Zu Besuch bei Nils Holger Moormann
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Zu Besuch bei Nils Holger Moormann
i n t e r v i e w A u t o r : F o t o s : J o h a n n a C h r i s t i a n W i t t m a a c k M e t z l e r P h o t o g r a p h y Seit sechs Saisonen begleiten „Kuratoren des Jahres“ die Designmesse blickfang. Mit Nils Holger Moormann engagiert sich nun ein Querdenker und Freigeist, der sich als Möbelproduzent einen Namen gemacht hat. Nils Holger Moormann eilt sein Ruhm So weit, so bekannt. Höchste Zeit also für einen voraus. Kein deutsches Designglossar verzichtet auf die Erwähnung des bayrischen Möbelproduzenten. Zu seinem Portfolio gehören Klassiker Blick auf den Menschen, den Charakter Nils Holger Moormann. Schließlich begleitet und berät er die blickfang-Macher nun als Kurator wie das „Gespannte Regal“ und das modulare des Jahres. Unmittelbar nach dem dreitägigen Regal „FNP“, der extravagante Rollsessel „Bookinist“ steht neben aktuellen Entwürfen wie dem blickfang Designworkshop in dem Gästehaus berge – das Nils Holger Moormann unversehens „Pressed Chair“. In der etablierten wie in der zum Hotelier machte, aber dazu später mehr jungen Designszene genießt Nils Holger Moormann großen Respekt: Er gehört zu den weni- – besuchen ihn blickfang-Geschäftsführerin Jennifer Reaves und Pressesprecherin Johanna gen Produzenten, der jede Kooperationsanfrage prüft und beantwortet. Wittmaack in seiner Firma. „Zur Festhalle 2“, Aschau, lautet die Adresse, in tiefster bayrischer 39 i n t e r v i e w Provinz zwischen Kampenwand und Chiemsee. bunten Fahnen vor dem traditionellen Bau weist In den Straßen sieht man fremde Kennzeichen nichts darauf hin, dass sich genau hier eine und zum Wandern gerüstete Leute. Bis auf die tonangebende Designgröße eingenistet hat. Für ihn, der als Quereinsteiger ohne Designwissen und Businessplan ein Unternehmen gründete, war auch der Standort egal. Ein goldenes Stück Erde und Businessplan ein Unternehmen gründete, Tatsächlich landete Nils mehr durch Zufall war auch der Standort egal. Obwohl Nils sich denn Plan in Aschau. Sein Vater war ein erfolgreicher Stuttgarter Unternehmer, bis er im hohen Alter scheiterte. „Mit den Resten, die er heute sehnlichst Gewerbeinfrastruktur und eine bessere Logistik herbeiwünscht, ist er nie weitergezogen. „Als ich damals hier hängen noch retten konnte, ist er nach Bayern und hat geblieben bin, fand ich das gar nicht toll. Heute sich einen Einöd-Hof hier im Nachbarort geleistet. So bin ich zum ersten Mal hergefahren, würde ich sagen: Wow, was für ein Glück! Privat allemal, weil Aschau wirklich Deutschlands aber mit 16 gleich wieder ausgebüchst“, erzählt schönste Ecke ist. Fürs Geschäft aber auch: Nils rückblickend. „Aber wenn du Natur liebst, was ich extrem tue, dann ist Aschau einfach Wenn die Workshopteilnehmer oder Kunden oder Geschäftspartner herkommen, erwartet ein goldenes Stück Erde.“ Darum ließ er sich in den 80er Jahren selbst in Bayern nieder. Für sie hier was Besonderes. Das ist sonst schwierig zu erzeugen.“ ihn, der als Quereinsteiger ohne Designwissen 41 i n t e r v i e w Ebenfalls in Aschau, keine fünf Minuten Fußweg von der Firma entfernt, steht auch Nils Holger Moormanns Gästehaus „berge“. Was für die Gäste eine herrliche Unterkunft ist, ist für Nils „ein voll gescheitertes Projekt“. Denn eigentlich wollte er eine Lagerhalle bauen und kaufte ein firmennah gelegenes Grundstück mit einer Ruine darauf. Die Nachbarn protestierten, das Amt verhängte Verbote – aber die Ruine, die war trotzdem da und brauchte ein neues Dach. „Ich bin Unternehmer. Ich kann’s nicht ertragen, wenn Dinge runterkommen. Oder wenn irgendwas nicht aufgeräumt ist, dann bring ich’s in Ordnung“, erzählt Nils. „Erst das Dach, dann den Kern – und letztlich hab ich’s zurückgebaut und mir gesagt ‘da machen wir das Grandhotel Aussichtslos’ draus.“ Doch zu dem Hotel mit Vollpension kam es nie: Der Name „berge“, dem das Versprechen von Heimkehr und Geborgenheit inne wohnt, gab dem Projekt eine neue Richtung. Heute hat jeder Raum Küche und Charakter. Ebenso wie die Waggons, die sich um das Bild oben: Nur an den Fahnen kann man erahnen, dass im traditionellen Stallbau heute Design betrieben wird. Bild unten: Ein uraltes Gemäuer verwandelte Nils zu einem modernen Gästehaus. 42 i n t e r v i e w Jeder Raum der "berge" hat einen eigenen Charakter. Haus herum gruppieren. Auch die stehen dort entgegen aller Widrigkeiten. „Bei ____ Was für die Gäste eine herrliche Unterkunft ist, ist für Nils „ein voll gescheitertes Projekt“. ‚berge‘ ist das so: Da gab’s ein prinzipielles Bauverbot. Also kein behördliches, sondern ein privatrechtliches. Darfst gar nichts bauen. Boah, war ich verzweifelt!“ Nils macht eine Pause und linst ins Gesicht der Zuhörer. „Habt ihr gesehen, dass an den Vorbauten überall Rollen drunter sind? Dass die Hüttchen alle auf Schienen stehen?“ Mit seinem Einfallsreichtum schlägt Nils Holger Moormann dem Leben Schnippchen. Immer wieder. Fotografie: Jäger&Jäger 43 i n t e r v i e w Dem Leben Schnippchen schlagen Leicht fällt ihm das aber nicht. „Ich kriege da einen bleiernen Geschmack. Das liegt auch in meiner Familiengeschichte: Meine Eltern sind sehr erfolgreich unterwegs gewesen und Fehler können sich jedoch nicht nur in Produk- haben im hohen Alter einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten. Wenn man das als Heranwachsender mitkriegt, ist das wie ein Damoklesschwert über einem. Dann weißt du irgend- Bank gehabt – die örtliche Hausbank hat mir einen Kredit verweigert. Das hat mich aber gelehrt: Als absoluter Freiheitsvogel lässt du dich wie, dass auch andere Sachen möglich sind.“ Die Kunst sei nur, dass Fehler nicht in Serie dann über viele Jahre total runtergeschaltet. Hab mir halt nichts leisten können, was mit kommen, betont Nils. So hat er triftige Gründe für eine absurde Installation in seinem Showroom: Zahlreiche Riemen und Klemmzwingen verbinden einen Motor, ein Fahrrad, einen Bank leicht möglich gewesen wäre.“ Doch ohne „Pressed Chair“ und ein „K1“-Regal. Über einen Trau ich mir zu, dass ich das kann? Fange ich an roten Buzzer lassen sie sich in Bewegung setzen – und führen einen typischen Belastungstest auszuweichen? Bin ich immer noch neugierig, oder ist das nur noch ein schönes Spiel? Das ist ja eine stetige Prüfung, die man dann hat. Aber durch. Die Stuhllehne biegt sich, die Schranktür öffnet sich, dreißig, hundert, mehrere tausend Mal. So entdeckt Nils Fehler, ehe er sie in Serie produziert. 44 tionsprozesse, sondern auch in die Finanzen einschleichen. Nils hat diese Lektion früh gelernt: „Ich hab Gott sei Dank im zweiten Jahr meiner Karriere ein brutales Problem mit der nie mehr von Banken kontrollieren! Ich hab Finanzhilfen zu wachsen, sei auch eine gute Prüfung: „Desto härter es wird, desto mehr musst du dich beweisen. Will ich das wirklich? das langsamer Tun ist was Gutes, das ist nichts Schlechtes. Die, die heute Design machen, sind nur so jung und gedrillt: Ich bin jetzt ein Brand, ich mach eine Firma – das geht aber so schnell nicht! Das dauert halt.“ i n t e r v i e w Wie bei „berge“ oder dem Wachstum ohne Bank w u rzeln v iele von Nils Holger Moormanns Erfolgen in Niederlagen. Die bislang schwerste führte ihn zu seinem aktuellen Herzblut-Projekt: einer Wohnwagenserie. Einmal im Jahr taucht Nils ab und erkundet die Welt. Mit seinem Lieblingsmobil, dem Fahrrad, besuchte er beispielsweise Burma und Myan- TRAUM VON FREIHEIT mar, als es noch nicht mal Reiseliteratur dazu gab – bis er einen tragischen Unfall miterlebte. „Um mit der Situation zurechtzukommen, hab ich als Einschlafübung angefangen, im Kopf kleinstmögliche Räume einzurichten. Ich hab mich gefragt: Wie geht auf fünf oder sieben Quadratmetern ein ganzes, organisiertes Wohnleben?“ Das sei kein großer Wurf, aber eine große Designleistung. Doch als Nils sein Konzept Experten vorstellte, hörte er, dass seine Ideen schon Jahrzehnte alt seien. Möbel von Nils Holger Moormann haben Stallgeruch - im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat sich trotzdem durchgebissen. „Bei mir hat sich das so verselbstständigt, dass ich mir gesagt hab, ‚ich bau mir jetzt so ein Ding‘. Und dann hab ich mir tatsächlich ein Fahrgestell gekauft und eine Firma gefunden, die mir nach meinem Maß oben das Schneckenhaus draufbaut. Großes Abenteuer! Hat anderthalb, zwei Jahre gedauert, dann war das Ding fertig.“ Jetzt arbeitet sein Team mit einem Wohnmobil-Bauer an einer Kleinserie. Den Trend zum luxuriösen Wellness-Glamping mit „Plaste-Elaste-Pseudo-Dekoren“ findet Nils jedoch grausam: „Dieser Traum von Freiheit, auch wenn’s nur ein Traum ist, sollte doch auf adäquate Gestaltung treffen. Und das ist eigentlich ganz einfach: Man muss mit ehrlichen Materialien arbeiten und sie sauber komponieren. Fasse ich Holz an oder fasse ich ein Laminat an? Das Laminat ist mit Sicherheit in so einem Auto viel, viel praktischer; aber es ist einfach auch viel, viel furchtbarer.“ 45 i n t e r v i e w ____ Lieber nach vorne gewandt und produktverliebt bleiben. Dass die Sicht sich wandelt, gilt nicht nur für Bücher, sondern auch im Beruf. Seit mehr als 30 Jahren führt Nils seine Firma und sagt: „Man muss dabei aufpassen, dass man nicht zu Dünnhäutigkeit, die weh tut Auch privat sei Nils „Höhlenmensch“ und gescheit wird. Ich merk das bei vielen älteren Leuten, bei mir jetzt langsam auch: Wenn man „leidenschaftlicher Kleinhäusler“. „Ich hab natürlich ein eigenes Haus, und das ist innen von Künstlern komplett bemalt. Komplett! Das etwas sein ganzes Leben lang machst, dann glaubst du brutal an dich. du machst das super – weil du natürlich einen Haufen Erfahrung ist glaub ich nicht so, wie man erwartet, dass ein Designer wohnt“, sagt er. Bis seine Partnerin einzog, war sogar Platz für ein Carrerabahn- hast. Du kommst auch damit durch, bei einigen roten Ampeln einfach flott durchzufahren. Sogar mit Applaus! Aber wenn du beratungs- Zimmer; jetzt bleiben Bücher. Hunderte. Schon resistent wirst, wird das irgendwann schwierig. im „berge“ wartet auf die Gäste anstelle von WLAN eine gutsortierte Bibliothek. Denn Nils fasst, seit er 14 ist, zu jedem Buch eine handschriftliche Rezension. Trotzdem vergesse er manchmal Titel und kaufe sie doppelt. Doch Du brauchst auf Dauer Dünnhäutigkeit, die ja eigentlich weh tut.“ Darum will er auch seinen Erfolg nicht spüren: „Der kann dich ziemlich dumpf und blind machen. Ich find das eher gefährlich. Ab und zu ist Stolz ganz schön – aber nicht zu viel des Guten, bitte. Lieber nach vorne doppelt lesen muss nichts schlechtes sein, sagt gewandt und produktverliebt bleiben. Neu- Nils, denn die Sicht auf Bücher könne sich gewaltig ändern: „Da waren Bücher, die hab ich gierig bleiben. Ausprobieren. Und ja ... den Job so verstehen, wie er ist: Nicht als reines Geschäfts- verrissen mit 25, von denen hab ich gesagt, ‚der modell, sondern eher als ewiges Suchen. Als Autor ist ein Pseudo-Intellektueller‘ – und jetzt lese ich sie mit hohem Genuss. Und andersherum. Heute lese ich meine Jugendfavoriten und sag, ‚hachja, war halt eine romantische ein Lebensmodell, das betört von täglich neuen Einflüssen, von Ideen, die dich einfach immer weiter leiten.“ Nils Holger Moormann ist also noch lange nicht am Ende seines Weges. Und Zeit‘.“ dabei immer noch bescheiden. liest 20.000 bis 80.000 Seiten im Jahr – und ver- 47