Reisebericht April 2009

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Reisebericht April 2009
Reisebericht April 2009
Eigentlich war für April noch keine weitere Reise nach Laos geplant. Das Wirken von
Anja Weichert, „unsere Frau in Laos" seit Anfang des Jahres, und der diesbezügliche
E-Mail Austausch hatte sich derart vielversprechend angehört, dass es dann doch
wieder hieß: „China Airlines welcomes you on board!"
Dass etwas anders war in Luang Prabang, merkten wir spätestens in Singsamouths
Büro: Eine größere Party wurde vorbereitet, es galt schließlich, mit allen
Angestellten das bevorstehende Neujahrsfest schon mal zu üben. Also das Gepäck ins
Guesthouse gebracht, umgezogen und „Sok di pimai!" („Frohes Neues Jahr!"). Bier
hatte man reichlich beschafft und gemäß der bewährten laotischen Sitte, nach der es
keine halbleeren Gläser geben darf, floss es auch in Strömen. Eine Musikanlage, die
für ein mittelgroßes Stadion gereicht hätte, beschallte die Szene mit Lao Pop und
durch die Tanzenden bewegte sich virtuos ein vietnamesisches Filmteam mit
garantiert atemberaubender Kameraführung.
Anja entpuppt sich als zierliches Energiebündel mit Aufsehen erregenden blonden
Locken; sie macht den Vorschlag, uns doch mal das neue Vereinsschiff anzusehen,
solange wir noch aufnahmefähig seien. Also einen halbwegs nüchternen Fahrer
gesucht und per Minibus durch ein feierndes Luang Prabang zum Mekong.
Die „Bamboo Naga" (Nagas sind heilige Schlangen mit ausgeprägtem
Beschützerinstinkt) wird, wenn sie denn mal fertig ist, zweifellos das schönste Schiff
in Südostasien sein, das ist ganz offensichtlich. Über alles 17 Meter lang, hat sie
einen Stahlrumpf bekommen, in dessen hinterem Bereich der umgerüstete Automotor
verankert ist (Toyota 4 Zylinder, Benziner). Singsamouth hatte bei der Wahl des
Holzes seine Beziehungen spielen lassen und ein sehr begehrtes wasserfestes Hartholz
aus Südlaos besorgt. Daraus wurden bereits die Aufbauten und die Kapitänskabine
erstellt - und zwar unter Verwendung von Schrauben anstelle der üblichen Nägel! Ein
gutes Omen! Der warme Naturton des Holzes lässt uns schnell alle Überlegungen zum
Anstrich vergessen - „Das bleibt so!"
Ein Clou der Konstruktion verbirgt sich im Dach: Bei Bedarf lässt es sich über fast die
ganze Länge aufschieben und macht so die „Naga" zum Cabrio!
An den weiteren Verlauf der Party bestehen nur undeutliche Erinnerungen; er tut
auch hier nichts zur Sache.
Am nächsten Morgen stößt noch Julia zu uns; sie steht kurz vor ihrem Diplom als
Geographin und soll anschließend eine Stelle bei „Mekong River Cruises" antreten. Sie
hat früher bereits als Praktikantin bei Singsamouth gearbeitet, war aber noch nie so
richtig „up country" und nutzt die Einladung, sich unsere Projekte mal anzusehen und
vielleicht zum Thema ihrer Arbeit zu machen.
Der Tag beginnt mit einer Entjungferung: Die „Naga" sticht für ihre erste offizielle
Fahrt in den Mekong, hinter dem Steuer: Say! Man merkt ihm an, dass ihm vor Stolz
die Brust schwillt. Solch ein Prachtboot zu steuern, ist schließlich der Traum eines
jeden 43jährigen Jungen vom Nam Ou! Noch sitzt neben ihm ein alter erfahrener
Flusskapitän mit zwar wenig Zähnen im Mund aber dafür reichlich Haaren in den
Ohren, denn bis Luang Prabang reichen Says Kenntnisse von Untiefen und Strömungen
vorerst noch nicht, aber das soll sich schnell ändern!
Nachdem wir den Nam Ou erreicht haben, halten wir an der ersten passenden
Sandbank und taufen die „Bamboo Naga" würdig mit Bier aus einer Riesenflasche
Amstel; eigens von Schiphol mitgebracht.
Unerwartet erhalten wir Besuch von einer Gruppe Wasserbüffel, unter ihnen eines
der seltenen Exemplare der Subspecies „Bufalus cornus inversus". Bei diesen Tieren
weist das Gehörn gen Boden, was ihnen einen seltsam traurigen Anblick verleiht.
Unter Bovidologen (Rindviehexperten) ist allerdings umstritten, ob dieser nicht ein
Sekundäreffekt aufgrund von Mobbing und Ausgrenzung durch ihre Artgenossen ist...
Auf der Weiterfahrt installieren wir provisorisch das italienische Doppelfanfarenhorn,
sehr zur Freude unserer Kapitäne! Abgesehen von der Betonung der eigenen
Bedeutung gegenüber der Umwelt ist ein solches Horn an einigen Stellen des Flusses
sehr sinnvoll. Der Nam Ou schlägt gerade dort scharfe Haken, wo außerdem noch
Stromschnellen die Fahrt gefährlich machen und Gegenverkehr nicht einsehbar ist.
Der ist zwar selten, rechtfertigt aber auf jeden Fall den intensiven Einsatz der
Fanfare! Mouth meint, es würde nicht lange dauern, und alle Leute am Nam Ou
wüssten, wer wir sind. Gut so, klappern gehört zum Geschäft!
Wir suchen nach einer geeigneten Sandbank für die Nacht, für Julia beginnt hier das
Abenteuer: sie hat noch nie gezeltet! Anja schon, die beiden tun sich für den Zeltbau
und den Rest der Nacht zusammen.
Der verläuft weitgehend ereignislos, vom heftigen Regen mal abgesehen. Am
nächsten Morgen kriechen die beiden Mädels dann auch etwas klamm aus ihrer
Polyestervilla; die Abspannung war noch etwas suboptimal gewesen... Der Stimmung
tut das keinen Abbruch, Julia findet zelten „echt cool!". Aus dem Holz werden
Pioniere geschnitzt!
Auf der Weiterfahrt machen wir kurz Rast für eine Nudelsuppe in Nong Khiaw, der
Hauptstadt des Distrikts. Jid, unser Kapitän auf vielen früheren Fahrten, zeigt sich
sehr beeindruckt von unserem Schiff - obwohl ihm dadurch das eine oder andere
Geschäft verloren geht - lässt er sich nichts anmerken. Als Restaurantbesitzer und
Schiffseigner gehört er schließlich zum gehobenen Mittelstand der Region.
In Muang Ngoi, Says Heimatdorf, müssen natürlich alte Bekannte begrüßt und ein paar
Dinge eingekauft werden, dann geht es weiter flussaufwärts durch die immer wieder
atemberaubenden Dschungelschluchten des Nam Ou. Hatsa erreichen wir am
Nachmittag und hier beginnt der offizielle Teil des Besuchs.
Das extreme Hochwasser der letzten Regenzeit hat das Boardinghouse nicht bedroht,
das ist schon mal beruhigend. Weniger angetan sind wir vom langsamen Tempo, in
dem die restlichen Arbeiten abgewickelt werden; wir hatten gehofft, bereits mehr
abgeschlossen vorzufinden...
Was uns dagegen sehr beeindruckt: Schon sechsjährige Kinder, die das Boardinghouse
bewohnen, versorgen sich völlig selbständig! Sie haben sich kleine Bambushütten
gebaut, in denen der von zuhause mitgebrachte Reis gekocht wird und im Fluss
waschen sie ihre Wäsche! Derzeit leben 62 Kinder im Boardinghouse; für etwa 20
weitere soll noch Platz sein.
Wir besprechen mit Anja und dem von uns eingestellten Hausmeister dessen Vertrag
und erstellen eine Liste samt Terminplan über die noch zu erledigenden Arbeiten:
Eine zusätzliche Treppe ist zu bauen, die Regenrinne samt abführendem Kanal zu
installieren, eine Toilette zu errichten und die Inneneinrichtung fertigzustellen.
Nach der Regenzeit soll das Haus dann mittels der üblichen Wassergeneratoren vom
Fluss her elektrifiziert werden, damit die Kinder nicht bei Kerzenlicht lernen müssen.
Anja wird all das bei ihrem nächsten „inspection trip" nachhaken...
Clarissa und ich machen Homestay bei alten Bekannten, die Jugend zeltet auf der
Büffelwiese.
Der nächste Morgen hat eine Überraschung parat. Geplant war, mit einem Boot einem
uns bis dahin unbekannten Fluss ins Hinterland flussaufwärts zu folgen, zu einem
kleinen Dorf tief im Dschungel. Dort wollten wir übernachten, um mit den
mitgebrachten Kajaks den Fluss wieder hinabzupaddeln. Das Ganze war gedacht als
eine Art Erprobung zukünftiger Aktivitäten im Rahmen von Mouth`s Ökotourismus und
versprach eine gehörige Portion „Indiana Jones" feeling.
Es stellt sich nun heraus, dass niemand gewillt ist, uns diesen Fluss hinauf zu fahren der Grund: Im Dorf feiern sie eine Taufe, mit reichlich LaoLao! Selbst hartnäckiges
Verhandeln nützt nichts; der Preis, der letztlich gefordert wird, ist dermaßen
überhöht, dass wir auf lange Zeit unsere Gesichter verlieren würden, wenn wir den
zahlten...
Frau Peters und Julia ziehen es vor, lieber in Muang Ngoi Clarissa`s Geburtstag bei
Pancake und Frenchfries zu feiern; das bedeutet eine Rumpfexpedition von Anja, Say
und mir. (Mouth hatte sich bereits abgesetzt, um einem Team des laotischen
Fernsehens die Idee des Ökotourismus auf seiner Sandbank zu erläutern).
Say weiß, wie viel mir an solchen Aktionen liegt und meint schließlich, wir sollten
unser Glück in einem anderen Dorf flussaufwärts versuchen, irgendwie tät`s schon
klappen.
Wie meistens, hat er recht. Mit zwei jungen Männern des nächsten Dorfes werden wir
handelseinig; sie wollen uns den Fluss hinauf bringen, dort mit uns übernachten und
uns am folgenden Tag zurück begleiten. Die zu zahlende Summe ist für laotische
Verhältnisse zwar immer noch beträchtlich, aber es sei schließlich „very difficult, not
easy for the boat!". Spätestens, als wir sehen, dass einer der beiden fünf (5!)
Ersatzschiffsschrauben einsteckt, werden wir nachdenklich.
Das Boot ist ein neues aus frischgesägten Brettern und mit fünf Leuten an Bord am
Rand seiner Tragfähigkeit.
Aber wie wir bald sehen, sind meistens vier davon immer im Wasser, damit
beschäftigt, das Boot über Staustufen oder Kiesbänke zu schieben.
Von außen muss sich dem Betrachter ein interessantes Bild bieten: Vier Männer, zwei
davon halbnackt, schieben ein schmales Holzboot den Fluss hinauf, darin sitzt eine
zarte Maid mit güldenen Locken im geblümten Kleid...Eine Prinzessein auf Abwegen?
Oder haben sie die entführt?
Der Fluss hat es in sich: sehr kurvenreich windet er sich durch schönsten
Bilderbuchurwald, hat zahlreiche kleine Stromschnellen und wechselt seine Tiefen
ständig und ohne Vorwarnung. Das macht Schieben zu einer spannenden
Angelegenheit: Eben noch watete man nur knöcheltief über eine Kiesbank, einen
Schritt später steht einem das Wasser bis zum Hals. Erst am Zielort entdecke ich,
dass ich neben meinem Portemonnaie mit dem gesamten Bargeld auch das kleine
feine Leica-Fernglas in der Hosentasche hatte... Zum Glück war das Portemonnaie so
speckig, dass kein Wasser eindringen konnte - und was kann Wasser einem Leica-Glas
schon anhaben?
„Very difficult, not easy for the boat!" Das verstehen wir jetzt gut und sind ein
bisschen beschämt, dass wir geglaubt hatten, man wolle uns über den Tisch ziehen.
An einer Stelle setzen wir derart hart auf einem Felsen auf, dass danach nichts mehr
geht: Die Ruderwelle ist krumm wie eine Nudel! Die Männer lachen bloß und ziehen
das Boot aus dem Wasser. Say- Der- Ingenieur zerlegt mit wenigen Handgriffen die
Ruderanlage, dengelt die verzogene Welle auf einem Felsen mit dem Fäustel gerade,
baut alles wieder zusammen und weiter geht`s. Dauer des Ganzen: 15 Minuten!
Wir beglückwünschen uns zu dem Entschluss dieser kleinen Expedition und denken an
die Daheimgebliebenen - was haben sie nicht alles verpasst! Derartige Gedanken
verstärken das eigene Erleben und wärmen das Herz, zumal es anfängt, zu regnen.
Ziemlich ausgekühlt, aber glücklich, kommen wir am späten Nachmittag im Dorf an
und sind das Ereignis des Monats.
Hier wohnen Khmu und man hat längst von uns gehört. Nicht nur das, wir erfahren,
dass einige Kinder bereits im neuen Boardinghouse wohnen und die Schule in Hatsa
besuchen! Zu Fuß sind es von hier etwa sieben Stunden und es sei ein „rather hard
way", wie Say übersetzt.
Wir erhalten Gelegenheit, uns für einen Rundgang im Dorf umzuziehen, d.h. die völlig
nassen Klamotten endlich auszuwechseln - bloß gegen was? Ich entdecke, dass ich
meine einzige anständige Hose während der Bootsfahrt getragen hatte und jetzt
dafür als trockene Alternative nur über eine Neoprenhose verfüge. Eine kurze,
wohlgemerkt! Sie ist dazu noch grau-schwarz und hat an den Oberschenkeln
leuchtend orange Streifen, wohl um die dortigen Muskelpakete zu betonen. Oben
herum entscheide ich mich für ein schlicht schwarzes Hemd; mit schwarz macht man
selten was verkehrt. An den Füßen Kajak-Sandalen, auf dem Kopf ein breitkrempiger
Hut - so entstehen Trends! Mein Pech (oder Glück) ist nur, dass sowieso alle Augen
auf Anja blicken, muss an ihren Haaren liegen...
An dem Dorf ist nichts Besonderes und schnell finden wir uns im Haus des
Bürgermeisters wieder, er lädt zu Tee und LaoLao. Nach kurzem Smalltalk
verschwindet Say in der Küche des Hauses und macht sich am Topf nützlich und bei
den Damen beliebt; seine alte Masche, die immer funktioniert.
Das Essen nehmen wir im Kreise der erweiterten Familie mit etwa 15 Personen ein,
danach ein paar LaoLao und wir Farangs dürfen schon mal unsere Betten beziehen.
Endlich kann ich mal für einige Minuten Anja ausstechen: Ein Moskitozelt, wie ich es
jetzt aufbaue, ward hier noch nicht gesehen! Dann liegen wir endlich flach und zum
Gemurmel der Khmu im Hintergrund sinkt der Tag langsam in die Nacht ab.
Der Morgen beginnt wie immer mit den ersten Hähnen, das heißt früh. Statt eines
Frühstücks, so bedeutet man uns, wolle man uns zu Ehren eine....ja, genau: eine Basi
Zeremonie veranstalten! Die gerät dann noch sehr herzlich und man merkt den
Leuten an, wie ernst es ihnen damit ist; wie immer in solchen Situationen bekommen
wir die besten Bissen zugeschoben. Say weiß inzwischen, das ich Leber gerne mag, so
findet bei jedem Essen jedes Stück meinen Teller. Anja, die auch Leber mag, kaut
derweil auf einem Hühnermagen herum. Suum cuique!
Der Regen der Nacht kommt allmählich zum Erliegen und gegen 11.00 Uhr begleitet
uns das gesamte Dorf hinunter zum Fluss, wo uns die beiden Bootsleute schon
erwarten. Wir pumpen die zwei Luftboote auf und machen zwei Jungs glücklich, als
wir ihnen bedeuten, damit einige Runden paddeln zu dürfen.
In der Zwischenzeit füllt uns der Bürgermeister noch mit reichlich LaoLao ab und ich
werfe vorsorglich eine Aspirin gleich mit ein. Anja teilt sich ein Boot mit Say und
erhält noch eine Kurzanweisung für das Paddeln von Luftbooten auf stark
bewachsenen Urwaldflüssen („Halt dich nie an etwas außerhalb des Bootes fest,
verlier dein Paddel nicht und tu, was Say dir sagt!").
Wir winken dem Dorf ein letztes Mal zu und verschwinden um die erste Biegung.
Nach hundert Metern ist vergessen, dass wir eben noch mitten im Dorfgewusel waren,
es ist, als ob außer uns kein Mensch in dieser Naturwelt existierte. Da die Bootsleute,
überdies weit hinter uns, um Benzin zu sparen, den Motor ausgestellt haben, stört
kein Lärm unser müheloses Dahingleiten. Das Sonnenlicht bricht durch das Walddach
und wird von den Blättern der Uferpflanzen in unzähligen Grüntönen reflektiert,
vereinzelt schießen Libellen funkelnd über das Wasser - so könnte es endlos
weitergehen!
Die Stromschnellen, die uns gestern zuweilen nachdenklich hatten werden lassen,
zeigen sich von einer moderaten Seite: Mit viel Schwung geht es um die Kehren, nur
selten setzen wir auf, gefährlich ist hier gar nichts. Besonderen Spaß machen die
Staustufen, über die wir uns am Vortag mühsam hochgeschoben hatten: Immer ist
eine Lücke breit genug für die Kajaks und wir schießen mühelos hindurch.
Hin und wieder schließen die beiden mit ihrem Holzboot zu uns auf, auch sie scheinen
Spaß zu haben: Ihrem Boot ist nichts passiert, sie haben gutes Geld verdient und es
geht nach Hause. Beeindruckend, wie vollendet balanciert sie das Boot um alle
Hindernisse staken, kein Handgriff ist überflüssig, jede Bewegung ergibt sich aus ihrer
Funktion, nie verlieren sie auch nur andeutungsweise das Gleichgewicht!
Viel zu schnell sind wir nach etwas über drei Stunden plötzlich wieder im Nam Ou.
Natürlich laden uns die Bootsleute noch auf ein Essen in ihre Häuser ein, natürlich
lehnen wir dankend ab und paddeln zurück nach Hatsa.
Dort liegt die "Bamboo Naga" bereits vor Anker (will heißen: An einer Eisenstange
festgebunden), mit Clarissa an Bord, Singsamouth ist fischen gegangen und Julia
bereits abgereist wegen dringender Termine. Frau Peters hatte eine schöne Zeit mit
ihr im Dorf und meint, nichts vermisst zu haben - alle sind zufrieden.
Wir beschließen, statt eine Basi Zeremonie in Hatsa zu bezahlen ( die Leute hier sind
allesamt Krämerseelen!), nach Ban Phonsanah zu fahren. Dort planen wir einen
Schulbau und es gibt noch einiges zu besprechen.
In Phonsanah ist es noch hell genug, der Frau Schulleiterin unter uns die alte Schule
zu zeigen, dann suchen wir einen alten Bekannten auf, der uns bei sich aufnimmt.
Die Familie hat ein behindertes Kind, um das sich alle rührend kümmern. Der Junge
kann an einer Seite Arm und Bein nicht richtig bewegen, auch nicht alleine gehen.
Mit bescheidenen Mitteln hat man ihm einen Rollwagen gebaut, in dem ihn andere
Kinder durchs Dorf ziehen.
Bei entsprechender medizinischer Versorgung könnte dem Jungen wahrscheinlich
schon geholfen werden; hier wird er für immer ein Krüppel bleiben und von seiner
Familie versorgt werden müssen...
Nach dem Abendessen - zubereitet von Say und den Damen des Hauses - geht's unter
die Netze zur verdienten Nachtruhe; Say und Singsamouth überlegen noch, ob sie auf
dem Schiff schlafen oder alte Bekannte von früheren Besuchen beglücken sollen...
Am nächsten Morgen führt uns der Bürgermeister zur Schule. Auf dem Weg dorthin
sehen wir uns noch einmal genau die Verhältnisse bei der provisorischen Brücke an.
Der Schulweg führt nämlich über einen Bach, das heißt, ein solcher ist es jetzt, in der
letzten Regenzeit war das Wasser um mehr als 10 m gestiegen und keine Überquerung
möglich gewesen. Das hatte den Gemeinderat dazu veranlasst, uns beim Besuch im
Oktober um den Bau einer Brücke zu bitten - und uns beim Ehrgeiz gepackt.
Zurück in Deutschland hatten wir uns von Freunden aus Nepal Bilder der dort
üblichen Hängebrücken schicken lassen, Konstruktionen, die an Eleganz und
Funktionalität ihresgleichen suchen. Es sollte doch möglich sein, etwas Derartiges
auch in Laos zu realisieren! Der Zufall wollte es, dass Anja ein deutscher Ingenieur
über den Weg lief, den sie dazu bewegen konnte, sich die Verhältnisse vor Ort
anzusehen.
„Grundsätzlich kein Problem!" meinte der Mann und empfahl uns, mit seinem
Kollegen in Schweden Kontakt aufzunehmen, der sei fit im Brückenbau.
Mit Reinhard in Stockholm entwickelte sich dann eine sehr fruchtbare
Kommunikation, die nach Rekordzeit zu einer Zeichnung der Brücke führte, inklusive
statischer Berechnung (obwohl er sich inzwischen auf Tunnelbau verlegt hatte).
Fehlte bloß noch der Bauleiter...
Reinhard regte an, noch einmal genau die Standortverhältnisse auf ihre Festigkeit zu
prüfen (ich hatte was von „lehmiger Boden" geschrieben), bevor wir uns eine doch
recht teure Baumaßnahme vor die Brust nähmen. Ein weiser Mann, der Herr
Tunnelingenieur! Genau das tun wir jetzt und kommen zu dem Schluss, es besser zu
lassen, das mit der Brücke. Zum einen wären sowohl unverhältnismäßige Dimensionen
nötig, zum andern hätte die Brücke ein Vielfaches von der Schule gekostet. Darüber
hinaus hören wir jetzt, dass ein derart extremes Hochwasser wie das letzte nur alle
Jubeljahre vorkommt. Wir beerdigen die Vision eines Brückendenkmals und
beschließen, dem Dorf ein Schulboot für die kommenden Hochwasser zu stiften. Alle
sind es zufrieden - aber irgendwie schade ist es doch...
Die „Schule" überzeugt auch unsere Schulleiterin sofort von der Notwendigkeit eines
Neubaus - in diesen windschiefen und noch dazu viel zu kleinen Bambushütten kann
sich moderne laotische Pädagogik nicht ereignen!
Wir kommen mit Bürgermeister und Gemeinderat überein, die neue Schule am
derzeitigen Schulplatz zu bauen; hier ist genügend Platz für einen großen Sport- und
Spielplatz und der Ort ist einfach schön gelegen. Abschließend wird noch der Zeitplan
besprochen, mit dem uns schon bekannten Maß an Verbindlichkeit. „Wir kommen im
Oktober wieder, dann feiern wir die Einweihung!" sind unsere letzten aufmunternden
Worte (Klartext: Seht zu, dass sie dann fertig ist!) - ein freudiges Nicken ist die
Antwort...
Wir fahren ein kurzes Stück mit dem Boot bis Ban Pak Boud, dem Dorf, wo im letzten
Jahr die akademische Floßexkursion ihr glückliches Ende fand. (siehe Reisebericht
August 2008). Von hier aus geht es aufwärts, zu Fuß die Hügel hoch nach Ban Kong
Muan, ein Weg von etwa fünf Stunden, durch abwechslungsreiche Waldlandschaft und
bei bestem Wetter. Unterwegs begegnen wir Frauen mit Riesenbergen von Futtergras
für ihre Kühe und einigen Bambussprossen-Sammlerinnen.
Auf halber Strecke machen wir Halt in einem Dorf, das ebenfalls Ban Houay Lor
heißt, aber von Khmu bewohnt wird. Wir erfahren, dass einige Kinder von hier unsere
erste Schule besuchen und dafür bei Verwandten in Kong Muan wohnen. Deswegen
brauchen wir für das Mittagessen auch nichts zu bezahlen...
Kurz vor unserem Ziel passieren wir noch einen traurigen Anblick: Große Netze sind
zwischen zwei Bäume gespannt, um Vögel zu fangen. Tatsächlich entdecken wir auch
eine schon zur Mumie geschrumpfte winzige Vogelleiche - wir fragen uns, in welchen
Abständen wohl das Netz kontrolliert wird?
In Ban Kong Muan werden wir vom Dorfchef herzlich begrüßt; man ist enttäuscht,
dass wir nur kurz und nicht zur Nacht bleiben - sonst hätte es einen Grund für eine
Party gegeben. Stolz wird uns die neue Gemeinschaftsküche gezeigt, die auf
Singsamouths Initiative vom Dorf gebaut wurde - und jetzt bezahlt wird.
Mouth hat inzwischen das Monopol für die Durchführung von Trekkingtouren in diesem
Gebiet, Kong Muan ist ebenso wie Ban Houay Lor daran interessiert, in kontrolliertem
Umfang kleine Gruppen von Touristen für jeweils bis zu zwei Nächten aufzunehmen.
In Kong Muan übernachten die Leute bei Gastfamilien („Homestay"), das Essen wird
dann in der neuen Küche von den Familien zusammen mit den Besuchern zubereitet.
Derzeit ist gerade Singsamouths Mitarbeiter Mun mit einer Gruppe im Dorf und ich
nehme die Gelegenheit war, die Wanderer nach ihren Eindrücken zu befragen. Es sind
zwei befreundete belgische Familien, die den steilen Anmarschweg von Hatsa hinter
sich gebracht haben und nun die grandiose Aussicht genießen.
Hart sei es schon gewesen, aber alle seien sie froh, diese Tour gemacht zu haben, sie
hätten sehr intensive Einblicke in das Leben der Dörfer bekommen. Gerade, dass auf
unnötigen Komfort verzichtet würde und man etwas vom Alltag verschiedener
Volksgruppen zu sehen bekäme, mache den Reiz dieser Tour aus. Selbst den Kindern
würde es gut gefallen.
So hatten wir uns das gedacht, als wir den Antrag auf Förderung dieses
Tourismuskonzepts beim DED gestellt hatten - bleibt zu hoffen, dass dieses Prinzip
des gemeindenahen Ökotourismus auf Dauer Bestand hat!
Inzwischen dämmert es und wir machen uns - vorerst ohne Say und Mouth - auf den
Weg nach Ban Houay Lor. Diese Strecke führt durch wunderschönen Primärwald und
ist der tägliche Schulweg einiger Kinder aus Kong Muan und von uns schon oft
begangen; jetzt erleben wir ihn vor der Kulisse nächtlicher Dschungelgeräusche noch
mal ganz neu.
Als wir in Ban Houay Lor ankommen, ist es stockfinster. Trotzdem wird unser Besuch
sofort bemerkt und im Schein von Taschenlampen kocht man uns Wasser ab und
bereitet ein Abendessen zu. Hier kennen wir inzwischen alle Gesichter und Anja sogar
die Namen von vielen Bewohnern, schließlich hat sie hier einige Wochen gewohnt und
Englisch unterrichtet.
Nach dem Essen beziehen wir unsere Bungalows. Inzwischen haben die Hmong einen
fünften gebaut, eine Gemeinschaftsküche und gebührend weit abseits am Hang zwei
Toilettenhäuschen errichtet, alles aus Bambus und mit einem Holzzaun gegen
Schweine, Hühner und Kühe gesichert. Das Ganze macht einen sehr einladenden
Eindruck; wegen der verwendeten Materialien wirkt auch nichts als Fremdkörper.
Ausgerüstet sind die Bungalows jeweils mit zwei Moskitonetzen, Liegematten und
komplettem Bettzeug; jeder hat eine kleine überdachte Veranda , von der man einen
schönen Blick auf das Dorf hat. Nach Anjas Vorschlag wurde jede Hütte noch mit
einer Hängematte ausgestattet - man könnte meinen, man sei im Urlaub...
Die Hähne des Dorfes sind das nicht und so verdient das Früh-stück seine Bezeichnung
zu recht. Heute steht auf dem Programm „Aufbau des Solarkochers mit
anschließender Einweisung in seine Bedienung". Solch einen Kocher hatten wir in
Deutschland gekauft und nach Laos schicken lassen; innerhalb von zwei Wochen hielt
Mouth ihn bereits in den Händen! Nur jetzt ist er nicht da. „Muss wohl aus Versehen
in Hatsa geblieben sein!" heißt es. Wenn`s weiter nichts ist - nach Hatsa sind es ja
bloß ein paar Stunden bergab, dann rasch das Paket geschultert und zügig zurück!
Bürgermeister Pao schickt zwei Männer los; „Die sind schnell wieder da", meint
Singsamouth.
Wir haben jetzt also „Zeit zur freien Verfügung" und nutzen sie für Spaziergänge im
Dorf. Überall werden wir mit einem Lächeln begrüßt und zum Sitzen im Schatten vor
den Häusern aufgefordert;
wenn wir annehmen, dauert es meistens nicht lange, bis diverse Photos gewünscht
werden.
Wir bekommen auf diese Art eine Menge mit vom Dorfgeschehen: Hier wird mittels
eines archaischen Handbohrers das Zündloch für einen Vorderladers gebohrt,
dort erhält ein Junge einen Haarschnitt, Kinder versorgen die Haustiere,
schleppen ihre kleinen Geschwister durch die Gegend und spielen mit
Selbstgebasteltem. Wir entdecken auch mehrere Nähmaschinen, hinter denen Frauen
sitzen und per Fußpedal die alten Singer in Bewegung halten. Es handelt sich
anscheinend um die Schneiderinnen des Dorfes, die für sich und andere Frauen
Jacken und Blusen zusammensticheln, vorzugsweise aus Stoffen mit großblumigen
Mustern in bunten Farben. „Solche Stoffe könnten wir ihnen mal als Geschenk
mitbringen", meint Frau Peters, selbst eine Jeanne d`Arc der Nähnadel.
Irgendwann am Nachmittag kommen die Männer aus Hatsa mit dem Solarkocher
zurück; sie hatten die Gelegenheit genutzt, in der „Stadt" noch einzukaufen, ins Kino
zu gehen und ein Eis zu essen. Oder was Ähnliches jedenfalls...
Wir machen uns zu dritt (Anja, Clarissa und ich) über das Paket mit dem Kocher her.
Im Nu ist das halbe Dorf versammelt und verfolgt nicht nur jede unserer Bewegungen:
alle Pappteile der Verpackung finden begeisterte Abnehmer!
Von Frau Peters weiß ich das ja schon längst, aber auch Anja zeigt sich als praktisch
äußerst begabt und so füge ich mich bereitwillig in die Rolle des „Schraubers auf
Zuruf".
Was hier jetzt entsteht, muss die Hmong anmuten wie ein Ding aus einer anderen
Welt: überall liegen Aluminiumstangen und hochglänzende Reflektorsegmente herum
und der Inbusschlüssel dürfte auch der erste seiner Art im Dorf sein. Wir lassen
Singsamouth erklären, was wir vorhaben: Für die Touristen wird immer Wasser
abgekocht, mehrmals am Tag und immer wird dazu Holz geschlagen. Das soll nicht
sein, schließlich wollen wir ja „ökologischen Tourismus". Der Kocherhersteller
verspricht immerhin 700 Watt Leistung bei wolkenlosem Himmel; drei Liter Wasser
sollen nach 25 Minuten kochen - das wollen wir jetzt mal sehen!
Einigen Zuschauern, allen voran Herrn Pao, sieht man direkt an, dass sie genau
verstehen, was wir da machen. Als wir an einer Stelle trotz (oder wegen?) vereinter
Überlegungen einige Teile zunächst falsch zusammenbauen, haben die Männer großen
Spaß; was sie auf Hmong sagen, hört sich an wie: "War doch klar, dass das so nicht
passen konnte!"
Als der SOLAR Premium 14 schließlich fertig ist, sieht er mit seinem großen
Parabolspiegel aus wie der versuchte Große Lauschangriff aufs All, Schäuble lässt
grüßen - absolut utopisch! An dieser Stelle wollten wir eigentlich die Eingeborenen
mit westlicher Magie beeindrucken und Wasser zum Sieden bringen - allein, es ist zu
spät, die Sonne geht soeben unter! Schade!
Gegen Abend erhalten wir Besuch von einigen Khmu aus Ban Kong Muan, mit
mehreren höchst willkommenen Flaschen Bier im Gepäck... Das Solarteam hat sich
das verdient!
Diese Nacht ist alles andere als ereignislos - heftiger Regen setzt ein und es bricht ein
Sturm los, dass die Hütten wackeln! Im Bungalow ist es dabei sehr gemütlich; schon
erstaunlich, wie so dünne Bambuswände für das Gefühl von Sicherheit und
Geborgenheit ausreichen...
Am nächsten Morgen wecken uns nicht die Hähne, sondern regelmäßige
Hackgeräusche. Uns bietet sich ein eindrucksvolles Bild: Eine Hmongfrau ist dabei,
mit ihrem Universalmesser einem Baum zu Leibe zu rücken!
Bis hierher wäre das nichts Ungewöhnliches, nur - besagter Baum liegt quer über
Singsamouths Bungalow und hat ihn halb unter sich begraben!
Bevor uns das Grauen packt (Mouth ist schließlich unser einziger Übersetzer!), hören
wir schon sein typisches Lachen aus der Küche - dort waren er und Say mit den Khmu
und dem Rest vom Bier am Abend versackt...
Der Sturm hat ganze Arbeit geleistet: Wir entdecken drei umgeworfene große Bäume,
zwei sind zum Glück abseits der Bungalows niedergegangen. Wir stellen auch fest,
dass diese vermeintlichen Urwaldriesen allesamt Flachwurzler sind und kaum Halt im
weichen Waldboden hatten. Meine Idee eines großen Baumhauses hoch in den Kronen
muss wohl überdacht werden...
Während unser Kaffeewasser kocht (auf einem Holzfeuer!), machen sich einige
Hmong über die Bäume her. Man merkt, dass sie dergleichen nicht zum ersten Mal
tun, jeder Handgriff sitzt und nach zwei Stunden sind die Baumkronen zerlegt und zu
Feuerholz verarbeitet.
Wir sehen jetzt auch das ganze Ausmaß des Schadens: Singsamouth`s Bungalow ist
ein Totalschaden; hätten er und Say die Nacht dort verbracht, wäre die Stimmung
jetzt nicht so gut! So wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis selbst die dicken
Stämme zerlegt und eine neue Hütte gebaut sein wird. Und an Zeit ist hier kein
Mangel...
Wir treffen noch einige Absprachen mit dem Bürgermeister, bringen den Solarkocher
in der Küche unter und versprechen, ihn beim nächsten Besuch einzuweihen, dann
machen wir uns auf den Weg nach Ban Phonsanah.
Zunächst ist der Weg identisch mit dem nach Hatsa, zweigt dann aber nach Süden ab
und führt durch Bambuswälder und über Reisfelder stetig bergab. Der Sturm hat auch
hier seine Spuren hinterlassen und Say muss uns mehrfach mit seiner Machete den
Weg frei schlagen.
Zwar ist diese Strecke deutlich langsamer als die Steilpassage, hat aber den Vorteil,
dass man nicht ständig auf den nächsten Schritt achten muss, sondern Muße hat für
die herrlichen Ausblicke.
Nur ein Dorf liegt auf dem Weg, klar, dass wir dort Pause machen und zum Essen
eingeladen werden.
Am Dorfrand von Phonsanah liegt die alte Schule, vielmehr das, was von ihr übrig ist:
Der Sturm hat aus den ohnehin fragilen Bambushütten Kleinholz gemacht.
Aber es soll demnächst ja sowieso losgehen mit dem Schulbau, und zwar an derselben
Stelle. Nur hier haben die Kinder genügend Platz für einen großzügigen Pausenhof
und selbst einige Sportgeräte könnte man aufstellen.
Nach einer kurzen Begrüßung des Bürgermeisters verabschieden wir uns mit dem
wiederholten Hinweis, im Oktober wieder hier zu sein - zur Einweihung.
Die Fahrt mit unserem Schiff nach Muang Ngoi ist wie immer was fürs Herz: Die
bewaldeten Karstberge gegen den blauen Himmel verfehlen ihr Wirkung auch zum
xten Mal nicht.
Was fürs Herz ist dann auch beim Eintreffen in Muang Ngoi, zumindest für Anja, ihr
Freund Chris, der hier seit gestern auf sie wartet. Frau Peters und ich machen Platz
für die Wiedersehensfreude und beziehen beim Bruder von Mouth die Fürstensuite man gönnt sich ja sonst nichts...
Es hat schon Tradition, den Abend bei Say und seiner Frau zu verbringen; die beiden
servieren ein laotisches Essen mit zig Gerichten, die wir nicht kennen und viel
LaoLao. Weil wir dessen Wirkung sehr wohl kennen und am nächsten Morgen früh los
wollen, gehen wir älteren Herrschaften schon zeitig zu Bett und überlassen das
Jungvolk seinem Schicksal.
Ein ganzer Tag auf dem Nam Ou steht uns bevor, entsprechend früh blasen wir die
Schiffssirene und erschrecken das halbe Dorf.
Say kennt diesen Flussabschnitt wie seine Hosentasche und sitzt natürlich am Steuer,
als hätte er nie etwas anders gemacht, als große Schiffe gelenkt.
Nach einer Stunde fahren wir unter der hässlichen Betonbrücke her und in den Hafen
von Nong Khiaw. Hier muss einfach angehalten werden, zum Einkaufen und für
leckere Suppen bei Jid. Wir verteilen noch einige Flyer an deutsche Touristen und
heften unsere Aufkleber an strategisch wichtige Stellen, dann geht es weiter
flussabwärts, ab jetzt führt der Alte mit dem einen Zahn wieder das Schiff und Say
mutiert zum Azubi, der Rest der Mannschaft schläft.
Die Highlights des Tages sind die drei nennenswerten Stromschnellen, dazu lassen
Chris, Say und ich die Kajaks zu Wasser und haben Spaß beim Ritt in den Wellen, die
Mädchen an Bord werfen uns bewundernde Blicke zu... was will Mann mehr?
Nach der Anlandung in Luang Prabang verfrachten wir uns samt Gepäck in ein
TukTuk, fahren los und... jemand schüttet einen Eimer Wasser durch die offenen
Seitenfenster auf uns - „Sok di Pi Mai!" (Frohes Neues Jahr!). Das hatten wir
vergessen. Auf der Fahrt zu Singsamouths Büro werden wir dann mittels ungezählter
Wasserpistolen-Guerilleros und Eimer schwenkender Jugendlicher daran erinnert: Die
Stadt feiert drei Tage lang das Neujahrsfest auf diese Art.
Wasser als Symbol der Reinheit und Erneuerung wird den Menschen, denen man
begegnet, in freundlicher, segnender Absicht aufgeträufelt und die so Bedachten
bedanken sich artig dafür.
So war das mal. Von „Träufeln" kann inzwischen keine Rede mehr sein, Masse ersetzt
Klasse und es muss mindestens eine Wasserpistole sein. Nun sind das auch längst
nicht mehr solche, die unsereins aus der Kindheit kennt - die hiesigen Exemplare
erinnern an eine Kreuzung aus Flammenwerfer und Gloria-Gartenspritze, mit Tanks
auf dem Rücken und einer Reichweite des bleistiftdicken Strahls von über 10 Metern!
Da bleibt nicht nur kein Auge trocken, dieser Wasserkrieg ist ein Ganzkörpererlebnis!
Vielleicht gibt es auch hier Eltern, die ihren Kindern Kriegsspielzeug verbieten - das
würde erklären, dass jede Straßenecke fest in der Hand von gut organisierten Kinderund Halbwüchsigenbanden ist: Ein Stadtguerillero versorgt per Gartenschlauch ein
großes Sammelgefäß mit ständigem Wasserzufluss, mehrere Frontkämpfer schöpfen
daraus mit Eimern und Bechern aus dem Vollen und nehmen Passanten aufs Korn.
Sehr aufschlussreich: Die ansonsten eher durch schüchternen Liebreiz bestechenden
laotischen Mädchen scheinen eine Metamorphose durchlaufen zu haben: Selbst solche
im Vorschulalter mutieren zu wahren Wasserteufeln!# Vorzugsweise scheinen sich
Mopedfahrerinnen als Zielscheiben zu eignen, viele tragen deswegen wenigstens an
diesen Tagen einen Helm... Eine beliebte Taktik ist auch das Anschleichen von hinten
an Fußgänger, um ihnen dann eine Schüssel Wasser in den Nacken zu kippen - Sok di
Pi Mai!
Die „Gesegneten" tragen es mit Fassung, oft sehen wir tatsächlich Gesten des Dankes!
Zumindest das scheint also geblieben vom ursprünglichen Brauch...
Frau Peters und ich verfolgen das Geschehen in den nächsten zwei Tagen aus der
halbwegs sicheren Perspektive Anteil nehmender Beobachter und treiben
Feldstudien. Dabei fällt auf, dass die Feiertage durchaus einer gewissen Ordnung
folgen: vor 11 Uhr morgens ist ein normales Stadtleben ohne größere
Beeinträchtigung möglich, dann setzen die oben erwähnten Scharmützel ein. Hat man
sich einigermaßen darauf eingestellt und zu einem persönlichen Stil der Vermeidung
größerer „Betroffenheit" gefunden, erfährt das Geschehen am späten Abend eine
Eskalation. Gruppen von Jugendlichen und Präadoleszenten bevölkern die
Ladeflächen von Pickups. Zwischen ihnen steht eine große Wassertonne und ein
ebenso großer Vorrat an Bier. Der Leser ahnt, was kommt: Man fährt durch die
Straßen und begießt alles, was nicht schnell genug in Deckung geht, mit Mengen an
Wasser. Begegnen sich zwei solcher Kampfwagen, kommt es zu regelrechten
Wasserorgien; der Vergleich mit Bildern aus der Zeit des Zusammenbruchs Somalias
unmittelbar nach Flucht der US-Streitkräfte drängt sich auf...
Zur Ehrenrettung der meisten Kombattanten muss allerdings gesagt werden, dass ein
Verweis auf das Teleobjektiv ausreicht, den eigenen Status als Kriegsberichterstatter
geltend zu machen und von direkten Angriffen verschont zu werden!
Gut, alles nur Wasser! Könnte man sagen und schön wäre es ja! Leider scheint es
Mode zu sein, allerlei Zusätze beizumischen, man erzählte uns von aufgelöstem
Lippenstift, Seifenpulver und Wasserfarben... Wem das noch nicht nachhaltig genug
ist, schwärzt seine Handflächen mit Ruß von der Unterseite des heimischen Woks und
begrüßt so andere Passanten mit zärtlichem Streicheln der Wangen: „Sok di Pi Mai!"
Auch hierzulande scheinen alte Bräuche einer Beschleunigung zu unterliegen: Galt
früher bei uns das gute alte Kettenkarussell als Höhepunkt des Kirmesvergnügens,
muss es heute wenigstens der Free Fall Tower sein. Wer weiß, vielleicht rollen in
einigen Jahren ferngesteuerte Wasserwerfer durch Luang Prabang, mit Juckpulver als
Zusatz? Sok di Pi Mai!
Ach ja, das gab es ja auch noch: Feierlich zieht eine Prozession intensiv geschminkter
und im Prinzessinnenstil geschmückter Mädchen in der Mittagshitze durch die Stadt,
gefolgt von Abordnungen verschiedener Ethnien und gesellschaftlicher Randgruppen ,
darunter einige durchaus sehenswerte Transvestitenbeine.
Höhepunkt ist die Wahl der Miss Luang Prabang nach Kriterien, die sich uns nicht
erschließen.
Der letzte Tag des Festes ist auch unser letzter in Laos. Nach einer abschließenden
Besprechung der nächsten Entwicklungsschritte verabschieden wir uns von Anja in
dem sicheren Gefühl, die Geschicke des Vereins in ihren Händen bestens aufgehoben
zu wissen.
In Bangkok ist das ATLANTA Hotel wieder Ausgangspunkt für Exkursionen zu sowohl
bewährten Vergnügungen wie dekadenten Cocktails in luftiger Höhe als auch
Neuentdeckungen: Weder kannten wir diesen englischen Tearoom, noch hatten wir
uns bisher in das „Old German Beerhouse" getraut - geballte teutonische Gastronomie
bei 35 Grad!
Nach langer, von Frau Peters geduldig ertragener Suche („Ich will aber auch noch in
ein Shopping Center!") finde ich endlich in den Katakomben eines einschlägigen
Lagerhauses das Geisterhaus aus Teakholz, gerade noch ins Taxi
passend!
Das komplette Inventar und Zubehör kaufe ich gleich mit. „Willst du das wirklich
mitschleppen? Wie soll das denn im Flieger transportiert werden?" Weiß ich so genau
auch noch nicht, aber irgendwie...
Die rührend entgegenkommenden China Airline Leute fertigen das Teil dann völlig
problemlos als Sondergepäck ab - und es kommt in tadellosem Zustand in Amsterdam
an! Wer will auch schon Geister provozieren?
Bodo Peters
P.S.1: Das Geisterhaus hat einen würdigen Platz gefunden und erinnert täglich daran,
dass es noch etwas gibt zwischen Himmel und Erde...
P.S.2: Wir waren nicht nur in einem, sondern in zwei Shopping Centern!