V B 164/06 - IHK Hannover

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V B 164/06 - IHK Hannover
Umsatzbesteuerung von Kleinunternehmern mit schwankenden Umsätzen
UStG 1999 § 19 Abs. 1 Satz 1
§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 gilt nach seinem Sinn und Zweck grundsätzlich
auch dann, wenn bereits zu Beginn des Jahres voraussehbar ist, dass der
Jahresumsatz wieder unter die Grenze von 17 500 EUR sinken wird.
BFH, Beschl. vom 18.10.2007 - V B 164/06 ( Vorinstanz: FG Berlin vom 2. 8. 2006
2 K 5490/05)
Gründe
I.
Im Jahr 2002 und dem Streitjahr (2003) führte der Kläger und Beschwerdeführer
(Kläger) jeweils nur einen Umsatz aus. Die Hauptauftraggeberin des Klägers hatte im
Jahre 2003 ihren Geschäftsbetrieb eingestellt, so dass weitere Aufträge durch diese
nicht mehr zu erwarten waren.
Die Bruttoumsätze des Klägers beliefen sich im Kalenderjahr 2003 und den
Vorjahren auf:
2001 0 EUR
2002 42 340,00 EUR
2003 8 700,00 EUR
Für das Kalenderjahr 2002 erhob der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt -FA-) keine Umsatzsteuer, weil der Kläger die Umsatzgrenzen des § 19
Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) i.d.F. des Art. 14 Nr. 7
des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge vom
19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1790, BStBl I 2001, 3) nicht überschritten hatte.
In seiner Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 2003 ging der Kläger davon
aus, dass er weiterhin Kleinunternehmer sei, weil er die Umsatzgrenze des § 19
Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 i.d.F. des Art. 5 des Gesetzes zur Förderung der
Kleinunternehmer und zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung
(Kleinunternehmerförderungsgesetz) vom 31. Juli 2003 (BGBl I 2003, 1550, BStBl I
2003, 398) von 17 500 EUR im Kalenderjahr 2003 nicht überschritten habe.
Abweichend hiervon setzte das FA mit Bescheid über Umsatzsteuer vom 29. Juni
2005 die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2003 auf 1 200 EUR fest. Zur
Begründung verwies es darauf, dass der Umsatz im Kalenderjahr 2002 mehr als
17 500 EUR betragen habe und somit die sog. Kleinunternehmerregelung nicht zur
Anwendung komme. Den Einspruch des Klägers wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 10. November 2005 als unbegründet zurück.
Die hiergegen erhobene Klage des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Erforderlichkeit einer Entscheidung
des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung stützt.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision
zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1 der
Vorschrift) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (Nr. 2 der Vorschrift). Die
Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO).
In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO
dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
2. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO,
wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse
der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts
berührt. Die Zulassung der Revision kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und
klärbaren Rechtsfrage in Betracht. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich
die streitige Rechtsfrage ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder
bereits aufgrund der Rechtsprechung geklärt ist (vgl. BFH-Beschluss vom
16. Oktober 1998 V B 56/98, BFH/NV 1999, 227, m.w.N.).
Der Kläger misst der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob von der
Erhebung der Umsatzsteuer für das laufende Kalenderjahr auch dann abzusehen ist,
wenn zwar die Umsätze des Vorjahres die Grenze des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999
i.d.F. des Art. 5 des Kleinunternehmerförderungsgesetzes von 17 500 EUR
überschreiten, nicht jedoch diejenigen des laufenden Kalenderjahres. Diese
Rechtsfrage lässt sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten.
a) Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 wird die für die Umsätze
i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 geschuldete Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn
der in Satz 2 bezeichnete Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im
vorangegangenen Kalenderjahr 17 500 EUR nicht überstiegen hat und im laufenden
Kalenderjahr 50 000 EUR voraussichtlich nicht übersteigen wird.
Diese Voraussetzungen waren im Kalenderjahr 2003 nicht erfüllt, da der
maßgebende Vorjahresumsatz (zuzüglich Steuer) 17 500 EUR überstiegen hat.
b) § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 gilt nach seinem Sinn und Zweck grundsätzlich
auch dann, wenn bereits zu Beginn des Jahres voraussehbar ist, dass der
Jahresumsatz wieder unter die Grenze von 17 500 EUR absinken wird (ebenso
Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 223 Rz 64 und 71; Heidner in Bunjes/Geist,
UStG, 8. Aufl., § 19 Rz 5; Hundt in Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, Kommentar
zum Umsatzsteuergesetz, 2. Aufl., § 19 Rz 7; Zugmaier in Hartmann/Metzenmacher,
Umsatzsteuergesetz, E § 19 Rz 35 und 39; Westenberger in Offerhaus/Söhn/Lange,
§ 19 UStG Rz 26 f.; Widmann in Plückebaum/Malitzky/Widmann,
Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 19 Rz 23; Mößlang in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuer, § 19 Rz 14; offengelassen in BFH/NV 1999, 227).
Durch das Abstellen auf den Gesamtumsatz des vorangegangenen Kalenderjahres
wird erreicht, dass der Unternehmer bereits zu Beginn des laufenden Kalenderjahres
darüber Kenntnis hat, ob von ihm aufgrund der Umsatzfreigrenze von 17 500 EUR
Umsatzsteuer erhoben wird oder nicht und ob er Umsatzsteuer in Rechnung stellen
darf und Umsatzsteuervorauszahlungen zu leisten hat.
Die zusätzlich eingefügte 50 000 EUR-Grenze (voraussichtlicher Umsatz des
laufenden Kalenderjahres) soll lediglich verhindern, dass die vorgesehene Regelung
zu einer nicht mehr vertretbaren ungleichmäßigen Besteuerung führt (vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes -UStG 1979- ,
BTDrucks 8/1779, BTDrucks 8/2827, 1, 77 f.; Zugmaier in Hartmann/Metzenmacher,
a.a.O., E § 19 Rz 2). Sie findet in Kalenderjahren, in denen der Unternehmer sein
Unternehmen beginnt, keine Anwendung. In diesen Fällen ist die Umsatzgrenze von
17 500 EUR für das laufende Kalenderjahr maßgeblich (vgl. BFH-Urteil vom
22. November 1984 V R 170/83, BFHE 142, 316, BStBl II 1985, 142). Der
voraussichtliche Gesamtumsatz ist dabei gegebenenfalls entsprechend der Vorschrift
des § 19 Abs. 3 Sätze 3 und 4 UStG 1999 auf einen für das restliche Jahr
prognostizierten Gesamtjahresumsatz umzurechnen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 142,
316, BStBl II 1985, 142). Ebenso hat die Umsatzgrenze von 50 000 EUR keine
eigene Bedeutung, wenn der Vorjahresumsatz bereits die Grenze von 17 500 EUR
übersteigt (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1992 V R 91/87, BFHE 169, 548, BStBl II
1993, 209). Bedeutung hat die Umsatzgrenze nur für den Fall, dass die Umsätze des
vorangegangenen Jahres geringer sind als 17 500 EUR, aber im laufenden Jahr
voraussichtlich 50 000 EUR übersteigen.
Die vom Kläger vertretene Auffassung, dass die Steuer nicht erhoben werden darf,
wenn der Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr zwar 17 500 EUR überstiegen
hat und im laufenden Kalenderjahr 17 500 EUR voraussichtlich nicht übersteigen
wird (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 19 Rz 29; Conradi,
Deutsches Steuerrecht 1980, 618, 619), findet daher keine Stütze im Gesetz (vgl.
Widmann in Plückebaum/Malitzky/ Widmann, a.a.O., § 19 Rz 23).
3. Eine Entscheidung des BFH ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
a) Mangels Klärungsbedürftigkeit der vom Kläger herausgestellten Rechtsfrage (dazu
bereits unter II. 2.) ist eine Revision zur Fortbildung des Rechts nicht geboten.
b) Ebenso ist eine Revisionszulassung auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten. Die Vorentscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung
des BFH ab; das FG kommt unter Berücksichtigung des BFH-Urteils in BFHE 169,
548, BStBl II 1993, 209 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1
Satz 1 UStG 1999 aufgrund Überschreitens der Vorjahresumsatzgrenze von
17 500 EUR im Kalenderjahr 2003 nicht erfüllt sind.
DB 2008, 39
BFH/NV 2008, 325