der „CCTV-Tower“ in Peking, dessen Bau rund 850 Millionen Euro

Transcrição

der „CCTV-Tower“ in Peking, dessen Bau rund 850 Millionen Euro
Schräge Konstruktion:
der „CCTV-Tower“
in Peking, dessen Bau
rund 850 Millionen
Euro kostet. Die beiden
Türme sind ab der
36. Etage miteinander
verbunden
[trend ]
Journal
Der architektur-Trend
Wolkenkratzer
der Zukunft
Der kopf dahinter
Ole Scheeren vom Büro Rem Koolhaas
Ole Scheeren
baut die neue
Zentrale des
chinesischen
Staatsfernsehens,
die kommendes
Jahr fertiggestellt
werden soll
fotos: Zhou junxiang/Imaginechina/dpa; Mathias Braschler & monika fischer
Hochhäuser waren gestern,
innovative Bauprojekte folgen
anderen Prinzipien. In Peking
entsteht unter Leitung eines
jungen Deutschen ein Gebäude
mit Symbolcharakter
E
in Samstag in Peking, 18 Uhr, in
Deutschland beste „Sportschau“-Zeit.
Doch Ole Scheeren sitzt in seinem Pekinger Büro. „Eine Fünftagewoche habe
ich seit 15 Jahren nicht mehr gehabt.“ Er
klingt kontrolliert, nüchtern, konzentriert.
Scheeren, Jahrgang 1971, formuliert druckreife, weit verästelte Sätze, manchmal hört
man an seiner Sprachmelodie, dass der
Sohn eines Architekten in Karlsruhe auf­
gewachsen ist.
Er arbeitet seit 1995 für das Office
for Metropolitan Architecture (OMA) des
renommierten holländischen Architekten
Rem Koolhaas. Seit 2002 ist er der jüngste
Partner dort. Eine Traumkarriere. Und
nun leitet der Deutsche ein Projekt, das als
ein neues Wahrzeichen Pekings gilt. Scheeren baut die Zentrale des chinesischen
Staatsfernsehens CCTV mit einem Budget
von 850 Millionen Euro. Ein „Gebäude mit
Symbolcharakter“, sagt Scheeren.
In Peking hat der junge Karlsruher es
daneben auch schon zum „bestaussehenden Ausländer“ gebracht, wie ein chinesisches Boulevardblatt findet. Regelmäßig berichten Magazine in Peking über den
smarten Deutschen, der in seinen modischen Anzügen wie das Mitglied einer
britischen Avantgardekapelle wirkt. Die
mediale Aufmerksamkeit hängt allerdings
auch mit seinem Privatleben zusammen:
Er ist seit einigen Monaten mit der chinesischen Schauspielerin Maggie Cheung
(„Hero“) liiert. Der europäische Stararchitekt und die chinesische Julia Roberts – an
so einer exotischen Verbindung nimmt das
junge Peking regen Anteil. „Diese Form
der Popularität nimmt in meinem ➔
Stern-Journal
18/2008
11
2
Journal
[trend ]
Superlativ für Europa: der „Federation
Tower“ in Moskau. Der höhere der beiden
Türme misst 360 Meter
„Innovative Architektur
ist immer eine
Frage des Timings“
Leben allerdings keinen wahrnehmbaren
Stellenwert ein“, bemerkt Ole Scheeren
knapp.
Viel lieber spricht er über die „spezifische historische Situation“, in der ein so
herausragendes Projekt wie das CCTVGebäude in China entstehen konnte. 2002
hätte sich OMA auch um die Neugestaltung des „Ground Zero“ in New York bewerben können. „Beide Wettbewerbe kamen ins Büro“, sagt Scheeren, „wir mussten
uns entscheiden, welches ein hoffnungsvollerer Weg sein könnte.“ Man entschied
sich für China, CCTV – und die Zukunft
des Wolkenkratzers, wenn man so will. „Wir
hatten keine Lust darauf, das rückwärts
gerichtete kommerzielle System des Hochhauses zu bedienen, wir wollten einfach
keine anonymen leeren Hüllen bauen.“
Ole Scheeren kann lange über die komplexe Konzeption des CCTV-Gebäudes
dozieren, das vermutlich noch vor Sommer 2009 fertiggestellt werden wird. Trotzdem lassen nur Baustellenfotos und frühe
Modelle erahnen, wie außergewöhnlich
die Konstruktion der beiden 234 Meter hohen, zueinander gekrümmten Stahltürme
auf die Menschen in Peking wirkt. Theoretisch klingt das bei Ole Scheeren ganz
harmlos: „Die Konstruktion ist wie eine
Röhre, die im Raum gefaltet ist.“ Praktisch
aber kursierte in Europa eine Meldung,
nach der in Peking eine Notruf-Hotline
eingerichtet werden musste, weil besorgte
Passanten bei der Polizei anriefen und ins
Telefon japsten: „Die Türme kippen um!“
Ole Scheeren lacht. „Diese Hotline hat es
nie gegeben. Der Westen hat sich mit großem Enthusiasmus an der Gerüchteküche
beteiligt. Die internationale Presse hat zwei
fotos: Siegfried Geyer; Zhou junxiang/imaginechina/dpa
2
Das „Shanghai World Financial Center“,
492 Meter hoch, seit 1997 im Bau, wurde
nach dem Anschlag auf das „World Trade
Center“ in New York neu konstruiert
Jahre lang insistiert, dass das Projekt ohnehin scheitern würde.“ Vor Ort aber kamen
die Arbeiten nie zum Stillstand. Vielmehr
schwärmt Ole Scheeren von einem Enthusiasmus, der dieses Projekt von Anfang
an begleitet hat und der sich bis heute in
alle Bereiche der Arbeit fortsetzt – bis zur
ungemein positiven Stimmung auf der
Baustelle.
Am 8. Dezember des vergangenen Jahres
Hauptsache, hoch: Das „Burj Dubai“ soll mit
weit über 800 Metern der größte Wolkenkratzer
der Welt werden. Die endgültige Höhe ist
noch geheim. Geplante Fertigstellung: 2009
begann man, die beiden L-förmigen Türme in einer Höhe von 162 Metern miteinander zu verbinden, ab der 36. Etage. Für
Scheeren ein emotionaler Moment. Er lebt
seit dreieinhalb Jahren in Peking und muss
seitdem immer wieder erklären, was OMA
und er da eigentlich treiben.
Für die Statik des eigenwilligen Bauwerks gab es bis vor Kurzem noch nicht
einmal die erforderliche Software. Kritiker befürchten zudem, dass der Doppelturm einem möglichen Erdbeben in Peking kaum standhalte. Scheeren widerspricht. „Das Gebäude kann das stärkste
Erdbeben überstehen, das nach der Wahrscheinlichkeit einmal in 2500 Jahren in
Peking vorkommt – es ist vollkommen sicher.“ Er ist bemüht, die fortschrittlichen
Aspekte des CCTV-Konzepts zu erläu- ➔
2
Journal
[trend ]
fotos: AP; action press; sinopictures/cns
Neuer Dreh: Sollte die endgültige Baugenehmigung erteilt werden, würde das
„Chicago Spire“ 2011 mit 150 Stockwerken
das höchste Gebäude Nordamerikas werden
Ei und Vogelnest: Das neue Ufo-ähnliche
Opernhaus in Peking (o.) spiegelt
sich im Wasser. Das Olympiastadion (u.)
in der chinesischen Hauptstadt ist
330 Meter lang und 220 Meter breit
„Wir wollen keine
anonymen, leeren
Hüllen bauen“
tern: „Alles ist mit allem verbunden, es ist
ein nichthierarchisches Prinzip.“ Das ist
natürlich und gerade in China auch ein
politisches Statement. „Wir reden hier
über ein eigenes Universum aus technischen und sozialen Einheiten, wie bei
einem autarken Organismus – mit einer
eigenen Klinik, Sportanlagen oder Speisesälen, die 4000 Leute gleichzeitig aufnehmen können.“
Nicht nur OMA und Ole Scheeren geben der Volksrepublik China vor den
Olympischen Spielen ein neues Gesicht.
Fast alle namhaften europäischen Architekten sind in China aktiv, um die historische Chance zu nutzen, Leuchtturmprojekte umzusetzen. Scheeren sagt: „Innovative Architektur ist immer eine Frage des
14 St ern-Journal
18/2008
Timings. Als wir das CCTV planten, hatte
die ökonomische und psychologische Ausgangssituation in China vor der Olympiade eine katalytische Funktion.“
Die Schweizer Architekten Herzog & de
Meuron beenden gerade die letzten Arbeiten am gigantischen Pekinger Olympiastadion, im Volksmund „Vogelnest“ genannt.
Der Franzose Paul Andreu errichtete in Peking das etwa 300 Millionen Euro teure
Opern- und Theaterhaus, und Sir Norman
Foster versuchte sich laut Selbstauskunft
am „fortschrittlichsten Flughafengebäude
der Welt“. In diesem Fall war die kreative
Entwicklungshilfe China stolze 2,2 Milliarden Euro wert.
Moralische Bedenken übrigens brin-
gen Foster, Andreu oder auch Scheeren
nicht um den Schlaf. Der Vorwurf, man
baue „für die Bösen“, wird gekontert mit
einem Verweis auf einen ästhetischen
Weltverschönerungsauftrag jenseits der
Politik. Ole Scheeren sagt: „Wir haben uns
erst nach sehr eingehenden Überlegungen
dafür entschieden, hier zu bauen. Wir
glauben an den Prozess der Veränderung
in China, und wir haben vom ersten Moment an darauf geachtet, dieses Projekt gemeinsam mit den chinesischen Kollegen in
Angriff zu nehmen. Hier hat sich viel verändert in den letzten Jahren – und das wird
es weiter tun. Auch wenn der Weg kein
einfacher sein wird.“
2
Harald Braun