Fascism Past and Present, West and East - ibidem

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Fascism Past and Present, West and East - ibidem
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Fascism Past and Present, West and East
Beigesteuert von Ralph Kummer
27.09.2006
Der Band verspricht eine Bestandsaufnahme der Faschismusforschung aus vergleichender Perspektive, die um den
Faschismus-Begriff von Roger Griffin zentriert ist. Der umfangreiche Diskussionsband wendet sich jedoch vor allem an
Wissenschaftler und fortgeschrittene Studierende. Die Debatte im akademischen Elfenbeinturm ist zwar wenig an
"praktischem Nutzwert" orientiert, ist aber ein solides Fundament vielleicht sogar für einen revitalisierten "Historikerstreit".
Roger Griffin, Werner Loh und Andreas Umland (Hrsg.):
Fascism Past and Present, West and East. An International Debate on Concepts and Cases in the Comparative Study of
the Extreme Right. With an afterword by Walter Laqueur, ibidem-Verlag, (Soviet and Post-Soviet Politics and Society,
Edited by Dr. Andreas Umland, Bd. 35), Stuttgart 2006.
"Historikerstreit" und "Faschismustheorien" reloaded?Dem Buchtitel nach zu urteilen, streben die Herausgeber Großes
und Umfassendes an: eine Bestandsaufnahme, einen Globalblick der Faschismusforschung auf Vergangenes und
Gegenwärtiges sowie auf rechtsextreme Erscheinungsformen im Westen und Osten. Die Analyse der Theorien, Konzepte
und Einzelfälle soll zudem aus vergleichender Perspektive erfolgen. Der 510seitige Diskussionsband ist gespickt mit
kontroversen Beiträgen von 31 Wissenschaftlern, darunter Roger Griffin, Ernst Nolte, Stanley Payne, A. James Gregor
oder Wolfgang Wippermann. Man könnte ihn als Weiterschreibung des "Historikerstreits" und der Debatten um "die
Faschismustheorie" unter aktuellen politisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten auffassen.
Die Autoren nehmen in der ersten Runde Stellung zu einem längeren Leitartikel des in Oxford lehrenden Griffin, dieser
erhält die Möglichkeit einer Replik, darauf folgen wiederum kritische Auseinandersetzungen mit Griffins Thesen und eine
zweite Replik. Insgesamt zeichnet diese Veröffentlichung einen teilweise leidenschaftlichen und hitzigen akademischen
Streit nach. Ein zweiter, aber wesentlich kürzerer Diskussionsstrang beschäftigt sich mit Aleksandr Dugin und der extremen
Rechten in Putins "Neuem Russland". Der Publizist Dugin ist Gründer, Ideologe und Vorsitzender der so genannten
Internationalen Eurasischen Bewegung und sympathisiert mehr oder weniger unverhohlen mit neurechten bzw.
nationalbolschewistischen Konzepten. Die Autoren des zweiten Themenblocks gehen insbesondere der Frage nach, ob
Dugin wirklich ein Faschist ist und wo seine ideologischen Wurzeln liegen. Im Anhang ist zur besseren
Nachvollziehbarkeit der Debatte ein Originalaufsatz Dugins ("Fascism - borderless and red") zu finden.
Griffin entwickelt in seinem vorangestellten Aufsatz einen kulturhistorischen, generischen Faschismusbegriff, der - nicht
als Epochenbegriff verstanden - auch zur Analyse heutiger politischer Ideologien geeignet sein soll. Der Kern
faschistischer Ideologie liege in dem Mythos einer "palingenetischen Form eines populistischen Ultra-Nationalismus"
(palingenetic form of populist ultra-nationalism, S. 41). Faschismus sei ein revolutionäre Form des Ultra-Nationalismus,
dem es um die Wiedergeburt der Nation gehe. Im Deutschen ist der Begriff der "Palingenese" (neben der Biologie und
der Geologie) vor allem aus der Religionswissenschaft geläufig, wo er im Sinne von "Wiedergeburt" verwendet wird; in
den englischsprachigen Sozialwissenschaften findet er darüber hinaus vor allem durch Griffin auch Anwendung für politischideologische Bewegungen, die einen gesellschaftlichen Zustand der "Dekadenz" durch eine revolutionäre, reinigende
"Wiedergeburt" der Nation mit dem Beginn einer neuen Ära zu überwinden suchen. An dieser Definition des Faschismus
wird beispielsweise aufgrund ihrer ahistorischen Ausrichtung von einigen Wissenschaftlern Kritik geübt.
Die Nachkriegs-Erscheinungsformen des Faschismus sind gemäß Griffin durch einen Wandel der Organisationsstruktur
gekennzeichnet. Dieser Wandel habe zu einer aus mannigfaltigen Kleinstgruppen aufgebauten, polyzentrischen,
nichthierarchischen und führerlosen Bewegung mit fließenden Grenzen geführt. Den Terminus "groupuscularization"
(Bildung von "groupuscules", kleiner Splittergruppen; vgl. S. 54) für das nicht-parteiliche, splitterhafte Spektrum schlug
Griffin bereits 2003 in seinem Aufsatz "From slime mould to rhizome: an introduction to the groupuscular right" (Patterns
of Prejudice 37/1, S.27 ff.) vor. Diesen interessanten Ansatz übernehmen zum Beispiel Grumke und Klärner in ihrer
aktuellen Veröffentlichung Rechtsextremismus, die soziale Frage und Globalisierungskritik (FES, Forum Berlin, 2006).
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Kurz gesagt geht es in dieser von Griffin, Loh und Umland herausgegebenen Zusammenstellung um die ausführliche
Wiedergabe eines lebendigen akademischen Diskurses, die Definition eines generischen Faschismusbegriffs, die
Analyse des Nationalsozialismus/italienischen Faschismus aus komparativer Sicht, die angemessene Einschätzung
aktueller rechtsextremistischer Tendenzen und deren Vergleichbarkeit mit den Zwischenkriegsfaschismen, den Ertrag
einer Faschismustheorie für die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten in Europa und Asien sowie die
Beurteilung der rechten Szene im heutigen Russland.
In diesem Buch entsteht und verfestigt sich durch die ständigen Verweise auf Griffins Hauptartikel/Replik oder
Abhandlungen anderer Autoren der Eindruck eines realen, lebhaften Gesprächsprozesses. Jedoch wendet sich die
Veröffentlichung hauptsächlich an Wissenschaftler und in diesem Themenkomplex fortgeschrittene Studierende, weil sie
einiges an Wissen voraussetzt und dadurch Grundlegendes unerläutert bleibt. Inhaltlich bekommt der geneigte Leser
einen umfangreichen Überblick über diesen Forschungszweig, nur wenige Aspekte werden ausgespart - spektakuläre
neuartige Erkenntnisse sind hingegen nicht zu gewinnen. Es entsteht vielmehr der Eindruck, die akademische Debatte
schreitet auf (höchst) theoretischem Niveau inklusive semantischer Akribie zwar langsam voran, dreht sich von Zeit zu
Zeit jedoch auch wieder im Kreis, hält sich an peripheren Details auf und ein "praktischer Nutzwert" jenseits des
akademischen Elfenbeinturmes gerät ein wenig aus den Augen.
Das Nachschlagen in einem der zum Teil sehr kurzen Aufsätze, auf den verwiesen wird, erschwert sich dadurch, dass in
der Kopfzeile des Bandes zum Beispiel nicht zu erkennen ist, wessen Argumente man sich gerade zu Gemüte führt,
sondern nur die Herausgeber und der Buchtitel zu lesen sind. Dies verkompliziert die Navigation ungemein. Darüber
hinaus wirkt der Teil, der sich mit Dugin befasst, ziemlich aufgesetzt - fast so, als soll "Fascism Past and Present, West
and East" dem Titel der Edition durch explizite Beschäftigung mit postsowjetischer Politik "gerechter" werden. Auch in
puncto Layout wäre mehr Mühe wünschenswert gewesen.
Es ist schlussendlich zu hoffen, dass dieser Band eine weite Verbreitung in der wissenschaftlichen Gemeinde erfährt,
damit eine Diskussion um Form, Wesen, Einordnung und Analyse der Gefahrenpotenziale des gegenwärtigen
Rechtsextremismus unter Berücksichtigung historischer Aspekte ins Rollen gerät, die in einen revitalisierten
"Historikerstreit" münden könnte. Statt hin und wieder auftretenden kleineren Scharmützeln wäre es rund zwanzig Jahre
danach durchaus an der Zeit, diesen nach wie vor aktuellen und brisanten Faden erneut aufzugreifen und mit neuen
Erkenntnissen zu würzen. Lobenswert ist auch der transatlantische Gesprächsansatz, um beispielsweise eine eher
innereuropäische oder gar rein deutsche wissenschaftliche Sicht wie zu Zeiten des "ersten" Historikerstreits zu vermindern.
Ein mehr als solides Fundament für eine neuerliche Debatte auf breiter Ebene bietet dieser argumentationsstarke und
sehr meinungsplurale Diskussionsband. Inhalt und Umfang werden dem aus dem Titel ableitbaren ambitionierten
Unterfangen weitestgehend gerecht.
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