HERBERT VON KARAJAN-‐PREIS 12. Dezember 2014 Meine sehr

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HERBERT VON KARAJAN-‐PREIS 12. Dezember 2014 Meine sehr
HERBERT VON KARAJAN-­‐PREIS 12. Dezember 2014 Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Kunst oder sagen wir besser die Künste öffnen uns – und davon bin ich zutiefst überzeugt – oft verschlossen geglaubte Türen zu unserem Innersten für die großen Fragen und Geheimnisse des Daseins. Sie sind es, die es uns ermöglichen gleichzeitig auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu blicken. Durch sie erfahren und wissen wir heute mehr als gestern und morgen mehr als heute. Vorausgesetzt natürlich, sie werden mit einer solchen Ernsthaftigkeit und Professionalität, mit einer solchen Hingabe und Demut, gepflegt wie es Herbert von Karajan vorgelebt hat und wie es seit ihrer Gründung vor über 150 Jahren die Wiener Philharmoniker so vollendet demonstrieren. Heute wird diesem unvergleichlichen Orchester die Ehre des Herbert von Karajan-­‐
Musikpreises zuteil. Dabei geht es allerdings nicht nur darum, das Andenken an eine außerordentliche Künstlerpersönlichkeit lebendig zu halten. Es geht auch nicht nur darum, eine der weltweit wichtigsten, berühmtesten und angesehensten kulturellen Institutionen in den Mittelpunkt zu rücken oder ihre singuläre Stellung in der Musikwelt gebührend zu feiern. Nein, der Herbert von Karajan-­‐Musikpreis steht für viel mehr. Er ist eine ehrenvolle Anerkennung und gleichzeitig eine Verpflichtung. Beginnen wir aber zunächst mit der Anerkennung. In seiner ausführlichen Begründung für die diesjährige Vergabe an die Wiener Philharmoniker streicht Dr. Clemens Börsig vor allem zwei Punkte hervor: der Preis ehrt zum einen die „philharmonische Idee“ und zum anderen den „Klang“ der Wiener Philharmoniker. Die Besonderheit dieses Orchesters liegt genau darin: Zwei vermeintlich einfach zu definierende Fundamente, deren Bedeutung jedoch komplexer nicht sein könnte. Die philharmonische Idee beginnt bei der Selbstverwaltung – also einer demokratischen, künstlerischen und unternehmerischen Eigenverantwortlichkeit – und endet bei einem gemeinsamen Ziel: nämlich einen spezifischen Klang zu erzeugen und diesen über Jahrzehnte, eigentlich Jahrhunderte zu erhalten. Sich dieser Herausforderung überhaupt stellen zu können, erfordert unendliches Engagement jedes einzelnen Mitglieds und die Bereitschaft, sich der gemeinsamen Idee unterzuordnen. Richard Strauss schrieb anlässlich der 100-­‐Jahr-­‐Feier der Wiener Philharmoniker im Jahre 1942 – und diese wunderbaren Worte gelten heute wie damals: „Die Philharmoniker preisen heißt Geigen nach Wien tragen. Doch schätze ich das Piano der Bläser, den Glanz ihrer Harfen und die unerbittliche Pauke nicht minder. Eure künstlerischen Leistungen werden von den begeisterten Zuhörern der ganzen Welt umjubelt. Ich möchte mein Lob heute nur in zwei kurze Sätze fassen: ‚Nur wer die Wiener Philharmoniker dirigiert hat, weiß, was sie sind!’ Doch das bleibt unser eigenstes Geheimniß! Ihr versteht mich schon: hier – wie am Pult!“ Der „Wiener Klang“. „Weicher, schmiegsamer, runder, fülliger, glänzender, satter, feiner schattiert, ausgewogener“ als der von anderen Orchestern charakterisierte ihn der bedeutende Musiksoziologe Kurt Blaukopf. Um freilich gleich danach anzumerken, dass es sich dabei bestenfalls um Metaphern handeln könne. Denn wirklich entschlüsseln könne man das Geheimnis dieses typischen Wiener Klangs nicht. Selbst durch die Tatsache, dass die Wiener Philharmoniker zum Teil andere Instrumente – wie die Wiener Oboe oder das Wiener Horn – verwenden, die Fagottisten auf spezielle Griffkombinationen schwören, die Trompete über eine etwas engere Mensur verfügt, bei den Schlagwerken alle Fellinstrumente grundsätzlich mit Naturfellen bespannt sind, lässt sich dies bestenfalls zum Teil erklären. Denn Instrumente sind immer nur eine Sache, wie sie gespielt werden, eine andere. Und genau das macht die Wiener Philharmoniker, wie es einer ihrer besten Kenner, der Dirigent Hans Knappertsbusch, einst geschrieben hat, unvergleichlich: ihre besondere Art zu musizieren. Sie ist die Basis für diese Weichheit des Tones, diese glitzernde Brillanz, diese unverwechselbare Natürlichkeit der Phrasierung. Dies persönlich zu erfahren, hatte ich im Herbst 1988 erstmals Gelegenheit. Leonard Bernstein lud mich ein, gemeinsam mit den „Wienern“ die „Kindertotenlieder“ aufzuführen. „Was für ein Klang“ dachte ich, als ich die erste Orchestereinleitung im Goldenen Saal des Musikvereins hörte; ein idealer Raum, der seit 1870 durch seine akustischen Qualitäten den Klangstil und die Spielweise des Orchesters prägte. Etwas Beseelteres hatte ich nie zuvor gehört. Was für eine beglückende Erfahrung, mich im Kreise solcher Musikerpersönlichkeiten wiederzufinden und gemeinsam musizieren zu dürfen. Niemals hatte ich mich so musikalisch getragen gefühlt. Heute, viele Jahre später, bin ich stolz, vielleicht ein bisschen zur Philharmoniker-­‐
Familie zu gehören. Die Wiener Philharmoniker sind ein außergewöhnliches Orchester in jeder Hinsicht. Ebenso außergewöhnlich wie das Genie Herbert von Karajan, dem dieser Preis gewidmet ist. „Jede künstlerische Leistung ist ein Sieg über die menschliche Trägheit“ hat er einmal gesagt. Karajan ging es niemals ausschließlich um den Drang nach Ästhetik und Schönklang. Ihm ging es um mehr: Exzellenz, Verantwortung, Ehrlichkeit und – im besten Sinne – die Pflege der Kunst. Er glaubte an Vollendung, an Perfektion und Gestalt. „Wer die Form zerstört, beschädigt auch den Inhalt“ hat er immer wieder betont. Er konnte das Orchester dazu bringen, seine künstlerischen Vorstellungen bis ins Detail umzusetzen. Allerdings darf sich das Bemühen um das Beste nicht nur im Ästhetischen erschöpfen oder zur oberflächlich hedonistischen Erfahrung kultivierten Klanges werden. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass große Kunst immer eine ethische Dimension hat. Schon Platon meinte, dass eine unauflösbare Verbindung zwischen dem Guten und dem Schönen besteht. An diese Verbindung glauben auch die Wiener Philharmoniker. Eine Qualität, die das Orchester darüber hinaus im Sinne Karajans auszeichnet, ist die Tugend der Demut. Jede/r einzelne für sich – unverwechselbar und großartig – verschmelzen sie doch zu einem einzigen künstlerischen Ganzen, einem tönenden Zusammenschluss orchestralen Klanges. Was daran hörbar wird, ist die Einsicht, dass wir als Individuen in eine musikalische Gemeinschaft geboren wurden, in der alle vorangegangenen Generationen ihre Spuren hinterlassen haben – sie sagen uns, woher wir kommen. Auf diese Weise sind die Wiener Philharmoniker auch eine Art Gedächtnis. Selbstverständlich verkörpern die Wiener Philharmoniker auch die Tugend der Verantwortung. Und das meine ich in zweierlei Hinsicht: Verantwortung gegenüber einem Erbe, das gepflegt werden muss, um weiter zu leben. Im Sinne des ehemaligen Musikdirektors der Wiener Philharmoniker, Gustav Mahler, der meinte: „Tradition ist die Bewahrung des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Verantwortung trägt auch das Wort Antwort in sich. So müssen wir Antworten auf jene Fragen finden, die uns frühere Generationen durch ihre Musik stellen. Nun aber zum Auftrag, den dieser Preis bedeutet: Er fordert Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Sie haben wie wir das Recht, Fragen zu stellen. Waren wir den Herausforderungen gewachsen? Was haben wir für jene getan, die nach uns kommen werden? Haben wir die Geschichte fortgeschrieben oder unterbrochen? Sich gleichzeitig als würdiger Nachfolger und als würdiger Vorgänger zu erweisen ist ein gelebter philharmonischer Wert. Nicht als rein moralische Verpflichtung, sondern als Wert, der über Generationen hinweg weitergegeben wird. Heute laufen Kunst und Kultur Gefahr, Teil der schnelllebigen Unterhaltungsindustrie zu werden. Ist nicht unsere eigentliche Aufgabe als Künstler, Kunst als Labor des menschlichen Daseins zu erklären und zu pflegen? Ist es ein utopisches Ziel, die Jugend von heute dafür zu gewinnen? Sicher nicht wenn man Herbert von Karajan fragen würde, der immer wieder betonte: „Wer all seine Ziele erreicht hat, hat sie zu niedrig gewählt.“ Meine Damen und Herren, Wissen ist nicht ein Rucksack voller Qual, den man einem jungen Menschen aufbürdet, sondern die Voraussetzung für ein erfülltes Menschsein. Ich möchte an dieser Stelle gerne einen meiner persönlichen Mentoren, den großen Nikolaus Harnoncourt, zitieren: „Kunst ist ein imaginärer Bereich, der uns als Gegensatz zur materiellen Welt gegeben wurde. Wir bezeugen heute den Triumph der Nützlichkeit: Je mehr der Mensch besitzt, umso glücklicher glaubt er zu sein. Daher ist es auch natürlich, uns zu überzeugen, dass Kunst und sie zu erlernen unnötig ist.“ Hören wir genug auf die Dichter, die Komponisten, die Maler? Beachten wir ihren Beitrag zu einer besseren, vernünftigeren, menschlicheren Welt? Gehen wir heute verantwortungsvoll mit unserer Kunst um? Wenn sich Kunst nicht als wirtschaftlicher Zweck rechtfertigen lässt, zählt sie oft nicht und wird oft als elitär denunziert. Ich denke aber, dass die Kunst nichts tun muss. Sie ist kein Marketinginstrument und kein Werkzeug der Provokation. Die Kunst hat nichts zu beweisen. Sie ist das Tagebuch unseres Daseins! Wir müssen von ihr lernen, hinzuhören wie andere Menschen denken, fühlen, spielen, flüstern, lieben und leben. Ja, wir leben in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen und neuer Chancen, aber auch des globalen Wertewandels. Die Allgegenwärtigkeit des Mittelmäßigen und der Ignoranz ist nicht zu übersehen. Eine Institution wie die Wiener Philharmoniker und der philharmonische Gedanke sind ein Schutz vor der Versuchung davor die Augen zu verschließen. Ihre Existenz bringt Licht in Bereiche des Schattens. Daher ist es unser aller Aufgabe, dieses Licht zu beschützen und zu ehren. Die Musik der Wiener Philharmoniker beglückt Jahr für Jahr Millionen von Menschen in aller Welt. In ihrer Funktion als Leuchtturm, entzünden sie mit ihren Jugendprogrammen, die von Musik-­‐Akademien über Masterclasses bis hin zu Operncamps reichen, überall Begeisterung. Sie öffnen jungen Menschen die Türen zu einer Welt des musikalischen Dialogs und ermöglichen ihnen so ihr eigenes Tagebuch des Daseins zu schreiben. Dafür haben wir ihnen Respekt zu zollen, ihnen zu danken und ihnen aus ganzem Herzen zu ihrer heutigen Ehrung zu gratulieren! Vielen Dank!