Steuerermäßigung nach § 35a EStG für

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Steuerermäßigung nach § 35a EStG für
FG Nürnberg, Urteil v. 13.02.2014 – 6 K 1026/13
Titel:
(Steuerermäßigung nach § 35a EStG für Betreuungspauschale für Betreutes Wohnen
in einer Seniorenresidenz)
Normenketten:
§ 35a Abs 2 S 2 Alt 2 EStG 2009
§ 35a Abs 2 S 1 Alt 2 EStG 2009
§ 35a Abs 4 S 2 EStG 2009
HeimG
WBVG
PflWoQualG BY 2008
EStG VZ 2011
Orientierungsätze:
1. Der Heimbegriff des § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG kann auch dann erfüllt sein, wenn die
Wohnform (hier: Betreutes Wohnen innerhalb einer Seniorenresidenz) nicht unter die
Heimgesetzgebung fällt. Maßgebend für die Anwendbarkeit des § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG ist,
ob das Wohnrecht bei einer Unterkunft in einer Seniorenanlage an verschiedene allgemeine
Grundleistungen in dem Wohnkonzept ohne Wahlmöglichkeit gekoppelt ist. Dies ist z.B. gegeben,
wenn der neben dem Mietvertrag gesondert abgeschlossene Vertrag über die Seniorenbetreuung
nicht ohne Auswirkung auf den Vertrag über Wohnraum kündbar ist .
2. Leistungen innerhalb einer Betreuungspauschale, die insbesondere das Vorhalten eines
betreuerischen 24-Stunden-Bereitschaftsdienstes sowie die kostenlose Betreuung bei kurzfristiger
Erkrankung umfassen, gehören zu den mit einer Hilfe im Haushalt vergleichbaren Dienstleistungen
i.S.d. § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG .
3. Die unter 2. genannten Leistungen sind auch dann im Heim im Sinne des § 35a Abs. 4 Satz 2 EStG
erbracht, wenn das Notrufsystem nicht unmittelbar im Wohnhaus, sondern innerhalb der aus
mehreren Gebäuden bestehenden Seniorenresidenzanlage untergebracht ist .
4. Sollte die Wohnform nicht unter den Begriff des Heims i.S.d. § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG fallen,
würde ein eigener Haushalt (hier: abgeschlossene 3-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad in einem
Mehrfamilienhaus) vorliegen und die Bereithaltung der Notfallbetreuung im Haushalt des
Steuerpflichtigen erfolgen (§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Haushalt i.S.d. § 35a EStG ist bei einer
Wohnung, die in einem Haus mit Serviceleistungen belegen ist, nicht auf die Wohnung begrenzt .
5. Revision eingelegt (Az. des BFH: VI R 18/14)
Schlagworte:
Alter, Altersheim, Bereitschaftsdienst, Betreutes Wohnen, Betreuungspauschale, Haushalt, Haushaltsnahe
Dienstleistung, Heim, Heimgesetzgebung, Heimunterbringung, Im Haushalt, Notrufsystem, Ort, Pflege,
Selbständigkeit, Senioren, Seniorenresidenz, Sozialstation, Verbindung, Wohn, Wohnform, Wohnung
Fundstellen:
BeckRS 2014, 95185
EFG 2014, 1312
LSK 2014, 330512
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 02.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
10.07.2013 wird dahin geändert, dass weitere Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe
von 1.428 € steuermindernd berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Finanzamt
übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob eine Betreuungspauschale für Betreutes Wohnen in einer Seniorenresidenz unter die
Steuerermäßigung des § 35a Abs. 2 EStG fällt.
2
Der 1920 geborene Kläger bewohnt seit dem 01.07.1999 eine Drei-Zimmer-Wohnung in einer
Seniorenresidenz im Rahmen des „Betreuten Wohnens“. Die Residenz ist in zwei Betriebe aufgeteilt,
einerseits das Betreute Wohnen (=Sozialstation), andererseits die Pflegestation. Beide Betriebe haben
eigenes Personal und eine eigene Notrufzentrale, die jeweils im Haus untergebracht sind. Die Residenz ist
auf zwei Gebäude verteilt, die in unmittelbarer Nachbarschaft, durch eine Straße getrennt liegen. In Haus A
( NStr. 40) ist im Erdgeschoss die Verwaltung der Residenz untergebracht, getrennt in die Verwaltung für
das Betreute Wohnen und in die für die Pflegestation, sowie betreute Wohnungen. Im 1. und 2. Stock liegt
die Pflegestation. In Haus B ( NStr. 33) sind ausschließlich betreute Wohnungen gelegen. Hier befindet sich
auch die Wohnung des Klägers.
3
Die Notrufzentrale für die Sozialstation ist in einem Büro in der Residenz angesiedelt. Allerdings haben die
Pfleger, die in den Häusern ihre Arbeit verrichten, jeweils einen Piepser bei sich, der den Notruf sofort an
sie weiterleitet.
4
Der Kläger schloss mit dem Eigentümer der Wohnung einen Mietvertrag ab. In § 17 des Mietvertrags heißt
es: „Dem Mieter ist bekannt, daß der Eigentümer der Wohnung ggfs. Eigenbedarf an den Mieträumen
geltend machen kann. Dieser Eigenbedarf kommt dann zum Tragen, wenn der Eigentümer … eine
seniorengerechte … Wohnung benötigt, um den Haushalt selbständig aufrechterhalten zu können.
Für den Fall des Eigenbedarfs stimmt der Mieter bereits jetzt zu, in eine vergleichbare Wohnung in
der Seniorenwohnanlage „Residenz“ umzuziehen. Der Vermieter verpflichtet sich, ihm eine
vergleichbare Wohnung in der Seniorenwohnanlage Residenz II anzubieten…“ Einen weiteren Bezug
zur Seniorenresidenz enthält der Mietvertrag nicht.
5
Daneben schloss der Kläger mit dem Betreiber der Residenz einen Seniorenbetreuungsvertrag ab. Darin
verpflichtete sich der Betreiber zu nachfolgenden Leistungen, für die der Kläger eine monatliche
Betreuungspauschale zu entrichten hatte:
• 6
Ein 24 Stunden pro Tag zur Verfügung stehendes Notrufsystem,
• 7
ein Beratungsangebot (Hilfe bei Behördenangelegenheiten und Schriftverkehr, Kopierdienst, Beratung in
gesundheitlichen, hauswirtschaftlichen und persönlichen Angelegenheiten, handwerkliche Hilfen und
Kleinreparaturen in der Wohnung, soweit sie vom Hausmeister erledigt werden können, Beratung und
Unterstützung bei Nachrüstung der Wohnung i.S.d. Behindertensicherheit),
• 8
die Organisation von kulturellen Veranstaltungen und
• 9
die Einräumung eines absoluten Vorgangs bei der Belegung der Pflegeabteilung.
10
Nach einer von der Seniorenresidenz herausgegebenen Aufgliederung der Betreuungspauschale aus dem
Jahr 2004, die laut Homepage der Residenz den auch jetzt gültigen Leistungskatalog aufweist, ist in der
Pauschale darüber hinaus u.a. enthalten:
• 11
Die Bereitstellung des Mindestpersonals inkl. Nachtwache,
• 12
eine Soforthilfe im Notfall durch staatlich examiniertes Pflegepersonal,
• 13
die hauswirtschaftliche Versorgung im Krankheitsfall bis zu einer Woche (d.h. Mittagessen, ggf. auch andere
Mahlzeiten in der Wohnung) und
• 14
eine Grund- und Behandlungspflege bei kurzzeitiger Erkrankung bis zu einer Woche.
15
Gemäß dem Seniorenbetreuungsvertrag ist die Betreuungspauschale auch dann zu entrichten, wenn keine
Leistungen in Anspruch genommen werden. Sie dient nach dem Vertrag vor allem dazu, das entsprechende
Fachpersonal rund um die Uhr für Notfälle bereit zu halten und die Organisation zu tragen (§ 1 des
Vertrags). Nach § 5 des Vertrages kann dieser nur in Verbindung mit der Wohnung gekündigt werden.
Weitere Dienstleistungen wie die Verpflegung im Seniorenrestaurant können gegen zusätzliches Entgelt
nach § 3 des Vertrags in Anspruch genommen werden.
16
Im Streitjahr bezahlte der Kläger gemäß einer von der Seniorenresidenz ausgestellten Bestätigung 1.785 €
für die Betreuungspauschale (12 x 148,75 €). Diese Monatspauschale diente zu 80 % der personellen
Besetzung des Notrufsystems über täglich 24 Stunden sowie zu 20 % beratenden und kulturellen
Leistungen. Der Kläger machte von diesem Betrag 1.357 €, also 76 %, als Aufwendungen für
haushaltsnahe Dienstleistungen in seiner Steuererklärung 2011 geltend sowie zusätzlich anteilige Kosten
für Hausmeister und Hausreinigung i.H.v. 474 €.
17
Im Einkommensteuerbescheid 2011 vom 02.11.2012 berücksichtigte das Finanzamt die Kosten für
Hausmeister und Hausreinigung antragsgemäß, nicht dagegen die anteilig geltend gemachte
Betreuungspauschale. Diesbezüglich verwies es in den Erläuterungen zur Festsetzung auf Rz. 10 Anhang
17b ESt-Handbuch. Darin ist u.a. ausgeführt: „Keine begünstigte haushaltsnahe Dienstleistung ist die
als eigenständige Leistung vergütete Bereitschaft auf Erbringung einer Leistung im Bedarfsfall.“ Die
festgesetzte Steuer betrug 6.687 €.
18
Im dagegen eingelegten Einspruch führte der Kläger aus, in allen anderen ihm bekannten Fällen sei die
Betreuungspauschale akzeptiert worden. Es handele sich um eine notwendige Leistung, die jederzeit die
Inanspruchnahme des Notrufs ermöglichen müsse. Die vom Finanzamt zitierte Quelle sei nicht einschlägig.
Das Notrufsystem sei Teil des Heimvertrages und somit keine eigenständige Leistung.
19
Der Kläger verwies auf die o.g. Aufgliederung der Betreuungspauschale. Diese ist mit einer handschriftlich
vorgenommenen Auspunktung versehen. Der Kläger habe die einzelnen Punkte nach ihrem Kosten- und
Zeitaufwand gewichtet und die hier relevanten haushaltsüblichen Dienstleistungen aus der gesamten
Punktzahl herausgerechnet, wobei es nicht darauf ankomme, was vom einzelnen Bewohner in Anspruch
genommen worden sei, sondern was als haushaltsnahe Dienstleistungen bereitgestellt worden sei. Nach
dieser Gewichtung ergäben sich insgesamt 85 Punkte, davon 65 für haushaltsnahe Dienstleistungen, d.h.
76 % wie laut Einkommensteuererklärung beantragt.
20
Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die als eigenständige Leistung vergütete
Bereitschaft auf Erbringung einer Leistung im Bedarfsfall sei keine nach § 35a Abs. 2 EStG begünstigte
haushaltsnahe Dienstleistung (Rz. 10 des BMF-Schreibens vom 15.02.2010, BStBl. I 2010, 140). Etwas
anderes gelte nur, wenn der Bereitschaftsdienst Nebenleistung einer ansonsten begünstigten Hauptleistung
sei. Sämtliche mit der Betreuungspauschale abgegoltenen Leistungen stellten nach dem vorliegenden
Seniorenbetreuungsvertrag lediglich die Bereitstellung von Leistungen im Bedarfsfall, nicht aber deren
tatsächliche Durchführung dar. Dies gelte sowohl für das Notrufsystem als auch für angebotene Hilfen bei
Behördenangelegenheiten, für Kleinreparaturen in der Wohnung, für kurzfristige Pflege- und
Betreuungsleistungen und sonstiges. Dabei werde berücksichtigt, dass mit der Betreuungspauschale eine
eventuelle tatsächliche Durchführung einer Leistung abgegolten sei. Der Seniorenbetreuungsvertrag sei ein
eigenständiger Vertrag. Seine Leistungen stellten keine Nebenleistungen zu einer etwaigen anderen
Hauptleistung dar, die nach § 35a EStG begünstigt wäre. Zuvor bereits hatte das Finanzamt dargelegt, dass
der Notruf ohne Inanspruchnahme der Leistungen nicht abzugsfähig sei.
21
Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der geltend
gemachten Aufwendungen nach § 35a Abs. 2 EStG. Die Seniorenresidenz, in der der Kläger wohne,
umfasse ein Altersheim und sogenanntes betreutes Wohnen mit Sozialstation. Der Kläger sei bisher nicht
ständig pflegebedürftig. Er verwies auf eine Verfügung der Oberfinanzdirektion Koblenz vom 24.02.2010,
die das in der Einspruchsentscheidung zitierte BMF-Schreiben aufhebe, sowie auf das BFH-Urteil vom
29.01.2009 (Az. VI R 28/08), in dem es auch um eine nicht pflegebedürftige Person in einer betreuten
Wohnung gegangen sei und dessen Voraussetzungen sich fast spiegelbildlich mit dem vorliegenden Fall
deckten. Nach der OFD-Verfügung könnten Aufwendungen für die Möglichkeit, bei Bedarf bestimmte
Pflege- oder Betreuungsleistungen in Anspruch zu nehmen, berücksichtigt werden. Dies gelte auch für die
vom Heimbetreiber pauschal erhobenen Kosten, wenn hierzu ein Nachweis erbracht würde. Der vom Kläger
eingereichte Nachweis sei nicht bestritten worden.
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In der mündlichen Verhandlung führte der Klägervertreter noch aus, der Kläger habe aufgrund seines
Gesundheitszustands und seines Alters im Streitjahr und in den Folgejahren wiederholt den Notruf sowie
die hauswirtschaftliche Versorgung im Krankheitsfall und Grund- und Behandlungspflege bei kurzzeitiger
Erkrankung, also Leistungen, die durch die von ihm gezahlte Betreuungspauschale gedeckt seien, in
Anspruch genommen.
23
Der Klägervertreter erklärte nach ausdrücklichem Hinweis durch das Gericht, dass er von der gezahlten
Betreuungspauschale in Höhe von 1.785 € 80 %, so wie in der Bestätigung der Seniorenresidenz
ausgewiesen, als steuerermäßigende Aufwendungen geltend mache.
24
Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 02.11.2012 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.07.2013 dahin zu ändern, dass weitere Aufwendungen für haushaltsnahe
Dienstleistungen i.H.v. 1.428 € (80 % aus 1.785 €) steuerermäßigend berücksichtigt werden.
25
Das Finanzamt beantragt Klageabweisung.
26
Die Beteiligten beantragen für den Fall des jeweiligen Unterliegens, die Revision zuzulassen.
27
Das Finanzamt trug ergänzend zur Einspruchsentscheidung vor, die OFD-Verfügung sage nichts Neues. In
ihr gehe es wie in Rz. 25 des BMF-Schreibens vom 15.02.2010 bzw. 26.10.2007 ausschließlich um Fälle
der Heimunterbringung. Eine solche liege nicht vor. Im BFH-Urteil vom 29.01.2009 sei der
Bereitschaftsdienst Bestandteil des Heimvertrages und damit nach Rz. 10 letzter Satz des BMF-Schreibens
begünstigt. Hintergrund für diese Sachbehandlung sei, dass durch den Heimvertrag die Verknüpfung zum
Haushalt hergestellt werde, während der (isoliert vereinbarte) Bereitschaftsdienst nicht im Haushalt des
Steuerpflichtigen erbracht werde (§ 35a Abs. 4 EStG).
Entscheidungsgründe
28
I. Die Klage ist begründet.
29
1. Die Betreuungspauschale ist nach § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG als steuerermäßigend zu
berücksichtigen.
30
Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG ermäßigt sich für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen
Dienstleistungen die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf
Antrag um 20 %, höchstens 4000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. Die Steuerermäßigung kann
gemäß § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG auch in Anspruch genommen werden für Aufwendungen, die einem
Steuerpflichtigen wegen der Unterbringung in einem Heim erwachsen, soweit darin Kosten für
Dienstleistungen enthalten sind, die mit denen einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind.
31
a) Nach Ansicht des Senats fällt die betreute Wohnung des Klägers unter den Heimbegriff des § 35a Abs. 2
Satz 2 Alt. 2 EStG.
32
aa) Das am 01.08.2008 in Kraft getretene bayerische Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoqG)
verwendet den Begriff „Betreutes Wohnen", ohne ihn allerdings konkret zu definieren (Art. 2 Abs. 2
PfleWoqG). Beim Betreuten Wohnen wird generell vom Anbieter einerseits die Unterkunft in Form einer
eigenen, abgeschlossenen Wohnung über einen Miet- oder Kaufvertrag und andererseits ein Paket an
allgemeinen Unterstützungsleistungen über einen sog. Betreuungsvertrag erbracht. Beide Leistungen
können auch von verschiedenen Anbietern erbracht werden. Daneben gibt es Wahlleistungen, die der
Mieter frei wählen kann.
33
bb) In dem vom Kläger als Parallelfall zitierten BFH-Urteil (BFH-Urteil vom 29.01.2009, Az. VI 28/08, BStBl.
II 2010, 166) bewohnte die Klägerin ein Appartement in einem Wohnstift. Sie zahlte ein monatliches
Wohnstiftentgelt, das verschiedene Dienstleistungen im Wohn-, Verpflegungs- und Betreuungsbereich
umfasste. Dieses Entgelt gliederte sich nach einer Bescheinigung des Wohnstifts „über Verrichtungen im
Haushalt zum Wohnvertrag“ „entsprechend den Vorgaben im Heimgesetz“ in verschiedene Bestandteile
(Bereiche Unterkunft, Verpflegung und Betreuung), die einzeln aufgeführt waren. Weitere Ausführungen zur
Wohnsituation enthält das Urteil nicht. Aus der dem BFH-Urteil zugrundeliegenden FG-Entscheidung (Urteil
des FG Hamburg vom 05.05.2008, Az. 6 K 175/05, EFG 2008, 1888) ergibt sich, dass es sich bei dem
Wohnstift sowohl nach Ansicht des Finanzamts als auch nach Ansicht des FG um ein Heim handelte.
Allerdings enthielt die damalige Fassung des § 35a EStG noch keine ein Heim betreffende Variante.
34
Zwar handelt es sich bei einer Wohnung in einem Wohnstift regelmäßig um eine Form des Betreuten
Wohnens im Alter, allerdings sind die Bewohner eines Wohnstifts im Unterschied zur Wohnform des
Klägers meist verpflichtet, neben den allgemeinen Betreuungsleistungen weitere Dienstleistungen wie die
Versorgung mit Mahlzeiten abzunehmen. Die vertraglichen Regelungen sind regelmäßig wie in einem Heim
geregelt und damit unter § 1 Abs. 1 HeimG a.F. einzuordnen (so Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Neue Wohn- und Betreuungsformen im heimrechtlichen Kontext, 2005, S. 14).
35
cc) Als Wohnform gehört das Betreute Wohnen für Senioren in der Regel jedoch nicht zu den Heimen im
Sinne des Heimgesetzes bzw. der im Zuge der Umsetzung der Föderalismusreform 2006 entstandenen
Landesheimgesetze, in Bayern das PfleWoqG (a.A. zum alten Recht: Beschluss des OVG Münster vom
29.01.1999, Az. 4 A 589/98, GewArch 1999, 199, wonach neben dem Erbringen der Unterkunft bereits das
Vorhalten von Betreuung und Verpflegung ausreichend war, um unter § 1 Abs. 1 HeimG a.F. zu fallen).
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Nach Art. 2 Abs. 2 PfleWoqG fallen Formen des Betreuten Wohnens dann nicht in den Anwendungsbereich
des Gesetzes, wenn die Mieter vertraglich lediglich verpflichtet werden, allgemeine Betreuungsleistungen
abzunehmen, und Zusatzleistungen von den Bewohnern frei wählbar sind. Denn durch die Wahlmöglichkeit
wird die Selbstbestimmung der Bewohner nach Ansicht des Gesetzgebers in ausreichendem Maße
gewährleistet (Bay. LT-Drs. 15/10182, S. 19). Auch ist bei betreuten Wohnformen die Untersuchung privater
Wohn- und Lebensbereiche durch eine Heimaufsicht wie bei Heimen nicht vorstellbar (Bay. LT-Drs.
15/10182, S. 19; Plenarprotokoll des Bay. LT 15/127 vom 03.07.2008, S. 9268). Zudem stehen effiziente
Instrumentarien zur Qualitätssicherung aufgrund von privaten bzw. nichtstaatlichen Initiativen zur
Verfügung, die staatliche Regelungen nach Ansicht des Gesetzgebers entbehrlich machten. So gibt es
beispielsweise inzwischen eine DIN-Norm für „Betreutes Wohnen“ (DIN 77800). Schließlich sollte die
Entwicklung neuer Wohnformen in diesem Bereich nicht durch zu enge gesetzliche Vorgaben oder
staatliche Kontrollen eingeengt werden (Bay. LT-Drs. 15/10182, S. 19). Um eine Flexibilität des Gesetzes
zur Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse zu gewährleisten, wurde bewusst darauf verzichtet, die
erfassten Einrichtungen konkret zu bezeichnen. So wird in Art. 2 Abs. 1 PfleWoqG der Heimbegriff durch die
„stationäre Einrichtung“ in der Alten- und Behindertenhilfe ersetzt.
37
dd) Die vertraglichen Regelungen zwischen Heimanbieter und Heimbewohner werden seit 01.10.2009
bundesweit vom Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) erfasst (zuvor §§ 5-9 HeimG a.F.). In
Abkehr von § 1 Abs. 1 HeimG a.F. wird der Anwendungsbereich losgelöst von verschiedenen Wohn- und
Einrichtungsformen allein nach dem Gegenstand der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Unternehmer
und Verbraucher bestimmt. Damit wird sichergestellt, dass das Gesetz unabhängig von den jeweiligen
Definitionen der Wohn- und Einrichtungsformen der Landesgesetze gilt.
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Wie beim PfleWoqG ist dieses Gesetz je nach Ausgestaltung für manche Formen des Betreuten Wohnens
anwendbar: Nicht anwendbar ist es, wenn der Vertrag neben Wohnraumvermietung ausschließlich die
Erbringung von allgemeinen Unterstützungsleistungen wie die Vermittlung von Pflege- oder
Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung oder Notrufdienste zum
Gegenstand hat (§ 1 Abs. 1 Satz 3 WBVG). Denn der Gesetzgeber sieht bei der Vereinbarung
ausschließlich allgemeiner Betreuungsleistungen nicht die doppelte Abhängigkeit des Verbrauchers von
einem Unternehmer, die durch die vertragliche Verbindung der Wohnraumüberlassung und der Erbringung
von Pflege- oder Betreuungsleistungen, auch durch verschiedene Verträge (§ 1 Abs. 2 Satz 2 WBVG),
ausgelöst wird (BT-Drs. 16/12409, S. 15).
39
Danach fällt das Betreute Wohnen in seiner hier vorliegenden vertraglichen Ausgestaltung weder in den
Anwendungsbereich des PfleWoqG noch in den des WBVG als Nachfolgegesetze des HeimG, da der
Kläger lediglich allgemeine Unterstützungsleistungen abzunehmen hatte, Zusatzleistungen aber frei wählbar
waren.
40
ee) Nach Ansicht des Senats kann eine Wohnform, die nicht unter die Heimgesetzgebung fällt, ein „Heim“
i.S.d. § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG sein. Zwar gelten für eine Heimunterbringung im Rahmen dieser
Norm besondere Regeln, die einen eigenen Hausstand entbehrlich machen. Diese Sonderregel ist aber
kein Grund, den in § 35a EStG verwendeten Begriff des Heims anhand der Heimgesetzgebung zu
bestimmen. Der Gesetzgeber selbst hat sich zur Frage, wie ein Heim i.S.d. § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG
zu definieren ist, nicht geäußert. Allerdings hat er die Steuerermäßigung bei Heimunterbringung erst nach
der Föderalismusreform in § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG aufgenommen. Damit war aufgrund der
Landesgesetzgebungskompetenz bereits zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung die Möglichkeit gegeben,
dass es in einzelnen Bundesländern zu unterschiedlichen Heimbegriffen kommt. Der Anwendungsbereich
des § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG erfordert jedoch einen einheitlichen Heimbegriff in allen Bundesländern.
Hinzukommt, dass ein Teil der Heimgesetzgebung vom Bund erlassen wurde. Damit wäre bei der Definition
des Begriffs „Heim“ nach dieser Gesetzgebung unklar, welches Gesetz maßgeblich sein soll.
41
Zudem enthalten das Heimgesetz und die ihm nachfolgenden Gesetze Regelungen zum Schutz der
Heimbewohner. Die gesetzlichen Vorgaben zur Heimunterbringung betreffen Fragen der Qualitätssicherung
des Wohnens im Alter und der an einen Heimvertrag zu stellenden Anforderungen; sie legen bestimmte
Mindeststandards von Heimen für die Vertragsgestaltung, die Ausstattung mit Personal etc. fest und
enthalten Überwachungs- und Organisationsregelungen. Nicht bei jedem Wohnkonzept im Alter sind die
Mieter gleich schutzbedürftig. Dem trägt die Differenzierung der verschiedenen Wohn- und Vertragsformen
in der Heimgesetzgebung Rechnung. Davon losgelöst ist die Steuerermäßigung nach § 35a EStG zu sehen.
Bei dieser Norm geht es primär um die Art der Dienstleistung. Die Ermäßigung kann nach § 35a Abs. 2 Satz
1 EStG von jedem beantragt werden, der eine dort angeführte Dienstleistung in Anspruch nimmt. Sobald
eine Leistung im Haushalt erbracht wird, hängt die Steuerermäßigung von der Art der Serviceleistung ab.
Die Besonderheiten, die bei Heimunterbringung zu der Regelung in § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG geführt
haben, sind aus steuerrechtlicher Sicht nicht auf Fragen der Qualität der Einrichtung oder den Schutz alter
Menschen bezogen. Vielmehr begründen sie die Erweiterung des insoweit engen Anwendungsbereichs von
§ 35a Abs. 2 Satz 1 EStG; die Dienstleistung muss nicht haushaltsnah, sondern mit einer Hilfe im Haushalt
vergleichbar sein. Zwar ist die Eingliederung einer Unterkunft in eine Einrichtung i.S.d. Heimgesetzgebung
stärker als bei den nicht darunter fallenden Formen des Betreuten Wohnens. Aber auch betreute
Seniorenwohnungen, die die Einrichtungsmerkmale nach dem PfleWoqG nicht erfüllen, sind durch die
verschiedenen Leistungselemente und durch die Vertragsausgestaltung meist besonders in die
Wohnanlage integriert. Die Verknüpfung zur Wohnung des Mieters kann beispielsweise durch die aufgrund
einer Kündigungsklausel nicht lösbare Verbindung zwischen Betreuungsvertrag und Wohnung erzielt
werden. Dadurch werden die Leistungen mit der Wohnung verknüpft (vgl. im Grundsatz § 1 Abs. 2 Satz 1
WBVG). Maßgeblich für die Anwendbarkeit des § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG ist mithin, ob das
Wohnrecht bei einer Unterkunft in einer Seniorenanlage an verschiedene allgemeine Grundleistungen in
dem Wohnkonzept ohne Wahlmöglichkeit gekoppelt ist (a.A. zur Wahlmöglichkeit Frotscher-Kratzsch,
EStG, § 35a, Rz. 64).
42
ff) Vorliegend besteht eine hinreichende vertragliche Verbindung zwischen Wohnraumverschaffung und
Betreuungsleistungen durch den Betreiber der Seniorenresidenz: Nach § 5 des Seniorenbetreuungsvertrags
ist dieser Vertrag nicht kündbar, ohne auch den Vertrag über Wohnraum zu kündigen. Ohne Auswirkung ist,
dass der Mietvertrag keine den Betreuungsvertrag betreffende Klausel enthält. Denn einerseits wird im
Mietvertrag auf die besondere Situation in einer Seniorenwohnanlage Bezug genommen (§17 des
Mietvertrags). Andererseits reicht es für die Verbindung der zwei Verträge aus, dass der Fortbestand beider
von der Existenz des einen durch die Kündigungsvereinbarung in § 5 des Seniorenbetreuungsvertrags
abhängig ist (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WBVG). Durch diese Vertragsgestaltung war es dem Kläger nicht
möglich, sich ohne Auswirkungen auf seinen Verbleib in der Unterkunft von den Grundbetreuungsleistungen
zu lösen. Damit ist unerheblich, dass die vom Kläger hier ausgewählte Wohnform des Betreuten Wohnens
nicht unter die Nachfolgegesetze des HeimG fällt. Eine unter § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG
einzuordnende Heimunterbringung liegt mithin vor.
43
b) Die in der Betreuungspauschale enthaltenen Leistungen stellen zudem mit einer Hilfe im Haushalt
vergleichbare Dienstleistungen i.S.d. § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG dar.
44
aa) Der Begriff des „Haushalts“ ist in § 35a EStG einheitlich auszulegen. Hilfe im Haushalt ist eine Person,
die im Haushalt einer anderen Person typische haushaltswirtschaftliche Arbeiten erledigt (Kirchhof/Söhn/
Mellinghoff-Bode, EStG, § 35a, Rz. C25). Das Wirtschaften im Haushalt umfasst Tätigkeiten, die für die
Haushaltung oder die Haushaltsmitglieder erbracht werden. Bei der Heimunterbringung ist insbesondere die
Abgrenzung vom öffentlichen Bereich, also einer Hilfe von außerhalb von Bedeutung
(Kirchhof/Söhn/Mellinghoff-Bode, EStG, § 35a, Rz. C25, C56).
45
Der Begriff „haushaltsnah“ ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Als haushaltsnahe Leistungen werden solche
angesehen, die eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung haben bzw. damit im Zusammenhang stehen
(BFH-Urteil vom 29.01.2009, Az. VI 28/08 m.w.N., BStBl. II 2010, 166). Dazu gehören Tätigkeiten, die
gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte zur Versorgung der
dort lebenden Familie erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen (BFH-Urteil vom
29.01.2009, Az. VI 28/08, BStBl. II 2010, 166; Urteil des FG Baden-Württemberg vom 08.03.2012, Az. 6 K
4420/11, EFG 2012, 1266).
46
bb) Nach der Rechtsprechung ist das Vorhalten eines betreuerischen 24-Stunden-Bereitschaftsdienstes
sowie die kostenlose Betreuung bei kurzfristiger Erkrankung den haushaltsnahen Dienstleistungen
zuzuordnen. Denn die Bereitschaft, sich (nachts) um einen älteren Angehörigen zu kümmern, sei es im
Allgemeinen oder speziell im Falle einer (leichteren) Erkrankung, und die Erbringung kleinerer
Betreuungsleistungen sind den Tätigkeiten zuzurechnen, die im Allgemeinen durch Familienmitglieder bzw.
durch Mitglieder des privaten Haushalts erledigt werden. Sie fallen im Haushalt eines älteren Menschen
immer wieder an. Das wird nicht zuletzt auch durch die Gesetzesmaterialien bestätigt, in denen
ausdrücklich die Betreuung und Versorgung alter Menschen als möglicher Gegenstand einer
haushaltsnahen Dienstleistung genannt wird. Damit ist offensichtlich die reguläre Versorgung und
Betreuung eines alten, nicht pflegebedürftigen Menschen gemeint (BFH-Urteil vom 29.01.2009, Az. VI
28/08, BStBl. II 2010, 166, unter II.2.; Urteil des FG Hamburg vom 05.05.2008, Az. 6 K 175/05, EFG 2008,
1888).
47
Zudem können derartige Tätigkeiten Gegenstand eines haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnisses sein.
Für sie kann eine Pflegekraft eingestellt werden, die rund um die Uhr anwesend ist, um im Notfall weitere
Maßnahmen zu veranlassen. Zwar erbringen diese Hilfen daneben weitere Dienstleistungen. Aber ein
wichtiger Vertragsinhalt ist ihre dauernde Anwesenheit für den Notfall (Präsenzdienst). Eine solche 24Stunden-Betreuung wird sowohl von zahlreichen professionellen Anbietern als auch privat in großem
Umfang angeboten. Bereits die Notfallrufbereitschaft stellt also eine Leistung dar, die einer Hilfe im Haushalt
vergleichbar ist.
48
Der öffentliche Bereich ist nicht betroffen. Das Notrufsystem ist innerhalb der Residenz untergebracht und
wird von dort aus bedient. Mithin sind diese in der Betreuungspauschale abgerechneten Leistungen unter §
35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG einzuordnen.
49
c) Ferner sind diese Leistungen vom Kläger in Anspruch genommen worden.
50
Die in der Auflistung der Seniorenresidenz beschriebenen Leistungen enthalten jeweils zwei
Leistungsbestandteile: Zum einen das ständige Vorhalten bestimmter Leistungen (Notfallbereitschaft, Dienst
für kleinere/ambulante Pflegeleistungen, Betreuung bei Erkrankung und sonstige Betreuung) und zum
anderen das tatsächliche Erbringen einzelner Leistungen aus diesem Spektrum. Dabei wird nach
Auffassung der Rechtsprechung insbesondere auch durch das Vorhalten der Leistungen zur Betreuung
alter Menschen eine haushaltsnahe Dienstleistung i.S.d. § 35a Abs. 2 EStG erbracht. Denn für den
betroffenen Menschen ist es nicht nur wichtig, dass er im Einzelfall jeweils (konkret) versorgt wird. Er will
sich darüber hinaus auch (allgemein) darauf verlassen können, dass selbst dann, wenn gegenwärtig kein
konkretes Bedürfnis besteht, gleichwohl jemand präsent ist, der sich im Notfall um ihn kümmern könnte
(Urteil des FG Hamburg vom 05.05.2008, Az. 6 K 175/05, EFG 2008, 1888). Anders als beispielsweise beim
Vorhalten von Kleinreparaturen im Bedarfsfall, in dem die Bereithaltung selbst von geringerer Bedeutung ist
und eher der Erleichterung des täglichen Lebens dient, ist mit dem 24-Stunden-Notruf und der Möglichkeit,
sofort Hilfe zu bekommen, ein hohes Sicherheitsgefühl bei älteren Bürgern verbunden. Würden sie auf die
Beratung etc. wohl auch verzichten können, ist gerade die Gewissheit, im Notfall Hilfe verständigen und
bekommen zu können, in hohem Alter aus Sicht des Leistungsempfängers mehr als nur die Möglichkeit, im
Bedarfsfall eine Leistung abrufen zu können. Es stellt bereits selbst eine Leistung dar und gibt die
Sicherheit, die diese Altersgruppe mit der Entscheidung, die gewohnte Umgebung zu verlassen und in eine
Form des Betreuten Wohnens umzuziehen, regelmäßig sucht. Damit wird durch das Bereitstellen eines
Notrufsystems und dem Vorhalten von Personal für den Notfall eine eigene Leistung erbracht.
51
Ferner bestätigt ein Vergleich mit dem Winterdienst (jedenfalls auf privatem Grundstück, s. aber FG BerlinBrandenburg mit Entscheidung vom 23.08.2012, Az. 13 K 13287/10, EFG 2013, 51) die Auffassung, dass
bereits das Vorhalten für den Bedarf bei einer 24-Stunden-Betreuung eine nach § 35a EStG begünstigte
erbrachte Leistung darstellt. Wenn ein Privathaushalt einen Vertrag mit einem externen Anbieter abschließt,
der bei Bedarf Schnee räumt, können die dadurch entstehenden Aufwendungen auch dann die Steuer
ermäßigen, wenn der Winter mild war und der Vertragspartner nicht einmal diese Tätigkeit ausgeführt hat.
Auf die tatsächliche Ausführung der Leistung kommt es nicht an; es reicht die vertragliche Vereinbarung
(vgl. BMF-Schreiben vom 10.01.2014, BStBl. I 2014, 75, Rz. 9 und Anlage 1). Dabei handelt es sich bei
dieser Bereitstellung einer Leistung, die der Leistungsempfänger vergütet, nicht um eine Nebenpflicht zu
einer begünstigten Hauptleistung, wie sie die Verwaltung fordert (BMF-Schreiben vom 10.01.2014, BStBl. I
2014, 75, Rz. 7). Dennoch werden die Aufwendungen steuerermäßigend berücksichtigt. Ein Grund, die
Bereithaltung einer Notrufbetreuung anders als die Bereithaltung eines Schneeräumdienstes zu behandeln,
ist nicht ersichtlich.
52
Im Streitfall hat der Kläger nach dem Vortrag seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung die
mit der Betreuungspauschale abgedeckten Notdienste zudem wiederholt in Anspruch genommen.
53
d) Diese Dienstleistungen sind zudem im Heim erbracht worden (vgl. § 35a Abs. 4 Satz 2 EStG).
54
§ 35a Abs. 4 Satz 2 EStG erweitert den Bereich, in dem haushaltsnahe Dienstleistungen erbracht werden
können. Bei einer Heimunterbringung ist die Dienstleistung nicht im engen Bereich eines Haushalts zu
erbringen, sondern im Heim. Auf das Vorliegen eines Haushalts kommt es dabei nicht an (arg. e § 35a Abs.
4 Satz 2 EStG; vgl. Kirchhof/Söhn/Mellinghoff-Bode, EStG, § 35a, Rz. C27; so jetzt auch BMF-Schreiben
vom 10.01.2014, BStBl. I 2014, 75, Rz. 14; Bordewin/Brandt-Köhler, EStG, § 35a, Rz. 288).
55
Wenn ein Heim oder eine Seniorenwohnanlage selbst ein Notrufsystem aufgebaut hat und kurzfristige
Betreuung bereithält, wird die Bereitstellung der Leistung bei Bedarf zwar außerhalb der konkreten
Wohnung erbracht, aber innerhalb des durch § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 EStG
erweiterten Bereichs des Heims.
56
Die hier betroffene Seniorenresidenz hat ein solches System vor Ort eingerichtet. Auch wenn die Residenz
auf zwei, durch eine Straße getrennte Gebäude verteilt ist, ist sie als eine Einheit anzusehen: Betreute
Wohnungen sind in beiden Häusern belegen. Zwar ist das 24-Stunden-Betreuung-Büro nur in einem der
beiden Häuser angesiedelt. Der Notruf erreicht aber über einen Piepser das Personal, das in beiden
Häusern arbeitet. Beide Häuser gehören zusammen; sie stellen die Sozialstation dar und bilden nach
Überzeugung des Senats eine Einheit. Die nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG geltend gemachten
Aufwendungen sind somit im Heim erbracht worden.
57
e) Schließlich können die Aufwendungen für Dienstleistungen, die mit einer Hilfe im Haushalt vergleichbar
sind, mit der hier vorliegenden Bescheinigung des Heimbetreibers nachgewiesen werden.
58
Aus der Rechnung i.S.d. § 35a EStG müssen sich jedenfalls die wesentlichen Grundlagen der steuerlich
geförderten Leistungsbeziehung entnehmen lassen (BFH-Urteil vom 29.01.2009, Az. VI 28/08, BStBl. II
2010, 166; ähnlich BMF-Schreiben vom 10.01.2014, BStBl. I 2014, 75, Rz. 29 i.V.m. Rz. 27 und 28; ferner
Herrmann/Heuer/Raupach-Apitz, § 35a EStG, Rz. 16: pauschale Erhebung reicht bei Heimunterbringung).
Daher müssen sich der Erbringer der haushaltsnahen Dienstleistung als Rechnungsaussteller, der
Empfänger der Dienstleistung, Art, Zeitpunkt und Inhalt der Dienstleistung sowie die dafür vom
Steuerpflichtigen jeweils geschuldeten Entgelte aus der Rechnung ergeben. Hier ergeben sich aus der von
der Seniorenresidenz ausgestellten Bestätigung das monatliche Gesamtentgelt, Leistungserbringer und
Leistungsempfänger der Dienstleistungen und auch die Art der erbrachten Dienstleistung. Zudem schlüsselt
die Seniorenresidenz den prozentualen Umfang der Betreuungsleistungen pauschal auf. Die Rechnung
enthält die auf den Kläger für die Betreuungsbereitstellung entfallenden Kosten. Diese Darstellung auf der
Rechnung ist ausreichend. Der Kläger hat die von ihm getragenen Aufwendungen für Dienstleistungen, die
mit einer Hilfe im Haushalt vergleichbar sind, durch Vorlage einer Rechnung entsprechend § 35a Abs. 5
Satz 3 EStG nachgewiesen.
59
§ 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG ist mithin einschlägig.
60
2. Selbst wenn die Seniorenresidenz im vorliegenden Fall nicht unter den Bergriff des Heims i.S.d. § 35a
Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG fallen sollte, ist die Betreuungspauschale jedenfalls unter § 35a Abs. 2 Satz 1 Alt.
2 EStG einzuordnen. Es handelt sich dabei um eine haushaltsnahe Dienstleistung, die im Haushalt des
Steuerpflichtigen erbracht worden ist.
61
a) Ein Haushalt liegt bei der Wohnung des Klägers in der Seniorenwohnanlage vor (zu den
Voraussetzungen vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 12.09.2012, Az. 3 K 3887/11, EFG 2013, 125;
BMF-Schreiben vom 10.01.2014, BStBl. I 2014, 75, Rz. 16). Die Räumlichkeiten des Bewohners sind nach
ihrer Ausstattung für eine Haushaltsführung geeignet; sie verfügen über drei Zimmer, Bad und Küche. Es
handelt sich um eine eigene, abgeschlossene Wohnung wie in anderen Mehrfamilienhäusern auch. Eine
eigene Wirtschaftsführung des Klägers ist nicht strittig. Hinsichtlich des Vorliegens einer haushaltsnahen
Dienstleistung und ihrer Inanspruchnahme wird auf die Ausführungen unter I.1.b)bb) und I.1.c) verwiesen.
62
b) Die Bereithaltung der Notfallbetreuung erfolgte im Haushalt des Klägers, auch wenn der 24-StundenNotruf nicht in der Wohnung des Klägers untergebracht war. Nach Ansicht des Senats ist bei einer
Wohnung, die in einem Haus mit Serviceleistungen belegen ist (um eine solche handelt es sich, wenn kein
Heim i.S.d. § 35 a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG vorliegt), der Haushalt nicht auf die Wohnung begrenzt.
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aa) Nicht ausreichend ist es, wenn eine haushaltsnahe Dienstleistung lediglich für einen Haushalt erbracht
wird (Urteil des FG Baden-Württemberg vom 08.03.2012, Az. 6 K 4420/11, EFG 2012, 1266; ausführlich
Urteil des FG Nürnberg vom 22.09.2005, Az. IV 33/05, DStRE 2006, 599). So sind nach der
Rechtsprechung pauschale Grundgebühren für den Anschluss an eine Notrufzentrale, die außerhalb des
Grundstücks bei einer Sicherheitsfirma untergebracht ist, nicht als haushaltsnahe Dienstleistungen
steuerbegünstigt. Pauschale Aufwendungen für einen Notrufanschluss sind vielmehr nur begünstigt, wenn
die Notrufzentrale im räumlichen Bereich des Grundstücks, d.h. in der privaten Wohnung oder dem privaten
Haus nebst Zubehörräumen und Garten, nicht jedoch außerhalb dieses Bereichs, untergebracht ist und dort
ihre Tätigkeit ausübt. Dass eine Tätigkeit außerhalb mittels Leitungen zum Grundstück und dortiger
technischer Einrichtungen an beiden Orten Wirkungen erzeugt und der Erfolg dem dortigen Haushalt
zugutekommt, genügt nicht (Urteil des FG Hamburg vom 20.01.2009, Az. 3 K 245/08 m.w.N., DStRE 2009,
1177).
64
Dementsprechend zählt nach der Verwaltungsauffassung die als eigenständige Leistung vergütete
Bereitschaft auf Erbringung einer Leistung im Bedarfsfall nicht zu den begünstigten haushaltsnahen
Dienstleistungen (BMF-Schreiben vom 10.01.2014, BStBl. I 2014, 75, Rz. 7). Die Literatur rechtfertigt dies
damit, dass die bloße Bereitschaft zur Leistungserbringung wie bei einer Notrufzentrale zwar
Dienstleistungscharakter hat, aber eben nicht „im“ Haushalt erfolgt (Kirchhof/Söhn/Mellinghoff-Bode, EStG,
§ 35a, Rz. C17, E7). Nach der o.g. Rechtsprechung kann dies allein die Leistungsbereitstellung außerhalb
des zur Wohnung gehörenden Grundstücks betreffen. In einem solchen Fall erfolgt nur die konkret
abgerufene Dienstleistung im Haushalt (Kirchhof/Söhn/Mellinghoff-Bode, EStG, § 35a, Rz. C17, E7). Etwas
anderes gilt nach Rz. 7 des BMF-Schreibens lediglich, wenn der Bereitschaftsdienst Nebenleistung einer
ansonsten begünstigten Leistung ist.
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bb) Von dieser von Verwaltung und Literatur angenommenen Konstellation unterscheidet sich aber der
vorliegende Sachverhalt. Die Leistung wird hier nämlich vor Ort in der Anlage bereitgehalten und damit
erbracht. Selbst wenn bei einer Wohnung, die in einem Heim belegen ist, der Haushalt nicht als bis zur
Grundstücksgrenze reichend angesehen werden sollte (das BMF-Schreiben vom 10.01.2014 verweist in Rz.
29 hinsichtlich der Leistung außerhalb eines Heimappartements nicht auf Rz. 15, die die Außenanlagen
eines (allgemeinen) Haushalts betrifft – allerdings ist die bisherigen Einschränkung, dass bestimmte
Leistungen auf Gemeinschaftsflächen nicht dem Haushalt der Heimbewohner zugerechnet werden können
(so noch BMF-Schreiben vom 15.02.2010, BStBl. I 2010, 140, Rz. 17), aufgegeben worden), kann diese
Einschränkung hier nicht greifen. Denn sie stellt auf ein Heim ab. Wenn aber mit der Verwaltungsauffassung
der Heimbegriff hier nicht erfüllt sein sollte, muss die Wohnung des Klägers wie die in einem gewöhnlichen
Mehrfamilienhaus behandelt werden. In einem solchen reicht der häusliche Bereich sowohl nach der
Rechtsprechung als auch nach der Verwaltung bis zur Grundstücksgrenze bzw. darüber hinaus, wenn die
Verkehrsausfassung mehrere Grundstücke als Einheit ansieht (Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
15.08.2012, Az. 7 K 7310/10, EFG 2012, 2208; BMF-Schreiben vom 10.01.2014, BStBl. I 2014, 75, Rz. 15;
Bordewin/Brandt-Köhler, EStG, § 35a, Rz. 295). Hier stellen beide Häuser eine Einheit dar, die sich
verschiedene Einrichtungen teilen. Es handelt sich um eine Seniorenwohnanlage, die auf zwei, in einem
Gebiet gelegene Gebäude verteilt ist. Damit ist die Notrufzentrale im häuslichen Bereich der Wohnung
erbracht worden.
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cc) Dass das Büro der Notfallzentrale keinen Raum darstellt, den die Residenzbewohner tatsächlich selbst
nutzen, ist unerheblich. Entscheidend ist, welche Funktion eine auf dem Grundstück gelegene Fläche erfüllt.
Der Betreiber ist dem Kläger gegenüber verpflichtet, die Notfallbetreuung mit Fachpersonal zu organisieren
und zu erbringen (§ 1 des Seniorenbetreuungsvertrags). Das Notfallbüro ist aufgrund dieser Vereinbarung
Teil der Wohnanlage, deren Leistungen auch dem Kläger zugute kommen. Diese Bereitstellung kann der
Kläger nicht abwählen (§ 5 des Seniorenbetreuungsvertrags). Zudem ist im Büro primär die Technik für das
System untergebracht. Das Personal, das angepiepst wird, hält sich nicht dort, sondern zumeist in den
Residenzhäusern auf. Die Tatsache, dass die Bewohner das Büro nicht selbst nutzen, beruht
demgegenüber nicht darauf, dass diese Fläche einem Dritten ausschließlich zuzurechnen wäre. Nach der
Verkehrsanschauung gehört das Büro bei dieser Sachlage zur Wohnanlage, in der der Kläger seinen
Haushalt führt. Auch in anderen Fällen werden Räumlichkeiten nicht von den Hausbewohnern de facto
genutzt, dennoch sind sie den Gemeinschaftsflächen sogar dann zuzurechnen, wenn die Bewohner den
Raum gar nicht betreten dürfen (mit verschiedenen Beispielen vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom
12.09.2012, Az. 3 K 3887/11, EFG 2013, 125). Wenn die Wohnung nicht in einem Heim i.S.d. § 35a Abs. 2
Satz 2 Alt. 2 EStG belegen sein sollte, wird die Notrufbetreuung folglich auf dem zur klägerischen Wohnung
gehörenden Grundstück und damit im Haushalt erbracht, da die Flächen außerhalb der konkreten Wohnung
zum Haushalt hinzugerechnet werden.
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Somit ist die Steuerermäßigung auch nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG zu gewähren.
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3. Die Aufwendungen für die Bereitstellung der Rund-um-die-Uhr-Betreuung sind danach in jedem Fall gem.
§ 35 a EStG als haushaltsnahe Dienstleistungen begünstigt und bis zu einer Höhe von 20 % zu
berücksichtigen. Neben den bereits anerkannten Hausmeisterkosten sind daher von den geltend
gemachten Aufwendungen für die Betreuungspauschale i.H.v. 1.428 € ebenfalls 20 % zu berücksichtigen.
Die verschiedenen begünstigten Ausgaben übersteigen zusammen nicht die Höchstgrenze von 20.000 €
berücksichtigungsfähiger Aufwendungen.
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Der Klage war daher stattzugeben und die Einkommensteuer 2011 entsprechend herabzusetzen. Die
Berechnung der Einkommensteuer wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Finanzamt übertragen.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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III. Die Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
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IV. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat. Die Beantwortung der Frage, ob Steuerpflichtige in Wohnformen, die keine von den
Heimgesetzen erfasste Einrichtungen sind, von der Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 EStG
profitieren, liegt aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtseinheitlichkeit im allgemeinen Interesse.
Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ist die Frage, welche Art des Wohnens im Alter unter
die Steuerermäßigung „der Unterbringung in einem Heim“ einzuordnen ist, von großer Bedeutung. Der
Senat hielt die Zulassung der Revision daher für geboten.