sie haben das Bedürfnis, nach der deftigeren Winterkost und den damit angesammelten Fettdepots ihren Körper zu entlasten. Gesundes Fasten heißt nicht Hungern. Es bedeutet auf schwer verdauliche Speisen und Genussmittel zu verzichten, weil dadurch der Darm Zeit bekommt sich zu regenerieren. Was passiert beim Fasten? Unser Körper hält unseren Energiehaushalt im Gleichgewicht. Druck 210 Unser Körper ist, ohne dass es uns bewusst ist, damit beschäftigt unseren Energiehaushalt aufrechtzuerhalten, indem er Energieaufnahme und -verbrauch im Gleichgewicht hält. Diese Prozesse der Selbsterhaltung laufen ab, ohne dass wir darüber nachdenken müssen, also autonom. Das dafür zuständige Steuerungssystem nennt man autonomes Nervensystem (Sympathikus – Yang/Parasympathikus – Yin). Kommt es im Energiehaushalt zu einem Ungleichgewicht, passiert folgendes: ▸ Ist der Energieverbrauch höher als die Nahrungsaufnahme, verspüren wir Hunger. ▸ Nehmen wir mehr Energie auf, als der Körper braucht, werden Fettdepots angelegt. Die aufgenommene Nahrung wird als chemische Energie bereitgestellt und in Wärme und mechanische Energie (z. B. Arbeit der Muskulatur, Zellstoffwechsel) umgewandelt. Sind wir energetisch nicht im Gleichgewicht, sind alle Körperfunktionen davon betroffen. 12.10.10 20:29 Fasten, Diät und Energie Wie in Kapitel II beschrieben, unterscheiden wir drei Gruppen von Nahrungsbestandteilen, die uns mit Energie versorgen, nämlich Kohlenhydrate, Fette und Proteine. Deren Aufnahme, Umwandlung und Verbrauch bis hin zur Ausscheidung können wir unter anderem als Körpertemperatur und Wärmegefühl spüren. Bei einem gesunden Menschen mit einer Körpertemperatur zwischen 36,4 und 37,4 °C funktionieren alle biochemischen und physiologischen Vorgänge im Körper optimal. Die Regulation der Körpertemperatur läuft über sogenannte Thermorezeptoren, welche sich in Hirnstamm und Hypothalamus, der Muskulatur, dem Bauchraum und der Haut befinden. Ziel ist es, vor allem in den lebenswichtigen Körperregionen, wie Kopf und Rumpf, eine konstante Temperatur aufrechtzuerhalten. Ein Beispiel: Leber und Darm verbrauchen zusammen so viel Energie wie das Gehirn (jeweils 25 %), die Muskulatur 18 %, die Nieren 10 %, das Herz 6 %. Unsere Extremitäten sind dagegen nicht lebenswichtig, daher kann ihre Temperatur schwanken. Hat also der Körper wenig Energie zur Verfügung, wird zuerst bei der Versorgung der Körperperipherie eingespart. Ständig kalte Hände und Füße sind die Folge. Essen wir also weniger, so muss der Körper dafür sorgen, die lebenswichtige Energie anders zur Verfügung zu stellen. Überlebenswichtig sind dabei das Gehirn, die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) für die Sauerstoffversorgung und das Nebennierenmark (Stresshormone). 211 Achim Peters und Dirk Langemann von der Universität Lübeck ließen 2009 mit ihrer unkonventionellen »selfish brain theory« aufhorchen. Dabei führen sie in mathematischer Beweismethode an, dass bei einem gesunden Organismus unser Gehirn das Gleichgewicht seines Glukosebedarfs selbst regelt. Sie nennen dies »competent brain pull«. Dieser Zugriff des Gehirns dient der Aufrechterhaltung seines Energiebedarfs in Zeiten der Hungersnot. Die Ursache für Übergewicht, so schreiben sie, ist durch einen »incompetent brain pull« verursacht, das Gehirn ist nicht in der Lage, seinen Glukosebedarf vom Körper angemessen abzufragen. Blutzucker als Maß für Energie Das Maß für die Energiesituation im Körper ist der Blutzuckerspiegel. Im nüchternen Zustand sollte er zwischen 65–110 mg/dl Druck 211 12.10.10 20:29 212 Hungern ist Stress für den Körper. Druck 212 Fasten, Diät und Energie betragen. Sinkt dieser Wert aufgrund längerer Hungerphasen, wird ein Hormon aus der Bauchspeicheldrüse aktiv, das Glukagon. Als Gegenspieler des Insulin, das die Aufgabe hat, den Blutzucker in die Zellen einzubauen, greift Glukagon verstärkt auf die Zuckerspeicher (Glykogen) in der Leber zu, es werden also Reserven mobilisiert. Dieser sinnvolle Balancemechanismus sorgt dafür, dass der Blutzuckerspiegel nicht auf lebensbedrohliche Werte absinkt. Diese Zuckerspeicher sind im Vergleich zum Fettdepot sehr klein, sie geben für bestenfalls 6–12 Stunden Energie. Während die Leber nur eine konstante Menge an Glykogen speichern kann, kann die Muskelzelle durch langes Fasten und extreme Muskelarbeit (Leistungssport) eine bis zu fünffache Menge an Glukose speichern. Durch Glukagon werden auch andere Stressreaktionen aktiviert. Nach längeren Phasen der Unterversorgung mit Energie kommt es im Körper zu Stress. Das dafür zuständige Hormon heißt Adrenalin und wird im Nebennierenmark gebildet. Es bewirkt den Abbau des Muskelglykogens und greift auch die Fettreserven an. Das andere Stresshormon ist Kortison aus der Nebennierenrinde. Es stimuliert die Glukoseneubildung, die bei Mangel an Kohlenhydraten aus den Proteinen erfolgt. Diese Proteinumwandlung ist für den Körper sehr ungünstig, da sie viel Energie verbraucht, und durch das vermehrte Anfallen von Aminostickstoff werden die Nieren in ihrer Ausscheidungsfunktion belastet. Gleichzeitig sollten die Bausteine der Proteine, die Aminosäuren, für wertvollere Funktionen wie die Bildung von Hormonen, Enzymen, Antikörpern für das Immunsystem etc. zur Verfügung stehen. Ein weiteres Hormon, das STH (Somatotropin, auch als Wachstumshormon bekannt) aus der Hypophyse, wird durch Glukagon aktiviert und bewirkt ebenso wie Adrenalin den Abbau der Fettdepots und damit die Freisetzung von Fettsäuren ins Blut. In diesem Prozess wird auch das Schilddrüsenhormon (Thyroxin) aktiv. 12.10.10 20:29 Fasten, Diät und Energie Diese Fettsäuren werden in einem komplizierten Prozess zu Energie (ATP), Wasser und Kohlendioxyd verarbeitet (oxydiert). Fett und Proteine können ohne Kohlenhydrate nicht richtig im Stoffwechsel verwertet werden. Daher kommt es in der Leber zur Bildung sogenannter Ketonkörper (z. B. Aceton – giftig!), die auf Dauer einerseits die Ausscheidungsfunktion der Nieren überfordern, andererseits zur Erhöhung der Blutfette führen. Diese stehen angeblich für ein erhöhtes Risiko, an Arteriosklerose und Insulinresistenz (Typ-II-Diabetes) zu erkranken. Außerdem speichert die Leber bei Glykogenmangel vermehrt Fett, eine Fettleber entsteht. 213 Hungern erhöht die Blutfette. Die Rolle des Fettgewebes Das Fettgewebe dient nicht nur als Energiedepot, sondern steuert über die Bildung von Hormonen den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel. Das dabei wichtigste Hormon nennt man Leptin. Leptine wirken hungermindernd, indem sie den Abbau körpereigener Energiereserven fördern und auch die Wirkung von Insulin hemmen. Da weniger Fettgewebe aufgebaut wird, sind ausreichend Glukose und Lipide im Blut, es gibt kein Hungersignal. Insulin und Leptin sind zusammen für die Langzeitregulierung des Fettgewebes zuständig. Diese funktioniert sehr genau und kann das Körpergewicht sehr exakt mit nur 1 % Abweichung konstant halten. Diese Fähigkeit bedingt auch den Jojo-Effekt: Durch die stabile Langzeitregulierung des Körpergewichts kommt es nach längeren Hungerphasen zu einer verstärkten Nahrungsaufnahme. Dabei ist der Körper so programmiert, dass als »Vorsorge« für wiederkehrenden Stress durch Nahrungsentzug verstärkt Fettdepots angelegt werden. Druck 213 12.10.10 20:29 214 Fasten, Diät und Energie Fazit Lang andauernde Fastenkuren und einseitige Diäten (z. B. viel Protein, keine Kohlenhydrate) belasten Ihren Körper. Dadurch reagiert er ähnlich gestresst, als müsste er in die »Höhle des Löwen«. Stresshormone wie Adrenalin haben aber nicht nur Wirkung auf den Stoffwechsel durch Mobilisierung von Fettsäuren ins Blut und Abbau von Glykogen, sondern beeinflussen auch unsere Emotionen. Adrenalin steigert das Angstgefühl, Kortison erzeugt innere Unruhe, Konzentrationsstörungen und Schlafprobleme. Ganz nebenbei schädigt es die Magenschleimhaut, was zu Gastritis und Magenblutungen führen kann. Bei Hungerkuren setzen Sie sich also für ein bisschen weniger Gewicht einem hohen Gesundheitsrisiko aus. Wäre da eine sinnvolle Ernährung nicht die klügere Variante? Der Energiehaushalt aus der Sicht der TCM Bevor unser Leben beginnen kann, vermischen sich die Vorhimmels-Energien der Eltern. Diese beiden Essenzen enthalten, ähnlich wie der Samen einer Pflanze, bereits alle genetischen Information für ein neues Leben. Diese Essenzen werden Jing genannt und in der Niere gespeichert (genetische Information). Zwischen den Nieren befindet sich der Sitz des Lebensfeuers, das »Tor der Vitalität« (Ming Men, Nebennierenhormone). Diese Kräfte beeinflussen unsere Lebensqualität und das Lebensalter. Sie verhalten sich zueinander wie eine Öllampe: Drehen wir unser Lebensfeuer, das »Ming Men« (Adrenalin), zu hoch, wird das Öl (Jing) zu rasch verbraucht, die Lebensflamme erlischt. Brennt die Flamme zu wenig, läuft sie Gefahr vom Öl ausgelöscht zu werden – beides verkürzt unsere Lebenszeit. Druck 214 12.10.10 20:29 Fasten, Diät und Energie Führen wir also unserem Körper zu wenig Energie zu, kommt es zu einem Qi-Mangel. Diese Leere-Symptomatik versucht der Körper auszugleichen, indem er auf seine vitalen Reserven zurückgreift: er verbraucht Jing (Essenz). Dieser Moment des Flutens mit Jing ist sehr gut spürbar. Bekanntlich kommt es einige Tage nach Beginn des Fastens zu einem Gefühl der Euphorie. Es ist derselbe Effekt wie bei einem Marathonlauf oder ähnlich starken Anstrengungen. Heute wissen wir, dass dieses Phänomen auf die Ausschüttung körpereigener Opiate (Endorphine, Enkephaline) zurückzuführen ist. Während wir uns also fühlen wie »gedopt«, verbrauchen wir unsere Vitalenergie und verkürzen unsere Lebensspanne. Der Qi-Mangel, der durch Fasten entsteht, schwächt zuallererst unser Erde-Element. Beginnen wir nach einiger Zeit wieder normal zu essen, ist der Magen zu schwach, die Nahrung bleibt im Magen liegen und wird nicht weiter transportiert. Die Milz ist nicht in der Lage, die Nahrungsessenzen nach oben zu ihrer »Schwester«, der Lunge, zu schicken. Das Herz hat kein Substrat um Blut zu bilden, Druck 215 215 Euphorie 12.10.10 20:29 216 Fasten, Diät und Energie der Geist wird nicht genährt. Die Muskeln bekommen kein Nahrungs-Qi (Ying-Qi), sie sind müde und wollen sich nicht bewegen. Der Muskeltonus lässt nach, die Extremitäten fühlen sich an wie Blei, alles wird schlaff, inklusive der Mundwinkel. Der Mangel an Blut führt bei Frauen zu Zyklusanomalien, die Blutung ist unregelmäßig, schwach oder bleibt völlig aus. Zuckeraufnahme Unser Körper erwartet Zucker. Druck 216 Ein Stück Würfelzucker hat einen Brennwert von 10 Kilokalorien, eine Süßstofftablette mit nahezu gleicher Süßkraft einen Brennwert von fast null. Was passiert im Körper, wenn eine Speise mit Süßstoff statt mit Zucker gesüßt wird? Wenn unsere Zunge »süß« schmeckt, erwartet unser Körper Zucker. Daher wird in der Bauchspeicheldrüse Insulin ausgeschüttet. Dieses Enzym hat die Aufgabe, die Zuckermoleküle aus dem Blut in die Zellen zu transportieren. Auf diese Weise wird unser Blutzuckerspiegel konstant gehalten und unser Energiehaushalt reguliert. Bleibt der angekündigte Zucker aus, versucht das bereits ausgeschüttete Insulin Zuckermoleküle im Blut zu finden. Es stürzt sich auf jedes Zuckermolekül, das noch im Blut vorhanden ist. Infolgedessen sinkt der Blutzuckerspiegel dramatisch ab. Rezeptoren in unserem Körper registrieren diesen bedrohlichen Zustand und leiten die Information an das Gehirn weiter. Die Reaktion darauf ist ein Hungergefühl. Hunger bedeutet Energiemangel. Da die rascheste Energiezufuhr über Zucker erfolgt, stellt sich ein unstillbares Verlangen nach etwas Süßem ein, und wir greifen zu der nächstbesten Tafel Schokolade oder Kekspackung. 12.10.10 20:29 Fasten, Diät und Energie Auch hier wählen wir häufig Light-Produkte, weil diese mit dem trügerischen Versprechen beworben werden, dass sie satt, aber nicht dick machen. Der Verstand lässt sich von der Werbung betrügen, unser Bauch aber nicht, er reagiert mit einer Heißhungerattacke. Unkontrolliert wird alles gegessen, was rasch zur Verfügung steht. Und rasch verfügbares Essen ist in unseren Breiten meist Fast Food. Der Teufelskreis beginnt, denn weder Burger, Sandwiches noch Pommes und Co. stellen uns die notwendige Energie zur Verfügung, weil sie keinen Nährwert haben. So schlittern wir von einer »Fressattacke« in die nächste. Es tritt die paradoxe Situation ein, dass wir, obwohl Hungergefühl den Körper plagt, an Gewicht zunehmen. Genau aus diesem Grund werden Süßstoffe erfolgreich in der Schweinezucht eingesetzt. Die tägliche Futteraufnahme wird dadurch stimuliert und das Geschäft mit der Schweinemast blüht. (88) »Am Anfang war der Süßstoff« Der bekannteste Zuckerersatzstoff ist Aspartam. Aspartam besteht aus zwei Aminosäuren, die so miteinander gekoppelt sind, dass sie körpereigenen Botenstoffen ähneln. Nach dem Verzehr von aspartamhaltigen Speisen klagen empfindliche Menschen über Kopfschmerzen, leichte Übelkeit oder Schwindel. Bisher existieren aber keine zuverlässigen Daten, die diese Vorwürfe eindeutig bestätigen. Andere Süßstoffe sind Saccharin und Cyclamat. Sie werden vor allem bei kalorienreduzierten Erfrischungsgetränken, Milchzubereitungen, Brotaufstrichen, Marmeladen, Senf und Speiseeis eingesetzt. Neben den Süßstoffen gibt es noch Zuckeraustauschstoffe. Diese unterscheiden sich von den Süßstoffen dadurch, dass sie sogenannte Zuckeralkohole sind. Die bekanntesten Zuckeraustauschstoffe sind Sorbit, Mannit oder Isomalt. Druck 217 217 Light-Produkte machen nicht satt. Süßstoffe und Zucker austauschstoffe 12.10.10 20:29 218 Sind Süßstoffe Schlankoder Krankmacher? Fasten, Diät und Energie Im Mund können sie von Bakterien nicht verwertet werden. So entsteht auch keine zahnschädigende Säure, und deshalb werden sie gern in Kaugummis eingesetzt. Zuckeraustauschstoffe werden nur sehr langsam ins Blut aufgenommen, gelangen in die unteren Dünndarmabschnitte und regen hier die Darmtätigkeit an. Der übermäßige Konsum kann zu Blähungen und starken Durchfällen führen. Dieser Frage wird immer wieder mit wissenschaftlichen Untersuchungen nachgegangen. Aspartam zum Beispiel steht unter dem Verdacht, die Entstehung von Krebserkrankungen zu beeinflussen. 2005 hat das Europäische Ramazzini-Institut eine Studie veröffentlicht, die einen solchen Zusammenhang nahelegt. Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) allerdings stuft den Süßstoff weiterhin als unbedenklich ein. Bleiben wir doch lieber beim ganz normalen Zucker. Ursprünglich stammt das Wort »Zucker« aus dem Sanskrit-Wort »sarkara« für süß, wurde als »sukkar« ins Arabische entlehnt und gelangte von dort in den europäischen Sprachraum. Hauptquellen für unseren Speisezucker sind Zuckerrohr und Zuckerrübe. Die weltweit bedeutendsten Zuckerproduzenten sind Brasilien, Indien und China. In Europa zählen Frankreich, Deutschland und Polen zu den wichtigsten Herstellern. Die ältesten Zuckerrohr-Funde stammen aus Polynesien (8000 v. Chr.). Um 6000 v. Chr. gelangt Zuckerrohr von Ostasien nach Indien und Persien und 1100 n. Chr. erstmalig mit den Kreuzfahrern nach Europa. Druck 218 12.10.10 20:29