C Von MfG bis cu 18er

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C Von MfG bis cu 18er
Inhaltsverzeichnis
~~~~t~~~{falf~J'~~~~~.~.~.~~~~~~~~.~::'~~~~ . 137
Als-ob-Gespräche: quasikommunikatives Sprechen zu Tieren .... 148
Nachhaltigkeit - Karriere eines Schlüsselworts ................................ 156
Fragen und Antworten .................................;..................................... 162
Aus der GfdS ....................................................................................... 168
Bericht. .................................................................................................. 178
Buchbesprechung ................................................................................180
Aussprache ........................................................................................... 182
Preisaufgabe ......................................................................................... 183
Das vokative 0 ....••.•••••••.•.•••..••.•.•••••••••••••.•••.•.•......•.•••.•.•.•.•...•.•.•••••••••.•. 183
Stichwörterverzeichnis für den Jahrgang 2005 ...............................185
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Impressum
Anschrift (Herausgeberin, Redaktion, Verlag,
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Von MfG bis cu 18er
Sprachliche und kommunikative Aspekte von Chat, E-Mail
und SMS
Von Torsten Siever, Hannover
Die Erfindung des Telefons war zweifelsohne (schon aufgrund der Vernetzung)
eine kaum zu überschätzende Revolution. Für ein zwischenmenschliches Gespräch
bestand seither nicht mehr die Notwendigkeit, den Gesprächspartner persönlich
aufzusuchen. Die bequeme Alternative bildete fortan das Abheben des Hörers und
Nennen des gewünschten Gesprächspartners bzw. ab 1955 die eigenständige Wahl.
Kaum weniger bedeutsam waren andere Entwicklungen von Gerätschaften und
Technologie wie etwa zum drahtlosen Kommunizieren mittels Funk(gerät) - heute
subsumiert unter dem Schlagwort wireless.
Verbunden hat sämtliche Entwicklungen, dass die ersten Verwendungen andere
Weisen des kommunikativen Umgangs mit sich brachten, als dies vor Verwendung
der Erfindung (hier: Gespräche von Angesicht zu Angesicht) der Fall gewesen ist.
So war es eine Attraktion, sich per Telefon - über einen Draht! - unterhalten zu
können, was sich im engeren Sinne erst nach dem Abklingen anfänglicher Test- und
Begeisterungsphasen einstellte.
Ablesbar aus diesem Rückblick ist m. E. die triviale wie entscheidende Erfahrung,
dass jedes Kommunikationsmittel Zeit benötigt, um sich zu »etablieren«; ein Tatbestand, der sich nicht nur auf den alltäglichen Gebrauch der Technik, sondern auch
auf kommunikative und insofern auf sprachliche Verwendungsweisen bezieht.
Bei einigen etablierteren Innovationen wie der Chatkommunikation ist diese
Zeit - abgesehen von ersten Gehversuchen von Newbies (>Neulingen<) -längst vorüber, wie äuch die Zeit, in der die Sprachwissenschaft eine »neue« Sprache vermutete. Exemplarisch für etablierte computervermittelte Kommunikation soll in den
folgenden Abschnitten daher die Chat-, E-Mail- und SMS-Kommunikation mit ihren wichtigsten Merkmalen und Forschungsergebnissen dargestellt werden; zudem
sollen einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden.
Plaudern im virtuellen Raum
Liebe Mitglieder der Gesellschaft für deutsche Sprache, liebe Leserinnen und Leser,
Sie halten das Heft des Jahres in der Hand, das traditionsgemäß das Stichwörterverzeichnis für den
gesamten Jahrgang enthält. Außerdem finden Sie ejngeheftet das Gesamtinhaltsverzeichnis des
Sprachdienst-Jahrgangs 49 (2005), das Sie wie gewohnt zum Binden herausnehmen können.
Bitte beachten Sie, dass die Wörter des Jahres 2005 am Freitag, den 16. Dezember von der Gesellschaft
für deutsche Sprache bekannt gegeben werden.
Herausgeberin und Redaktion
Im Rahmen von computer-mediated communication (>computervermittelte Kommunikation<) zählen die Beschreibungen Und Analysen innerhalb des Bereichs »Chatkommunikation«l zu den differenziertesten. Neben dem E-Mail-Dienst stellen sie
zudem die am häufigsten genutzte Kommunikationsform dar. Sie ist streng genommen asynchron2, da Sprachproduktion und Äußerung zeitlich getrennt erfolgen,
d. h. eingegebene Buchstaben nicht sofort auf den Bildschirmen der anderen Teil-
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1 Ein Überblick sowie
eine umfangreiche Bibliographie zu den hier vorgestellten Kommunikationsfo=en finden sich unter http://www.mediensprache.net/.
2 ANGELIKA STaRRER, Sprachliche Besonderheiten getippter Gespräche: Sprecherwechsel und sprachliches Zeigen in der Chat-Kommunikation, in: MICHAEL BElSSWENGER (Hg.), Chat-Kommunikation. Sprache, Interaktion, Sozialitäfund Identität in synchroner computervennittelter Kommunikation, Stuttgart 2001, S. 7..
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137
nehmer erscheinen, sondern erst nach abschließender Betätigung der Enter-Taste.
Da es sich jedoch nur um Verzögerungen im Sekundenbereich handelt, hat sich
hierfür der Begriff quasi-synchron etabliert (vgl. unten).
Vor dem Einstieg in den Chat schlüpft der Nutzer allerdings - unabhängig vom
Ort des Chattens (>Plauderns<) - mittels eines selbstgewählten Pseudonyms wie
Lisamaus, Mazuiruu oder Mr.Right in eine virtuelle Identität, über deren Übereinstimmung mit dem »Original« in Bezug auf Alter, Geschlecht oder Wesenszuschreibungen etc. der Chattende selbst entscheidet. Nach dem Betreten eines »Raumes«,
der ein Gesprächsthema (Flirt) oder örtliche Verbundenheit (Muenchen) vorgibt,
folgen in der Regel nach mehr oder minder langer Orientierungsphase Begrüßungssequenzen, wie im folgenden Beispiel die Zeilen 1,3-5,7-8 illustrieren.
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
(10)
(11)
(12)
(13)
(14)
(15)
(16)
(17)
(18)
(19)
(20)
[zu B] hallöle /\./\
7me und wünscht nen schönen rest Sonntag /\/\
Einen wunderschönen guten
D:
Hallo
A:
[zu B] /\/\
E:
[zu G] wir mitn auto in nen gurkenlaster fährt is schon nen bissei
kmiscvh
F:
[zu Q] na du ;)
C:
Tag an alle
G:
[zu E] ich lass mich aber nicht einsperren
B:
[zu A] hallöchen A
H:
[zu 0] gehen wir in den raum dailyjx?
<I mal etwas länger weg ist.. mail schreiben ... 1001>
J:
[zu G] kotz kotz kübel ohhhhhhhh doch
A:
[zu B] wie geht es dir?
K:
[zu D] hi
<L geniesst die ruhe ... gg>
M:
[zu A] da gibts nur ärger wie man sieht ....... Iach
<N trägt LaLaRu zurück in die Krabbelecke und gibt LaLaRu ein paar Legos
zum Spielen.>
A:
[zu J] ähm ..ja
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0:
[zu H] Bin schon drin
A:
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138
Quelle: Mainfranken-Chat <http://www.mainfranken-chat.com/>. 3.7.2005
Der exemplarische (anonymisierte) Chatdiskurs ist bereits bereinigt von computergenerierten. Info=ationen wie >volkan< kommt in den Raum Lobby gestürmt oder
>soistes< verläßt diesen Raum - und gleichwohl noch recht unübersichtlich. Geschuldet ist dies den parallelen »Gesprächssträngen«3: In einem Chatraum (Channel)
sprechen - ähnlich dem »Gesprächswirrwarr« in einem Partykeller - nicht sämtliche
Personen miteinander, sondern unterschiedlich große Gruppen vorwiegend unter~inander, und die Bildschi=zeilen stellen quasi das niedergeschriebene Protokoll [-+
3 NILS LENKE/PETER SCHMITZ, Geschwätz im >Globalen Doif< - Kommunikation im Internet, in: OBST.
OsnabTÜcker Beiträge zur Sprachtheorie, Nr. 50/1995, S. 117-141.
des mit einem Raurnmikrofon aufgenommenen Ganzen dar. Hierfür wäre es notwendig, die parallelen Gesprächsbeiträge zu arrangieren, was der den Chat anbietende Server erledigt, indem er die eingegangenen Äußerungen (chronologisch) an
alle oder beim »Flüstern« an ausgewählte Nutzer weiterreicht. Aus dieser Abfolge
ergibt sich, dass der Text nicht Zeile für Zeile gelesen werden kann, sondern zuerst
die zusammengehörenden Gesprächspartner ermittelt werden müssen; nur deren
Zeilen ergeben einen kohärenten Sinnzusammenhang, ein Gespräch.
Die Verwendung des Wortes Gespräch statt Diskurs ist beabsichtigt, denn ein Chat
lehnt sich stark an Gespräche an. Auch wenn zu Recht bemängelt wird, dass es
sich nicht um direkte, wechselseitige Kommunikation handelt,< hat sich dennoch
gezeigt, dass sich die Instruinente der Gesprächsanalyse gut zur Untersuchung und
Interpretation von Chats eignen5 und diese entsprechende Parallelen aufweisen.
Betrachten wir hierzu den Chatmitschnitt eingehender, so lassen sich zahlreiche
Begrüßungs- und Verabschiedungssequenzen sowie gesprächseröffnende Äußerungen erkennen (Z. 3,4,8 etc.). Sie können allgemein an alle Anwesenden gerichtet
sein oder direkt an eine bestimmte Person, was durch das vorangestellte Pseudonym signalisiert wird. 6 Im obigen Beispiel muss A zwei Versuche unternehmen
(Z. 1,5), bis er (oder sie) eine Rückmeldung von B bekommt (Z. 10). Isoliert man die
Gesprächszüge von A und B, ergibt sich ein typischer Gesprächseinstieg:
(1)
(5)
(10)
(14)
(17)
(19)
A:
A:
B:
A:
M:
A:
[zu B] hallöle /\/\
[zu B] /\/\
[zu A] hallöchen A
[zu B] wie geht es dir?
[zu A] da gibts nur ärger wie man sieht ....... Iach
[zu J] ähm ..ja
Dieser wird jedoch unterbrochen durch »Zwischenreden« von M in Zeile 17,
der offenbar die unflätige Aussage von J (Z. 13) kommentiert. Die Ergänzung lach
deutet allerdings schon darauf hin, dass J kein unbekannter Querulant ist, was sich
spätestens im weiteren Gesprächsv~laufherausstellt (hier aus Platzgründen ausgespart). Deutlich wird an diesem kurzen Ausschnitt bereits, dass Personen im Chat
zeitgleich an verschiedenen Diskursen beteiligt sein können. Dies zeigt sich auch an
der Antwort von 0, die auf die an sie gerichtete Frage gehen wir in den raum daily/;r:?
antwortet: Bin schon drin (Z. 11, 20). Nicht nur die Kommunikation mit mehreren
Personen wird folglich praktiziert, sondern dies auch noch in unterschiedlichen
Räumen. Ein solches Verhalten ist nicht nur hoch kommunikativ, sondern e=öglicht den Chattenden auch, dort zu agieren, wo sich virtuelle wie persönlich be[-+
kannte Personen befinden oder der Dialog am interessantesten erscheint.
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4 JOHANNES BITJNER, Digitalität,
Sprache, Kommunikation. Eine Untersuchung zur Medialität von digitalen
Kommunikationsformen und Textsorten und deren varietätenlinguistischer ModelIierung, in: Philologische Studien und Quellen, hg. v. ANNE BEITEN/HARrMu-r STEINECKE/HoRST WENZEL, Bd. 178, Berlin 2003.
5 JULIANE SCHÖNFELDT, Die Gesprächsorganisation in der Chat-Kommunikation, in: BEl5SWENGER (wie
Anm. 2), S. 25-53.
6 In den meisten Chats erfolgt dies effizienter durch Nickname + ggf. Doppelpunkt (Mazuiruu: hallöle).
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139
Erkauft wird diese >Chatkompetenz< bisweilen mit fehlenden oder flüchtigen
Rückmeldungen auf allgemeine Ansprache oder Fragen, wobei der zum Teil als
hastig erscheinende Sprachstil hierfür weniger verantwortlich ist. Vielmehr zeigen
sich gesprächstypische, also für die mündliche Umgangssprache charakteristische
Merkmale, die an einem weiteren (wiederum bereinigten) Beispiel verdeutlicht
werden sollen:
(30) P:
(31) A:
(32) A:
(33) A:
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[zu A] na? auch wieda da?
mom ..... telefon
[40 sec]
[zu P] also .. jetzte bin ich da ..
[zu P] ja, was hast gefragt?
In Zeile 30 etwa schreibt P wieda statt wieder, verschriftet also das, was sie in einem Face-to-Face-Gespräch lautlich geäußert hätte. Vergleichbares findet sich bei
jetzte (Z. 32) oder gibts (Z. 17). Auffallend ist dies insofern, als es sich um geschriebene Sprache handelt, diese jedoch durchsetzt ist von Kennzeichen mündlicher
Kommunikation. Wie oben angedeutet, handelt es sich bildlich gefasst um eine
Art Gesprächsprotokoll, in dem jeder Kommunikant seine eigenen Äußerungen
verschriftet. Um diese ve=eintliche Diskrepanz aufzulösen, hat sich das Konzept
der Trennung von konzeptioneller Realisation und medialer Realisierung durchgesetzt? Während also das Medium textbasiert ist und neben der Übertragung von
graphischen keine phonischen Zeichen (Laute) zulässt, verwenden die Sprachbenutzer keine an orthographische Regeln angelehnte typische Schrift- oder Hochsprache, sondern verschriften ihre gesprochene Sprache. Dies ist allerdings nicht grundlegend ungewöhnlich, denn auch die Rede eines Bundeskanzlers wird schriftlich
fixiert, obgleich sie sprechsprachlich realisiert ist. Der Unterschied besteht jedoch
einerseits in der Lexik (hi, hallächen; Z. 15, 10) und andererseits in Apokopen (is
statt ist, Z. 6) auf der Wortebene oder Ellipsen ([bist du] auch wieda da, Z. 30) auf der
syntaktischen. Auch Assimilationen wie mitn (statt mit dem, Z. 6) werden realisiert.
Darüber hinaus fallen Chatdiskurse durch den Gebrauch von Regionalismen und
Dialektverschrifumg (bissei, Z. 6) sowie durch die Verwendung von Interjektionen
wie Gesprächspartikeln (ähm, Z. 19; ohhhhhhhh, Z. 13) auf~
Vor diesem Hintergrund erscheint der Terminus Gespräch nicht wirklich abwegig.
Sichtbar wird dies im letzten Beispiel durch die nach einem Telefonanruf erfolgte,
Wiederaufnahme des Gesprächs seitens A: Die Frage was hast gefragt? (Z. 33) ist im
Grunde überflüssig, da er im Chatfenster wenige Zeilen weiter oben die Frage von P
hätte nachlesen können, was in einem Face-to-Face-Gespräch freilich nicht möglich .
ist. Dass A dennoch rückfragt, belegt m. E. ebenfalls die Gesprächswertigkeit des
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Diskurses.
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In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die Chattenden um die
Gesprächssituation wissen. Da Mimik, Gestik und andere außersprachliche Handlungen für die Gesprächspartner nicht sichtbar sind, bedarf es einer entsprechenden
Kompensation. Als Mimikersatz dienen Srnileys wie;) in Zeile 7 als zwinkerndes
»Gesicht«8 oder Inflektive9 (lach, Z. 17), die häufig in Sternchen eingefasst werden.
Letztere werden auch für komplexere Handlungen verwendet wie in *vordirindenstaubwerf*. Ferner finden auch Kurzwörter und Abkürzungen Anwendung (häufig
als »Akronyme« bezeichnet) wie g für grins (hier gg, Z. 16) oder 101 (hier 1001, Z. 12)
für engL laughing out loud. Um Emphase auszudrücken, können Zeichen auch großgeschrieben oder iteriert (wiederholt) werden, wie dies bei gg in Zeile 16 realisiert
worden ist. Die Zeicheniteration in Zeile 13 (ohhhhhhhh) stellt hingegen keine Emphase dar, sondern ist wiederum das schriftliche Pendant zum gedehnten Laut.
Ein weiterer Wesenszug von. Chats ist Effizienz. No=gerechte Schreibung ist in
der Regel einer gewandten, schlagfertigen Kommunikation untergeordnet, sodass
sich in den seltensten Fällen Groß- und Kleinschreibung findet, sondern vorwiegend konsequente Kleinschreibung. Auch hinsichtlich der Orthographie wird wenig Wert auf normkonfo=e Schreibung gelegt, wie insbesondere Zeile 6 illustriert:
wir mitn auto in nen gurkenlaster fährt is schon nen bissel kmiscvh. Es ist vielfach bezweifelt worden, dass es sich bei solchen Fällen um Schreib schwächen handelt, und das
zeigt sich auch innerhalb eines Chats. Als Ursache für die »fehlerhafte« Schreibung
wird in der Regel die Verwendung einer Tastatur in Verbindung mit der Dauer für
das Tippen angesehen, das für den oder die Gesprächspartner unsichtbar abläuft.
In der Umkehrung bedeutet dies, dass die Chattenden keine Kenntnis haben von einer Reaktion oder Inaktivität ihres Chatpartners. Folgerichtig bemühen sie sich um
eine möglichst zügige Reaktion, schon um zu verhindern, dass andere früher oder
zeitgleich reagieren - was zu Überlagerungen führt. Auch hier lässt sich wiederum
Gesprächswertiges insofern erkennen, als man das Gegenüber nicht lange auf eine
Antwort warten lassen möchte und kann. Parallelen lassen sich gar zu solchen Telefonaten ziehen, die unter einer »schlechten Verbindung« leiden, d. h., wo zwischen
Äußerung und Rezeption zeitliche Differenzen liegen. In solchen Fällen kommt
es ebenfalls immer wieder zu parallelen Turns. Um dies beim Chat zu vermeiden,
müssen Äußerungen schnellstmöglich produziert oder aber fragmentiert werden,
wie dies in Zeile 32 und 33 realisiert worden ist. lo
Neben der nicht normkonfo=en Orthographie bleiben weitere Möglichkeiten
zur effizienteren Kommunikation. Auffällig sind hierbei fehlende Zeichensetzung
sowie Phänomene wie die bereits genannten Ellipsen oder Assimilationen (kannste
statt kannst du). Natürlich gehören auch Abkürzungen in diesen Bereich, wobei
nicht nur konventionalisierte wie g gebraucht werden, sondern auch ad hoc gebildete wie mom für Moment (Z. 31).
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(1J
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(1J
Schriftliclikeit und Sprache, in: HARTMUT GÜNTHER/OrrO LUOWIG
(Hg.), Schrift und Schrijtliclikeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Berlin/
New York 1994, S. 587-604.
7 PETER KOCH/WULF OESTERREICHER,
8
Die Vollform mit Nase ist;-).
9 PETER SCHLOBINSKI, *knudde1- zurueckknuddel- dich ganzdollknuddel*.
Inflektive und Inflektivkonstruktionen im Deutschen, in: Zeitschrift für germanistische Linguistik, Nr. 29.2/2001, S. 192-218.
10 Möglich wäre auch eine Deuhmg als Nachtrag.
...
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Wenngleich die beschriebenen sprachlichen Merkmale in zahlreichen Chatdiskursen auszumachen sind, können sie je nach Serverbetreiber, Inhalt, persönlichen
Erfahrungen (vor allem mit Chats), dem Alter und weiteren Variablen erheblich
variieren - so etwa bei einigen moderiertei:1. (zum Beispiel politischen) Chats11 oder
bei multilingualen Chats (Code-Switching12).
•
Netz-Korrespondenz
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Die E-Mail-Kommunikation gehört zu den ältesten Diensten vernetzter Computer. Im Gegensatz = Chatkommunikation dient sie gleichermaßen privater wie
geschäftlicher Korrespondenz, und schon von ihrer Anlage her ist sie asynchron
(zeitversetzt) und wird auch im überwiegenden Fall demgemäß verwendet.
E-Mails haben andere Formen des Kommunizierens in mehr oder weniger großem Umfang substituiert. Zu nennen wären hier vor allem die mit deutlich höherem Kosten- und ZeitaUfwand verbundenen Briefe (sog. »Snail-Mail«) sowie Telefonate. Mittlerweile sind E-Mails im Kundenkontakt bindend, und die Schweizer
Post beabsichtigt, unter dem Schlagwort INCA-Mail (Integrity, Non repudiable,
Confidential and Authentie) rechtssicheren E-Mail-Verkehr zu offerieren.
Dabei gibt es neben der fehlenden Unterschrift noch weitere Kriterien, die eine
E-Mail vom Brief unterscheidet. Schreibfehler in der Adresse etwa führen unweigerlich zur Nichtzustellung - oder schlimmer: zu einer Zustellung an eine nicht
vorgesehene Person. Auch Weiterleitungen sind ohne Aufwand möglich, was nicht
immer im Interesse des Verfassers sein mag. Schwerwiegender erscheint allerdings die Tatsache, dass E-Mails virtuelle Dokumente sind, die ohne Ausdruck
immateriell bleiben; als WlSsens- und Belegdatenbank ist ein E-Mail-Archiv auf der
Festplatte ebenso wenig geeignet wie als anschaulicher Belegschatz für intime Bekundungen.13 Briefwechsel-Editionen prominenter Persönlichkeiten könnten eines
Tages eine seltene Ausnahme darstellen. Hinzu kommt die Tatsache, dass E-Mails
niemals mit Gewissheit in derjenigen Form beim Adressaten eintreffen, In der es der
Absender vorgesehen hat. Trotz l\1IME und HTML können zum Beispiel verwendete Schriften auf dem Zielrechner fehlen, ein Programm kann ohne entsprechende
Unterstützung durch den Zielrechner verwendet werden oder die Sicherheitseinstellungen konvertieren die aufwändigst gestaltete E-Mail in simplen Nur-Text. Geschwindigkeitsvorteil und Gestaltungsvielfalt dank Computernutzung .auf beiden
Seiten stehen folglich Unsicherheit und Unberechenbarkeit gegenüber.
Der Sprachgebrauch ist davon allerdings weniger betroffen. Dieser wird maßgeblich bestimmt von Kommunikationssituation und Adressatenkreis14 - also funkti- [-+
onalen Aspekten. Handelt es sich um eine Einladung, ein Kündigungsschreiben,
einen Werbebrief, ein Glückwunschschreiben oder eine Produktbestellung, werden
je spezifische Schreib»stile« verwendet. So zeigt sich dies bereits bei der Begrü.ßung, die je nach Bekanntheitsgrad, Anliegen und sozialem Gefüge mit Hallo, Sehr
geehrte(r) Frau/Herr oder Liebe(r) beginnt. Letzteres scheint hierbei eine quantitative
Aufwertung erlangt zu haben zu Lasten der förmlicher und distanzierter wirkenden Anrede Sehr geehrte(r) ... Allerdings liegen hierzu keine validen Daten vor. Dies
gilt ebenso für Verabschiedungen wie MfG resp. Mit freundlichen Grüßen. Da einige
Softwareprodukte manche Kurzformen automatisch in ihre Vollformen überführen
(»Autokorrektur«), lassen sich über die Verwendung von Kurzwörtern und Abkürzungen nur sehr bedingt Aussagen treffen. Bezüglich der anderen im letzten
Abschnitt genannten Merkmale ist festzustellen, dass eine Verwendung von z. B.
Smileys deutlich seltener in Betracht gezogen wird, als dies beim Chat der Fall ist.
Auch Inflektive wie *freu* treten selbst bei privater Kommunikation in geringerem
Umfang in Erscheinung. Ein Erklärungsansatz wäre, dass Chats unmittelbarer und
direkter sind und einen hohen Anteil an phatischer Kommunikation, also einen
»Plauderanteil« aufweisen, und dass »Zustands«ausdrücke wie *aufdenbodenwerf*
in asynchronen Kommunikationsformen weniger sinnvoll sind als in (quasi-)synchronen. Insbesondere auch die vergleichsweise starke Wahrung der Schriftnormen
(Orthographie und Zeichensetzung) ist gegenüber der Chatkommunikation auffällig, wenngleich auch hier teilweise die Software einzugreifen vermag (so »korrigiert« Outlook etwagibts ingibt's).
Besonderheiten ergeben sich vor allem durch die einfache Zitierung vorausgegangener Texte oder Textpassagen wie Fragen, auf die sequenziell reagiert werden kann
und die Quasi-Dialoge15 - oder im strengen Sinne Quasi-Paarsequenzen - darstellen.
Hallo [Vorname],
> bist du am Donnerstag da? Wenn ja, wann?
bin heute, morgen und am Freitag (vermutlich aber nur bis 13 h) in der Uni.
Beste Grüße
[Vorname]
Dennoch enthalten E-Mails wie ihre papierenen Pendants in der Regel alle
wie Absender und Adressat, Anrede, Textkörper und
Grußfo=eP6 und dürfen daher durchaus als Nachfolger des Briefes bezeichnet
werden.
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Kurzrnitteilung per Handy
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VgL hierzu HAro DIEKMANNSHENKE, »Das ist aktive Politik, Danke und Tschüß Franz«, in: BEISSWENGER
(wie Anm. 2), S. 227-254.
12 JANNlS K. ANDROUTSOPOULOS/VOLKER HINNENKAMP, Code-Switching in da bilingualen Chat-Kommunikation: ein explorativa Blick auf#hellas und #turks, in BElSSWENGER (wie Anm. 2), S. 367-40l.
13 HOLGER WÖLFLE, Liebeskommunikation in E-Mtiils, in: ARm ZrEGLER/CHRlSIA DÜR!iCHEID (Hgg.), Kommunikationsform E-Mtiil, Tübingen 2002, S. 187-215.
14 Festgehalten hat dies bereits 1994 NINA JANICH: Electronic Mail, eine betriebsintane Kommunikationsform, in: Muttasprache. Vierteljahresschrift für deutsche Sprache, Nr. 3/1994, S. 248-259.
11
Als Comeback des »Telegramm[s], ein Text nicht auf Papier, sondern auf dem
Handy«17 wurde der bzw. die SMS (Short Message Service bzw. die Kurzmitteilung [-+
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Näheres bei JENS RUNKEHL/PETER SCHLOBLNSKI/ToRSTEN SlEVER, Sprache und Kommunikation im Internet. ilbablick und Analysen, Opladen 1998.
16 JÖRG MEIER, Vom Brief zur E-Mtiil - Kontinuität und Wandel, in: ZrEGLER/DüRsCHEID (wie Anm. 13),
S.57-75.
17 JoHANNES SCHWITALLA, Kleine Botschaften. Telegramm- und SMS-Texte, in: OBST. OsnabTÜcka Beiträge
zur Sprachtheorie, Nr. 64/2002, S. 33.
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144
selbst) bereits beschrieben. Lässt man den Technologiesprung außer Acht, sind
SMS-Mitteilungen gegenüber Telegrammen vor allem preiswert, weniger aufwändig zu versenden und dies gänzlich ohne menschliche Vermittler (Telegraphisten zu
Zeiten der Telegraphie).18
Nun ist es aber gerade die Technologie, die das TelegrarrUn nahezu verdrängt
hat; und zwar (vorwiegend) durch das bereits genannte Telefon, dessen erfolgreichen Einzug in die Haushalte zusehends durch sein mobiles Pendant ergänzt
oder gar ersetzt wird. Insbesondere der Funk hat zum Erfolg der SMS beigetragen,
da er die örtliche Gebundenheit aufgehoben hat: Der Schulhof, die Busfahrt, der
Unterricht können als Produktionsort für Mitteilungen genutzt werden, und diese
erreichen den Empfänger nicht nur schnell resp. sofort, sondern ebenfalls an jedem
Ort. Dennoch verläuft SMS-Kommunikation je nach Adressat zeitunabhängig und
asynchron,19 was sie auch zu einer gewissen Konkurrenz für die Mailbox (und den
heimischen Anrufbeantworter) werden lässt. Insbesondere für junge Menschen,
die - anders als bei Telegrammen - die Hauptnutzer darstellen, ist die Kommunikation via SMS ein Segen.
So wird die immer kleiner werdende (Zehner-)Tastatur bereitwillig in Kauf genommen. Trotz einer Aufwandsminderung nutzen nur rund die Hälfte allerNutzer
T9 (Text auf 9 Tasten mit automatischer Worterkennung), womit die Eingabe - insbesondere im Vergleich zum Telegramm - unkomfortabel bleibt. Den Ausgleich
bilden die Kosten, die bei der SMS nicht mit jedem Wort steigen,zo sondern pauschal
für den Umfang einer Mitteilung (160 Zeichen) erhoben werden, sodass eine sparsame Textmitteilung weniger auf Kostemeduktion zurückgeführt werden kann,
sondern auf »Tipp ökonomie«.
Doch so häufig, wie man ve=uten möchte, kommt diese gar nicht vor. Insbesondere Abkürzungen, die sich auf die gezielt ökonomische Verwendung der Tastatur
=ückführen ließen, werden relativ verhalten eingesetzt. 21 Interessant sind hierbei
wiederum nicht konventionalisierte Kurzfo=en wie d für bestimmte Artikel (der,
die, das) bzw. Possessivpronomen (dein) oder wü. für wünscht. 22 In SM8-Ratgebern23
werden zahlreiche mehr oder minder konventionalisierte Kurzwörter wie hdl für
hab dich lieb bzw. als Steigerungsfo= hdgdl für hab dich ganz doll lieb genannt, die
mäßig häufig - besonders bei der Verabschiedung - verwendet werden. Praktisch
keine Rolle spielen hingegen Silbenkurzwörter der Art HADULUAUEIBI (Hast du
Letzteres hatte insofern einen Einfluss auf die Sprache, als intime Telegramme sehr gemäßigt
verfasst worden sind (SOiWITALLA, wie Anm. 17, S. 35, 45).
19 Existierende SMS-Chats könnten nur unter Umständen als quasi-synchron bezeichnet werden.
20 Heute haben sich die Zahlungsmodalitäten für ein Telegramm allerdings geändert in einer
Grundgebühr von rd. 15 € sind zehn Wörter enthalten.
21 NICOLA DÖRlNG, »Kurzm. wird gesendet«. Abkürzungen und Akronyme in der SMS-Kommunikation, in:
Muttersprache. Vierteljahresschrift für deutsche Sprache, Nr. 2/2002, S. 97-114.
22 Die Belege sind dem SMS-Korpus von mediensprache.net entnommen (http://www.mediensprache.net/ de/medienanalyse/ corpora/).
23 Ratgeber und eine Diskussion dieser finden sich bei LORELIES ORTNER, SMS-Botschaften: Texttypologie aus der Perspektive der SMS-Riztgeberliteratur, in: OBST. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie,
Nr. 64/2002, S. 205-235.
18
Lust auf ein Bier?), mit denen im Jahr 2000 die Bild-Zeitung eine PR-Aktion bestritten hat. Daneben existieren konventionalisierte Abkürzungen wie Mo (für Montag),
u .. (und) oder Std. (für Stunde). Dass es sich hierbei weniger um eine Reduktion der
Zeichenanzahl aus PlatzgrürIden handelt, zeigen deutlich Untersuchungen aus anderen Kulturkreisen. Im Japanischen etwa stehen pro Mitteilung umgerechnet mehr
Zeichen zur Verfügung, und dennoch unterscheidet sich die Anzahl der Zeichen pro
Mitteilung nicht nennenswert: im Durchschnitt werden in Japan rund 50 Zeichen
versandt, in Deutschland unter 100.24
Um aber den physischen Aufwand zu reduzieren, werden Rechtschreibfehler
hingenommen und oftmals Spatien nicht gesetzt, sofern sie für ein Verständnis
nicht erforderlich sind, wobei sich hierfür insbesondere das Spatium hinter Interpunktionszeichen anbietet (Hey!Haben wir was in jranze auf?Sehen wir uns heute
abend?Crüß schön). Auch Satzzeichen selbst werden in vorwiegend kurzen Sätzen
getilgt (Basti hast du heute Zeit). Darüber hinaus finden sich wie bei Chatdiskursen
Ellipsen, insbesondere durch Tilgung von Pronomen ([Ich] Komme um 14.30 Uhr zu
dir!), was selbst bei Topikalisierung realisiert wird (Shit,jetzt kapiere[ich]!) und hier
als ungrammatisch gelten kann.
Während letzteres Beispiel ausschließlich der Tippökonomie zuzurechnen ist,
gehören Tilgungen bei unmarkierter Normalstellung (Hab dich lieb! statt Ich hab
dich lieb!) eher oder zumindest auch wieder in den Bereich der gesprochenen Umgangssprache. Hierfür finden sich weitere eindeutige Merkmale wie Assimilationen
(kommste), Apokopen (nich, jetz), umgangssprachliche Lexik (dolle) und Varietäten
(Ey Alter, haste Bock heut abend. Bin voll krass quittig!) etc. Medial bedingte Merkmale
wie Iterationen (mir!!!) sind auch bei SMS-Mitteilungen belegt.2S
Interessant sind ferner Nachträge, die vermutlich aufgrund des hohen Aufwands
und der längeren Produktionszeit seltener Verwendung finden als in der Chatkommunikation:
(1)
(2)
[~
Was heißt hdganz?
Shit,jetzt kapiere!na klar hab ich dich noch gaaaaaaaaaaanz doll lieb!
Das Beispiel deutet bereits darauf hin, dass trotz der asynchronen Kommunikationifo= Dialoge realisiert werden, die sich über bis zu 14 Züge26 erstrecken können.
Im Gegensatz zur E-Mail werden die wichtigsten Inhalte der vorausgegangenen
Mitteilung (beispielsweise eine Frage) aus Platz- und AufwandsgrürIden nicht
zitiert, sondern es wird direkt geantwortet: Ja,okay aber letzte chance!hdggggggggdl
süße! - sofern die Reaktionszeit als noch angemessen betrachtet wird.
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Q.)
und mit Umrechnung von japanischen Schriftzeichen in Alphabetschrift s. PETER 5cHI.oBlNSKI/MANABU WATANABE, SMS-Kommunikation - DeutschlJapanisch kontrastiv. Eine explorative Studie http://www.mediensprache.net/networx/networx-31.pdf.in:Networx.Nr. 31/2003.
2S Für weitere Spezifika s. etwa CHRISTA DÜRSCHEID, E-Mail undSMS-einVergleich.in: ZIEGLER/DÜRSCHEID (wie Anm. 13), S. 93-114.
26 JANNIS K. ANoROUTSOPOULOS/GURLY SGlMIDT, SMS-Kommunikation: Ethnografische Gattungsanalyse
am Beispiel einer Kleingruppe, in: Zeitschrift für ange-wandte Linguistik, Nr. 36/2001, S. 49-79.
24 Im Detail
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145
Der sogenannte Telegrammstil als Merkmalspaket (Nominalisierungen wie trefffen am Stadionbad; umfangreiche
Komposita zur Reduktion der Wortanzahl wie Schönwetterurlaubsgruß; Integration der Verbpartikel ins Finitum wie bei
ankomme 14.30 Uhr) können nur bedingt bis gar nicht belegt
werden. Um Zeichen zu sparen, werden hingegen in seltenen Fällen sämtliche Spatien ausgelassen in Verbindung mit
der Großschreibung von Wortanfängen, um die Lesbarkeit
zu gewährleisten, wie dies auch die nebenstehende Abbildung illustriert:
GrüßGottfSindNochlmSchönstenBayernfSchatz,inBayernFin
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Binnenmajuskeln statt
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Status quo und Blick nach vorn
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146
Während in Chats die phatische Kommunikation, der Zeitvertreib und die Inszenierung von Sprache im Vordergrund stehen, E-Mails überwiegend im klassischen
Sinne Verwendung finden und Kommunikationsinhalte im Zentrum stehen, sind
SMS-Mitteilungen dazwischen anzusiedeln. Mit ihnen werden Verabredungen getroffen, wird »angeklopft«, rückversichert, geflirtet oder es werden Liebesbotschaften ausgetauscht.
Auch wenn eine vollständige Beschreibung dieser drei Kommunikationsfo=en
im Rahmen dieses Beitrags nicht geleistet werden konnte, ist es ihm vielleicht dennoch gelungen darzulegen, dass Kommunikation und in ihr eingebettete Sprache
von Zweck und Funktion abhängen und eine prototypische SMS-Mitteilung oder
ein entsprechender Chat nur schwer auszumachen sind. Es haben sich allerdings
durchaus typische Verwendungsweisen herauskristallisiert, wie dies im Chat vor
allem als phatische Kommunikation zu beobachten ist. Dort werden weniger Verabredungen getroffen als vielmehr Partys nachbesprochen oder »Klatsch und Tratsch«
ausgetauscht, kurz: geplaudert. Dass dabei die Orthographie in den Hintergrund
tritt und »konzeptionelle Mündlichkeit« in den Vordergrund, kann dabei nicht
verwundern. Schon aus diesem Grund sind Diskussionen über den »Verfall der
Sprachkultur« nur schwerlich nachvollziehbar. Jede Kommunikationsform bringt
ihre spezifischen Eigenschaften mit, die sich sprachlich niederschlagen können,
aber nicht müssen. So scheint der Computer als Produktionsort (nicht Vermittler)
eine Verstärkung nähesprachlicher Kommunikation zu begünstigen - vielleicht als
psychische Strategie, die an sich nüchterne Atmosphäre aus Tastatur und Monitor·
zu kompensieren. Es dürfte kaum belegbar sein, dass diese Tendenz nicht auch
ohne die Erfindung und Verwendung von Computern eingetreten wäre. In Untersuchungen zur Briefkommunikation des 19. Jahrhunderts sind bereits Merkmale zu
beobachten, die als typisch für computervermittelte Kommunikation beschrieben
worden sind: jetz, nich, gehts, mal, Frijahr, hurahf sind nur einige Belege aus der Zeit [-+
um 1900.27 Zugenommen hat seither zweifelsohne die Verwendung von Anglizismen, die jedoch drei Tendenzen aufweist: entweder werden sie auch in der Alltagsspracheverwendet (Hi, shit) oder es handelt sich um Technik-Terminologie (Browser)
oder sie wurden - oft als feststehende Wortgruppen - aus englischsprachigen Chats
übernommen (lol). Die beiden letztgenannten Punkte fußen schlicht auf der Tatsache, dass der Chat im englischsprachigen Raum entwickelt worden ist, sich dort als
Erstes ausgebildet hat und Technik-Terminologie in den seltensten Fällen übersetzt
wird - vorwiegend dann nicht, wenn die Technologie global verfügbar ist.
Entscheidend ist, dass Menschen in der Lage sind, in anderen Situationen wie
einem Bewerbungsschreiben oder einer schriftlichen Hausarbeit Texte zu produzieren, die sprachlich wie orthographisch' Standardanforderungen genügen. Ein
hoch kommunikativer und sprachlich kreativer Chat stellt für die deutsche Sprache
sicherlich kein kulturelles Wagnis dar.
Für einen abschließenden Ausblick scheint ein Anknüpfen an den Ausgangspunkt
hilfreich: Während das Telefon zum Telefonieren und der Fernseher zum Fernsehen entwickelt wurde, ist der Computer ein (potenzielles) Universalgenie. Mittels
kurzem Download und Installation eines neuen oder überarbeiteten Programms
ist der Computer binnen weniger Minuten in der Lage, neue Kommunikationsdienste bereitzustellen. Der Download des msn-Messengers etwa ersetzt, quasi per
Mausklick, das Telefon; mehr noch: Er bietet neben der Audio-Telefonie als Zugabe
die Video-Telefonie, welche die Telekom vor Jahren vergeblich versucht hat einzuführen. Inwiefern Video-Telefonie oder künftige Kommunikationsformen das Telefonieren, Schreiben, Simsen usw. ersetzen oder sprachliche Besonderheiten hervorbringen werden, ist schwer vorauszusagen. Es bestehen allerdings gute Gründe für
die Annahme, dass sie neben einigen wenigen technisch bedingten Eigenheiten eine
Kommunikation hervorbringen werden und sich eine Sprachverwendung ergeben
wird, die sich wie bei Chat und E-Mail nicht grundlegend von der Alltagssprache
unterscheidet. Gerade am Beispiel der Video-Telefonie zeigt sich, dass das Internet
keine genuin eigenständige, in sich homogene oder gar monolithische Kommunikationsform ist und sich hieraus demzufolge keine isolierbare sprachliche Varietät
(wie etwa »Netspeak«28) bildet. Vielmehr ermöglicht das Internet Kommunikationsfo=en, in denen unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Gründen auf
unterschiedliche Weise medienangepasst miteinander kommunizieren.
Dabei gehen kommunikative Möglichkeiten und individuelle oder gruppenspezifische Bedürfnisse und damit sprachliche Handlungsweisen Hand in Hand in
Richtung Echtzeit-Kommunikation mit allen Sinnen. Ob sich jedoch die Tendenz
des »Immer-erreichbar-Seins« und »Sofort-kommunizieren-Wollens« noch verstärken und auf die Ausgestaltung von Alltag und Leben ausdehnen wird, wie sich
dies derzeit beim Musik-, Video- und Nachrichtenabruf zeigt,.ob also aus »Instant
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Messaging« einmal ein »Instant Living« wird, bleibt abzuwarten.
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etwa bei STEPHAN ELSPASS, Alter Wein und neue Schläuche? Briefe der Wende zum 20. Jahrhundert und Texte der neuen Medien - ein Vergleich, in: OBST. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie,
Nr. 64/2002, S. 7-31.
28 DAVlD CRYSTAL, Language and the Internet, Cambridge 2001.
27 So
0.
Cf)
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147