zeitungen - Horizont

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zeitungen - Horizont
HORIZONT 25/2014
25
18. Juni 2014
REPORT
www.horizont.net/report
ZEITUNGEN
FOTO: MAJIVECKA / FOTOLIA
ZUM THEMA
Kundendialog
Fortschritt durch
Zuschnitt
Von Roland Karle
Generalist sein reicht nicht mehr:
Die Zeitung muss ihre Kernfunktion neu bestimmen und ihr Angebot gezielter auf Zielgruppen
und Plattformen abstimmen
A
ls Sebastian Turner zu Jahresbeginn 20 Prozent der Anteile
am Berliner „Tagesspiegel“ erwarb und Herausgeber wurde,
zeigte er sich „fasziniert von deren Ausbaumöglichkeiten“. Seinen Worten hat
er Taten folgen lassen. Ende Mai startete
der werktägliche Newsletter „Tagesspiegel Morgenlage“, der an 30000 politische
Entscheider versandt wird und einen
Überblick über die wichtigsten Nachrichten aus Politik und Wirtschaft gibt.
Bereits seit Februar erscheint, ebenfalls
für Politprofis, die „Tagesspiegel Agenda“ zu den 22 Sitzungswochen als eigenes Buch in der gedruckten Ausgabe.
Der „Tagesspiegel“ werde von mehr
Politikentscheidern in der Hauptstadt
(54 Prozent) gelesen als jede überregionale Abo-Zeitung, sagt Turner. Mit so
viel Elite in der Leserschaft lässt sich was
anstellen: Seine gedruckte „Agenda“ und
die digitale „Morgenlage“ positioniert
der Verlag forsch als „hochspezialisierte
Monitoring-Dienste“ und Fachinformation für das politische Berlin.
Abwarten, ob sie sich durchsetzen.
Denn Publikumsmedium und Fachtitel
zu sein, das ist ein Spagat. Intelligent gesteuert, kann daraus aber auch eine große Chance für die Gattung der Tagespresse entstehen. Denn die Frage drängt
sich auf: Taugt die Zeitung noch zum
Generalisten? Oder muss sie sich spezialisieren? Oder gar beides tun?
„Historisch betrachtet ist die regionale Tageszeitung ein Breitenmedium, für
alles und jeden“, erklärt Nadja Vernimb,
Geschäftsführerin der Agentur JOM
Jäschke Operational Media. „Aber in Sachen Aktualität muss sie sich den digitalen Medien geschlagen geben.“ Die Auflage der gedruckten Tagespresse ist hierzulande binnen zehn Jahren um rund 30
Prozent zurückgegangen, und sie wird
weiter schrumpfen. „Eine unumkehrbare Entwicklung“, sagt Vernimb.
Das führt schon heute dazu, dass die
Zeitung als Werbeträger für Markenartikler und den Handel öfter durchs Belegungsraster fällt. „Der langfristige Trend
zeigt nach unten“, sagt Godo Röben,
Marketingchef Rügenwalder Mühle (siehe Interview Seite 28). „Die Zeitung bedient das Bedürfnis nach abgeschlossenen Formaten, deshalb hat sie Zukunft –
aber nicht auf Papier“, prognostiziert er
mit Blick auf die Nutzungsmuster der
jüngeren Generation.
Von imposanten Zahlen aus der MA,
die den Zeitungen eine Reichweite von
69 Prozent attestiert, sollte sich niemand
blenden lassen. „Wir erleben gerade bei
allen Mediengattungen das Ende der
,großen Samstagabend-Show für alle‘,
da bilden die Zeitungen keine Ausnahme“, sagt Thomas Breyer-Mayländer,
Professor für Medienmanagement an
der Hochschule Offenburg. „Das Universalmedium, das die Zeitung per se
darstellt, muss sich deshalb verändern.“
Es gehe darum, Kernfunktion und
-kompetenzen neu zu bewerten. „Zeitungen sollten klarer Zielgruppensegmente ins Visier nehmen und mit einer
entsprechenden redaktionellen Konzeption bedienen“, rät Breyer-Mayländer.
Die lokale Sportberichterstattung etwa, eine gewohnte Domäne der Zeitung
am Ort, verlagert sich zunehmend ins
Netz. Das von Deutscher Telekom mit
dem Deutschen Fußball-Bund (DFB)
betriebene Portal Fussball.de, das regio-
nale Fußballportal Fupa.net mit bundesweiten Lizenzpartnern, darunter auch
etliche Zeitungshäuser, sowie verlagseigene Entwicklungen wie Sportbuzzer.de
(Madsack) und Heimatsport.de (Passauer Neue Presse) liefern Ergebnisse
und Spielberichte schneller, ausführlicher und multimedialer als die Printausgabe.
Mediaexpertin Vernimb hält eine
Segmentierung des publizistischen Angebots für notwendig. „Inhalte sollten
zielgruppen- und medienspezifisch aufbereitet werden, zum Beispiel indem es
eine spezielle App-Version für junge
Leute zwischen 16 und 25 Jahren gibt.“
Noch fehlt es den digitalen Medien der
Zeitungen an ausreichender Differenzierung, sagt Schickler-Berater Alexander
Kahlmann (siehe Seite 26). „Das bietet
bislang nur eine Minderheit.“
Derzeit wird in den Verlagen viel probiert. Positiv aufgefallen ist jüngst ein
Beispiel aus den Niederlanden. Die monatlich 5,99 Euro teure App „NRC Reader“ zählt gut ein Jahr nach ihrem Start
mehr als 11000 Abonnenten und läuft
profitabel. Gelobt wird ihre Bildsprache,
einfache Bedienerführung und verschlankte Inhalte – täglich werden sieben
bis neun neue Geschichten geliefert.
Wenn sich am 24. Juni Unternehmen,
Vermarkter und Mediaagenturen zum
HORIZONT Zeitungsgipfel in Wiesbaden treffen, lautet eine der Kernfragen auf
der Agenda, „Was die Werbungtreibenden von der Zeitung wirklich wollen“.
Die Leistungswerte der Zeitungen und
der Konditionendruck im intermedialen
Wettbewerb, die Perspektiven des gedruckten Produkts und Brückenschläge
von Print zu Digital werden die Vorträge
und Diskussionen prägen. Wie differenziert Kunden heute die Zeitung für ihre
Kommunikationszwecke einsetzen, zeigt
das Beispiel Rügenwalder Mühle. Marketingchef Godo Röben investiert zwar
auch den Löwenanteil des Budgets in TV
und baut die Präsenz in digitalen Kanälen
aus. Dennoch überzeugen ihn Zeitungen
weiter insbesondere mit den Argumenten
Glaubwürdigkeit, Aufmerksamkeit und
Zielgruppen. Ein Pfund, mit dem die Verlage im Wettbewerb punkten können.
Jochen Zimmer
Ressortleitung Specials
INHALT
Paid Content: Warum immer mehr Verlage
ihr Geschäftsmodell umbauen.
26
Interview: Marketingchef Röben über
Printwerbung bei Rügenwalder Mühle. 28
Social Media: Regionalzeitungen suchen im
sozialen Netz nach neuen Zielgruppen. 30
Cases: Award für Zeitungen mit modernem
Layout und alternativem Storytelling.
34
Umfrage: HORIZONT befragt Experten
zur Zukunft der Zeitung.
36
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26 REPORT ZEITUNGEN
HORIZONT 25/2014
FOTO: FRANK PETERS / MONTAGE: HORIZONT
Verkaufen statt
verschenken
Abschied vom reinen
Reichweitenmodell:
Zeitungen beschränken
den Gratiszugriff auf
Netzinhalte
Plus für Abonnenten
Wenn Abonnenten in Urlaub
gehen, spenden sie häufig
ihre Zeitung, zum Beispiel an
eine soziale Einrichtung. Die
Verlagsgruppe Rhein-Main
(„Allgemeine Zeitung“) bietet
ihnen in einer Kooperation mit
der E-Post jetzt einen Benefit:
Die Abonnenten erhalten die
Zeitung während ihrer Abwesenheit als E-Paper und
zusätzlich vier Wochen lang
ein E-Post-Konto, über das sie
täglich ihre Post online
empfangen und erledigen
können. Der Service ist gratis.
Die Agentur GKK Dialog hat
die Idee geboren und ist an
Nachahmern interessiert.
Von Roland Karle
F
Kombiangebote erstellt, auch in Verbindung mit Hardware. Laut Schickler-Studie bietet mehr als die Hälfte
der 41untersuchten Zeitungen Bundles inklusive PC-Tablets – überwiegend iPads – an. „Wir haben verschiedene Zahlmodelle ausprobiert und
schnüren immer wieder neue Vertriebspakete, wenn wir feststellen,
dass sie nicht fliegen“, sagt Martina
Lenk, Geschäftsführerin Madsack
Online. Dabei sei man sehr experimentierfreudig. Die Praxis habe gezeigt, dass einfache Zahl- und Registriervorgänge wichtig seien. Lenk:
„Man darf dem Nutzer nicht zu häufig Kaufentscheidungen abverlangen
– Stichwort Einzelartikelverkauf. Das
macht ihm keinen Spaß.“
Die Mediengruppe Madsack hat
schon 2012 den Kurswechsel zur
kompletten Kostenpflicht vollzogen
und damit gute Erfahrungen gemacht: Gleich im ersten Jahr stiegen
sogar Online-Reichweite und -Werbeumsatz, außerdem kamen Vertriebserlöse hinzu. Lenk rät anderen
Verlagen zur Nachahmung. „Es ist
nicht sinnvoll, an manchen Stellen
Geld zu verlangen und an anderen
nicht. Wenn ein Kunde alles frei auf
seinem Smartphone lesen kann,
muss er keine App abonnieren.“
Denn nur mit konsequenter Bezahllogik spielt im Netz die Musik – wie
bei den Berliner Philharmonikern.
„Paid Content vorantreiben“
Verlage müssen die Vermarktung digitaler Angebote
forcieren, rät Alexander Kahlmann, Berater bei Schickler
Was hat Sie an den digitalen Bezahlangeboten von Zeitungen besonders
überrascht?
Dass die meisten E-Paper und Apps nahezu eine Kopie der gedruckten Zeitung
sind. Anders als etwa in Skandinavien
verbreitet, gibt es kaum zusätzliche Informationsebenen und Live-Paper-Formate.
Muss das von Nachteil sein?
Nicht, wenn sich das digitale Angebot an
die bekannte Leserschaft richten soll.
Denn es gibt viele, die die Zeitung in der
bisherigen Form mögen, aber lieber auf
digitalen Geräten nutzen. Hinzu kommt,
dass die Verlage für den Transfer von
Print auf die digitale Plattform wenig
Geld ausgeben müssen. Jedoch: Neue, vor
allem jüngere Leser werden die Zeitungen
auf diese Weise kaum gewinnen. Man
spart heute, aber gefährdet den Umsatz
von morgen.
Wie kann die digitale Zeitung bei der
jungen Generation landen?
Sie muss mehr zielgruppen- und themenspezifische Angebote machen. Individua-
lisierung ist ein starker Trend im Netz,
dem die Zeitungen bislang selten folgen.
Jemand, der an lokalen Nachrichten,
Sport und Wirtschaft besonders interessiert ist, sollte ein E-Paper oder eine App
erhalten, die darauf zugeschnitten ist. Dazu ist ein hoher Grad an Automatisierung
notwendig, aber technisch lässt sich das
heute schon umsetzen. Doch die gegenwärtige Struktur und Logik von Redaktionen müssten sich erheblich verändern.
Die Verlage würden an Umsatz einbüßen, weil Online-Abos günstiger sind.
Stimmt, der Preisunterschied liegt derzeit
im Durchschnitt bei monatlich 10 Euro.
Aber die Kostenersparnis gegenüber Print
ist enorm, sodass die Umsatzrendite nicht
leiden, sondern eher steigen würde. Und:
Kunden mit einer hohen Kündigungswahrscheinlichkeit könnten durch ein
günstigeres Digitalabo gehalten werden.
Wird Paid Content die Rückgänge im
Sind die Verlage bei E-Paper/Apps und Printgeschäft wettmachen?
Online-Zugriff auf dem richtigen Weg? Eine Verdreifachung der Paid-ContentBislang haben sie es vielfach versäumt, Erlöse in den nächsten fünf Jahren halten
wir durchaus für möglich. Aber zuPrintabonnenten schnell zu Digitalnutgleich ist zu erwarten, dass die
zern zu konvertieren. Noch heute
verkaufte Auflage weiterhin um
haben nicht alle ein attraktives
2 bis 3 Prozent im Jahr
Brückenangebot, etwa indem sie
schrumpft. Durch höhere Codigitale Produkte und Services mit
pypreise lässt sich das, wie gedem Printabo verknüpfen oder
entsprechend rabattieren. Und es
schehen, wohl nicht mehr ausgibt noch keine Wechselangebogleichen. Umso mehr sollte, um Bezieher der geten die Verlage die digitale
druckten Zeitung zu reiVermarktung vorantreinen Digitalabonnenten Alexander Kahlmann,
ben – nicht nur als flankiezu machen.
rende Maßnahme.
ROL
Schickler
FOTO: SCHICKLER
reunde der Klassik genießen die
Auftritte der Berliner Philharmoniker, ein Konzertbesuch ist allerdings meist mit größerem Aufwand verbunden. Es geht auch anders:
Seit sechs Jahren präsentiert sich das Orchester in der Digital Concert Hall – im
Internet. Dort gibt es fast wöchentlich
Live-Übertragungen sowie Zugriff auf
über 240 Konzertmitschnitte und 150 Interviews mit den Musikern. Das Paket
wird zum jederzeit kündbaren Dauerbezug für 14,90 Euro im Monat angeboten
sowie zu etwas höheren Tarifen im Wochen-, Monats- oder Jahrestakt.
„Nie waren die Philharmoniker so erreichbar wie heute“, sagte Intendant Martin Hoffmann, früher Sat-1-Geschäftsführer, auf dem Kongress „Zeitung Digital 2014“. Und übers Netz spielen die Musiker richtig Geld ein: bei derzeit 15000
Abonnenten jährlich Einnahmen von
rund 3 Millionen Euro. Paid Content (für
Inhalte, vor allem exklusive) kann also
funktionieren. Was die Berliner Philharmoniker den meisten Verlagen dabei voraushaben: Sie betrieben von Beginn an
eine stringente Preispolitik. Wer ins Konzert kommt, muss bezahlen, egal ob live
im Saal oder im Internet. Zeitungen unterlagen lange dem Trugschluss, über kostenlosen Eintritt und entsprechend erzielbare Reichweiten durch Werbung ihr
Geld verdienen zu können.
Jetzt wird zurückgerudert. „Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der
bezahlten Internetangebote verdreifacht“, berichtet Larry Kilman, Chef des
Weltzeitungsverbands Wan-Ifra. Auch
hierzulande bauen immer mehr Verlage
ihr Geschäftsmodell um. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger
(BDZV) listet derzeit 77 Titel mit digitalem Bezahlmodus auf, rund 80 Prozent
mehr als noch vor einem Jahr. Dazu gehört auch das Osnabrücker Medienhaus
Neue OZ. „Qualitativ hochwertige journalistische Inhalte dürfen nicht kostenlos
sein“, begründet Geschäftsführer Christoph Niemöller das 2014 eingeführte digitale Abomodell. Auf dem Portal Noz.de
sind nun nur noch 20 Artikel pro Monat
gratis, danach gilt Bezahlpflicht.
Dieses sogenannte Metered Model
(siehe „Im Fokus“) präferiert auch Schwäbisch Media (Schwäbische Zeitung). Dort
sind zehn Beiträge auf der frisch aufgesetzten Website kostenlos, weitere
zehn gegen Registrierung, um sich dann
gegebenenfalls zu entscheiden für ein
Test-Abo (99 Cent/Monat), für „Digital
Live“ mit Komplettzugriff auf die Website (6,99 Euro) oder für „Digital Premium“ mit unbegrenzter Nutzung aller
Onlineplattformen inklusive E-Paper
(19,99 Euro). Printabonnenten erhalten
sämtliche digitalen Angebote für einen
Zuschlag von monatlich 4,90 Euro – der
liegt über dem durchschnittlichen „Upgrade“-Preis von 3 Euro für ein E-Paper,
den die Unternehmensberatung Schickler ermittelt hat (siehe Interview und
Fokus).
Ein Beispiel dafür, wie Verlage versuchen, ihre Inhalte in digitalen Produkten und Paketen zu bündeln und mit
Preisen zu versehen. Oftmals werden
18. Juni 2014
Im Fokus: Digitaltrends bei Zeitungen
Beim digitalen Bezahlen vertraut die Mehrheit
der Zeitungsverlage auf das Freemium-Modell,
in dem einzelne Inhalte(pakete) kostenpflichtig
sind. Den stufenweisen Übergang von definiertem Gratiskontingent (Metered Model) zu
totalem Paid Content praktiziert bislang nur
jede fünfte Zeitung. Laut Schickler dominieren
bislang klassische Inhalte, die gegenüber
E-Paper und Website wenig Mehrwert bieten.
Derweil steigt die verkaufte E-Paper-Auflage
der Tages- und Wochenzeitungen weiterhin
kräftig. Lag sie Mitte 2010 erst bei rund 95000,
so hat sie sich seither fast versechsfacht auf
564172. Der Anteil an der gesamten Verkaufsauflage bleibt mit unter 3 Prozent aber gering.
Wenig Zusatznutzen
Inhaltskategorien in Zeitungs-Apps
Journalistische Inhalte
Premium gegen Bares
Anteil in Prozent
81
Regionale Reiseführer
6
Gelbe Seiten/Einkaufsführer
Bezahlmodelle: Zeitungsverlage präferieren Freemium
Bezahlmodell
Freemium
Kostenpflichtige Premium-Inhalte (ca. 20 bis 40 Prozent)
neben Gratisinhalten
4
Ärzteverzeichnis
2
Metered:
Ca. 5 bis 20 Artikel pro Monat gratis,
danach komplett kostenpflichtig
Gastronomieführer
2
Harte Bezahlschranke
Alles kostenpflichtig, nur Vorschau
von Artikeln möglich
Freiwillige Bezahlung
Nutzer entscheidet, ob er zahlt auf Basis von Micropayments
Rezepte
1
Fotografie
1
73
18
7
2
Basis: Analyse von 45 deutschen Tageszeitungen
Basis: Empirische Analyse der Content-Apps und Bundle-Angebote von 41 deutschen Zeitungen
Quelle: Schickler-Studie „Paid Content II: Zeitungs-Apps und Bundles, Angebote und Preismodelle“
Anteil in Prozent
HORIZONT 25/2014
Quelle: Schickler-Studie „Realisierung von Paid Content in Zeitungsverlagen“
HORIZONT 25/2014
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28 REPORT ZEITUNGEN
Von Roland Karle
W
HORIZONT 25/2014
„Thema,
Tempo,
Zielgruppe“
ährend Lebensmittelhersteller von vielen Verbrauchern kritisch beäugt
werden, genießt die Rügenwalder Mühle laut TNS-InfratestUmfrage einen Vertrauensvorsprung im
Wettbewerb. Wesentlich dazu beigetragen hat die Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“. Godo Röben, Geschäftsleiter Marketing, erläutert das Mediakonzept des Mittelständlers.
Rügenwalder Mühle gilt als sehr nahe
am Konsumenten. Seit Mai haben Sie
Currywurst und Curryfrikadellen neu
im Sortiment. Haben Sie das vorher mit
Ihrem Kundenbeirat oder Ihren über
200000 Fans auf Facebook besprochen?
Wir sind zwar sehr aktiv in den sozialen
Netzwerken und froh über unseren Kundenbeirat, den wir im September 2012
gegründet haben, aber mit den Curryprodukten reagieren wir unternehmerisch auf sich ändernde Lebens- und Verzehrgewohnheiten. Seit einigen Jahren
spielen Frühstück und Abendbrot eine
immer geringere Rolle, entsprechend ist
der Wurstabsatz rückläufig. Also haben
wir unser Sortiment um Snacks erweitert.
2010 ging es los mit den Mühlenwürstchen im Becher, es folgten die Frikadellen
und jetzt die Mühlen Currywurst.
Einspruch. Wir haben mit der Zeitung
tatsächlich sehr gute Erfahrungen gemacht. Aber eben in bestimmten Situationen und für bestimmte Kommunikationsziele.
Sie sprechen von Ihrer Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“?
Richtig. Dahinter steht die Idee, dass wir
für unsere Kunden erkennbar und anfassbar sein wollen. Wurst ist ein Produkt, das
viel Kritik einstecken muss, ob es nun
Tierhaltung, Gesundheit oder Klima betrifft. Wir wollen deshalb unseren Kunden sagen, wo die Zutaten herkommen,
wer hinter den Produkten steht, wie
wichtig unsere Mitarbeiter sind. Es geht
darum, Vertrauen aufzubauen und zu
vertiefen.
Marketingchef
Godo Röben erklärt,
wie Printwerbung die
Rügenwalder Mühle
nach vorn gebracht
hat und warum die
Mediaausgaben so
stark gestiegen sind
Um das zu erreichen, ist die Zeitung das
richtige Medium?
Zeitungen genießen selbst eine hohe Glaubwürdigkeit, das ist schon
mal wichtig. Wir haben seinerzeit
unseren Werbeauftritt und auch
die Verpackung verändert. Darauf sind stets zwei Mitarbeiter
abgebildet, die über einen QRCode auch im Video zu erleben sind.
Die Marktforschung hat ergeben, dass
die Menschen wissen wollten, ob das
wirklich Rügenwalder-Mitarbeiter sind.
Für uns eine Frage von hoher Relevanz,
denn wir wollen echt und transparent
sein.
Welche Medien haben Sie für die Kampagne zur Markteinführung genutzt?
70 Prozent unseres Budgets investieren
wir in TV-Werbung, weil wir dadurch
rasch eine hohe Reichweite erzielen und
die Menschen emotional ansprechen
können. Online gewinnt weiter an Bedeutung, zum Beispiel sind wir wieder
auf Youtube präsent. Nachdem unsere
Viralspots mit Musiker Das Bo und
Christian Ulmen alias Alexander von
Eich sehr erfolgreich waren, haben wir
nun die Youtube-Stars Y-Titty verpflichtet und erzählen die Geschichte vom
Hashtag Man, der dank der Rügenwalder
Currywurst eine Grillparty rettet. Nach
den ersten drei Tagen hatten wir schon
rund 400000 Abrufe und dürften unser
Ziel von 1,5 Millionen Klicks erreichen.
Bleiben Zeitungen außen vor?
Für die Produkteinführung haben wir
Titelkopfanzeigen in „Bild“ geschaltet.
Mehr nicht.
Beim HORIZONT-Zeitungsgipfel in
der nächsten Woche halten Sie einen
Vortrag „Warum Rügenwalder auf
Zeitung steht“. Aber offensichtlich
tun Sie das gar nicht.
FMCG-Konzerne
sind als Werbekunden in der Zeitung
eher Ausnahme als
Regel. Hat Sie das
nicht zögern lassen?
Gar nicht, denn dadurch
sind wir auch ein bisschen aus dem Rahmen gefallen, haben mit unseren Anzeigen die Leser positiv irritiert und die Aufmerksamkeitsschwelle erhöht. Dank unserer Imagekampagne sind die Sympathiewerte von 60 auf 76 Prozent gestiegen.
Das ist enorm.
Ist das nicht ein deutliches Signal für
mehr Zeitungswerbung?
Um den Verkauf zu stimulieren, ist TV
für uns das bessere und effizientere Medium. 70 Prozent unseres Budgets von 20
Millionen Euro fließen in TV, dafür bekommen wir rund 2 Milliarden Kontakte
und der Abverkauf steigt spürbar. Wir
können in Werbespots einfach besser Geschichten erzählen und Menschen mitnehmen. Darauf legen wir Wert.
Kooperationen und Kombis, wie sie das
Medienhaus Deutschland oder NBRZ
umsetzen, positionieren sich als Qualitätsmedium mit hoher Reichweite –
und wollen so den Wettbewerb mit TV
aufnehmen. Kann das funktionieren?
Das kommt immer auf das jeweilige Thema, Produkt und Werbeziel an. Als Medium für unsere Kampagne „Familienunternehmen mit Gesicht“ hat die Kombi
der NBRZ hervorragend funktioniert.
Oder als wir Bewerber für unseren Kundenbeirat suchten, haben wir zum Beispiel Anzeigen in der „Zeit“ geschaltet.
Das hat gepasst. Die Tageszeitungen haben klar definierbare Stärken, und sie
müssen sicher lauter trommeln, damit sie
wieder stärker in den Fokus von Werbungtreibenden geraten. Dennoch: Der
langfristige Trend zeigt nach unten.
Sie haben lange Zeit das Mediabudget
fast zu 100 Prozent in TV investiert, nun
sind es 70 Prozent. Wie geht es weiter?
Das weiß ich nicht. Die TV-Nutzung hat
sich ja auch verändert, gerade bei jungen
Leuten, die parallel am Smartphone oder
Tablet sitzen – Stichwort „Second Screen“
– und sich der Werbung entziehen. Manche, vor allem witzige Spots auf Youtube
zum Beispiel, werden zum Volltreffer.
Und wissen Sie, wo Werbung noch bewusst und in Ruhe angeschaut wird? Im
Kino. Das ist einer der wenigen Plätze, wo
niemand in Eile ist und auf mobile Geräte
flüchtet.
Ist die Vielfalt an Medien und Werbeträgern für eine Marke wie Rügenwalder Mühle mehr Fluch oder mehr Segen?
Das Marketing ist dadurch anspruchsvoller geworden. Es ist noch gar nicht so
lange her, da war der Mediaplan mit
Fernsehen, Zeitungen und Magazinen
fast komplett abgedeckt. Als ich 1996 hier
begonnen habe, reichten 3 Millionen DMark aus, um mit einer Kampagne bundesweit Verkaufsimpulse zu setzen. Heute
brauchen wir umgerechnet das Vierfache.
Rügenwalder zeigt Gesicht und neue Marken
Godo Röben ist
Geschäftsleiter Marketing
& PR und Forschung &
Entwicklung bei
Rügenwalder Mühle in
Bad Zwischenahn und
seit 1995 im Unternehmen beschäftigt
FOTO: RÜGENWALDER, HARRY KÖSTER
Welche Rolle spielt Printwerbung?
Sie ergänzt den Mediaplan. Wir haben
Publikumszeitschriften ausgewählt, die
vor allem von Männern gelesen werden,
denn Currywurst ist ein Männerthema.
Dabei haben wir für jedes Magazin spezielle Anzeigenmotive entworfen, die
sich der Sprache der jeweiligen Themenwelt bedienen. In „11 Freunde“ zum Beispiel stellen wir „Unsere Neuzugänge“
vor, titeln „Für jede Halbzeit eine“ und
betonen „Das Wunder von Bernd“ – eine
Anspielung auf Bernd Becker, unseren
Leiter der Entwicklungsabteilung, der
auch abgebildet ist. In der Anzeige für
„Computer Bild“ heißt es unter anderem
„Update für deinen Hunger“ oder „Vollversion jetzt im Handel“, im „Playboy“
steht „Lust auf ’n Quickie?“ und
„Schmeckt geil! Macht geil!“
Was hat Sie bewogen, dafür Anzeigen in
der Zeitung zu schalten?
Drei Aspekte: Thema, Tempo, Zielgruppe. Die Botschaft zu vermitteln, dass Rügenwalder Mühle ein Familienunternehmen mit klaren Wertvorstellungen
ist, das ist erklärungsbedürftig
und braucht Aufmerksamkeit – das geht nirgendwo besser als in der
Zeitung. Und sie kann
zugleich schnell ein
großes Publikum erreichen: Über die Titel der NBRZ-Kombi
haben wir an vier Tagen jeweils 27 Millionen Leser erreicht.
Und zwar die Zielgruppe, die wir auch
schätzen: eher ältere,
kaufkräftige Personen, die sich bewusst ernähren.
18. Juni 2014
Der klassische Wurstmarkt ist
rückläufig, die Nachfrage nach
Snacks steigt. Rügenwalder
Mühle reagiert mit einer Produktoffensive und inzwischen
acht Marken. Der Umsatz kletterte 2013 um 1,1 Prozent auf
knapp 176 Millionen Euro.
Der Mediamix ist breit gefächert: In „Bild“ und Zeitschriften, Kino und Outdoor, auf Pizzaschachteln und auf eigener
Verpackung (mit QR-Code),
Anzeigenmotiv in Zeitungen
auf Facebook und Youtube. TV
absorbiert mit 70 Prozent des 20
Millionen Euro schweren Mediaetats jedoch den Löwenanteil.
Fortgeführt wird die Kampagne
„Familienunternehmen mit Gesicht“, bei der tatsächliche Mitarbeiter in Werbespots, Onlinevideos und Events auftreten.
Zuvor hatte Rügenwalder auf
Testimonials wie Oma Friederike
und TV-Moderator Jörg Pilawa
gesetzt.
ROL
HORIZONT 25/2014
Stärker
im
Doppel
Die Ausweisung gemeinsamer
Reichweiten für Print und
Online findet Beifall
Von Guido Schneider
S
prechen Medienexperten über die
Leserzahlen gedruckter Zeitungen, fallen meist Stichworte wie
Generationenabriss bei der Jugend, vergreisendes Stammpublikum
und erodierende Haushaltsabdeckung.
Die Verlage versuchen dagegenzuhalten.
Schon vor Jahren forderten sie einen anderen Blick auf ihre Zeitungen, denn die
zählen schließlich auch im Internet zu
den bedeutenden Informationsmarken.
Es ist deshalb sinnvoll, neben den Nutzungszahlen für Print auch die im Internet zu betrachten und eine crossmediale Reichweite zu bilden.
Und die lässt sich heute in Form von
Nettoreichweiten für Print und Online in
Jeder Vierte liest nur online
Zusammensetzung der Nettoreichweiten
Printleser
(24,6 Mio.)
Print- und
Onlineleser
(19,9 Mio.)
35%
Onlineleser
(13,2 Mio.)
42%
23%
Basis: deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (70,33 Mio.),
Regionale Abo-Zeitungen, überregionale Zeitungen, Bild, Die Zeit
Quelle: ZMG, Best for Planning
REPORT ZEITUNGEN 29
18. Juni 2014
HORIZONT 25/2014
der Studie Best for Planning (B4P) ausweisen. Diese Zahlen eignen sich in erster
Linie für die strategische Planung, sind
aber auch für spezielle Einzeltitel und Belegungseinheiten verfügbar. Sie zeichnen
ein Bild von der Print- wie der Onlinenutzung der Zeitungen und geben die
Überschneidungen beider Verbreitungswege wieder.
In Zahlen: Von den 57,6 Millionen
Deutschsprachigen, die Zeitung nutzen,
blättert der überwiegende Teil (42 Prozent) nur in der gedruckten Ausgabe, 23
Prozent lesen ausschließlich online, während über ein Drittel (19,9 Millionen) ihre Zeitung off- wie online konsumieren.
Mit dieser Hand-in-Hand-Reichweite
lassen sich sogar die Werte für die Jungen
aufhübschen. Unter den 14- bis 29-Jährigen erreichen die Zeitung und ihr Online-Ableger stolze 82,5 Prozent, während
die exklusiven Printleser nur 43,3 Prozent
in dieser Altersgruppe ausmachen.
Die Reichweitenstudie B4P hat die
Nutzung der gedruckten Zeitungen und
der Online-Angebote über die Befragung
von 30000 Personen ermittelt. Die Ergebnisse wurden an die Media-Analyse (MA)
Pressemedien beziehungsweise MA Online angepasst. Dank des Single-SourceAnsatzes war es möglich, die Print- und
Onlinenutzung für jede befragte Person
zu ermitteln und damit all diejenigen zu
extrahieren, die beide Kanäle nutzen.
Für Markus Ruppe, Geschäftsführer
der Zeitungs Marketing Gesellschaft
(ZMG), Frankfurt, stellen diese Reichweiten einen „methodisch sauberen Orientierungswert“ dar, was auch die Nachfrager zu schätzen wissen: „Die Gesprächspartner reagieren mit großem Interesse, da wir jetzt unsere Leistungen als
kanalübergreifendes Medium dokumen-
tieren können. Das kommt der Denkweise der Werbungtreibenden sehr nahe.“
Was Marco Dörper, Media Director der
Düsseldorfer Mediaagentur Zenith, bestätigt: „Ich begrüße es sehr, dass Zeitungen auch ihre Online-Reichweiten ausweisen. Wenn die Zielgruppe stimmz,
kann auch eine Online-Zeitung ins Gesamtkonzept passen.“ Vorausgesetzt, die
jeweilige Publikation erzielt im Netz genug Reichweite.
Für die Zeitungsvermarkter sind die
Crossmedia-Zahlen nützlich. „Die bislang vorliegenden Daten geben aggregiert
für die regionalen Abo-Zeitungen einen
guten Überblick, welche Zielgruppen via
Print, Online und über beide Vertriebskanäle erreicht werden können“, erklärt
Gerhard Müller, Gesamtanzeigenleiter
der Rhein Main Presse in Mainz und Vorstand Zeitungen der Arbeitsgemeinschaft
Media-Analyse (AG.MA).
A
uch Sven Holsten findet es gut,
dass die Gattung eine Nettoreichweite für Print und Online vorweisen kann, auch wenn die für den Chef
der Nielsen Ballungsraum Zeitungen
(NBRZ) bislang keine wichtige Rolle
spielt: „Wenn wir für unsere Kunden me-
Mehr Info? Einfach auf die Anzeige tippen.
dienübergreifende Lösungen erarbeiten,
ist diese Zahl nicht ausschlaggebend.“ Da
zählt nur das Konzept, und Online wird
am Ende auf TKP-Basis abgerechnet.
Unterdessen bekommt der Crossmedia-Reichweite-Ansatz der Zeitungen
Konkurrenz. Noch in diesem Jahr will die
AG.MA ihre neue Intermedia-Datei vorlegen, in der erstmals Online vertreten
sein wird. Die runderneuerte Studie hat
drei Instrumente integriert, den HubSurvey, das Händlermodell sowie die
Client-Rekrutierung, und wird die Nutzungsüberschneidungen der Mediengattungen und einzelner Angebote valide
dokumentieren können. AG.MA-Vorstand Müller hält die neue IntermediaDatei für unverzichtbar, will aber nicht
auf B4P verzichten, weil sie weitere Informationen über die Verknüpfung zwischen Medien- und Marktdaten liefert.
Auch Zenith-Manager Dörper möchte, dass B4P bleibt: „Jede Initiative, die
crossmediale Planungen valider macht,
ist begrüßenswert. Die erweiterte Intermedia-Datei hat für die medienübergreifende Planung zwar eine deutlich größere
Bedeutung, die Veröffentlichung kombinierter Zeitungsreichweiten macht sie jedoch nicht obsolet.“
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30 REPORT ZEITUNGEN
HORIZONT 25/2014
Das zweite Gesicht
Auch Regionalzeitungen tummeln sich zunehmend im sozialen
Netz und versuchen den Draht zu jüngeren Zielgruppen zu bekommen
Von Sara Weber
F
Pflichtaufgabe: Die meisten Zeitungen zeigen
inzwischen in sozialen
Netzwerken Flagge
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ür die überregionalen Zeitungen
ist es ein Muss: Ob „Bild“, „Welt“,
„Süddeutsche Zeitung“ oder
„Frankfurter Allgemeine“, sie alle
kommunizieren via Social Media mit Lesern, Fans und Followern. Doch mittlerweile haben auch die Regionalzeitungen
das Terrain für sich entdeckt. Bei Facebook
sind fast alle. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) etwa hat dort mehr als
34000 Fans. Auch bei Twitter sind die
meisten Verlage. Die „Rhein-Zeitung“ hat
hier über 38500 Follower.
Laut Achim Himmelreich, Partner bei
Mücke Sturm & Company, ist Social Media für Verlage essenziell: „Sie müssen
schlicht dort präsent sein, wo ihre Leser
sind“, sagt er. Wenn die Zeitungen ihre
Leser auf den Social-Media-Kanälen abholen, dann vergrößere sich ihre Reichweite, so Himmelreich. „Wer Crossmedialität und multiple Kundenbindung ernst
meint, der kann soziale Netzwerke nicht
ausblenden“, sagt auch Social-Media-Experte Andreas Moring. „Zeitungen haben
im Zweifel immer Neuigkeiten, die für eine Zielgruppe interessant ist – fachlich
oder regional.“
Die Zeitungs-Marketing-Gesellschaft
(ZMG) hat 79 Verlage nach ihren SocialMedia-Aktivitäten befragt. Danach sind
95 Prozent engagiert, der Schwerpunkt
liegt auf Facebook (99 Prozent) und Twitter (73 Prozent). Dies ist auch bei der
„Stuttgarter Zeitung“ der Fall, sagt Tobias
Köhler, Ressortleiter Online (siehe Interview): Auf Facebook und Twitter hat die
Zeitung nicht nur die größte Reichweite,
sondern auch „den meisten Spaß mit unseren Usern“.
Jannis Kucharz ist Social-Media-Experte und derzeit in der Geschäftsentwicklung der Verlagsgruppe Rhein Main tätig.
Für ihn hat das Engagement von Zeitungen in sozialen Medien unzählige Vorteile:
„Für viele sind Facebook und Twitter einfach der primäre Nachrichtenkanal geworden und genauso, wie ich viele Zeitungsausträger beschäftige, sollte ich auch
schauen, dass meine Artikel im sozialen
Netz ausgetragen werden.“
Dabei geht es auch um Video. Laut Kucharz ist eine gewisse Zielgruppe fast nur
noch über Youtube zu erreichen „und
wenn ich diese als Zeitungshaus nicht auf-
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geben will, sollte ich mich schleunigst um
Youtube kümmern“. So wie die Hessische/
Niedersächsische Allgemeine HNA, die
mehr als 5000 Youtube-Abonnenten hat.
„Die Redakteure filmen auf ihren Terminen, schneiden daraus Videos und vertonen sie auch selbst“, sagt Jens Nähler,
Ressortleiter HNA Online. Video sei für
Online-Medien wichtig, „allerdings gestaltet sich die Refinanzierung bei größerem Engagement schwierig“, so Nähler. Er
sieht deshalb vor allem in Live-Berichterstattung „noch viel Potenzial“.
Dass die sich nicht nur auf das Heute
beziehen muss, hat 2013 die „Berliner
Morgenpost“ gezeigt: Auf Twitter berichtete sie im Liveticker-Modus von John F.
Kennedys Besuch in Berlin, der genau 50
Jahre zuvor stattgefunden hatte. Die Dortmunder „Ruhr Nachrichten“ (RN) versuchen sich ebenfalls mit neuen Erzählfor-
„Die Social-MediaReichweite von Medien wird meist noch
nicht monetarisiert“
Thorsten Peters, Pilot
men: Die Zeitung hat neben den gängigen
Social-Media-Kanälen einen eigenen Storify-Account, auf dem etwa Meinungen
zum Dortmunder „Tatort“ gesammelt
werden. Auch hinter dem Facebook-Kanal
„BVB News“ steckt die „RN“: „Als Lokalund Regionalzeitung müssen wir die ‚Local Heroes‘ im Verbreitungsgebiet sein –
egal auf welchem Kanal“, sagt Philipp
Ostrop, Leiter Stadtredaktion Dortmund.
Durch Social Media habe die Zeitung „einen extrem kurzen Draht zu unseren Lesern und Kunden“, so Ostrop. „Wir sind
ansprechbar, und zwar auf Augenhöhe.
Wir bekommen Ideen und Tipps und Kritik, und das macht uns ständig besser.“
„Über kaum einen anderen Verbreitungsweg lassen sich Nutzer so schnell erreichen wie über Plattformen wie Facebook und Twitter“, sagt Thorsten Peters,
Geschäftsführer von Pilot. Zudem können
Nachrichten laut Peters auf Basis der Profildaten „recht exakt an bestimmte Zielgruppen ausgesteuert werden“. Nutzer
hätten „die Möglichkeit, nur die Nachrich-
18. Juni 2014
„Alles handgemacht“
Tobias Köhler, Ressortleiter Online
der „Stuttgarter Zeitung“, kümmert
sich dort auch um Social Media
Die Stuttgarter Zeitung hat
Accounts bei Facebook, Twitter,
Google+ und Youtube – oder habe ich was
vergessen?
ten zu abonnieren, die für sie relevant
sind. Das ist gerade bei regionalen Nachrichten von Bedeutung und schafft hohes
Involvement“, so Peters.
Auch die „Neue Osnabrücker Zeitung“
probiert viel aus im Social Web. Bei Facebook sei die stärkste Fangruppe jünger als
25 Jahre, „das heißt, wir erreichen über
diese Plattform Leser, die unser klassisches
Zeitungsprodukt nur selten lesen“, sagt
Christine Wehlage, Projektmanagerin Unternehmensentwicklung.
Bei der NOZ schult und berät eine Social-Media-Projektgruppe die Kollegen –
und behält Trends im Auge. Deshalb ist
die NOZ als eine von wenigen deutschen
Zeitungen auch bei Pinterest vertreten:
„Als erfolgreiches Medienunternehmen
stellen wir uns in den sozialen Medien
breit auf und haben auch Pinterest als Kanal für die Verbreitung unserer Inhalte
gewählt“, so Wehlage. Dort zeigt die Zeitung Pinnwände: „Unsere Lieblingsrezepte“, „Streetstyle made in Osnabrück“ sowie das „Bild des Tages“.
Noch schlägt sich Social Media kaum in
den Finanzen der Zeitungen nieder. „Auf
Facebook und Twitter haben viele Medienhäuser schon beträchtliche Reichweiten
aufgebaut, die jedoch bislang überwiegend nicht monetarisiert werden“, so Pilot-Geschäftsführer Peters. In Verbindung
mit Facebook-Media ließen sich diese
Reichweiten allerdings nutzen, um gesponserte Inhalte zu versenden.
Es gibt laut Peters bereits einige Kooperationspartner am Markt. „Solche
Beiträge müssen natürlich als Werbung
kenntlich gemacht werden“, betont er,
„sie bieten aber gerade für Medien monetäre Potenziale, denn sie sind aufmerksamkeitsstark und werden als relevant
wahrgenommen.“ Auch MS&C-Partner
Himmelreich glaubt, dass Social Media
finanzielle Vorteile bringen wird: „In Zukunft kann durch eine Auswertung der
Daten natürlich via Personalisierung
auch eine passgenauere Werbung ausgespielt werden, die mit höheren Erlösen
einhergehen kann.“
Doch dafür muss sich laut Experte
Moring noch einiges ändern – und zwar
strukturell: „Erfolgreiches Social Media
Marketing funktioniert nicht ohne Marketing. Bisher wurde die Verantwortung
dafür immer allein in den Redaktionen
abgeladen.“ Genau diese Einstellung führe nicht zu vorzeigbaren Resultaten.
Das passt so.
Warum ist es für Sie wichtig, dort
überall aktiv zu sein?
Unsere Leidenschaft gilt Facebook
und Twitter, Google+ machen wir,
weil’s dazugehört. Youtube nutzen wir als
Abspielplattform, weniger „social“.
Wieso liegt Ihr Schwerpunkt ausgerechnet auf Facebook und Twitter?
Ganz ehrlich? Weil wir dort die
größte Reichweite und den meisten
Spaß mit unseren Usern haben. :-)
Wer kümmert sich denn um die Accounts? Ein automatischer Feed? Ein
Social-Media-Redakteur? Alle?
Alles handgemacht. Social Media
ist ein Job fürs ganze Team. Im Tagesgeschäft macht es der Newsredakteur
vom Dienst, aber alle machen mit.
Wenn Sie so viel Energie in Social
Media stecken, muss das ja auch was
bringen. Welchen Nutzen hat die „Stuttgarter Zeitung“ davon?
Erstens und am wichtigsten: Wir
kommen unseren Usern näher –
und sie uns. Das ist toll. Zweitens: Traffic
auf unsere Web- und Mobile Sites.
Wie viel Traffic kommt prozentual
gesehen durch Social Media auf Ihre
Seiten – und welches soziale Netzwerk
bringt am meisten Traffic?
Facebook bringt den meisten Traffic, aber weit unter 10 % der Reichweite. Das liegt auch daran, dass wir FB
nicht als Linkschleuder sehen.
Gibt es ein soziales Netzwerk, das Sie
als Nächstes ausprobieren wollen –
Instagram oder Pinterest vielleicht?
Wir konzentrieren uns auf die bestehenden Kanäle, Social Media ist
eine Menge Arbeit. Aber wir halten die
Augen offen.
Das Interview fand komplett im 140-ZeichenRhythmus statt – auf Twitter.
HORIZONT 25/2014
REPORT ZEITUNGEN 31
18. Juni 2014
Nicht jeder mag Papier
Eine Exklusivumfrage
von HORIZONT zeigt:
Ohne Social Media
geht es bei jungen
Menschen nicht
Von Giuseppe Rondinella
TV ist wichtigste Informationsquelle
Was sind die wichtigsten Informationsquellen, um sich über das aktuelle Geschehen (z.B. Sport, Politik, regionale Ereignisse) zu informieren?
T
ägliche Nachrichten auf bedrucktem Papier – für die jungen Menschen haben sie als Informationslieferant über das aktuelle Geschehen kaum Relevanz. Nur für
3,4 Prozent der Befragten zwischen 18
und 29 Jahren ist die Tageszeitung „sehr
wichtig. Stattdessen beziehen die jungen
Befragten ihre Informationen aus TV
und Social Media. Diese Ergebnisse gehen
hervor aus einer im Auftrag von HORIZONT vom Link Institut für Markt- und
Sozialforschung durchgeführten Befragung von 500 repräsentativ ausgewählten
Frauen und Männern zwischen 18 und 69
Jahren.
Die Zahlen spiegeln – zumindest wenn
man die verschiedenen Altersklassen be-
Gesamt
TV
54,8
Radio
38,0
Tageszeitungen
36,4
Online- /Mobilangebot
von Tageszeitungen
Sonstige Online- /
Mobile-Newsangebote
Geschlecht
männlich
29,7
18,6
24,4
Social Media / Facebook,
Twitter etc.
12,0
Google / Suchmaschinen
7,4
Kostenlose Zeitungen /
Anzeigenblätter
3,4
Keine davon
0,4
2,3
4,7
0,4
0,4
(5) sehr wichtig
17,2
(4)
23,8
(3)
22,0
20,7
(2)
21,8
21,4
(1) überhaupt
nicht wichtig
15,2
16,2
18,4
23,7
18,0
30 – 49
3,4
23,9
23,5
12,0
50 – 69
31,8
22,2
24,6
36,4
22,2
15,3
29,1
23,5
22,2
17,1
17,6
9,5
12,2
Basis: 500 Online-Befragte zwischen 18 – 69 Jahren
Quelle: LINK Institut für Markt- und Sozialforschung
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2,5
0
19,2
12,8
7,7
3,4
5,1
8,1
3,8
0,9
3,4
0
HORIZONT 25/2014
15,0
20,3
11,0
13,5
Basis: 500 Online-Befragte zwischen 18 – 69 Jahren
Angaben in Prozent
Alter
18 – 29
weiblich
31,4
56,1
22,2
24,6
Quelle: LINK Institut für Markt- und Sozialforschung
Welche Rolle spielen Tageszeitungen für Sie, um sich über das tägliche Geschehen zu informieren?
Geschlecht
männlich
12,0
30,4
33,8
29,7
7,7
Junge nutzen kaum noch Zeitung
Gesamt
16,2
64,9
45,3
16,9
12,0
7,1
54,7
33,1
28,5
12,0
50 – 69
42,4
47,4
34,6
25,9
30 – 49
53,4
56,0
21,4
Angaben in Prozent
Alter
18 – 29
weiblich
HORIZONT 25/2014
trachtet – das wider, was die Medienforschung bereits weiß: Je älter die Befragten,
desto wichtiger die Tageszeitung als Informationslieferant über das aktuelle Geschehen: Knapp 32 Prozent der 50- bis
69-Jährigen sagen, diese Art der Information sei für sie „sehr wichtig“.
Werden die Befragten nach der relevantesten Informationsquelle gefragt,
rangiert das Fernsehen in allen Altersgruppen auf Platz 1. Auch bei TV gilt: Je
älter die Befragten, desto wichtiger das
Medium. Umgekehrtes Bild jedoch bei
Online – knapp ein Drittel der 18- bis
29-Jährigen nutzt am liebsten Onlineoder Mobilangebote von Tageszeitungen,
bei den Ältesten sind es hingegen nur
noch 13,5 Prozent. Auch Social Media
wird als Informationsquelle fast ausschließlich von Jüngeren genutzt. Kostenlose Zeitungen beziehungsweise Anzeigenblätter spielen hingegen weder bei
Jung noch bei Alt eine zentrale Rolle.
Einen hohen Einfluss hat das Haushalts-Nettoeinkommen: Je höher dieses
ist, desto irrelevanter wird TV. Umgekehrt bei Tageszeitungen: Ein Viertel der
Haushalte mit einem Einkommen bis unter 2000 Euro informieren sich aus Tageszeitungen – bei Haushalten mit über 5000
Euro Einkommen sind es mehr als 37
Prozent.
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34 REPORT ZEITUNGEN
HORIZONT 25/2014
18. Juni 2014
Vom klassischen Ressortdenken
hat sich die niederländische Zeitung „de Volkskrant“ verabschiedet. Nicht Themen aus den jeweiligen Bereichen, sondern „Ten
eerste“ – das Wichtigste – steht im
Mittelpunkt. Ausland darf im
überregionalen Blatt also direkt
neben Inland platziert sein, eine
Sportgeschichte neben dem Kulturbeitrag. Einzige Voraussetzung:
Die Themen müssen wichtig sein.
Mit dem Konzept hilft „de Volkskrant“ seinen Lesern nicht nur bei
der Einordnung, nimmt zugleich
eine Haltung ein und erfüllt damit
eine alte Aufgabe der Zeitung mit
neuem Leben.
Schöner
lesen
Zeitungstrends 2014: Der
European Newspaper Award
prämiert modernes Layout
und alternatives Storytelling
Die Regionalzeitung als tägliches Magazin: So zeigt sich
der niederländische „Leeuwarder Courant“ den Lesern.
Für sein zeitschriftenähnliches
Layout setzt das Blatt, das
täglich mit einer Auflage von
70000 Exemplaren im Tabloid-Format erscheint, auf
überraschende thematische
Kontraste sowie auf beeindruckende Bilder. Das „Foto
des Tages“ beispielsweise
erstreckt sich jeweils über eine
Doppelseite, die Geschichte
dazu erzählt die Redaktion.
Von Katrin Lang
Der Wettbewerb
Die Lokalzeitung „Hallingdólen“ erscheint dreimal wöchentlich in
Ål, zwischen den Städten Oslo und Bergen, die jeweils 300 Kilometer
entfernt sind. Vielleicht stehen einzelne Personen deshalb meist im
Zentrum der Berichterstattung, die viel Liebe zum Detail auszeichnet.
Mit dem Apfelkuchen illustrieren die Norweger etwa einen Artikel
über die Lebensmittel-Rationierung im Zweiten Weltkrieg und zeigen
mit Rezepten und Zutaten den langen Weg zum fertigen Gebäck.
Visualisierung ist das Mantra des deutschen WochenzeitungsKlassikers „Welt am Sonntag“. Eine üppige Bebilderung – unter
anderem mit Schwarz-Weiß-Fotos, die besonders dokumentarisch wirken sollen –, Infografiken in allen Ressorts sowie ein
flexibles Layout im nordischen Format prägen das moderne
Erscheinungsbild. So kann der Axel-Springer-Titel seine Leser
selbst mit trockenen Politikthemen noch überraschen.
FOTO: LEITNERR / FOTOLIA
Der European Newspaper
Award, der 1999 von Zeitungsdesigner Norbert Küpper
ins Leben gerufen wurde, gilt
als größter europäischer
Zeitungs-Wettbewerb.
Vergeben werden die Auszeichnungen jährlich beim
European Newspaper Congress. Neben den Preisträgern
in den Kategorien überregionale Zeitung, Regional-,
Lokal- und Wochenzeitung,
die HORIZONT auf dieser Seite
zeigt, erhielten 129 Blätter aus
22 Ländern die Awards of
Excellence.
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36 REPORT ZEITUNGEN
HORIZONT 25/2014
18. Juni 2014
Medium für Best-Ager
Wie sieht die Zukunft der Zeitung aus? HORIZONT hat vier Experten befragt
Harald Müsse, Inhaber
Müsse Media Consulting
1
Was werden aus
Ihrer Sicht die
USPs von gedruckten Zeitungen im
Jahr 2020 sein?
2
Wie stellen Sie
sich Ihre
persönliche
Zeitungsnutzung im
Jahr 2020 vor?
1
Die Frage muss differenziert beantwortet werden. Bei den überregionalen Zeitungen wird es hoffentlich
auch im Jahr 2020 so sein, dass die redaktionelle Qualität, Unabhängigkeit und
Meinungsstärke die herausragenden und
uniquen Produkteigenschaften sein
werden. Hohe Analysekraft und Einordnung von politischen, gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorgängen und Ereignissen wird
auch 2020 gefragt sein. Die Preise – Copy- und Abo-Preise – werden allerdings
steigen, wenn es den Verlagen nicht
gelingt, die Werbeerlöse zu stabilisieren
oder zu steigern.
Bei den regionalen Zeitungen, werden
meiner Meinung nach Bürgerthemen,
Lokalberichterstattung und ein zielgruppenbezogener Themenmix sowie
eine ausführliche regionale Serviceredaktion und Reportagen die Erfolgsfaktoren
sein. Schon heute sieht man, dass Zeitungen, die sich stärker diesen Themen
widmen, durchaus Erfolg haben.
2
Ausführliche Themen, mit Hintergrund und Einordnung möchte ich
auch 2020 noch in Print lesen. Das
gilt für überregionale wie für regionale
Zeitungen. Kurznachrichten von großer
Aktualität nutzt man ja heute schon auf
den verschiedenen Newsportalen. Das
wird sich in den nächsten fünf Jahren
noch verstärken. Ob Zeitungen dann die
relevanten Anbieter sein werden und
auch in jungen Zielgruppen reüssieren,
hängt sehr stark von der Kreativität der
großen Zeitungshäuser ab und auch von
der Fähigkeit, sich von den alten traditionellen Marken und deren Machern zu
lösen.
Philipp Froben, Geschäftsführer des
Unternehmensbereichs Köln bei DuMont Schauberg
1
Der USP, also die unverwechselbare
Stärke der Regional- und Lokalzeitungen, war, ist und bleibt die
verlässliche, kritische und glaubwürdige
Berichterstattung über relevante – lokale
– Geschehnisse für eine kaufkräftige und
gebildete Zielgruppe. Die Papier-Zeitung
ist auch künftig Teil einer starken medienneutralen Nachrichtenmarke, die
priorisiert und erklärt, welche Themen
im lokalen Lebensraum relevant sind
oder besser noch: relevant werden. Die
modern aufgestellte multimedial arbeitende Redaktion nutzt alle ihr zur
Verfügung stehenden Kanäle mit ihren
spezifischen Möglichkeiten, um für
unsere Kunden wichtige Themen einzuordnen und verständlich zu erklären.
Sie, unsere Leser, bewerten dabei die
journalistische Tiefe und Substanz, das
Hintergründige als Alleinstellungsmerkmal. Hier bietet sich mit dem Qualitätsjournalismus, den wir weiterhin ganz
klar in den Vordergrund stellen, die
Möglichkeit, dass sich die gedruckte
Zeitung mit ihren sorgfältig gesetzten
Themen deutlich von der kurzen und
schnellen Information in den digitalen
Kanälen abhebt.
2
Meine Mediennutzung ist seit
vielen Jahren nicht mehr allein
bezogen auf eine spezifische Gattung. Das wird sich bis zum Jahr 2020
nicht verändert haben. Die gedruckte
Zeitung bleibt dabei wertvoller Teil meines Informationskonsums. Sie erlaubt
mir, Themen – insbesondere im regionalen Umfeld – zu verstehen und
einzuordnen. Vor allem am Wochenende
– wenn ich mir die Zeit dafür nehme. Im
Laufe der Woche würde ich nicht mehr
täglich eine gedruckte Zeitung erwarten.
Hier können die digitalen Kanäle ihre
Stärke ausspielen – schnelle Information,
überall verfügbar.
Thomas Lindner, Vorsitzender der Geschäftsführung
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Andreas Törpel, Managing Director Media Team
OMD
1
1
Auch in Zeiten von Google, Youtube
und Flipboard wird es sich lohnen,
Qualitätsjournalismus zu betreiben,
der den Leserinnen und Lesern die Orientierungsqualität gibt, die sie auch
heute von „ihrer“ Zeitung erhalten und
erwarten. Bei der „FAZ“ ist es die journalistische Exzellenz, ihre Bedeutung als
überregionales Leitmedium, die unsere
Leser sonst nirgendwo erhalten. Ganz
anderer Art, aber nicht weniger wert ist
die Service- und Orientierungsqualität
einer guten Lokalzeitung.
Das Besondere in beiden Fällen ist: Die
journalistisch gut gemachte Zeitung
bietet das einzelne Thema, die Einzelinformation immer auch im Kontext
eines Überblicks, in der Einordnung
eines regionalen, überregionalen oder
inhaltlichen Gesamtzusammenhangs.
Das ist auch in Zukunft ein Mehrwert
und wesentlicher Teil der Bindekraft der
Zeitung als crossmedialer Marke, gedruckt und digital. Im Gegensatz zu
automatisierten Info- und Artikel-Generatoren, die den Kontext algorhythmusgesteuert simulieren.
Das gedruckte Zeitungsexemplar
der nahen Zukunft wird sich vor
allem durch Qualität und Substanz
für seinen Leserkreis auszeichnen. Diese
Positionierung entwickelt sich aus dem
Nutzungsverhalten der breiten Bevölkerung, das – durch die Dominanz der
Digitalisierung geprägt – auf Aktualität
und schnelle Konsumierbarkeit ausgerichtet ist. Gegenüber der zwar brandaktuellen und sekündlich aktualisierten,
aber daher meist eher oberflächlich
behandelten Informationen aus Digitalkanälen zeichnet sich die gedruckte
Zeitung durch Informationstiefe, Hintergründe, Kommentare und qualifizierte
(Print-)Anstöße zum Redaktion-LeserDialog aus. Die Tageszeitung in ihrer
gedruckten Form wird sich von einem
Massenmedium zu einem Medium für
besser gebildete und besser situierte „Best
Ager“ wandeln und somit die Renaissance des Begriffs „Informationselite“ vorantreiben.
2
In den nächsten Jahren werden die
Verlage ihre Inhalte über alle denkbaren Zugangskanäle (Desktop,
Tablet, Mobile, Papier) inszeniert und
aufeinander abgestimmt haben. Daher ist
für jeden Anspruch, Geschmack und
gewünschte Verwendungssituation das
richtige Angebot vorhanden. Das große
Fragezeichen steht hinter der Vision eines
individualisierten Zeitungsexemplars,
das sich technisch und wirtschaftlich
durchsetzt. Der Anteil der Leser, die
Printausgaben präferieren, wird zwar
zurückgehen, aber absolut betrachtet
immer noch eine große Relevanz haben.
Nicht nur meiner persönlichen, sondern
auch der allgemeinen Mediennutzung
entsprechend dürften die Verlage tendenziell dazu übergehen, ihre Papier-Ausgaben auf das Wochenende zu beschränken und sich unter der Woche auf die
digitale Verbreitung ihrer Inhalte zu
konzentrieren.
2
Nicht viel anders als heute auch: als
den besonderen Moment der Konzentration auf ein aktuelles Medium, das wie kein zweites Information,
Reflektion, Einordnung und Meinung in
einem bietet.
Pressekonzentration steigt auf neuen Höchstwert
HORIZONTREPORT
ist ein Sonderteil von HORIZONT,
Zeitung für Marketing, Werbung und Medien
Chefredaktion: Dr. Uwe Vorkötter (V.i.S.d.P.),
Volker Schütz, Jürgen Scharrer
Ressortleitung: Dr. Jochen Zimmer
Telefon 069/7595-2695
E-Mail: [email protected]
Redaktion: Bettina Sonnenschein,
Giuseppe Rondinella
Die Konzentration im Segment der Kaufzeitungen
nimmt seit Jahrzehnten zu, das bekräftigt die
jüngste Auswertung der Media Perspektiven vom
Mai diesen Jahres. Der Marktanteil der zehn größten Verlagsgruppen hat sich im Vergleich zu 2006
um 6,1 Prozentpunkte auf nun 59,3 Prozent erhöht. Zwar hat sich im Verlauf der Untersuchungsintervalle auch die Rangfolge unter den Zeitungshäusern verändert, der Verlag Axel Springer führt
das Feld aber weiterhin an – und das, obwohl der
Marktanteil im Gesamtmarkt bei den Berlinern
stetig schrumpft (von 22,5 Prozent im Jahr 2006
auf nun 15,5 Prozent). Unterdessen gewinnen andere Verlagshäuser an Boden. Zum Beispiel die
Verlagsgruppe Madsack: Der Marktanteil der Hannoveraner erhöhte sich innerhalb der letzten acht
Jahre um mehr als das Doppelte auf nun 5,2
Prozent. In der Rangliste der erfolgreichsten Häuser klettert das Verlagshaus Schritt für Schritt nach
oben. Nach dem neunten Platz im Jahr 2006 ist es
nun der vierte Platz.
GIUSEPPE RONDINELLA
Axel Springer weniger dominant
Konzentrationsgrad des Tageszeitungsmarktes
anteilige Auflage in Prozent
2014
Rang Prozent
Axel Springer, Berlin
1
Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung / Die Rheinpfalz / Südwest Presse
2
Funke Mediengruppe (ehem. Verlagsgruppe WAZ), Essen
3
Verlagsgruppe Madsack, Hannover
4
2012
Rang Prozent
7,7
5,2
9,2
2
5,7
3
5
5,2
6
5,5
4
Verlagsgruppe DuMont Schauberg, Köln
5
5,0
4
Verlagsgruppe Ippen, München
6
4,3
6
Verlagsgruppe Augsburger Allgemeine
7
3,3
8
2,8
–
Rheinisch-Bergische Verlagsgesellschaft / Rheinische Post
8
3,0
10
2,0
10
Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, Hamburg
9
3,0
7
3,1
10
2,8
9
2,5
Verlagsgruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung
Quelle: Media Perspektiven 5/2014
4,2
8,6
2
3
5
2008
Rang Prozent
19,6 1
18,8 1
15,5 1
9,5
2010
Rang Prozent
5,8
4,0
5,5
4,2
22,1 1
8,5
2
3
8
2006
Rang Prozent
6,0
2,5
22,5
3
5,2
2
5,6
9
4
4,2
5
5
4,0
–
2,5
3,9
–
4
2,0
–
–
8
3,0
9
2,4
10
2,2
7
3,1
7
3,0
7
3,0
4,1
HORIZONT 25/2014