Auf 48 Seiten

Transcrição

Auf 48 Seiten
AL
T!
196 Seiten DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE
2/2014
März/April/Mai 2014
Deutschland @ 12,90
Österreich
@ 14,20
Schweiz
sfr 25,80
Luxemburg @ 14,85
made
in japan
Teil 2:
Winnie Forster
über die Jahre
1984–1994
Katakis
Heinrich Lenhardt zeichnet
die Story des deutschen
Skandaltitels nach
Kein Feuilleton ohne GTA5Verehrung – doch GTA3 war
die weit größere Leistung
Rollenspiele
Experten-Wissen zur
Entstehung und Evolution
des beliebten Genres
Wieso der »Brotkasten«
Kult war und Kult bleibt
64
Auf 48 Seiten
Plattform-Check, Verschollene
Spiele Plus 22 Seiten in weiteren
Artikeln zu C64-Spielen
Das NES-RPG hat sich gut
gehalten! PLUS: Dt. Version
von Shadowrun Returns
3DO
ElectronicArts& 3DO-Gründer
Trip Hawkins
über seine größte
Niederlage
Spectrum 128 Tomy Pyu-ta
Sir Sinclairs Ankündigung –
und der reale Homecomputer
Machina Obscura: Im Westen
war Tomys Gerät als „Tutor“ bekannt
arcade | atari | commodore | MSX | NEO GEO | nintendo | schneider | sega | sinclair | SONY
W
Anatol
Locker
Heinrich
Lenhardt
Jörg
Langer
Mick
Schnelle
illkommen zum neuen Retro Gamer, und ein besonderes
Willkommen an die Chip-PowerPlay-Leser! Nachdem die
Kollegen der PowerPlay ihr Heft leider nicht weiter verlegen
werden, möchten wir gerne deren Lesern ein neues Print-Zuhause
geben. Wir wissen natürlich, dass wir ein etwas anderes Heft machen und
auch keine DVD bieten – dafür aber deutlich mehr redaktionelle Seiten pro
Ausgabe zum Schmökern und Schwelgen. Wir sind guter Dinge, dass wir
auch für PowerPlay-Fans eine spannende Lektüre darstellen – zumal zu den
Retro-Gamer-Autoren Spieleveteranen wie Heinrich Lenhardt, Winnie
Forster, Anatol Locker und Mick Schnelle gehören.
Der Commodore 64 war für sehr viele Deutsche der Einstieg in die Heimcomputer- und Spielewelt. Obwohl angesichts des augenkrebserzeugenden
Äußeren und des noch schlimmeren „Inneren“ (blinkender hellblauer Cursor
auf blauem Grund) keiner mit seinem Siegeszug gerechnet haben dürfte. Anfangs auf Modul und Kassette, später zunehmend auf Floppydisks erschienen
immer komplexere, teils persistente Spiele, mehr als 10.000 sind es bis heute.
Wir haben wirklich nichts gegen die Schneider-, Spectrum-oder Atari-8-Bitler,
aber in Sachen Spieleangebot, technische Fähigkeiten (sofern von geschickten
Codern ausgereizt) und Sound kam insgesamt kein Konkurrent am Brotkasten
vorbei. Dementsprechend widmen wir dem C64 in diesem Heft zwei Schwerpunkte und einige Einzelartikel. Doch keine Sorge: Andere Homecomputer,
Spielkonsolen und Automaten kommen nicht zu kurz.
Das ist gar kein C64, werden viele von euch angesichts des Fotos unten
denken. Richtig! Aber als eines Tages mein Lieblingsonkel vorbeikam und
mir anbot, seinen sündteuren „Büro-Computer“ C128 gegen meinen ollen
C64 einzutauschen, konnte ich nicht nein sagen. Zwar nutzten nur wenige
Spiele wie Ultima 5, Rocky Horror Show oder Alleykat das verdoppelte RAM,
aber es gab sie. Zudem sah der C128 cooler aus und hatte drei Betriebssysteme (unnötigerweise). Und die klobige 1541 wurde durch die bessere 1571
ersetzt. Auch in unserem Sammler-Check zum
Commodore 64 betrachten wir den
C128 als eine „Version“ des
C64 – worüber sich natürlich streiten ließe.
Ich wünsche euch
viel Spaß beim
Lesen!
Winnie
Forster
Jörg Langer
Projektleitung Retro Gamer
» Zugaben, die es heute,
wenn überhaupt, nur noch
bei teuren Special Editions
gibt: Die original Ultima-4Packungsbeilagen. Nur:
Wo ist der Mondstein …?
Inhalt 2/2014
März, April, Mai
Für Liebhaber von klassischen Spielen
Klassiker-Checks
Historie
Schwerpunkte
014Wasteland
008Katakis
016 Made in Japan, Teil 2
054 Impossible Mission
036 Commodore 64: Sammler-Check
Heinrich Lenhardt reist ins Ödland
030 Winter Games
110 Kyrandia 2: The Hand of Fate
150 Shadow of the Colossus
184Descent
090 Earthworm Jim
Epyx‘ Sportspiel-Klassiker lebt
Mick Schnelle lobt die Modeschau
Making Of
022Shadowrun
Cyberpunk plus Orks = NES-Hit
028 Shadowrun Returns dt.
Die exklusive Ladenversion des RPG
032 Chaos Engine
Wieso das Spiel so extrem schwer war
062StarQuake
Auf dem Spectrum eine Welt erforschen
106 Die Sims
Wie die Lebenssim zum Leben erwachte
146 Andrew Braybrooks Gribbly’s Day Out
Debüt des vielleicht größten C64-Stars
174Movie
Das „Game Noir“ aus Jugoslawien
186 GTA 3
Einflussreicher als der aktuelle 5. Teil
Firmen-Archive
052 Sucker Punch
Wir stellen die eigenwilligen Infamousund Sly-Raccoon-Macher vor
070 Access Software
Die Firma hinter Leaderboard, Tex Murphy, Raid of Moscow und vielen mehr
4 | RETRO GAMER 2/2014
Der sprechende C64-Klassiker
080 Evolution der Prügelspiele
Winnie Forster über stilvolle Action
Anatol Locker steht noch heute drauf
Heinrich Lenhardts hat neue Infos zum
R-Type-Klon, den es gleich zweimal gab
Wie Prügler die Arcades & Konsolen
stürmten
Der unwahrscheinlichste Held: ein
Regenwurm
140Rambo-Videospiele
Tumbe Ballereien? Ja, aber nicht alle
Winnie Forster berichtet vom Jahrzehnt
des Siegeszugs der japanischen Spiele
Wieso überhaupt sammeln? Die besten
Spiele, die wichtigsten Zusatzgeräte
046 Vergessene C64-Spiele
Manche dieser Titel wurden gepreviewt
und getestet – doch sie erschienen nie
098RPGs
Experten-Wissen: Von den Anfängen
des Genres bis zum Neustart
160 Forgotten Worlds
152 Ridge Racer
168Strider
Retro-Hardware
Wie die Rennspiele das Driften lernten
Keiner war schneller, flinker, tödlicher
Retro-Revival
Den Göttern zeigen, wo der Hammer
hängt: Ultimativer Guide
1123DO
Unsere große Retrospektive mit vielen
O-Tönen von Trip Hawkins persönlich
006 Spy vs Spy (Anatol Locker)
060 3D Monster Maze (Winnie Forster)
088Sagaia (Stuart Hunt)
132Amazon (Mick Schnelle)
166Defender (Heinrich Lenhardt)
124 Tomy Pyu-Ta
Aussenseiter
& Importe
076 Außenseiter: Famicom Disk System
Rubriken
068Import-only
003Editorial
192Retro-Feed
194 Vorschau & Impressum
Unbekannte Spiele-Perlen ins Licht!
Kaeru No Tame Ni Kane Wa Naru
158 Unkonvertierte Arcade-Hits
Vapor Trx, Sky Raider, Cloak&Dagger
178 Außenseiter: Atari 7800
Ninja Golf, Tank Command und andere
Machina Obscura – Winnie Forster stellt
eine weitere unbekannte Maschine vor
126 Fairchild Channel F
Die eigentlich wegweisende Konsole
wies einen schweren Geburtsfehler auf
134 Spectrum 128
Massenweise Speicher und auf Spiele
ausgelegt: Wieso Sinclairs Topgerät
dennoch scheiterte
RETRO-HARDWARE
ALTE KONSOLEN-SCHÄTZE IN NEUEM GLANZ
112
124
008
054
090
150
152
174
184
126
134
006
014
022
030
106
110
166
6 | RETRO GAMER 2/2014
Spy vs Spy
» retro-revival
Räume durchsuchen und Fallen legen
» Publisher: First Star Software
» Erschienen: 1984
» Hardware: Commodore 64 (gespielt),
auSSerdem Amiga, Apple II, Atari 8-bit, Atari
ST, BBC Micro, C16, Plus/4, NES, Schneider
CPC, Sega Master System, ZX Spectrum
Von Anatol Locker
Mit Humor war’s Anfang der 80er so eine Sache.
Stand-up-Comedy gab’s noch nicht, Kabarett
war hochpolitisch (also fade) und das deutsche
Fernsehen bis auf Klimbim und Loriot weitgehend
spaßbefreit.
Wer also mit seinen Freunden blödeln wollte,
brauchte etwas, woran er sich reiben konnte – da kam
die Zeitschrift MAD gerade recht! Alfred E. Neumann
und die abgeknickten Zehen der Don-Martin-Figuren
waren schon großartig. Doch dann gab’s noch Spion
gegen Spion, eine Cartoon-Serie, in der sich zwei befeindete Spione nach allen Regeln der Kunst Fallen stellten.
Wobei derjenige, der das Attentat kunstvoll vorbereitete,
regelmäßig seiner eigenen Finesse zum Opfer fiel.
Erfunden hat die Serie übrigens der Cartoonist Antonio
Prohias, wenige Wochen, nachdem er in den 60er
Jahren aus Kuba in die USA fliehen musste.
First Star Software sicherte sich die Umsetzung
des Comics für Heimcomputer. Die Boulder DashSchmiede erledigte den Job gründlich: Der Titel erschien
1984 für nahezu alles, was nicht bei drei auf dem Baum
war: Amiga, Apple II, Atari 8-Bit, Atari ST, BBC Micro,
Commodore 16 und Plus/4, Commodore 64, NES,
Schneider CPC, Sega Master System und den ZX
Spectrum. First Star Software brachte anschließend Spy
vs Spy II – The Island Caper und Spy vs Spy III – Arctic
Antics heraus – dann hörte die Firma (die übrigens heute
noch existiert) auf, Spiele zu produzieren.
Das Spielprinzip hieß „Räume durchsuchen,
Gegenstände finden, Fallen legen“. Trete ich gegen den
Computer an, spiele ich automatisch den weißen Spion
in der oberen Bildschirmhälfte. Computer oder Freund
steuern den schwarzen Spion unten. Beide Spione starten in einem zufällig ausgewählten Raum, sodann tickt
gnadenlos ein Zeitlimit herunter. Ziel ist es, einen Pass,
geheime Pläne, Geld und einen Schlüssel zu finden.
Man sucht in Tresoren, hinter Bildern und in Schränken.
Begegnen sich Weiß und Schwarz im selben Raum,
dürfen sie den gegnerischen Spion beharken. Oder
fliehen. Eine zweite Variante, seine Agentenkarriere zu
beenden, ist es, in eine gelegte Falle zu tappen: In der
Eimerfalle wird man elektrisch gegrillt, die Sprungfeder
lässt einen gegen Wände knallen – so verliert man wertvolle Sekunden. Wer als Engel gen Himmel fährt und
wiederbelebt wird, muss schnell in den Raum zurück, in
dem er gestorben ist, denn hier liegen alle eingesammelte Gegenstände, die der Gegenspieler bereits zynisch
grinsend vermint hat …
Wer Spy vs Spy heute anspielt (es gibt beispielsweise eine iPhone-App mit gruselig unpräziser
Steuerung), merkt schnell, dass das Spielprinzip doch
arg gealtert ist. Vor allem die Einstellung des Computergegners ist eine Wissenschaft für sich: Innerhalb der
fünf Schwierigkeitsstufen gibt es kaum
graduelle Unterschiede zwischen „Doof“
und „Extrem hinterhältig“. Besser ist es,
zum Emulator oder sogar zum OriginalRetrocomputer zu greifen und mit einem
Freund eine Runde zu spielen. Denn dann,
das verspreche ich euch, beginnt sich das
alte Spionage-Flair wieder zu entfalten.
RETRO GAMER 2/2014 | 7
Making Of
M
Von Heinrich Lenhardt
it der Veröffentlichung
der 16-Bit-Computer
Atari ST und Amiga
schienen die Tage des
C64 gezählt zu sein. Der in die Jahre
kommende Commodore-Dauer­
brenner war den neuen Maschinen
in Sachen Rechenkraft und Grafik­
leistung hoffnungslos unterlegen –
auf dem Papier zumindest. Doch
die 64er-Spezialisten unter den
Programmierern schlugen in den
80er Jahren mit ausgebufften
Kreationen zurück, welche die Leistungsgrenzlinien des ehrwürdigen
8-Bit-Marktführers immer wieder
neu definierten.
Im Frühjahr 1988 erschien ein
legendärer deutscher Beitrag zum
Brotkasten-Ausreizwahn: Katakis
von Rainbow Arts entpuppte sich
als stark dosiertes Konzentrat der
Gattung „horizontal scrollendes
Ballerspiel“, das 1981 mit Defender
und Scramble in Fahrt gekommen
war. Sechs Jahre später sorgte mit
R-Type ein weiterer japanischer Arcade-Automat für einen Höhepunkt
des Genres. Neben ausgeklügelten
Levels und Extrawaffen glänzte der
Irem-Titel mit dem Konzept eines
unzerstörbaren Begleitsatelliten, den
Der Name aus dem Telefonbuch, die Inspiration aus der Spielhalle und die „Strafe“
in Form einer offiziellen Automaten-Umsetzung: Zwei deutsche Entwicklerteams
arbeiteten 1987 voneinander unabhängig an R-Type-Klonen für C64 und Amiga.
Heinrich Lenhardt beleuchtet in Gesprächen mit Zeitzeugen die Entstehung eines
Kultspiels, das sich in die Herzen der Heimcomputer-Besitzer ballerte.
» Extrawaffen und Satelliten
kann der Katakis-Spieler
gut gebrauchen: Die C64Version ist knackig.
8 | RETRO GAMER 2/2014
» [C64] Die Reifeprüfung
für ambitionierte
Actionspieler: Im
Gewusel der Schüsse,
Feinde, Hindernisse
und Extrakapseln den
rechten Weg finden.
» Original und Nachahmung: Der Riesenraumschiff-Level in den Amiga-Versionen von R-Type (links) und Katakis (rechts),
beides Entwicklungen von Factor 5.
der Spieler ans eigene Schiff dockt
oder als Vorhut durch den Level
schwirren lässt, um die Feindesmengen zu lichten.
Genau mein
Automaten-Typ
Manfred Trenz war eines dieser
verrückten Genies, für die auf dem
C64 nichts unmöglich war. Rainbow Arts hatte ihn eigentlich als
Grafiker eingestellt, nachdem der
gebürtige Saarbrücker den dritten
Platz bei einem Bilder-Wettbewerb
der Zeitschrift 64’er gewonnen
hatte. Zusammen mit Armin Gessert
entwickelte Trenz dann einen SuperMario-Klon, der aufgrund zu großer
Ähnlichkeit vom Markt genommen
werden musste: Nintendo legte es
Rainbow Arts nahe, den Verkauf
von Great Giana Sisters zu stoppen,
bevor es zu unschönen Szenen vor
Gericht kommen würde.
Nach diesem Hüpfspiel-Drama gelüstete es Trenz nach einem
Weltraum-Shoot-em-up, das von seinen damaligen Lieblingsautomaten
inspiriert war: Darius, Defender –
und insbesondere R-Type. Das Resultat namens Katakis war eine furiose
50-Hertz-Ballerei, die mehr Sprites
und Objekte bewegt als alle anderen
C64-Spiele ihrer Zeit.
Wenn man jemandem ein
solches technische Husarenstück
zutrauen durfte, dann der „EinMann-Wundermaschine“ Trenz, wie
sich der langjährige Rainbow-ArtsEntwicklungsleiter Teut Weidemann
erinnert: „Er war Coder, Grafiker,
Musiker – alles in einem.“
Komplett unmöglich?
„Was Trenz auf C64 gezaubert hat,
hielten viele für komplett unmöglich:
So viele Schüsse und Sprites mit
Acht-Wege-Scrolling hatte damals
noch nie jemand gesehen – mehr
ging einfach nicht auf dem C64!“,
bewundert Teut Weidemann die
damalige Leistung. Bei seinen Mühen wurde Manfred Trenz von zwei
weiteren Rainbow-Arts-Angestellten
unterstützt: Musiker Chris Hülsbeck
sowie Grafiker und Leveldesigner
Andreas Escher. Und das, obwohl
Trenz am liebsten alleine vor sich hin
programmierte: „Durch seine enorme Kreativität war Manfred auch
ein bisschen schwierig, eher ein
Einsiedlertyp, der nicht so gut mit
anderen Leuten zusammenarbeiten
kann“, erinnert sich Weidemann.
Mit Andreas Escher kam
Manfred Trenz gut klar, die beiden
waren seit ihrer Jugendzeit befreundet und in unmittelbarer Nachbar­
schaft aufgewachsen: „Jeder kannte
Rainbow-Arts-Geschäftsführer Marc
Alexander Ullrich seinen Segen: Aus
dem Spaßspielchen wurde ein offizielles Produkt, an dem die beiden in
Vollzeit arbeiten durften.
Da der C64 eigentlich nur
acht Sprites in einer Reihe darstellen
konnte, verwendete Trenz SpriteMultiplexer, um eine höhere Anzahl
» Andreas Eschers
historische
Originalskizzen
einiger Bosse für
C64-Katakis
» Katakis war am Anfang ein
Hobby-Projekt gewesen,
das nebenbei gelaufen ist.«
» Andreas Escher
folgte 1987 Manfred
Trenz zu Rainbow
Arts, wo die
beiden zunächst am
Feierabend an ihrem
C64-Ballerspiel
bastelten.
Andreas Escher
die Macken des anderen. Wir hatten
intern keine Probleme und teilten
uns auch während der Anfangszeit
bei Rainbow Arts zusammen eine
Wohnung“, erinnert sich Escher. Es
war Trenz, der seinen Kumpel auf
die Idee brachte, seine Grafikkünste
an einem Computer auszuprobieren.
Anfang 1987 erwarb Andreas Escher
den gebrauchten C64 eines Freunds
und begann drauflos zu pixeln – eine
weise Entscheidung. Als Rainbow
Arts einige Monate später einen weiteren Grafiker suchte, meinte Manfred Trenz: „Komm’ doch mal eine
Woche mit hoch, dann kannst du
dich gleich bewerben.“ Als Escher
das Rainbow-Arts-Büro wieder verließ, hatte er seinen Arbeitsvertrag
in der Hand.
von Objekten zu erzielen. Er entwickelte auch eigene Tools für die
Erstellung von Grafiken und Levels,
wovon Andreas Escher profitierte:
„Manfred war in der Hinsicht Perfek­
tionist, und ich war ihm sehr dankbar für die Tools, die er geschrieben
hatte. Damit ging die Entwicklung
wirklich gut voran.“
fakten
Warum ist das so schwer?
Der Trenz-typische Eigensinn ist einer der Gründe für den verschärften
Schwierigkeitsgrad der C64-Version
von Katakis. Das Spieler-Raumschiff
ist relativ groß, beim Manövrieren
durch die zwölf Levels muss man oft
einer bestimmten Bahn folgen und
hat dabei wegen der wenig gnädigen
Kollisionsabfrage kaum Fehler-
» Publisher: Rainbow Arts
» Entwickler: M. Trenz, A. Escher,
Ch. Hülsbeck (C64), Factor 5 (Amiga)
» Jahr: 1988
» Genre: Action
» Preisprognose: ab 50 Euro
Kleine FeierabendSpielerei
Das C64-Weltraum-Ballerspiel, das
später durch einen Griff ins Telefonbuch den Namen Katakis erhalten
würde, begann als Hobby-Projekt
am Feierabend. „Das ist mehr nebenbei gelaufen und sollte unsere eigentliche Arbeit nicht beeinflussen“,
erinnert sich Andreas Escher an Anfänge und Inspiration: „R-Type und
Darius hatten wir wirklich massiv
gespielt. Da sagten wir uns: ‚So ein
Spiel mit riesigen Endgegnern gibt’s
nicht auf dem C64 – das wäre doch
mal eine Idee, sowas zusammenzubasteln.‘ Escher und Trenz verbrachten immer mehr Zeit mit der Bastelei,
ermutigt durch positives Feedback
von Kollegen. Schließlich erteilte
» [C64] Die vierte Welt von Katakis auf dem C64 ist allen Hardware-Bastlern gewidmet.
RETRO GAMER 2/2014 | 9
» Beim Amiga-Katakis scrollten noch Deluxe-Paint-Bilder
als Hintergrundgrafik vorbei, erst für die offizielle R-TypeAdaption entwickelte Factor 5 einen Levelmodul-Editor.
» [C64] Am Ende jeder Stufe wartet ein anderer Boss, die Strategie ist immer dieselbe: Bevorzugt mit aufgeladenem Schuss
feste draufhalten und auf den Satelliten-Schutz vertrauen.
Chronologie
„K“ wie „kurios“: Zwei getrennte Projekte wurden
unter dem Namen Katakis zusammengeführt und
mündeten dann in die offiziellen Umsetzungen des
Spielautomaten, der sie inspiriert hatte.
Katakis/Denaris
(C64 – 1988)
Technisch trickreich, spielerisch hektisch und herausfordernd:
Katakis brachte das Flair von Baller-Spielautomaten wie Darius oder R-Type auf den C64. Zwölf mit Sprites und CharacterObjekten prall gefüllte Levels flutschen bei makellosen 50
Bildern pro Sekunde über den Bildschirm. Koop-Kniff: Ein
zweiter Spieler kann den Begleit-Satelliten steuern.
Neutralizer (Katakis/Denaris Amiga)
(Amiga – 1988)
Während Manfred Trenz und Andreas Escher in Düsseldorf
an einem Arcade-Shooter arbeiteten, begannen Amiga-Fans
in Köln mit ihrer eigenen Spielhallen-inspirierten Ballerei.
Das Team nannte sich Factor 5, das Spiel hieß zunächst
Neutralizer – doch Rainbow Arts vermarktete es als die
Amiga-Version von Katakis, trotz deutlicher Unterschiede bei
Grafikstil und Leveldesign.
R-Type
(Amiga, C64 – 1988/89)
Um einen drohenden Rechtsstreit mit Lizenznehmer Acti­
vision abzuwenden übernahm Rainbow Arts offizielle C64und Amiga-Versionen des Automaten R-Type. Entwickelt wurden sie von den Katakis-Teams, die nun offiziell ihren Liebling
portieren durften. Im Gegenzug konnte Katakis unter dem
neuen Namen Denaris 1989 wiederveröffentlicht werden.
Enforcer
(C64 – 1992)
Einen inoffizielle Katakis-C64-Nachfolger entwickelte Manfred
Trenz im Alleingang für das Diskettenmagazin Golden Disk 64.
Auch bei Enforcer gibt es eine Fülle von Gegnern und Extras,
um die Bewaffnung des „Fullmetal-Megablast“-Kampfgleiters
aufzurüsten. Die sechs technisch exquisiten Levels waren so
etwas wie ein letzter Salut für die Spielmaschine C64.
Neutralizer II
(Amiga – 1993)
Ein Privatprojekt der Factor-5-Gründungsmitglieder Willi Bäcker und Lutz Osterkorn, das nie offiziell veröffentlicht wurde.
Der Name ist eine Anspielung an den ursprünglichen Namen
von Katakis Amiga, die Action erinnert aber eher an Defender:
Mit seinem Raumschiff saust der Spieler umher, um die Entführungsbemühungen außerirdischer Kidnapper zu vereiteln.
10 | RETRO GAMER 2/2014
spielraum. Entschärfungswünsche
konnten Manfred Trenz nur wenig
beeindrucken, denn der hatte keine
Probleme damit, Katakis mit einem
Schiff durchzuspielen: „Da er zu den
0,01 Prozent der menschlichen Spezies gehört, die so etwas schaffen,
hat er in dem Moment nicht so recht
akzeptiert, dass man’s einfacher machen sollte“, erklärt Teut Weidemann.
Die Strenge von Katakis C64
hat zudem technische Ursachen. Die
Hardware-Sprites des C64 verwendeten Trenz und Escher für Objekte
wie das Spielerraumschiff oder die
Extrawaffen-Kapseln. Um dann
noch eine große Anzahl von gegnerischen Schüssen auf den Bildschirm
zu kriegen, musste man auf den
Zeichensatz ausweichen, wie Teut
Weidemann erklärt: „Einen 8x8 Bildpunkte großen Character pixelgenau
mit einem Sprite-Raumschiff zu kollidieren, ist arg schwierig zu machen.
Deshalb wirkte es optisch manchmal
so, dass der Schuss eigentlich vorbei
fliegt, aber das Viereck der Kugel
trotzdem das Sprite berührt und
damit die Kollision auslöst.“
Es hätte freilich alles noch
härter kommen können, denn der
Schwierigkeitsgrad wurde vor der
Veröffentlichung dann doch noch
„mächtig entschärft“, grinst Andreas
Escher: „Ich habe irgendwo noch
die ursprüngliche Version rumfliegen, die war um einiges härter – ja,
herzlichen Glückwunsch! Die Kollisionsabfrage fiel noch strenger aus,
da sind schon einige Joysticks durch
die Gegend geflogen – auch bei mir.“
Doch ein gewisses Maß an Heraus­
forderung gehört für Escher in dem
Genre einfach dazu: „Das sorgt
vielleicht für Frust, aber dein Ego ist
auch stark, du willst es ja schaffen.
Heutzutage spielt man Shooter in
eins, zwei Tagen durch und dann
wird’s langweilig. Ohne Herausforderung hast du vom Spiel nichts.“
Kölner Amiga-Klüngel
Manfred Trenz und Andreas Escher
waren 1987/88 nicht die einzigen
deutschen Entwickler, denen der
R-Type-Spielautomat ausgesprochen
gut gefiel. Auch die einheimische
Amiga-Szene versuchte sich an horizontal scrollenden Ballerspielen mit
andockbaren Begleitern. Auf der Suche nach neuen Titeln, die Rainbow
Arts veröffentlichen könnte, tummelte sich Teut Weidemann auf Treffen
der Hacker- und Cracker-Szene, denn
„vor allem in Deutschland und Skandinavien waren das die Geburtsstätten der richtig guten Programmierer.“
Weidemann war besonders beeindruckt von der Eigenleistung eines
Kölner Kollektivs namens The Light
Circle: einem flüssig scrollenden RType-Verschnitt namens Neutralizer.
Die fünf Teammitglieder dachten
sich einen neuen Namen aus, unter
dem sie ihr erstes Spiel kommerziell
vermarkten wollten: Factor 5.
Die Entstehung von Factor 5
ist einer Zufallsbekanntschaft in
einem Kölner Kaufhaus zu verdanken. Für Schüler und Studenten
waren die C64- und Amiga-Systeme
in der Computerabteilungen beliebte
Treffpunkte – schließlich gab es
1987 weder Internet noch OnlineForen. Achim Moller, eines der
Gründungsmitglieder von Factor 5,
erinnert sich: „Freitagnachmittag traf
man sich bei Quelle, um zu gucken,
was die anderen so machen. Dort
durfte man noch eigene Disketten in
den Amiga stecken und vorführen,
was man in der Freizeit entwickelt
hat – fast schon wie eine kleine
Demo-Competition. Über das Hobby
Programmierung ist man so ins
Gespräch gekommen.“
Vom Kaufhaus zum Keller
An dieser Begegnungsstätte lernte
Achim Moller den gleichgesinnten
Amiga-Fan Willi Bäcker kennen,
der wiederum mit Lutz Osterkorn
befreundet war. Statt in der Computerabteilung des Kaufhauses
verabredete man sich nun im Keller
des Moller-Elternhauses in Köln-Rodenkirchen: „So ist dann quasi eine
Sonntagnachmittag-Kaffeerunde
entstanden, bei der man sich zum
Programmieren am Amiga traf“,
beschreibt es Moller.
Zunächst widmete sich die
Gruppe Demos und Intros, versuchte die Hardware auszureizen und
ihr immer mehr grafische Tricks zu
entlocken. Warum also nicht mal
ein ganzes Spiel probieren? Am
meisten begeisterten sich die Jungs
für die neuesten Automaten, die
in den Spielhallen standen, insbesondere den Weltraum-Shooter
R-Type. Achim Moller: „Wir sagten
uns: ,Lasst uns doch sowas einfach
MAKING Of: katakis
mal selber versuchen.‘ Also nicht nur
eine Demo mit coolen Farbeffekten,
sondern ein richtiges Spiel.“
Doch bald dämmerte es
dem Trio, dass für das ehrgeizige
Projekt Verstärkung nötig war.
Osterkorns Freund Holger Schmidt
half bei der Programmierung, dazu
gesellte sich Stefan Tsouparidis als
Grafiker und Level-Designer – die
Gründungsmannschaft von Factor 5
war komplett. Es war die Geburt
eines der profiliertesten deutschen
Spielestudios, das in den Folgejahren Klassiker wie Turrican auf
16-Bit-Systemen oder die Star-WarsSpiele der Rogue-Squadron-Reihe
entwickeln sollte.
Das Programmieren war
eine Freizeitbeschäftigung neben
Schule und später Studium. Die fünf
Nachwuchs-Spieleentwickler hatten
kein Büro, vielmehr arbeitete jeder
unter der Woche alleine vor sich hin.
„Meetings“ fanden am Wochenende
im Kellerzimmer von Achim Moller
statt, der sich an die Entwicklungsmethode erinnert: „Jeder brachte
seinen Code oder seine Grafiken mit,
die wir dann zusammenbauten und
testeten. Schließlich nahm jeder Disketten der neuesten Versionen mit
nach Hause und in der Woche drauf
traf man sich dann wieder.“
20.000 Mark und
eine Amiga-Festplatte
In mancher Hinsicht merkt man Neutralizer an, dass es ein Debütspiel
von Neulingen ist. Die Levels sind
nicht aus einzelnen Modulen zusammengestellt, sondern bestehen aus
riesigen Deluxe-Paint-Bildern – das
sah gut aus, aber „da war natürlich
ganz schnell der Speicher voll“,
ENTWICKLERHIGHLIGHTS
Great Giana Sisters
System: Amiga, Atari ST, C64
JAHR: 1987
Katakis
System: Amiga, C64
JAHR: 1988
Denaris
System: Amiga, C64
JAHR: 1989
» Damit R-Type noch zum Weihnachtsgeschäft erscheinen konnte, erledigten Manfred Trenz
und Andreas Escher die C64-Umsetzung in straffen sechs Wochen.
» Das war ein großes Hurra, als
wir R-Type offiziell umsetzen
durften.« ACHIM MOLLER
verrät Achim Moller. Für Entlastung
sorgte der schlanke, komplett im
SEKA-Assembler geschriebene
Programmcode für die Motorola68000-CPU des Amiga. In einer
Periode, in der viele kommerzielle
Amiga-Spiele in der Hochsprache C
entwickelt wurden, hatte Neutralizer
dadurch einen technischen Vorsprung: „Man konnte die Hardware
und die Register direkt ansteuern,
um das Maximale rauszuholen.“
In der Demo-Szene kam
das entstehende Projekt gut an.
Als die Jungprogrammierer eine
„Amiga-Spiele gesucht“-Anzeige von
Kingsoft in der Fachpresse sahen,
bemühten sie sich um einen Termin
bei dem deutschen Publisher und
Distributor Kingsoft, der 1987 mit
Volker Wertichs Emerald Mine einen
großen Hit hatte. Achim Moller erinnert sich: „Willi und ich sind damals
nach Röttgen bei Bonn gefahren,
da war in einem Wohnhaus die
Kingsoft-Zentrale. Als wir da unser
Spiel vorstellten, hieß es: ‚Kommt
mal wieder wenn’s ein bisschen
kompletter ist‘.“
Dazwischengekommen
ist dann die Begegnung mit Teut
Weidemann. Der war von Neutralizer
so beeindruckt, dass er flugs eine
Vorführung im Rainbow-Arts-Büro
arrangierte. Geschäftsführer Marc
Ullrich zögerte nicht lange und
machte Factor 5 ein unwiderstehliches Angebot: 20.000 Mark plus
eine 20-MByte-Festplatte für den
Amiga als Bonus (im Gegenwert von
ungefähr 1.000 Mark), obendrauf
Tantiemen abhängig von den Absatzzahlen. Factor 5 hatte ihr erstes Spiel
verkauft – und das reine C64-Projekt
Katakis erhielt plötzlich eine zusätzliche 16-Bit-Dimension.
Trenz ist verärgert
„Warum zwei verschiedene Ballerspiele veröffentlichen, wenn wir
eines auf zwei Formaten rausbrin-
gen können – lasst uns doch beide
Katakis nennen!“, kombinierte Marc
Ullrich. Es war ein reiner Marketing-Kniff, denn das einzige, was
Neutralizer mit dem C64-Katakis
von Trenz und Escher gemeinsam
hatte, war die Inspirationsquelle RType. „Die Amiga-Version sah auch
ganz anders aus, hatte ein anderes
Leveldesign. Die beiden Spiele sind
komplett unterschiedlich, haben nur
den gleichen Namen – und waren
beide unabhängig voneinander
sehr erfolgreich“, rekapituliert Teut
Weidemann.
Andreas Escher erinnert
sich, dass er und Manfred Trenz
über diese Entscheidung „milde
gesagt verärgert“ waren: „Manfred
war angepisst, denn wir hätten eine
Amiga-Umsetzung schon gerne
selbst gemacht. Im Prinzip ist nur
aus Zeitmangel das genommen
worden, was Factor 5 entwickelt
hatte – aber das war eigentlich nie
das richtige Katakis gewesen. Ich
hätte die Umsetzung grafisch schon
anders gemacht.“ Entsprechend
angespannt war zunächst das Verhältnis zwischen den Entwicklern der
C64- und Amiga-Versionen. Doch
in den nächsten Jahren arbeiteten
sie bei den ersten beiden TurricanSpielen wieder zusammen.
» Achim Moller damals
(in einem Schnappschuss mit Willi Bäcker
aus der Factor-5-Anfangszeit) und heute.
aktivierte man Anwälte als probate
Extrawaffe: „Activision hatte uns per
einstweiliger Verfügung verboten,
das Spiel weiter zu vertreiben. Das
macht man halt so, bis die Lage gerichtlich geklärt ist“, beschreibt Teut
Weidemann die Situation, „Aber in
so einem Markt, wo auch Raubkopien eine Rolle spielen, sind sechs
Monate Stillstand, bis der Prozess
durch ist, für so ein Projekt tödlich.“
Um dieser Bredouille zu entkommen, heckte Marc Ullrich zusammen mit Jürgen Goeldner und Hans
Rabe, den Gründern der RainbowArts-Mutterfirma Softgold, einen
kessen Plan aus: Rainbow Arts übernahm für Activision die offiziellen
R-Type-Umsetzungen auf Amiga und
C64. Dafür durfte Katakis dann wieder auf den Markt gebracht werden,
wenn auch leicht geändert und unter
dem neuen Namen Denaris. Ganz
nebenbei erfüllte man damit den
deutschen Programmierern einen
Herzenswunsch: „Sowohl Manfred
Trenz als auch Factor 5 waren große
R-Type-Fans. Und jetzt bekamen sie
Activision schäumt:
Zu ähnlich und zu gut
Neben der deutschen Presse
begeisterten sich auch englische
Spielezeitschriften für das KatakisPärchen von Rainbow Arts – und
prompt wurden gewisse Vergleiche
gezogen. Als „besser als R-Type“
wurde Katakis beschrieben, was die
Europa-Zentrale von Activision gar
nicht gerne las. Denn der Publisher
hatte die offizielle Lizenz für R-TypeHeimumsetzungen erworben, kam
aber mit diesen Versionen nicht
gut voran. Angesichts des nicht
autorisierten Konkurrenten Katakis
» Die Quasi-Fortsetzung
von Katakis auf dem C64
nannte sich Enforcer und
wurde 1992 in der JuniAusgabe von Golden Disk
64 veröffentlicht. Manfred
Trenz entwickelte das
Spiel im Alleingang unter
dem selbstbewussten
Pseudonym „The Master“.
Mad TV
(abgebildet)
System: Amiga, MS-DOS
JAHR: 1991
RETRO GAMER 2/2014 | 11
die Gelegenheit, den Originalautomaten offiziell zu konvertieren. Da waren
alle natürlich Feuer und Flamme“,
erinnert sich Teut Weidemann. Achim
Moller bestätigt, wie stolz Factor 5
war, die Amiga-Umsetzung programmieren zu dürfen: „Das war ein
großes Hurra. Es war toll, dass man
auf uns aufmerksam geworden ist. Es
sollte ja immer ein R-Type-Spiel sein,
und jetzt konnten wir das endlich
offiziell machen.“
Japanische Unterlagen auf
Thermopapier
Kritisch war die Terminlage, denn
Activision wollte R-Type unbedingt
im Weihnachtsgeschäft 1988 veröffentlichen. Manfred Trenz schaffte
die C64-Version in rekordverdächtigen sechs Wochen, während
Factor 5 für die Amiga-Umsetzung
wegen der Arbeit am Level-Editor
rund 3½ Monate benötigte. Nicht
nur wegen der Zeitknappheit war die
Entwicklung der offiziellen R-TypeUmsetzungen eine abenteuerliche
Angelegenheit. Es gab seinerzeit
keinen Internet-Luxus wie digitale
Videos oder Online-Ressourcen. Die
150-seitige Dokumentation von Spielautomaten-Hersteller Irem wurde ins
Düsseldorfer Büro auf Thermopapier
gefaxt, was der Leserlichkeit nicht
dienlich war. Erschwerend kam dazu,
dass die Unterlagen größtenteils in
Japanisch verfasst waren.
In der Not investierte Rainbow Arts 2.000 Mark in den Kauf
einer R-Type-Automatenplatine.
Factor 5 fotografierte die einzelnen
Spielszenen ab und pixelte anhand
» Ein gutes Auge bewies
Factor 5 bei der offiziellen Konvertierung
von R-Type auf den
Amiga, die unter reichlich Nachspielen und
Abfotografieren des
Automaten entstand.
QA
&
Teut Weidemann war Entwicklungsleiter bei Rainbow Arts und arbeitet
heute als Online-Spiele-Spezialist für
Firmen wie Ubisoft.
■ Wer ist der wahre Vater von Katakis –
Manfred Trenz?
Man kann nicht sagen, dass Manfred Trenz alleine Katakis erfunden hat. Den Namen schon,
aber zwei verschiedene Teams arbeiteten
­parallel an Spielen auf C64 und Amiga, die unter einem gemeinsamen Namen rausgebracht
wurden. Trenz war dabei für die C64-Version
und für deren Genialität verantwortlich.
■ Gab’s bei Rainbow Arts keine Testabteilung – oder warum war das C64-Katakis
so schwer?
Wir hatten eine interne Abteilung für QA.
In guten Zeiten saßen da fünf, sechs Leute,
die nicht nur im Hinblick auf Bugs getestet
hatten, sondern auch Feedback zum
Spielablauf gaben. Das Problem war nur,
dass Manfred Trenz jede Art von Feedback
und sämtliche Obrigkeiten ignoriert hat.
■ Wie wurde man damals Tester?
Wir hatten die Jungs anhand der High­
score-Listen in einer Spielhalle rekrutiert.
Wenn jemand in die Top 10 kam, gingen wir
zu ihm hin und fragten „Hey, magst du für
uns Spiele testen?“
■ Wie groß waren Ende der 80er Jahre die
Entwicklungsteams bei Rainbow Arts?
Das waren damals Mini-Teams mit drei,
vier Leuten maximal. Das teuerste Projekt, das ich damals machte, hatte sechs
Leute. Da hatte Rainbow Arts schon geächzt, weil das Spiel 500.000 Mark in der
Entwicklung gekostet hat. Dabei handelt
es sich um M.U.D.S., das sich dann sehr
gut verkaufte und heute noch eine loyale
12 | RETRO GAMER 2/2014
Fanbasis hat, die ich bei der Gelegenheit
nett grüßen möchte!
■ R-Type war eure einzige offizielle
Automatenumsetzung. Wie arbeiteten die
üblichen Konvertierungsstudios?
Die großen Publisher haben einfach einen
Batzen Automaten eingekauft, die dann
durch Konvertierungshäuser gerauscht
wurden, die mehr Masse als Klasse rausbrachten. Damals war der Mindestumsatz
mit Software im Einzelhandel noch so
hoch, dass du auch mit Schrott gut
Geld gemacht hast. Ich hatte mal Probe
Software besucht: Im Erdgeschoss war
das große Büro des Chefs, alle anderen
Sklaven saßen oben. Da hast du einen
Automaten reingeschoben und dann ein
paar Monate später die Umsetzung in den
Formaten C64, Amiga, ST, Amstrad CPC,
Spectrum und PC auf dem Tisch gehabt.
■ Shoot-em-ups haben immer noch eine
Fan-Basis. Würde ein Remake oder eine
Fortsetzung zu Katakis/Denaris heutzutage
Sinn ergeben?
Die Shooter sind nicht ausgestorben, aber
sie hatten eben ihren Design-Höhepunkt
mit R-Type erreicht. Danach kam eigentlich
nur noch immer mehr auf den Bildschirm,
aber die Spiele wurden dadurch nicht immer
besser. Bei einem Remake müsste man auf
Systeme wie Vita oder 3DS gehen, denn
ob jemand mit Touchscreen-Steuerung
auf iPhone glücklich wird? Und sieh dir
mal Neuheiten wie Resogun auf der PS4
an – das ist so geil, da kommt Katakis nicht
dagegen an.
dieser Bilder dann die Grafiken nach.
Achim Moller hat die abenteuerliche
Konvertierungs-Arbeitsweise noch
gut in Erinnerung: „Die Portierungen
entstanden dadurch, dass wir den
Automat Grafik für Grafik abgeknipst
hatten. Logik und Spielverhalten
sind einfach durch Angucken nachprogrammiert worden: ‚Was tun die
Gegner? – Okay, das machen wir
dann genauso nach!‘“
Der Aufwand zahlte sich
aus: Activision war beeindruckt von
der „German Engineering“-Leistung
und landete mit den HeimcomputerVersionen von R-Type einen großen
Erfolg. Eine längerfristige Zusammenarbeit wurde daraus aber nicht.
Rainbow Arts hatte die Umsetzungen umsonst gemacht, um einen
Katakis-Rechtsstreit abzuwenden.
Sonderlich lukrativ waren regulär
bezahlte Auftragsarbeiten dieser
Art nicht, denn in den Erwerb der
Arcade-Lizenzen wurde so viel Geld
gesteckt, dass nur noch mickrige
Budgets für deren Umsetzungen
übrig blieb. „Die Preise, die gezahlt
wurden, waren völlig lächerlich.
Da ging’s halt nicht um Qualität,
sondern rein um Quantität“, erinnert
sich Teut Weidemann.
Extraleben mit Denaris
Rainbow Arts hatte nun grünes
Licht, Katakis unter neuem Namen
wiederzuveröffentlichen. Bei der Gelegenheit wurden beide Versionen
im Detail optimiert und verbessert.
Denaris auf dem Amiga bekam sogar
einen zusätzlichen siebten Level
spendiert und passte nun auf eine
einzige Diskette.
Denaris mag die bessere
Version des Spiels gewesen sein,
erreichte aber nie den Bekanntheitsgrad von Katakis, denn unter dem
nunmehr verbotenen Originalnamen
war das Spiel in der Presse bejubelt
worden. Deshalb gab es auch keinen
offiziellen Nachfolger, aber eine
Reihe verschiedener Folgeprojekte,
welche spielerisch an das BallerVermächtnis anknüpften.
Während Manfred Trenz
und Factor 5 sich in den nächsten
Jahren mit Turrican beschäftigten,
entwickelte Teut Weidemann mit
Programmierer Heiko Schröder
das Weltraum-Ballerspiel X-Out. Es
entstand unter Verwendung von
Originalgrafiken, die Künstler Celal
Kandemiroglu für einen nie veröffentlichten Rainbow-Arts-Spielautomaten angefertigt hatte. Andreas
Escher adaptierte die Grafik für
eine C64-Version, die Jörg Prenzing
programmierte.
Manfred Trenz veröffentlichte
unter dem Pseudonym „The Master“
einen Quasi-Nachfolger zu seiner
Katakis-Version: Enforcer wurde 1992
vom Diskettenmagazin Golden Disk
veröffentlicht, es war sein Abschied
von der C64-Szene. 2011 brachte
Elite Systems eine iOS-Adaption im
Rahmen der Elite Collection HD he­
raus, auch Denaris C64 wird als App
angeboten. Trenz taufte sein Entwicklungsstudio Denaris Entertainment Software. Ein offizielles Katakis
2 wurde 2004 erstmals angekündigt,
doch blieb bislang unveröffentlicht.
Die rechtliche Lage bezüglich der
alten Markennamen ist unklar, da die
inzwischen insolvente THQ GmbH
1999 alle Rechte von Rainbow Arts
und Softgold übernommen hatte.
Egal welche scrollenden
Weltraumlevels mit Extrawaffen uns
die Zukunft noch bescheren wird:
Die deutschen Nachwuchsprogrammierer, die für die Qualität ihrer Actionspiele dadurch bestraft wurden,
dass sie den Kult-Automaten R-Type
offiziell konvertieren durften, haben
ein turbulentes Kapitel Spielegeschichte geschrieben.
Warten auf katakis II
„Katakis lives!“ behauptete schon eine Botschaft in Turrican II. Seit
einem Jahrzehnt geistern wieder Gerüchte über eine von Manfred
Trenz entwickelte Katakis-Fortsetzung durch die Branche. 2004
erstmals für C64, PC und Game Boy Advance angekündigt, wurde
das Projekt Ende 2005 auf Eis gelegt. 2011 gab es neue Lebenszeichen im Weltraum: Neben zwei Screenshots wurde auch ein Video
von Katakis 2 für PC veröffentlicht, das „über zehn Levels“ und „vier
Waffensysteme“ ankündigte. Seitdem gab es außer Soundtrack-Kostproben von Musiker Markus Siebold keine weiteren Updates. Auf eine Retro-Gamer-Anfrage zum Stand der Dinge meinte Manfred Trenz Ende Dezember 2013: „Das Spiel liegt auf unbestimmte Zeit im Eisschrank“.
K L A SSIK E R- CH ECK
» speedball 2: brutal deluxe
K
eine Schwerter, keine Zaubersprüche“, versprach die
Packungsrückseite. Nach drei
The-Bard‘s-Tale-Rollenspielen
verspürten die Entwickler von Interplay eine gewisse Fantasy-Müdigkeit.
Zum Kult-Klassiker wurde ihr Wasteland nicht nur wegen seiner humorvollgrimmigen Endzeit-Spielwelt:
Komplexes Skill-System,
Adventure-Ansätze und eine dauerhaft
veränderbare Welt sorgten für Motivation. Gespielt wurde mit Kopien
der Originaldisketten, auf die ständig
Daten geschrieben wurden. Geknackte
Schlösser, gekillte NPCs, gesprengte
Gebäude – viele Entscheidungen des
Spielers haben eine Nachhaltigkeit, wie
man sie in der Floppy-Disk-Ära nicht
gewohnt war.
14 | RETRO GAMER 2/2014
Unsere Gruppe besteht anfangs
aus vier Desert Rangers, Ordnungshüter
in den radioaktiv verstrahlten Wüstenregionen von Nevada und Arizona. Die Folgeschäden eines Atomkriegs zwischen
USA und UdSSR sind beträchtlich; es ist
eine Welt der Anarchisten und Gewalttäter, in der fanatische Sekten ebenso
gedeihen wie mutierte Wildtiere.
Die schlichte Kartenansicht löste
schon 1988 nicht gerade Jubelstürme
aus; die weitgehend aus Biep-Geräusche beschränkte Soundkulisse darf gar
als akustische Beleidigung empfunden
werden. Kein Problem für Wasteland,
einfallsreiche und bei aller Endzeithärte
erstaunlich humorvolle Texte – im Original per „Schlage bei Nr. X nach“ einem
Begleitbüchlein zu entnehmen, samt
Roter-Hering-Täuschbotschaften für
„Spicker“) sorgen für eine ganz eigene
Atmosphäre.
Doch die postapokalytische Welt
macht es Einsteigern nicht leicht. Die
Menge an Skills und die Offenheit der
Spielwelt können ebenso zu Verwirrung
führen wie umständliche Bedienung und
der Hang der Designer dazu, wichtige
Informationen oft gut zu verstecken.
Wer die Anfangshürden übersteht, lernt
die ebenso harsche wie humorvolle
Welt allmählich zu schätzen.
Der Einfluss von Wasteland
ist bei inoffiziellen Nachfolgern wie der
Fallout-Serie unübersehbar. Auf eine
offizielle Fortsetzung warten die Fans
seit einem Vierteljahrhundert, doch 2014
soll es endlich so weit sein: Wasteland 2
entsteht unter der Regie von InterplayGründer Brian Fargo, der die Marken-
rechte vom alten Publisher Electronic
Arts erwarb. Angenehme Nebenwirkung
dieses Abkommens ist eine Portierung
der DOS-Version des original Wasteland
für zeitgenössische Linux-, Mac- und
Windows-Systeme. Bei dieser DownVon Heinrich des
Lenhardt
load-Version
Klassikers muss auch
nicht mehr in Handbüchern nachgeschlagen werden, die Story-Kapitel sind nun
als Textfenster integriert und werden
sogar von einem Sprecher vorgelesen.
Ansonsten ist das Spielerlebnis authentisch, inklusive der original EGA-Grafik.
Von Heinrich Lenhardt
Wieso ein Klassiker?
Story zum Nachschlagen
» speedball 2: bru
tal deluxe
Freiheit mit Konsequenzen
Reichlich Lesestoff
NPCs anwerben
Die schlichte und detailarme Grafik verlangt dem Betrachter einiges an
Fantasie ab, zum Ausgleich sorgen ausführliche Beschreibungstexte
und Dialoge für Atmosphäre. Die werden nur zum Teil auf dem Bildschirm angezeigt, viele Absätze müssen auf Anweisung hin im Begleithandbuch nachgeschlagen werden. Raubkopierern ohne Dokumentation
werden damit wichtige Informationen vorenthalten, auch Schummlern
stellten die Wasteland-Entwickler eine Falle: Wer auf der Suche nach
Hinweisen das ganze Druckwerk von vorne bis hinten durchliest, wird
durch Fake-Kapitel und falsche Passwörter in die Irre geführt.
Das Skill-System
Nach der Party-Wahl werden wie vor die Tür des Ranger-Hauptquartiers
gesetzt und blicken etwas nervös auf die Weiten der SpielweltLandkarte. Was sollen wir tun, wo geht’s lang? Ohne Händchenhalten
und Quest-Journal wird die Gruppe im wahrsten Sinne des Wortes in
die Wüste geschickt. Bei der Erforschung von Siedlungen haben wir
genauso Freiheiten wie beim Umgang mit anderen Charakteren, frei von
moralischen Zwängen: Auch harmlose Halbstarke oder Bettler können
massakriert werden. Die dauerhafte Veränderung der Welt durch SpielerEntscheidungen war 1988 ein bemerkenswertes Feature.
Endzeit-Eignung
Party-Personalmarkt
Schwarzer Humor
Platz für sieben Charaktere bietet die Party, aber nur vier Helden
dürfen wir zu Spielbeginn kreieren. Die drei freien Slots lassen sich im
durch das Rekrutieren von freundlich gesinnten NPCs füllen, mit denen
unsere Desert Rangers Bekanntschaft machen. Die Begleiter sorgen
für Flair und zusätzliche Kampfkraft, suchen sich dabei ihre Ziele selbst
aus. Angesichts der begrenzten Charakter-Inventare ist auch die
zusätzliche Schleppkapazität willkommen. 14 anheuerbare NPCs sind
über die Spielwelt verstreut, darunter der mit vortrefflichen Charakterwerten ausgestattete Interplay-Gründer „Mad Dog“ Fargo.
Das Kampfsystem
Je höher das IQ-Attribut eines Charakters, desto mehr Skills kann er
lernen. In der Endzeit-Welt kommt es nicht nur auf Wissen im Umgang
mit verschiedenen Knarrentypen, Sprengstoff oder Alarmanlagen an.
Wichtig sind auch Fähigkeiten wie „Perception“ (Wahrnehmungsvermögen), um versteckte Details zu entdecken, VerschlüsselungsKnowhow oder Heilkunst, damit schwer verwundete Party-Mitglieder
stabilisiert werden. Durch häufige Anwendung einer Skill erlangt ein
Charakter höhere Fertigkeitsstufen. Einsteiger können bei Spielbeginn
die Wichtigkeit der 35 Fähigkeiten allerdings nur schwer einschätzen.
Rundenbeschuss
Spaß beim Weltuntergang
In Kampfsituationen gibt es die relativen grafischen Höhepunkte von
Wasteland zu bewundern: die spärlich, aber effektvoll animierten Porträts der
Gegnertypen. Von gestylten New Wavern über wütende Zimmermädchen bis
hin zu Mutantenviechern und Robotern gibt es keinen Mangel an Feindbildern.
Das weitgehend von The Bard‘s Tale übernommene Rundensystem ist simpel:
Der Reihe nach festlegen, auf wen geschossen wird, und das Beste hoffen.
Manchmal muss man auch nachladen oder seine Knarre entklemmen. Einige
Waffentypen erlauben die Wahl zwischen verschiedenen Schusstechniken,
um durch Verbraten von mehr Munition erhöhten Schaden anzurichten.
Mit biederem Ernst wurden jahraus, jahrein dieselben Fantasy-Klischees
in Rollenspielen breitgewalzt. Lustvolle Liebe zum futuristischen Detail
kennzeichnet dagegen die Wasteland-Welt: Es ist ein Szenario der
Atompilz-Kultisten und dreibeinigen Prostituierten, wo ein getroffener
Gegner „explodiert wie eine Blutwurst“ und unvorsichtige Penner als
„Hobo Dog“-Zutaten zwischen zwei Brötchenhälften landen. Weil die
Grafik weitgehend auf abstrakte Symbole beschränkt ist, entfalten die
Beschreibungstexte ihre Wirkung umso besser. Skurrile Typen, Ereignisse und „Oops!“-Überraschungen heitern die düstere Welt auf.
Momente
Fakten
» PLATTFORM: APPLE II, DOS-PC, C64
» Publisher: ELECTRONIC ARTS
» ENTWICKLER: INTERPLAY
» VERÖFFENTLICHT: 1988
» Genre: ROLLENSPIEL
Was die
Presse sagte …
Foto: kultboy.com
Denk w ürdige
Power Play 6/88: 8/10
»Das kommt also heraus, wenn
man Mad Max mit The Bard’s
Tale kreuzt: Das Endzeit-Flair,
meuchelnde Mutanten, stimmungsvolle Texte und wahnwitzige Waffen lassen Wasteland
zu einem Erlebnis werden. […]
Mit der Wüstengrafik kann
man keinen Kaktus gewinnen,
während die Grafiken im Kampf
schön animiert sind.«
(Anatol Locker)
ASM 9/88: 10/12
»Ein hervorragendes Rollenspiel,
das für viele Stunden fesseln,
frustrieren und reizen kann. […]
Wer also nicht aus ästhetischen
Gründen (was verständlich
wäre) vor Wasteland zurückschreckt, der bekommt etwas
wirklich Empfehlenswertes in
die Hand.« (Uli Mühl)
Was wir denken
Rollenspiel-Kult trotz MinimalGrafik und steiler Lernkurve:
Bei Wasteland faszinieren
spielerische Freiheiten und
stimmungsvolles Szenario.
RETRO GAMER 2/2014 | 15
2:
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S ie
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Die zweite Dekade: 1984 – 1994
Als in Europa frühe Software-Verlage (und in Deutschland
die ersten BASIC-Spiele) entstehen, hat Japans Game-Industrie
ihre Gründerphase längst hinter sich. Nach über 1.000 Original­titeln
für Spielhalle, Wohnzimmer und Büro sind japanische Studios
und Publisher Mitte der 80er Jahre fit für die zweite Runde – die
Eroberung und Reformation des Videospiel-Weltmarkts!
Hiroshima
Nach rasantem
Wiederaufbau ist
Hiroshima bereits
in den 80er Jahren
wieder Millionenstadt und wichtiges
Industriezentrum. Hier
wird 1982 der Alesteund Puyo-PuyoProduzent Compile
gegründet (der später
nach Tokorozawa in
den Großraum Tokio
umzieht). Hiroshima
ist zeitweise auch
Hauptquartier von
Kemco.
Osaka
Die Hafenstadt und
Handelsmetropole im
Süden der Hauptinsel
ist Zentrum der frühen
Arcade-Branche: Hier
residieren unter anderem Konami, Irem
und SNK. In Oska wird
1985 der Nintendound Sega-Entwickler
Japan System Supply
gegründet und 1986
der bis heute aktive
PC-Spielhersteller
Data West.
Kyoto
1889, zwei Jahrzehnte nachdem die Stadt ihren Status als
Sitz des kaiserlichen Hofes
verliert, gründet der Kunsthandwerker Fuajiro Yamauchi
in Kyoto die Spielkarten-Firma
Nintendo, die Enkel Hiroshi
knapp 100 Jahre später zum
erfolgreichsten Videospielhersteller der Welt aufbaut.
Natsume lässt in Kyoto
iPhone-Spiele entwickeln.
Konan (Aichi)
Die 100.000-EinwohnerStadt wird erst 1954 durch
Zusammenschluss kleinerer Gemeinden gegründet
und beherbergt einen der
ältesten SpielautomatenHersteller Japans und
frühen Nintendo-Lizenznehmer: Sunsoft.
Japanische Videospiele-Industrie
um 1990
Yokohama
Fukuoka
Die Hauptstadt der
Südinsel Kyūshū
bringt zwei der
produktivsten
und wichtigsten Computerspiel-Hersteller der 80er
Jahre hervor: Den Strategie-Experten System Soft,
der bis heute DaisenryakuKriege entfesselt, sowie
die Grafikadventure-Firma
Riverhill, deren Kreative
20 Jahre später Level 5
gründen.
16 | RETRO GAMER 2/2014
Sasebo
In der 250.000 Einwohner-Stadt der Präfektur
Nagasaki, am westlichen
Zipfel der japanischen
Inselgruppe, residiert
der Heimcomputerund Sega-Entwickler
Tecnosoft, der uns etwa
mit Thunderforce-Ballerspielen beliefert.
Yokkaichi
In der alten Hafenund Marktstadt wird
1981 der SoftwareHersteller Micro
Cabin gegründet,
der mit Spielen und
Anwendungen für alle
Computersysteme bis
ins 21. Jahrhundert
erfolgreich ist.
Nagoya
Die viertgrößte Stadt
Japans beherbergt
mit T&E Soft den
erfolgreichen Hersteller der Augusta
Golf-Simulationen und
Hydlide-Rollenspiele.
Harvest-Moon-Erfinder Natsume hat in
Nagoya sein NintendoStudio.
In der zweitgrößten
Stadt Japans und
traditionsreichen Handelsmetropole sitzt
neben dem SoftwareGiganten Koei der
kleine Arcade- und
Videospielentwickler
Arc System Works,
der mit Action-Marken
wie Guilty Gear and
BlazBlue ab 1995 auch
als Publisher auftritt.
1999 eröffnet Namco
in Yokohama die „Digital Arts“-SpieldesignSchule.
Foto: consollection.de
Sapporo
» Casios im Oktober 1983 veröffentlichte PV1000 ist eine
der vielen TV-Konsolen, die
Nintendo verdrängt.
Die Hauptstadt der Nordinsel
Hokkaido ist der Sitz des
Computerspiel-Marktführers
und frühen Nintendo-Lizenznehmers Hudson.
Von Winnie Forster
Foto: gameplan.de
I
» [1983] Mit dem
Family Computer
läutet Nintendo das
Joypad-Zeitalter
ein: links ein D-Pad,
rechts die Buttons.
m Jahrzehnt nach 1972, in dem sich
die japanische Spielebranche nach
US-Vorbild erfindet und zu imposanter
Größe wächst, bringt sie bereits 1.000
Automaten, Computer- und Telespiele
hervor. Viele davon kommen in den
Westen, wo die Nachfrage nach originellen Spielkonzepten größer ist als der
Ausstoß der amerikanischen, ab 1982
auch englischen Firmen.
Namco, Taito oder Nintendo liefern
den westlichen Systemherstellern Atari,
Mattel, CBS und Milton Bradley erfolgreiche
Pixel-Marken und -Helden, treten aber auch
verstärkt als Lizenzgeber kleinerer, auf Computer-Software spezialisierter Verlage auf.
Während sich in Europa Firmen wie Ocean,
US Gold und Elite um die offiziellen Umsetzungen japanischer Hits für Commodore-,
Schneider- und Sinclair-Rechner kümmern,
spezialisieren sich in den USA vor allem
Datasoft, Parker Bros. und Atarisoft auf
Konvertierungen für westliche Plattformen,
bevor japanische Firmen – Sega, Data East,
Konami und Taito – US-Zweigstellen zur
Eigenvermarktung ihrer Titel gründen.
Trendmotor Spielhalle
Tokio
Die anfangs stark fragmentierte japanische
Branche konzentriert sich zunehmend auf Tokio:
Ab Mitte der 80er Jahre haben gut 90 Prozent der
namhaften Unternehmen ihren Sitz in der Hauptstadt – und alle anderen dort zumindest ein Büro
oder Studio. Im Spielezentrum residieren die Arcade- und Konsolen-Majors Sega, Taito, Data East,
Jaleco, Tecmo (sowie deren Deserteure, die Atlus
gründen) ebenso wie der Spielzeug-Gigant Bandai
und führende Software-Verlage: Ascii, Enix, Nihon
Falcom und Pony Canyon. Zu den stärksten der
kleineren Tokio-Firmen gehören zwischen 1983
und 1993 Game Arts (Lunar, Silpheed) und NCS
(Langrisser). In Tokio findet man mit Fairy Tale
und Elf auch die produktivsten Erotik-Produzenten, ebenso die ältesten Videospiel-Unis, darunter
die 1990 vom Software-Haus Human gegründete
Human Creative School.
Die sowohl technisch als auch kreativ
treibende Kraft hinter der rasant wachsenden japanischen Game-Industrie
bleibt auch über die nächsten zehn Jahre
die Arcade-Branche. Nach Welterfolgen
wie Space Invaders und Pac-Man geben
die Pioniere Taito, Sega, Namco, Konami
und Nintendo ihre Vormachtstellung
in der Spielhalle nicht mehr auf und
bringen ihre US-Vorbilder, Partner und
Mitbewerber (Atari, Williams, Gottlieb,
Bally-Midway) zusehend in die Defensive. Um 1983, kurz vor dem großen
Konsolen-Crash im Westen, ist fast jedes
erfolgreiche Modul für eine amerikanische Atari- und Coleco-Konsolen eine
Japan-, nicht US-Erfindung. Aus fernöstlichen Spielhallen auf westliche Konsolen
und Computer kommen Proto-Jump-andruns wie Jungle Hunt und Donkey Kong
Jr., Labyrinth-Fantasien wie Konamis
­Tutankham sowie niedliche Cartoon-Action à la Pengo, Pooyan und Dig Dug.
Der Austausch an populärem
Kulturgut ist gegenseitig: 1983 lizenziert
Nintendo die US-Comic-Figur Popeye für
eine Plattform-Randale, die Parker für Atari
und C64 umsetzt. Doch längst sind es
weniger die amerikanischen als vielmehr die
japanischen Firmen, die Spielkonventionen
erweitern und neue Genres begründen.
Konami inszeniert mit Hyper Olympic (Track
& Field) die erste Pixel-Olympiade – mit
drolligen Sprite-Athleten, einer Prise Physik
und einer brachialen, schweißtreibenden
Eingabe-Methode („Button Bashing“). USPublisher Epyx kopiert das Prinzip für den
C64-Hit Summer Games.
1984 erscheint mit Data Easts
Karate Champ die erste ernsthafte Beat-emup-Simulation, ebenfalls ein Action-Automat,
der Sprite-Animation und Steuerung radikal
» Bis Mitte der 80er lässt sich Japan von
der Apple-Szene inspirieren: Hudsons
Lode Runner-Umsetzung (oben) ist 1984 ein
frühes Famicom-Spiel, Konamis Castle Excellent 1985 eine Fortführung des US-Spiels.
RETRO GAMER 2/2014 | 17
Fotos: gameplan.de
» [1985] Maximalen Spielspaß findet man
Mitte der 80er in der Spielhalle, wo Sega
schwindelerregendes Bitmap-3D in
hydraulische Cockpits gießt, von links:
HangOn, Space Harrier, Afterburner.
» [1985] Irem und Konami sind Meister horizontal scrollender Automatenspiele. Die besten Umsetzungen von Hits wie Kung Fu Master
(oben) und Nemesis (unten) erscheinen für MSX und NES.
Der TV-Automatenbauer (ohne Flipper- oder PachinkoWurzeln) wird 1979 gegründet, wirbt Konami-Talente
wie Tokuro Fujiwara und Yoshiki Okamoto ab und
betritt mit der scrollenden 1942-Ballerei 1985 den
Famicom-Markt. Bis in die 90er Jahre bleibt Capcom
ein treuer Nintendo-Partner, der keine Sega-Spiele
vermarktet, sondern Lizenzen an japanische und
westliche Firmen vergibt. In Europa konvertieren US
Gold und Elite Capcom-Hits wie Commando, Black
Tiger, Bionic Commando und Forgotten Worlds auf
C64, ST und Amiga.
Die interne Konkurrenz ehrgeiziger Capcom-Designer bringt unvergessliche Meisterwerke hervor: 1988
produziert Fujiwara sein Grusel-Jump and-run Ghouls
’n Ghosts, ein Jahr später das grafisch opulente
Zukunftsabenteuer Strider. Okamoto trumpft mit
dem Prügel-Scroller Final Fight auf, während Keiji
Inafune 1987 mit Rockman (Megaman) eine pfiffige
Mischung aus Astro Boy und Mario erfindet.
Zur Nummer 1 wird Capcom 1991 mit dem Kampfkunstwerk Street Fighter 2 und dessen sympathischem Helden.
Die SNES-Umsetzung auf 16-MBit-Modul verkauft sich fast 3
Millionen Mal, die Serie bis heute über 30 Millionen Mal. Ebenso
einfluss- und erfolgreich ist das Playstation-Action-Adventure
Resident Evil (1996), der Auftakt aller Zombie- und Survival-HorrorSpiele. Auch als Promis wie Fujiwara, Okamoto und Shinji Mikami
Capcom verlassen, hält sich die Firma mit frischen Bestsellern wie
Ace Attorney und Monster Hunter und bleibt sich, trotz erfolgreicher
Ausflüge in jedes Genre, bis heute treu: Der Name Capcom steht für
Kampf und Action mit einer gewissen Tiefe und Mystik.
18 | RETRO GAMER 2/2014
erweitert: Mit Doppel-Joysticks und Buttons
entlocken ein oder zwei Spieler ihren
Kämpfern ein gutes Dutzend Moves, vom
Faustschlag bis zum Sprung-Kick. Dieses
Spiel kopieren in England System 3 und
Archer Maclean 1986 als International Karate
und lizenzieren es an Epyx, deren World Karate Championship Data East provoziert; ein
Gerichtsprozess durch mehrere Instanzen ist
die Folge. Bessere Grafik, Controller-Finessen und einen Hauch von augenzwinkernder
Authentizität bringt auch Capcom vertikal
scrollendes Pazifik-Ballerspiel 1942.
Die genannten Japan-Innovationen
kommen mit großem Erfolg auch in
westliche Spielhallen, aber längst nicht alle.
Namcos Druaga no Tou-Automat, der 1984
Kampf-Action mit RPG-Abenteuer mischt,
bleibt im Westen unbekannt, löst in seiner
Heimat als plattformübergreifender Hit
aber das eigenwillige Subgenre scrollender
Fantasy-Rollenspiele aus: Im Action-RPG
etabliert sich spezifisch japanisches Gamedesign, fernöstliche und westliche Spielgewohnheiten und Konventionen beginnen
sich zu trennen.
Sprite-Zauber
und scrollende Welten
Schnelles Scrolling, vertikal, horizontal
oder in acht Richtungen, gern auch „pa­
rallax“ auf mehreren Ebenen, bleibt über
die gesamten 80er Jahre eine Spezialität
japanischer Automaten: Die Liste der
Action-Meisterwerke, die mit ein, zwei
Jahren Verspätung (und technisch nicht
selten verhunzt) auch auf unsere Com­
modore-, Sinclair- und Atari-Computer
kommen, ist lang: Von links nach rechts
scrollen Son Son von Capcom und Nam­
cos Pac-Land, das Ausbrecher-Drama Jail
Break und das militaristische Green Beret
von Konami, die Pixel-Märchen Legend of
Kage und Ghosts ’n Goblins sowie Irems
Joystick-Eastern Kung Fu Master (alle
1985). Klassische Vertikal-Scroller sind
die berüchtigten, vom Leinwand-Rambo
inspirierten Ballertitel Commando (Capcom) und Victory Road
sowie Ikari (von SNK). Auch
Taitos Hubschrauberflug Twin
Cobra (1987) und Konamis
humoristisches Twin Bee sowie
ungezählte Weltraum-Flüge
verschieben den Bildschirminhalt
von oben nach unten.
Mit Ich-Perspektive und 3D experimentiert Sega-Programmierer Yu Suzuki,
dessen Rennspiele Hang On und Out Run
Namcos Pole Position überrunden und zu
internationalen Superhits werden. 1985
schockt Suzuki die Ballerspieler mit dem
bizarren Science-Fiction-Trip Space Harrier,
1987 mit dem Jet-Shooter Afterburner.
Die Sega-Automaten setzen auf schnelle
Bitmap- und Sprite-Rotation und -Manipulation („Scaling“) und auf hydraulische
Sitze und Cockpits. Erstere lassen sich
technisch zumindest auf die stärksten USComputer – die 16-Bitter Amiga und Atari
ST – umsetzen, Force-Feedback, OriginalArmaturen und Hydraulik dagegen gar nicht
mehr auf Heim-Hardware übertragen: In
ihren technischen Möglichkeiten und in ihrer
puren Wirkung ist die Spielhalle damals der
Heim-Branche weit voraus.
Die westliche Software-Szene gibt
sich alle Mühe, mit den japanischen GameIngenieuren Schritt zu halten: Von Konamis
galaktischen Gradius-Ballerspielen, schnellen Jump-and-runs wie Segas Wonderboy
oder Multiplayer-Kloppereien wie Double
Dragon (1987) lassen sich die begabtesten Programmierer in Europa inspirieren.
Ungezählte Spieldesign-Größen des 21.
Jahrhunderts beginnen ihre Laufbahn mit
Nachahmungen japanischer Arcade-Konzepten. In Deutschland machen sich Manfred
Trenz und die Amiga-Profis von Factor 5
einen Namen als eifrige Adepten der Iremund Konami-Schule, siehe auch „Making of
Katakis“ in diesem Heft.
Umgekehrt greifen fernöstliche
Kreative jede interessante Technikidee aus
dem Westen sofort auf: Nachdem USZeichentrick-Künstler Don Bluth die „Laser
Disc“ für sein Action-Adventure Dragon‘s
Lair nützt, setzen auch Sega, Taito, Data
East und Konami den analogen Vorläufer
der Film-DVD für ein Dutzend Spielautomaten ein, mischen Pixel-Animation mit
Anime-Zeichentrick und legen RealfilmSchnipsel aus den Toho-Studios hinter die
Action. Im Gegensatz zum Westen, wo
LD-Konsolen für daheim zwar angekündigt,
MADE IN JAPAN–- der siegeszug
» Die beste von rund
2.000 HudsonVeröffentlichungen:
Bomberman auf
HuCard von 1990!
aber nicht vermarktet werden, gibt es in
Japan Hardware, die TV, Computer und LD
verbindet – für MSX, aber auch als Segakompatibles „LaserActive“.
Die Rückkehr der
Modulkonsolen
Während die Spielhalle technische Möglichkeiten auslotet und das Videospiel
audiovisuell vorantreibt, durchläuft der
Heimsektor nach dem US-Crash 1984
einen gravierenden Wandel. Reihenweise
ziehen sich amerikanische Firmen, die
bisherigen Marktführer, aus dem zusammenbrechenden Konsolensektor zurück –
und machen den Weg frei für japanische
Unternehmen, die langfristig denken
und sich vom Atari-Ende nicht schrecken
lassen. Mit Mario Bros., Donkey Kong
und Punch-Out hat Spielzeughersteller
Nintendo weltweit beliebte ArcadeMarken im Programm und auch sonst
gute Voraussetzungen, um den Heimkonsolenmarkt von der Spielhalle aus zu
erneuern (siehe Retro Gamer 1/2014).
Nintendo sieht nicht den jugendlichen Technik-Freak, sondern die ganze
Familie als Zielgruppe und schaut sich dafür die erfolgreichsten US-Spielgeräte –
die 8-Bit-Computer von Commodore –
genau an. Auf Basis deren MOS6502-CPU
und der Vision des Firmenchefs Hiroshi
Yamauchi folgend, konzeptioniert Nintendo-Ingenieur Masayuki Uemura mit
dem „Family Computer“ (Famicom, bei
uns NES genannt) ein leistungsfähiges,
dabei preisgünstiges Spiel- und HobbyGerät. Nintendo denkt auch schon an
die Multimedia-Zukunft, spendiert dem
Famicom Erweiterungsschnittstellen für
Wechselmedium, Modem und Tastatur.
Wichtige Designideen steuert der spätere
Game-Boy-Erfinder Gunpey Yokoi bei,
dessen Daumen-Steuerkreuz als „D-Pad“
den Famicom-Controller dominiert.
Sogar ein Mikro zur Spracheingabe ist ins
Ur-Joypad eingebaut!
Die ersten Spiele fürs Famicom
sind Mitte 1983 Donkey Kong und
Donkey Kong Jr. von Shigeru Miyamoto, gefolgt von Popeye, Baseball-,
Mahjong- und Go-Simulationen sowie
einer Umsetzung des ersten Mario
Bros.-Automaten. Das Famicom nimmt
die japanische Spielewelt im Sturm (und
erobert ab 1985 die Staaten und ab 1986
Europa). Erst sind es Nintendos eigene
Automaten-Umsetzungen, dann auch die
zugkräftigen Namen anderer
Hersteller. Nintendo segnet
alle Spiele ab, fertigt die Module
in eigenen Fabriken und verkauft sie
dann an die Third Partys zurück: Die
enge Bindung und Zusammenarbeit mit
den Fremdherstellern, die nicht wirklich
unabhängig sind, ist ein wichtiger Baustein des Famicom-Erfolges.
Ab 1984 produzieren Hudson und
Namco Famicom-Module, ab 1985 setzen
alle anderen Arcade-Firmen – Konami,
Taito und Jaleco, Irem und Capcom – ihre
besten Marken für Nintendo um. Dazu
kommen Computerspiel-Verlage wie
Ascii, Square und Enix, die Sony-Tochter
CBS und das Fuji-Studio Pony Canyon.
Nicht zuletzt der Spielzeug- und AnimeRiese Bandai und seine Labels Yutaka
und Banprest produziert in Serie fürs
Fam­icom, vor allem Ultraman, Gundam
und Dragonball Z. Mitbewerber Takara
bringt das erste Nintendo-Transformers,
Toshiba Emi 1987 ein Zoids-Rollenspiel.
» T V-Spots bewerben Nintendos
erste Modulkonsole als Multimedia-Zentrale für Kinder: 1985
gibt’s den Famicom Robot, später
Floppy, Modem und Tastatur.
Japanische Millionenseller
Was im Westen durch den Atari-Crash
abbricht, geht dank Nintendo in Japan
nahtlos weiter – die Erfindung und
Entwicklung originärer Heimvideospiele.
Also von Spielen, die nicht auf den kurzen 100-Yen-Kick nebst baldigem Münznachwurf ausgelegt sind, sondern für
tage- und wochenlangen Spaß. Für das
Famicom entstehen nicht nur viele Hundert Sport-, Action- und Puzzle-Spiele,
sondern auch Adventures, Simulationen
und ausladende RPGs, von denen wir
in Europa nichts mitbekommen. Ideen
und Konzepte aus
der PC-Szene werden
schlau auf JoypadSteuerung umgesetzt. Die ComputerVeteranen Yuji Horii
und Koichi Nakamura
(alias Chunsoft)
engagieren mit dem
Dragonball- und Dr.
Slump-Erfinder Akira
Toriyama den
bekanntesten
Der Computer- und Videospielhersteller entsteht in den 70er Jahren
aus dem Foto- und Amateurfunk-Geschäft der Brüder Yuji und
Hiroshi Kudo. Als Modelleisenbahn-Fan benennt Yuji die Firma nach
seiner Lieblings-Dampflok. 1978 programmiert er die ersten Computerspiele Japans sowie Basic- und Fortran-Interpreter. Er macht
Hudson mit Software für Rechner von Sharp, National und Panasonic
zum größten Computerspielverlag Japans. Die Firma erhält die
PC-Lizenz für Mario Bros und wird 1984 die erste Famicom-ThirdParty. Hudson passt Lode Runner auf den japanischen Geschmack
an (und macht daraus später Bomberman), ist mit Sport, Action und
Ballerspielen wie Star Soldier (1986) erfolgreich, aber auch mit der
folkloristischen RPG-Serie Far East of Eden. Hexfeld-Taktik renoviert
Hudson 1989 mit Nectaris, entwickelt das CD-ROM2-Laufwerk
und Steinzeit-Maskottchen Bonk für die PC-Engine. 1990 öffnet die
Hudson Computer Design School, 1992 wird das Central Laboratory
in Sapporo gegründet – ebenso wie ein Münzenmuseum.
Allerdings scheitern der Sprung auf den US-Markt und ein kurzes
Engagement in Europa (mit einem deutschen Bomberman für DOS
und Amiga). An vorderster Front steht Hudson als früher HandySpielentwickler: Erst für iMode-Browser des Marktführers NTT, ab
2001 für Java setzt Hudson klassischen Spiele um und erfindet neue
Konzepte. Im Playstation-Zeitalter verliert die Firma den Anschluss,
ist nur noch mit Mario Party-Spielen für Nintendo erfolgreich und
wird ab 2001 schrittweise von Konami übernommen. Seit Kudos
Rücktritt 2011 ist Hudson eine hundertprozentige Konami-Tochter.
» Nintendos TechnikPartner Sharp vermarktet ab 1986 das
Floppy-bestückte
Twin Famicom, den
einzigen Lizenzbau
einer NintendoKonsole.
Koei wird 1978 als Koei Micom System von Yoichi
Erikawa (alias Kou Shibusawa) gegründet. Die Firma
entwickelt Adventures, Action- und Rollenspiele für
NEC- und Fujitsu-Computer und begründet mit Night
Life (1982) und My Lolita (1983) das „Hentai“-Genre
erotischer Ab-18-Spiele. Monumental erfolgreich
wird Koei durch folkloristische Geschichtsepen, die
Strategie und Wirtschaft mit Hexfeld-Taktik und RPGElementen verbinden: Erstmals schafft es Koei 1986
mit Sangokushi (Romance of the Three Kingdoms) in
die Ascii-Charts; 1987 ist Nobunaga’s Ambition das
Spiel des Jahres (vor Sangokushi). Ab 1989 stellen
Fortsetzungen, die inhaltlich und audiovisuell immer
komplexer werden, sowie die Derby-Serie Winning Post
jedes Jahr das meistverkaufte PC-Spiel.
Koei entwickelt auch im Westen (Liberty or Death,
1993, Celtic Tales, 1995), sorgt für zwei, drei Amiga-Umsetzungen und konvertiert alles auf Spielkonsolen, vom
Famicom bis zur Playstation, vermarktet außerdem Lösungsbücher und Soundtracks. Obwohl Koei Romance of
the Three Kingdoms zur panasiatischen Besteller-Marke
ausbaut, verliert die börsennotierte Firma im PlaySta­
tion- und Online-Zeitalter an Kraft und Bedeutung. Ins
21. Jahrhundert startet Koei mit einer 500-Kopf-Belegschaft (die Inhaber sind das reichste Ehepaar Japans),
schluckt Tecmo, steigt ins Filmgeschäft ein und bringt
ungezählte Action-, 3D- und Online-Varianten der historischen Dramen – aber mit dem Echtzeit-Getümmel Shin
Sangokumusou (Dynasty Warriors) nur einen einzigen
neuen Spielgedanken.
RETRO GAMER 2/2014 | 19
» [1988] Mit Manga-Meister Akira Toriyama erschafft Enix die nach Super
Mario meistverkauften 80er-Jahre-Spiele: Von den ersten drei Dragon
Quest-Episoden werden in Japan acht Millionen Module abgesetzt!
» Sega startet 16 Bit mit
lahmen Umsetzungen eigener Automaten (oben:
Altered Beast, 1988),
während Nintendo zwei
Jahre später fürs SNES
Originale wie Super
Mario World erfindet.
» Spartanisch, aber schlau
und zukunftsweisend:
Das PC-Spiel Emblem of
Gaia mixt 1987 FantasyRPG mit Rundentaktik.
Unabhängig firmiert das Studio von Masafumi Miyamoto und Hironobu
Sakaguchi erst seit 1986. Damit ist es die jüngste hier porträtierte Firma –
und als Floppy-Produzent anfangs nicht sehr erfolgreich. Nach allerlei
Action- und 3D-Experimenten entwirft Sakaguchi als „finales“ Großprojekt
ein Ultima-inspiriertes Rollenspiel, das der amerikanische Apple-2-Star
Nasir Gebelli fast im Alleingang programmiert und Nobuo Uematsu
mit lieblicher Chip-Musik unterlegt. Das Famicom-Original wird zum
Überraschungshit: Final Fantasy 3 überspringt 1990 die MillionenVerkaufsmarke. Der Rest ist Geschichte, und jede neue Episode ein
internationales Großereignis.
Anfang der 90er entwickelt Square einige der besten SNESModule überhaupt, Secret of Mana, Chronotrigger und 1996 das
erste Super Mario RPG, löst sich dann aber von Nintendo. Das
Bekenntnis zur PlayStation läutet Squares goldenes Zeitalter
ein: Für das CD-Debüt Tobal No.1, (ein Beat-em-up) zeichnet
Akira Toriyama niedliche Stachelköpfe. Es folgen das Ballerspiel Einhänder und die 3D-Schwertsimulation Bushido
Blade. Zwischen Final Fantasy-RPGs für den Mainstream
und Front Mission-Schlachten für Hardcore-Strategen
ragt 1997 Final Fantasy Tactics heraus: Das Rundentaktikspiel wird in Japan 1,35 Millionen Mal verkauft.
Square steigert die Belegschaft von 250 (1992)
auf 1.200 Mitarbeiter, produziert mit US-Töchtern
den interaktiven Thriller Parasite Eve (1998) sowie
den abendfüllenden, nicht gänzlich überzeugenden
Computerfilm Final Fantasy: The Spirits Within. 2002
folgt das erste Kingdom Hearts-Disney-Rollenspiel.
Mit Final Fantasy XI stolpert Square im gleichen
Jahr ins Internet. Filmgeschäft und Online-Anlauf
sorgen für Verluste, 2003 fusioniert Square mit dem
RPG-Rivalen Enix. Nach Nintendo ist Square-Enix
» Plattformüberder zweitgrößte Videospielhersteller Japans und
greifend beliebt
seit 2009 zudem Verwalter der europäischen Eidossind für 8 Bit
Reste inklusive Deus Ex, Tomb Raider und Thief.
Ultima-ähnliche
Fantasy-RPGs wie
Issural (1988).
Manga-Künstler. Zusammen schaffen
sie mit ihren liebevoll gepixelten Dragon
Quest-Rollenspielen nach den MarioModulen meistverkauften FamicomSpiele: Der erste Teil geht in Japan 1,5
Millionen Mal über den Tisch (kommt
jedoch erst dreieinhalb Jahre später in
die Staaten), Teil 2 bereits 2,4 Millionen
Mal, bevor der dritte Ende der 90er Jahre
hart an der 4-Millionen-Marke kratzt.
Dennoch braucht er sage und schreibe
vier Jahre, bis er fürs US-NES erscheint.
Im Schatten des Dragon Quest-Fiebers
wächst Squares Final Fantasy, dessen
erste beiden Episoden sich zusammen
gut 1,2 Millionen Mal verkaufen, wohl
nicht zuletzt aufgrund der märchenhaften, filigranen Artworks von Yoshitaka
Amano.
Der Schulterschluss zwischen
florierender Computerszene und reformiertem Konsolenmarkt klappt in Japan
auch deshalb gut, weil Nintendo 1986 mit
dem Famicom Disk Drive ein beschreibbares und geräumiges Speichermedium
liefert. Die Alternative zum teuren und
statischen ROM-Modul wird zur Geburtsstätte von Zelda, das 1,7 Millionen
Mal auf Floppy weggeht, Metroid (gut
1 Million Disks in Japan) und Konamis
Castlevania. Alle drei stellen fantastische
Action-Abenteuer dar, die es nur für Nintendo gibt. Daneben sind – wie heute auf
Wii-Konsolen – Sportspiele phänomenal
beliebt: Jedes der jährlichen Family
Stadium-Baseball-Spiele von Namco
wird ein Millionenseller.
Von MSX zum PC-98
Als Bindeglied zwischen Telespiel- und
Computer-Szene fungiert der von Ascii
und Microsoft begründete MSX-Standard, dem von NEC, Sharp und Fujitsu,
Sega und Nintendo abgesehen, alle
japanischen Elektronik- und ComputerBauer folgen (siehe Retro Gamer 1/2012).
Da MSX im Westen an der Commodore20 | RETRO GAMER 2/2014
Dominanz scheitert (und die anderen
Japan-Plattformen überhaupt nicht zu
uns kommen), bleibt ein Hauptzweig
der fernöstlichen Game-Industrie dem
westlichen Auge verborgen. Zu uns
kommen zwar viele Hundert Automatenund Konsolen-Titel, aber nicht einmal
ein Dutzend der weit über 1.000 PC- und
Heimcomputer-Spiele, die Japan zwischen 1983 und 1993 hervorbringt.
Die einsamen Exporttitel sind
schnell aufgezählt: 1988 übersetzt
Sierra Thexder von Game Arts auf
Apple 2 und Amiga; darin verwandelt
sich ein ballernder Roboterheld in ein
Raumschiff. Da die PC-8801-Umsetzung
mit drei Jahren Verspätung erscheint,
wirkt sie auf US-User reichlich veraltet.
Ähnlich ergeht es dem 3D-gepimpten
Game-Arts-Shooter Silpheed (1986), der
in Japan bis heute fort- und umgesetzt
wird, sowie den Action-Rollenspielen
Sorcerian und Zeliard (1987), die Sierra
erst 1990 vermarktet. Infogrames bringt
Take the A-Train III (1989), eine rundum
edle Hochhaus- und Nahverkehrssimulation von Artdink, immerhin schon
nach zwei Jahren in den europäischen
Handel, verbummelt jedoch die wunderschöne Renaissance-Segelei The Atlas
von 1991, die in Deutschland erst 1995
veröffentlicht wird.
Daneben prägen zwei, drei
erotische Spiele, die von kleinen
US-Klitschen übersetzt werden, das
(unvollständige) Image fernöstlicher
PC-Software im Westen: Das spritzige Cyber-Adventure Cobra Mission
gefällt 1992 hiesigen PC-Usern, obwohl
audiovisuell mickrig und verstaubt, sehr
gut, während Elfs Dragon Knight III –
1991 Japans dickster Mix aus Strategie,