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eXtra eXtra lawinen: risikomanagement DAS BERGmAGAzIn lawinen sicher auf tour: risikomanagement rettungsmanagement sicherheitsausrüstung 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 1 EXTRA 1 05.12.2007 11:14:23 Uhr & 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 2 0 < &0 0< &< &0< . 05.12.2007 14:51:08 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Inhalt Seiten 4Sicher auf Tour Muster-Skitour zum Traumkogel 7Interpretation Lawinenlagebericht Alles eine Frage der Auslegung 8 Risikomanagement Drei Kärtchen gegen den weißen Tod 14 Rettungsmanagement Ortung – Rettung – Bergung 18 ABS-Rucksack Ein Ballon, der retten kann 20 Sicherheitsausrüstung Das Beste ist gerade gut genug 23 LVS-Geräte im Test Ein Leistungs-Update Die ALPIN-Spezialisten in Sachen Risikomanagement: Paul Mair (rechts), Walter Zörer (unten) und Walter Würtl von mc2alpin. Keine Frage der Ehre I ch kann mich noch gut an die Bergführerausbildung vor Jahren erinnern. Der ABS-Rucksack war heiß um- stritten. „Unseriös“, sagten die einen, „unter der Würde eines Bergführers“ andere. Die Einstellung zum ABS hat sich geändert, auch (oder gerade?) unter den Bergführern. Denn heute wissen wir, dass wir nicht viel wissen. Über den Schnee und die Lawinen. Risikomanagement ist das Zauberwort. Deshalb freuen wir uns ganz besonders, dass wir die Experten von mc2alpin – Verein für Erlebnis und Sicherheit – aus Innsbruck als federführende Autoren für dieses EXTRA gewinnen konnten. Paul Mair, Walter Würtl und Walter Zörer geben Ihnen als Bergführer und Alpinwissenschaftler das wirksamste Instrumentarium an die Hand, um mit dem Gefahrenpotenzial Lawine verantwortlich umgehen zu können. Das Sicherste ist es freilich immer, keine Lawine auszulösen und unter kein Schneebrett zu kommen. Deshalb ist die oberste Priorität die Vermeidung von Lawinen. Ohne wenn und aber! Um dieses Ziel zu erreichen, möchten wir Ihnen mit diesem Extra viel geballtes Knowhow an die Hand geben. Und wenn trotzdem mal was schiefgeht? Einmal verschüttet, ist jeder zu 100 Prozent auf Hilfe von außen angewiesen. Und Hand aufs Herz: Sind Sie sicher, dass all Ihre Skitouren-Freunde wirklich fit bei der Ortung und Bergung von Verschütteten sind? Ich habe lieber ein System dabei, das mir zumindest die Möglichkeit gibt, dass ich erst gar nicht verschüttet werde. Die Statistik des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos spricht eine deutliche Sprache: Zwischen 1991 und 2007 wurden 168 mit ABS ausgerüstete Skifahrer erfasst, davon sind acht Personen tot, 160 Personen haben überlebt. Eine Lawine kann der ABS natürlich nicht verhindern. Aber er kann verhindern, dass ich unter den Schneemassen auf Nimmerwiedersehen verschwinde. Und das ist mir den Preis eines ABS-Rucksacks wert. In der Hoffnung auf einen schneereichen und unfallfreien Winter, Ihr IMPressum servicebeilage zu ALPIN 1/2008 Olaf Perwitzschky Olympia-Verlag GmbH, Badstraße 4 – 6, 90402 Nürnberg, Tel. 0911 2160 Anzeigen: Werner A. Wiedemann (verantwortlich) Redaktion: Planegger Str. 15, 82131 Gauting, Tel. 089 8931600, [email protected] Chefredaktion: Dr. Bene Benedikt (verantwortlich) Redaktion: Robert Demmel Texte: mc2alpin (Paul Mair, Walter Würtl, Walter Zörer), Clemens Kratzer, Olaf Perwitzschky Titelfoto: Marc Gallup Fotos und Skizzen: mc2alpin, Peter Mathis, Birgit Gelder, Archiv Aschauer, Bergwerk Grafik: Ulrike Lang, Satu Steiner Druck: Oberndorfer Druckerei, 5110 Oberndorf, Österreich 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 3 EXTRA 05.12.2007 11:14:37 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Sicher auf Tour muster-skitour zum traumkogel Das Gelingen einer sicheren und erlebnisreichen Skitour ist mit einer soliden Vorbereitung zu Hause und ein paar wenigen, aber entscheidenden Standards im Gelände verbunden, die bei konsequenter Einhaltung schnell zur einfachen Routine werden. Es kann losgehen! D Eine gemeinsame, kritische Vorausplanung daheim ist der erste Schritt zu einer gelungenen Skitour. 1 ie Planung zuhause ist der erste Baustein für ein gutes und risikooptimiertes Gelingen einer Skitour. So beginnen wir unsere „Mustertour“ auch daheim am Schreibtisch, unterstützt durch Führerliteratur, Lawinenlagebericht und topografische Karte. Diesen Unterlagen können Route, Gehzeiten, Schneeverhältnisse, Steilheit und Exposition der Route entnommen werden, dies sind wichtige Informationen für den Tourentag im Gelände. Mit diesem Basiswissen starten wir am Parkplatz, im Rucksack (idealerweise ABS-Rucksack) befinden sich Lawinenschaufel, Sonde und am besten auch Biwaksack und Erste-Hilfe-Set. Das Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS) wird direkt am Körper getragen. Man zieht es am bequemsten gleich zuhause im Warmen an und schaltet es auch gleich ein, denn der Batterieverbrauch ist so gering, dass eine Stunde mehr oder weniger keine Rolle spielt. Der anfänglichen Hektik und dem Losrennen noch bevor der Fahrer seine Skitourenschuhe anziehen kann, haben wir ganz abgeschworen. Ganz locker machen sich alle unserer Gruppe fertig und der Erste steht schon am Einstieg zur Spur, um hier den LVS-Check zu übernehmen. Siehe Info-Kasten 1 senden und empfangen LVS-Geräte-Check Alle TeilnehmerInnen schalten das LVS-Gerät „Aus“. Der „Kontrolleur“ schaltet sein LVS-Gerät auf „Senden“. Einzeln schalten nacheinander alle ihr LVS-Gerät auf „Empfang“ und checken, ob es funktioniert und stellen es dann wieder auf „Senden“. Anschließend wird das LVS-Gerät am Körper versorgt. Nachdem die LVS-Geräte der TeilnehmerInnen auf „Empfang“ geprüft wurden, geht der „Kontrolleur“ ein Stück (20 Meter) voraus, schaltet sein LVS-Gerät auf „Empfang“ und lässt die Gruppe im Abstand von 10 Metern vorübergehen (Kontrolle, ob die Geräte der Gruppe senden). Danach stellt auch der Kontrolleur sein Gerät auf „Senden“ und verstaut es am Körper. Der LVS-Check ist am Beginn jeder Tour durchzuführen! EXTRA 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 4 05.12.2007 11:14:42 Uhr Bei der Abfahrt Raum und Zeit genießen – und deswegen einzeln abfahren. Nachdem alle Teilnehmer den LVS-Check absolviert haben, geht es los. Schritt für Schritt folgen wir unserer geplanten Route und vergleichen ständig die Realität im Gelände mit den Daten aus unserer Planung vom Vortag. Wie so oft im Leben stimmt die Praxis nicht immer mit der Theorie überein. So kann es schon vorkommen, dass manche Details auf der Karte nicht oder falsch eingezeichnet sind, Geländegegebenheiten haben sich verändert oder die Schneemengen und die Schneeverhältnisse decken sich nicht mit dem Lagebericht. Aber dazu haben wir ja unsere angeborenen Sinne und wir können die Umgebung wahrnehmen und bewerten. Aus dem Abgleich mit den Informationen aus der Planung revidieren wir so unser Bild kontinuierlich und passen unser Verhalten an. Jede Spur kann neu oder anders angelegt werden, auch umdrehen muss ein reifer Bergsteiger können. Sobald die Hänge steiler werden – und 30 Grad sind schon steil – halten wir Entlastungsabstände ein. Nicht nur um tatsächlich die Schneedecke zu entlasten, sondern auch um das Verschüttungsrisiko zu minimieren. Im Fall eines Lawinenabgangs sind die Rettungschancen viel höher, wenn nicht alle gemeinsam erfasst werden. Dazu ist es wichtig, dass sich nicht immer alle Personen in Gefahrenzonen befinden. Der Begriff „Risikomanagement“ passt hier gut dazu: Wir können das Risiko nicht ausschalten oder hundertprozentig kontrollieren, aber wir können es „managen“. Siehe Info-Kasten 2 So legen wir unsere Spur auch bewusst entlang der günstigeren Hangpartien und nicht in die finstersten Gräben, und obwohl wir den Hang als „sicher“ einstufen, begehen wir ihn einzeln oder mit großen Abständen. Manche genießen diese Stellen, um ein bisschen für sich zu sein. Zum Plaudern ist sowieso nicht immer genug Luft da. Am Gipfel angelangt, ist Zeit zum Lockern und Regenerieren, hier öffnet sich der Geist und die Glückshormone werden reichlich ausgeschüttet. Wenn dann bei den ersten Schwüngen auch noch der Pulverschnee staubt, ist die Ekstase nicht mehr fern. Geben wir der Freude auf die Abfahrt also etwas Raum – und mit 2 keinesfalls im gänsemarsch entlastungsabstände aufstieg Im Aufstieg sollten ab 30 Grad Steilheit Entlastungsabstände von 10 Meter eingehalten werden. Der primäre Sinn von Entlastungsabständen: Die Zusatzbelastung auf die Schneedecke wird reduziert und damit die Auslösewahrscheinlichkeit verringert. Weiterer Nutzen: Im Falle einer Schneebrettauslösung ist das Schadensausmaß geringer, da unter Umständen weniger Personen erfasst werden. Nicht zuletzt bieten Entlastungsabstände einen höheren Komfort, da bei den Spitzkehren zügig weitergegangen werden kann und nicht immer wieder angehalten werden muss. Gründe, auf die Entlastungsabstände zu verzichten, können sein: (1) dichter Wald, (2) der Hang ist stark verspurt (Piste), (3) ein tragfähiger Schmelzharschdeckel, (4) eine günstige Geländeform (Grat). 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 5 EXTRA 05.12.2007 11:14:46 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Sicher auf Tour Am Gipfel angelangt, ist Zeit zum Regenieren: Hier öffnen sich der Geist und die Aussicht. einfachen und effektiven Standards sollte sich diese auch mit einem geringen Risiko absolvieren lassen. Lassen wir uns also Zeit – warum die meisten Hänge nicht einzeln fahren? Es ist doch eine gute Möglichkeit von einem sicheren Standpunkt aus die anderen der Gruppe bei der Abfahrt zu beobachten und dabei vielleicht sogar zu lernen oder zu lachen, wenn mal einer grazil den Schnee küsst. Außerdem hat bei der Einzelabfahrt jeder genug Platz, um sich in seinem Schwungrhythmus zu entfalten. Die Sammelpunkte liegen also an strategisch günstigen Stellen und sind vor Lawinen gut geschützt. 3 Siehe Info-Kasten 3 Somit stehen wir bald wieder beim Parkplatz und können uns am Erlebten freuen – schön war’s! Mit einigen wenigen Standards können wir ein großes Plus an Sicherheit gewinnen, und das wollen wir auch schon diesen Winter tun. Einzeln fahren entlastungsabstände abfahrt Bei der Abfahrt werden standardmäßig 30 Meter Abstand eingehalten – d.h. ein gleichzeitiges Einfahren in Steilhänge ist „tabu“! Die primäre Absicht: Die Zusatzbelastung und damit die Auslösewahrscheinlichkeit für Schneebrettlawinen soll verringert werden. Weiterer Nutzen: Bei einem Lawinenunfall ist das Schadensausmaß geringer. Bei der Abfahrt selbst genießt man einen höheren Komfort, da man ungestört seine Schwünge ziehen kann. Durch diese Maßnahme sinkt auch das Verletzungsrisiko, da Kollisionsunfälle ausgeschlossen sind. Diese Abstände sollen auch durchgehalten werden! D.h. es müssen gegebenenfalls größere Abstände gewählt werden, wenn jemand schneller Ski fährt. EXTRA 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 6 05.12.2007 11:14:55 Uhr alles eine frage der auslegung Der Lawinenlagebericht gibt die entscheidenden Vorinformationen über die Gefahrenlage im Gelände. Aber – wie so oft im Leben – kommt es auf die richtige Interpretation des Bulletins an. er Lawinenlagebericht ist für alle Wintersportler die erste Adresse, wenn es um Informationen zur Schnee- und Lawinensituation geht. Weiters ist der Lagebericht ein wesentlicher Bestandteil der „Neuen Lawinenkunde“ und darf in seiner Bedeutung für den Wintersportler nicht unterschätzt werden. Im Alpenraum findet sich das weltweit dichteste Netz an meteorologischen Stationen, die wichtige Hinweise für die europäischen Lawinenwarndienste liefern. Aus diesen Datenquellen und aus den Infos von Beobachtern und natürlich aus eigenen Erhebungen wird von den Lawinenwarndiensten mitunter täglich ein Lagebericht zur Lawinensituation erstellt. D Der Lagebericht teilt verschiedene Informationen mit. Zum ersten erhält man die aktuelle Gefahrenstufe. Dabei handelt es sich um einen Wert auf einer fünfteiligen Skala, der in ganz Europa nach einheitlichen Kriterien erstellt wird. Der Gefahrengrad wird also mittels einer Zahl beschrieben. Dieser Zahl ist besondere Beachtung zu schenken – wer von seinem Benotungssystem aus der Schule mit einer „Drei“ ganz zufrieden war, muss bei dieser Gefahrenstufe umdenken und besonders vorsichtig sein. Bei Gefahrenstufe 3 ist gutes lawinenkundliches Wissen Voraussetzung, um sich im winterlichen Gebirge mit einem optimierten Risiko bewegen zu können. Weiters werden wichtige Informationen zu Gefahrenstellen und Gefahrenquellen abgegeben. Gefahrenstellen sind dabei besonders häufig eingewehte Rinnen und Mulden in verschiedenen Höhenlagen oder im kammnahen Steilgelände. Zu den Gefahrenquellen zählen besonders oft Windeinfluss und der Einfluss der Temperatur beziehungsweise der Strahlung auf die Schneedecke. Der Lagebericht gibt also explizit darüber Auskunft, welche Höhenlagen, Expositionen und Geländeformen aktuell ungünstig und nur mit hohem Risiko zu befahren sind. Der Lagebericht wird immer für große Regionen erstellt. Eine Beurteilung eines Einzelhangs ist daher nicht möglich. Um eine Fehlinterpretation zu verhindern, ist eine intensive Auseinandersetzung mit den kommunizierten Inhalten für alle Wintersportler im Touren- und Variantenbereich dringend anzuraten. Der Wind ist der Baumeister der Lawinen. Darum ist es absolut sinnvoll, den Lawinenlagebericht auch in den Tagen vor einer geplanten Tour einzuholen und die Entwicklung zu beobachten. 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 7 EXTRA 05.12.2007 11:14:59 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Risikomanagement drei kärtchen gegen den weißen Tod Der strategische Umgang mit Risiko im Wintersport ist für ein sicheres Unterwegssein in der Natur die halbe Miete. Mehrere Experten haben unterschiedliche Entscheidungs- und Handlungsstrategien entwickelt – in jedem Fall erst einprägen, dann aufbrechen! Strategie i s t m e h r a l s W i s s e nschaft, s i e i s t d i e Ü b e r t r a g u n g des Wisse n s a u f d a s p r a k t i s c h e Leben … e n t s p r e c h e n d d e n s t e t s sich ände r n d e n V e r h ä l t n i s s e n , i s t sie die Ku n s t d e s H a n d e l n s u n t e r dem Druc k d e r s c h w i e r i g s t e n B edingunge n . “ G e n e r a l v o n M o l t k e V or über 10 Jahren stellte Werner Munter seine Reduktionsmethode einer breiten Öffentlichkeit vor und leitete damit einen Paradigmenwechsel in der Lawinenkunde ein. Viel hat sich seither getan – mehrere alternative Entscheidungsstrategien haben sich entwickelt und sind in die Lehrpläne der alpinen Ausbildungen eingeflossen. Betrachtet man die Entwicklung der Lawinenunfälle am Beispiel Österreichs in den letzten 20 Jahren, so wird deutlich, dass die Anzahl der Lawinenunfälle von Jahr zu Jahr äußerst unterschiedlich ist und die Einführung der „Neuen Lawinenkunde“ nicht zu einem signifikanten Rückgang der Unfälle geführt hat. Vordergründig könnte man deshalb behaupten, dass die neu entwickelten Strategien das Risiko einer Lawinenverschüttung nicht senken konnten. Schneebretter dieser Größenordnung sind eher selten. Mit einem defensiven Risikomanagement lassen sich aber auch solche Horrorszenarien vermeiden. EXTRA 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 8 05.12.2007 11:15:02 Uhr Anzahl der Lawinentoten in Österreich in den letzten 20 Jahren In Relation zur starken Zunahme der Wintersportler abseits gesicherter Pisten in den letzten Jahren sterben vergleichsweise weniger Menschen in Lawinen. EINER FÜR ALLE ABS VARIO-LINE Der Lawinenairbag mit dem Packsack-Wechselsystem Bei genauer Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass eine Beurteilung der Wirksamkeit der Strategien wesentlich komplexer ist. Zum einen ist es trotz intensiver Bemühungen der großen alpinen Vereine (DAV, OeAV, SAC) noch nicht gelungen, die strategischen Methoden zur Beurteilung der Lawinengefahr als Standard für alle Wintersportler zu etablieren, so dass sich zu viele nach wie vor rein auf ihr Wissen und ihre Intuition verlassen – die sich im Nachhinein oft als falsch herausstellen. Die genaue Analyse von Lawinenunfällen über mehrere Jahre hinweg zeigt, dass die Anzahl der Lawinenopfer immer noch in erster Linie von den Verhältnissen und weniger vom Verhalten bestimmt werden. Das bedeutet vereinfacht, dass sich die Wintersportler immer gleich verhalten und bei günstigen Bedingungen eben weniger Opfer zu beklagen sind als bei ungünstigen Verhältnissen. Zum anderen ist die Zahl jener, die sich abseits der gesicherten Pisten und Wege aufhalten, in den letzten Jahren um ein Vielfaches angestiegen, ohne dass die Unfallzahlen im gleichen Verhältnis gestiegen wären. Dies bedeutet erfreulicherweise, dass das individuelle Risiko für einen Wintersportler in einer Lawine zu sterben insgesamt gesunken ist und es sehr wohl so etwas wie einen positiven Trend gibt. Die Entwicklung, dass vergleichsweise weniger Menschen in Lawinen sterben, ist auf verschiedene Aspekte wie verbesserte Lawinenwarnung, bessere Notfallausrüstung, höheren Verbreitungsgrad der Notfallausrüstung, effizientere Bergrettung und natürlich auch auf die Einführung der modernen Strategien zur Beurteilung der Lawinengefahr zurückzuführen. Was der exakte Beitrag jeder einzelnen Maßnahme ist, kann jedoch nicht beurteilt werden. Eine Base-Unit mit ABS-System als Trageelement für Packsäcke verschiedener Volumen - für das Freeriden, die Tagestour oder die Mehrtagesskitour. ABS- innovative LawinenNotfallausrüstung. Base-Unit + ABS-System Vario 15L Vario 30L Vario 50L Problemstellung Komplexität Die lawinenbildenden Faktoren können in ihrer Komplexität vom Menschen nicht erfasst werden, da wir keinen ausgeprägten „Lawinensinn“ besitzen. Wir sind leider nicht imstande, die drei „lawinenrelevanten“ Bereiche Schneedecke (Strahlung, Wind, Temperatur, Niederschlagsmenge, Niederschlagsintensität, etc.), Gelände (Hangneigung, Exposition, Hanggröße, Hangform, Untergrund, etc.) und den Faktor Mensch (Gruppengröße, Spurwahl, Verhalten, Risikobereitschaft, etc.) vollständig zu erfassen und richtig mitein- 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 9 STAY ON TOP TO STAY ALIVE www.abs-airbag.com 05.12.2007 11:15:07 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Risikomanagement ander zu verknüpfen. Da uns eine Vielzahl an relevanten Informationen fehlt, können wir einen Hang auch nicht zuverlässig beurteilen. Wichtig ist festzuhalten, dass nicht nur Anfänger Schwierigkeiten mit der Einschätzung der lawinenbildenden Faktoren haben, sondern sich auch sehr gut ausgebildete Tourengeher schwer tun mit der Lawinengefahr. Nicht zuletzt wird dies im Umstand widergespiegelt, dass selbst Profis wie Bergführer und Skilehrer immer wieder an schweren Lawinenunfällen beteiligt sind. stop or go – Gefährlich für mich? Entscheidungsstrategie in zwei Schritten Risikomanagement als Ausweg Strategisches Entscheiden und Handeln (Risikomanagement) bietet eine Möglichkeit mit dieser Komplexität umzugehen. Risikomanagement macht das komplexe Beziehungsgefüge Schneedecke – Gelände – Mensch „handhabbar“. Es bringt sozusagen Ordnung in das Chaos und bietet die Chance, trotz der komplexen Ausgangssituation das Risiko einer Lawinenauslösung deutlich zu verringern – sofern man bereit ist, Grenzen („Limits“) zu akzeptieren und damit ein gewisses Maß an Verzicht zu üben. Diese Bereitschaft zum Verzicht ist die vielleicht wichtigste Tugend im Umgang mit der Lawinengefahr, wobei gesamt gesehen auf sehr wenig verzichtet werden muss, um das Risiko markant zu senken. Ziel aller Methoden der „Neuen Lawinenkunde“ ist es, mit möglichst wenig Verzicht ein Maximum an Risikoreduktion zu erzielen. Diese sollen deshalb einerseits möglichst großzügig sein, um akzeptiert zu werden, andererseits aber so „sicher“, dass die meisten Lawinenunfälle verhindert werden können. Wichtig beim Risikomanagement ist, dass es hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann. Sehr wohl lässt sich das Risiko jedoch auf einen gesellschaftlich akzeptierten Wert reduzieren, der auch in anderen Lebensbereichen (z.B. öffentlicher Verkehr) eingegangen wird. Da es im Gelände immer nur JA/NEIN-Entscheidungen (gehen/ fahren oder umkehren) gibt, sind einfache Denk- und Handlungs- muster wie die strategischen Instrumente der Lawinenkunde in komplexen Situationen sehr erfolgreich. Munter kommt zum Schluss: „Wer regelbasiert entscheidet, schlägt auf Dauer jeden Experten, der wissensbasiert entscheidet!“ Die Unfallanalyse scheint ihm dabei Recht zu geben. Indem man in Größenordnungen und Bandbreiten denkt (z.B. in Hangneigungsklassen), Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt (z.B. Unfallhäufigkeit in steilen Hängen), auf besonders unfallträchtige Muster achtet (z.B. Unfälle in Nordhängen) und das Verhalten mittels Standardmaßnahmen beeinflusst, kann der Anwender mit der komplexen Ausgangssituation umgehen. Strategien Zentraler Baustein der gängigen Strategien ist der Verzicht auf Immer auf der Hut: Unterwegs im Gelände müssen die Verhältnisse beständig beobachtet und das aktuelle Lawinenbulletin gegebenenfalls relativiert werden. 10 EXTRA 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 10 05.12.2007 11:15:10 Uhr „steile Hänge“ in Abhängigkeit von der Gefahrenstufe des Lawinenlageberichts. In der für den Einsteiger am leichtesten umzusetzenden Methode, der „Elementaren Reduktionsmethode“, wird dieser Zusammenhang am schnellsten deutlich. bei der Elementaren Reduktionsmethode muss der Anwender den Lawinenlagebericht kennen und die Hangneigung in Größenordnungen schätzen können (der Hang ist zwischen 35 und 40 Grad steil und nicht der Hang hat genau 38 Grad). Das richtige Einschätzen der Hangneigung ist mit etwas Übung nicht sonderlich schwierig, muss jedoch sorgfältig erlernt werden. Die Gefahrenstufe bezieht sich jeweils auf die im Lagebericht genannten Bereiche. Herrscht Lawinengefahrenstufe 3 (erheblich), dann bleibt man in Aufstieg und Abfahrt in Geländebereichen unter 35 Grad, wobei der gesamte Hang als Einzugsgebiet zu berücksichtigen ist. Stop or Go wurde von Michael Larcher im OeAV entwickelt und ist ein umfassendes (didaktisches) Konzept, welches die auf Skitour oder Variantenabfahrt notwendigen Entscheidungsprozesse strukturiert. Alle wichtigen, das Risiko mindernden Handlungsanweisungen sind explizit angeführt – dadurch sind sie einfacher umzusetzen und risikobewusstes Verhalten erfährt damit eine höhere Akzeptanz. Als übergeordnetes Handlungsschema dienen die Standardmaßnahmen, die in einer Art Checkliste die Bereiche Planung und Gelände umfassen. Diese besitzen insofern einen hohen Stellenwert, als sie sicherstellen, dass wichtige Punkte bei jeder Tour/Variante berücksichtigt werden. In die Standardmaßnahmen eingebettet ist die Stop or Go-Entscheidungsstrategie, die aus zwei Teilen (Check 1 und Check 2) besteht. Check 1 entspricht dabei der „Elementaren Reduktionsmethode“. Im Check 2 sollte der Anwender die Gefahrenzeichen Neuschnee, frischer Triebschnee, frische Lawinen, Setzungsgeräusche und Rissbildung, starke Durchfeuchtung wahrnehmen und beurteilen. Sind keine Gefahrenzeichen festzustellen, so kann weitergegangen werden, treten Gefahrenzeichen auf und werden diese als „Gefährlich für mich“ bewertet, so muss man der Gefahrenstelle ausweichen oder überhaupt abbrechen. Durch die Einbeziehung der Gefahrenzeichen werden Elemente der klassischen Beurteilung mit einer Entscheidungsstrategie kombiniert. Für das gesamte Konzept gilt, dass Zumutbarkeit und Praxisrelevanz aller Maßnahmen an oberster Stelle stehen. die SnowCard wurde von Martin Engler und Jan Mersch im DAV entwickelt und basiert ebenfalls auf der „Elementaren Reduktionsmethode“. Ausgangspunkt ist wieder die Lawinengefahrenstufe, die in Beziehung zur Hangneigung gebracht wird. Dies geschieht bei der SnowCard auf sehr raffinierte Art und Weise, da mittels einer farbigen „Prismen-Karte“ durch Änderung des Betrachtungswinkels zwei unterschiedliche Grafiken (günstige und ungünstige Exposition) sichtbar werden und so auch eine differenzierte Einschätzung des Risikos in unterschiedlichen Expositionen möglich ist. Liegt man bei der Verbindung von Hangneigung und Gefahrenstufe im „grünen Bereich“, ist das Risiko gering, im „gelben Bereich“ ist Vorsicht geboten und im „roten Bereich“ besteht hohes Risiko. Im „gelben Bereich“ sind Entlastungsabstände von mindestens 10 Metern einzuhalten und die Gruppengröße ist zu beschränken. Bei flächig vielbefahrenen Hängen, kann man vier bis fünf Grad von der Hangneigung abziehen, da solche Hänge sicherer sind. Der sicherheitsbewusste Tourengeher verzichtet bereits im orangen Übergangsbereich von gelb zu rot auf eine Befahrung. Sehr praktisch an der SnowCard sind die integrierten Neigungsmesser, mit denen man sowohl auf der Kar- 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 11 Freeride Skitour Hochtouren Ausbildung … z. B. B. Lawinenseminare Lawinenseminare z. Schwarzwald uu 59,59,Schwarzwald Aufbaukurs Lawinen Lawinen Aufbaukurs Zentralschweiz u 149,- … Picos special: LVS Park Stollenbach – das Lawinenschulungszentrum im Schwarzwald weitere Infos unter picos-online.de … Folder anfordern bei: PICOS Berge und Mehr GbR Belfortstraße 31 D-79098 Freiburg Telefon 0761 - 28 69 19 [email protected] www.picos-online.de 05.12.2007 11:15:11 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Risikomanagement te als auch im Gelände die richtige Hangneigung bestimmen kann. einen Bierdeckel entwickelte Werner Munter, aufbauend auf den Überlegungen zu den unterschiedlichen Reduktionsmethoden (elementare RM, professionelle RM, goldene Regel). Er leitet den Namen davon ab, dass Risikobeurteilung so einfach sein muss, dass sie auf einem Bierdeckel Platz hat. Munter ist es gelungen, die Grundlagen der professionellen Reduktionsmethode soweit zu vereinfachen, dass kein Rechnen mehr notwendig ist und dennoch alle relevanten Reduktionsfaktoren berücksichtigt sind. Besonders beeindruckend am Bierdeckel ist die konsequente Einhaltung der Regeln, die für die professionelle Reduktionsmethode gelten, so dass dem Einsteiger und dem Experten ein Instrument zur Verfügung steht, das größtmöglichen Spielraum bei der Beurteilung lässt. Grundlegend an dieser Methode ist, dass man bei Gefahrenstufe 3 drei Bonussterne, bei Gefahrenstufe 2 zwei Bonussterne und bei Gefahrenstufe 1 einen Bonusstern haben muss, um einen Hang (mit akzeptablem Restrisiko) befahren zu können. Bei Stufe 3 ist ein „erstklassiger Reduktionsfaktor“ (aus Punkt 1 oder 2) nötig. Bei Gefahrenstufe 4 bleibt man unter 30 Grad Hangneigung. Zusätzlich ist im „Bierdeckel“ berücksichtigt, Bierdeckel dass bei starker Durchfeuchtung der Schneedecke nicht alle Bonussterne verwendet werden dürfen. Beispielsweise kann man bei Gefahrenstufe 3 (erheblich) und trockenen Verhältnissen einen Südhang (1. Stern) mit 35 bis 39 Grad (2. Stern) Munters genialer Bierdeckel-Ansatz: mit und Abständen snowcard mit der Prismenkarte sicher auf Tour von mindestens 10 Meter (3. Stern) befahren. Risikomanagement – Strategien mit ERFOLG Durch die Anwendung von Strategien kann das Risiko einer Lawinenauslösung nachweislich deutlich verringert werden. Je nach Strategie müssen dazu aber Grenzen („Limits“) akzeptiert werden, was stets die Bereitschaft zum Verzicht (auf extrem steile Hänge) voraussetzt. Die Grenzen der unterschiedlichen Methoden sind verschieden. Das geringste Risiko gehen Anwender bei Stop or Go oder SnowCard ein, da die elementare Reduktionsmethode nochmals mittels Check 2 (klassische Beurteilung der Gefahrenzeichen) bzw. einer Verschärfung in ungünstige Expositionen (rote Seite) kombiniert wird. Der Bierdeckel bietet den größten Spielraum und Bonussternchen auf der sicheren Seite. Lawinenabgang bei stark durchnässter Schneedecke – auf dem Bierdeckel dürfen bei Feuchtschnee nicht alle Bonussterne verwertet werden. 12 EXTRA 1/08 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 12 05.12.2007 11:15:16 Uhr Die Gefahren-Ampel für günstige und ungünstige Expositionen p p Ein 33 Grad steiler Hang günstiger, sprich Süd-Exposition, liegt bei Gefahrenstufe 2 im grünen Bereich. Auf der Nordseite liegt er allerdings schon voll im gelben Bereich. Stubai Tecblade 9^ZHijWV^IZXWaVYZ^hi@A:>C^b GjX`hVX`VWZg<GDHH^b<ZWgVjX] ÑhjeZghiVW^a ÑaVc\ZgIZaZh`dehi^a Ñ^ciZ\g^ZgiZHX]V[iVj[cV]bZ ^bHX]Vj[ZaWaVii Ñide=VcYa^c\ 9^ZIZXWaVYZWZgoZj\iZVjX]YVh IZhiiZVbYZh6ae^c"BV\Vo^ch/ ×9^ZWZhiZHX]Vj[Za^bIZhiÆ cjdkda^cZ#Vi ist als wirklich sehr praktikable Weiterentwicklung der professionellen Reduktionsmethode v.a. für jene zu sehen, die schon etwas Erfahrung in der Einschätzung von Lawinengefahr haben. Für alle Methoden innerhalb des Risikomanagements gilt, dass der Lawinenlagebericht die Grundinformation für die Beurteilung darstellt. Einsteiger sollten dabei die ausgegebene Gefahrenstufe akzeptieren. Experten können und müssen eine Verifizierung des Lageberichts vornehmen. Hierin liegt auch die größte Herausforderung für Profis mit der Möglichkeit, das höhere Wissen effektiv einzusetzen. Bei allen Entscheidungsstrategien sind natürlich die Standardmaßnahmen auf Variante und Tour einzuhalten, wie sie vergleichsweise bei Stop or Go auf einer Seite angeführt sind. Dazu gehört beispielsweise eine umfassende Planung vor der Tour ebenso wie der LVS-Check beim Losgehen oder die Berücksichtigung des Faktors Mensch und Gruppe. Die auf den ersten Blick recht simpel erscheinenden Strategien und Kärtchen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen Inhalte mitunter sehr anspruchsvoll sind und die Umsetzung jeder Methode erlernt und immer wieder geübt werden muss. Nur durch eine intensive Auseinandersetzung in Praxis und Theorie können die Strategien auch tatsächlich das Risiko einer Lawinenverschüttung senken. Strategien bieten vor allem Einsteigern die Möglichkeit, Entscheidungs- und Handlungskonzepte umzusetzen, die einfach und trotzdem zutreffend sind. Doch auch den Experten können sie helfen, die eigene Einschätzung und Vorgehensweise zu hinterfragen. Welche Strategie man verwendet, sei jedem selbst überlassen, keinesfalls dürfen sie jedoch unreflektiert oder entgegen bessere Einsicht angewendet werden. Somit sind sie auch nur für Anwender geeignet, die Interesse und Spaß an deren Umsetzung haben, denn wenn man versucht, diese falsch anzuwenden, gelingt dies auch (jedoch nur zum eigenen Nachteil). Eine fundierte Ausbildung bei Bergsteigerschulen oder alpinen Vereinen kann helfen, dies zu vermeiden. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Strategien weiterentwickelt und sich als in der Praxis bewährte und fachlich fundierte Instrumente zur Vermeidung von Lawinenunfällen bestätigt. Sie senken damit nicht nur das Risiko, sondern steigern gleichzeitig auch den Genuss auf Touren und Varianten. Tecblade 001-013_EXTRA_LAWINE_REB.indd 13 05.12.2007 11:15:18 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Rettungsmanagement ortung bergung rettung Ist der worst case eines Lawinenabgangs mit Verschüttung einmal eingetreten, muss alles ganz schnell gehen. Dann hängt für das Leben der Verschütteten nahezu alles von einem konsequenten und bestens koordinierten Ablauf der Suche und Bergung durch die Kameraden ab. D er erste Schnee ist in den Bergen bereits gefallen, die Gespräche am Wirtshaustisch „wo’s denn schon geht“ häufen sich und die üblichen Lawinenpräventionsvorträge diverser Fachkundiger werden publik gemacht und eifrig besucht – und das ist gut so. Im langjährigen Durchschnitt sterben etwa 100 Menschen pro Jahr im Alpenraum an der Folge von Lawinenabgängen. Etwa 90 Personen kommen dabei durch Schneebrettlawinen ums Leben, die durch sie selbst oder durch ihre Gruppe ausgelöst worden sind. Analysen des Unfallgeschehens zeigen ähnliche und sich wiederholende Unfallmuster, die sich kausal mit der Auslösung von Lawinen in Verbindung bringen lassen. In den meisten Fällen heißt dies, dass das Verhalten der Wintersportler im Gelände nicht der aktuellen Schnee- und Lawinensituation angepasst ist. Kommt es zu einer Lawinenauslösung und in der Folge vielfach auch zur Verschüttung, ist die Rettung durch unbeteiligte Kameraden aus der Gruppe in den häufigsten Fällen die einzige Chance, um das Überleben eines Opfers zu bewerkstelligen. Die ersten Minuten der Verschüttung entscheiden für das Opfer oft alles. Statistische Auswertungen (s. Grafik unten) zeigen, dass gut 90 Prozent der Verschütteten, die bei Stillstand der Lawinen noch am Leben sind, überleben, sofern sie in den ersten 15 Minuten ausgegraben werden können, beziehungsweise man ihnen das Atmen ermöglicht. Dauert die Bergung länger, sinken die Überlebenschancen drastisch. Nach einer halben Stunde können nur mehr rund 30 Prozent der Opfer lebend geborgen werden. Daraus folgt, dass eine schnelle Kameradenrettung die Überlebenschance eines Lawinenverschütteten Überlebenswahrscheinlichkeit Auf die ersten 15 Minuten kommt es an! Während der ersten 15 Minuten hat ein unverletzter Verschütteter eine Überlebenswahrscheinlichkeit von über 90 %. Danach sinkt sie ohne Atemhöhle rapide ab. Überlebenswahrscheinlichkeit [%] 100 90 Verletzungen 92% 80 70 50% 50 40 30% 30 Ersticken mit Atemhöhle 20 10 5% 15 14 30 60 90 120 Unterkühlung 150 Quelle: Hermann Brugger Ersticken ohne Atemhöhle 60 [min] EXTRA 1/08 014_017_EXTRA_Lawinen_REB.indd 14 05.12.2007 11:30:20 Uhr g steigert. Leider zeigt die Praxis, dass es bei mindestens zwei von zehn tödlichen Lawinenunfällen zu groben Fehlern bei der Kameradenrettung kommt. Dabei sind vor allem unstrukturiertes und zeitraubendes Vorgehen bei der Verschüttetensuche, Fehlbedienung der LVS-Geräte sowie unvollständige oder fehlende Notfallausrüstung als Problemthemen zu nennen. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kameradenrettung sind eine vollständige und funktionstüchtige Notfallausrüstung (LVS-Gerät, Schaufel, Sonde, Handy) sowie die perfekte Beherrschung des Lawinen-Verschütteten-Suchgeräts und der dazu erforderlichen Suchstrategie. Wer die Suche immer wieder trainiert, hat gute Chancen im Ernstfall die Ortung schnell und kompetent durchzuführen. Wer im winterlichen Gebirge unterwegs ist, sollte es sich zum obersten Ziel machen, eine Lawinenauslösung und eine Lawinenverschüttung zu verhindern. Lässt sich dies dennoch nicht vermeiden, so gilt es bis zum Stillstand der Lawine alles Erdenkliche zu unternehmen, um an der Schneeoberfläche zu bleiben. Schussflucht und/oder Festhalten an Bäumen kann dabei der erste Gedanke sein. Da alles, was an den Füßen getragen und in den Händen gehalten wird, im Schnee wie ein Anker wirkt, sollte man versuchen, sich davon zu befreien. Bei der Verwendung von technischen Schutzmaßnahmen (Airbag, Snow-pulse, Lawinenball) ist spätestens jetzt die Auslösung durchzuführen oder der Ava-Lung-Schnorchel in den Mund zu nehmen. Kurz vor Stillstand der Schneemassen muss man versuchen, sich eine Atemhöhle zu verschaffen, indem man die Arme vor das Gesicht zieht, möglichst eine Kauerstellung einnimmt und probiert Mund und Nase vor einer Verlegung durch Schnee zu schützen. Ein einmaliger Versuch zur Selbstrettung kann – mit aller Kraft durchgeführt – angestrebt werden. Ist dieser nicht erfolgreich, gilt es Ruhe zu bewahren und an Rettung zu glauben. Für die unbeteiligten Kameraden ist es hilfreich und für den Verschütteten von großem Nutzen, wenn anhand eines Leitkonzepts die Ortungs-, Bergungs- und Rettungsmaßnahmen durchführt werden. Im Lawinenunfallmanagement hat sich in den letzten Jahren folgende Struktur als handhabbar und nützlich erwiesen. SCANNEN FINDEN Erfassungs- und Verschwindepunkt wahrnehmen Um in späterer Folge eine Optimierung des Suchbereichs durchführen zu können, ist es von hoher Bedeutung, den Lawinenabgang zu beobachten und sich den Erfassungspunkt sowie den Verschwindepunkt eines oder mehrerer Opfer zu merken und gegebenenfalls durch Markierungen festzuhalten. Nach Stillstand der Schneemassen wird die Anzahl der Verschütteten festgestellt. Notruf absetzen Der Kameradenrettung kommt zwar bei der Ortung und Bergung der Unfallopfer entscheidende Bedeutung zu, dennoch ist es von größter Wichtigkeit, dass schnell professionelle Hilfe am Unfallort verfügbar ist. Such- und Schaufelmannschaften, Der primäre Suchbereich erschließt sich aus der Beobachtung von Erfassungsund Verschwindepunkt. www.ortovox.com 014_017_EXTRA_Lawinen_REB.indd 15 05.12.2007 11:30:21 Uhr 0 m 20 m 20 m mc2alpin 20 m mc2alpin, Lisa Manneh feinsuche analog .2 66.2 mc2alpin, Lisa Manneh 1122 Dem lautesten Signal folgend auf den Feldlinien zum Verschütteten. Eine ungefähre Entfernungsanzeige und Pfeile führen zum Verschütteten. U 3. 1 U 1. 8 U 1. 2 U 0. 6 U 2. 3 U 1. 3 Bei der Oberflächensuche beginnen alle möglichen Kräfte damit, den Lawinenkegel nach an der Oberfläche sichtbaren Gegenständen wie herausragenden Gliedmaßen, Ausrüstungsgegenständen oder sogar technischen Hilfsmitteln wie Airbag oder Lawinenball abzusuchen. Aber nicht nur den optischen Anzeichen wird dabei Augenmerk geschenkt, auch auf akustische Zeichen sollte man achten. Ganzverschüttete Personen wird man kaum hören, dennoch gibt es immer wieder Fälle, bei denen sich teilverschüttete Opfer mittels akustischer Hilfezeichen schnell bemerkbar machen konnten und dann auch rasch gefunden werden konnten. Während der gesamten Suche ist eines zu beachten – das Rufen eines Verschütteten wird an der Schneeoberfläche nicht oder kaum gehört, die Gespräche der Retter am Lawinenkegel dringen aber relativ leicht und weit in den -5 33..44 Oberflächensuche Grobsuche 20 feinsuche digital Suchbereiche festlegen Anhand des Erfassungs- und Verschwindepunkts lässt sich der primäre Suchbereich annähernd festlegen, in dem die Suche begonnen wird. Dabei wird anhand der Fließrichtung der Lawine und der vorherrschenden Geländeform eine mögliche Lage der Verschütteten eingegrenzt. Der Suchprozess insgesamt wird in drei Phasen eingeteilt. Diese beginnen mit der Grobsuche. Dabei wird der Lawinenkegel oberflächlich angeschaut und mittels LVS-Gerät nach dem ersten Signal gesucht. Hat man einen Erstempfang, befindet man sich bereits in der Phase der Feinsuche. Der Abschluss der Suche erfolgt durch die Punktortung. 50 m 20 - Mit geeigneten Suchstreifenbreiten auf der Suche nach dem Erstempfang. punktortung Lawinenhund und ganz besonders der Notarzt zählen zu den wichtigsten Größen bei der professionellen Lawinenrettung. Sofern dies ohne größeren Zeitverlust (direkt vom Lawinenkegel) möglich ist, empfiehlt es sich in Europa den EuroNotruf 112 zu wählen. Dieser Service ist kostenlos und funktioniert sobald eine Netzverfügbarkeit durch irgendeinen Mobilfunkanbieter gegeben ist. Der Wintersportler ist gut beraten, wenn er eventuell vorhandene, regionale Notrufnummern speichert. In Österreich kann zum Beispiel mit der Nummer 140 ein direkter Kontakt zu den Landesleitstellen aufgenommen werden. Dadurch können wertvolle Minuten gespart und wichtige Informationen unmittelbar an die organisierten Rettungskräfte durchgegeben werden. grobsuche ALPIN EXTRA Lawinen Rettungsmanagement Mittels Einkreuzen und sorgfältigem Sondieren wird die Suche abgeschlossen. 16 EXTRA 1/08 014_017_EXTRA_Lawinen_REB.indd 16 05.12.2007 11:30:25 Uhr Schnee ein. Positive und Mut machende Gespräche über den Fortschritt der Rettung motivieren also nicht nur die Retter, sondern können auch einem Verschütteten helfen. Suche nach Erstempfang mit LVS-Gerät – Grobsuche Je nachdem wo man sich nach dem Abgang einer Lawine als Retter befindet und abhängig von der verfügbaren Anzahl an Rettungskräften entscheidet es sich, wie die Suche nach dem Erstempfang letztendlich zu gestalten ist. Die Suchstreifen werden entweder von oben in Fließrichtung der Lawine oder von unten gegen die Fließrichtung kommend angelegt. Ist man alleine, so empfiehlt es sich den Lawinenkegel im Zickzack abzulaufen. Die jeweiligen Umkehrpunkte an den Lawinenrändern dürfen nicht weiter als 40 Meter voneinander entfernt sein, damit sichergestellt ist, dass eine ausreichende Abdeckung mit dem Empfänger stattfinden kann. Stehen mehrere Retter zur Verfügung, wird in 40 Meter breiten Streifen über den Lawinenkegel gegangen, der Abstand zu den Lawinenrändern beträgt in beiden Fällen jeweils 20 Meter. LVS-Gerätsuche – Feinsuche Die Phase der Feinsuche beginnt mit dem Erstempfang eines Signals. Ab diesem Zeitpunkt nähert man sich, unabhängig welchen Gerätetyp man verwendet, am besten mittels dem Feldlinienverfahren auf einer gekrümmten Linie (Feldlinie) dem Sender an. Ein Unterschied besteht in der Durchführung des Suchprozesses aufgrund der unterschiedlichen technischen Bauweisen der LVS-Geräte. Verwendet man ein analoges LVS-Gerät, folgt man stets dem lautesten Ton, welchen man durch schwenken des Geräts vor seinem Körper herausfiltern muss. Ein Signal kann bei paralleler Antennenlage am stärksten empfangen werden, durch das aktive Schwenken des Geräts kann man dies bewerkstelligen. Bei einem digitalen Gerät übernehmen diese aktive Handlung ein Microprozessor und zwei oder drei Antennen im Gerät. Diese technische Lösung erlaubt einen schnellen Suchprozess bei der Feinsuche, man verfolgt nur die angezeigten Pfeile und die ungefähre Entfernungsanzeige am Display und wird zum Verschütteten geführt. Dieser Umstand erleichtert die Suche deutlich, weshalb digitale Geräte zu bevorzugen sind. Einkreuzen und Sondieren Punktortung Das Einkreuzen mit den LVS-Geräten leitet die letzte Phase der Verschüttetensuche ein. Dabei wird das Gerät knapp über dem Schnee zum lautesten Signal geführt. Das LVS sollte dabei nicht gedreht, sondern immer in gleicher Position gehalten werden. Aus der Fortbewegungsrichtung kommend achtet man auf den höchsten angezeigten Wert am Display oder hört auf den lautesten Ton. Im Anschluss erfolgt eine Bewegung im rechten Winkel zur Fortbewegungsrichtung, man beachtet wiederum die visuellen und akustischen Signale. Durch dieses Einkreuzen erhält man ein Viereck, in dem mit dem Sondieren begonnen wird. Das Sondieren ist ein wesentlicher Faktor in der Punktortung, da dadurch auf zentimetergenaues Einkreuzen verzichtet werden kann und man eine genaue Information über die Lage und Tiefe des Verschütteten erhält. Das Sondieren erfolgt vom Mittelpunkt des eingekreuzten Vierecks ausgehend in einer größer werdenden spiralförmigen Linie nach außen hin. Die Abstände der Einstichpunkte liegen in etwa bei 25 Zentimeter. Nach erfolgtem Fund wird die Sonde steckengelassen, sie dient als Orientierungshilfe beim Ausgraben. Ausschaufeln Das Ausschaufeln ist jene Phase der Rettung, die am meisten Zeit in Anspruch nimmt. Aus diesem Grunde sollte man dabei wohl überlegt ans Werk gehen. Die Sonde dient uns als Anhaltpunkt und man beginnt ungefähr im Abstand der Verschüttungstiefe hangabwärts unterhalb der Sonde mit dem Ausschaufeln. Ziel ist es zuerst den Kopf freizulegen, damit eine Sauerstoffversorgung des Gehirns ehestmöglich gewährleistet werden kann. Nähert man sich dem Kopf, achtet man auf eine eventuell vorhandene Atemhöhle. Diese Information ist für den Notarzt und die weitere Behandlung dringend notwendig. Bergen und Erste Hilfe Bei der Bergung ist mit einem Opfer sehr behutsam umzugehen. Dabei sind die obersten Ziele, die Sauerstoffversorgung des Gehirns zu erhalten und den Körper vor weiterer Unterkühlung zu schützen. Ein Wintersportler sollte also nicht nur körperlich und sein Lawinenwissen betreffend fit sein, sondern vor allem die gängigen Erste-Hilfe-Maßnahmen in Verbindung mit Lawinenunfällen beherrschen. 3OLEICHTMANSPàRT IHNKAUM$ER+/(,! %6/,IGHTNINGIST sBESONDERSLEICHT DURCHAUSGEWËHLTE -ATERIALIENNURG sSTABILWEILAUS!LUMINI UMMITDEMBEWËHRTEN +/(,!+LEMMSYSTEM sPRODUZIERTIN)NNSBRUCK EINHEIMISCHE1UALITËT WWWKOHLAAT 014_017_EXTRA_Lawinen_REB.indd 17 05.12.2007 11:30:27 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen ABS-Rucksack Ein Ballon, der retten kann Etwa 160 Fälle sind dokumentiert, in denen der Lawinenairbag (ABS) zum Überleben in den Schneemassen beigetragen hat. Einer davon war Wilfried P. D er Taferlnock mit 2375 Metern Höhe ist ein Lieblingsberg des 41-jährigen Bergsteigers aus dem Salzburger Land. Und Skibergsteigen ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Im Februar 2007 wäre ihm eine Skitour beinahe zum Verhängnis geworden. Mit zwei Bergkameraden ging es los. „Der Aufstieg war ziemlich unspektakulär. Es lag wenig Schnee. Beim Aufstieg über die Nordseite sind wir über Schotterkegel gegangen. Am Gipfel war alles abgeweht.“ Wilfried P. trägt seit Jahren bei allen Skitouren einen ABS-Rucksack. Das heißt, in seinem Rucksack finden sich nicht nur Schaufel, Sonde und Pieps neben der Wegzehrung und der sonstigen Ausrüstung. Auch zwei Patronen sind darin integriert, die beim Ziehen einer Auslösevorrichtung zwei reißfeste Rettungsballons in Sekundenschnelle mit Pressluft füllen. Das System ABS ist klar und einfach und im Grunde der Natur Blick vom Spirtzinger zum Taferlnock: Schwarz = Aufstieg, grün = Abfahrt, rot = worst case – Lawinenabgang! 18 abgeschaut: Jede Lawine besteht aus Schneekristallen. Geraten diese wie bei einer Fließlawine in Bewegung, dann beginnt ein Entmischungsprozess. Bei dem unterkriechen die kleineren Schneekristalle die größeren und drücken diese somit nach oben. So lange die Lawine also läuft, in Bewegung ist, wiederholt sich dies immer wieder. Dann werden die Schneemassen langsamer, die Lawine kommt zum Stillstand. Sie baut die Auftriebskraft ab und kommt schließlich zum Erliegen. Es ist also die Lawine selbst, die einen Skifahrer, der in sie geraten ist, immer wieder nach oben drückt. Aber – durch sein höheres Volumengewicht kann sich ein Mensch nicht an der Oberfläche halten, er sinkt immer wieder ein und wird so von der Fließlawine schlussendlich verschüttet. statistiken sprechen eine harte sprache: Die größten Überlebenschancen hat ein Skifahrer in den ersten 15 Minuten der Verschüttung! Nach 15 Minuten sinken die Chancen rapide. Was Zum Stillstand der Lawine hin oben bleiben – der ausgelöste ABS-Rucksack macht’s möglich. EXTRA 1/08 018-019_EXTRA_LAWINE_REB.indd 18 04.12.2007 17:25:44 Uhr , bedeutet, dass Kameradenrettung in aller Regel nur in den ersten 15 Minuten noch lebensrettend sein kann – wer länger im Schnee verschüttet bleibt, muss einen besonderen Schutzengel dabei haben. Die beiden Flügel des Schutzengels, den Wilfried P. dabei hatte, hatten eine orange Farbe. Die Dreiergruppe fuhr nach dem Gipfelgang in eine steile Rinne ein. Die beiden Kameraden zuerst, dann Wilfried P. Er kam nur einige Schwünge weit. „Ich dachte plötzlich, was ist denn jetzt los? Es gab keinen Laut, nur hatte ich ein komisches Gleichgewichtsgefühl. Als ich dann auf den Grat rechts von mir schaute, da sah es so aus, als ob die Bäume nach oben wegfliegen würden. Da wurde mir bewusst: Ich bin inmitten einer Lawine!“ Sobald – so steht es in der Gebrauchsanweisung – eine Lawinensituation erkannt wird, muss man kompromisslos den ABS-Lawinenairbag auslösen. Man kann den Auslöser mehrfach bedienen, besser einmal zu viel als zu wenig. Man zieht dabei ruckartig am Auslösegriff, während man versucht, aus der Lawine zu fliehen. Die beiden Airbags blasen sich in Sekundenschnelle auf, egal ob man noch fährt oder bereits gestürzt ist, ob man auf dem Rucksack liegt oder bereits von den fließenden Schneemassen erfasst ist. Die aufgeblasenen Airbags sind kein Hindernis, wenn man sich eventuell noch mit eigener Kraft zu einem Flucht- oder Ausweichmanöver in der Lage sieht. etwa 500 höhenmeter wurde Wilfried P. von den Schneemassen mitgerissen. „Mir kam es vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, bis ich die Situation realisierte. Ich zog fest an der Auslösevorrichtung. Dann bin ich an der Oberfläche die Rinne hinunter mitgeschwommen.“ Er konnte sich dabei seiner Ski entledigen. „Ein Baum stand plötzlich im Weg, ich bin mit Schwimmbewegungen knapp daran vorbeigekommen.“ Er hatte die Anleitung richtig studiert. Dort heißt es: „Wenn Sie ausgelöst haben, konzentrieren Sie sich ausschließlich auf Ihre Sturzbahn. Durch die seitliche Anbringung der Airbags können Sie ungehindert Ihre Arme einsetzen. Kämpfen Sie mit Schwimmbewegungen, drücken Sie Hindernisse Zwischen 400 und 500 Höhenmeter hat die Lawine am Taferlnock Wilfried P. mitgerissen – ohne dramatische Folgen. weg, versuchen Sie sich zu stabilisieren und Ihren Kopf zu schützen.“ Die Form der Airbags bietet einen zusätzlichen Schutz für den Kopf. Durch ein Drehen der Ski sollte man versuchen, die Bindung zu lösen. Die Ski wirken sonst wie ein Anker oder könnten sich in Fels oder starkem Geäst verheddern und Verletzungen verursachen. Deshalb am besten bei Skitouren auf Stockschlaufen und Fangriemen zu verzichten. als die lawine zum stehen kam, hielt Wilfried P. sofort Ausschau nach seinen Kameraden. Mit dem Mobiltelefon wählte er den Bergnotruf an – doch schnell war der Akku leer. Wilfried P. holte das LVS-Gerät hervor, konnte aber kein Signal orten. Da sah er seine beiden Freunde neben dem Lawinenfeld. Sie waren zwar etwa 100 Meter von der Lawine mitgerissen worden, hatten sich aber aus der Rinne herausarbeiten können. Seit 1985 ist der ABS-Lawinenairbag auf dem Markt. Nach anfänglicher Skepsis und heißen Debatten, in denen es auch um die Kosten und das Mehrgewicht ging, versachlichte sich die Diskussion in Fachkreisen. Nicht nur, weil Versuche mit Dummys oder auch dokumentierte Rettungserlebnisse bekannt wurden. Die Sicherheitsbeauftragten der Bergrettung, der Alpenvereine und viele Bergschulen sehen mittlerweile in dem Airbag-System die einzige Hilfe, die ein Verschütten in der Fließlawine erhindern kann Wilfried P. jedenfalls wird wieder auf Skitour gehen. „Aber nie ohne den ABS!“ Aufatmen: Wilfried P. und einer seiner Begleiter auf dem Lawinenkegel. 1/08 018-019_EXTRA_LAWINE_REB.indd 19 EXTRA 19 04.12.2007 17:25:47 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Sicherheitsausrüstung die letzte c Bei der Notfall- und Sicherheitsausrüstung ist das Beste gerade gut genug. Wir sagen Ihnen, was Sie brauchen V on einer Lawine erfasst zu werden, bedeutet Lebensgefahr. Oberstes Ziel einer jeden Ausbildung muss es deshalb sein, eine Lawinenverschüttung zu verhindern. Verwendet man auf Tour eine der aktuellen Strategien und befolgt diese auch – d. h. ist auch bereit, einmal auf einen vermeintlichen „Traumhang“ zu verzichten – so ist die Wahrscheinlichkeit verschüttet zu werden sehr gering. Ist ein Tourengeher, aus welchen Gründen auch immer, von einer Lawine mitgerissen und verschüttet worden, so tickt die Uhr und er oder sie muss sich auf seine Kameraden verlassen. Sie sind seine letzte Chance und können ihn nur dann vor dem Erstickungstod retten, wenn alle mit der notwendigen Notfallausrüstung nicht nur ausgestattet, sondern auch in der Anwendung trainiert sind. Im Ernstfall, unter massiver Stresseinwirkung wird nur das gelingen, was regelmäßig geübt wurde: Das beginnt beim Umschalten des Lawinenverschüttetensuchgeräts auf „Empfangen“, geht über das systematische Sondieren bis hin zum effektiven Ausschaufeln. Die modernste und teuerste Ausrüstung ist wertlos, wenn sie nicht bedient werden kann. Unser Appell: Nehmen Sie sich die Zeit gemeinsam mit Ihren Tourenpartnern zu Beginn der Saison – und idealerweise auch einmal zwischendurch –, um das Verhalten nach einem Lawinenabgang unter möglichst realistischen Umständen zu trainieren. Spielen Sie gemeinsam Unfallszenarien durch und stellen Sie sich auch alleine immer wieder gedanklich vor, was Sie tun müssen, wenn Sie mit einem Lawinenunfall konfrontiert werden. Ihre Tourenpartner und Sie selbst werden im Ernstfall dankbar sein, wenn die notwendigen Maßnahmen systematisch und automatisiert ablaufen. LAWINEN-VERSCHÜTTETEN-SUCHGERÄT Von oben: LVS – Lawinen-Verschütteten-Suchgerät, Lawinensonde, Lawinenschaufel (Metall), Handy (Satellitentelefon). 20 Das „Pieps“ oder korrekt LVS, gehört zusammen mit Sonde und Schaufel zur Standardausrüstung für jeden Tourengeher. Alle erhältlichen Geräte entsprechen der Norm und sind untereinander kompatibel, d. h. egal welches Gerät Sie besitzen, Sie werden von jedem anderen empfangen. In den letzten Jahren hat es einige technische Weiterentwicklungen gegeben, welche die Suche erheblich erleichtert haben. Parallel dazu haben sich die verschiedenen Geräte aber auch sehr spezialisiert, d. h. nahezu jedes moderne Gerät muss unterschiedlich bedient werden, das beginnt beim Ein- bzw. Umschalten und endet bei der Art und Weise, wie gesucht wird (Stichwort Suchstreifenbreite oder Mehrfachverschüttung). Auf jeden Fall muss die Gebrauchsanweisung sorgfältig studiert werden, und im Zweifelsfall lohnt es sich allemal sich von einem Bergführer ausführlich schulen zu lassen. Stand der Technik sind digitale Geräte mit drei Antennen (z. B. Pieps DSP, Mammut Pulse), die sich hervorragend bewährt haben. Aber auch die digitalen Zwei-Antennen-Geräte (z. B. Tracker, EXTRA 1/08 020_023_EXTRA_Lawinen_REB.indd 20 05.12.2007 14:19:00 Uhr e chance Mammut Barryvox, Arva, Ortovox m2) sind empfehlenswert. Prinzipiell empfiehlt es sich, die Geräte im mitgelieferten Tragesystem über der ersten Bekleidungsschicht direkt am Körper zu tragen. Das teuerste LVS nützt allerdings nichts, wenn es vor der Tour nicht eingeschaltet wird. Ein LVSCheck, bei dem kontrolliert wird, ob das Gerät eines jeden Gruppenmitglieds einwandfrei funktioniert und auf „Senden“ gestellt ist, ist daher eine Standardmaßnahme zu Beginn der Skitour. Ein Update des letzten LVS-Geräte-Tests aus ALPIN Heft 12/2006 finden Sie auf Seite 23 dieses Extras. LAWINENSONDE Mit dem LVS wird so lange gesucht, bis man die Verschüttungsstelle auf etwa einen Quadratmeter eingrenzen kann. Nun wird wertvolle Zeit gespart, wenn dieses Ergebnis mit der Sonde überprüft wird, d. h. man durchsticht die Schneeoberfläche, bis man auf den verschütteten Körper stößt. Gleichzeitig weiß man nun auch, wie tief die Person verschüttet ist, und kann entsprechend großflächig beginnen zu schaufeln. Wichtig ist es dabei, die Sonde als Orientierungshilfe stecken zu lassen. In der äußerst belastenden Situation nach einem Lawinenabgang ist die Sonde nicht hoch genug einzuschätzen, bestätigt sie doch, dass ein Verschütteter geortet wurde, und dass von nun an alle Kraftreserven ins Ausschaufeln gesteckt werden können. Wir empfehlen nur Sonden von mindestens 240 cm Länge zu verwenden, die über ein einfaches, aber effektives Schnellspannsystem verfügen. Zusammenschraubbare Skistöcke sind – da zu kurz – kein adäquater Sondenersatz. 0)%03 ¤ $30 0)%03 ¤ &2%%2)$% !NTENNENSYSTEMMITEINER UNERREICHTENDIGITALEN 2EICHWEITERUNDUMINALLE 2ICHTUNGENBISZUM $IE(IGH%ND4ECHNOLOGIEFàR SCHNELLSTE+AMERADENRETTUNG 7ELTWEITKLEINSTESUND LEICHTESTES!NTENNEN,63 'ERÊTMITEINFACHERUND àBERSICHTLICHER"EDIENUNG "ESTENSFàR/FF0IST&AHRER GEEIGNET LAWINENSCHAUFEL Ohne eine Schaufel besteht kaum eine Chance einen Verschütteten vor Eintreten des Erstickungstodes zu befreien. Die Praxis hat gezeigt, dass das Ausgraben weit mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Lokalisierung des Verschütteten. Die beste Schaufel ist also gerade gut genug, und stabile Modelle mit einem Schaufelblatt aus Metall sind absolut zu bevorzugen. Ein paar Gramm mehr dürfen kein Kriterium sein. Auch richtiges Ausschaufeln muss geübt werden, damit nicht eine eventuell vorhandene Atemhöhle zerstört wird. Dass das Ausschaufeln eines Erwachsenen auch aus „nur“ einem Meter Tiefe eine unglaublich anstrengende Arbeit ist, weiß jeder, der es einmal ausprobiert hat … ¤ 0)%03 )02/"% ¤ 0)%03 3#(!5&%, ¤ 0)%03 0,%#/453 ERSTE-HILFE-PAKET, BIWAKSACK, HANDY Neben LVS, Schaufel und Sonde als Standardausrüstung für jeden muss eine der Gruppengröße angepasste Anzahl an Erste-Hilfe-Paketen und Biwaksäcken mit dabei sein. In Kombination mit einer Rettungsdecke und Bekleidungsstücken liefert der Biwaksack einen guten Kälte- und Nässeschutz, so dass die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte einigermaßen gut überstanden werden kann. Aber auch für eine Vielzahl anderer Notfälle auf Skitour sind diese beiden Ausrüstungsgegenstände unverzichtbar. Auch eine entsprechende Anzahl an Mobiltelefonen gehört bei jeder Tour mit, um im Ernstfall sofort professionelle Hilfe anzufordern zu können. 0IEPSnDAS,AWINENVERSCHàTTETEN 3UCHGERÊT DER NEUEN 'ENERATION *,1Ê* Ê*,", ½STERREICHISCHE0REMIUMPRODUKTEERHÊLTLICHIMGUTSORTIERTEN &ACHHANDEL-EHR)NFOSUNTER WWWPIEPSCOM 020_023_EXTRA_Lawinen_REB.indd 21 05.12.2007 14:19:01 Uhr ALPIN EXTRA Lawinen Sicherheitsausrüstung ABS – LAWINEN-AIRBAG-SYSTEM Der ABS-Rucksack ist der erste von drei Ausrüstungsgegenständen, welche zusätzlich zu LVS, Schaufel und Sonde mitgenommen werden können, ja sollen. Diese drei stellen zwar keine Standardausrüstung dar, sind aber alle sehr empfehlenswert. Mit Abstand am effektivsten, um Ihre Überlebenschancen im Falle eines Lawinenabgangs zu erhöhen, ist die Verwendung des ABS-Systems. Es besteht aus einem Rucksack mit zwei integrierten Ballons, die nach dem aktiven Ziehen eines Handgriffs aufgeblasen werden und den Träger bei einem Lawinenabgang an der Oberfläche halten sollen. Das System hat sich in der Praxis sehr gut bewährt und kann als einziges eine Verschüttung verhindern bzw. die Verschüttungstiefe so gering halten, dass Suchen (die Ballons sind an der Oberfläche sichtbar) und Ausgraben kaum mehr notwendig sind. Uneingeschränkt empfehlenswert. AVALUNG Auch die Avalung ist in einem Rucksack integriert (es gibt sie aber auch ohne) und ermöglicht es, über ein Mundstück trotz Verschüttung, d. h. in der Lawine, weiterzuatmen. Voraussetzung ist, dass man das Mundstück in den Mund bekommt und dort behalten kann und dass man in der Lawine genügend Platz hat, um den Brustkorb zum Atmen bewegen zu können. Die auch im Lawinenschnee vorhandene Luft wird dann durch ein Filtersystem eingeatmet, das ausgeatmete CO2 wird über das Rückenteil abgeführt. Die Avalung nimmt die Verschüttung in Kauf und reduziert in keiner Weise die Verschüttungstiefe, sie kann aber auf geniale Weise die Überlebenszeit in der Lawine von ca. 15 Minuten auf bis zu 60 Minuten verlängern. Das heißt, Ihre Kameraden haben mehr Zeit zum Ausgraben und ihre Überlebenschancen steigen. Die Avalung hat in der Praxis bereits bei mehreren Unfällen funktioniert. SKIHELM Beim Variantenfahren und Freeriden trägt schon fast jeder einen, und auch beim Tourengehen stellen immer mehr Leute fest, dass es kein Fehler ist seinen Kopf zu schützen. Die steigende Zahl an Schädel-Hirn-Verletzungen gibt ihnen Recht. LAWINENBALL Der Lawinenball ist mit einer Schnur mit dem Körper des Tourengehers verbunden und wird in einer Tasche verstaut, die an jedem Rucksack befestigt werden kann. Im Falle einer Verschüttung wird eine Reißleine gezogen, der Ball springt aus der Tasche und wird durch eine Feder aufgefaltet. Während des Lawinenabgangs bleibt der Ball an der Oberfläche und nach dem Stillstand folgt man der Schnur, bis man direkt oberhalb des Verschütteten steht. Nun kann mit dem Schaufeln begonnen werden. Das heißt der Lawinenball verkürzt die LVS-Suche, versucht aber nicht die Verschüttungstiefe zu reduzieren und ermöglicht auch kein längeres Überleben im Schnee. RECCO Von oben: ABS-Rucksack (Avalanche Airbag System), Avalung, Skihelm, Lawinenball. 22 Hierbei handelt es sich um Reflektoren, welche in der Kleidung eingenäht oder auf Helm und Skischuhe aufgeklebt sind. Mittels speziellen Suchgeräten kann der Verschüttete geortet werden. Das Recco-System kommt im pistennahen Bereich zum Einsatz, es Bedarf aber immer eines groß angelegten Sucheinsatzes. LITERATURTIPP Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit: Lawinenfibel, 2007, www.alpinesicherheit.at EXTRA 1/08 020_023_EXTRA_Lawinen_REB.indd 22 05.12.2007 14:19:08 Uhr LVS Arva Modell Gewicht Anzahl Antennen Vertrieb: Edelrid Preis im Vergleich A.D.vanced 257 g 2 07562 9810 329 Euro Das A.D.vanced hat einen ScanModus, der die Entfernungsbereiche in neun Ringe abscannt. In der Praxis hat sich dieser Modus als wenig vorteilhaft erwiesen, denn die Ringe müssen handisch weitergeschaltet werden. Als gut erwiesen sich die recht einfache Bedienung, die Punktortung und auch das Tragesystem. Pieps Modell Gewicht Anzahl Antennen Vertrieb: Pieps Preis Eine Auswahl der besten und gängigsten Geräte plus ein topaktuelles Gerät für Freerider bietet unser LVS-Update. DSP 204 g 3 0043 3462 26800 349 Euro Im Vergleich zu den anderen Geräten hat das DSP die beste Reichweite, sehr gut ist auch die Punktortung. Einfachverschüttungen sind schnell und zuverlässig aufzulösen. Kritisch ist die Funktion des Markierens und Ausblendens von bereits gefundenen Geräten. Das klappt nur beim ersten Gerät gut, dann wird es schwierig. Mammut Modell Gewicht Anzahl Antennen Vertrieb: Mammut Preis Barryvox Pulse 218 g 3 08331 83920 349 Euro Der Pulse ist relativ neu auf dem Markt und wartet mit einer ganzen Reihe von neuen Features auf. Auffällig ist, dass das Gerät mit dem Suchenden kommuniziert („Gerät bitte waagerecht halten“). Pluspunkte gab es für die Markierung von gefundenen Verschütteten und die akustische Unterstützung der Punktortung. einfaches Handling sehr gute Reichweite genaue Punktortung gutes Tragesystem guter Scan-Modus gut bei Mehrfachverschüttungen gute Punktortung Anzeige Anzahl der Verschütteten Scan-Modus mit neun Ringen wenig praxisgerecht Markierfunktion funktioniert nur beim ersten Verschütteten Anzeige der Anzahl der Verschütteten schlechter An- und Ausschalter bca Modell Gewicht Anzahl Antennen Vertrieb: Krimmer Preis Tracker 251 g 2 08250 548 329 Euro Der Tracker ist seit 1999 fast unverändert. Und das merkt man dem Gerät an. Die Punktortung bei der Einfachverschüttung ist gut, allerdings verwirrt Neulinge die Entfernungsangabe (etwa doppelt so groß wie die tatsächliche Entfernung). Bei direkter Sonneneinstrahlung ist das Display schwer abzulesen. Gut sind das neue Tragesystem und die robuste Machart. robust einfachster An- und Ausschalter schnell springende Anzeige Aussetzen von Ton, Distanz und Richtung für wenig Geübte verwirrend NAGELNEU AUF DEM MARKT Modell Gewicht Anzahl Antennen Vertrieb: Pieps Preis Pieps Freeride 110 g 1 0043 3462 26800 140 Euro „Abseits der gesicherten Pisten – Niemals ohne Pieps!“ Mit diesem Slogan bewirbt die österreichische Firma ihr nagelneues digitales LVS-Gerät, das explizit für den Freeride-Bereich konzipiert wurde und für Skifahrer abseits der Piste ein super Gerät für einen super Preis ist. Doch es sei gewarnt: Das Pieps Freeride in der Größe eines Handys ersetzt kein vollwertiges LVS-Gerät und ist mit der Ein-Antennentechnik nicht den hohen Ansprüchen der Lawinensuche auf Skitour gewachsen – auch wenn der Preis noch so verlockend ist! 1/08 020_023_EXTRA_Lawinen_REB.indd 23 EXTRA 23 05.12.2007 14:19:15 Uhr