5,6 MB - Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft
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5,6 MB - Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft
1 DIPLOMARBEIT Sichtbar und politisch. „Politisches“ Engagement von Frauen im Revolutionsjahr 1848 im Spiegel der Tiroler Presse Eingereicht bei: Univ. Doz. Dr. Erika Thurner Institut für Politikwissenschaft Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Eingereicht im April 2001 Eingereicht von: Renate Telser 2 1. Einleitung S. 5 2. Geschichtlicher Umriss S. 11 2.1 Tirol vor 1848 2.2 Die Nachricht über die Wiener Ereignisse im März 1848 2.3 Politische Veränderungen in Tirol S. 11 S. 15 S. 17 2.3.1 Volksbewaffnung 2.3.2 Vereine 2.3.3 Zeitungen 2.3.3.1 Volksblatt für Tirol und Vorarlberg 2.3.3.2 Innsbrucker Zeitung 2.3.3.3 K.K. Prov. Bothe für Tirol und Vorarlberg 2.3.3.4 Die Tiroler Schützenzeitung 2.3.3.5 Il messaggiere tirolese S. 17 S. 18 S. 18 S. 18 S. 18 S. 19 S. 19 S. 19 3. Bevölkerung S. 20 3.1 Einwohner und Einwohnerinnen nach Kreisen 3.2 Einteilung der Stände 3.3 Das Bild der Frauen in demographischen Quellen und Erläuterungen S. 20 S. 21 S. 21 4. Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes S. 23 4.1 Die Konstruktion durch männliche Kontroll- und Machtinstanzen 4.2 Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes durch die Philosophie 4.3 Die Konstruktion durch die neue Aufgabenteilung 4.4 Die Konstruktion durch die Gesetzgebung S. 23 S. 24 S. 25 S. 27 4.4.1 Beispiel: Verehelichungsgesetze 4.4.2 Beispiel: Das österreichische Frauenrecht S. 27 S. 30 5. Adlige Frauen in der Tiroler Presse S. 32 5.1 Adlige auf der Flucht 5.2 Sonstige Berichterstattung über Adlige S. 32 S. 34 5.2.1 Namensänderung 5.2.2 Geburt 5.2.3 Finanzielle Schwierigkeiten 5.2.4 Feierlichkeiten 5.2.5 Krankheit, Tod 5.2.6 Besuch bei der englischen Königin 5.2.7 Aussegnung einer spanischen Infantin 5.3 Politische Tätigkeiten adliger Frauen 5.3.1 Politische Aktivitäten der Kaiserin von Österreich 5.3.2 Politische Aktivitäten der englischen Königin 5.3.3 Wohltätigkeiten 5.4 Adlige Frauen in Tirol 5.5. Kaiserin Maria Anna und Erzherzogin Sophie S. 34 S. 34 S. 35 S. 35 S. 35 S. 35 S. 35 S. 36 S. 36 S. 36 S. 36 S. 38 S. 39 3 6. Bürgerliche Frauen in der Tiroler Presse S. 45 6.1 Bürgerliche Frauen in der Tiroler Presse 6.2 Neue öffentliche Räume: Aufbruch aus den Wohnzimmern S. 47 S. 47 6.2.1 Die Damentribüne – ein öffentlicher Raum 6.2.2 Spenden als politische Wirkungsbereiche 6.2.3 Fahnensticken und -spenden als politische Territorien 6.2.4 Petitionen – politische Einflussbereiche 6.2.5 Die Presse als mediales Politikfeld 6.2.6 Wohltätigkeiten als politische Räume 6.2.6.1 Der Frauenverein von Innsbruck – eine Änderung in der Sozialpolitik 6.3 Berufe – ein öffentlicher Einbruch 6.3.1 Weltliche Lehrerinnen durch die Schulreform von 1848 6.3.2 Mädchenbildung 6.3.3 Gastwirtinnen 6.3.3.1 Emma Hellensteiner als bekannteste Pionierin im Tourismussektor 6.3.3.2 Weitere Pionierinnen im Fremdenverkehrswesen S. 48 S. 50 S. 50 S. 53 S. 53 S. 54 S. 56 S. 58 S. 58 S. 59 S. 60 S. 61 S. 62 6.3.4 Schriftstellerinnen: Schwieriger Eintritt in eine reine Männerdomäne S. 63 6.3.4.1 Walpurga Schindl 6.3.4.2 Therese Sarnthein 6.3.4.3 Amalia Bautz 6.3.4.4 Anna Antonie Thaler 6.3.4.5 Adelinde von Perkhammer 6.3.4.6 Antonia Bogner 6.3.4.7 Angelika von Hörmann 6.3.5 Künstlerinnen 6.3.5.1 Lola Montez 6.3.5.2 Anna Rosa Stainer-Knittel 6.3.5.3 Theresia und Antonia Strigl 6.3.5.4 Johanna von Isser-Großrubatscher S. 64 S. 66 S. 66 S. 67 S. 67 S. 67 S. 67 S. 69 S. 69 S. 73 S. 76 S. 76 6.3.6 Theaterschauspielerinnen 6.3.7 Sängerinnen S. 76 S. 78 6.3.7.1 Die Rainer-Geschwister 6.3.7.2 Zehentmayer Lina 6.3.7.3 Perthaler Caroline S. 79 S. 80 S. 80 6.3.8 Handel- und gewerbetreibende Frauen 6.3.9 Die Mode bürgerlicher Frauen S. 81 S. 83 7. Der geistliche Stand S. 86 7.1 Die Riesenpetition: Ein Sinnbild Tiroler Religiosität 7.2 Ordensschwestern – Ausbrüche aus der bürgerlichen Frauenrolle S. 87 S. 88 7.2.1 Die Karmeliterinnen 7.2.2 Die Ursulinen 7.2.3 Die Dominikanerinnen 7.2.4 Die Barmherzigen Schwestern 7.2.5 Die Englischen Fräulein 7.3 Frauenkongregationen 7.4 Damenstifte S. 89 S. 90 S. 91 S. 91 S. 93 S. 94 S. 94 4 8. Arbeiterinnen S. 97 8.1 Das Bild der Arbeiterinnen 8.2 Die Erziehung der Arbeiterinnen 8.3 Die Konstruktion einer neuen Sexualität für Arbeiterinnen 8.4 Demonstrationen und Aufstände als Zeichen des politischen Protests 8.5 Barrikaden – ein neuer politischer Ort für Bürgerliche und Arbeiterinnen 8.6 Die erste öffentliche Rede einer Frau als neues politisches Terrain 8.7 Die erste Arbeiterinnendemonstration als neuer politischer Raum 8.8 Der Demokratische Frauenverein als neues Wirkungsfeld 8.9. Plünderungen – Sichtbarkeit der sozialen Missstände 8.10 Katzenmusik als Zeichen des politischen Protests für Unterschichten 8.11 Karikaturen als politisches Engagement 8.12 Arbeiterinnen in Tirol S. 97 S. 99 S. 101 S. 102 S. 106 S. 109 S. 109 S. 111 S. 112 S. 114 S. 115 S. 116 9. Bäuerinnen S. 121 9.1 Bäuerinnen in Tirol 9.2 Die „Schützenweiber“ S. 121 S. 126 10. Schlussbemerkungen S. 130 11. Literaturhinweise S. 133 11.1 Primärquellen 11.2 Sekundärquellen 11.3 Internet S. 133 S. 134 S. 139 5 1. Einleitung 1848 gilt als das Jahr der europäischen Revolutionen. Es gilt auch als das Geburtsjahr der Österreichischen Frauenbewegung. Aufgrund der Männerdominanz in der Geschichtsschreibung werden Frauen selten erwähnt, auch wenn sie keineswegs unsichtbar sind. Durch die Etablierung der Frauenforschung in Deutschland der 70er und in Österreich der 80er Jahre begannen viele ForscherInnen, Frauen in den historischen Quellen aufzuspüren. So auch in jenen des Jahres 1848. Die Historikerinnen Gabriella Hauch, Carola Lipp, Tamara Citovics, Helga Grubitsch, Gerlinde Hummel-Haasis, Sabine Kienitz, Sabine Rumpel, Beatrix Schmaußer, Margit Stephan, Elke Haarbusch, Juliane Jacobi-Dittrich, Annette Kuhn, Elisabeth Dietrich usw. erarbeiteten Frauengeschichte des Jahres 1848/49 von 1 verschiedenen deutschen bzw. österreichischen Bundesländern. In Tirol gibt es wenig Sekundärliteratur zu Frauen jener Zeit. Gretl Köfler und Michael Forcher 2 starteten einen Versuch. Deshalb der Entschluß, Frauen im Jahre 1848 anhand von Tiroler Printmedien und anderen Quellen sichtbar zu machen und ihre politischen Räume aufzusuchen. Das hieß vor allem intensive Quellensuche und -analyse jener Zeit: „Die Innsbrucker Zeitung", „Der k.k. Priv. Bothe für Tirol und Vorarlberg", „Das Volksblatt für Tirol und Vorarlberg", Das „Tiroler Wochenblatt“, „Il messaggiere tirolese“ und „Die Schützenzeitung", Zeitzeugenberichte etwa von Adolf Pichler, Gedichte von Walburga Schindl, „Das österreichische Frauenrecht“, „Tirol und Vorarlberg statistisch und topographisch gesehen“ usw., um nur einige zu nennen. Diese Quellen werden z.T. erstmals veröffentlicht und leisten einen wichtigen Beitrag in der Tiroler Frauengeschichtsforschung. 1 vgl. Gabriella Hauch, Frau Biedermeier auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolution 1848, Wien 1990; Carola Lipp (Hg.), Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49, Baden-Baden 1998; Helga Grubitsch u.a. (Hg.), Grenzgängerinnen. Revolutionäre Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Weibliche Wirklichkeit und männliche Phantasien, Düsseldorf 1995; Gerlinde Hummel-Haasis (Hg.), Schwestern zerreißt eure Ketten. Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution 1848/49, München 1982; Beatrix Schmaußer, Blaustrumpf und Kurtisane. Bilder der Frau im 19. Jahrhundert, Zürich 1991. 2 vgl. Gretl Köfler und Michael Forcher, Die Frau in der Geschichte Tirols, Innsbruck 1986. 6 Frauen sind keinesfalls unsichtbar, wie es die Geschichtsschreibung lange vermittelte. Durch die Erforschung eines politischen Mikrokosmoses (Tirol) erscheinen schlussendlich Frauen in (fast) allen gesellschaftlichen Bereichen, in denen Geschichte geschrieben wurde. Deutlich wurde dies vor allem in Zeiten von Revolutionen, so auch 1848. Politische Umbrüche modifizierten die eher starren sozialen Räume, was gerade auch für Frauen von gesellschaftlicher Relevanz war. Sie waren in Zeiten von Revolutionen in vielfältiger Weise politisch tätig. Frauen beeinflußten und trugen Politik mit. Durch die Zusammensetzung dieser Funde entstand somit ein rundes und interessantes Mosaik. Zum Verständnis der Tiroler Haltung im Jahre 1848/49 wird auf die vormärzliche Geschichte kurz eingegangen. In Tirol kam kaum revolutionäre Stimmung auf; es gab soziale Proteste. Mehrheitlich hielt man an der konservativen, ultramontanen Richtung fest. Als der Kaiser im März 1848 bürgerliche Freiheiten wie Verfassung, Volksbewaffnung, Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit gewährte, wurden diese im Wesentlichen zur Aufrechterhaltung der Alten Ordnung Tirols genutzt. Tirol aber ausschließlich als Hort der Reaktion anzusehen, ergibt ein falsches Bild. Die 3 Historiker Hans Heiss und Thomas Götz belegen wesentliche (politische) Änderungen für Tirol. Dies beweisen auch viele der angeführten Zitate. Auch (Tiroler) Frauen profitierten von den neuen Freiheiten: Ihr Engagement galt größtenteils der Beibehaltung und Konsolidierung des konservativen Systems. Dennoch ist es interessant festzustellen, was die Revolutionen in Wien für Tiroler Frauen bewirkt hat, wie sie in revolutionären Zeiten gelebt und sich politisch verhalten haben, wie sie in der Tiroler Presse dargestellt wurden. Interessant ist auch, wie Alltags- und Lebenssituationen von Frauen politisches Handeln strukturierten und wie Politik in den Alltag eingriff. Dabei ist es sehr wichtig, vom engen Politikverständnis abzuweichen. Wird über Politik im engeren Sinne geschrieben, so waren Frauen in politischen Entscheidungsprozessen des 19. Jahrhunderts marginal. Sie besaßen (mit Ausnahme weniger Großgrundbesitzerinnen) 1848 noch kein Wahlrecht, konnten keine politischen Ämter 3 vgl. Hans Heiss, Das „Sturmjahr“. Tirol in den europäischen Revolutionen 1848/49; in: Fridolin Dörrer und Josef Riedmann (Hg.), Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und 7 bekleiden und waren von institutionalisierten Regierungen, Seilschaften und anderen Domänen (Recht, Religion, Politik, Kultur, Öffentlichkeit) ausgeschlossen. Frauen am politischen Handeln der Männer zu messen, würde also zwangsläufig in die Irre führen. Deshalb hier die Anwendung des „weiten Politikbegriffes“, der alle gesellschaftlichen Bereiche als zumindest potentiell politisch betrachtet. 4 Der Fokus liegt in politischen Verhaltensweisen von „Durchschnittsfrauen“ im Alltag. D.h. wo lebten Frauen, wie machten sie „Politik“ und wo entstanden neue Räume. Das geschah auf der Straße, auf dem Markt, auf der Zuhörerinnentribüne, auf den Barrikaden, in Wohnzimmern. Sie agierten als Verteidigerinnen, Kämpferinnen, Waffenträgerinnen. Sie engagierten sich als Fahnenstickerinnen und -spenderinnen, Lehrerinnen, Dienstbotinnen, Kammerfrauen, Karikaturen- und Zeitschriftenkollporteurinnen, Wirtinnen. Sie waren Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen, usw. 5 Das Geschlecht darf aber nicht als eigenständige Kategorie angesehen werden. Es muss im Zusammenhang mit sozialen, kulturellen, historischen Komponenten 6 betrachtet werden. Mehrdimensionalität und Schichtspezifik lassen verschiedene Perspektiven entstehen. Heterogene Frauenbiographien heben hervor, dass Geschichte von Frauen nicht für alle Frauen identisch ist. 7 So werden unterschiedliche Verhaltens- und Sozialisationsmuster zwischen den Ständen 8 werden sichtbar – aber auch innerhalb der einzelnen Stände. Es zeigen sich auch Differenzen zwischen Frauen in der Stadt oder auf dem Land. Sozioökonomische Volkskunde 63, Innsbruck 1999, S. 235; Hans Heiss und Thomas Götz, Am Rande der Revolution. Tirol 1848/49, Bozen/Wien 1998. 4 vgl. Anton Pelinka, Grundzüge der Politikwissenschaft, Innsbruck 1986, S. 7. 5 vgl. Gerlinde Hummel-Haasis (Hg.), Schwestern zerreißt eure Ketten. Zeugnisse zur Geschichte der Frauen in der Revolution von 1848/49, München 1982, S. 9-32. 6 vgl. Gisela Bock, Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte; in: Jürgen Kocka (Hg.), Sozialgeschichte in der Erweiterung. Geschichte und Gesellschaft 3, Göttingen 1988, S. 373. 7 ebda, S. 368. 8 vgl. Gisela Bock, Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven; in: Karin Hausen (Hg.), Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, München 1983, S. 35; vgl. auch Annette Kuhn, Das Geschlecht – Eine historische Kategorie?; in: Annette Kuhn u.a. (Hg.), Frauen in der Geschichte IV. „Wissen heißt leben...“, Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983, S. 29-50. 8 Unterschiede finden sich auch im politischen Handlungsfeld. Für bürgerliche Frauen war Armenpflege beispielsweise ein (sozial)politisches Handlungsfeld, in dem sie sich positiv erleben konnten. Für Unterschichtsfrauen bedeutete Abhängigkeit von 9 der Armenpflege der Verlust der weiblichen Ehre. Unterschichtsfrauen waren bei den Feierlichkeiten für die Revolution nicht anwesend. Diese partizipierten beispielsweise an Katzenmusiken für verhasste Leute (Ausbeuter in Fabriken, Miet- und Preiswucher, usw.). Nur bürgerliche Frauen waren bei den politischen Versammlungen präsent und besuchten sie mit leidenschaftlichem Eifer. Unterschichtsfrauen hatten andere Sorgen, als politische Diskussionen mitzuverfolgen. Bereiche, in denen sich die ständischen Muster überschnitten, waren etwa die Partizipation an der Revolution. Sowohl Bürgerinnen als auch Arbeiterinnen engagierten sich während den revolutionären Wirren in der Beschaffung von Verbandszeug und Kleider, Geld für Munition und Waffen. Sie steigerten sich von der Beteiligung am Barrikadenbau Herstellung von Munition 11 10 (z.B. in Wien), über die Bewaffnung und die (z.B. in Heilbronn) bis zur Teilnahme an den Kämpfen gegen demokratiefeindliches Militär. 12 Auch in der Versorgung der Barrikaden- kämpferInnen und Pflege der Verwundeten taten sie sich hervor. Aber auch Differenzen zwischen dem revolutionären Wien und dem konservativen Tirol zeigen sich auch in den Medien: Während sich in Wien viele Bürgerliche an der Revolution beteiligten, hielten die meisten TirolerInnen an der Alten Ordnung fest. Ein konservatives Engagement in Wohltätigkeitsvereinen zur Disziplinierung armer Frauen charakterisierte viele Tiroler Ober- und Mittelschichtsfrauen. 9 vgl. Bock, Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte, a.o.O., S. 370. vgl. Gabriella Hauch, Frau Biedermeier auf den Barrikaden, a.o.O, S. 102f.; vgl. auch Adolf Pichler, Aus den März- und Oktobertagen zu Wien 1848, Innsbruck 1850, S. 24-41. 11 vgl. Gertrud Schubert, Passiver Widerstand – „Verführung zum Treuebruch". Die Heilbronnerinnen während der Besetzung ihrer Stadt 1848/49; in: Carola Lipp, Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen, a.o.O., S. 144-158. 12 vgl. Hauch, Frau Biedermeier, a.o.O.; vgl. auch Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O.; vgl. auch Hummel-Haasis, Schwestern, a.o.O. 10 9 Bei Forderungen der ArbeiterInnen fokussierten die Tiroler Printmedien fast ausschließlich die Wiener Welt. In ihrer Existenz bedroht kämpften sie während der Märzrevolution in Wien gegen die neu entwickelten, Arbeitsplatz raubenden Maschinen, die ausbeutenden Fabriksherren und Steuereintreiber. Wie vehement Arbeiterinnen dabei ihre Ziele verfolgten, zeigte sich in vielen Zeitungsausschnitten: So entriss eine Arbeiterin einem Soldaten das Schwert und forderte ihn auf, sich mit den Studenten zu solidarisieren. Als das Ministerium für öffentliche Arbeiten den Erdarbeiterinnen 5 Kreuzer vom Tageslohn abzog, folgte am 21. August 1848 die erste Arbeiterinnendemonstration in der österreichischen Geschichte. In Tirol folgten ebenso soziale Proteste einiger ArbeiterInnen, die durch die mechanischen Webstühle ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden. Zänkereien am Markt wegen der überteuerten Kartoffelpreise zeugen ebenso von sozialen Spannungen. Der Großteil der Zitate aber berichtete hauptsächlich von adligen Frauen, ihren Aktivitäten, Wohltätigkeiten und ihrer Flucht aus den bedrohten Gebieten. Am wenigsten Spuren hinterließ die bäuerliche Bevölkerung, obwohl diese prozentuell gesehen den größten Bevölkerungsanteil ausmachte. Die Arbeit ist ein Versuch, die kulturellen Definitionen des Weiblichen zu interpretieren. Sie ist keine Beteuerung darüber, dass Frauen unterdrückt waren und es auch nach der Revolution blieben. Frauen werden in ihren politischen, alltäglichen, kulturellen, sozialen und religiösen Beziehungen gezeigt. Der politische Katholizismus des „Heiligen Landes Tirol“, der Tirol zu einer katholischen Einheit formiert hatte, war entscheidend für das konservative Verhalten vieler TirolerInnen und greift auch heute noch tief in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein. Nur so wird die konservativ-traditionelle Stellung und Rolle der Frauen im heutigen Tirol verständlich. Auch heute noch sind Tirol und Vorarlberg christlich-konservative Hochburgen, die an einem traditionellen Frauenbild festhalten und die aktuelle Frauenpolitik eng mit Familienpolitik verbinden. 10 Bild: Die Errungenschaften der Wiener Märzrevolution: 13. März: Zusammenbruch des Metternichschen Systems; 14. März: Aufhebung der Zensur und Einführung der Pressefreiheit; 15. März: Kaiserliches Verfassungsversprechen. Lithographie von Friedrich Berndt 1848; aus: Josef Fontana, Von der Restauration bis zur Revolution (1814-1848); in: Josef Fontana u.a. (Hg.), Geschichte des Landes Tirol. Bd. II, Bozen/Innsbruck/Wien 1986, S. 694. 11 2. Geschichtlicher Umriss 2.1. Tirol vor 1848 Folgende Karte zeigt Tirol von 1815 bis 1918: Bild aus: Josef Fontana (Hg.), Geschichte des Landes Tirol. Die Zeit von 1848 bis 1970, Bd. III, Bozen/Innsbruck/Wien 1986, Vorsatz. 12 Die Tiroler (Nord-, Ost- und Südtirol sowie das Trentino) wie die Vorarlberger Gebiete wurden in den Napoleonischen Kriegen vom Habsburgerreich losgelöst und 1805 Bayern einverleibt. Das bayrische Königreich strebte einen zentralen modernen Einheitsstaat an. Die Eingliederung Tirols konnte deshalb nicht ohne grundlegende Reformen erfolgen: 13 Diese betrafen hauptsächlich das Gerichts-, Schul- und Verwaltungswesen. In Tirol regierte man mit großer Verbitterung. Lediglich ein Teil des Bürgertums in den Städten Innsbruck, Trient, Rovereto und Bozen zeigte eine positive Haltung. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnte die Reformen ab. Denn es folgte gleich eine Erhöhung der Steuern, die die Wirtschaft stocken ließ. Und ganz im Sinne des aufgeklärten Absolutismus fühlten sich die staatlichen Behörden auch berechtigt, den religiösen Bereich zu reglementieren. 14 Feiertage wurden abgeschafft, Prozessionen und Bittgänge verboten, religiöse Bräuche aufgehoben, usw. Ein regelrechter „Kirchenkampf“ wurde ausgelöst, dreißig Priester verließen das Land. Die sieben größten Klöster des Landes und andere geistliche Vereinigungen wurden aufgehoben, die Stiftsgüter konfisziert. Mit der Ausrufung der Verfassung des bayrischen Königreiches im Jahre 1808 verschwand die alte landständische Verfassung Tirols. 15 Der Widerstand gegen die Bayern wuchs: Die Abschaffung vieler Bräuche und Sitten, der landständischen Verfassung, die Erhöhung der Steuern konnten und wollten viele TirolerInnen nicht akzeptieren. 16 Was folgte, waren reaktionäre Aufstände unter Andreas Hofer im Jahre 1809. Als im Wiener Kongress (1815) Tirol und Vorarlberg als einheitliche Provinz dem österreichischen Kaiserreich zugesprochen wurden, änderte sich nicht viel. Zu den bereits bestehenden hohen Steuern folgten Umlagen für den „Errettungskrieg“, Verzehrungssteuer, erhöhte Salzpreise, Monopole, Zensur und die verhasste zentralistische Beamtenschaft. Einzig und allein im Feld der Kirche konnten die TirolerInnen ihre Forderungen durchsetzen. 13 17 Religiöse Bräuche und Sitten lebten vgl. Michael Forcher, Tirols Geschichte in Wort und Bild, Innsbruck 1984, S. 123. ebda, S. 124. 15 ebda, S. 125. 16 zit. nach Christian Kaiser, Tirol vor und nach dem 13. März, München Juli 1848, S. 8. 17 vgl. Fontana, Geschichte des Landes Tirol, a.o.O., S. 620ff. 14 13 wieder auf, Klöster genossen erneut Ansehen. Der Großteil der TirolerInnen konnte durch Zugeständnisse im heiligen Feld der Kirche besänftigt werden. Das absolutistische Wien aber taktierte geschickt mit diesem Schachzug: die Sorge für das Himmelreich ließ alles Irdische vergessen. 18 Von dieser Strategie profitierten selbstverständlich die Geistlichen Tirols, aber auch die ultramontanen Machthaber. Ihre im Katholizismus und Konservativismus begründete Macht schien gesichert. Für den weiteren Verlauf der Tiroler Geschichte spielte dies eine wesentliche Rolle und prägte bis heute die politische Richtung Tirols. Menschen anderer Konfessionen erfuhren oft Diskriminierungen – im schlimmsten Falle wurden sie verjagt. Die Vertreibung der Zillertaler ProtestantInnen (1837) ist eines jener makabren Resultate der damaligen Politik und konservativen Stimmungsmache. Durch die politische Legitimation solcher Anfeindungen hatte sich in Tirol bald ein einheitlicher politischer Konservatismus mit einer großen ländlichen Gefolgschaft formiert. Nicht nur Andersgläubige wurden diskriminiert oder davongejagt, auch liberale 19 Geister wurden an die Wand gedrückt. Denn „wo ist der Mann, der heute und jetzt in Tirol sagen kann, ich bin frei und unabhängig dieser Partei gegenüber? Den Familienvater lenken sie, weil seine Kinder in der Schule ihnen heimgegeben sind, (...) den Gewerbetreibenden hemmen oder fördern sie in der Arbeit und im Fortkommen, Arzt und Rechtsgelehrter hängt von ihrer Empfehlung ab, den Beamten lobt oder tadelt der heimliche Bericht, den sie seiner Oberbehörde zustellen. In jeder Angelegenheit hört man die Stimme zuerst, sie bestimmt die Meinung der nach ihr Kommenden. In Stadt und Dorf ist so die Leitung des Gemeindewesens dem Klerus verfallen. Er hat die Polizei an sich gebracht und übt sie – direkt. Nicht der Behörde überläßt er's, sein Gesetz geltend zu machen, er selbst befiehlt und 20 straft." 18 vgl. Kaiser, Tirol, a.o.O., S. 9. vgl. Hans Heiss und Thomas Götz, Am Rand der Revolution, a.o.O., S. S. 30f. 20 zit. nach Kaiser, Tirol, a.o.O., S. 13. 19 14 Die öffentliche Meinung wurde aber auch durch die „Katholischen Blätter“ beeinflusst. 21 Unentwegt hetzten sie gegen liberale Kreise , indem „neben ihnen noch eine Partei bestehe, gering an Zahl, ohne Stütze, – aber klar in ihrer Ansicht, (...) auch den Handschuh geweihter Hände aufzuheben. Diese 22 Partei verwarf unumwunden ihr gottseliges System, (...)." Darum galt den Liberalen „der tödtliche Haß, der blindwüthende Kampf mit diesen Andersdenkenden. Sie hießen alsbald die Liberalen, (...), und pflichtgetreu verrieth man sie der Polizei als angehende Hochverräther, verfolgte sie mit 23 liebevoller Tücke und sehnte sich nach dem Augenblicke ihrer Vernichtung." Auch Reiseberichte gaben die damalige Stimmung in Tirol gut wieder. Der Reiseschriftsteller Josef K. Mayrhofer sah Brixen als eine erzkatholisch-reaktionäre Stadt mit einer unzeitgemäßen Lebensweise. „Einwohner. Von wegen ihrer Frömmigkeit belobt. – 3357 –. Theilen Tag und Nacht zwischen Kirchenbesuch und stiller Arbeit (...). Haften gerne an ehrwürdig Bestehendem (...). Tägliches Brod. Kleines ruhiges Geschäft, wohlgemischte Waarenhandlungen, Landwirthschaft, Obstverkauf, Köstenbrennen. – Das profane Reich der Schlotte liebt man nicht. – Die Industrie durch Kuttenfabrik für Kapuziner vertreten (...). Zeitung erscheint im Kreise keine, es thut's auch so, 24 man hört vom Neuen nie das gute Alte." Der Orientalist Jakob Philipp Fallmerayer bezeichnete Brixen als eine „Akropolis stupidesten Stillstands" 25 und in einem Aufsatz „Von der Eisack" griff er das rückständige Geistesleben in Tirol an: „Schmollende Abgeschlossenheit und hartnäckiges Insichverharren inmitten des europäischen Geisterschwindels ist unser Element (...). Es ist die Kirche, die 26 bewußt jeden Fortschritt aufhält." 21 Der Liberalismus war damals noch keine politische Bewegung, schon gar nicht eine Partei. Es war mehr eine Geisteshaltung von einer Minderheit, nämlich der städtischen Intelligenz, einem Teil des Bürgertums, vielen Studenten und Beamten. Es ging ihnen v. a. um die volle und persönliche Freiheit jedes Menschen und um eine demokratische Staatsverfassung als Notwendigkeit gegen die Willkür der Herrschenden. 22 zit. nach Kaiser, Tirol, a.o.O., S. 16. 23 zit. nach ebda, S. 16. 24 zit. nach Josef K. Mayrhofer; in: Hans Heiss und Hermann Gummerer, Brixen 1867-1882. Die Aufzeichnungen des Färbermeisters Franz Schwaighofer, Wien/ Bozen 1994, S. 317. 25 zit. nach Eugen Thurnher, Jacob Philipp Fallmerayers Krisenjahre 1846 bis 1854. Auf Grund der Briefe an Joseph und Anna Streiter in Bozen, Wien 1987, S. 48. 26 ebda, S. 13. 15 2.2. Die Nachricht über die Wiener Ereignisse im März 1848 Am 17. März 1848 trafen die ersten Nachrichten über die Wiener Ereignisse und den Sturz Metternichs ein. Die Verkündigung der kaiserlichen Proklamation (19. März) mit Presse-, Vereins- und Religionsfreiheit, Verfassung, Volksbewaffnung und Versammlung der Provinzialstände in Innsbruck löste in den liberaleren Städten ungeheure Euphorie aus. Diese positive Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In Innsbruck, Bozen, Brixen, Bruneck und Hall folgten positive Stellungnahmen, Danksagungen an den Kaiser, die Melodie der Volkshymne ertönte in allen Gassen, tirolerische und schwarz-rot-goldene Fahnen wurden geschwenkt, Feuerwerke Böllerschüsse, Musik, Glockengeläute und Vivatrufe erschallten. entzündet, 27 Auch in Trient formierten sich schnell Kundgebungen und soziale Proteste, an denen alle Bevölkerungsschichten teilnahmen. Die bürgerliche Oberschicht und der Magistrat forderten die Trennung von Tirol und den Anschluss an LombardoVenetien. Als wesentliche Forderungen der bäuerlichen Bevölkerung und der unteren Schichten galten: die Ermäßigung des Salzpreises, die Abschaffung des Tabakmonopols, die Aufhebung der Akzise, die Neuregelung des Stempelgesetzes, die Abschaffung der Zollschranken gegen die Bayern, die Organisation des Gemeinde- und Armenwesens. Finanzverwaltung, der Verzehrungssteuergebäude. 28 Der kollektive Hass galt der Kaserne der Tabakfabrik, 29 Kontrollposten und dem Ihr Protest wirkte sich aber auch in der Verweigerung der Abgabenpflicht, im Holzdiebstahl und Wilderei aus. Soziale Proteste sollten auch in Innsbruck, v. a. im Armenviertel St. Nikolaus, stattgefunden haben. 30 Davon abgesehen blieb es in Tirol ruhig. Der mehrheitlich konservative Teil der deutschsprachigen Bevölkerung und die ultramontanen Politiker konnten sich über die Neuerungen aber nicht freuen. In den 27 vgl. Oswald von Gschließer, Das Jahr 1848 in den österreichischen Alpenländern; in: Alpenbote 1948, Innsbruck 1948; vgl. auch Roman Bacher, Der Tiroler Provinziallandtag von 1848 im Rahmen der allgemeinen österreichischen Verfassungsentwicklung, Dissertation, Innsbruck 1989, S. 23-25; vgl. Josef Fontana, Von der Restauration zur Revolution (1814-1848), a.o.O., S. 698. 28 vgl. Heiss, Das „Sturmjahr“, a.o.O., S. 240. 29 vgl. Heiss/Götz, Am Rande der Revolution, a.o.O., S. 56f. 16 bürgerlichen Rechten sahen die Machthaber eine große Gefahr. Sie reagierten mit 31 Vehemenz dagegen, denn sie fürchteten v. a. den Verlust ihrer Macht. Am 25. April 1848 wurde die Konstitution, die Pillersdorfsche Verfassung (benannt nach dem Innenminister Freiherr von Pillersdorf), veröffentlicht. Pressefreiheit, Verfassung, Volksbewaffnung, Glaubensfreiheit waren also gewährleistet. Doch die Freude der VerfassungsbefürworterInnen währte nicht lange. Diese „oktroyierte“ Verfassung war kein Resultat parlamentarischer Beratung, sondern ein Produkt der Exekutive, so die kritischen GegnerInnen. Als zentraler Kritikpunkt wurde das Vetorecht des aus Großgrundbesitzern bestehenden Senats angesehen. Am 15. Mai kam es deshalb erneut zu blutigen Aufständen in Wien. Die Studenten forderten in der so genannten „Sturmpetition“ eine Nationalversammlung und das allgemeine Wahlrecht. Zwei Tage später floh der kaiserliche Hof ins sichere Innsbruck. Anders als in Wien ernteten in Tirol die Paragraphen 17 und 31 der Aprilverfassung heftigste Kritik. Diese billigten nämlich allen StaatsbürgerInnen Glaubens- und Gewissensfreiheit zu. Als Reaktion gegen diese wurde in Tirol eine „Riesenpetition“ 32 initiiert. Was änderte sich aber nun konkret in Tirol? 30 vgl. Heiss, Das „Sturmjahr“, a.o.O., S. 239. Die bayrische Herrschaft Bayerns hatte die TirolerInnen geprägt. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit den reformfreudigen Bayern verwehrte die Mehrheit der Bevölkerung vierzig Jahre später – also 1848 – jegliche Neuerungen, die mit der Revolution eingefordert wurden. Viele hatten die bayrische Fremdherrschaft miterlebt oder hatten es von ihren Eltern und Großeltern erzählt bekommen. Eine Gegenreaktion im Jahr 1848 schien also eine logische Konsequenz von 1805-1815 zu sein. 32 vgl. Bacher, Der Tiroler Provinziallandtag, a.o.O., S. 118. 31 17 2.3. Politische Veränderungen in Tirol 2.3.1. Volksbewaffnung Das Recht zur Volksbewaffnung war in Tirol kein Thema. Seit über 300 Jahren („Tiroler Landlibell“ von 1511) führten die Tiroler eine eigene „Volksarmee“ mit dem Recht zur Landesselbstverteidigung – mit Ausnahme einer kurzzeitigen Aufhebung im Vormärz. Der aufstrebende Nationalismus- und Nationalstaatsgedanke in Italien beeinflusste auch den italienischsprachigen Teil Tirols. Dieser forcierte nun die Loslösung vom Hause Habsburg. Auch in anderen oberitalienischen Gebieten wurde die Abneigung gegenüber Habsburg immer größer. In einigen Städten (Mailand, Venedig) eskalierte der Hass. Ausschreitungen waren die Folge. Österreichische Truppen unter Ra- detzky sollten die Aufständischen niederschlagen. In den Märztagen informierte man sich in Tirol nicht über die Wiener Ereignisse, sondern wie es Radetzky in Mailand erginge. Als am 23. März schlechte Nachrichten von Mailand eintrafen, stellten die Studenten Freiwilligen-Kompanien auf. Doch der verstärkte Ruf nach einer Einigung Italiens ließ italienische Freischärler auch ins südliche Tirol eindringen. Bild: Radetzkys Einzug in Mailand; aus: Emil Niederhauser, 1848. Sturm im Habsburgerreich, Wien 1990. Zur Verteidigung des Vaterlandes und zur Verhinderung eines Vormarsches der Freischärler ins „Trentino“, 33 wie sich nun ab April 1848 der italienische Teil Tirols zum Zeichen einer eigenständigen Region bezeichnete, rief am 13. April Erzherzog Johann die Tiroler zu den Waffen. Insgesamt zogen 16.000 Männer aus Vorarlberg und dem deutschsprachigen Teil Tirols an die Südgrenze des Landes. 33 vgl. Heiss, Das „Sturmjahr“, a.o.O., S. 242. 34 18 2.3.2. Vereine Die Märzereignisse sowie die Wahlen der Frankfurter Parlamentsabgeordneten weckten ein reges Politikinteresse. In der Folge wurden einige politische Vereine und Zeitungen gegründet. Ende April gründete sich der „Katholisch-konstitutionelle Verein für Tirol und Vorarlberg" (Konservative zur Verteidigung kirchlicher Interessen), etwas später der „monarchisch-konstitutionelle Verein" (gemäßigte Liberale und regierungstreue Beamtenschaft) und der „Verein für parlamentarische Bildung" (demokratische und deutschnationale Richtung). 35 2.3.3. Zeitungen 2.3.3.1. Volksblatt für Tirol und Vorarlberg Analog zu den gegründeten Vereinen erschienen erstmals neue Zeitungen. Am 1. Mai 1848 kam die erste Ausgabe des „Volksblattes für Tirol und Vorarlberg“ in Innsbruck heraus, die bis 1863 erschien. Neben dieser wurde im Juli das „Tiroler Wochenblatt" in Bozen gegründet. Beide lagen in den Händen von Konservativen, meist Geistlichen. Als Sprachrohr des „Katholisch-konstitutionellen Vereines für Tirol und Vorarlberg“ wahrten sie v. Aufrechterhaltung der alten Ordnung. a. die katholischen Interessen und die 36 2.3.3.2. Innsbrucker Zeitung Die liberale „Innsbrucker Zeitung“ erschien zum ersten Mal am 2. Juni 1848 in Innsbruck. Als Sprachrohr des demokratischen und deutschnationalen „Vereines für parlamentarische Bildung“ vertrat sie stark antiklerikale Anschauungen, fungierte als Opposition zur katholischen Presse. Sie wurde aufgrund der 1849 einsetzenden Restauration bald wieder eingestellt. Die Konservativen oder Ultramontanen wandten sich entschieden gegen diese 37 Zeitung. So wurde sogar häufig von der Kanzel gewarnt, diese Zeitung zu lesen. 34 vgl. Bacher, Tiroler Provinziallandtag, a.o.O., S. 120. vgl. Fontana, Restauration, a.o.O., S. 709. 36 Dr. Johann Kerer, Dr. Alois Flir, Dekan Johann Amberg, Dr. Johann Haßlwanter, Franz Graf Aberti und Pater Albert Jäger (Hg.), Volksblatt für Tirol und Vorarlberg, Innsbruck, Nr. 1, 1. Mai 1848, S. 1. 37 Josef Ennemoser (Hg.), Innsbrucker Zeitung, Nr. 57, 8. September 1848, S. 251. 35 19 2.3.3.3. K.K. Priv. Bothe für Tirol und Vorarlberg Der „K.K. Priv. Bothe von und für Tirol und Vorarlberg“, einst „Der Bothe für Tyrol“ genannt, erschien von 1813-1814 und 1817-1940. Er war das öffentliche Organ des „Monarchisch-konstitutionellen Vereines“, der gemäßigten Liberalen und der regierungstreuen Beamtenschaft. 2.3.3.4. Tiroler Schützenzeitung Die „Tiroler Schützenzeitung. Für alle Schützen Freunde insbes. die Schützen Tirols und Vorarlbergs“ erschien 1846 in Innsbruck und blieb bis 1872 bestehen. Der Tiroler Schützenverein und seine Zeitung sind nach wie vor institutionalisierte Männerräume, in denen Frauen marginale Rollen spielten. 2.3.3.5. Il messaggiere tirolese „Il messaggiere tirolese“ aus Rovereto von 1831 bis 1850 fungierte als offizielles Blatt der italienischsprachigen Bevölkerung Tirols. Ab März 1848 schlug sie unter der 38 Redaktion des Abtes Giovanni a Prato eine liberale Richtung ein. Die Konservativen in Trentino schienen nicht organisiert gewesen zu sein. Analysen der einzelnen Zeitungen ergaben wesentliche Unterschiede in der Darstellung: Das „Volksblatt für Tirol und Vorarlberg“ sowie der „K.K. Priv. Bothe“ vermittelten „typische Rollenbilder“. In der „Innsbrucker Zeitung“ schienen Frauen am häufigsten auf. „Die Schützenzeitung“ ließ erwartungsgemäß die Tugendhaftigkeit der Männer hochpreisen und reproduzierte so wiederum „klassische" Geschlechterbilder. Warum Frauen bis jetzt noch nie erwähnt wurden? Die männlich dominierte Sekundärliteratur ließ Frauen kaum erscheinen. Erst die Suche nach Frauen in den Quellen ließ sie sichtbar werden. Die folgenden Einblicke geben Aufschlüsse, wie Frauen um 1848 gesehen und sozialisiert wurden, wie das alte „Ideal der Weiblichkeit" kreiert und verfestigt wurde. 38 vgl. Fontana, Restauration, a.o.O., S. 709f. 20 3. Bevölkerung Im Jahre 1837 lebten in Tirol und Vorarlberg 817.132 EinwohnerInnen: 39 Diagramm 1: Bevölkerung in Prozenten 24 22 Prozente 20 22,8 18 16 14 15,8 12 12 10 Vorarlberg 12,2 11,3 Oberinntal Unterinntal Pustertal 13 An der Etsch 12,9 Trient Rovereto Die meisten Menschen lebten im Kreis Trient, gefolgt vom Unterinntal. Erklärbar war dies durch die zwei größten Städte dieser Bezirke (Innsbruck und Trient). Weitere Gründe waren die günstigeren Nord-Süd-Verbindungen, die besseren Infrastrukturen und im Süden die bessere landwirtschaftliche Nutzung bedingt durch das mildere Klima. 3.1. EinwohnerInnen nach Kreisen 40 D ia g ra m m 2 : E in w o h n e rIn n e n in P ro ze n te 54 53 Prozente 52,3 52 ,1 52 52,6 5 1,6 5 1,2 51 50 ,6 50 49 4 9,4 48,8 47,9 48 4 7,7 48,4 51,1 48 ,9 47,4 47 46 V orarlb erg 39 O b erinn tal U nterin ntal P us tertal A n d er E ts c h T rient m ä n n lich R ov ere to w e ib lich vgl. Johann J. Staffler, Tirol und Vorarlberg, statistisch und topographisch, mit geschichtlichen Bemerkungen, Innsbruck 1839, S. 132. 40 ebda. 21 Es fällt auf, dass – mit Ausnahme von Trient und Rovereto – mehr Frauen als 41 Männer lebten. Dass es weniger Männer gab, begründete Staffler gefährlichen Beschäftigung der Männer im gebirgigen Tirol. in der 42 3.2. Einteilung der Stände Staffler lieferte uns weitere interessante Hinweise über die Stände in Tirol und Vorarlberg: 43 Diagramm 3: Stände in Prozenten Beamte 0,29 Geistliche 0,36 Adlige 0,41 Bürger; Gewerbsleute Tagelöhner; Dienstboten Bauern 4,32 18 19,42 Übrige Bevölkerung 57,2 3.3. Das Bild der Frauen in demographischen Quellen und Erläuterungen Auf dem ersten Blick scheint das Diagramm 3 eine dazumal übliche hierarchische Pyramide darzustellen. Somit ist es auch nichts Außergewöhnliches. Aufschlussreich ist die zu den Daten dazugehörende Erläuterung von Staffler: 41 44 Staffler Johann J. wurde am 8.12.1783 geboren und starb am 6. 12.1868. Er war Landrichter in Passeier, Ried im Oberinntal und Sonnenburg-Wiltau. Seit 1825 arbeitete er über 18 Jahre lang als Gubernialsekretär in Innsbruck, 1843-1847 als Gubernialrat und Kreishauptmann für das Pustertal, vgl. Roman Bacher, Der Tiroler Provinziallandtag, a.o.O., S. 273. 42 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 135. 43 ebda, S. 133. 44 ebda, S. 136. 22 Jeder fünfte Mann war Familienvater bedingt durch die besondere Stellung des Tiroler Bauernstandes. 45 Die Erwähnung des Familienvaters implizierte gleichzeitig seine Stellung als Oberhaupt der Familie. Frauen als Mütter wurden nicht erwähnt. Bauern machten einen Großteil der Bevölkerung aus (ca. jeder Fünfte). Ein Geistlicher kam auf 279 EinwohnerInnen, ein Adliger auf 246, ein Beamter auf 347 46 und ein Bürger auf 23. • In die Kategorie „Übrige Bevölkerung“ fielen • alle Kinder, • alle Arbeitslosen, • alle Personen, die mehrere Tätigkeiten ausübten und alle Frauen mit Ausnahme der Dienstbotinnen, -mägde und 47 Gewerbetreibenden. Diese Definition verdeutlichte besonders die Rolle und Position der Frauen in der Mitte des letzten Jahrhunderts: sie wurden mit Kindern, Arbeitslosen und mehrfach Erwerbstätigen in eine Spalte zusammengefasst. Ausnahmen waren Dienstbotinnen, -mägde und Gewerbetreibende. Die restlichen Frauen erschienen weder als Mütter noch als Geistliche, Adlige, Bürgerinnen, Bäuerinnen, Arbeiterinnen. Diese Tatsache charakterisierte eine untergeordnete Rolle 48 der Frauen als Mütter, Ehe- und Hausfrauen, und zeigte sie als unselbständige, der Vormundschaft des Mannes oder Vaters unterworfene Personen. Doch seit wann gab es diese Rollenzuschreibung? Warum und wie hat sich diese „bürgerliche“ Frauenrolle konsolidiert? Wurde sie von Frauen widerstandslos angenommen? Die neue Rollenzuschreibung verlief nicht widerstandslos. Dies konnte wiederholt zwischen den Zeilen gelesen werden. Die ständige Betonung der bürgerlichen 45 Die Tiroler Bauern waren seit dem Landlibell 1511 freie Bauern. vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 136. 47 ebda. 48 Definition von Rolle: „Unter Rolle versteht Haarbusch in Anlehnung an Parin das gesellschaftlich gewünschte und geforderte Verhalten, das in einem ‚ideologischen Kontext vordefiniert ist', da dies erst den Prozess der ‚Identifikation mit der Rolle' möglich macht." zit. nach Elke Haarbusch, Der Zauberstab der Macht: „Frau bleiben." Strategien 46 23 Frauenrolle in der Presse, die gesetzliche Fixierung bewiesen deutlich, dass Frauen sich außerhalb dieser Rolle bewegten. 49 Die Quellen gaben öffentlich Zurechtweisungen und Sanktionen an Frauen preis. Um aber den Widerstand zu brechen, mussten sie ihre Rollen verinnerlichen. Durch ständige Sozialisation internalisierten sie das neue Frauenbild. Sie konnten nicht mehr unterscheiden, was von Innen kam oder was durch Fremdeinflüsse hervorgerufen worden war. Sämtliche Handlungsspielräume außerhalb ihrer Rolle wurden solange verhindert, bis die Frauen diese als Wahlmöglichkeiten aus ihrem Bewusstsein verdrängt hatten. Sie 50 kamen zum Schluss, dass dies immer so war. 4. Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes 4.1. Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes durch männliche Kontroll- und Machtinstanzen Eine Implementierung einer bestimmten Rolle erfolgte nicht von heute auf morgen und auch nicht durch monokausale Erklärungen. Dies geschah auf verschiedenen 51 zeitgleichen Ebenen: • durch die zunehmende Industrialisierung wurde Arbeitsteilung notwendig. Arbeitsteilung heißt Trennung in einen privaten und öffentlichen Bereich. Dem Mann wurde aufgrund seiner „natürlichen Eigenschaften“ der öffentliche Bereich zugesprochen, die Frau für die Privatheit bestimmt; • durch die Philosophie der Aufklärung wurde ein biologistisches Frauenbild geschaffen. Die auf der Grundlage der Naturrechtsphilosophie entstandene Kreation der polaren Geschlechter setzt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch; • durch die Festsetzung der Geschlechterrollen im Gesetz, in der Medizin, in der Wissenschaft, Psychologie, Pädagogik; zur Verschleierung von Männerherrschaft und Geschlechterkampf im 19. Jahrhundert; in: Helga Grubitsch u.a. (Hg.), Grenzgängerinnen, Düsseldorf 1985, S. 225. 49 ebda, S. 223. 50 ebda, S. 225. 51 ebda. 24 • die Kirche postuliert das Bild einer asexuellen, frommen, trieblosen und jungfräulichen Frau. Sexuelle Praktiken wurden sanktioniert. Es sei denn zum Zwecke der Fortpflanzung. Der Frau wurde ihre Sexualität abgesprochen; • die Mode entsprach dem bürgerlichen Frauenbild; • eine neue Welt der Gefühle wurde geschaffen und das Trieb- und Affektleben reguliert. Die Frau sollte verzichten, dulden, ertragen und lieben; • geschlechterspezifische Erziehung wurde wichtig. Bürgerliche Mädchen lernten schon von Kindesbeinen an die Verhaltensmuster einer bestimmten Rolle. Den „typisch weiblichen Eigenschaften“ folgten „typisch weibliche Arbeiten“ wie Handarbeiten, Sticken, Nähen. 4.2. Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes durch die Philosophie Philosophen galten als Beispiel, was zu ihrer Zeit gedacht und wie gelebt wurde. Sie spiegelten also einerseits Menschen jener Zeit wider, andererseits prägten sie mit ihren Äußerungen das politische Handeln weit über ihre Zeit hinaus. Die Philosophen der Aufklärung legten die Basis bürgerlicher Ideologien fest, die sich bis heute in vielen Bereichen manifestiert haben. Auch der Zeitgeist stand gemäß der Philosophie der Aufklärung auf die Betonung der freien Individuen und Vernunftwesen. Jeder Mensch war frei und formal gleich, unabhängig von der sozialen Herkunft, Besitz, Rasse und Geschlecht. Die Idee der Gleichheit bedeutete, jeder Mensch könne einen bestimmten Status und 52 ökonomische Selbständigkeit erreichen, wenn er fleißig und arbeitsam ist. Zur Gewährleistung der individuellen Freiheit bedurfte es politischer Reglements und Normierungen. Rechte und Pflichten eines vollberechtigten Bürgers waren aber immer an die Position des Hausvaters gekoppelt. Doch Gesellen, Dienstboten, Hauslehrer und Frauen konnten keine Hausväter werden. Als Konsequenz konnten sie auch nicht an den bürgerlichen Rechten und Pflichten teilhaben. Zum politischen Bürger gehörte also nicht nur das soziale Merkmal ökonomischer Selbständigkeit, sondern auch eine „natürliche Qualität". 52 vgl. Ute Frevert (Hg.), Bürgerinnen und Bürger. Bürgerliche Meisterdenker und das Geschlechterverhältnis. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert; in: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 77, Göttingen 1988, S. 20. 25 Die bürgerlichen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit setzten sich immer mehr durch. 53 Parallel zu den revolutionären Kämpfen um bürgerliche Freiheiten begann man eine Frauenrolle zu kreieren, die die männliche Herrschaft sichern sollte. Es sollte das Bild der braven Hausfrauen, guten Gattinnen und tugendhaften Mütter 54 sein. Die passenden Argumente fand man in der „Natur der Frau". Diese „Natur" bestimmte fortan die geschlechtsspezifischen Lebensaufgaben und Geschlechterrollen. Rousseaus Definition der Frau als „Komplementärwesen“ des Mannes begründete er durch ihre körperliche und geistige Unterlegenheit. 55 Auch in den Tiroler Printmedien von 1848 ließen sich vermehrt solche Bilder entdecken: „Das Gesetz des Lebens, wodurch der Mensch an Gott, das Geschöpf an seinen Schöpfer gefesselt wird, ist das Grundgesetz der Welt. Durch dieses Gesetz ist das Weib an den Mann, sind die Kinder an die Eltern, ist der Knecht an den 56 Herrn, (...), jeder von dem Andern Beschützte an seinen Beschützer gefesselt.“ 4.3. Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes durch eine neue Aufgabenteilung Die neue Industriegesellschaft konnte nur mit Arbeitsteilung effizient funktionieren. Dem Mann wurde der außerhäusliche Bereich zugesprochen, der Frau der häusliche. Dieses Konstrukt machte nun Frauen alleine für das emotionale Binnenklima der 57 Familie und den Haushalt verantwortlich: „Gedicht: So Manches bricht und reißt entzwei, Eilt nicht das Weibchen schnell herbei, Den Schaden zuzuflicken. Meine Frau just strickte. 58 Der Strumpf ist fertig und probiert.“ 53 vgl. Haarbusch, Zauberstab, a.o.O., S. 220. ebda, S. 219. 55 zit. nach Allgemeine Deutsche Realenzyklopädie für die gebildeten Stände. Conversationslexikon. Bd. 6, Leipzig 1865, S. 554. 56 Tiroler Wochenblatt, Nr. 26, 27.September 1848, S. 89. 57 Familie ist keine „Welt für sich", sondern ein sozialer Mikrokosmos, in dem sich die gesellschaftlichen Verhältnisse der jeweiligen Zeit widerspiegeln und die in den Familien lebenden Menschen gemäß der Gesellschaftsstruktur sozialisiert werden, vgl. Reinhard Sieder, Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt am Main 1987, S. 11. 58 Schützenzeitung, Nr. 1, 6. Jänner 1848, S. 4. 54 26 Auch die religiöse und sittliche Erziehung der Kinder wurden ihnen anvertraut: „Ein anderes Übel ist der Mangel an der guten Erziehung. Sonst lehrte die besorgliche Mutter das Kind beten, und den Eigensinn brechen war ein Hauptgrundsatz der Erziehung. Nun aber wird das Gebet im Kreise der Familie seltener, und den Eigensinn brechen, heißt Eingriff in die natürliche 59 Entwicklung.“ „Ein Brief an alle, die ihn lesen wollen. Vielleicht bist du ein Vater oder Mutter, der oder die du das gerade liest, und hast Kinderlein, eins oder zwei oder mehrere. Wenn du sie lieb hast, so lehre sie Gott fürchten und lieben. Elternwort bleibt immerfort. Gibst du den Vaterlande gute Kinder, so ist das mehr, als wenn du das Salzbergwerk in Hall aufgefunden und 60 ihm geschenkt hättest.“ Der Mann wurde durch den Beruf, die zunehmende bürgerliche Vereinskultur und politische Partizipation immer mehr ins öffentliche Leben verflochten. 61 Damit ging eine Aufgabenteilung, eine Spezialisierung und Differenzierung sozialer Aktivitäten 62 einher. Macht und Einfluss des Mannes stiegen, während die der Frau sanken. Mit diesen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wandelten auch die Menschen. Dieser Wandel prägte Gefühle, Körper, Denken und Verhalten der Gesellschaft, aller Schichten, der Männer und Frauen. 63 Die Journalisten konstatierten immer wieder diese Änderung in der Gesellschaftsstruktur. Konservative warnten vor Genusssucht und dem Verfall der ethischen Werte in der Gesellschaft: „Es ist die Genusssucht, welche den Menschen hinaustreibt aus seinem Stande, aus seiner Familie, weg vom sparsamen Herd seines Hauses. Früher war das nicht so. Der Vater lebte für seine Familie und in seiner Familie. Da ruhte er im Kreise der Seinen von der schweren Arbeit des Tages aus, da erzählte er den Söhnen den Abbau oder vom Krieg, da las er in den Stunden der Ruhe aus einem Buche – sind das nicht glückliche Stunden für den Vater, für die Mutter 64 und die Kinder?“ 59 Volksblatt, Nr. 9, 23. August 1848, S. 69. Volksblatt, Nr. 3, 5. Juli 1848, S. 10. 61 vgl. Frevert, Bürgerinnen und Bürger, a.o.O., S. 32. 62 vgl. Beatrix Schmaußer, Blaustrumpf und Kurtisane, a.o.O., S. 22. 63 vgl. Haarbusch, Zauberstab, a.o.O., S. 221f. 68 Volksblatt, Nr. 9, 23. August 1848, S. 69. 60 27 Laut den konservativen Machthabern gab es folgende Ursachen für den Sittenverfall: die gesellschaftliche Änderung, die zunehmende Industrialisierung, die Mobilität der arbeitenden Bevölkerung, das gesteigerte Konsumverhalten, die „Genusssucht“, der Verlust der innerlichen Werte, die Arbeitsbedingungen, die Fabriken, wo erstmals die geschlechtsspezifische Trennung aufgehoben wurde. 65 Nicht zufällig entrüsteten sich aber gerade in Zeiten von gesellschaftlichen Umbrüchen konservative Kräfte: Veränderungen riefen Unsicherheiten hervor. Auch Unsicherheit über einen möglichen Machtverlust. Somit wurde der Drang zur Machterhaltung größer als die Lösung der sozialen Frage. 4.4. Die Konstruktion des bürgerlichen Frauenbildes durch die Gesetzgebung 4.4.1. Beispiel: Verehelichungsbeschränkungen Ein wichtiger Punkt zur Verinnerlichung des Frauenbildes war die Normierung der Rolle durch den Gesetzgeber. Nichtbefolgungen wurden bestraft und sanktioniert. Zu nennen wären hier etwa die rigorosen Verehelichungsbeschränkungen: Presseberichte über die hohe Anzahl unehelicher Kinder wiesen auf den zunehmenden Sittenverfall hin. Auch die steigende Verarmung und Proletarisierung galt hierfür als Indiz. Ein restriktives Eherecht sollte die Gesellschaft verbessern. 1818/20 wurde erstmals eine gesetzliche Beschränkung, der Ehekonsens, eingeführt. 1850 66 wurden die Heiratsbeschränkungen verschärft. Heiratswillige mussten nun in der Gemeinde um eine Heiratserlaubnis ansuchen. Konsenspflichtig wurden alle ohne fixes Einkommen. Besonders in Tirol wurde der Konsens, der bis 1921 in einer gelockerten Form beibehalten wurde, rigoros ausgeübt. Das Ergebnis dieser rigorosen Gesetzgebung verdeutlicht das folgende Diagramm: 65 67 vgl. Carola Lipp, „Fleißige Weibsleut" und „Liderliche Dirnen“. Arbeits- und Lebensperspektiven von Unterschichtsfrauen; in: Lipp (Hg.), Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 38. 66 vgl. Elisabeth Mantl, Heirat als Privileg. Obrigkeitliche Heiratsbeschränkungen in Tirol und Vorarlberg 1820 bis 1920, Wien 1997, S. 10. 67 aus: Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 137. 28 D ia g r a m m 4 : G e s c h lo s s e n e E h e n in d e n K r e is e n ( P r o z e n t e ) 0 ,8 0 ,8 0 ,7 6 0 ,7 0 ,6 0 ,5 7 0 ,6 1 0 ,5 4 0 ,5 0 ,5 4 0 ,4 9 0 ,4 0 ,3 lb ar o et er ov R nt ie ch Tr ts rE de n A l ta er st Pu al nt in er nt U al nt rin be O g er r Vo Die Prozentwerte beziehen sich auf die Gesamtbevölkerung. D.h., nur jedeR 158. der Gesamtbevölkerung heiratete (0,6% der Gesamtbevölkerung). Oder mit anderen Worten: In Tirol und Vorarlberg fielen im Jahre 1840 auf 1000 EinwohnerInnen 5,9 Eheschließungen, 1851 waren es 6,1. Im Vergleich zu den anderen österreichischen Regionen lag Tirol unter dem Durchschnitt. 68 Da aber nur ab dem Zeitpunkt einer Eheschließung eine Familie gegründet werden konnte, wurden alle außerehelichen Formen des Zusammenlebens sanktioniert. Und das besonders in Tirol. 69 Die Bevölkerungsstruktur war im Wesentlichen durch einen hohen Ledigenanteil, eine geringe Heiratsfrequenz und ein hohes Heiratsalter gekennzeichnet. Nur eine kleine Bevölkerungsgruppe konnte die gesetzlichen Bestimmungen erfüllen: das Bürgertum, die höheren Beamten, der Adel und wenige Bauern. Ein Beweis, dass die Konstruktion einer glücklichen Ehe, der harmonischen Familie, des trauten Heimes und des untergeordneten Frauenbildes nur auf bürgerliche und adlige Frauen 70 zutraf. Wie stark Gesetzgebung und Kirche in den letzten 150 Jahren das heterosexuelle Zusammen- und Privatleben beeinflußten, zeigt sich auch heute noch: die Ehe gilt immer noch als einzige Voraussetzung für viele gesetzliche Vorteile (Wohnbauförderung, Steuer, Witwenpension, Alleinerzieherinnen, Kinder usw.). 68 69 vgl. Mantl, Heirat als Privileg, a.o.O., S. 16. ebda, S. 33. 29 Diagramm 5: Eheliche und uneheliche Kinder (Prozente) 100 80 92,3 60 93,2 85,5 40 94,2 94,1 98,8 98,8 20 ra Vo uneheliche Kinder eheliche Kinder 7,7 6,8 14,5 5,8 5,9 l 1,2 a t l 1,2 n a t l n i n a r t n r h e i r e c t t e s t s n t Ob e o Un Pu rE Tri ret de ve An Ro 0 erg rlb In einer ehelichen Familie lebten im Schnitt 4,6 Kinder. 71 Im Gegensatz dazu listete Stafflers wenig uneheliche Kinder auf (1.346 zu 24.041 ehelichen Kindern). D.h. auf 100 Lebendgeborene kamen zwischen 1846-1850 in Tirol 4,2 unehelich Geborene, in Vorarlberg 6,0. 72 Tirol und Vorarlberg lagen im Vergleich zu anderen österreichischen Alpenländern (21,5 auf 100) weit unter dem Durchschnitt. Die unehelichen Kinder bzw. die ledigen Mütter wurden sozial diskriminiert, oft körperlich bestraft oder aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Die Kommunion und andere 73 Sakramente wurden verweigert. Folgendes Zitat drückt Ähnliches aus: „Landeck, 28. August. So ereignete sich in unserer Gemeinden kürzlich der Fall, dass ein außerehelich neugeborenes Kind sollte zu Grabe getragen werden. Die Mutter bat den Kuraten um die gewöhnliche Grabbeilegung, die er ihr mit den 74 Worten verweigerte: ‚Der Bastard muss bis zum Grabe gebrandmarkt werden!‘“ Das ABGB (1811) sowie die kirchliche Obrigkeit hatten die Ehe als einzigen Ort der Fortpflanzung konstruiert. Der Schluss lag nahe, dass uneheliche Geburten aus Angst vor Repressalien deshalb oft verheimlicht wurden. Die große Nachfrage der Geburtenklinik für arme und ledige Mütter in Innsbruck (das heutige Landesarchiv) unterstrich diese Vermutung. Auch ein Vergleich mit Wien ergab, dass dort um 1848 75 die Hälfte der Kinder unehelich zur Welt kam. 70 vgl. http://www.ceiberweiber/engagement.frauen1848. vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 137. 72 vgl. Mantl, Heirat, a.o.O., S. 41. 73 ebda, S. 51. 74 Innsbrucker Zeitung, Nr. 55, 5. September 1848, S. 244. 75 vgl. http://www.ceiberweiber/engagement.frauen1848. 71 30 Unterschiede ergaben sich auch zwischen dem Anerbenrecht im Osten Tirols und der Realteilung und Besitzsplitterung im Westen und Süden. 76 Da eine Ehe- schließung an wirtschaftliche Selbständigkeit gekoppelt war, durften im Anerbenrecht nur die Erben des Hofes heiraten. Die restlichen Geschwister waren vom Hoferben abhängig und wie das Gesinde ökonomisch unselbständig. 77 Auch die langsam voranschreitende Industrialisierung bot kaum Verselbständigungsmöglichkeiten. Im Oberinntal und Trentino entstanden durch die Güterteilung Kleinbetriebe, in denen die Familien kaum überleben konnten. 78 Erst eine zusätzliche (oft hausindustrielle) Nebenerwerbsarbeit ermöglichte die Sicherung der Existenz. 79 Starre Gesetze und eine durch und durch reglementierte Gesellschaft formten die Menschen. Es hätte keiner solchen Gesetze bedurft, wenn sich die Leute entsprechend verhalten hätten. Das machte auch das Frauenrecht klar: 4.4.2. Beispiel: Frauenrecht Beispiele für die Konsolidierung der bürgerlichen Frauenrolle durch die Legislative lieferte „Das österreichische Frauenrecht“ von 1850. Das Privatleben (Familien- und Frauenrecht) wurde der bürgerlichen Frau zugesprochen. Der Untertitel brachte es schon ans Tageslicht: „Eine practische Darstellung aller Rechte und Pflichten, welche die Frauen aller Stände und Kronländer in dem Verhältnisse als Gattin, Mutter, Witwe und Hausfrau, sowie in staatsbürgerlicher Hinsicht genießen und zu beobachten haben". 80 Ein Fokus ließ die zentralen Hauptaufgabenbereiche der Frauen unmissverständlich erkennen: 76 vgl. Mantl, Heirat, a.o.O., S. 20. ebda, S. 22. 78 vgl. Sieder, Sozialgeschichte, a.o.O., S. 75ff. 79 vgl. Mantl, S. 29. 80 Franz Joseph Schopf, Das österreichische Frauenrecht. Eine practische Darstellung aller Rechte und Pflichten, welche die Frauen aller Stände und Kronländer in dem Verhältnisse als Gattin, Mutter, Witwe und Hausfrau, sowie in staatsbürgerlicher Hinsicht genießen und zu beobachten haben. Nach den österreichischen Gesetzen und mit Rücksicht auf das Familienleben, Pest 1857. 77 31 „Im Familien- und auch im geselligen Leben gebührt der Frau einer der wichtigsten Standpunkte. Die Gesetze der Natur, der Religion und des Staates haben ihr (...) Richtungen als Gattin, Mutter, Witwe, Hausfrau, und in staatsbürgerlicher Hinsicht angewiesen, ihr damit auch Rechte eingeräumt, sowie schwere Pflichten auferlegt. Diese bilden zusammen das Frauenrecht, einen wesentlichen Theil des Familienrechtes, und in Vielem von den Rechten des männlichen Geschlechtes verschieden. Die Frauen sind oft nicht in der Lage, an sich selbst die Frage stellen zu müssen: Was habe ich in diesem oder jenem Falle zu thun? (...) Nicht immer steht ihnen der wohlgerathene Mann oder sonst ein in den Gesetzen erfahrener Ratgeber 81 zur Seite (...)." Die einleitenden Worte dieses Buches lauteten: „In der neuesten Zeit haben sich Stimmen für die Emancipation des Frauengeschlechtes, das ist, Befreiung desselben von den Schranken, mit welchem es Naturverhältnisse und gesellschaftliche Einrichtungen umgeben, erhoben. Aber dagegen streitet schon das Werk der Schöpfung, die Natur des Ge-schlechtes. Die Natur unparteiisch (...) hat dem weiblichen Geschlechte Gaben verliehen, die sie dem Manne versagt hat, und umgekehrt (...). Die Tugend des Mannes ist eine andere als die des Weibes, und ein Weib, das im Dulden erhaben ist, mag leicht eben so bewundernswürdig sein, als ein Mann, der es im Handeln ist. Die Hauptverrichtungen des Mannes beruhen auf dem Staate und der Wissenschaft, die des Weibes auf der Familie und der Gesellschaft. Die Frau befindet sich ja ohnehin schon in einem verhältnißmäßig freien Zustande, im Genusse alle nur möglichen Rechte. Das Weib ist die Beherrscherin des Hauses, Familienmutter, vom Gesetze gegen die Thyrannei des Mannes und bei verweigerter Unterstützung geschützt. Das Weib darf besitzen, erben, über sein Vermögen nach Willkühr verfügen, auf Ehescheidung antragen, den Schutz der Gesetze ansprechen wie der Mann; es darf selbst an der Wissenschaft Theil nehmen, der Kunst obliegen, öffentlich in den verschiedensten Gebieten der Kunstleistung auftreten, und wenn es genug Talent besitzt, sich als Schriftstellerin einen Namen erwerben; es hat im Allgemeinen die freie Wahl, mindestens eine Stimme bei den Hauptfragen, die über seine Zukunft 82 entscheiden; wie bei seiner Verehelichung.“ Der ausführlichste Teil befasste sich mit dem Familienleben (Seite 5-147). Das sprach für sich. Eine neue Ebene der Sozialisation war also gefunden. Die Legislative korrespondierte somit mit den philosophischen, biologistischen, politischen, religiösen, wissenschaftlichen und medizinischen Konstruktionen. Alle zusammen trugen wesentlich zur Verinnerlichung der bürgerlichen Frauenrolle bei. Doch existierten auch andere Frauenbilder und -rollen? Was vermittelten die Tiroler Printmedien von 1848? Wie wurden dort Frauen wiedergegeben? 81 82 zit. nach ebda, S. V. zit. nach ebda, S. 1ff. 32 5. Adlige Frauen in der Tiroler Presse von 1848 5.1. Adlige auf der Flucht In der Tiroler Presse wurden adlige Frauen am häufigsten erwähnt. Adlige waren häufig Opfer der RevolutionärInnen. Besonders radikal ging man in Paris vor. Aus Angst um ihr Leben flüchteten sehr viele französische Adlige nach England. Um nicht von den revolutionären Massen gefangen genommen oder getötet zu werden, hatten beispielsweise „bei der Abreise von Paris der Herzog und die Herzogin von Remours 83 verschiedene Straßen eingeschlagen, und wollten sich wieder später treffen.“ Der Zorn der Masse richtete sich v. a. auch gegen die adligen Privilegien und Feudalrechte. Die Stimmung war sehr angespannt: „Inmitten jener Ereignisse (Straßenkämpfe und Aufstände, rot.) begab sich die Herzogin von Orleans mit ihren beiden Söhnen (...) in die Abgeordnetenkammer, wo ungefähr 300 Abgeordnete eingetroffen waren, und verkündete ihre Abdankung (...) (Wenig später, r.t.) schritt eine bewaffnete und aufgebrachte Menge in den Saal ein, richtete die Waffen gegen die Abgeordneten und verkündete die Republik. Als sie die Herzogin von Orleans sahen, wurden ihr die Gewehre entgegengestreckt (...), und sie fiel in 84 Ohnmacht.“ Die Herzogin von Orleans konnte sich mit ihren beiden Söhnen gerade noch retten. Es gelang ihnen die Flucht. Der k.k. Priv. Bothe erstattete Bericht über den Aufenthaltsort der Herzogin von Orleans: „Koblenz, 10. März. Die Herzogin von Orleans ist nun dennoch gegenwärtig in Ems. Sie hatte die Besuche von hier nicht angenommen. Ihre Mutter, die verwitwete Herzogin von Schwerin kam gestern mit dem Düsseldorfer 85 Dampfboote hier an und begab sich sofort nach Ems.“ 83 K.K. Priv. Bothe, Nr. 20, 9. März 1848, S. 82. Il messaggiere tirolese, Nr. 19, 4. März 1848, S. 2: In mezzo a tale sciagura la duchessa d'Orleans si recò a piedi coi figli, il conte di Parigi e il duca di Chatres, alla camera dei deputati, dov'ei si trovavano in numero di forse 300, (...) essa annunciò l'abdicazione (...) In questo mezzo la sala è invasa da una moltitudine armata con pistole (...) e proclamavano la repubblica. 85 K.K. Priv. Bothe, Nr. 22, 16. März 1848, S. 99. 84 33 Ebenso erging es Prinz Leopold, Graf von Syrakus, Bruder des Königs von Neapel und Neffe der französischen Königin, 86 dem französischen König Louis Phillipes und seiner Frau Amalie. Ohne Gepäck, nur mit einem Bediensteten und einer Kammerfrau, und mit einem kleinen Fischerboot brachen sie nach England auf: „Die englischen Journale geben endlich bestimmte Nachricht über das Schicksal Louis Philippes, welcher mit der Königin Amalie am 3. März früh in Brighton angekommen ist. Der König und die Königin hatten sich seit einigen Tagen in der Nähe von Tresport von Pachthof zu Pachthof geflüchtet, und sie waren vor Ermüdung beinahe erschöpft. Am Donnerstag schifften sich der König und die Königin mit einem Bediensteten und einer Kammerfrau auf einem französischen Fischerboot ein, um den Kanal zu übersetzen. Bei ihrer Ankunft wurden der König und die Königin von den Einwohnern begrüßt. Sie begaben sich in das Bridgehotel, wo sie Betten verlangten. Gleich danach schrieb Louis Philippe an 87 die Königin Vittoria, um ihr seine Ankunft mitzuteilen.“ „Der Herzog von Remours, der Herzog und die Herzogin von Koburg fuhren von London ab, um die Abkömmlinge zu erwarten. Louis Philippe und sein Sohn Remours lagen sich bald in den Armen, dann drückte der König seine Tochter zärtlich ans Herz. Vater und Tochter weinten. Die Mutter stieg dann aus dem 88 Wagen, und umarmte ihre Kinder.“ Im Süden, wo Radetzky mit der Niederschlagung der oberitalienischen Aufständischen beauftragt war, ergab sich das ähnliche Bild: „Aus Mailand bringt die N.Z. Zeitung direkte Nachrichten vom 15. August. Auf Befehl Radetzky's ist der Palast Borromeo zu einem Spital eingerichtet worden. Radetzky hat seine Wohnung im Palast Litta aufgeschlagen. Der Herzog und die Herzogin, die auf dem Lande waren, sind auf ausdrücklichem Befehl des 89 Feldmarschalls dahin zurückgekehrt.“ Auch in Wien wurde es für den kaiserlichen Hof und andere Adlige brenzlig. Immer wieder sahen sie sich gezwungen, schnell und heimlich aus der Stadt zu fliehen: „München, 16. Oktober. Das Gerücht, dass die Erzherzogin Sophie auf ihrer Flucht von Wien den Weg nach München genommen, hat sich bestätigt: gestern vormittag war sie auf ganz kurze Zeit unter strengstem Inkognito hier (in München, r.t.), stieg im Herzog Mar Palais ab und begab sich dann nach 90 Tegernsee.“ 86 ebda. K.K. Priv. Bothe, Nr. 21, 13. März 1848, S. 89. 88 ebda, S. 90. 89 Innsbrucker Zeitung, Nr. 48, 23. August 1848, S. 213. 90 Innsbrucker Zeitung, Nr. 80, 18. Oktober 1848, S. 380. 87 34 „Ihre Majestäten Kaiser Ferdinand und seine Gemahlin haben sich sogleich nach vollbrachtem Abdankungsakte nach Prag begeben. Erzherzog Franz Karl und die 91 Frau Erzherzogin Sophie sind nach München gereist.“ Für adlige Frauen gestaltete sich eine Flucht oft äußerst schwierig. Die Kleidung war keineswegs gedacht, sich lange im Freien zu bewegen. Schwere, pompöse Kleider hemmten die Bewegungsfreiheit, enge Schuhe verursachten Schmerzen: „Schweiz. Berner Blätter melden aus Genf vom 16. August: heute langten einige höhere Offiziere, aus der Lombardei hier an. Sie gehörten zu den Korps, das sich vor den Toren von Mailand schlug, als General Fanti gefangen wurde. Nur mit vieler Mühe konnten sie über den Simpleon entkommen, die Straße war buchstäblich mit Flüchtlingen bedeckt, mit Weibern in seidenen Kleidern und 92 ohne Schuh, mit Kindern, usw. dass es ein wahres Erbarmen war.“ In der Eile ließen sie oft alles hinter sich: „Flucht der französischen Königsfamilie in England: Seine königliche Hoheit der Herzog von Remours traf mit dem Herzog und der Herzogin August von Sachsen-Koburg (Prinzessin Clementine) (das spätere Haus Windsor, 1917, r.t.) in der französischen Gesandtschaft auf dem Manchester Square ein. Bei der schnellen Flucht aus der französischen Hauptstadt hatte man nicht das geringste Gepäck mitgenommen. Bald nach der Ankunft besuchten sie dem Prinzen Albert, “93 und die Herzogin von Sachsen-Koburg war ganz von Schmerz überwältigt. 5.2. Sonstige Berichterstattung über Adlige Viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wurden von der Presse wiedergegeben. Keine andere Schicht bekam so viel Platz eingeräumt wie aristokratische Personen. So wurden die LeserInnen eingeweiht: 5.2.1. Namensänderung „6. März. Louis Phillipe und Marie Amalia haben den Namen Graf und Gräfin von 94 Neuilly angenommen.“ 5.2.2. Geburt „Madrid, 20. August. Der Hof kehrt aus La Granja zurück. Die Königin Mutter berüchtigte Herzogin von Rianzares, will jedoch bis in die erste Hälfte des 95 Septembers daselbst verweilen, um ihre zwölfte Niederkunft abzuwarten.“ 91 Tiroler Wochenblatt, Nr. 48, 13. Dezember 1848, S. 179. Innsbrucker Zeitung, Nr. 52, 30. August 1848, S. 232. 93 K.K. Priv. Bothe, Nr. 20, 9. März 1848, S. 82. 94 K.K. Priv. Bothe, Nr. 22, 16. März 1848, S. 97. 95 Innsbrucker Zeitung, Nr. 53, 1. September 1848, S. 236. 92 35 „Gries bei Bozen, 20. Oktober. Gestern nach 7 Uhr abends wurde die Herzogin von Modena, welche seit mehreren Wochen sich hier aufhält, von einer Prinzessin entbunden. Die feierliche Taufhandlung, wobei die Kaiserin von 96 Österreich die Patenstelle vertritt, soll in Modena vorgenommen werden.“ 5.2.3. Finanzielle Schwierigkeiten „Madrid, 20. August. Die Geldklemme des Hofes ist so groß, dass das der Isabella II. und ihrer Schwester, Herzogin von Montpensier gehörige Lustschloß 97 Vista Allegre bei Carabanchel an den Meistbietenden verkauft werden soll.“ 5.2.4. Feierlichkeiten „Schönbrunn, 27. Juli. Gestern wurde zur Namensfeier der Gemahlin des Erzherzoges Johann, Anna, eine Feierlichkeit, welcher eine unzählige 98 Menschenmenge beiwohnte. Der Jubel war unbegrenzt.“ 5.2.5. Krankheit, Tod „München. Gestern verschied in Wasserburg die verwitwete Kurfürstin Marie Leopoldine kaiserliche Hoheit. Sie war auf dem Wege nach Salzburg (...), als ihrem (...) Wagen (...) in der Nähe des Spitals der Stadt Wasserburg, ein Salzfuhrwerk entgegenkam, (...) die Chaise der Kurfürstin mit dem Leiterbocke erfaßte und rückwärts umstürzte, wodurch die hohe Frau das Genick brach und in wenigen Minuten ihren Geist aufgab, während die Kammerfrau, die bei ihr im Wagen saß, mit leichter Verletzung davon kam. (Die Kurfürstin, Karl Theodors 99 Gemahlin, geb. am 10. Dez 1776 geboren, Witwe seit 1799).“ „Neapel, 13. September. Die Königin Mutter ist nach kurzer Krankheit heute 100 gestorben.“ 5.2.6. Besuch bei der englischen Königin „7. März. Der Graf und die Gräfin von Neuilly haben heute einen Besuch bei 101 unserer Königin gemacht.“ 5.2.7. Aussegnung einer spanischen Infantin „Spanien, Madrid, den 18. Okt. Es heißt nun, der Herzog und die Herzogin von Montpensier werden nach Madrid übersiedeln. Der Herold berichtet ausdrücklich über die feierliche Aussegnung der Infantin Luisa. Ihre königliche Hoheit hat der St. Ferdinandskapelle in Sevilla für die dortige Madonna ein von ihr gesticktes Kleid geschenkt; das Jesukindlein aber, welches diese Muttergottes auf dem Arme trägt, ward in feierlicher Prozession nach dem königlichen Alcazar getragen, um von der Prinzessin persönlich neu bekleidet zu werden. Man sieht, der Katholizismus in Spanien ist, trotz aller Staatsumwälzungen, noch der 102 alte.“ 96 Innsbrucker Zeitung, Nr. 84, 25. Oktober 1848, S. 403. Innsbrucker Zeitung, Nr. 53, 1. September 1848, S. 236. 98 Innsbrucker Zeitung, Nr. 35, 1. August 1848, S. 151. 99 Innsbrucker Zeitung, Nr. 15, 27. Juni 1848, S. 66. 100 Innsbrucker Zeitung, Nr. 69, 29. September 1848, S. 312. 101 K.K. Priv. Bothe, Nr. 22, 16. März 1848, S. 97. 102 K.K. Priv. Bothe, Nr. 153, 9. November 1848, S. 727. 97 36 5.3. Politische Tätigkeiten bzw. Wohltätigkeiten adliger Frauen 5.3.1. Politische Aktivitäten der Kaiserin von Österreich Normalerweise hatte der Kaiser die politischen Belange inne. Doch Ferdinand I. war regierungsunfähig. Die Kaiserin Maria Anna übernahm daher politische Aufgaben und erteilte Audienzen. Die Bedeutung dieses politischen Vorstoßes liegt auf der Hand: mit dem Eintritt Verantwortungsbewusstsein in und die Männer politische dominierte Kompetenz Politik wurde zugesprochen. ihr Ihre diplomatischen, politischen und sprachlichen Fähigkeiten kamen auch im folgenden Zitat zur Geltung: „Der Kaiser hat sich erkältet. Seine Majestät der Kaiser sind noch immer etwas unwohl, und haben daher keine Audienzen erteilt. Dagegen geruhten Ihre Majestät die Kaiserin den Fürsten Esterhazy und den türkischen Botschafter 103 anzunehmen.“ 5.3.2. Politische Aktivitäten der Königin von England „London. Am 5. September halb zwei nachmittags erfolgte der Schluss der überlangen diesjährigen Parlamentssession durch die Königin. Das Parlament 104 wird sich am 2. November wieder versammeln.“ „London, 5. September. Die Königin hat gestern den mit Überbringung der Benachrichtigungen wegen Übernahme der provisorischen Zentralgewalt für Deutschland vom Reichsverweserbeauftragten Freiherrn von Andrian-Werburg im Buckingham-Schloß empfangen, und aus dessen Händen das Schreiben des 105 Reichsverwesers entgegengenommen.“ 5.3.3. Wohltätigkeiten Wohltätigkeiten und Geldspenden waren Zeichen politischen Engagements von adligen und auch bürgerlicher Frauen, in denen sie sich positiv erlebten. Durch diese konnten sie sozial Schwachen oft helfen: „Wels, 2. März. Abmarsch des Regiments-Kommandanten Graf Favriani. Insbes. erleiden aber durch diesen Abmarsch die Armen der Stadt Wels einen empflindlichen Verlust in der Person der Frau Oberstin Gräfin Favriani, geb. Fürstin Esterhazy, dieser wahren Mutter der Armen, welche durch ihre liebreiche Mildtätigkeit so viele Tränen der Not trocknete, und wofür ihr, nebst den heißesten Danke, auch das Gebet der Armen für ihr und ihrer Familie Wohl mit 106 gerührtem Herzen nachfolget.“ 103 Innsbrucker Zeitung, Nr. 9, 16. Juni 1848, S. 38. Innsbrucker Zeitung, Nr. 59, 12. September 1848, S. 262. 105 Innsbrucker Zeitung, Nr. 60, 13. September 1848, S. 266. 106 K.K. Priv. Bothe, Nr. 21, 13. März 1848, S. 87. 104 37 Wenn die Kaiserin Geld zur Uniformierung der Nationalgarde spendete, so war das ein neuer Raum, den sie betrat und sich somit politisch solidarisierte: „Die Kaiserin hat heute 1000 Gulden zur Uniformierung der Nationalgarde 107 gespendet.“ Die Presse informierte in jeder Ausgabe die LeserInnen über die Helden auf den Schlachtfeldern. Über Radetzky beispielsweise häuften sich die Nachrichten. Wie es Frauen erging, deren Männer in den Krieg zogen, wurde nicht geschildert. Zur Finanzierung des Krieges und zur Versorgung der Verwundeten rief man zu Geldspenden auf. Besonderes wohlhabende Frauen wurden angesprochen. Ihnen vermittelte man das Gefühl, einen nicht unwesentlichen Beitrag am Kriegsgeschehen zu leisten: „Ihr, die ihr nun mit freudig lachendem Ohre vernehmt, was unsere braven Helden am Po und an der Adria können, vernehmt nun auch einmal, was unsere edlen Frauen können. Mantuas Spitäler sind voll von Wackeren (...) Für die Menge reichen die Mittel nicht aus zur wohltuenden Labung, und bedrängte Herzen wenden sich um Hilfe für die Leidenden in Innsbruck. Und wie am Hofe unsere hohen Frauen das Leiden und die Not vernehmen, da öffnet sich das Herz, und eilig spenden sie nach Hunderten zur Linderung der Leiden und Not, 108 und mit der Mutter schleichet auch der kleine Prinz zu seiner Sparbüchse.“ Ein weiterer politischer Raum für (aristokratische) Frauen erkannte man in der Öffentlichkeitswirkung der Medien. Durch die Pressefreiheit nutzten Frauen die Medien immer häufiger als Kommunikationsforum. Spendenaufrufe oder Danksagungen wurden beispielsweise des Öfteren abgedruckt: „Salzburg. Ihre Majestät die Kaiserin Mutter haben der Redaktion der Salzburger konstitutionellen Zeitung für die hart bedrängten Bewohner des Ötztales 300 fl.G.M. zuzumitteln geruht und habe noch überdies das Bedauern geäußert, im gegenwärtigen Augenblicke nicht mehr für die Bewohner des Ötztales tun zu können. Durch diese großmütige Gabe beurkundet Ihre Majestät die gnädigste 109 Teilnahme an dem Schicksal Tirols.“ „Ihre Majestät die Kaiserin Mutter hat dem Frauenvereine auch heuer ein Geschenk im Betrage von 100 fl. k.M. zugewendet und bei diesem Anlasse zugleich die Versicherung beigefügt, dass es Allerhöchst Ihnen wohltue zu sehen, dass die biederen Tiroler auch in der gegenwärtig bewegten Zeit dieselbe aufopfernde Treue und Ergebenheit bewähren, die sie von jeher ausgezeichnet 110 hat. Innsbruck, 22. April 1848. Von der Vorstehung des Frauenvereines.“ 107 K.K. Priv. Bothe, Nr. 37, 20. April 1848, S. 185. K.K. Priv. Bothe, Nr. 101, 10. August 1848, S. 472. 109 Volksblatt, Nr. 5, 26. Juli 1848, S. 40. 110 K.K. Priv. Bothe, Nr. 39, 24. April 1848, S. 194. 108 38 Dieses Zitat gab gleich mehrere politische Frauenräume preis: Zum einen war dies die Subvention der Kaiserin Mutter, zum anderen das offene Forum der Presse. Der dritte politische Bereich umfasste jenen des Frauenvereines. Dieser engagierte sich sehr stark in der Errichtung bzw. Erweiterung der Industrieschulen für arme Mädchen und Kinderhorte. Da sich sowohl Adlige als auch Bürgerliche in diesem Frauenverein engagierten, wurde noch später ausführlich darauf eingegangen. 5.4. Adlige Frauen in Tirol In Tirol und Vorarlberg gab es 0,41 Prozent Adlige. Im nächsten Diagramm 111 wurde dabei die Verteilung ersichtlich: Adlige in Tirol und Vorarlberg (Prozente) 40 33 27 30 20 15 13 7 10 3 2 0 Vorarlberg Oberinntal Unterinntal Pustertal An der Etsch Trient Rovereto Ein Drittel der Adligen lebte im Kreis Trient, mehr als ein Viertel im Unterinntal mit Innsbruck. Städte waren immer beliebte Zentren Adliger bzw. Bürgerlicher. Die wenigsten wohnten in den weit entfernten Gebieten der Bezirke Vorarlberg und Oberinntal. 111 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 133f. 39 5.5. Die Kaiserin von Österreich und Erzherzogin Sophie Die einzigen adligen Frauen, die in den Tiroler Printmedien sehr oft erwähnt wurden, waren die Kaiserin Maria Anna und die Erzherzogin Sophie. Durch die Flucht des kaiserlichen Hofes am 19. Mai 1848 nach Innsbruck standen sie besonders im Rampenlicht und nahmen am gesellschaftlichen Leben Innsbrucks teil. Bild: Heimliche Flucht aus Wien am 17. Mai 1848; aus: Niederhauser, Sturm, a.o.O. Wie beeindruckend musste für viele TirolerInnen die Ankunft gewesen sein. Innsbruck und ganz Tirol war stolz, als Residenzstadt der Habsburger zu fungieren, weshalb auch sämtliche Medien euphorisch über diese Begebenheit Bericht erstatteten: „Der Kaiser kommt, (...) der Jubel war groß. Und so eilten Unzählige, groß und klein, von allen Ständen der Kettenbrücke zu. Bei der Mühlauer Höhe wurden dem Kaiser die Pferde ausgespannt und in langer Reihe zogen die Jubelnden in buntester Mischung den Wagen des Kaisers nach Innsbruck. Daßelbe geschah 112 von der Ketten an mit dem Wagen der allgeliebten Kaiserin.“ Weitere Zitate gaben die positive Stimmung und Haltung zum kaiserlichen Hof wieder. War die kaiserliche Familie als Repräsentantin der adligen Privilegienkurie in Wien verhasst, so konnte sie sich in Innsbruck geborgen fühlen. Der Großteil der TirolerInnen zeigte sich äußert loyal: „Bei dem einfachen Mittagsmal, das im Hofgarten stattfand, beehrten Volksmengen Ihre kaiserlich königliche Hoheiten Erzherzog Franz Ferdinand, 113 114 dessen Gemahlin, Erzherzogin Sophie und dessen Söhne (...) “ 112 Volksblatt, Nr. 1, Urbani Tag (19. Mai) 1848, S. 1. vgl. Werner Zimmermann, 1848 im Spiegel der Briefe von Sophie, Erzherzogin von Österreich, an die Tiroler Dichterin Walburga Schindl; in: Herbert Neuner (Hg.), Südtirol in Wort und Bild 3/1998, 42. Jg., Innsbruck 1998, S. 22-26: Erzherzogin Sophie, wurde am 27. Jänner 1805 als 10. Kind des Königs von Bayern, Maximilian I. Josef, und dessen zweiter Frau Karoline von Baden geboren. Am 4. November 1824 heiratete sie Erzherzog 113 40 Bild: Aufzug einer Tiroler Schützenkompanie vor der Innsbrucker Hofburg. Farblithographie von Basilio Armani 1848; aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 705. Vor revolutionären Ausschreitungen musste sich das Kaiserhaus in Tirol nicht fürchten. Die ideologische Welt der meisten TirolerInnen bestand in der Verbindung des weltlichen Kaiserhauses mit der katholischen Religion: „Das Fronleichnamsfest wurde auf so feierliche Weise gefeiert wie es Innsbruck noch nie gesehen hatte. Es schlossen sich auch Seine Majestät die Kaiserin, der 115 Erzherzog Franz Karl und die Erzherzogin Sophie dem feierlichen Zuge an.“ Die Loyalität zum Kaiserhaus war so groß, dass viele Schützenkompanien die Innsbrucker Hofburg bewachten. In Wien aber blieb ein ratloses Ministerium zurück, das nicht in der Lage war, die empörte Wiener Bevölkerung zu beruhigen. Viele Staatsgeschäfte lagen brach. Chaotische Zustände und wirtschaftliche Probleme nahmen in Wien erschreckende Ausmaße an. Durch die Abreise des Hofes kam es zu schweren Einkommensbußen für die Bevölkerung. Franz Karl Johann, den Sohn des österreichischen Kaiser Franz I. In dieser Ehe gebar sie sechs Kinder, u.a. Franz Joseph, der im Dezember 1848 Kaiser von Österreich wurde. 114 Volksblatt, Nr. 1, 19. Mai, S. 8. 115 Innsbrucker Zeitung, Nr. 13, 23. Juni 1848, S. 54. 41 Deshalb war es sehr beeindruckend und nur von der Roveretaner Presse veröffentlicht, dass „von Wien sogar eine Delegation von sieben Frauen anreiste, welche dem (demokratischen, r.t.) Frauenverein angehören, und um eine Audienz bei Ihrer Majestät der Kaiserin baten.“ 116 Ihre Bitte lautete: Rückkehr in die Residenzstadt. Den sieben Frauen, darunter namentlich einer Frau Strunz, war es ein großes Anliegen, dass der kaiserliche Hof zur Beseitigung der chaotischen Missstände nach Wien zurückkehrt. Sie hätten kaum diesen langen und beschwerlichen Weg alleine auf sich genommen, 117 wenn ihnen die eklatante und prekäre Situation in der Residenzstadt nicht bewusst gewesen wäre. Doch der kaiserliche Hof verweilte weiter in Innsbruck. Erzherzogin Sophie unternahm zahlreiche Ausflüge im Mittelgebirge nach Mühlau, Arzl, Rum, Absam, Zirl. Ein medial festgehaltenes Ereignis zeigte ihr soziales Engagement: „Der älteste Sohn des Anton Partner hatte im Winter das Unglück, auf dem Heimwege unter den Schlitten zu kommen (...). Gott hat ihm wirklich besonderen Trost vorbereitet. Auf einer Spatzierfahrt nach Zirl besuchte die Durchlauchtigste Frau Erzherzogin Sophie den Kranken, und die Folgen dieses Besuches sind: Die Zusicherung einer jährlichen Unterstützung von 36 fl., eine ganz neue 118 Bettstatt, ein neues Bettgewand usw.“ Aber nicht nur dies wurde verschriftlicht. Zahlreiche Quellen erwähnten eine Bekanntschaft, ja Freundschaft mit einer Frau aus einer unterschiedlichen Gesellschaftsschicht: der Wirtshaustochter und Dichterin Walburga Schindl: 116 Il messaggiere tirolese, Nr. 43, 27. Mai 1848, Beilage: Rovereto, 30. maggio. Da Vienna è pure giunta una deputazione di sette signore, che fanno parte dell‘unione delle dame, e le quali domandarono un‘udienza da S. M. l‘Imperatrice. 117 Eine Reise von Wien nach Innsbruck dauerte unter den damaligen Straßenverhältnissen ungefähr zwei bis drei Tage und war wegen krimineller Überfälle nicht ganz ungefährlich, geschweige denn, wenn Frauen alleine reisten. Alleinreisende Frauen sorgten dazumal sicher für (negativen) Gesprächsstoff, denn laut der ihnen vorgeschriebenen Rolle durften sie ohne männliche Begleitung nicht außer Haus gehen. 118 Volksblatt, Nr. 33, 20. November. 1848, S. 201. 42 • Erzherzogin Sophie, 46jährig, Sissis Schwiegermutter, eine Tochter des bayerischen Königs Maximilian I. Joseph. Sie war eine Frau mit starkem Willen. 1848 Abdankung setzte Kaiser sie nach Ferdinands I. der die Krönung ihres Sohnes Franz Joseph zum österreichischen Kaiser durch. Bekannt als „der einzige Mann bei Hofe" war Sophie es, die in den ersten Regierungsjahren Franz Josephs die politischen Geschicke Österreichs leitete. • 119 Bild: Erzherzogin Sophie aus: http:// www.kaisergruft.at/kaisergruft/sophie.htm Walburga Schindl, Wirtstochter, Bauernmädchen und anerkannte Poetin. Sie war gerade erst 22 Jahre alt, als sie sich im elterlichen Gasthaus „Bogner“ in Absam 1848 kennen lernten. 120 Jenes Wirtshaus leitete die Witwe Notburga Schindl mit fünf Kindern. 121 Walburga (1826-1872) musste mit ihrer jüngeren Schwester Maria die Gäste betreuen und unterhalten. Erzherzogin Sophie liebte dieses Gasthaus, da sie sich dort gut erholen konnte. Auch nach der Abreise von Erzherzogin Sophie blieben die beiden in Kontakt. Die gesammelten Briefe zwischen Erzherzogin Sophie und der Dichterin Walburga Schindl sind sehr aufschlussreich und stellten eine relevante Quelle dar. 122 Erzherzogin Sophie übermittelte in diesen Briefen oft Grüße an die Familie des k.k. Gubernialrates Grafen Fünfkirchen, an die k.k. Palastdame Magdalena (Lenerl) Gräfin Wolkenstein, Vorsteherin des Innsbrucker Frauenvereines, an die Frau des 119 vgl. http://www.sisi-net.de/bio/vita_06.htm vgl. Zimmermann, 1848 im Spiegel der Briefe von Sophie, a.o.O., S. 22. 121 vgl. Alois Brandl, Erzherzogin Sophie von Österreich und eine tirolerische Dichterin Walburga Schindl, Wien 1902, a.o.O., S. 27. 122 ebda. 120 43 Barons Zobel, Obersten des Kaiserjäger-Regiments, und an die Mitglieder des 123 adligen Damenstiftes. Kaiserin Maria Anna und Erzherzogin Sophie wurden in der Tiroler Presse von 1848 immer positiv dargestellt, ihre karitativen Leistungen gelobt und ihre Wohltätigkeiten gewürdigt. Bei einer genaueren Analyse der meisten Biographien fallen wesentliche Unterschiede auf: Im Vergleich zur Tiroler Presse wurde der Erzherzogin Sophie größtenteils das Bild einer „verhassten Intrigantin“ und des „bösen Geistes am Hof“ 124 zugeschrieben. Der Autor Holler wies aber gleichzeitig hin, dass es über keine andere Frau am kaiserlichen Hof so zwiespältige Aufzeichnungen von Zeitzeugen gegeben habe. Von einigen Mitmenschen wegen ihrer Intelligenz, Durchsetzungskraft, Entschlussfähigkeit und Energie bewundert, wurde sie von den meisten aber zu einer arroganten Frau abgewertet. Die politische Gesinnung von ihr sei dahingestellt. Es geht hier weniger um ihre politische Einstellung als um ihre Darstellung und Diffamierung als Frau jener Zeit. Deshalb der Versuch, ihr negatives Bild zu relativieren. Wurde Erzherzogin Sophie zum „bösen Geist des Hofes“ auserkoren, weil sie eine Frau war, die nicht ins vorgeschriebene Frauenbild passte? Oder war sie den Männern zu mächtig, zu klug, zu unberechenbar? Den endgültigen (internationalen) negativen Touch verlieh ihr schließlich wohl der Film „Sissi“. Erzherzogin Sophie intrigierte als klischeehafte böse Schwiegermutter. Gemäß einer Schwarz-Weiß-Malerei wurde sie der „einfachen, netten und braven“ Sissi gegenübergestellt. Kaiserin Maria Anna war ebenfalls eine starke Frau, die ein großes politisches 125 Gespür hatte. Während der Aufstände in Wien waren die Kaiserin und Erzherzogin Sophie die einzigen, die am kaiserlichen Hof die Ruhe bewahrten. Die männlichen Mitglieder aber liefen aufgeregt und planlos in den Räumen herum. 123 126 ebda, S. 15; sowie Briefe von Erzherzogin Sophie an Walburga Schindl, S. 74, S. 76, S. 79, S. 81, S. 83, S. 84, S. 86, S. 89, S. 90, S. 96. 124 vgl. Gerd Holler, Sophie, die heimliche Kaiserin. Mutter Franz Joseph I., Wien/München 1993, S. 11. 125 ebda, S. 144. 126 ebda, S. 140. 44 Kaiser Ferdinand wurde als regierungsunfähig, geistesschwach und kränklich beschrieben, weshalb die Kaiserin Maria Anna und auch Erzherzogin Sophie die Pflichten des Kaisers übernahmen und die politischen Geschicke einer großen Monarchie beeinflußten: „(...) Dagegen geruhten Ihre Majestät die Kaiserin den Fürsten Esterhazy und 127 den türkischen Botschafter anzunehmen.“ Sie waren es auch, die den Sturz Metternichs befürworteten und eine Flucht nach Innsbruck in Erwägung zogen. Wahrscheinlich bestimmten sie auch einen günstigen Zeitpunkt der Abreise von Innsbruck. Die loyalen TirolerInnen bedankten sich beim Kaiserhaus in der Presse: „Gedicht an die Kaiserin. Lebe wohl. 1. Strophe: Erhabene Frau, willst du vom Lande stoßen? Dem Eiland, das so traulich dich empfangen. 6. Strophe: So löse, Herrin, nun den Kahn vom Strande Und wölbt sich einst des Friedens Bogen Im frischen Glanz über Österreichs Lande, 128 Dann denke Deiner Treuen in Tirol!“ Durch erneute Aufstände im Oktober flüchtete der kaiserliche Hof nach Ölmütz: „Folgende Züge von der Flucht des Kaisers am 7. Okt. (nach Ölmütz, R.T) entnehmen wir der allgemeinen Zeitung: (...) die Avantgarde erfuhr, wer sich in der Mitte der Truppen befindet (...) und begann ein Hurrah und Hüteschwenken, dass die kaiserliche Familie sich bewogen fand, die Wagen zu verlassen und mit den Umstehenden über die Ursache der Abreise zu sprechen. Kaiser und Kaiserin waren ganz verweint, die Erzherzogin Sophie konnte vor Schluchzen keine Sylbe hervorbringen (...). In Eggenburg kamen die Mädchen entgegen, alle 129 mit schwarzgelben Bändern geziert (...).“ Auch Tiroler Abgeordnete besuchten den kaiserlichen Hof in Ölmütz, wo sie herzlich empfangen wurden: „Über den Empfang unserer (Tiroler, r.t.) Deputirten beim Kaiser in Ölmütz entnehmen wir Folgendes: Der gute Kaiser empfing uns in Gegenwart Ihrer Majestät der Kaiserin mit besonderer Freundlichkeit (...). Eben so herzlich war unser Empfang bei Seiner kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Franz Karl, der 130 Frau Erzherzogin Sophie und den übrigen Mitgliedern des Kaiserhauses.“ 127 Innsbrucker Zeitung, Nr. 9, 16. Juni 1848, S. 38. Volksblatt, Nr. 7, 9. August 1848, S. 59. 129 Volksblatt, Nr. 31, 13. November 1848, S. 195. 130 ebda, S. 196. 128 45 6. Das Bürgertum in Tirol und Vorarlberg BürgerInnen in Tirol und Vorarlberg (Prozente) 40 30 19 20 20 10 10 17 12 12 Pustertal An der Etsch 10 0 Vorarlberg Oberinntal 131 Das Diagramm 6 Unterinntal Trient Rovereto zeigt die prozentuelle Verteilung der Bürgerlichen in Tirol und Vorarlberg. Insgesamt waren 4,32% der Bevölkerung Bürgerliche. Adlige machten 0,41% Prozent aus. Adlige wohnten hauptsächlich in Trient (1/3) und Unterinntal (mehr als ein Viertel). In Vorarlberg zählten Adlige nur 2,5%, während dort fast ein Fünftel der Bürgerlichen lebte. Dies ist durch die große Ansiedlung protoindustrieller Betriebe, v. a. der Textilfabriken, erklärbar. B eamte in Tirol und Vorarlberg (Proz ente) 38 40 30 17 20 10 10 7 8 10 Pus tertal An der Ets ch 10 0 Vorarlberg Oberinntal U nterinntal Trient R overeto 132 Insgesamt gab es in Tirol und Vorarlberg 0,29% Beamte. Diagramm 7 zeigt die prozentuelle Verteilung der Beamtenschaft in Tirol und Vorarlberg. In der Landeshauptstadt Innsbruck waren mit 38% erwartungsgemäß am meisten Beamte tätig. 131 132 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 133f. ebda. 46 Das Bürgertum jedoch als homogene Masse darzustellen, würde in die Irre führen. Markante Differenzen wurden offensichtlich: so muss zwischen den Bürgerlichen in Wien, Tirol oder Vorarlberg unterschieden werden. Aber auch innerhalb des Bürgertums (Bildungs-, Handels- und Besitzbürgertum; Groß- und Kleinbürgertum). Das Bildungsbürgertum rekrutierte sich – anders als in Wien – in Tirol größtenteils aus dem geistlichen Stand. Für die arme ländliche Bevölkerung war der Eintritt in den geistlichen Stand oft der einzige Ausweg aus ihrer prekären Situation, die einzige 133 Möglichkeit zur höheren Bildung oder Studium. Finanziell und politisch einflussreicher war das Handelsbürgertum (in Bozen, Innsbruck, Trient und Rovereto), das eine wichtige Rolle in der sozioökonomischen Entwicklung Tirols spielte. Dieses sah in den Modernisierungen (z.B. Eisenbahn) beträchtliche Nachteile für den Handel sowie eine Bedrohung ihrer Existenz. Es stellte sich deshalb gegen Erneuerungen und Innovationen in Tirol. Hans Heiss beschrieb das Handelsbürgertum als volksfrömmig, mit einem „Hang zur Mystik und Weltabgewandtheit", 134 135 das einen „militanten und ultramontanen Katholizismus" ausübte. Die BesitzbürgerInnen spielten kaum eine Rolle für Tirol. Der größte Teil des Bürgertums war im Gastgewerbe (Fremdenverkehr und Kurwesen) tätig. Zum Kleinbürgertum zählten die selbständigen Handwerker. Der Großteil des Tiroler Bürgertums sah keine Notwendigkeit, sich für bürgerliche Rechte einzusetzen. Man stieß auf Desinteresse an Modernisierungen und Reformen. Das Bürgertum genoss wie nirgendwo anders Privilegien des Adels. Auch die schlechten Erfahrungen während der Angliederung an das reformorientierte Bayern hinterließen deutlich ihre Spuren. Die meisten Bürgerlichen in Tirol waren daher sehr konservativ, reformkritisch und -ablehnend, volksfrömmig und ultramontan geprägt: „Bäuerlich-bieder, bürgerlich-behaglich und geistlich-fromm floß das Leben dahin, 136 und von umstürzlerischen Gelüsten war hier wohl so gut wie nichts zu spüren." 133 vgl. Hans Heiss, Bürgertum in Südtirol. Umrisse eines verkannten Phänomens; in: Ernst Bruckmüller u.a. (Hg.), Bürgertum in der Habsburgermonarchie, Wien 1990, S. 306. 134 zit. ebda, S. 303. 135 zit. ebda. 47 Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten die bürgerlich-liberalen und deutschnationalen Lager ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein in Tirol, was sich in der regen Vereinskultur, wie die (deutschnationalen) Männergesangs- und Turnvereine, der Alpenverein und Schützentruppen, widerspiegelte. 137 6.1. Bürgerliche Frauen in der Tiroler Presse Nachfolgend wird auf folgende Fragen näher eingegangen: Welche Darstellungen von Bürgerinnen gab es in den Printmedien? Wurde die bürgerliche Frauenrolle widerstandslos angenommen? Wie agierten sie im Alltagsleben? Gingen sie außerhalb der Privatsphäre „Berufen“ nach? Welches politisches Engagement entwickelten sie 1848? Welche Relevanz kam dem Engagement zu? Welche Auswirkungen hatte das auf die politischen Entscheidungsträger? 6.2. Neue öffentliche Räume für Bürgerinnen: Aufbruch aus den Wohnzimmern In der Revolution von 1848 öffneten sich viele politische Wirkungsfelder für Bürgerinnen: im neuen Vereinswesen, in der Presse, als Zuhörerinnen in der Frankfurter Paulskirche usw. nahmen sie aktiv teil. Das spielte für den weiteren Verlauf der (bürgerlichen) Frauenbewegung eine wesentliche Rolle, und Grundsteine zur Emanzipation wurden gelegt. Viele adlige und bürgerliche Frauen sahen Modelle außerhalb ihrer festgesetzten Rolle. Neue bzw. gelockerte Strukturen erlaubten es Frauen, ihre Interessen in selbständigen Organisationen zu vertreten. 138 Gerade in Zeiten wie 1848 etablierten sich verschiedene politische Institutionen, starre Rollen brachen auf, und politische Diskurse standen an der Tagesordnung. Trotz allem engagierten sich aber nur wenige Frauen politisch. Diese politisch aktiven Frauen planten oft konkrete Aktionen. Sie traten aus der privaten Sphäre. Obwohl sie von Wahlen und direkter politischer Partizipation ausgeschlossen waren, fanden sie neue (andere) Räume politischer Partizipation und Solidarität. Dank der Medien wurden deshalb auch diese politischen Frauenbilder sichtbar: 136 zit. nach Gschließer, Das Jahr 1848, a.o.O., S. 32. vgl. Heiss, Bürgertum in Südtirol, a.o.O., S. 308. 138 vgl. Carola Lipp, Bräute, Mütter, Gefährtinnen. Frauen und die politische Öffentlichkeit in der Revolution 1848; in: Grubitsch, Grenzgängerinnen, a.o.O., S. 72. 137 48 6.2.1. Die Damentribüne – ein politischer Raum Von großer politischer Relevanz war die Präsenz bürgerlicher Frauen auf der „Damentribüne“ in der Frankfurter Paulskirche. Dort waren 200 Tribünenplätze für Frauen reserviert: „Nationalversammlung zu Frankfurt: (...) Auch wir Tiroler haben tüchtige und edle Männer nach Frankfurt in die Paulskirche gesendet. Doch kurz zuvor will ich euch den Versammlungsort erklären: (...). Es steht eine große Kanzel (Tribüne), von wo hinab die Redner sprechen. In kreisförmigen Linien sind die Sitze der Abgeordneten angeordnet. Hinter diesen folgen noch einige Bankreihen für 139 zuhörende Männer und Frauen.“ Auch das Tiroler Wochenblatt hielt fest: „Frankfurter Nationalversammlung (...). Die Damentribüne war vollständiger als je besetzt mit allen Farben und Flittern irdischer Freude oder Eitelkeit. Die Galerie 140 konnte kaum athmen, so vollgestopft war sie.“ Die Möglichkeit zur Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen wurde also von einer beachtlichen Gruppe von Frauen wahrgenommen. 141 Das Zuhören war eine Alternative, in denen Frauen an den Sitzungen der „Volksvertretungen“ teilnehmen konnten. Dieser erstmalige Eintritt in eine bis dahin reine Männerdomäne beeindruckte, irritierte aber auch viele Abgeordnete. Sie erregten Aufmerksamkeit. Plötzlich waren Männer nicht mehr unter sich. Es blieb den Abgeordneten ein Rätsel, warum Frauen ein solch gesteigertes Politikinteresse zeigten. Wie Frauen selbst diesen neuen Raum erlebten, wurde leider nirgends geschildert. Sie haben nicht nur still und aufmerksam dagesessen, sondern beeinflußten oft die politische Diskussion durch Zu- oder Buhrufe: „(...). Eine Flut der beredetsten Worte stempelten ihn zum Philister, Reaktionär 142 oder, wie das Modewort hieß, zum Heuler.“ 139 Volksblatt, Nr. 3, 5. Juli 1848, S. 11. Tiroler Wochenblatt, Nr. 2, 19. Juli 1848, S. 7. 141 vgl. Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt am Main 1986, S. 73. 142 zit. nach Hummel-Haasis, Schwestern a.o.O., S. 39. 140 49 Bild: Eine gut besuchte Versammlung mit bürgerlichen Frauen als Zuhörerinnen; aus: Heinz Rieder, Die Völker läuten Sturm. Die europäische Revolution 1848/49, Köln 1997, S. 128. Solche neue Räume waren von immenser Bedeutung: Frauen entwickelten ein politisches Bewusstsein und Interesse. Sie bildeten sich ihre eigene Meinung über Themen, äußerten Kritik an politischen Inhalten und Abgeordneten und hatten oft politisches Feingefühl. Auch außerhalb erörterten Frauen mit großer Leidenschaft die tagespolitischen Fragen. Manche Frau diskutierte mit ihrem Ehemann eifrig: „(...). ‚Aber sage mir doch mal, wie könnt Ihr Euch um leere Formen so streiten? Das schadet ja den Sachen. Ihr kommt ja mit nichts vorwärts!‘ Will der Herr Gemahl die Fragerin mit dem herkömmlichen Satz ab und zur Ruhe weisen: ‚Liebes Kind, das verstehst Du nicht‘, so versetzt liebes Kind: ‚Ei, ich hab es mir ja mit angehört, wie Herr A. und B. Euch das nämliche vorgehalten hat. Sind das nun Leute, die es gewiß verstehen, so sind wir Frauen auch zur Einsicht gekommen. Es sind ja auch unsere Dinge, und wir lassen uns vom Urteil darüber 143 nicht mehr ausschließen!‘ (...).“ Auf den Tribünen harrten ausschließlich bürgerliche Frauen („Damen“) aus. Arbeiterinnen konnten kaum dabei gewesen sein. Diese hatten andere (existentielle) 143 zit. nach ebda. 50 Sorgen als sich für bürgerliche Rechte einzusetzen. Auch Adlige waren nicht anwesend. Für sie bedeutete Demokratisierung und Parlamentarismus ein großer Privilegienverlust. Dieser Raum war also ein rein bürgerlicher. Im Gegensatz dazu verschwammen die öffentlichen Räume der Spenden, Fahnenstickerei und Wohltätigkeitsvereine: Adlige und Bürgerinnen beteiligten sich daran. 6.2.2. Spenden als politische Wirkungsbereiche Ein weiteres politisches Feld eröffnete sich durch Spenden vieler Bürgerinnen und Adliger. Sie gaben dadurch indirekt ihre politische Gesinnung kund. Folgende Frauen spendeten der Nationalgarde: „Dem Nationalgarden-Verwaltungsrathe wurden ferner nachstehende weitere Beiträge übergeben (...). Frau Gunz, Kaufmannswitwe 12 fl. Für welche patriotischen Gaben hiermit der wärmste Dank erstattet und um weitere Beiträge 144 ersucht werden.“ „Für den Nationalgarden-Fond wurden dem gefert. Verwaltungsrathe weitere 145 Beiträge eingehändigt: (...) Frau Witwe Hild, 9 fl 36 kr.“ 6.2.3. Fahnensticken und -spenden als politische Territorien Fahnenstickerei und -spenden sind Räume mit politischer Symbolik. So auch in der Revolution von 1848. Die Presse berichtete unzählige Male über diese: „Das Preßgesetz wurde veröffentlicht. In der Nacht kamen Männer auf die Universität und übergaben der wachhabenden Abteilung der Studenten die Fahne mit dem Bedeuten sie aufzuhängen. In aller Frühe hingen auf der Straße herab zwei schwarz rot goldene Fahnen. Mit welchem Jubel wurden sie empfangen! Und wer hat sie gesandt? Frauen von Wien waren es; diese gaben uns die Banner zum Kampf für Deutschland. Sechs dieser Frauen von Wien! Ich möchte eine nach der anderen küssen vor lauter Freude! (...). Sie zogen zum Standbild des letzten deutschen Kaisers – zu Joseph. Von den Fenstern sahen schöne Frauen herab. Ich rief ihnen zu: ‚Sehen Sie, Frauen von Wien, das sind die Farben, mit denen sie sich künftig schmücken sollen!‘ ‚Ja, ja!‘ antworteten sie, 146 das wollen wir! und winkten freudig herab.“ Männer wie Frauen setzten sich für gemeinsame Ideale ein, ihre Handlungsmöglichkeiten waren aber sehr unterschiedlich. Die Geschichtsschreibung gab aber größtenteils nur die Partizipation von Männern wieder. Durch Sticken und Spenden sympathisierten Frauen mit einer politischen Richtung. Eine schwarz-rot-goldene Fahne machte etwa ihre liberale bzw. deutschnationale Haltung sichtbar: 144 145 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 41, 13. Oktober 1848, S. 164. Bregenzer Wochenblatt, Nr. 42, 20. Oktober 1848, S. 168. 51 „Von der Etsch. Der August war's, der Deutschland mit all' den wunden Flecken zur Schau stellte. Nur ein Häufchen Liberaler feierte das deutsche Fest zur Vereinigung Deutschlands. Böllerschüsse verkündeten am Morgen den großen Tag, der Kapuziner Nischler sprach über das Glück, Erzherzog Johann an der Spitze des deutschen Volkes zu sehen, und der sonst so beurteilte Dekan Santer sang das Deum laudamus. Ein großer Festzug unter Vortragung deutscher Fahnen, wovon eine das schöne Geschenk Meraner Frauen, eröffnete das 147 nationale Scheibenschießen.“ Fahnensticken war also politisch. 148 Die tragende Symbolik einer Fahne war jene des Schutzes, der Verteidigung des Vaterlandes: „Öffentlicher Dank. Von den Frauen Innsbrucks dargebrachten freiwilligen Beiträge zur Anschaffung einer Fahne für die zur Verteidigung ihres Vaterlandes unter der Anführung des Kapuziners Joachim Haspinger aus Wien zurückkehrenden Tiroler Freiwilligen sind so reichlich ausgefallen, dass sie um ein Namhaftes überstiegen. Nach dem ausgesprochenen Wunsche der Geberinnen wurde der Geldüberschuß den Unterzeichneten übergeben, ihn zum Besten der hiesigen unbemittelten Studierenden des Universitäts-Korps zu 149 verwenden.“ „Gräfin Maria von Chotek spendet eine Fahne zur Landesverteidigung. Heil der 150 edlen Geberin!“ „Tausende von Fahnen, die teilweise von den patriotischen Frauen als Geschenk 151 dargereicht wurden, wehten nach dem Takt des Tamburins.“ Zur Anfertigung einer Fahne trafen sich bürgerliche Frauen oft abends oder sonntags. Sie mussten den Entwurf besprechen, den Stoff besorgen und Spendengelder organisieren. Frauen trafen dabei wiederum auf Frauen, die sie außerhalb des traditionellen Familien- und Verwandtschaftsverbandes kennen lernten. Diese Gruppen halfen die häusliche Isolation zu durchbrechen und gegenseitig Gedanken auszutauschen. Gleichzeitig bildete diese Aktivität auch eine neue Form der Frauenöffentlichkeit. 146 152 K.K. Priv. Bothe, Nr. 29, 6. April 1848, S. 149. Innsbrucker Zeitung, Nr. 60, 13. September 148, S. 254. 148 vgl. Tamara Citovics, Bräute der Revolution und ihre Helden. Zur politischen Funktion des Fahnenstickens; in: Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 339. 149 K.K. Priv. Bothe, Nr. 37, 20. April 1848, S. 190. 150 K.K. Priv. Bothe, Nr. 51, 21. Mai 1848, S. 250. 151 Il messaggiere tirolese, Nr. 25, 25. März 1848, S. 2: 'Migliaia di bandiere, parte dono di donne patriotiche, sventolavano al capo suono dei tamburi.' 152 vgl. Citovics, Bräute der Revolution, a.o.O., S. 341ff. 147 52 Die feierliche Übergabe erfolgte fast überall gleich. 153 Nach der Morgenmesse holten die Männer die Frauen und das verhüllte Geschenk ab. Die Spenderinnen gingen hinter den Fahnenträgern geschlossen zur Feier. Bil d: Fahnenweihe. Universität Tübingen; aus: Citovics; Bräute der Revolution, a.o.O., S. 347. Auf dem Festplatz oder in einem Saal nahmen die Frauen Ehrenplätze in der vordersten Reihe ein. Sie standen im Mittelpunkt dieser Feierlichkeiten. Die Fahne wurde geweiht. Zahlreiche ZuschauerInnen erfreuten sich der Festlichkeit. Öffentlich bedankte man sich bei den großzügigen Spenderinnen: „Eppan, 6. Aug. Anlaß zu dieser Feierlichkeit war der Auszug unserer zweiten Schützenkompanie und die kirchliche Weihe der neuen kostbaren Fahne, welche 154 die edle Frau Baronin Anna von Call unserer Kompanie verehrte.“ „Bei der Weihe der von den Frauen Innsbrucks gewidmeten Fahne hielt Erzherzog Johann eine kräftige Anrede, und forderte durch einen Aufruf von 23. April die Tiroler und Vorarlberger dringend auf, die vaterländischen 155 Wehranstalten zu vollenden.“ „Die wackere Standesschützen Companie unserer Stadt übt sich unter der (...) Leitung des k.k. Herrn Hauptmanns Reißinger fast täglich in den Waffen mit dem besten Erfolge. Am 16. d.M. hatte die Weihe des im reichsten Goldschmucke prangenden Bandes, welches die verehrte Frau Gemahlin unseres Herrn Kreishauptmannes, als Pathin der Schützenfahne unserer Companie spendete, 156 in feierlicher Weise statt.“ Nach einem Zeremoniell wurde die Fahne feierlich übergeben. „Heute nachmittag fand die feierliche Übergabe und Weihe der Fahne statt, welche Innsbrucker Frauen den von Wien zur Landesverteidigung 157 ausgezogenen Tiroler Studenten zu widmen beabsichtigt haben.“ 153 ebda, S. 345. Tiroler Wochenblatt, Nr. 11, 12. August 1848, S. 36. 155 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 18, 5. Mai 1848, S. 70. 156 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 20, 19. Mai 1848, S. 79. 157 K.K. Priv. Bothe, Nr. 40, 25. April 1848, S. 200. 154 53 Bild: Segnung der schwarz-rot-goldenen Fahne der Tiroler Studenten in Wien vor ihrem Aufbruch zur Landesgrenze. Ölgemälde von Alois Schönn 1864, Ferdinandeum Innsbruck; aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 700; vgl. auch Hans Heiss, Am Rand der Revolution, a.o.O., Umschlagbild. 6.2.4. Petitionen – politische Einflussbereiche Politische Öffentlichkeit von Frauen bekam 1848 eine neue Qualität. Frauen nutzten häufig die Presse, um ihre politischen Ansichten kundzutun. Meist wandten sie aber diese neuen Freiheiten zur Aufrechterhaltung der Alten Ordnung an. Petitionen und Unterschriftenaktionen, welche erst die Presse- und Meinungsfreiheit ermöglichten, bekamen für Frauen eine neue politische Dimension. Sie übten somit auf die Entscheidungsträger Druck aus und griffen in den politischen Meinungsbildungsprozess ein: „(...). Die Anwesenheit des Kaisers versuchte man zu benützen, um auf kürzestem Wege aus seinem Kabinette das zu holen, was man in Wien kaum im äußersten Vorzimmer zu begehren gewagt hätte, (...). Im Arbeitsbeutel frommer Damen konnten jene Petitionen auf den Schreibtisch des Kaisers wandern, welche Pillersdorf und Dobblhoff der Einhändigungs-Deputation zurückgegeben 158 hätten.“ 6.2.5. Die Presse als mediales Politikfeld Das Selbstbewusstsein einiger Frauen zeigte sich auch durch die (neue) Öffentlichkeitsarbeit in der Presse. Anhand von Pressemeldungen, -mitteilungen und 158 zit. nach Kaiser, Tirol, a.o.O., S. 43. 54 Danksagungen traten einige in eine bis dato reine männliche Domäne. So bedankte sich der Vorstand des Frauenvereines öffentlich bei der Kaiserin durch ihre großzügige Spende: „Ihre Majestät die Kaiserin Mutter hat dem Frauenvereine auch heuer ein Geschenk im Betrage von 100 fl. k.M. zugewendet und bei diesem Anlasse zugleich die Versicherung beigefügt, dass es Allerhöchst Ihnen wohltue zu sehen, dass die biederen Tiroler auch in der gegenwärtig bewegten Zeit dieselbe aufopfernde Treue und Ergebenheit bewähren, die sie von jeher ausgezeichnet 159 hat. Innsbruck, 22. April 1848. Von der Vorstehung des Frauenvereines.“ 6.2.6. Wohltätigkeitsvereine als politische Räume Politisches Engagement geschah häufig in Wohltätigkeitsvereinen. Diese waren teils privat, teils halbstaatlich. Sie gaben Frauen erstmals die Möglichkeit, eigenständige Initiativen in der Öffentlichkeit zu setzen, ihre Ziele und Organisationsformen selbst zu bestimmen. 160 Frauen aus verschiedenen Ständen besetzten diesen öffentlichen Raum. In den ersten Wohltätigkeitsvereinen sah man die Anfänge weiblicher Fürsorglichkeit und organisierter „Mütterlichkeit" in der Öffentlichkeit. Fürsorglichkeit galt als „typisch weibliche Eigenschaft“ der neuen Rolle. Und deshalb fand dieses Engagement auch die Akzeptanz außerhalb der Privatsphäre. Abgesehen von dieser Fürsorglichkeit zeigte sich aber ein breiter Handlungs- und Spielraum für Frauen. Trotz konservativer Wertvorstellungen konnten sie sich in Gebiete vorwagen, die bis dahin Oberschichtsfrauen verschlossen waren: in Schulen, Spitäler, Gefängnisse, die Häuser der Armen, die Straßen. So beanspruchten sie einen großen öffentlichen Raum in der Sozialpolitik. Die einfachste Möglichkeit zum Ausbruch aus dem Wohnzimmer lag nicht in offener 161 Rebellion, sondern auf dem Weg der humanitären Wohltätigkeit. Dieses Recht, des sozialen Bis Engagements musste jedoch erkämpft werden. dato hatten Oberschichtsfrauen „nur“ Almosen verteilt und die kirchliche Fürsorge unterstützt; doch kein direktes Handanlegen war erfordert. Nun übernahmen sie oft die gesamte Organisation, kümmerten sich um Spendengelder, verhandelten mit öffentlichen Institutionen, besorgten Stoffe und anderes Material, traten mit Händlern in Kontakt, 159 K.K. Priv. Bothe, Nr. 39, 24. April 1848, S. 194. vgl. Sabine Rumpel-Nienstedt, „Thäterinnen der Liebe" – Frauen in Wohltätigkeitsvereinen; in: Carola Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 206. 160 55 bezahlten Angestellte und Miete, usw.; kurz ein neuer Engagement-, Organisations-, Kommunikations- und Informationsort für Frauen aus gehobenen Schichten. Bild von der ersten Verteilung der „Rumforter Suppe“, aus: Reschauer, Das Jahr 1848; in: http://www.aeiou.at/aeiou.history.docs/20700.htm Als ein Beispiel solcher Wohltätigkeitsvereine fungierte der seit 1834 bestehende Frauenverein in Innsbruck. Ziele wurden in der Errichtung bzw. Erweiterung von Industrieschulen und Kinderhorten gesetzt. Ganz im Sinne der konservativen Politik Tirols versuchte man durch strenge Disziplinierung der Unterschichten, jeglichen sozialen Protest zu unterdrücken. Die soziale Frage wurde aber nicht gelöst. Die Presse ermöglichte ein Sichtbarwerden der Aktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit des Frauenvereins: 161 vgl. Bonnie S. Anderson/Judith P. Zinsser, Eine eigene Geschichte. Frauen in Europa, Bd. 2. Vom Absolutismus zur Gegenwart, Frankfurt am Main 1995, S. 205f. 56 6.2.5.1. Beispiel: Der Frauenverein in Innsbruck Am 7. Februar 1834 gründete Gräfin Wilczek, geb. Chorinsky, einen Frauenverein, der innerhalb kürzester Zeit 200 Mitglieder zählte. Hauptanliegen war die Errichtung bzw. Erweiterung von Industrieschulen für arme, arbeitslose Mädchen und Kinderhorte in Dreiheiligen, in der Angerzellgasse und St. Nikolaus. Zweck dieser Industrieschulen bzw. Kinderhorte war die sittliche und religiöse Erziehung armer Mädchen und Kinder. Durch strenge Disziplinierung der unteren Schichten wollte man dem „Sittenverfall“ entgegenwirken. 162 Dabei wurden in der Presse zwei Wirkungsfelder besonders sichtbar: • Durch eine neue Dimension der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit konnte der Innsbrucker Frauenverein seinen Tätigkeitsbericht publizieren: „Seit der Begründung des Frauenvereins ist nun beinahe ein Jahr verflossen. Der Ausschuß des Vereins möchte deshalb die Öffentlichkeit über ein Jahr Tätigkeit 163 informieren.“ • Soziale Wohltätigkeit erforderte von den Mitgliedern des Frauenvereins direktes Handanlegen: „Der Verein begann seine Wirksamkeit mit Erforschung der zur Förderung und Erweiterung der Wohltätigkeitsanstalten sich darstellenden Bedürfnisse, und suchte durch die aufgestellten 34 Bezirksfrauen die Zahl jener Kinder in Erfahrung zu bringen, welche sich für die beiden Institutionen eigneten. Zugleich wurde eine Vergrößerung der Industrieschulen in Dreiheiligen und Vermehrung der Kleinkinderwart-Anstalten veranlaßt. Der Magistrat sah eine Erhöhung von 20 auf 200 Mädchen, die Platz zum Arbeiten haben. Gleichzeitig eröffnete der Verein ein Lokal zur Aufnahme der kleinen Kinder in der Nähe der Drei-HeiligenKirche und ein anderes in der Angerzellgasse. (...). Sobald die Lokalitäten eingerichtet waren, ging man zur Bestellung des Personals. Für die beiden Industrieschulen war in dieser Hinsicht bereits durch die schon angestellten und aus städtischen Mitteln besoldeten Lehrerinnen gesorgt. Dagegen nahm es der Frauenverein auf sich, nicht nur die Lehrerin an der Industrie-schale zu Dreiheiligen mit einer zu der vermehrten Zahl der die Schule besuchenden Kinder im Ebenmaße stehenden Zulage zu betheilen, sondern auch die Anstellung des für die drei Kinderbewahr-Anstalten bestimmte Wärterinnen aus der Vereinskasse zu bereiten. (...). Nebst dem Gehalte des Lehrers Quirin Sorg, bestreitet der Frauenverein die Remuneration der Wärterinnen, wovon Anna Mooser die Schule beständig, Anna Haller aber nur nachmittags besucht. (...). Das nimmt allein einen jährlichen Aufwand von 740 fl.R.M. in Anspruch. So waren nun durch die rühmlichen Zusammenwirken der Geistlichkeit, des Magistrats, der Armen-Direktion und des Frauenvereins die Institutionen 162 vgl. Konrad Fischnaler, Innsbrucker Chronik mit Bildschmuck nach alten Originalen und Rekonstruktions-Zeichnungen, Innsbruck 1929, S. 295. 163 K.K. Priv. Bote für Tirol und Vorarlberg. Extra Beilage, Nr. 8, 29. Dezember 1834. 57 begründet und erweitert, zu deren Beförderung sich die Frauen dieser Stadt vereinigt hatten. (...). Nicht bloß in Innsbruck, sondern auch im ganzen Lande wurde die Zweckmäßigkeit dieser Anstalten anerkannt, indem selbst ferne Gemeinden Mädchen eigens hierher sendeten, (...), um dann zu Hause als Lehrerinnen auftreten zu können. (...). Zur besonderen Pflicht machte es sich der Frauenverein, die in diesen Anstalten zum häuslichen Dienste zu bringen, (...). Der Verein hat deshalb eine dringende Bitte, möglichst viel zu andauernd mit Arbeit zu versorgen. Um die Arbeitspreise zu regulieren und das Zubringen des Materials zu erleichtern, wurden die Preise von Seiten des Vereins mit Berücksichtigung aller Verhältnisse festgesetzt. (...). V.a. ergeht die Bitte an die Hausfrauen, die hier herangebildeten Mädchen in ihrem Familienkreis als Dienstmägde aufzunehmen, und selbe auf solche Art für die Zukunft zu sichern. (...). 164 Der Ausschuß des Frauenvereines.“ Die Vorbildfunktion dieses Frauenvereines ließ weitere Wohltätigkeitsvereine entstehen. 1849 entstand der Elisabethverein, dessen Mitglieder ausschließlich Frauen waren. Durch ihre unermüdlichen Spendenaufrufe konnten sie zwischen 1850 und 1900 einige Institutionen errichten z.B. das Margarethinum als Heim für Dienstbotinnen, ein Mädchen-, Waisen- und Erziehungshaus, das Marienheim für berufstätige Mädchen und das Notburgaheim für alte Dienstbotinnen. 165 Der Patriotische Frauenhilfsverein in Innsbruck wurde 1874 gegründet. Durch das Engagement in Frauenvereinen fanden viele gehobene Frauen die Möglichkeit, die konservative Politik ihrer Männer zu unterstützen. Die Erfahrungswerte in solchen Vereinen dürfen nicht unterschätzt werden. Während viele Innsbrucker Gehobene bereits Organisationsstukturen kennen lernten, fehlte noch manch anderer Tiroler Bürgerin das Gespür, sich zu organisieren. Ein Beispiel lieferte die Gründung des Patriotischen Frauenhilfsvereines (1880) in Brixen: Der Bürgermeister Leonhard Staub erließ ein Rundschreiben an die Frauen und Mädchen von Brixen zur Bildung eines Patriotischen Hilfsvereins. Es erschienen 70 Frauen. Es sollten 12 Ausschussfrauen gewählt werden: Doch da den Frauen von Brixen jede politische Erfahrung fehlte, musste die Wahl der Vorstandsfrau erst einmal verschoben werden, worauf sie zum Gelächter und Gespött der männlichen Mitbürger wurden. 164 166 ebda. vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte Tirols, a.o.O., S. 107. 166 vgl. Heiss, Aufzeichnungen des Färbermeisters, a.o.O, S. 258. 165 58 6.3. Berufe 6.3.1. Lehrerin und Erzieherin Während das Engagement in Wohltätigkeitsvereinen unentgeltlich war, konnten Frauen durch neu entstandene Berufe eigenes Geld verdienen: Einer der gesellschaftlich akzeptierten Berufe für Bürgerinnen war im 19. Jahrhundert jener der Lehrerin. 167 Im Auszug des Frauenvereines wurden auch Lehrerinnen und Wärterinnen erwähnt. Auch heute noch unterrichten an Schulen mehrheitlich Frauen (Ausnahmen sind höhere Schulen). Wahrscheinlich eine Folge der gesellschaftlichen Anerkennung von Lehrerinnen im vorletzten Jahrhundert. Doch so selbstverständlich war diese Berufsausübung bei weitem nicht: „Eine Frau, die schon viele Jahre Unterricht in der französischen und italienischen Sprache auf eine leichte und faßliche Art, sowohl für Knaben und Mädchen als auch für Erwachsene ertheilte, wünscht auch hier Unterricht in diesen Sprachen zu geben, und bittet daher jene, welche sie mit dem Zutrauen beehren und in einer oder der anderen Sprache Unterricht zu erhalten wünschen, 168 es der Expedition dieses Blattes anzuzeigen.“ Da die Monarchie durch die Napoleonischen Kriege faktisch bankrott war, übergab sie die gesamte Schulkompetenz mit Ausnahme der Schulgesetzgebung der Kirche: 169 „(...). Die künftigen Mütter des Volkes werden von weltscheuen, kenntnißarmen 170 Nonnen erzogen (...).“ Der Unterricht für Mädchen lag bei den geistlichen Schulordensschwestern (Tertiarinnen, Ursulinen, Englische Fräulein, Barmherzige Schwestern). Sehr wenige weltliche Lehrerinnen unterrichteten bis in die 40er Jahre in Schulen. 171 (Meist waren dies Lehrersfrauen oder -witwen, die den Mädchen neben Handarbeiten auch Schreiben und Lesen beibrachten). Ordensschwestern legten erwartungsgemäß besonderen 167 Wert auf eine typisch weibliche Erziehung: ausgiebiger vgl. Gunda Barth-Scalmani: Geschlecht: weiblich, Stand: ledig, Beruf: Lehrerin. Grundzüge der Professionalisierung des weiblichen Lehrberufs im Primarschulbereich in Österreich bis zum Ersten Weltkrieg; in: Erna Appelt (Hg.), L'homme Schriften: Reihe zur feministischen Geschichtswissenschaft 2, Wien 1995, S. 344. 168 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 39, 29. Sept. 1848, S. 158. 169 vgl. Barth-Scalmani, Geschlecht: weiblich, a.o.O., S. 358. 170 zit. nach Kaiser, Tirol, a.o.O., S. 17. 171 vgl. Barth-Scalmani, Geschlecht: weiblich, a.o.O., S. 361. 59 Religionsunterricht, ordentliche Hauswirtschaftskenntnisse, sittliche und tugendhafte Erziehung und ein bisschen Allgemeinbildung. 172 Die erstmalige Zulassung weltlicher Lehrerinnen nutzten einige Frauen des Bürgertums als Chance für ein Leben außerhalb der Frauenrolle. Ihre unkonventionellen Ausbrüche aus den Wohnzimmern waren aber durch die Schulgesetze stark eingegrenzt. 173 6.3.2. Mädchenbildung Die Tiroler Schulordnung von 1586 sah keine Trennung zwischen Mädchen- und Bubenunterricht vor. Erst die Theresianische Schulordnung von 1774 forderte einen getrennten Unterricht sowie die allgemeine Schulpflicht. Von da an stiegen die Zahlen der reinen Mädchenklassen an. 1850 gab es in Tirol 350. 174 Die Schulreform regelte nicht nur die Aufnahme von weltlichen Lehrerinnen, sondern auch die gesamte Mädchenbildung. In den Medien ließen sich diesbezüglich unzählige Diskussionen mitverfolgen: „Art 1. Wie schon bekannt, soll das ganze Schulwesen (...) neu eingerichtet werden (...). Es soll hier nur die Rede sein von den Volksschulen, weil diese den gemeinen Mann am meisten angehen (...). Damit das in Werktagsschulen Erlernte nicht so leicht vergessen würde, besuchten sowohl die Knaben, als die Mädchen, bis zum 15., an den meisten Orten zum 18. Jahre, die Wiederholungsund Feiertagsschulen (...). Was soll nun künftig in den Volksschulen gelehrt und gelernt werden (...). Anweisung zu nützlichen Beschäftigungen, z.B. 175 Obstbaumzucht, weibliche Arbeiten.“ 1869 folgte eine neuerliche Schulreform. Doch manche Paragraphen behielt man bei. So auch den § 124. Dieser schrieb den Lehrerinnen vor, dass sie neben den Lernfächern auch in den „allgemein notwendigen und nützlichen weiblichen Handarbeiten" 176 geübt sein müssen. Ein Gesetz, das die weibliche Sozialisation vorantreiben sollte. 177 Ein Gesetz zur „sittlichen und tugendhaften“ Erziehung. Es förderte jene Eigenschaften, die für das bürgerliche Ideal der Weiblichkeit notwendig geworden waren: Ausdauer, Geduld, Tugend, sexuelle Enthaltsamkeit, Sittlichkeit, 172 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte Tirols, a.o.O., S. 110. ebda, S. 111f. 174 ebda, S. 109. 175 Volksblatt, Nr. 29, 6. November 1848, S. 181. 176 zit. nach Barth-Scalmani, Geschlecht: weiblich, a.o.O., S. 359. 177 vgl. Anderson/Zinsser, Eine eigene Geschichte, a.o.O., S. 40. 173 60 Selbstbeherrschung, Selbstzwang, Disziplin usw. 178 Die Fächer Handarbeit und Zeichnen sollten im wesentlichen für eine stille biedermeierliche Gemütlichkeit in der Familie sorgen. Deshalb fand man wiederholt Angebote zum Handarbeits- und Zeichenunterricht außerhalb der regulären Schulstunden: „Auf mehrmaliges Ersuchen gibt der Gefertigte im Schuljahre 1848/49 für Mädchen 3 Stunden wöchentlich d.i. Dienstag, Donnerstag und Samstag von 2 bis 3 Uhr Nachmittags für ein angemessenes Honorar Zeichnungsunterricht im Schulgebäude. Eltern, welche ihre Töchter in dieser Kunst unterrichten lassen wollen, werden daran mit dem Bemerken verständigt, sich bis letzten November 179 zu erklären.“ Diese Beschäftigungen galten für Oberschichtsfrauen als gesellschaftliche Verpflichtung. Die Ziele waren nicht nur „Tugendhaftig- und Sittsamkeit“, sondern auch eine Hilfe zur Unterdrückung ihrer sexuellen Bedürfnisse. 180 Die „feine Handarbeit“ wurde nicht als Arbeit bewertet, weil sie keinen Marktwert hatte. 181 Hausarbeit wird auch heute noch nicht als Arbeit angesehen. 6.3.3. Gastwirtinnen Nicht nur im schulischen Bereich brachen bürgerliche Frauen aus ihrer privaten Sphäre aus, sondern auch im Gastgewerbe. Im Unterschied zum Geldbürgertum in Wien waren zahlreiche Gastwirtshausfamilien in Tirol – begünstigt durch den aufkommenden Fremdenverkehr – zu wohlhabenden bürgerlichen Familien geworden. Anders als in anderen Ländern konnte man in Tirol den sozialen Aufstieg schaffen. Es gab einige Aufzeichnungen, wo sich ein Knecht zum selbständigen 182 Besitzer eines Gasthauses hinaufarbeitete. Im Gasthaus fanden Informationsaustausch, Trends, politische Diskussionen, Leseabende und kulturelle Veranstaltungen statt. Wirtshäuser waren oft zentrale Treffpunkte von Intellektuellen oder KünstlerInnen. Auch im Gasthaus Bogner, wo Walburga Schindl aufwuchs, traf sich oft der literarische Kreis um Sebastian Ruf, 178 vgl. Dagmar Ladj-Teichmann, Weibliche Bildung im 19. Jahrhundert: Fesselung von Kopf, Hand und Herz?; in: Annette Kuhn u.a. (Hg.), Frauen in der Geschichte IV, „Wissen heißt leben...“. Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983, S. 220. 179 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 45, 10. November 1848, S. 182. 180 vgl. Anderson/Zinsser, Eine eigene Geschichte, a.o.O., S. 225. 181 ebda, S. 222f. 182 ebda, S. 307. 61 Alois Flir, Adolf Pichler, Cornelie Schuler und Alois Brandl. Diese Treffpunkte haben wesentlich zur Entwicklung der Tiroler Dichtung beigetragen. Auch Walburga Schindl 183 wurde von diesen beeinflusst und gefördert. WirtInnen organisierten oft Schauspiele in ihrem Gasthaus. Das 4-Sterne Hotel Bogner ist beispielsweise auch heute noch ein wichtiger Veranstaltungstreffpunkt in Absam. Doch der Wirkungsbereich des Gastgewerbes hielt größtenteils traditionelle Wertvorstellungen und Geschlechterbilder aufrecht: Der Mann trat zu den Gästen, erledigte den Einkauf, hatte die Aufsicht über die Kinder und DienstbotenInnen inne. 184 Die Wirtin ist trotz der traditionellen bürgerlichen Rolle mit anderen Leuten in Kontakt gekommen. Wahrscheinlich wären sich beispielsweise Walburga Schindl und Erzherzogin Sophie nie begegnet, wenn Walburga nicht Tochter einer Wirtshausfamilie gewesen wäre. Dass viele Wirtinnen sich einen legendären Ruf erworben haben und sich als Pionierinnen Erwähnungen. im 185 modernen Tourismus hervortaten, beweisen zahlreiche Frauen haben oft in Eigenverantwortung Gasthäuser geleitet: „Anzeige. Die Unterzeichnete hat die Gastwirthschaft in der Bürgerstraße im Gürtler’schen Hause übernommen, und verspricht das verehrte Publikum mit guten Speisen und Getränken (Wein und Bier) bestens zu bedienen. Es kann sowohl in Table d’hôte, als auch einzeln, sowohl zu Mittag als Abends zu 186 möglichst billigen Preisen gespeist werden. Frau Maria Troll.“ „Sonntag den 5. März ist bei der Unterzeichneten Tanzunterhaltung, wozu 187 ergebenst eingeladen wird. Witwe Braun zum Kaffeehaus.“ 6.3.3.1. Emma Hellensteiner Die bekannteste Pionierin des modernen Tourismus war Emma Hellensteiner. Sie wurde 1818 in St. Johann in Tirol geboren. Sie arbeitete zuerst als Kellnerin im Gasthof ihres Vaters. Bei den Ursulinen in Innsbruck lernte sie italienisch. In 183 vgl. Anton Dörrer, Frühes Frauenschrifttum in Tirol; in: Wort und Gebirge. Schrifttum aus Tirol 10, Innsbruck 1963, S. 129. 184 vgl. Andersson/Zinsser, Eine eigene Geschichte, a.o.O., S. 225. 185 vgl. Gertrud Pfaundler, Tirol Lexikon. Ein Nachschlagwerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol, Innsbruck 1983, S. 125; vgl. auch Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 95-101. 186 Innsbrucker Zeitung, Nr. 92, 8. November 1848, S. 442. 187 ebda. 62 Salzburg perfektionierte sie ihre Kochkunst. Die Sekundärliteratur 188 beschreibt sie als energische, gebildete, intelligente Frau, die schon mit zwanzig die schwierige Brauhausleitung an der Rienz bei Toblach übernahm. Dort lernte sie Josef Hellensteiner kennen. Dieser erbte seinerseits das Wirtshaus „Schwarzer Adler“ in Niederdorf. Sie heirateten 1843. Sie verkauften das Brauhaus. Emma widmete sich von nun an ganz der Gastwirtschaft in Niederdorf und gewann durch zahlreiche Innovationen im Betrieb viele internationale Gäste (Großbritannien, USA, Ägypten, Australien usw.). Gleichzeitig kümmerte sich aber auch um den Haushalt und um ihre sechs Kinder. Ihr Mann war kaum im „Schwarzen Adler“ tätig. Er leitete ein Transportunternehmen. Im Jahre 1886 verlieh ihr Kaiser Franz Joseph das Goldene Verdienstkreuz als Dank für den Einsatz während der großen Überschwemmungskatastrophe von 1882. Durch geschickte Leitung des Wirtshauses konnte Emma den Betrieb mehrmalig ausbauen und den Pragser Wildsee und dazugehörige Wälder kaufen. Sie übersiedelte nach Übergabe des „Schwarzen Adlers“ an einen ihrer Söhne nach Meran. Zwei ihrer Töchter pachteten dort die Pension „Stadt München“. Später übernahmen sie das Posthotel „Neusponding“ im Vinschgau. Nach dem Tod Emmas 189 am 9. März 1904 errichteten zwei ihrer Kinder das Hotel „Emma“ in Meran. 6.3.3.2. Weitere Wirtinnen: • In der Familie Told taten sich zwei Wirtinnen besonders hervor. Anna Apolonia Martha (1785-1858), die als Löwenwirtin in Welsberg bekannt wurde, und die Brunecker Sternwirtin Anna Told. • 190 Die Tochter des 1796 verstorbenen Franz Georg von Steyrer, Elisabeth, die 1812 Josef Ludwig von Grebmer heiratete, ließ als Witwe den heutigen Gasthof zur 191 „Post“ in Bruneck erbauen. • Anna Sternberger (Bruneck und Sexten) war eine sehr tüchtige und geachtete Wirtin und erbte den Gasthof „Sonne“. 188 192 vgl. Pfaundler, Tirol Lexikon, a.o.O., S. 125; vgl. auch Köfler/Forcher, S. 95ff. ebda. 190 vgl. Josef Weingartner, Berühmte Tiroler Wirtshäuser und Wirtsfamilien; in: Schlern Nr. 159, Innsbruck 1956, S. 62. 191 ebda, S. 61. 192 ebda, S. 60. 189 63 • Maria Nagele besaß den Gasthof zum „Weißen Rössl“ in Gries am Brenner. Sie 193 war eine berühmte und weitbekannte Wirtin. • Mit dem Tode des Jakob Hochbichler ging der ganze geschlossene Besitz „Bräu“ in Zell am Ziller an seine Tochter Antonie (1807-1862) über und wurde über vier Generationen durch Erbtöchter mustergültig verwaltet. 194 Weitere bekannte Wirtinnen waren: Rosa Cammerlander vom „Steinbock“ in Steinach, Therese Esterhammer vom gleichnamigen Gasthaus in Rotholz, Julie Innerhofer vom „Grauen Bären“ in Innsbruck, Ida Jäger von der „Post“ in Lermoos, Maria Schwaighofer vom „Pfandlhof“ im Kaisertal und die Kronenwirtin Veronika Zeindl aus Hall. 195 Die Kabiswirtin, Anna Tutzer geb. Speckbacher erschloss das Villnößertal für den Fremdenverkehr. Das berühmte Hotel „Elefant“ in Brixen hat die seit 1857 verwitwete Therese Mair auf die, durch den 1870/71 fertig gestellten 196 Bahnbau, geänderten Verhältnisse umgestellt. 6.4. Tiroler Schriftstellerinnen um 1848 In der Tiroler Öffentlichkeit zählten Schriftstellerinnen zu den seltensten Ausnahmen. Sie wurden oft zu „unangebrachten Frauenrechtlerinnen“ 197 abgestempelt. Tätigkeiten wie stricken, nähen, sticken usw. wurden gefördert und weniger intellektuelle Eigenschaften. Als Lektüre diente vielen fast ausschließlich das Gebetbuch und der Hauskalender. 198 Nur einzelne hatten als Lehrerin oder Nonne Zugang zu anderen Büchern. Die literarisch begabten Frauen des 19. Jahrhunderts entstammten aus dem Adel oder Bürgertum, die einen Zugang zur höheren Bildung hatten. Die meisten Schriftstellerinnen waren ihrerseits größtenteils Töchter von Künstlern, die trotz der konventionellen Tabus die Talente ihrer Töchter förderten und somit eine wichtige psychische Unterstützung darstellten. Diese Frauen brachen aus der ihnen vorgeschriebenen Rolle aus. 193 199 ebda, S. 16. ebda S. 20f. 195 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 95f. 196 ebda, S. 99. 197 vgl. Dörrer, Anton, Frühes Frauenschrifttum, a.o.O., S. 125. 198 ebda, S. 126. 199 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 140. 194 200 Ihnen wurden enorme Stigmas angeheftet. 64 Als die Mundartdichtung sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einer selbständigen Literaturgattung etablierte, wagten sich immer mehr Frauen aus den Unterschichten, ihre Gedanken und Gefühle zu äußern. 6.3.4.1. Walburga Schindl Eine wichtige Persönlichkeit in den 40ern war Walburga Schindl. Sie wurde bereits im Zusammenhang mit Erzherzogin Sophie, der Mutter Kaiser Franz Josephs erwähnt. Sie lernten sich im elterlichen Wirtshaus kennen. Bis zu Walburgas Heirat im Jahre 1858 gab es zwischen beiden einen regen Briefwechsel. Walburga Schindl wurde am 16. Februar 1826 in Absam als älteste von fünf Geschwistern geboren (gest. am 30. April 1872 in Kemnitz). Als sie sieben Jahre alt war, starb ihr Vater. Kaplan Sebastian Ruf, der Onkel von Walburga, brachte ihr Latein, Rechtschreibung und literarisches Wissen (Goethe, Rückert u.a.) bei. 201 Aber auch bekannte Stammgäste beeinflußten sie: Sebastian Ruf, Johannes Schuler (1800-1959), die Schwester Cornelie Schuler, Adolf Prutscher (1815-1851), Wilhelm Stricker (1833-1883), Josef von Schnell (1822-1863) und Adolf Pichler (1819-1900). Gräfin Mallowitz nahm sie öfters zum SchriftstellerInnenkreis der Scholastika (Adolf Pichler, Alois Flir, Sebastian Ruf, Ludwig Steub) mit. Ihr Talent wurde von vielen bewundert. In erster Linie schrieb sie über die schöne Natur (z.B. die Blumenritornellen), aber auch über religiöse und politische Themen. 202 In der „Stimme aus Tirol" bemerkte sie in der dritten und vierten Strophe sozialkritisch: „Die Zivileh' schon gar, o die kommt scho' g'wiß, Da sein die Manderleut' alle dabei; Nur was nachher sein wird – ich denk' mir halt schon, Nit viel besser als in der Türkei. Und Luther und Juden – dass Gott erbarm'! Sein gleich wie die Christen, du mein! Wenn sie a no' der Herrgott in Himmel laßt, 203 Wird dort bald kein Platz mehr sein." Biographische Züge fand man ebenso. Sie beklagte sich über die Angriffe der schonungslosen Welt auf ein dichtendes Mädchen und über die Kränkung eines 200 ebda, S. 144. vgl. Brandl, Erzherzogin Sophie, a.o.O., S. 37f. 202 ebda, S. 51ff. 203 ebda, S. 54. 201 65 guten Freundes. Sie kritisierte die emotionslose Masse. Einige der Gedichte Walburga Schindls zeigten ihre Identitätsprobleme. Die Enttäuschung über das bittere Ambiente, das sie nicht verstand, wurde ebenso sichtbar: „Frage. Was ist denn Böses, wenn in kleinen Bildern, Was mein Gemüt erregt, ich such' zu kleiden, Wenn Liebe oder Leid ich such' zu schildern? Dass mich darum die Menschen immer kränken, Sie mich verhöhnen und mein Dichten schelten: Ich kann nur trauern, dass sie so roh denken. Wenn's mich vergnügt, des Herzens leise Klagen Mit mildem Sinne tröstend anzuhören, Soll ich denn diesen Trost mir rauh versagen? Ich will ja nicht, dass euch sein Klagen rühre, Die ihr vielleicht eu'r eig'nes Herz verstoßen, So wie man einem Bettler weist die Thüre; Die ihr's verkauft vielleicht um schnöde Dinge, Wie Judas einst den Heiland hat verraten, 204 Den Göttlichen, um ein paar Silberlinge.“ Ihre verschriftlichten Gedanken kritisierte sie immer wieder die Nichtakzeptanz einer Dichterin in der männlichen Gesellschaft. Folgende Zeilen gaben die damaligen Vorurteile gegenüber einer Dichterin treffend wieder: "Nichts findet in der Welt so vielen Tadel als ein Mädchen, das sich mit Poesie beschäftigt, (...). Dieser Tadel kann nur Unverstand, Böswilligkeit oder Härte sein; denn wo soll denn das Herz hin, wenn es mit seinen Gefühlen auf sich selbst verwiesen ist, wenn es diese Gefühle nicht einmal aussprechen darf, wie und auf welche Weise es will? Und die Behauptung, welche so oft gemacht wird, dass Dichterinnen nicht für häusliche Verhältnisse passen, mag wohl auch viel Falsches haben. Es ist schon wahr, die Poesie nährt sich von Träumen, aber es ist ein großer Unterschied, ob jemand Poesie zum Geschäfte des Lebens macht und folglich immer in Phantasien lebt und seine häuslichen Verhältnisse als Nebensache betrachtet oder ob man nur die Kunst in das Leben hineinflicht, um es zu veredeln und zu verschönern, so wie man einen Gemüsegarten mit Blumen verziert. Es verträgt sich die Arbeitsamkeit und die Ordnungsliebe, welche die einzigen Eigenschaften sind, die ein Weib zur guten Hauswirtin machen, sehr gut mit der Poesie, so wie sie auch manchem Geschöpfe fehlen, welches nicht eine 205 Ahnung von Poesie hat." Aus diesem Unverständnis erhoffte sie sich eine endgültige Befreiung, aber nicht durch sich selbst als Frau, sondern durch einen gebildeten Mann. 204 205 ebda, S. 119f.; vgl. auch Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 138. ebda, S. 133f.; vgl. auch Köfler/Forcher, ebda. 66 6.3.4.2. Therese Sarnthein Eine weitere Schriftstellerin war Therese Sarnthein: Sie wurde am 17. August 1812 als Tochter von Felix Aigner von Aigenhofen und der bürgerlichen Theresia Stocker geboren und heiratete den Grafen Karl Leopold von Sarnthein. Um die Jahrhundertmitte war sie eine bedeutende Innsbrucker Persönlichkeit. Sie gehörte zum Schulerkreis, einer kleinen, literarischen Gemeinschaft von bedeutenden Frauen und Männern wie Beda Weber, Adolf Pichler, Alois Flir und Johannes Schuler, die Schwester Schulers, Cornelia, seine Schwägerin und Marie Rosalie Ingram von Liebenrain. 1851 starb ihr Mann. Sie starb zwei Jahre später in Innsbruck. 206 6.3.4.3. Amalia Bautz Amalia Bautz wurde 1819 in Innsbruck geboren und starb 1905 in Sarajewo. Sie war Schwester der Adelinde von Perkhammer, schrieb mehrere Gedichte: 207 „Trutzliedl. Sie: Wenn in Sunntig du willst kemmen, muaßt die Zither a mitnemmen. Ohne Zither, ohne Gsang, ist mir glei die Zeit zu lang! Er: Wenn in Sunntig zhaus willst bleibn, lass a’s Herz nit ummer treibm. Ohne Herz und ohne Gmüat, ist verpfuscht a jedes Lied! Sie: Sei so guat und lass mi singen, kanns alloan a zsammen bringen. ‘s gibt ja Schnadahüpflen gnua – Wa brauchts da a Herz dazua? Er: Sei so guat und laßs dir sagen: So viel hats bei mir nir gschlagen, dass um Lieb i betteln that, ‘s ist mir um di selber load! Sie: Wegen mein brauchst di nit zkränken, Kannst was d’willst von mir denken; Wegen mir mach dir kao Plag – I wer gscheiter jeden Tag! Er: Wegen mein kannst gescheiter weren, Wegen mein hab andre geren; Mi siegst nimmer, i geh fort – 208 Und dös ist mei letztes Wort!“ 206 vgl. Anna Maria Achenrainer, Frauenbildnisse aus Tirol, Innsbruck 1964, S. 90-98. vgl. Ambros Mayr, Tiroler Dichterbuch, Innsbruck 1888, S. 117. 208 ebda, S. 118. 207 67 6.3.4.4. Anna Antonie Thaler geb. 1814 in Brünn, gest. 1875 in Wien. Nach ihrer Hochzeit mit Karl von Thaler im Jahre 1835 zog sie nach Innsbruck, wo sie in den Wochenblättern „Phönix“ und „Harfe und Zither“ von 1850-1852 ihre ersten Novellen und Gedichte veröffentlichte. Anfänglich publizierte sie unter dem Pseudonym Antonie Thal, später unter ihrem wahren Namen. Um aber ihre Gattinnen- und Hausfrauenpflichten nicht zu vernachlässigen, schrieb sie nur in der Nacht. Sie verfasste die „Novellen von Antonie Thal“ („Die Künstlerin“, „Eine leichtsinnige Frau“, „Die Sängerinnen“, „Hermine“; Innsbruck 1853. Weitere Werke sind: • • • • • der Roman „Ein seltsames Verhältnis“ (Hamburg 1873) die Novelle „Der moderne Vampyr“ (Wien 1862) die Novelle „Der Herr mit dem Buche“ (Graz 1867) die Romane „Der verstoßene Sohn“, „Das englische Fräulein“ 209 Gedichte „Philippine Welser“ und das Lustspiel „Die Gesellschafterin“. 6.3.4.5. Adelinde von Perkhammer 210 geb. am 7. Oktober 1817 in Innsbruck, gest. am 1. März 1876 in Meran. 6.3.4.6. Antonia Bogner geb. 1833 in Hall, gest. 1883 in Wien. 1864 übernahm sie die Leitung der Frauenzeitschrift „Iris" und gründete eine erste Unterrichtsanstalt für fotografische Retusche und Malerei für Frauen und Mädchen. 211 6.3.4.7. Angelika von Hörmann Angelika von Hörmann wurde am 28. April 1843 in Innsbruck geboren. Ihr Taufname war Emilie, als Schriftstellerin legte sie sich den Namen Angelika zu. Sie war die Tochter des Universitätsprofessors Dr. Matthias Geiger und der Baronesse Henriette Benz. Im 6. Lebensjahr verlor sie ihre Mutter. Ihr Vater kümmerte sich sehr um ihre Erziehung. Sie bekam Privatunterricht in Musik, Zeichnen, modernen Sprachen und in verschiedensten Wissenschaften. Mit 15 verlor sie ihren Vater. Verwandte nahmen 209 vgl. Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder dann gelebt und gewirkt haben, Wien 1882, Nr. 44, S. 133. 210 vgl. Mayr, Dichterbuch, a.o.O., S. 63. 211 ebda, S. 120. 68 sie zu sich auf. Sie saß fast nur noch in ihrem Zimmer und räsonierte. Ihre ersten poetischen Versuche waren in ihrem Tagebuch verzeichnet, in die Öffentlichkeit trat sie erstmals 1863. Zwei Jahre später heiratete sie den Volkskundler, Kunsthistoriker, Dichter und später Universitätsbibliotheksdirektor Ludwig von Hörmann. 212 In dieser Zeit schrieb sie Novellen, lyrische Arbeiten, Prosa, Erzählungen und Lieder. „Ist dir genug die schlichte Frauenseele, Die einem Tale gleicht, das bergumschlossen Nur jene Sterne kennt, die glanzumflossen Sein Himmelsfleckchen schmücken als Juwele: 213 (So magst du es halten...).“ Bekannte Werke waren: „Grüße aus Tirol" (1869), „Neue Gedichte" (1893), „Auf stillen Wegen" (1906); Versepen: „Das Salig-Fräulein" (1875), „Oswald von Wolkenstein" (1889), Erzählungen: „Das Nähmädchen" (1872), „Die Trutzmühle" (1897). Mit ihrer Poesie übersprang sie konventionelle Schranken, mied aber modische und emanzipatorische Frauen. 214 Als sie 1921 in Innsbruck starb, ehrte sie der Dichter Franz Kranewitter mit den Worten: „In unserem Herzen ungeschmälert 215 bleibt Dein Name als der größten Frau Tirols.“ „Antwort Wir glückliches Poetenvolk! Uns kann kein Leid zu tief durchdringen, Weil wir mit einem frohen Lied Die Tränen uns vom Auge singen. Oft hab' ich schmerzlich sie gefühlt Die Reden der Empfindungslosen, Ich rückte mir den Dorn ins Herz Und gab zur Rache – frische Rosen.“ Adolf Pichler schrieb über Angelika von Hörmann, dass ihr in der damaligen Zeit ein bedeutender Rang gebührt hätte. Robert Hamerling, ein epischer Dichter, war der Meinung, keine Frau könnte ein Epos schreiben. Doch als er „Das Saligfräulein" las, 216 revidierte er seine Meinung. 212 vgl. Arnulf Sonntag, Angelika von Hörmann. Eine deutsche Dichterin in Tirol. München 1906, S. 9. 213 ebda, S. 13. 214 vgl. Achenrainer, Frauenbildnisse, a.o.O., S. 113-119. 215 zit. nach Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 139. 216 vgl. Sonntag, Angelika von Hörmann, a.o.O., S. 5. 69 6.3.5. Künstlerinnen um 1848 6.3.5.1. Lola Montez Ein besonderes Medienecho in der Tiroler Presse galt der in München lebenden und verhassten Lola Montez (Dolores Eliza Gilbert) (1818-1861). Als die 25jährige Eliza Gilbert unter falschen Namen im Oktober 1846 in München eintraf und beim König Ludwig I. um ein Gastspiel ersuchte, hatte sie bereits in Berlin, Warschau, London, Paris, Bonn Bild: Lola Montez; aus: http://www.stadtmuseumonline.de/archiv/lola1g.htm und Skandale 217 Baden-Baden für gesorgt. Das Verhältnis zum 61jährigen König Ludwig I. sollte die Grundfeste der bayrischen Monarchie erschüttern. Er gewährte ihr die bayrische Staatsbürgerschaft und erhob sie in den Adelstand, woraufhin die amtierende Regierung geschlossen zurücktrat. Der König war bereit, ihr ein standesgemäßes Palais einzurichten, dessen Kosten 218 sich bis zum Juni 1847 auf rund 55.000 Gulden beliefen (ca. 1,7 Mio. Mark). 217 Der Zweck, Lola Montez in der Geschichtsschreibung zu einer skandalumwitterten Person zu diffamieren, ist ein sehr offensichtlicher. Es gibt bis heute über ihr Leben größtenteils nur Gerüchte und Spekulationen. In der Sekundärliteratur wurde aber als Hochstaplerin, männerverschlingende, verführerische Nymphe, ausländische Hure, Intrigantin, Femme fatale und skandalumwitterte Person beschrieben. Solche negative Charakterzüge, die einer Frau zugeschrieben wurden, sind mit großer Vorsicht zu betrachten. Wie oft sind historische Frauenpersönlichkeiten (z.B. Margarete Maultasch, Erzherzogin Sophie usw.) von der Geschichtsschreibung diffamiert worden? Waren diese Frauen wirklich so, wie sie beschrieben wurden, oder wurden sie dazu gemacht? Die Annahme, dass erfolgreiche Frauen bewusst diffamiert wurden, lässt sich leider in den Quellen und der Sekundärliteratur nicht beweisen. Eine selbständige, weit bereiste, viel begehrte, politisch engagierte und intelligente Frau passte überhaupt nicht in das damalige Frauenbild. Somit hatten die männlichen Geschichtsschreiber die Legitimation, ihr einen negativen Touch zu verleihen, sie in Karikaturen zu verspotten, damit andere Frauen nicht ihren Beispiel folgen würden. Diese negative Darstellung hatte seine Wirkung getan und auch noch 150 Jahre existiert in den Köpfen dieses negative Image über Lola Montez. 218 vgl. Reinhold Rauh/Bruce Seymour, Ludwig I. und Lola Montez. Der Briefwechsel, München 1995, S. 37. 70 Bild: Lola Montez mit Ludwig; „Der pensionierte Apoll und die auf Wartegeld gesetzte Terpsichore“ 1848 aus: http://www.stadtmuseum-online.de/ archiv/lola6g.htm Mit ihrem provozierenden Auftreten zog sie sich bald den Zorn aller Münchner Stände zu. Bild: Lola Montez Comtesse de Landsfeld. Ein Pas de deux 1848 Bild: Lola Montez; aus: http://www.stadtmuseumonline.de/archiv/lola1g.htm Lithographie Münchner Stadtmuseum aus: http://www.stadtmuseumonline.de/archiv/lola7g.htm Der Hass gegenüber Lola Montez steigerte sich immer mehr und war schließlich der Anlaß zu den Tumulten und Aufständen im Jahre 1848: „Auf der anderen Seite hatte ein deutscher Fürst, einer verrufenen Dirne zu Liebe, der Scheinheiligkeit, aus welcher das System bisher seine Hauptstärke geschöpft, offen abgesagt und auf legalem Wege der revolutionären Reaktion in 71 Deutschland die Bahn geöffnet. So war das System bereits moralisch zu Grunde gerichtet, ehe es, der radikalen Schweiz gegenüber, seine Bankbrüchigkeit offen zur Schau stellte. Es bedurfte bloß noch eines Vorwandes, um die im Hintergrunde lauernde Empörung zum Vortritt auf der Bühne zu autorisieren. Diesen Vorwand gaben ihr zuerst in München die frechen Anmaßungen der Lola 219 Montez und ihres Gelichters (...)." Lola Montez sah sich gezwungen, schnell und inkognito zu fliehen. Um unerkannt zu bleiben, zog sie Männerkleidung an. „München, 9. März. Vergangene Nacht um 10 Uhr kam die Gräfin Landsfeld (Lola Montez, R.T.) hier an, und zwar im Männeranzuge. Da man sie im bayrischen Hofe nicht aufnahm, begab sie sich in die Wurzelstraße, wo eine ihrer früheren Dienerinnen wohnt. Beim Eintritt in das Haus wurde sie aber von einem daselbst wohnenden Offizier erkannt, und dieser machte sofort Anzeige bei der Polizei. In kürzester Zeit erschienen drei Gendarmen. Die Gräfin musste nachts 12 Uhr mit auf die Polizei wandern, woselbst man sofort Postpferde bestellte, um sie weiter zu schaffen. Sie fuhr morgens 4 Uhr nach Pfaffenhofen und Landsberg, und dürfte sich wohl wieder nach der Schweiz begeben. Sie darf von Glück sagen, dass das Volk ihr Hiersein nicht erfuhr, es möchte ihr sonst übel ergangen 220 sein.“ Der Zorn des Münchner Bevölkerung gegenüber Lola Montez dürfte ungemein groß gewesen sein, wie folgende Quellen belegen: „München, 15. März. In der Annahme, die Gräfin Landsfeld sei hier angekommen, sammelte sich eine Menge an, der sich immer mehr anschlossen, und alles durchstöberte, um sie zu finden. Das Polizeihaus, wo sie die Prinzessin versteckt vermuteten, wurde beschädigt. Eine Truppe musste einschreiten, um 221 größere Sachschäden in dieser Residenz zu verhindern.“ „München 17. März. Nach 11 Uhr wurde die Ruhe in der vergangenen Stadt nicht mehr gestört. Das Volk aber gab sich nicht zufrieden, weil es die Gräfin Landsfeld immer noch in der Nähe vermutete. Das Magistrat, der jeglichen Anlaß für neue Tumulte zu untermauern versuchte, richtete ein Schreiben an Seine Majestät, indem er – als Garantie für die Ruhe und öffentliche Sicherheit – die Verhaftung der Gräfin anordnete. Auf jenes Gesuch traf der König folgende Resolutionen: 'Die Gräfin hat die bayrische Stadtbürgerschaft aufgegeben. In Anbetracht dessen, dass die Gräfin auf ihre Versuche, die Ruhe des gesamten Reiches zu stören, nicht verzichtet, sind alle richterlichen und polizeilichen Autoritäten bemächtigt, die Gräfin, wo immer sie sich aufhält, zu verhaften, in die nächste 222 Festung zu bringen, um sie einem Prozeß zu unterziehen.“ 219 Tiroler Wochenblatt, Nr. 1, 15. Juli 1848, S. 3. K.K. Priv. Bothe, Nr. 21, 13. März 1848, S. 91. 221 Il messaggiere tirolese, Nr. 24, 22. marzo 1848, S. 3: Sulla supposizione che la contessa di Landsfeld (Lola Montez, r.t.) fosse qui arrivata, formossi oggi un attruppamento, che sempre più s'ingrossava e che rovistò dappertutto per ritrovarla. Il palazzo della polizia, ove si credeva che la contessa fosse nascosta, venne guastato, e la truppa ha dovuto intervenire per prevenire ulteriori disordini contro la stessa residenza reale... 222 Il messaggiere tirolese, Nr. 24, 22. marzo 1848, S. 3: La notte scorsa delle 11 in poi, la tranquillità della città non fu più sturbata. Il popolo però non è ancora soddisfatto, perché 220 72 Lola Montez gelang die Flucht nach Amerika, wo sie im Alter von 43 Jahren in Astoria, New York, starb. In Gegensatz zu häufigen Pressemeldungen über Lola Montez wurde wenig über Tiroler Tänzerinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen, Malerinnen, Schriftstellerinnen und Dichterinnen berichtet. In den Quellen wurde einzig und allein die berühmte Angelika Kaufmann 223 erwähnt. Und auch nur deshalb, weil sich eines ihrer Bilder in einer Konkursmasse befand und versteigert wurde: „Gemäldeversteigerung. Auf Ansuchen der Gläubiger über das Concurs-MassaVermögen der Eheleute Michael Bilgeri und Katharina Berchtold von Bizau wird am Freitag den 10. d. M. März Früh 10 Uhr in der hierartigen Amtskanzlei Nro. 3 ein zu obiger Concurs-Masse gehöriges Gemälde, ein männliches Porträt vorstellend, welches nach dem Dafürhalten der kunstverständigen Schatzmänner von der berühmten Malerin Angelika Kaufmann herrühre, im Schätzungswerthe von 22 fl KM. Öffentlich an den Meistbiethenden gegen baare Bezahlung 224 versteigert werden.“ Um die Jahrhundertmitte lebten in Tirol einige bekannte Künstlerinnen, Sängerinnen usw. In mühseliger Kleinarbeit ließen sich ein paar Persönlichkeiten jener Zeit ausgraben, auch wenn die wissenschaftliche Rezeption sie selten festhielt. Das 500 Seiten umfangreiche Buch von Gertrud Pfaundlers „Tirol Lexikon“ 225 enthält sechs Frauenbiographien, die um 1848 lebten und für sie erwähnenswert waren. Noch krasser sind die 56 Bände von Constant von Wurzbach „Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich“, in denen sich nur 11 Tiroler Frauenbiographien jener Zeit crede che la contessa di Landsfeld si trovi tuttora in queste vicinanze, ed il magistrato, per torre ogni pretesto a nuovi tumulti, presentò un indirizzo al re con cui prega la M.S. di far arrestare la contessa per garantire via meglio la tranquillità e la pubblica sicurezza. Su questa supplica il re prese le seguenti risoluzioni: ‚La contessa di Landsfeld ha cessato di godere della cittadinanza bavarese; in considerazione poi che la contessa non rinunzia ai suoi tentativi di sturbare la tranquillità di tutto il regno, fin d'oggi tutte le autorità giudiziarie e la polizia dello stato sono autorizzate ad arrestare la detta contessa dovunque si trovi e di condurla nella prossima fortezza, per essere sottoposta ad un processo.' 223 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, 1. Teil, a.o.O., S. 56: Angelika Kaufmann (30 Okt. 1741 in Chur/Graubünden geboren). Mit 13 Jahren studierte sie klassische Kunstwerke in Italien, 1768 ging sie nach England, wo sie zusammen mit Mary Moser als erste Frauen in die königlich-britische Akademie aufgenommen wurde. 1781 ging sie nach Italien zurück und starb am 7. November 1807 in Rom. Sie setzte sich in der bis dato reinen Männerdomäne der Historienmalerei durch und genoss internationale Anerkennung. 224 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 9, 3. März 1848, S. 37. 225 vgl. Gertrud Pfaundler, Tirol Lexikon. Ein Nachschlagewerk über Menschen und Orte des Bundeslandes Tirol, Innsbruck 1983. 73 226 befinden. Im Buch von Kleindel Walter (Hg.) „Das große Buch der Österreicher“ wurde nur die Biographie Erzherzogin Sophies erwähnt, obwohl es weit mehr Frauen gab, die sich künstlerisch betätigten. Die Problematik, diese Frauen sichtbar zu machen, geht aber noch weiter: Viele Frauen veröffentlichten anonym oder unter einem (oft männlichen) Pseudonym. Nach der Heirat nahmen sie den Namen des Mannes an, wodurch sich die Spur oft verliert. Deshalb konnten hier leider des Öfteren nur unvollständige Angaben über die einzelnen Frauen gemacht werden. 6.3.5.2. Anna Rosa Stainer-Knittel Die wohl bekannteste von allen ist die 1841 in Elbigenalp geborene Anna Rosa Stainer-Knittel. Schon in Kinderjahren zeigte sie 227 großes künstlerisches Talent. Anton Falger, ein Förderer ihrer ersten Zeichenversuche, spornte sie zu einer Ausbildung in München an. Bild: Anna Stainer-Knittel; aus: http://museumonline.at/1998/schools/tirol/tl_priv/biographie.htm In ihre Jugendjahre fiel auch das Ereignis, durch das sie als „Geier-Wally“ weltberühmt wurde: die Aushebung eines Adlerhorstes in senkrechter Felswand. 228 Bild aus: http://www.museumonline.at/1998/ schools/tirol/tl_priv/abenteuer_ adlerhorst.htm 226 vgl. Kleindel, Walter (Hg.), Das große Buch der Österreicher. 4500 Personendarstellungen in Wort und Bild, Wien 1987. 227 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 211-215. 228 ebda, S. 130. 74 Trotz großer Widerstände besuchte sie 1859 als einzige Frau die „Vorschule“ der Münchner Kunstakademie. Das Studium in München war für sie nicht leicht, Geldnot und Heimweh plagten sie. Außerdem musste sie sich eigenständig um die Finanzierung ihres Studiums kümmern. Während sich der Vater über ihr Talent freute, meinte ihre Mutter, die Malerei wäre eine brotlose Sache. Sie sollte doch 229 spinnen und Brot backen lernen, wie es sich für die Lechtaler Frauen gehörte. Nach dem Abschluss in München lebte sie in Innsbruck, wo sie gegen den elterlichen Willen den jungen Kaufmann Engelbert Stainer heiratete. Sie gebar vier Kinder. Anna gab aber das Malen nicht auf. Neben der Haushaltsarbeit malte sie (Porträtmalerin, Alpenblumen, Berglandschaften, Porzellan- und Keramikmalerei). Sie führte in Innsbruck eine private Malschule für Mädchen. Im Jahre 1871 wurde sie die Retterin in der Not. Als ein lebensgroßes Bild von Kaiser Franz Josef I. in kürzester Zeit gemalt werden sollte, sah kein Künstler sich in der Lage, dieses Werk so rasch auszuführen. Sie „war der Mann dazu". Der Kaiser lobte ihr Werk. Auf die Frage, ob sie öfters malen würde, antwortete sie stolz: „Jawohl 230 Majestät, denn Malen ist mein Beruf!" 1873 erzielte sie ihren ersten öffentlichen Erfolg auf der Wiener Weltausstellung vor internationalem Publikum (Selbstportrait in Lechtaler Tracht). Bis ins hohe Alter malte Anna Rosa Stainer-Knittel weiter. Bild: Selbstporträt in Lechtaler Tracht; aus: http://www.museumonline.at/1998/schools/tl_priv/ heimatmuseum_reutte.htm 229 vgl. Achenrainer, Frauenbildnisse, a.o.O., S. 121. 75 Sie malte viele prominente Leute. Bis 1883 entstanden mehr als 180 Portraits. 1891 hatte sie ihre erste eigene Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Mit siebzig schrieb sie ihre Lebenserinnerungen. 1915 starb sie im Alter von 74 Jahren. 231 Ihre Werke sind meist in Privatbesitz. Sogar im Ausland z.B. Belgien, England und Amerika sind einige ihrer Bilder zu finden. Die Biographie dieser Frau weist für die damalige Zeit beachtliche Züge auf. Sie brach aus der vorgeschriebenen Frauenrolle aus und trat immer wieder in (reinen) Männerdomänen ein. Es war ein ständiger Kampf gegen Klischees und Vorurteile. Aber Mut, Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein ließen sie besiegen: Als Anna Knittel 1859 nach München kam, ließ die Akademie der Bildenden Künste keineswegs Hörerinnen zu. Dies änderte sich erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts, als eine Damenakademie ihre Tore öffnete. Doch bis dahin war die Akademie eine reine Männerdomäne. 232 Die einzige Chance zur künstlerischen Aus- und Fortbildung bestand daher für Anna im Besuch einer privaten Kunstschule, der „Vorschule“. Nicht nur mit ihrer Ausbildung setzte sie sich von anderen Frauen ab. Sie zeigte für damalige Zeiten ein ausgesprochen emanzipiertes Auftreten und Handeln. Dies war nicht zuletzt, als sie einmal in Männerkleidung in der Öffentlichkeit auftrat, was damals ein Skandal war. Des Öfteren war sie bei den BewohnerInnen des Lechtales in aller Munde. Sei es wegen ihres geschnittenen Studiums, Haare, Meinungsäußerung Selbstbewusstseins. Bild: Anna Stainer-Knittel um 1870-75 mit Kurzhaarschnitt; aus: Helga Reichart, Die Geierwally, Innsbruck 1991, S. 120. 230 ihrer oder der kurz Art der ihres 233 Sie lernte sich zu engagieren, was ihr auch Erfolg und Anerkennung brachte. vgl. http://www.museumonline.at/1998/schools/tirol/tl_priv/heimatmuseum_reutte.htm. vgl. Achenrainer, Frauenbildnisse, a.o.O., S. 125-129; vgl. auch Pfaundler, Tirol Lexikon, a.o.O., S. 410; vgl. auch von Wurzbach, Biographisches Lexikon, a.o.O., 12. Teil, S.153; vgl. auch Karl Paulin, Anna Stainer-Knittel. Aus dem Leben einer Tiroler Malerin, Innsbruck 1951. 232 vgl. http://www.museumonline.at/1998/schools/tirol/tl_priv/heimatmuseum_reutte.htm 233 vgl. ebda. 231 76 Sie war beispielsweise eine der ersten Frauen in Tirol, die einen Mann ohne elterliche Zustimmung heiratete. Der Bruch mit dem Elternhaus war somit vorhersehbar. Sie nahm als eine der ersten Frauen nach der Heirat einen Doppelnamen an. Ihre starke Persönlichkeit, die dem Frauenbild widersprach, ließ sie aber immer wieder gegen Diskriminierungen ankämpfen. So auch als sie eine private Malschule in Innsbruck eröffnete – ein erneuter Eintritt in eine Männerdomäne. Malerinnen bzw. Schriftstellerinnen hatten es sehr schwer, sich in der männlichen Öffentlichkeit durchzusetzen. 234 6.3.5.2. Theresia und Antonia Strigl Zwei weitere Malerinnen waren Theresia (1824-1908) und Antonia (1836-1906) Strigl. Leider existieren kaum Daten. Sie waren beide Oberländer Kirchen- und Historienmalerinnen. 6.3.5.3. Johanna von Isser-Großrubatscher (geb. am 27. Dezember 1802 in Neustift bei Brixen. gest. am 25. Mai 1880 in Innsbruck). Sie besuchte eine Schule in Meran und begeisterte sich für Dichtkunst, Musik und für bildende Kunst. Maler Josef Kapeller gab ihr Zeichenunterricht. 1828 heiratete sie Johann Isser von Gaudententhurn, der als Landrichter tätig war. Trotz der sieben Kinder gab sie das Zeichnen nicht auf. Ihre Ansichten von Burgen und Schlössern dienten dem englischen Landschaftsmaler Thomas Allom als Vorlage für Stahlstiche, wodurch Johannas Name auch in England bekannt wurde. Als ihr Mann 1863 starb, zog sie nach Innsbruck. Sie war aber nicht nur Zeichnerin, sondern auch Schriftstellerin und Dichterin und fand große Anerkennung. Sie schrieb Erzählungen wie „Ein Leben“, Operntexte wie „Bella Donna“, Gedichte, den historischen Roman „Die Frauen von Sonnenburg“. Auch hat sie Sagen von Schlössern und Burgen gesammelt. 235 6.3.6. Schauspielerinnen Nicht erst im Biedermeier, sondern bereits in der Tiroler Barockzeit, pflegten dörfliche Mädchengruppen das seltenere, aber gesellschaftlich anerkannte und als Sensation gehandelte Amazonentheater. Sie traten in Konkurrenz mit den tonangebenden 234 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 126. 77 männlichen Theatergruppen. Es wurden nicht nur altbewährte Stücke von der Genoveva, Hirlanda, Johanna D’Arc, Notburga, Wiltrud von Thaur, Gertraud Angerer 236 usw. aufgeführt, sondern auch neue Werke. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es im Innsbrucker Raum zwei reine Mädchenbühnen: in Pradl unter der Direktorin Josefine Weiss und auf Schloß Büchsenhausen unter der Leitung von Anna Reithmayer. Der vormärzliche Reiseschriftsteller und Dramatiker, August Lewald, erzählte in seinem Buch „Tyrol“ von „eigenartigen“ Künstlerinnen im Schloß Büchsenhausen. Der Vorderösterreicher Wilhelm Brenner hatte dieses Schloß mit eigener Brauerei gekauft. Um sein Bier an Ort und Stelle absetzen zu können, gewährte er einigen Mädchen und Frauen aus der Nachbarschaft, Theaterstücke einem breiteren Publikum vorzuführen. Mehrere Reiseschriftsteller „hatten ganz absonderliche Fälle tirolerischer Spielleidenschaft angedeutet“. 237 In ihren Büchern stellten sie zur Überraschung fest, zu ihrer Zeit hätten eigene Amazonentheater in Tirol zurecht bestanden. Die Sensation war, und deshalb auch außer Landes Gesprächsstoff, dass Mädchen und Frauen (von St. Nikolaus und Hötting) die alleinigen Veranstalterinnen und Darstellerinnen der Komödien waren. Organisation, Theaterregie, Bühnenarbeit, Souffleuse, verschiedene männliche Rollen, Prolog, Heldenrolle, Heilige, Chor usw. lag in den Händen dieser Mädchen und Frauen. Das 238 bunt zusammengewürfelte Publikum war von diesen Aufführungen begeistert. Die Leitung dieses erfolgreichen Amazonentheaters hatte seit 1825 die Volksschauspielerin Reithmayer Anna. Sie war um 1775 in Hötting oder St. Nikolaus geboren, (gestorben 1860 in Hötting). Ihr Mädchenname war Brix. Unter diesem trat sie auch auf und wurde deshalb oft „Anna Pritzin“ genannt. Nach dem Tod ihres Mannes, eines Schusters, stand sie regelmäßig auf der Bühne. Anna Reithmayer hat viele Volksstücke für Tiroler Bühnen geschrieben (bis 1833 waren es schon 21): das 239 Genovevaspiel, ein Passionsspiel und Lustspiele wie „Hochzeit auf der Alm“. Schauspielerei implizierte einen weiteren Ausbruch aus der Frauenrolle. Der Magistrat aber verhinderte solche Amazonentheater nicht. Er sah in dieser 235 vgl. Pfaundler, Tirol Lexikon, a.o.O., S. 171. vgl. Dörrer, Frühes Frauenschrifttum in Tirol, a.o.O., S. 130. 237 vgl. Anton Dörrer, Amazonentheater in Tirol; in: Dolomiten, 5. Juli 1952, S. 19. 238 ebda. 239 vgl. Pfaundler, Tirol Lexikon, a.o.O., S. 335. 236 78 harmlosen Freizeitbeschäftigung eine erzieherische Funktion: eine Ablenkung durch dieses Hobby war für die armen Mädchen und Frauen besser als auf der Straße herumzulummern. Es spielte eine wichtige Funktion in der Selbstverwirklichung. Auftritte gaben Selbstbewusstsein, waren ein Beweis für Eigenständigkeit, Mut und Verantwortung. Alltagsberichte sind leider keine bekannt. Es liegt aber der Schluss nahe, dass bei Proben oder Aufführungen sicher nicht nur über das Theater gesprochen wurde, sondern auch über verschiedene private Angelegenheiten. Ein öffentlich akzeptierter, von Behörden genehmigter Raum für Frauen, dessen Gesellschaftsrelevanz vielfach unterbewertet wurde. Der Dichter Karl Immermann berichtete über das Amazonentheater in Pradl: „Nachmittags ging ich nach Pradl hinaus, (...). Ich hatte gehört, dass Landmädchen dort ein selbstverfertigtes Stück aufführen würden. Wir (...) fanden den Schuppen vollgestopft von vergnügten Menschen, und die Mädchen bereits im Feuer der Action. (...). Die Mädchen waren trefflich bunt herausstaffirt, die welche, Männer spielen, trugen Schnurrbärte, sie recitirten und agierten in 240 abgemessener Marionettenweise. (...). 6.3.6. Sängerinnen Volksschauspielerinnen und Theaterleiterinnen brachten es zu erheblichen Ruhm, obwohl dieser aber meist nur lokal begrenzt war. Im Gegensatz dazu genossen SängerInnen oft nationale bzw. internationale Anerkennung. In dem Brief vom 21. September 1848 schrieb die Erzherzogin Sophie an Walburga Schindl über die Verbesserung der politischen Situation, über die Treue der TirolerInnen zum Kaiserhaus. Im letzten Absatz erwähnte sie, dass bald nach der Rückkehr des Kaiserhauses nach Wien "etliche Tiroler und Tirolerinnen aus dem 241 Zillertal" ihnen Lieder vorgesungen haben. Wer waren wohl diese SängerInnen? Welche Frauenbilder vermittelten Sängerinnen? Nähere Recherchen ergaben, dass einige „Sänger- und Concert-Gesellschaften aus Tyrol“ im 19. Jahrhundert die Welt bereisten und den Namen Tirol durch ganz Europa und auch Amerika trugen. Dies waren v. a. Zillertaler Familien wie Rainer, Strasser, Holaus und Leo. 240 zit. nach Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 146. 79 6.3.7.1. Die Rainer-Geschwister Bild: Die Ur-Rainer, Lithographie von Otto Spechtler 1827; aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 669. Die vier Rainer-Geschwister Maria, Franz, Felix und Josef sangen auf internationalen Bühnen. Ihre Auftritte in ausverkauften Häusern begeisterten das Publikum. Wie lange sie oft unterwegs waren, schilderte Maria Rainer, die ihren Sohn Ludwig zum ersten Mal im Alter von sechs Jahren sah (1827). 242 Ludwig trat in den Fußstapfen seiner Mutter. Mit seiner Cousine Helene Rainer (Sopran), Simon Holaus (Bass) und Margarete Sprenger (Alt) wurden sie zu einer „Kunstreise“ nach Amerika eingeladen. Helene heiratete in Amerika und stieg aus dem Quartett aus. Ludwig heiratete Margarete Sprenger. Die zweite Ehe ging er mit Lucia Gollner aus Bruck ein, eine dritte mit Anna Prantl. In Russland verbrachten sie zehn Jahre. 1868 kehrten sie nach Tirol zurück. Schon bald gingen sie wieder auf Tourneen. 243 In Ludwigs Gesellschaft hatten sich ausgezeichnete SängerInnen versammelt: seine Frau Anna Prantl, deren Schwestern Therese, Isabella, Julie, Marie, Viktoria und die Brüder Alois und Ludwig. Daneben war noch Ludwigs Schwiegertochter Christine, seine Nichte, Frl. Pirchl-Rainer, die als Sopranistin und Jodlerin glänzte, und eine Reihe entfernter Verwandter der Rainerfamilie: Johanna, Gusterl und Loni Hofer, die Tenöre Johann Brixner, Adolf Körbler, Max Tannert, usw. 240 244 vgl. Brandl, Erzherzogin Sophie, a.o.O., S. 76. vgl. Hubert Gundolf, Tiroler in aller Welt, Wien/München 1972, S. 115. 243 ebda, S. 120. 244 ebda. 242 80 Die berühmteste Sängerin der Rainer-Gruppe war Therese Prantl. Sie ist 1839 in St. Margareten bei Schwaz geboren und 1932 in Innsbruck gestorben. Schon als Kind zeigte sie ein großes Talent für Musik und Gesang. Als Sechszehnjährige zog sie mit ihrer Schwester Anna und deren Mann Ludwig Rainer durch die Lande und erzielte als „Tirolerische Nachtigall" 245 immense Erfolge. Nach dem Ersten Weltkrieg ließ sie 246 sich in Innsbruck nieder, wo sie völlig verarmt starb. Durch diese explizite Erwähnung von Zillertaler Sängerinnen von Erzherzogin Sophie wurde erneut ein Raum für Frauen sichtbar. Doch im 19. Jahrhundert war dies keineswegs selbstverständlich. Frauen war es verboten, in die Öffentlichkeit zu gehen bzw. bei Gesangsvereinen teilzunehmen. Eine Teilnahme von Frauen bei solchen Vereinen musste bei den Behörden genehmigt werden: „Dank. Den letzten Montag fand im hiesigen Stadttheater zum Wohl der armen Schuljugend ein ausgezeichnetes Concert statt, gegeben von der Kappelle des Reg. Herzogs Wellington, wozu Herr Obrist von Herzinger mit zuvorkommender Liebe die Erlaubniß ertheilte, und Fräulein Marie Sulzer die Güte hatte, dabei die 247 Gesangsstücke vorzutragen.“ 6.3.7.2. Zehentmayer Lina Ende der 30er Jahre war sie Gesanglehrerin im Innsbrucker Musikverein und erregte durch ihre merkwürdige Altstimme Aufmerksamkeit. 1841 ging sie nach Wien. 248 6.3.7.3. Perthaler Caroline Sie wurde am 15. Dezember 1810 in Klausen geboren (gestorben am 9. Oktober 1873 in Greis im Sellrain). Das musikalische Talent von Caroline zeigte sich schon sehr früh. Sie war drei Jahre lang Schülerin des Carl Czerny und trat mit fünfzehn erstmals auf. Als sie achtzehn war, machte sie Konzertreisen nach Graz, Prag, Dresden, Berlin und Weimar. 1829 spielte sie Goethe vor, der von ihr tief beeindruckt war. Von 1831-1870 war sie Klavierlehrerin in München. 1870 übersiedelte sie nach Innsbruck. 245 249 vgl. Achenrainer, Frauenbildnisse, a.o.O., S. 133. ebda, S. 130-138. 247 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 38, 22. Sept. 1848, S. 151. 248 vgl. von Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 59, a.o.O., S. 272. 249 vgl. Pfaundler, Tirol Lexikon, a.o.O., S. 300. 246 81 6.3.8. Gewerbe- und Handeltreibende Gewerbe- und Handeltreibende zählten meist zum Kleinbürgertum. In der Regel konnten verheiratete Frauen laut § 92 des ABGB von 1811 am Erwerb herangezogen des Mannes (gezwungen) werden, ohne für ihre Arbeit entlohnt werden zu müssen. Bild oben: Bäckermeister mit Frau und Gesellen im Laden. Lithographie aus: Der Mensch und sein Beruf, 1847; in: http://www.aeiou.at/aeiou.history.gtour.handwerk/fam.htm Bild unten: Ein Webermeister mit Frau und Tochter in der Stube. Lithographie aus: Der Mensch und sein Beruf, 1847; in: ebda. Das ABGB sprach ihnen aber auch Erwerbstätigkeit außerhalb des privaten Raumes zu, sofern sie ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter nicht vernachlässigten. Ein tatkräftiger Beweis, dass bürgerliche Frauen sich nicht widerspruchslos in die private Sphäre drängen ließen, aber auch eine folgenschwere Legitimation für Doppel- und Mehrfachbelastungen von Frauen. Ein weiteres Indiz für eine Zunahme erwerbstätiger Frauen lieferte auch der § 176: „§ 176: Die Frauenspersonen, die sich einstens nur mehr im Kreise ihrer Familie und in ihrer Hauswirthschaft bewegt hatten, nehmen auch jetzt thätigen Antheil am Erwerbs- und Handelsbetriebe. Wir finden jetzt allerlei Befugnisse in ihren Händen, und eine große Zahl von Frauen darin ihren Erwerb und das Mittel, sich und ihre Familien zu erhalten. Wir können daher diesen Gegenstand, der nun 250 auch einen Teil des Frauenrechtes bildet, nicht mit Stillschweigen übergehen.“ 250 zit. nach Schopf, Frauenrecht, a.o.O., S. 175. 82 Doch es gab gesetzliche Grenzen für Frauen. Öffentlicher Erwerbsarbeit war genau reglementiert. Die Handwerkerinnung schloss Frauen aus. So durften sie arbeiten, wenn sie „(...) entweder für ihre Person in den Besitz eines Betriebes kömmt, oder ihr als Witwe der Fortbetrieb des ehegattlichen Gewerbsrechtes zugestanden wird. (...). Die Frauen sind vom Aerarial-Tabak-Verschleiße nicht ausgeschlossen; auch finden wir sie oft bei der Lotto-Geschäftsführung, meistens Witwen, welchen derlei Betriebszweige im Gnadenwege entweder an Stelle der Pension oder Provision verliehen werden, besondere Instructionen enthalten, wie sich bei 251 einem solchen Geschäfte zu benehmen sei. (...). § 177: 1. Ledige und verheiratete Personen können freie Beschäftigungen, das sind solche, zu denen keine Befugnis der Behörde nothwendig ist, betreiben. Unter diese gehören: a) als Gewerbe die Verfertigung und der Verschleiß von Putzwaaren und Strohhüten, auch Verfertigung und Ausbesserung weiblicher Kleidungsstücke ohne Gehilfen, die Kuchenbäckerei (kalte Mehlspeisen, Mandoletti-Gebäcke ordinärer Gattung, wie Gugelhupf, Beugeln, Torten, Strudeln, Butterpasteten usw. Und b) als Handelsbeschäftigung (Häcklerei; kleine Krämerei, Ständchen-Nahrungen, Greißlerei, Vitctualienhandel) bestehend in dem Verschleiße verschiedener geringfügiger Artikel, wie: mit Weiß- und Steingutgeschirr, mit Zwirn, Strick- und Stickbaumwolle, Bänder, Bonduren, Schnüre, Garn, Strumpfwirkerwaaren. 252 (...)“ Auch die Presse von 1848 bestätigte die These, dass sich (klein-)bürgerliche Frauen nicht ausnahmslos in die intime Privatheit zurückdrängen ließen. Immer wieder drangen sie in (neue) öffentliche Erwerbstätigkeit vor: „Die Unterzeichnete macht hiermit dem verehrten Publikum bekannt, dass sich die Porzellan-, Steingut- und Glaswaaren-Niederlage, welche früher in der Neustadt im Fürstl’schen Hause Nro. 191 bestanden hat, gegenwärtig im Unterberger Hause neben der Kunsthandlung befindet, und daselbst die Waaren 253 zu bedeutend herabgesetzten Preisen verkauft werden. Frau Maria Troll.“ „Von Oberhochsteg bis Bregenz wurde ein blaues Kutschen-Polster verloren, der redliche Finder wird ersucht, dasselbe gegen Erkennlichkeit beim Eigenthümer, welcher bei der Verlegerin dieses Blattes (Jul. Aug. Hild’s sel. Witwe) zu erfragen 254 ist, rückstellen zu wollen.“ „Unterzeichnete reinigt sowohl Manns- als Frauenkleider von allen Flecken. Sie mögen mit Öl, Harz oder anderen Fettstoffen beschmutzt sein und giebt den Kleidern wieder ihren früheren Glanz. Sie verspricht billige Preise und schnelle Bedienung. Zu zahlreichem Zuspruch empfiehlt sich Katharina Dörler, nächst der 255 Seekaserne.“ 251 ebda. ebda. 253 Innsbrucker Zeitung, Nr. 92, 8. November 1848, S. 442. 254 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 11, 17. März 1848, S. 44. 255 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 50, 15. Dezember 1848, S. 201. 252 83 6.3.9. Die Mode bürgerlicher Frauen Auf öffentliche Veranstaltungen zu gehen, war für adlige bzw. bürgerliche Frauen mit vielen Problemen verbunden. So auch bedingt durch die Kleidung. In den Quellen gab es einen Hinweis über die damalige Kleidung von Oberschichtsfrauen: „Die Straße war buchstäblich mit Flüchtlingen bedeckt, mit Weibern in seidenen Kleidern und ohne Schuh, mit Kindern, usw. dass es ein wahres Erbarmen 256 war.“ Mode wurde im 19. Jahrhundert immer mehr zu einem Status- und Prestigesymbol. Nicht nur in den adligen Residenzen, sondern auch beim Bürgertum. Wer es sich leisten konnte, ließ sich aufwendige und kostspielige Kleidungen anfertigen. Volks257 tümliche „Trachten“ und städtische Mode wurde immer deutlicher getrennt. Zu Biedermeierbeginn trugen Frauen der gehobenen Stände tagsüber hochgeschlossene Kleider oder ein separates Oberteil mit eingeschnürter Taille und knöchellangem Rock. Das Sommerkleid hatte einen gerade geschnittenen oder ovalen Ausschnitt, der über die Schultern reichte. Charakteristisch für die Zeit des hohen Biedermeiers (1825-35) war die enge, mittels Korsett geschnürte Taille und die überweiten, unterhalb der Schulter angesetzten Keulenärmel. Die Taille erschien so optisch noch schmäler. Der Rock wurde von Unterröcken gestützt. Die Haartracht dieser Zeit wurde am Oberkopf flach gehalten, in der Mitte gescheitelt und seitlich über den Ohren zu Spirallocken gedreht. Für den Aufenthalt im Freien trugen Frauen große viereckige Schals oder halb- bis dreiviertellange Umhänge. Die Hände wurden in einen Muff gesteckt. Ihre Kleidung war keineswegs gedacht, lange im Freien zu bleiben. Außerdem durften sie nicht alleine auf eine Veranstaltung gehen und schon überhaupt nicht abends. 258 Bild:http://www.aeiou.at/aeiou.history.gtour.mode/bied.htm 256 257 Innsbrucker Zeitung, Nr. 52, 30. August 1848, S. 232. vgl. http://www.aeiou.at/aeiou.history.gtour.mode/bied.htm 84 Mit der zunehmenden Industrialisierung und dem aufsteigenden Bürgertum änderte sich in den 40er Jahren auch das Aussehen der Frauen, die Sprache und ihre Kleidung. Die selbstbewussten Bürgerinnen trugen ähnlich prachtvolle, voluminöse und luxuriöse Kleidungen wie Adlige. Ab 1842 wurde die Krinoline Mode. Der Rock erhielt durch einen schweren Unterrock eine Kuppelform. Zwischen 1848 und 1868/69 beherrschte die Krinoline die gesamte Modesilhouette. Zu diesen pompösen Kleidungen passte keine schlichte Frisur mehr. Es entstanden komplizierte und kunstvolle Nackenknoten, die Chignons, die mit Kämmen und Drahtgeflechten zusammengehalten wurden. 259 Als Kopfbe- deckung diente die Capot oder im 260 Sommer ein breitrandiger Strohhut. Bild: http://www.aeiou.at/aeiou.history.gtour.mode/bied.htm Die neue Mode nahm Frauen die Bewegungsfreiheit. Wegen der eng geschnürten Taille konnten sie kaum atmen. Enge Schuhe sollten das Ideal eines zierlichen Fußes schaffen. Durch diese pompösen Kleidungsstücke modifizierte sich auch das tägliche Leben einer Bürgerlichen. So konnte sie selber keine Hausarbeit mehr verrichten. Sie delegierte die Arbeit nun den DienstbotInnen und -mägden. 261 Aus einer biedermeierlichen Hausfrau und Mutter wurde so eine großbürgerliche Herrin, die Status und Prestige repräsentierte. Die körperliche Einzwängung war auch eine symbolische. Bürgerliche Frauen wurden in die private Sphäre hineingezwängt, da die Kleidung keineswegs gedacht war, lange im Freien – im Öffentlichen – zu verweilen. Kleidungsstücke wurden zu Symbolen eines bestimmten Frauenbildes. Anfang der 30er trug die Mode zur Infantilisierung der Frau bei. Unschuld, ewige Jugend, Unselbständigkeit, Anmut und leidenschaftslose Verspieltheit bestimmten Kleidung 258 vgl. Carola Lipp, Frauen und Öffentlichkeit. Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation im Vormärz und in der Revolution 1848/49; in: Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 289. 259 vgl. Sabine Kienitz, „Aecht deutsche Weiblichkeit" – Mode und Konsum als bürgerliche Frauenpolitik 1848; in: Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 330. 260 http://www.aeiou.at/aeiou.history.gtour.mode/bied.htm 85 und Haltung der bürgerlichen Frau. Der Mann trat mit breiten gepolsterten Schultern auf. Die Frau wirkte neben ihm klein, hilflos und schutzbedürftig. 262 In den 40er Jahren traten Bürgerinnen sehr selbstbewusst auf. Sie waren sich ihres Platzes in der Gesellschaft bewusst. Als Zeichen ihrer gehobenen Position änderte sie je nach Anlaß ihre Kleider (Tages-, Nachmittag-, Ballkleid usw.). Das luxuriöse Ballkleid wurde mit einem tiefen Dekolleté und reichlichen Verzierungen getragen. Der unbequeme Kreuzbandschuh eroberte die Ballwelt, während sich in der Alltagsmode die Stieflette als modischer Schuh durchsetzte. Bild:http://www.aeiou.at/aeiou.history.gtour.mode/bied.htm Anders war die Kleidung bei Unterschichtsfrauen und Bäuerinnen, die sich verständlicherweise kaum solche luxuriöse Kleidung leisten konnten. Die „Trachten“ der Bäuerinnen waren meist sehr kunstvoll angefertigt und wurden an Feiertagen oder Märkten angezogen. Bild: Trachtengruppe aus Trient, Kolorierte Radierung von Josef Weger, 1827; aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 646. Unterschichtsfrauen besaßen meist nur zwei Kleidungsgarnituren. Kennzeichnend für das Alltagskleid waren einfache Leinenstoffe. Häufig trugen sie dazu Strohhüte. Schuhwerk war besonders kostbar und wurde zumeist nur im Winter getragen. Für besondere Anlässe trugen sie Festtagskleidung. 261 262 vgl. Kienitz, „Aecht deutsche Weiblichkeit“, a.o.O., S. 331. ebda. 86 7. Der geistliche Stand in Tirol G e istliche in T irol und Vorarlbe rg (Proze nte ) 40 30 20 10 7 10 Vorarlberg Oberinntal 14 16 22 18 Trient R overeto 13 0 U nterinntal Pus tertal An der Ets ch Diagramm 8 zeigt die Verteilung der Geistlichen in Tirol und Vorarlberg. 263 Im italienischsprachigen Teil lebten am meisten Geistliche. Eine nähere Untersuchung der religiösen Situation ergab wesentliche Unterschiede in der Monarchie: Tirol wies im Vergleich zu den anderen österreichischen Kronländern den höchsten Anteil von Geistlichen auf. angesiedelt. 264 In Tirol und Vorarlberg waren 10 männliche und 8 weibliche Orden 265 Auch mit der gewährten Religionsfreiheit in der kaiserlichen Proklamation verfuhr man unterschiedlich: In den anderen Ländern der Monarchie kam es zu keinen diskriminierenden Äußerungen gegenüber anderer Konfessionen. In Tirol aber schon. Die politische Elite veranlasste Vertreibungen Andersgläubiger (z.B. 1837 Vertreibung von ungefähr 100 protestantischen Familien im Zillertal). Es wurden bewusst protestantische bzw. jüdischen Feindbilder und Sündenböcke geschaffen. Anfechtungen waren Normalität. So auch in den Medien. Mit Unterstützung dieser formierte sich eine erzkatholische Einheit, deren Einfluß heute noch merkbar ist. (Die seit der Gegenreformation gängige Bezeichnung „Das Heilige Land Tirol“ ist nur ein Indiz dafür). Die heftigen diskriminierenden Reaktionen der Presse ließen sich über viele Seiten hinweg verfolgen und vermittelten geradezu ein erschreckendes Bild. Es folgten landauf und -abwärts gigantische Mobilisierungen gegen die Religionsfreiheit. Eine davon ist die in die Geschichte eingegangene „Riesenpetition.“ 263 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 133f. zit. nach Heiss, Bürgertum in Südtirol, a.o.O., S. 306. 265 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 621. 264 87 „Gedanken über die Religionsfreiheit. Die Königin aller Moden (für sämtliche neue Strömungen, R.T.) ist Wien. Die Braut des Tirolers ist die katholische Kirche – eine wunderschöne Braut – ohne Tadel und Makel. Christus selbst hat sie zur Braut gewählt. In ihrer Nähe fühlt er sich wohl. Und jetzt soll er das runzlige alte 266 Weib Luthers neben dieser Braut im Hause finden!“ „Kein Tiroler wünscht, dass sein Land eine Musterkarte aller möglichen Religionsparteien werde. Die wollen nur unsere Mönche und Nonnen jagen, und dann, was nun kindisch leicht erscheinen wird, das ganze Land lutherisch 267 machen.“ „Man beauftragte die Geistlichkeit, dem Landmanne den schönen Grundsatz der Toleranz einzuflößen, welche mit der Lehre der reinen katholischen Kirche keineswegs im Widerspruche ist, man lehre auch ihn die Prostestanten als seine Brüder zu betrachten, zumal diese unserer Religion viel näher stehen als die Israeliten, welche, wenn gleich nur in einer beschränkten Anzahl von Familien doch in Innsbruck bisher noch immer unangefeindet belassen wurden, indes einer protestantischen Gräfin der Anlaß eines Gutes im Unterinntale bloß wegen ihres Glaubensbekenntnisses nicht gestattet wurde, was dem Volke natürlich die Idee beibringen musste, dass die Protestanten keine Christen, und noch 268 gefährlicher als die Israeliten sind.“ „Die Vorsicht gegen die fatale Proselytenmacherei der Deutschen, nämlich der Protestanten, erstreckte sich überhaupt so weit, dass man ein paar ältlichen Fräulein aus Magdeburg nicht einmal gestattete eine alte Schloßruine anzukaufen, und die akatholischen Arbeiter zur Hebung tirolerischer Industrie aus 269 den Fabriken nach und nach ganz entfernen wollte.“ 7.1. Die Riesenpetition Im deutschsprachigen Tirol wehrte man sich vehement gegen den § 31 der Aprilverfassung, der die Religionsfreiheit gewährleistete. Im Mittelpunkt zur Wahrung der Glaubenseinheit stand eine Riesenpetition, die auch Frauen hätten unterschreiben dürfen. Doch damit möglichst viele Unterschriften zusammenkamen, unterschrieben Männer bereits ab dem 18. Lebensjahr. Das ABGB schrieb aber die volle Handlungsfähigkeit mit dem 24. Lebensjahr vor. Durch diesen Schwindel wurden 123.560 Unterschriften gesammelt. Diese gewaltige Anzahl verdeutlichte die feindselige Stimmung gegenüber Andersgläubigen. 270 Öfters wurde von einem Ge- samtwillen gesprochen, obwohl Frauen ausgeschlossen waren. Sie wehrten sich gegen den Ausschluss in dieser rein konfessionellen Angelegenheit. Doch Beteiligungen von Frauen hätte an der Glaubwürdigkeit der Petition zweifeln lassen: 266 Volksblatt, Nr. 11, 4. September 1848, S. 88. Innsbrucker Zeitung, Nr. 13, 23. Juni 1848, S. 53. 268 Innsbrucker Zeitung, Nr. 49, 25. August 1848, S. 216. 269 vgl. Josef Streiter, Die Revolution in Tirol 1848, Innsbruck 1852, S. 64f. 270 vgl. Bacher, Tiroler Provinziallandtag, a.o.O., S. 132. 267 88 „Petition gegen die christliche Duldung Andersgläubiger: Wollt Ihr protestantisch werden? Toleranz Andersdenkender ist im Wesen des Christentums, eine Religion der Nächstenliebe. Das Sammeln von Unterschriften ist nach den konstitutionellen Gesetzen erlaubt. Die Unterschriften müssen aber von mündig erklärten Männern unterschrieben werden. Es sollten nach dem Programme dieser Petition alle männlichen Individuen vom 18. Jahre angefangen unterschreiben. Im 18. Jahre ist das Individuum noch nicht mündig, sondern erst im 24. Jahre. Sechs Jahre antizipierte man, um möglichst viele Unterschriften zu erhalten und somit das Bild des Gesamtwillens und der Gesamtheit zu vermitteln. Mithin sind die Unterschriften aller jener, welche nicht 24 Jahre alt sind, rechtsungültig, eben weil der Unterschreibende nicht mündig ist. Warum schloß man denn die Frauenzimmer aus bei einer rein konfessionellen Frage? Ich hörte 271 mehrere Frauenzimmer klagen: ‚Sind wir nicht so katholisch, wie die Männer?‘“ „Unterzeichnung für einen Antrag zur Erhaltung der Ruhe und des Friedens in der Landesversammlung. (...). Wird nun die gesamte Bevölkerung der genannten Kreise zu 550.000 angenommen, hievon die Hälfte mit 275.000 als zum weiblichen Geschlechte gehörig ausscheiden, (...), so erübrigen noch 165.000 Männer. Nun haben hievon 123.000 ihren Willen nach dem Antrage in glaubwürdiger Form durch die Fertigung der anruhenden Blätter ausgesprochen und beurkundet. Wird ferner hiebei dem Umstande, dass ein bedeutender Teil der männlichen Bevölkerung Tirols sich außer Lande befinde, Rechnung getragen, so muss mit Verläßlichkeit angenommen werden, dass die Zahl der Gefertigten den Gesamtwillen der Provinz vertrete. (...). Die neue Verfassung darf die Freiheit des Landes nicht gefährden. Die Freiheit wird durch den vernünftigen Willen der Gesamtheit, nicht der einzelnen bezeichnet und 272 bestimmt.“ 7.2. Ordensschwestern – Ausbrüche aus der bürgerlichen Rolle Religiosität und Katholizismus waren also wesentliche Merkmale für Tirol: „Das deutsche Tirol (...) hatte nur eine zarte Angelegenheit des Herzens: jungfräulich zu bleiben in seinem Bekenntnis. Das war nun (...) unendlich kindlich, fromm und einfältig gedacht, wie nur Himmelsbräute pflegen, aber solche Weltansichten schicken sich eben nur für die betende Nonnen, nicht für 273 die arbeitende Hausfrau, die wirkt und schafft, indes jene träumt und fastet.“ Tiroler Damenstifte, verschiedene Orden und Kongregationen für Frauen hatten um die Mitte des 19. Jahrhunderts Hochkonjunktur. Kaiser Joseph II. veranlasste 1781 die Schließung aller Klöster, die nicht im Sozial-, karitativen- oder schulischen Bereich tätig waren. Das geforderte soziale Engagement änderte das Wesen eines Klosters grundlegend und galt für viele Frauen nun als die Chance zum Ausbruch der bürgerlichen Rolle und als die Chance zur Selbstverwirklichung. Frauen in Klöstern waren der Vormundschaft des Vaters entzogen. Sie waren eigenständige Personen, 271 Innsbrucker Zeitung, Nr. 12, 21. Juni 1848, S. 49. Volksblatt, Nr. 4, 16. Juli 1848, S. 20. 273 vgl. Streiter, Revolution in Tirol, a.o.O., S. 6. 272 89 die sich außerhalb der Hausfrauen- und Ehefrauenrolle aufhielten. Vielmehr richtete sich ihr Leben nach den „weiblichen Eigenschaften“ wie Fürsorglichkeit, Pflege, Geduld. Berufe wie Krankenschwestern, Lehrerinnen, Alten- und Armenpflegerinnen wurden in der Öffentlichkeit ausgeübt und waren gesellschaftlich akzeptiert. Sie waren mit der Pflege Kranker und Armer voll ausgelastet. Vornehmen BürgerInnen missfiel gleichzeitig der Gedanke, im Spital mit Unterschichtsleuten zusammengewürfelt zu werden. 274 Es etablierte sich unter dem Bürgertum immer mehr die Privatkrankenpflege. Der Frauenverein, an der Spitze Dekan Nikolaus Leiss, bewarb sich um Krankenschwestern bei den Ingenbohler-Kreuzschwestern für die Hauspflege. Die Oberin Theresia Scherer schickte vier Pflegerinnen. Die Nachfrage nach Privatpflege stieg bald weiter. Die Zahl der Schwestern wurde erhöht, und die erste Oberin Roberta Böhner fasste den Plan, ein eigenes Krankenhaus zu bauen, was 1880 bewilligt wurde. 7.2.1. Die Karmeliterinnen Der erste kontemplative Orden in Innsbruck war jener der Karmeliterinnen. Diese waren nicht karitativ tätige Klosterfrauen, sondern Nonnen mit einem streng klausierten Leben. Der Lithograph Kravogl und seine Frau Theresia geb. Krötz hatten veranlasst, diesen Orden nach Innsbruck zu berufen. 275 Am 11. November 1845 276 wurde die Niederlassung genehmigt. Er wandte sich an die Karmeliterinnen in Prag und im Mai 1846 trafen die neuen Ordensschwestern ein. Es waren dies Schwester Maria Johanna Staudinger als Superiorin, Schwester Maria Alosia Diechtl als Priorin und Schwester Maria Elekta Kerchlikar. Dieses neue Ordensideal fand bei Mädchen schnell Anklang. Schon vor Ankunft der Schwestern hatten sich einige um die Aufnahme in das neue Karmeliterinnenkloster 277 beworben und nachher läutete fast täglich ein Mädchen an der Tür. Auch die Tochter des Stifters Kravogl meldete sich mit zwei Cousinen. Schwester Maria sah 274 vgl. Margarete Auer, Ordensniederlassungen des 19. Jahrhunderts in Innsbruck, Innsbruck 1948, S. 164. 275 ebda, S. 135. 276 Die Daten variieren bei den verschiedenen AutorenInnen: vgl. Franz Caramelle/Richard Frischauf, Die Stifte und Klöster Tirols, Innsbruck/Wien 1985, S. 258: In ihrem Buch wird die Niederlassung erst im Oktober 1848 genehmigt. 277 vgl. Auer, Ordensniederlassungen, a.o.O., S. 141. 90 sich wegen Platzmangels oft gezwungen, viele Kandidatinnen auf spätere Zeit zu vertrösten. Im Mai 1847, ein Jahr nach der Ankunft in Innsbruck, fand die Grundsteinlegung für das neue Kloster statt. 1848 konnte es bezogen und feierlich eingeweiht werden. „Innsbruck. Gestern wurde die eben erst neu erbaute Kirche des neugegründeten Klosters der Karmeliterinnen in Wilten nächst Innsbruck vom hochwürdigen Fürstenbischofe von Trient feierlich eingeweiht, ein Beweis, wie unbegründet die Beschuldigung ist, dass man in Innsbruck damit umgehe, die Klöster 278 aufzuheben.“ Bei der Weihe war alles genau geregelt. Voran gingen die streng verschleierten Klosterfrauen, dahinter die Gräfinnen von Fünfkirchen und Alberti und andere Frauen. Der Klosterbau wurde binnen kürzester Zeit fertig gestellt. Außerdem wurde den Schwestern Dank vieler SpenderInnen (Kravogl, Graf Brandis, Fräulein Valerie von Friedau usw.) 279 eine Dotation zugesichert. Die Kaiserin wurde zur Klosterweihe 280 persönlich eingeladen, sagte aber ab. Sie spendete dem Kloster 200 fl. L.M. Trat eine Frau in ein Kloster ein, so konnte sie sich außerhalb der traditionellen bürgerlichen Frauenrolle selbst verwirklichen. Die große Zahl an weiblichen Orden und Kongregationen zeigte den Versuch neuer Lebensformen für Frauen. 281 Gab es 1550 nur acht Frauenklöster in Tirol, so existierten 200 Jahre später bereits 20. 282 Innerhalb der Klöster stieg die Anzahl der Anwärterinnen rasch an. 7.2.2. Die Ursulinen Im 18. Jahrhundert ließ sich der Ursulinenorden in Innsbruck nieder. Der Orden blieb aber von der Säkularisation Kaiser Josephs II. (ab 30. Oktober 1781) verschont. Grund hierfür war ihr Engagement in der Erziehung von Mädchen. Die Chronik des Klosters, in dem ca. 40 Schwestern wohnten, Hutbandspende an Andreas Hofer im Oktober 1809. erwähnte eine gestickte 283 Koffler Aloisia (geb. 1783 in Kartitsch, gest. in Bruneck 1855) war Oberin des Ursulinenklosters in Bruneck. Nach einer musikalischen Ausbildung trat sie mit 16 278 Innsbrucker Zeitung, Nr. 29, 21. Juli 1848, S. 126. vgl. Caramelle/Frischauf, Stifte und Klöster, a.o.O., S. 258. 280 vgl. Auer, Ordensniederlassungen, a.o.O., S. 144. 281 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 31. 282 ebda, S. 40. 279 91 Jahren in den Orden ein und wurde mit 28 Oberin. Über 44 Jahre versah sie dieses Amt und hatte sich stets um die Stadtmädchenschule und Bildung der weiblichen Jugendlichen eingesetzt. 284 Das Ursulinenkloster von Bruneck spielt heute noch eine bedeutende Rolle im Schulwesen des Pustertals. 7.2.3. Die Dominikanerinnen Die Dominikanerinnen führten ein strenges, von der Außenwelt völlig abgeschlossenes Leben. Sie lebten von Almosen und öffentlichen Zuwendungen. Ab 1781 eröffnete das Kloster eine Schule, wodurch sie von der drohenden Klosteraufhebung Josephs II. verschont blieben. 285 Widmann Emilie (geb. in Bozen 1785, gest. im Kloster 1858) war Priorin des Klosters in Lienz. Sie trat 1816 in das Kloster ein. Sie förderte den Unterricht, sorgte für eine gute Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und hob so zusehends das Niveau der Klostermädchenschule. Im Jahre 1848 eröffnete sie in Steinach bei Meran eine 286 Filiale mit sechs Schwestern. 7.2.4. Die Barmherzigen Schwestern Da in Innsbruck zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Bedarf an „Krankenschwestern und Armenpflegerinnen“ groß war, setzte sich der Rechtsanwalt Dr. Alfons von Pulciani für die Niederlassung der Barmherzigen Schwestern ein. 287 Diesen Orden gab es bereits seit 1826 in Zams, in Ried in Oberinntal und in Imst und war bekannt durch das soziale Engagement in der Kranken- und Armenpflege für beide 288 Geschlechter. In Imst lebte Juliane Krismer, später Pauline als Barmherzige Schwester (gest. am 7. April 1858 in Imst). Sie nahm 1809 an den Tiroler Freiheitskämpfen teil und war dadurch im ganzen Land bekannt. Mit einem Stutzen bewaffnet stellte sie sich an die „Spitze der Amazonen“. 283 289 vgl. Caramelle/Frischauf, Stifte und Klöster, a.o.O., S. 232. vgl. von Wurzbach, Biograph. Lexikon, a.o.O., 12. Teil, S. 272. 285 vgl. Caramelle/Frischauf, Stifte und Klöster, a.o.O., S. 203. 286 vgl. von Wurzbach, Biograph. Lexikon, a.o.O., 55. Teil, S. 257. 287 vgl. Auer, Ordensniederlassungen, a.o.O., S. 100. 288 ebda, S. 101. 289 vgl. von Wurzbach, Biograph. Lexikon, a.o.O., 13. Teil, S. 234. 284 92 Der Magistrat genehmigte 1836 die Niederlassung der Barmherzigen Schwestern. Vier Tiroler Kandidatinnen (Kresenzia Petzer von Welsberg, Tochter des Landrichters, Anna Messner von Nasserreith, Rosa Geissler aus Fügen und Zäzilia Opel aus Imst) erhielten in München eine klösterliche Ausbildung. Nach dem Noviziat kehrten sie 1839 mit zwei erfahrenen Schwestern zurück. 290 Schwester Vinzenza Balghuber übernahm die Oberinnenstelle, Schwester Aloisia Aigner wurde Novizenmeisterin. Am 1. Mai 1839 wurde die Niederlassung des Ordens feierlich eingeweiht. Die Barmherzigen Schwestern ernteten schon sehr bald so große Anerkennung in der Kranken- und Armenpflege, dass zahlreiche Mädchen aus den verschiedensten Ständen sich für diese Berufe begeisterten. Viele traten ins Kloster ein. Am 19. Mai 1840 legten die vier Tiroler Novizinnen ihr Ordensgelübde ab. Gleichzeitig wurden fünf Postulantinnen eingekleidet: • • • • • 291 Maria Burggesser von Innsbruck – Schwester Alfonsa Marianne Pizzinini von Abtei – Schwester Johanna Christina Pineid von Kastelruth – Schwester Michaela Seraphina Holzknecht von Längenfeld – Schwester Josefa Anna Maria Pritzi von Burgeis – Schwester Bernarda Zwei Jahre nach der Gründung zählte der Orden bereits 19 Schwestern und 15 Postulantinnen, im Jahre 1844 waren es 46 Schwestern, die im Mutterhaus in Innsbruck und in sechs Filialen arbeiteten: 292 12 Schwestern Innsbruck 11 Schwestern Bozen 6 Schwestern Brixen 6 Schwestern Schwaz 5 Schwestern Kaltern 3 Schwestern Lienz 3 Schwestern Sterzing Mit Zams, Ried, und Imst zusammen wagten insgesamt 149 Schwestern einen Ausbruch aus den damaligen festgeschriebenen Geschlechterrollen. Viele Mädchen aus den verschiedensten Ständen wollten für einen „Beruf“ in der Armen- und 293 Krankenpflege diesen Orden beitreten. 290 vgl. Auer, Ordensniederlassungen, a.o.O., S. 104. ebda, S. 109. 292 ebda. 293 vgl. Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 45. 291 93 1848 erwarben die Schwestern in Saggen ein Haus, das sie in ein Armenhaus umwidmeten. 7.2.5. Die Englischen Fräulein Während 1751 zwölf Fräulein in Brixen waren, so waren es 1781 bereits 29. Die Institute der Englischen Fräulein machten sich besonders im Unterricht der Mädchen verdient. Der Orden erlangte bald großes Ansehen. Neue Niederlassungen erfolgten in Meran, Brixen und Rovereto: „Die Bevölkerung Roveretos wünschte sich schon lange, eine Volksschule für Mädchen in der Stadt zu errichten. Die Eltern wurden angewiesen, ihre Töchter in 294 die Klosterschule der Englischen Fräuleins, zu schicken.“ Von liberaler Seite kritisierte man aber diesen mächtigen Einfluß des Klerus und der Ordensschwestern in den Bereichen der Schule, der Armen- und Krankenfürsorge: „Gesteigerte Wuth gegen den Ordensklerus und die Verblendung im Tirolerlande (...). Noch immer sitzen Franziskaner, Minoriten, Carmeliter, Carmeliterinnen ec. ganz behaglich in ihrem Neste. Noch immer pflegen die barmherzigen Schwestern eure Kranken, die Schulschwestern unterrichten noch immer eure Töchter. (...). Weg mit den barmherzigen Schwestern, die doch bei den Protestanten Gnade und Nachahmung gefunden. Weg mit den Schulschwestern, 295 die die Töchter unterrichten (...).“ Trotz allem wurden ihnen diese Kompetenzen zugestanden. Erst die Schulreform von 1848 sah auch weltliche Lehrerinnen für den Mädchenunterricht vor. Auch heute noch sind einige Orden im schulischen Bereich tätig: Die Ursulinen mit einem wirtschaftskundlichen Realgymnasium, die Barmherzigen Schwestern leiten eine private Volks- und Hauptschule, ein katholisches Oberstufenrealgymnasium und eine katholische Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik mit Übungskindergarten und Kinderkrippe. Im Bereich der Armen- und Krankenpflege aber blieben sie zunächst ohne Konkurrenz. Einige Privatspitäler sind heute noch in den Händen der Schwestern wie beispielsweise das Privatsanatorium der Barmherzigen Schwestern in Saggen. 294 Il messaggiere tirolese, Nr. 18, 1. März 1848, S. 1: Scuola feminile Roveretana. Era lungo e intenso desiderio della popolazione roveretana di poter avere nella sua città una scuola elementare per le fanciulle. Costretti i genitori a inviare le loro figlie alla scuola nel convento delle Vergini Inglesi (...). 295 Tiroler Wochenblatt, Nr. 27, 30. Sept. 1848, S. 92. 94 7.3. Frauenkongregationen In den neu gegründeten Kongregationen des 19. Jahrhunderts wurden freiere Statuten festgelegt. Zwischen gegründet. 296 1800-1823 wurden 23 Frauenkongregationen Es änderte sich das Bild der Ordenschwestern. In den mittelalterlichen Abteien und Stifte kamen Mönche und Nonnen ausschließlich aus dem adligen Stand. Die Mehrzahl kam jetzt aus gut situierten bürgerlichen Kreisen oder aus bäuerlichen Verhältnissen. 297 Kongregationen beschäftigten sich in der Seelsorge, Schule und Karitas. 7.4. Damenstifte Adlige Töchter wurden aber nicht nur im Kloster versorgt, sondern auch in Damenstiften. In Tirol gab es drei: • das Maria-Theresianische in Innsbruck (1765: das von Maria Theresia gegründete Damenstift in der Innsbrucker Hofburg zur Versorgung 298 unverheirateter, adliger Mädchen, • das Haller Fräuleinstift (1567 von Erzherzogin Maria Magdalena gegründet und 1783 aufgehoben) und • das „Therese gräflich Wolkensteinische adlige Damenstift“ für Witwen in Innsbruck (1832). 299 Diese Damenstifte waren weltliche Vereinigungen. Die Anwärterinnen mussten kein Gelübde ablegen, konnten jederzeit austreten und nahmen an gesellschaftlichen Veranstaltungen der Oberschichten teil. 300 Das Maria-Theresianische Damenstift war zur Versorgung der adligen Töchter gedacht. Maria Theresia gründete es anlässlich des plötzlichen Todes von Kaiser Franz I. Die Anzahl der Adligen wurde auf zwölf festgelegt, die Äbtissin entstammte aus dem Kaiserhaus. Kaiserin Maria Anna war Schutzfrau des Damenstiftes von 1835-1855. 296 301 vgl. Auer, Ordensniederlassungen, a.o.O., S. 14. ebda, S. 19. 298 ebda, S. 40f; vgl. auch Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., 1. Teil, S. 414-415. 299 vgl. Caramelle/Frischauf, Stifte und Klöster, a.o.O., S. 272. 300 Schopf, Das österreichische Frauenrecht, a.o.O., S. 185f. 301 vgl. Elinor Langer, Die Geschichte des Adligen Damenstiftes zu Innsbruck, Innsbruck 1950, S. 147. 297 95 302 Folgende Adlige lebten 1848 im Damenstift. Die Daten zeigten Ein- und Austritt: Caroline, Gräfin Gaisruck Marie, Gräfin Lodron-Lateranoin Josephine, Gräfin Bissingen-Nippenburg Johanna, Freiin von Schneeburg zu Rubnin 22.10.1818-25.03.1864 29.03.1824-28.05.1887 Unterdechantin 1846-87 19.08.1824-02.02.1880 19.08.1824-19.05.1875 Unterdechantin 1837-46 Oberdechantin 1846-75 Marie Anna Freiin von Hingenau 09.05.1825-19.12.1870 Maria Anna, Gräfin von Inzaghi 19.12.1825-01.09.1856 Eleonore, Fürstin Hohenlohe-Waldenburg und Schillingfürst 09.10.1827-19.11.1849 Creszentia, Gräfin Thurn-Valsassina und Taxis 09.06.1828-04.01.1882 Antonie, Gräfin Coreth zu Starkenburg und Coredo 24.04.1829-26.07.1880 Albertine, Gräfin Welsberg zu Raitenau 01.09.1831-14.04.1886 Franziska Seraphine, Gräfin Leiningen-Westerburg Mathilde, Gräfin Stadel-Kornberg 12.07.1838-1850 27.05.1847-19.07.1893 Unterdechantin 1887-93 Frauen in den Stiften, Klöstern und Kongregationen handelten durchaus auch politisch. So setzten sie im Bereich der Armen- und Krankenpflege wichtige Maßstäbe und konnten in diesem Raum der Sozialpolitik wichtige Forderungen durchbringen: z.B. den Bau eines Spitals durch die Barmherzigen Schwestern. Auch in die Belange Tiroler Politik mischten sie sich durch Petitionen ein, was folgende Pressemeldung verdeutlichte: „Es ist kürzlich eine lithographische Petition, angeblich im Namen aller Bürger Innsbrucks, hier erschienen. Eine Handvoll ehrenfester Bürger, nebst einigen gottesfürchtigen alten Frauen dieser Stadt hielten sich für erleuchtet genug, um dem Ministerium ein Schnippchen zu schlagen. Die Petition sah die Aufhebung des Jesuitenund Liguorianerordens als einen widerrechtlichen Eingriff in die jedem Staatsbürger 303 zustehenden Rechte.“ 302 303 ebda, S. 148ff. Innsbrucker Zeitung, Nr. 72, 4. Oktober 1848, S. 323. 96 Interessant ist auch folgendes Ereignis, das das politische Interesse und Engagement von Ordensschwestern zeigte: Bei den Landtagswahlen von 1861 machten 15 Barmherzige Schwestern aus Imst, Mils, Reutte und Landeck von ihrem eines mittels früheren Landtagsbeschlusses gewährten Wahlrechtes Gebrauch. 304 (Bei der Reichsratswahlreform von 1907 wurde das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für Männer eingeführt. Erst 1918 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt). 305 Da sie keine Ehemänner hatten, die für sie das Wahlrecht ausübten, beschlossen sie selbst zur Wahl zu gehen. Daraufhin entstand eine heftige Debatte. 306 Man rätselte, wie man mit den Stimmen der Barm- herzigen Schwestern umgehen sollte. Die 15 Stimmen wurden von den insgesamt 230 Stimmen abgezogen, und die Wahl für gültig erklärt. Denn indirekt wahlbe307 rechtigt waren zu dieser Zeit nur Frauen der adligen Kurie mit Großgrundbesitz. Bei der Landtagswahlordnungsreform von 1863 galt zwar persönliches Wahlrecht, doch Frauen sollten davon ausgeschlossen bleiben. Ihre Gatten oder Bevoll308 mächtigten wählten für sie. 1869 wurde im Tiroler Landtag über das Wahlrecht der Frauen diskutiert. Abgeordnete wollten verhindern, dass Frauen zu den Wahlen gingen. Der Paragraph 15 wurde in der Form abgeändert, dass verheiratete Frauen ihr Wahlrecht nur durch ihren Ehegatten oder einen Bevollmächtigten ausüben konnten. 309 Nur der Trentiner Liberale Leonardi trat für das Frauenwahlrecht ein, was jedoch im Landtag heftige Diskussionen auslöste. In den Gemeindestatuten von Innsbruck, Bozen und Trient war man gegen das Wahlrecht von Frauen. Einzig in Rovereto durften die Frauen ein indirektes Wahlrecht ausüben. 304 310 vgl. Gretl Köfler/Gertha Hofmüller, Beiträge zur Tiroler Frauenforschung. Ein Arbeitsbericht; in: Veröffentlichungen der Universität Innsbruck 170, Innsbruck S. 1989, S. 145. 305 vgl. Brigitte Zaar, Einführung des Frauenwahlrechts; in: Forum Politische Bildung (Hg.), Wendepunkte und Kontinuitäten. Zäsuren der demokratischen Entwicklung in der österreichischen Geschichte, Wien 1998, S. 66-82. 306 vgl. Köfler/Hofmüller, Beiträge zur Tiroler Frauenforschung, a.o.O., S. 150. 307 ebda. 308 ebda. 309 ebda, S. 151. 97 8. Arbeiterinnen in der Tiroler Presse 8.1. Das Bild der Arbeiterinnen Das Bild der unteren Schichten ist ein sehr heterogenes. Unterschichtsfrauen stellten höchst unterschiedliche weibliche Existenzformen dar, die mit ökonomischen Daten nur in Umrissen sichtbar gemacht werden können. 311 Meist denken wir an verschmutzte Menschen in einer großen Fabrik. Doch diese stellten in Tirol nur einen geringen Anteil. Wesentlich mehr waren so genannte WanderarbeiterInnen (Maurer, Sägearbeiter, ErdarbeiterInnen, Bauarbeiter, Knechte, Mägde, Dienstbotinnen und Hausgehilfinnen), sowie TagelöhnerInnen in der Landwirtschaft und im Gewerbe. Weiters zählten die Lehrlinge, Gesellen und Gehilfinnen im Gastgewerbe zu der ArbeiterInnenklasse. 312 Das auferlegte (bürgerliche) Frauenideal galt ausschließlich für adlige und bürgerliche Frauen. Für die Frauen aus den Unterschichten entsprach dieses Modell nicht: • • • • • • • • sie mussten einer außerhäuslichen Arbeit nachgehen, um für sich und ihre Familie existentielle Lebensgrundlagen zu schaffen, ein Großteil ihres Lebens spielte sich auf der Straße ab, sie traten in gemischten öffentlichen Räumen (z.B. Fabriken) auf, sie verfehlten aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage das konstruierte Ideal der Ehe, folglich galt für sie auch das eheliche Fortpflanzungsdiktat nicht, sie wurden grundverschieden sozialisiert, sie erhielten – wenn überhaupt – eine andere Schulbildung als Frauen und Mädchen aus gehobenen Schichten, es funktionierten die Modevorschriften der höheren Stände nicht usw. Gerade eben, weil dieses Ideal der bürgerlichen Weiblichkeit in keiner Weise für Unterschichtsfrauen zutraf, wurde nicht zufällig in dieser Zeit der abwertende Begriff „Dirne“ für sie kreiert. 310 ebda, S. 153. vgl. Carola Lipp, „Fleißige Weibsleut" und „liderliche Dirnen". Arbeits- und Lebensperspektiven von Unterschichtsfrauen; in: Carola Lipp (Hg.), Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 25. 312 vgl. Elisabeth Dietrich, Die soziale Frage der Arbeiterfamilie, Innsbruck 1993, S. 69. 311 98 „Der aufmerksame Beobachter findet in allen Klassen der Gesellschaft früher nicht gekannte Ansprüche an das Leben, die Einfachheit des Hauses ist an vielen Orten verschwunden (...) viele sind faul, wollen nicht arbeiten, aber reich werden (...) wozu läßt sich nicht die faule Dirne mißbrauchen, wenn man ihr 313 einige Kreuzer gibt.“ Sieder versteht unter diesem Begriff keine Prostituierte. Er ist für ihn vielmehr eine abwertende Bezeichnung von Männern für jene Frauen, die sich aufgrund ihrer ökonomischen Situation nicht nach der vorgeschriebenen Rolle verhielten. 314 Selbst viele Industriearbeiter der ersten Generation bezeichneten Mädchen und Frauen, die 315 in städtischen Industriebetrieben arbeiteten, gern als „Huren und Dirnen.“ Der Argwohn der Männer richtete sich auf viele Bereiche: Es waren jene, wo • ihre Frauen mit zahlreichen Menschen zusammentrafen, • sie in gemischte öffentliche Räume traten und • sie die Frauen nicht zu kontrollieren vermochten. Die beabsichtigte Intention war die Zurückführung von der unkontrollierbaren Öffentlichkeit in den leichter kontrollierbaren Haushalt. Arbeitsstruktur in Unterschichtsfrauen der nicht industriellen mehr von Phase der 316 Doch durch die veränderte konnte der Öffentlichkeit Gesetzgeber verdrängen. die Unter- schichtsfrauen waren stets präsent. Eine Integration der Arbeiterinnen in allen Erwerbszweigen wurde verhindert, indem „vor allem bemerkt wird, dass die österreichische Regierung den Grundsatz aufgestellt habe, dem weiblichen Geschlechte den Betrieb solcher Nahrungszweige, wozu es nach seiner Persönlichkeit geeignet, auch keine ordentliche Erlernung und Vorbereitung nothwendig ist, und in welchen es für 317 sich einen ehrlichen Erwerb finden kann, soviel als möglich zu erleichtern. Die rigorosen Bestimmungen sahen für Frauen also genau jene Arbeiten vor, die ihren „natürlichen“ Eigenschaften entsprachen. Einen Ausschluss von allen „männlichen“ Berufen förderte auch die strenge Zunftordnung. Somit waren die meisten Möglichkeiten im nicht-landwirtschaftlichen Bereich eng an Hausarbeit 313 Volksblatt Nr. 9, 23. August 1848, S. 69. vgl. Sieder, Sozialgeschichte der Familie, a.o.O., S. 36. 315 ebda. 316 ebda. 317 zit. nach Schopf, Frauenrecht, a.o.O., S. 175 ff. 314 99 gebunden. Ein sehr großer Teil von Frauen arbeitete als Dienstbotinnen in der Stadt: 318 „Eine Magd, welche die Hauswirthschaft gut versteht und mit guten Zeugnissen versehen ist, sucht einen Dienst und könnte sogleich eintreten. Das Weitere sagt 319 die Verlegerin dieses Blattes.“ 8.2. Die Erziehung der Arbeiterinnen Zu den wirtschaftlichen Nöten der Unterschichtsfrauen kamen soziale und rechtliche Verschärfungen. So machten rigorose Verehelichungsbeschränkungen eine Heirat vom finanziellen Stand abhängig. Die Folge war, dass Unterschichten später heirateten oder ohne Trauschein zusammenlebten, was laut Gesetzgeber ein Vergehen war. Es bestand ein Zusammenhang zwischen den Verehelichungsgesetzen und den unehelichen Kindern. Doch wenige Politiker bezogen dies zueinander. Für Konservative war die hohe Zahl vielmehr ein Grund für die einher320 gehende „Sittenlosigkeit". Sie suchten somit nicht nach einer Lösung der sozialen Frage, sondern nach der bestmöglichen Disziplinierung für Unterschichten. Vor allem der konservative Frauenverein in Innsbruck sah sich hierfür verantwortlich: „Kinderwart-Anstalten Die Anstalt befindet sich im städtischen Versorgungshause, hat ein geräumiges Lokal und einen sehr großen Spielplatz. Die Zahl kann man schlecht schätzen, 321 aber ca. 60-70 Kinder, die Hälfte Mädchen. Zu Dreiheiligen Dort befinden sich 23 Buben und 22 Mädchen bis zu fünf Jahren. (...). Zweck dieser Anstalt ist es: Bewahrung der Kinder vor Unfällen, Angewöhnung zur Reinlichkeit, Ordnung, Folgsamkeit, Ausbildung des Körpers, erste Begriffe 322 unserer Religion.“ „(...). Mehr als 200 Mädchen, die bisher keine Gelegenheit fanden, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen, um einst ihr Brot auf ehrbare Art zu erwerben, daher häufig dem Müßiggange oder einer planlosen unnützen Beschäftigung nachgingen, bleiben jetzt von 8-11 Uhr vormittags und von 1-6 Uhr abends unter öffentlicher Aufsicht versammelt. (...). Da auf Reinlichkeit der Kleidung, Sittsamkeit und Anstand sorgfältig gehalten wird, so ist diese Anstalt 323 sowohl eine Beschäftigungs-, als auch eine Bildungsinstitution.“ 318 vgl. Margit Stephan, Die unbotmäßige Dienstbotin; in: Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O., S. 56. 319 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 42, 20. Oktober 1848, S. 172. 320 vgl. Stephan, Die unbotmäßige Dienstbotin, a.o.O, S. 57. 321 K.K. Priv. Bote für Tirol und Vorarlberg. Extra Beilage, Nr. 8, 29. Dezember 1834 322 ebda. 323 ebda. 100 „Die Industrieschule zu St. Nikolaus Diese Anstalt besuchten im Laufe des Jahres im Schnitt 98, seit dem Winter 127 Mädchen. Hiervon waren 23 Mädchen mit Nähen beschäftigt, 34 mit Spinnen und 70 mit Sticken. Die verschiedenen Arbeiten bestehen in Näh- und Strickarbeiten. All diese Arbeiten wurden gegen Bezahlung geliefert und es erhielten die Mädchen für Näharbeit 101 fl. 31 kr. Strickarbeit 25 fl. 22 kr. 324 Spinnarbeit 153 fl 7 kr (...).“ Ähnliche Funktionen erfüllten die Amazonentheater: „(...). Als ich mich nach der Veranlassung dieser Comödie erkundigte, erfuhr ich, dass die Ortsobrigkeiten sie zum Theil herbeigeführt hätten. Weil nämlich jetzt das Dorf voll von Dragonern liege, so hätten die Herren allerhand Unfug besorgt, Comödienspielen aber für das beste Mittel gehalten, die Mädchen in den müßigen Stunden zu beschäftigen, und ihre Gedanken von leichtfertigen Dingen abzuwenden. Es sei auch gelungen, denn die Mädchen thäten, wenn die Feldarbeit vorüber wäre, nichts als lernen und probieren. Hiermit ist also, wenigstens in Pradl, die Frage entschieden, welche Zeloten und Aesthetiker so abweichend beantworten; die Frage nämlich: ob die Schaubühne eine moralische 325 oder eine unmoralische Anstalt sei?“ Viele Unterschichtsfrauen waren so fest in Disziplinierungs- und Erziehungsmaßnahmen eingeschlossen. Presseartikel wiesen vermehrt auf Folgen bei Nichtbeachtung hin: „Ein Beispiel von einen solchen Aufklärer, weiß ich euch von meinem Leben. Da ist ein Madl von ein meinigen Vetter in die Stadt in Dienst kommen, und hat dort mit ihrem netten Gesicht einen alten Wüstling gewaltig in die Augen gestochen. Weil sie aber in Religion gut unterrichtet und eingeübt war, hat sie seinen schädlichen Antrag lang widerstanden. Um sie aber doch in sein Garn zu kriegen, hat er angefangen, sie aufgeklärt zu machen. Hat sie etwas von der Sünd gesagt, so ist das bei ihm ein Pfaffengeschwätz gewesen; hat sie ihm die Höll vorgestellt, so hat er sie gefragt, ob sie denn auch so dumm sei, und an dieser alten Fabel noch glaub, kurz nach und nach hat sie sich aufgeklärt machen lassen, ist aber dafür gar bald verunglückt (schwanger, r.t.) nach Hause gekommen. Der Kummer ihrer Eltern und Geschwister, und ihre Schand hat sie auf's Krankenlager geworfen, von dem sie nicht mehr aufgestanden ist. Da auf dem Sterbebette hat sie dann unser Herr aufgeklärt, und ihr ein Licht angezündet, dass sie gar gut gesehen hat, wer ihr's Rechte und's Wahre gesagt hat, der Geistliche, da sie in der Religion unterrichtet, oder ihr Verführer, der ihr 326 seine Aufklärung beigebracht hat.“ 324 ebda. zit. nach Köfler/Forcher, Frau in Geschichte, a.o.O., S. 146. 326 Volksblatt, Nr. 19, 2. Oktober 1848, S. 131. 325 101 8.3. Die Konstruktion einer neuen Sexualität Aufklärung – im zweifachen Sinne zu verstehen – brachte laut konservativen Kräften den Sittenverfall mit sich. Aufklärung wurde oft mit dem Tode bestraft. Dienstbotinnen und andere Unterschichtsfrauen waren besonders gefährdet. Klischees gaben sie als schmutzige, betrügerische, verdorbene und unsittliche Frauen wieder, die oft Liebschaften hatten. 327 Sie mussten daher – wie auch Oberschichtsfrauen – sexuell diszipliniert werden. Doch die wirklichen Gründe lagen tiefer: Michel Foucault beschrieb die Vertreibung all jener Formen der Sexualität 328 aus der Wirklichkeit, die sich der Wirtschaftlichkeit der Reproduktion nicht unterwarfen (Sicherung des Bevölkerungswachstums, Produktion der Arbeitskraft, Aufrechterhaltung der Gesellschaft). Es wurde eine ökonomisch nützliche und politisch konservative Sexualität entworfen. Alle sexuellen Praktiken außerhalb des Bereiches der Fortpflanzung wurden zuerst negiert und schließlich mit Sanktionen versehen. 329 Die Kirche und das Zivilrecht (ABGB) hatten Sexualität mit Sünde verbunden. 330 Es wurde zur Erziehung der christlichen Sittlichkeit ermahnt. Sie zielten darauf ab, das Fleisch als Wurzel aller Sünden zu machen. Die Medizin, die Psychologie, die Pädagogik usw. verhielten sich nicht anders. Jeder Bereich bestimmte auf seine Weise die Scheidung in Erlaubtes und Verbotenes. Und alle waren um die ehelichen (heterosexuellen) Beziehungen 331 zentriert. Einst als triebhaft, dämonisch, männermordend und „geil“ bezeichnet, wurden Frauen im 19. Jahrhundert zu Geschlechtswesen 327 ohne Geschlechtstrieb, zu tugendhaften und asexuellen vgl. Stephan, Dienstbotin, a.o.O., S. 57. „Sexualität ist kein Ding-an-sich, keine sachliche Kategorie. Sexualität ist ein neues, künstliches Konstrukt, ein Sammelbegriff, der erst im 19. Jahrhundert seinen Namen erhielt. Das Wort tauchte erstmals um 1800 im Zusammenhang mit einem von den Biologen Linnaeus entworfenen Modell auf und bezeichnete ursprünglich geschlechtliche Unterschiede bei Pflanzen; es dehnte sich rasch auf Fortpflanzung und Geschlechtsunterschiede im allgemeinen aus." zit. nach Isabell V. Hull, ‚Sexualität' und bürgerliche Gesellschaft; in: Frevert, Bürgerinnen, a.o.O., S. 50. 329 vgl. Michel Foucault, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Frankfurt am Main 1983, S. 50. 330 vgl. Hull, ‚Sexualität', a.o.O, S. 60. 331 vgl. Foucault, Wille zum Wissen, a.o.O., S. 51. 328 102 Hüterinnen häuslicher wie öffentlicher Moral. 332 Diese männliche Sexualitätskonstruktion funktioniert leider heute immer noch größtenteils. Soweit nun die Bilder und Disziplinierungen von Unterschichtsfrauen. Doch werden auch andere Bilder in den Medien sichtbar? Wie verhielten sich die ArbeiterInnen in den Zeiten der Revolutionen? Gibt es dafür Hinweise in den Quellen? 8.4. Demonstrationen und Aufstände als Zeichen des politischen Protestes Die Initialzündung zu den europäischen Revolutionen lieferten die Pariser ArbeiterInnen: „Ein detaillierter Ausweis über die in die verschiedenen Spitäler von Paris aufgenommenen Verwundeten gibt die Zahl derselben auf 461 Männer, 18 Frauen und 92 Militärspersonen. Hievon sind bisher gestorben 48 Männer, eine 333 Frau und zwei Militärspersonen.“ In der Tiroler Presse von 1848 finden sich relativ viele Berichte über die Aufstände, Demonstrationen, Streiks von ArbeiterInnen und BürgerInnen in den großen europäischen Städten: „Paris, 23. Juni. Aufruhr der Arbeiter und Vertreibung des Königs Louis Philipp. Die Regierung wollte den Arbeitern helfen, indem sie öffentliche Werkstätten errichteten. Alle 17-25jährigen mussten zum Militärdienst oder die staatlichen Werkstätten verlassen. Am 26. Juni kam der Erzbischof von Paris begleitet von zwei Generalvikaren, um die Arbeiter zu besänftigen und um Frieden zu vermitteln. Man stürzte vor ihm auf die Knie, Bürger, Soldaten, Männer und 334 Frauen.“ In den europäischen Städten waren die ArbeiterInnen durch ihren politischen Protest wesentlich an den Eskalationen beteiligt oder gaben den primären Anstoß: 332 vgl. Schmaußer, Blaustrumpf. a.o.O., S. 31. K.K. Priv. Bothe, Nr. 21, 13. März 1848, S. 89. 334 Volksblatt, Nr. 3, 5. Juli 1848, S. 15. 333 103 Aber nicht nur Arbeiter waren beteiligt, sondern auch viele Arbeiterinnen und BürgerInnen. Frauen spielten eine wichtige Rolle, sie vertraten und verteidigten die Ideale der Revolution wie Männer, beteiligten sich genauso am Barrikadenbau wie Männer. In der Geschichtsschreibung Demonstrierende Arbeiter am Abend des 13. März 1848 aus: Reschauer, Das Jahr 1848, a.o.O., in: http://www.aeiou.at./aeiou.history.docs/20732.htm wurden sie aber selten miteinbezogen. Durch die (politische) Partizipation wurde Klassenbewusstsein geschaffen. Das Jahr 1848 gilt als wichtiger Eckstein einer organisierten ArbeiterInnenschaft, aber auch der österreichischen Frauenbewegung. Bild: Blutige Vertreibung der RevolutionärInnen; aus: Reschauer, Das Jahr 1848; in: http://www. aeiou.at/aeiou.history.docs/20721.htm In den Revolutionen fanden sich Bild: Kampf in Wien am 13. März 1848; aus: Reschauer, Das Jahr 1848; in: http://www. aeiou.at/aeiou.history.docs/20723.htm unterschiedliche Verhaltensmuster. Es verschwammen die Räume zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen den verschiedenen Ständen. Arbeiterinnen beteiligten sich schon im März an den Kämpfen, Bürgerinnen stießen im Mai dazu. Je nach ihrer sozialen Herkunft wurden 104 sie in den Medien unterschiedlich bezeichnet: Frauen aus der Unterschicht wurden als „kräftige Weiber", „kecke Dirnen", und „Gassen-Nymphen“ usw. bezeichnet, bürgerliche Frauen als „junge Damen", „hübsche Bürgermädchen" usw. In den Abbildungen von Heinrich Reschauer wurde immer wieder die Partizipation von verschiedenen sozialen Schichten sichtbar. Auch Gabriella Hauch belegte die Anwesenheit von Arbeiterinnen und Bürgerinnen am Barrikadenbau. Sie setzten sich mit großem Idealismus für revolutionäre Ideale und Forderungen ein: Bild: Errichtung der Kaiserbarrikade am 26. Mai 1848; aus: Reschauer, Das Jahr 1848; in: http://www.aeiou.at/aeiou.history.docs/20772.htm „Wie groß und herrlich standen in dieser bewegten Welt die Frauen von Wien da! In ihrer Brust zündete der Funke der Freiheit am reinsten, sie liebten sie mit der 335 vollen Liebe des Weibes, liebten sie von ganzer Seele." Sie kümmerten sich nicht nur um die Verpflegung (Essen, Trinken, Tabakwaren), sondern auch um Waffen, Pulver, Blei, Kugeln, Degen, Säbel, Büchsen und 336 Musketen. „In Klausenberg vom 12. heißt es: Unsere Stadt ist ganz auf Kriegsfuß gesetzt, ein Theil unserer Wehr hat sich ins Lager begeben, der andere Theil versieht den Wachdienst in der Stadt. Bei uns ist bereits Alles, Beamten, Handwerksmann, Kaufmann, Schreiber, Herr und Diener, Jung und Alt unter Waffen, während 337 unsere Frauen Patronen und Charpie (Verbandszeug, r.t.) bereiten.“ 335 zit. nach Pichler, Aus den März- und Oktobertagen, a.o.O., S. 13. vgl. Gabriella Hauch, Blumenkranz und Selbstbewaffnung. Frauenengagement in der Wiener Revolution 1848; in: Helga Grubitsch (Hg.), Grenzgängerinnen. Revolutionäre Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Weibliche Wirklichkeit und männliche Phantasien, Düsseldorf 1985, S. 93. 337 Innsbrucker Zeitung, Nr. 104, 29. November 1848, S. 508. 336 105 Bürgerinnen bewirteten Arbeiter mit Silberbesteck, Frauen aus mittleren Schichten stellten Haushaltstücher zur Verfügung, die als Fahnen auf den Barrikaden 338 aufgestellt wurden. Frauen griffen aber auch zu den Waffen: „Neapel, 4. September. Berichten aus Messina zu Folge hat die Zitadelle am 3. dieses Monats ein schreckliches Feuer auf die Stadt begonnen, welches diese mit gleicher Wut beantwortete. Die Einwohner verteidigten sich verzweifelt, selbst 339 die Frauen sind bewaffnet.“ Der Tiroler Dichter Adolf Pichler, ein Zeitzeuge der März- und Oktoberrevolution in Wien, lieferte wichtige Berichte. Auszüge aus Quellen geben relevante Aufschlüsse darüber, dass Frauen in Revolutionen in viele öffentliche Räume getreten waren: „Die Waffen klirrten, im Nu verschwanden die weißen Fahnen, die Blutsfahne wogte unter den Scharen, die Frauen warfen rote Bänder herab. Sturm, Sturm! hallte es durch die Reihen. Eine junge Dame riß das rote Halstuch ab, und gab es uns todtenbleich mit den Worten: ‚Rot ist eine schreckliche Farbe, wenn aber Blut fließen muss, so kämpfen sie, wie sie 340 begonnen haben – als Helden!‘" Bild: Kampf der Nationalgarde mit plündernden ProletarierInnen in der Nacht vom 14. auf 15. März; aus: Reschauer, Das Jahr 1848, a.o.O., in: http://www.aeiou.at/aeiou.history.docs/20744.htm „Eines anmuthigen Vorfalls will ich erwähnen, der sich wohl an diesem Tag viel tausendmal ereignet hat. Ein hübsches Bürgermädchen trat schüchtern zu mir, 341 und heftete mir die blaue Busenschleife auf die Brust. (...). Durch die Kärntherstraße steckten wir weiße Bänder auf, als Zeichen des Friedens wegen der gemachten Bewilligungen. Aus allen Fenstern wehten uns zum Gruße Tücher entgegen. Auf einem Erker stand eine schöne Dame mit ihrem Knäbchen. Dieses trug eine weiße Seidenfahne mit Blumenkränzen geschmückt in der Hand. Es ließ sie auf uns herabfallen, wir machten Front und steckten dieses Fähnlein auf 338 vgl. Hauch, Blumenkranz, a.o.O., S. 102f. Innsbrucker Zeitung, Nr. 62, 17. September 1848, S. 275. 340 zit. nach Pichler, Aus den März- und Oktobertagen, a.o.O., S. 11. 341 zit. ebda, S. 10. 339 106 342 die Spitze unserer Fahnenstange. (...) Ich habe Greise Freudenthränen weinen gesehen, alles neigte sich vor uns wie vor Fürsten, Mütter hoben ihre Kinder in die Höhe und riefen: ‚Unsere Kinder sollen einst davon erzählen, was sie gethan haben; diese werden die Früchte ihres Muthes genießen, wenn wir selbst das 343 Reifen nicht mehr erleben!‘" 8.5 Barrikaden – ein neuer politischer Ort für Frauen Eindrucksvolle Barrikadenstimmungsbilder wurden in Quellen wiedergegeben: Bild: BürgerInnen, Handwerker, ArbeiterInnen und Studenten beteiligten sich an der Errichtung der Universitätsbarrikade im Mai 1848; aus: Rieder, Völker läuten Sturm, a.o.O., S. 111. 342 zit. ebda. zit. ebda, S. 13. 344 zit. ebda, S. 23. 345 zit. ebda, S. 24. 346 zit. ebda. 343 „(...). Später ging ich vom Platze auf die vorliegende Dominikanerbastei. Der Zugang war durch eine kleine Barrikade geschlossen, hinter welcher Arbeiter und Dirnen an einem Feuer kauerten. Diese holden Wesen erhoben sich also gleich zum zärtlichsten Gruße. (...). Dann folgten obligate Zoten, während Schwestern in einer schmutzigen Pfanne irgend ein Gebräu sotten und die Arbeiter Erdäpfel 344 (...). In der Vorstadt Wieden brieten. war überall das Pflaster aufgerissen und bis an den Wall hin zu Barrikaden verwendet. Dort standen fünf Kanonen, Bürger dabei, welche behaglich ihr Pfeifchen schmauchten und den Mägden, die im langen Zuge wie Ameisen durchs Thor hinausgingen, zusprachen, ja soviel Mehl und Gemüse als immer möglich 345 aufzukaufen. (...). Wo die Quergassen in Hauptplätze einmündeten, bauten Kinder und Mädchen, unbeirrt durch die Gefahr, aus Dünger, Steinblöcken und verschiedenen Hausgeräten Barrikaden, während kräftige Weiber mit Pickeln und Schaufeln das Pflaster aufwühlten, dass von den Granitwürfeln bei jedem Schlage 346 die lichten Funken sprühten. (...)“ 107 „Man rüstete sich überall zum Widerstand; wollte man keine Unannehmlichkeiten dulden, so durfte man gar nicht ohne Gewehr ausgehen. Patrouillen zogen herum, trieben die Männer aus den Häusern, fingen Unbewaffnete auf, und zwangen sie rücksichtslos mit der Muskete an den Wall zu gehen. Es fehlte hier keineswegs an Stoff zu lachen, besonders gaben ihn die Weiber 347 häufig genug.“ Bild: Barrikade vor der Wiener Universität; aus: Rieder, Völker läuten Sturm, a.o.O., S. 110 „(...). Um 11 Uhr begann das Feuer einer Batterie. Bei dieser Kanonade lief ein Mädchen, ohne die Gefahr zu beachten, zur höchsten Stelle des Walles, nahm die dort aufgehängte Wäsche ab und kehrte dann unter allgemeinem Gelächter 348 über Windischgrätz brummend wohlbehalten zurück. (...). Meine Quartierfrau, die um Lebensmittel ausgegangen war, brachte die Nachricht, das Militär stehe bereits in der Vorstadt Landstraße, eben so sei auch die Leopoldstadt von den 349 Mobilen geräumt. (...). Hier war alles zum Widerstand entschlossen, kecke 350 Dirnen traten bewaffnet auf, von Ergebung durfte gar Niemand reden.“ So traten sowohl Bürgerliche als auch Arbeiterinnen für ihre politischen Ideale und Ziele ein, beteiligten sie sich eifrig am Barrikadenbau, rissen Pflastersteine auf, erschienen als Bewaffnete und Kämpferinnen, schrieen Karikaturen aus, und „weil es sonst nichts zu schauen gab, strömte die neugierige Menge dem Leichenhofe zu. (...). Am widerlichsten waren aber hier die Weiber und nicht bloß der untersten Stände: oft mit ihren Kindern auf den Armen drängten sie überall vor und hielten gerade bei Leichen, von deren gräßlicher Verstümmelung selbst 351 der Arzt gern das Auge wandte, wie Aasfliegen ihren lauten Markt. (...). Mehrere Leichen zeigten die Spur schrecklicher Mißhandlung, andere mit blauen aufgedunsenen Gesichtern hatten noch den Strick um den Hals, zwei – Mann und Weib – lagen ganz verkohlt, ein Aschenhäufchen, daneben Kopf und 352 Oberleib.“ 347 zit. ebda, S. 28. zit. ebda, S. 31. 349 zit. ebda, S. 32. 350 zit. ebda, S. 36. 351 zit. ebda, S. 40. 352 zit. ebda, S. 41. 348 108 Mit welcher Brutalität vorgegangen wurde, zeigten Verstümmlungen, Misshandlungen und Gewalttätigkeiten. Auch psychische Gewalt wurde ausgeübt: „Wien hat jetzt eine andere Physionomie. (...). Eine Dame, die ich kenne, läßt ihren Bedienten, wenn er sie begleiten soll, in schlechtem Hauskleide einige Schritte vor sich hergehen, aber nie läßt sie ihn hinter sich hergehen, weil sie 353 sich auf diese Weise am leichtesten einem Insulte aussetzen würde.“ Frauen war diese Brutalität sicher bekannt und trotzdem setzten sie sich mit aller Vehemenz für ihre Ideale ein: „15. März. Es kam die Nachricht, das Militär habe gefeuert. Frauen, Kinder und 354 Greise lagen erstochen und erschossen in den Gassen.“ „Wien hat dem Kaiser vorgestern einen herrlichen Einzug bereitet (...). Alles jubelte (...) nur die akademische Legion gab keinen Laut von sich. Außerdem wurde am Heidenplatz ein Mann und auf dem St. Michaelsplatz eine 355 Weibsperson, welche zu pfeifen begannen, blutig geschlagen.“ „Der Tiroler Bothe bringt: Neuestes aus St. Pölten. Wien ist mit Gewalt vom Militär genommen, die Burg brennt, nebst einem Theil der Bibliothek und 14 Häuser (im Ganzen sind 36 Häuser abgebrannt). Auch die Augustinerkirche, in welcher sich das herrliche Denkmal der Erzherzogin Christina von Canova befindet, soll in Trümmer geschossen – 5000 Proletarier (und Proletarierinnen, 356 r.t.) sollen gefallen seyn.“ Brach die Nacht ein, so wurde vor einem Feuer gesungen, diskutiert, gegessen, getrunken und gefeiert. Männer und Frauen verbrachten gemeinsam die Nacht. Dies war der Moment, die Gerüchte über sexuelle Exzesse entstehen ließen. Es gab keinerlei Quellen über diese Exzesse. Der springende Punkt war aber jener, dass Unterschichtsfrauen zu Huren, sittenlosen Weibern, Dirnen, halbentblößten Frauenzimmern, Gassennymphen abgestempelt wurden. Die Verwirrung vieler Männer war groß: Frauen waren in das männlich definierte Terrain des Kampfes, Krieges, Aufstandes usw. eingetreten. Verständlich deshalb äußerst abwertende Reaktionen: „Ein Korrespondent in der ‚Grätzer Zeitung‘ spricht in Bezug auf den nun beendigten Wiener Aufstand folgende Wünsche aus: (...). Möchte das Volk aus diesem blutigen Drama die Lehre ziehen, dass die Revolution ein Heilmittel ist, welches meist verderblicher wirkt als die Krankheit. (...). In Revolutionen entsteht die Hydra der Selbstsucht und Entartung in ihrer 353 Tiroler Wochenblatt, Nr. 3, 22. Juli 1848, S. 11. K.K. Priv. Bothe, Nr. 23, 20. März 1848, S. 104; vgl. Pichler, Aus den März- und Oktobertagen, a.o.O., S. 6. 355 Tiroler Wochenblatt, Nr. 16, 26. August 1848, S. 51. 356 Innsbrucker Zeitung, Nr. 90, 5. November 1848, S. 432. 354 109 scheußlichsten Gestalt. Der Friedlichste wird zum Mörder, der Freund zum 357 Verräther, das Weib zum ekelhaftesten Wesen, welches die Schöpfung kennt.“ „Viele glauben, jetzt sei alles erlaubt, was früher verboten war. Wie es unter diesen Verhältnissen mit der Sittlichkeit aussieht, läßt sich leicht errathen. Es ist nun fast gar keine Schranke mehr für die Zügellosigkeit und Rohheit der gegenwärtigen Bevölkerung Wiens. Z.B. während der Barrikaden-Tage hat man halbentblößte Frauenzimmer in den Straßen herumziehen sehen, und in jedem inneren Hofraum jener Häuser, bei welchen Barrikaden standen, wurde Stroh gestreut, und auf diese Lagerstätte konnte man Studenten und Arbeiter und Nationalgardisten mit feinen Dirnen, alles durcheinander liegen sehen, ganz ungeniert, bei Tag und bei Nacht. (...). Die vielen Nationalgardisten haben natürlich in jedem Stadtviertel ihre Wachstuben, diese sind nun gewöhnlich die Lokale ihrer Orgien, denn da wird bis in die tiefe Nacht hinein gezecht und gespielt, und dann kommen die Gassen-Nymphen um die saubere Gesellschaft in süße Träume zu lullen! Kurz, es ist genug gesagt, wenn ich dir anführe, dass selbst die gegenwärtige Regierung sich veranlaßt fand, an allen Straßenecken anzuschlagen: dass es nicht erlaubt sei, dass Frauen und Männer zugleich in 358 öffentlichen Bad- und Schwimmanstalten baden und sich entblößen!!!“ 8.6. Die erste öffentliche Rede einer Frau als neues politisches Terrain Als am 26. Mai den Forderungen der Akademischen Legion nachgegeben wurde, verabschiedeten sich 200 Arbeiterinnen von den Studenten. Eine Arbeiterin bestieg die Tribüne und hielt eine kurze Rede. Dies war die erste öffentliche Rede einer 359 Frau. 8.7. Die erste Arbeiterinnendemonstration als neuer politischer Raum Am 18. August wurde den 8.218 Erdarbeiterinnen der Lohn um fünf Kreuzer (von 20 auf 15 kr) gekürzt. Im Vergleich dazu: ein Frühstück kostete 6 kr, ein Mittagessen 16 kr. Am 21. August forderten Tausende von Frauen in der Innenstadt die Zurücknahme dieser Kürzung. Diese Demonstration ging als erste 360 Arbeiterinnendemonstration der österreichischen Monarchie in die Geschichte ein. Auch das Tiroler Wochenblatt berichtete über die erste Arbeiterinnendemonstration in Wien: 357 Innsbrucker Zeitung, Nr. 94, 12. November 1848, S. 452. Tiroler Wochenblatt, Nr. 2, 19. Juli 1848, S. 9. 359 ebda, S. 107. 360 ebda, S. 118. 358 110 „Die Unruhen, die sich nach unseren letzten Mittheilungen in Wien erwarten ließen, sind am 21.d.M. bereits zum Ausbruch gekommen. Die vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten an diesem Tage verfügte Herabsetzung des Tagelohnes für öffentliche Arbeiten von 20 kr auf 15 kr gab dazu den Vorwand. Ein großer Theil der Arbeiterbevölkerung ergriff für die dabei zunächst betheiligten Arbeiterinnen Partei, und ihre Reklamationen nahmen schnell den Charakter des 361 offenen Ausbruchs.“ Diese Demonstration hatte ein neues Klassenbewusstsein aufgebracht. Viele Arbeiter solidarisierten sich mit den Arbeiterinnen. Dieses gesteigerte Zusammengehörigkeitsgefühl von ArbeiterInnen waren die Anfänge der österreichischen ArbeiterInnenbewegung: „Die Stadt ist heute am 21. August in großer Bewegung. Generalmarsch wird in allen Straßen der Stadt und in den Vorstädten geschlagen. Zunächst wurde die Bewegung durch die Arbeiter hervorgebracht. Das Ministerium der öffentlichen Arbeiten hat den Arbeitern 5 Kreuzer vom Tagelohne abgezogen. Die Arbeiter stellten folglich die Arbeit ein, und zogen in Masse auf die Universität. Die Studenten meinten, sie könnten nichts für sie tun, sie möchten ihre Beschwerde bei dem Gemeinde Ausschusse vorbringen. Im Laufe des Tages wuchsen die Arbeitermassen. Die Universität ist von zahlreichen Massen Volks umlagert. Die akademische Legion soll gegen die Arbeiter einschreiten. Ein MunIizipialgarde und ein Arbeiter wurden verletzt. Eine Arbeiterin entriss dem sie drängenden 362 Munizipialgarden den Säbel und brachte ihn auf die Universität.“ Zwei Tage später kam es zu heftigen Ausschreitungen zwischen ArbeiterInnen und der Nationalgarde. Bild: Der Volksauflauf im Wiener Prater am 23. August 1848 wurde brutal unterdrückt; aus: Rieder, Völker läuten Sturm, a.o.O., S. 119. 361 362 Tiroler Wochenblatt, Nr. 17, 30. August 1848, S. 53. Innsbrucker Zeitung, Nr. 50, 27. August 1848, S. 220. 111 In der so genannten „Praterschlacht“ gingen die Nationalgarden und Sicherheitswachen mit großer Brutalität gegen den Demonstrationszug von einigen tausend ArbeiterInnen vor: Zehn Frauen wurden schwer verwundet: „23. August. Nachdem die Arbeiter gestern sich ruhig verhalten, und die meisten wieder ihre Arbeiten ergriffen hatten, fand heute wieder eine Bewegung statt, die bereits einige Kämpfe und Unglücksfälle veranlaßt hat. Über den Kampf vernehmen wir, dass bis 10 Uhr abends 6 Tote und 61 Verwundete (10 Weiber) 363 Arbeiter eingebracht wurden.“ Die gemeinsame Verteidigung der Märzerrungenschaften, für die viele BürgerInnen mit ArbeiterInnen gemeinsam gekämpft hatten, war nun durch diese Ausschreitungen getrübt. 8.8. Der Demokratische Frauenverein als neues Wirkungsfeld Sieben Tage nach der brutalen Unterdrückung des Streiks und der Arbeiterinnendemonstration wurde am 28. August der erste demokratische Frauenverein gegründet. Die verschiedenen Regierungsformen unternahmen nichts, um die Frauen am politischen Geschehen einzubinden. Auch die neugegründeten Clubs waren Männersache. Gegen diesen Ausschluss konnten nur Frauen selber Maßnahmen setzen. In diesem Sinn ist die Gründung des ersten demokratischen 364 Frauenvereins zu verstehen; der Beginn der Frauenbewegung in Österreich. In Folge der Märzereignisse hatten sich eine Reihe von Fahnenstickvereinen und karitativen Unterstützungsvereinen etabliert. Diese galten aber nicht als politische Vereine im engeren Sinn. Doch der „Demokratische Frauenverein“ richtete sich in den Statuten dezidiert an politische Themen und Forderun- Bild: Politischer Damenclubb, Druckgraphik der Revolution 1848/49, Reiss-Museum Mannheim; aus: Klaus Bergmann (Hg.), gen. Geschichtsdidaktik. Frau in der Geschichte II. Probleme, Projekte, Perspektiven, Düsseldorf 1979, S. 72. 363 364 ebda, S. 222. vgl. Hauch, Blumenkranz, a.o.O., S. 130. 112 Aktiv beteiligt waren namentlich Strunz Katharina. Sie gehörte einst jener Delegation von sieben Frauen an, die den kaiserlichen Hof zur Rückkehr nach Wien baten. Auch eine Frau Wertheimstein und die Präsidentin Karoline Perin wurden namentlich 365 erwähnt. Diese Vereinskonstituierung löste überall große Empörung aus. Es kam zu heftigen Reaktionen vieler Männer. Bissige Satiren und Spottgedichte entstanden. Die Tiroler Medien erwähnten die Gründung des „Demokratischen Frauenvereines“ nicht. Dass dieser und Karoline Perin aber trotzdem für Gesprächsstoff in Tirol gesorgt hatten, zeigte folgendes prägnantes Zitat: „Wien, den 4. Nov. Die berüchtigte Perin sammt ihren achtjährigen Buben ist 366 verhaftet. Letzterer trug auch schon einen Säbel.“ Der Autor hätte die „berüchtigte Perin“ auf jeden Fall näher beschrieben, wenn sie in Tirol nicht bekannt gewesen wäre. Niemand hätte mit dieser äußerst kurzen Notiz gewusst, um wen es sich da handelte. Er gab außerdem mit dieser Beschreibung seine Verachtung und Ablehnung gegenüber dieser Frau feil. Demonstrationen, Streiks, Barrikaden, öffentliche Reden und Vereinsgründungen bildeten neue Räume für Frauen. Sie galten als politische Protestaktionen gegenüber staatlichen Obrigkeiten. Die Partizipation war aber nicht schicht-spezifisch. Ausschließlich Unterschichtsleute engagierten sich in neuen Formen des politischen Protestes: 8.9. Plünderung ein Zeichen politischen Protestes der Unterschichten Durch die zunehmende Mechanisierung drohte den ArbeiterInnen der Verlust ihrer Arbeit. Sie sahen ihre Existenz gefährdet. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit machten sich viele soziale Proteste von Unterschichten breit. Es folgten in den europäischen Städten Maschinenstürmereien und Plünderungen. Sie zertrümmerten Dampfmaschinen und Webstühle in der Hoffnung, ihre Arbeitsplätze sichern zu können. 365 366 vgl. Hummel-Haasis (Hg.), Schwestern zerreißt eure Ketten, a.o.O., S. 240. Innsbrucker Zeitung, Nr. 96, 15. November 1848, S. 463. 113 Bild: Zerstörung einer Textilfabrik in Wien; aus: Rieder, Völker läuten Sturm, a.o.O., S. 74. Auch Adolf Pichler beobachtete Frauen bei Plünderungen: „(...). Später machte er die Tür auf und es flatterten Hennen heraus, die die 367 Frauen fingen und mit nach Hause nahmen.“ Maschinenstürmereien bzw. Plünderungen wurden zu Orten politischen Protestes für Unterschichten. Durch diese Aktionen äußerten sie ihren Unmut gegenüber sozial höhere Schichten. Sie versuchten aber auch, auf ihre missliche Situationen öffentlich aufmerksam zu machen. Bild: Erstürmung des bürgerlichen Zeughauses in Wien durch das Proletariat am 14. März; aus: Reschauer, Das Jahr 1848, a.o.O.; in: http://www. aeiou.at/aeiou.history.docs.20740.htm 367 zit. nach Pichler, Märztage, a.o.O, S. 9. 114 Bild: Plünderung eines Bäckerladens im Jänner 1848; aus: Reschauer, Das Jahr 1848; in: http://www.aeiou.at/aeiou. history.docs/20702.htm 8.10. Katzenmusik als Zeichen des politischen Protestes für Unterschichten „Zusammenstoß in Prag. Blutige Ereignisse. Man hatte dem F.M.L. Windischgrätz in der Folge der von ihm erteilten abschlägigen Antwort eine Katzenmusik gebracht. Nachdem die von der Seite des anwerfenden Militärs ergangene Aufforderung zur Ruhe nicht beachtet, und im Gewirre aus einem Fenster des Gasthofes zum Engel die Gemahlin des F.M.L., welche eben aus dem Fenster herabsah, erschossen worden war, trat F.M.L. Windischgrätz selbst unter die Menge (d.h. Männer und Frauen, R.T.) herab. Die Fürstin Windischgrätz, die ein so beklagenswertes Ende gefunden, ist eine Tochter des Feldmarschalles Fürsten Schwarzenberg, deren Mutter in Paris im brennenden Festsalon bei der Vermählungsfeier Napoleons umkam, als sie, dieses ihr jetzt ermordetes Kind zu retten, sich in die Flammen stürzte. Der Mörder der unglücklichen Fürstin ist entdeckt. Es ist ein verabschiedeter Jäger des 368 Fürsten.“ Auch Katzenmusiken waren politische Protestakte, um soziale Missstände kundzutun. 369 Katzenmusiken fanden sich ausschließlich in den Unterschichten. In den meisten Fällen entwickelte sich die Bereitschaft zum Protest aus dem Gerede im Viertel, aus Gerüchten und Wirtshausgesprächen. 370 Frauen engagierten sich bei Katzenmusiken besonders: Einerseits identifizierten sie sich mit den Idealen der 368 Innsbrucker Zeitung, Nr. 11, 20. Juni 1848, S. 47. vgl. Carola Lipp, Katzenmusiken, Krawalle und „Weiberrevolution". Frauen im politischen Protest der Revolutionsjahre; in: Lipp, Schimpfende Weiber, a.o.O, S. 112. 370 ebda, S. 114. 369 115 Revolution. Andererseits galten Katzenmusiken oft als einzige Form des politischen Protestes für Unterschichtsfrauen. Für die AdressatInnen war es besonders schmähend, wenn Frauen Missstände in der Öffentlichkeit anprangerten. Aus diesem Grund kleideten sich oft auch Männer mit Frauenkleidern. Man wollte dadurch verdeutlichen, dass die soziale Ordnung gestört war: Frauen, die in der politischen 371 Welt der Männer nichts zu sagen hatten, nahmen sich öffentliche Kritik heraus. 8.11. Karikaturen als neuer politischer Wirkungsbereich Ein weiteres Wirkungsfeld des politischen Engagements von Frauen öffnete sich in der Verteilung von Karikaturen und Zeitschriften. Auch dies wies auf ihre politische Sensibilisierung hin. Da sich wenige Zeitungen für die Interessen der ArbeiterInnen einsetzten, waren Karikaturen und eigene Zeitschriften geeignete Mittel ihren politischen Protest kundzutun. Als es im Oktober zu neuerlichen Aufständen in Wien kam, hielt Adolf Pichler fest: „Der Stephansdom mit seinen Steinblumen stand ernst und düster in der Dämmerung, auf dem weiten Platze wogten summend Menschen hin und her: Buben und Mädchen schrien mit widerlich gellender Stimme Karikaturen und 372 Tagblätter aus.“ Bild: Die ersten unzensierten Pressezeugnisse im März 1848; Aquarell von J.N. Höfel, Hist. Museum der Stadt Wien. 371 372 ebda, S. 116. zit. nach Pichler, Märztage, a.o.O., S. 21. 116 8.12. Arbeiterinnen in Tirol Wie sah es mit einem industriellen Proletariat in Tirol aus, welches in den Städten Paris, Wien die Initialzündungen zu den Revolutionen gab? In Tirol gab es einen bescheiden kleinen Anteil von Arbeiterinnen, die Mehrheit der Bevölkerung war im Landwirtschaftssektor beschäftigt: 373 Die Bedingungen eines kollektiven Bewusstseins der ArbeiterInnenklasse waren in Tirol um diese Zeit noch nicht günstig. Die Polizeibehörden hatten jedes Anzeichen einer ArbeiterInnenbewegung aufs Schärfste unterdrückt. 374 Handwerksgesellen, die mit revolutionären und kommunistischen Ideen in Kontakt kamen, wurden bespitzelt und überwacht. Der Polizeiminister Metternichs, Josef Graf Sedlnitzky, ermahnte auch die Tiroler Landesbehörde zu vermehrter Aufmerksamkeit. 1843 vermerkte der Landeshauptmann von Tirol, Clemens Graf Brandis, in Tirol und Vorarlberg existierten bereits Spuren kommunistischer Vereine. 375 Diese ersten Vorboten einer ArbeiterInnenbewegung durften aber keinesfalls Fuß fassen. Unmittelbar vor der Märzrevolution wurde die Innsbrucker Polizeidirektion durch ein kaiserliches Schreiben aufgefordert, allen kommunistischen Tendenzen entgegenzutreten. 376 Doch obwohl erst 1875 ein erster „Allgemeiner Arbeiter-Verein“ gegründet wurde, entwickelte sich ein politisches Bewusstsein einiger TirolerInnen gerade im Jahr 1848. 377 Hohe Arbeitslosigkeit durch die zunehmende Mechanisierung bzw. niedrige Löhne sorgten auch in Tirol für soziale Spannungen. So hielt der spätere Fürstbischof Vinzenz Gasser am 17. April 1848 in den Katholischen Blättern fest: 373 vgl. Dietrich, Die soziale Frage der Arbeiterfamilie, a.o.O., S. 69: Die Gründe hierfür liefert uns hauptsächlich die langsame Entwicklung der Industrialisierung in Tirol: Die gebirgige Landschaft Tirols erwies sich für die große Industrien ungünstig. Es war aber wegen seiner strategisch wichtigen Durchzugslage durch Handel und Verkehr geprägt. Die Hauptstädte in den Provinzen waren nach heutigen Maßstäben Kleinstädte. Weitere Gründe waren: die ungünstige Tiroler Wirtschaftsstruktur, der Mangel an Kapital für Investitionen und Rohstoffen, der fehlende Ausbau an Verkehrsverbindungen und -wegen, die überwiegend bäuerlich geprägte Gesellschaft, das Fehlen bedeutender Zentren, ein schlecht ausgereiftes Spar- und Bankwesen, die unterschiedliche Gewerbe- und Industriestruktur, die bis ins 20. Jahrhundert hauptsächlich aus Kleinbetrieben bestand, die strenge ultramontane Zensur. 374 vgl. Gerhard Oberkofler, Die Tiroler Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis zum Ende des 2. Weltkrieges, Wien 1986, S. 5. 375 ebda, S. 7. 376 ebda, S. 9. 377 ebda, S. 4. 117 „Endlich droht auch noch ein dritter Kampf: es ist der Kampf der Proletarier. Welches ist das natürlichste Verhältnis zwischen Arbeit und Verdienst? Das ist das größte Rechenexempel, welches die neue Staatswirtschaft lösen muss, wenn man die arbeitende Classe abhalten will, dass sie nicht mit groben Fäusten 378 die Ansätze auslöscht und an Leib und Gut des Nächsten sich endlos halte.“ Dieses Zitat gab einen wesentlichen Hinweis über das Vorhandensein marxistischer Strömungen in Tirol. Befürchtungen vor Unruhen und soziale Spannungen aufgrund der niedrigen Löhne und Ausbeutung waren latent da. Auch um der zunehmenden Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, plante man die Entlassung nicht-katholischer ArbeiterInnen: „Die Vorsicht gegen die fatale Proselytenmacherei der Deutschen, nämlich der Protestanten, erstreckte sich überhaupt so weit, dass man ein paar ältlichen Fräulein aus Magdeburg nicht einmal gestattete eine alte Schloßruine anzukaufen, und die akatholischen Arbeiter zur Hebung tirolerischer Industrie aus 379 den Fabriken nach und nach ganz entfernen wollte.“ In Tirol war aber von einer fortschreitenden Industrialisierung nur punktuell etwas zu bemerken. Es gab Ansätze einer Textilindustrie (insbesondere Schafwoll-, Seidenund Baumwollspinnereien und Webereien) sowie die alte Tradition des Bergbaus. 380 Im heutigen Südtirol war der größte Teil der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Großgewerbliche bzw. manufakturartige Produktion war noch selten. Für Nordtirol, Trentino und Vorarlberg ließen sich folgende Fabriken eruieren, bei denen Frauen beschäftigt waren: • die Messingfabrik in Achenrain mit 112 ArbeiterInnen, • die Drahtfabrik in Schwaz mit 300 ArbeiterInnen, • die Beinknopffabrik in Absam mit 70 ArbeiterInnen, • die Baumwoll- und Seidenzeugfabrik in Landeck (140 Weber und 300 Handspinnerinnen), • sowie jene Baumwollfabrik des Josef Strele mit 400 ArbeiterInnen, • mechanische Baumwoll-, Spinn- und Webefabriken in Nenzing, Bludenz, Dornbirn, Götzis, Lauterach, Bregenz, Feldkirch, Frastanz mit insgesamt 2188 beschäftigten Frauen und Männern, 378 zit. ebda, S. 12. zit. nach Streiter, Revolution in Tirol 1848, a.o.O., S. 64f. 380 vgl. Dietrich, Soziale Frage, a.o.O., S. 66. 379 118 • die Tücher- und Garn-Rothfärberei, Druckerei und Bleiche in Bregenz (931 ArbeiterInnen, ZeichnerInnen, KoloristenInnen und ModelstecherInnen), • die Türkischrothfärberei in Frastanz (160 ArbeiterInnen), • die Seidenindustrie ArbeiterInnen), • Lederfabriken in Trient und Rovereto (130 ArbeiterInnen), • Salzgruben in Hall mit 94 ArbeiterInnen. mit Ziehereien und Spinnereien in Rovereto (500 381 Bild: Frauenarbeit in einer Textilfabrik um 1840; aus: Bergmann, Geschichtsdidaktik, a.o.O., S. 63. Leider ließ sich in anderen Großbetrieben nicht herausfinden, ob und wie viele Frauen dort arbeiteten. Die Erwerbsarbeit vieler Unterschichtsfrauen verlagerte sich im 19. Jahrhundert von der Heim- (Verlagssystem) zur Fabrikarbeit, v. a. in Innsbruck, Telfs, Bozen und anderen Orten. Diese Verlagerung implizierte einen Ausbruch aus dem häuslichen Bereich, denn auf den Verdienst von der Frau konnte kaum eine Unterschichtsfamilie verzichten. Lediglich bürgerliche und adlige Frauen konnten es sich leisten, auf eine Erwerbsarbeit zu verzichten. Anders jedoch Unterschichtsfrauen, die unter schlechtesten Bedingungen am Arbeitsplatz ums nackte Überleben kämpften. In der Textilindustrie, z.B. Baumwoll-, Seiden- und Wollspinnereien waren mehr als die Hälfte der Beschäftigten Frauen. Durch mechanische Webstühle verloren viele Frauen ihren existentiellen Verdienst. 381 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 355-366. 119 Überall im Lande sorgte dies für große Ärgernisse. Obwohl es in Tirol keine Revolutionen gab, fanden sich einige Hinweise für soziale Proteste der Arbeiterinnen in Tirol: „Unmut über den Ruin der kleinen Gewerbe, denen durch die Gewerbefreiheit und das Maschinenwesen der Todesstoß versetzt wurde. Wer bedauert nicht die vielen Leute, insbes. die betagten Witwen u.a. Frauenpersonen, welche vor dem durch Handarbeit, namentlich durch Spinnen und Stricken den Unterhalt sich erwerben, jetzt aber durch die Maschinen um ihren kargen Verdienst gebracht 382 werden!“ Alleinstehende Frauen der Unterschicht, Ledige oder Witwen, hatten es schwer, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die Frauenlöhne waren so niedrig, dass ein selbständiges Leben nur unter Entbehrungen möglich war. Frauen verdienten deutlich weniger als Männer, und die Preise waren stark gestiegen. Carola Lipp schrieb: „Bei einer Arbeitszeit von 12-14 Stunden betrug zum Beispiel der Frauenlohn in einer Heilbronner Baumwollspinnerei 1848/49 16-20kr am Tag, während ein 383 (...) „Als Fabriksarbeiter hatte der Vater Mann immerhin 20-40kr verdiente." einen Taglohn von 30kr, der älteste Sohn verdiente 36kr, die Tochter 18kr und die Ehefrau, die noch vier Kinder zu versorgen hatte, brachte immerhin noch 384 einen Lohn von 15kr nach Hause." (Genau diese Problematik der unterschiedlichen Entlohnung für gleiche Arbeit ist leider auch 150 Jahre später immer noch brandaktuell und permanenter Diskussionspunkt.) Die Existenzbedingungen von Unterschichten waren miserabel. Es gab noch keine Krankenkassen, keine Arbeitslosen-, Unfall- und Sozialversicherung. Nur einzelne Unternehmer kümmerten sich um die soziale Misere ihrer ArbeiterInnen. So bot der Roveretaner Seidenfabrikant Stofella 300-350 Mädchen Unterkunft und Verpflegung und sorgte für eine entsprechende Ausbildung. Eine Baumwollfabrik in Bozen gründete für ihre ArbeiterInnen eine eigene Krankenkasse. 382 385 Volksblatt, Nr. 9, 23. August 1848, S. 69. zit. nach Lipp, „Fleißige Weibsleut", a.o.O., S. 30; vgl. auch Fontana, Geschichte des Landes Tirol, a.o.O., S. 657. 384 zit. Lipp, S. 32. 385 vgl. Fontana, Geschichte des Landes Tirol, a.o.O., S. 657. 383 120 Nach Staffler gab es in Tirol viele arme Leute. Die Zahl der Armen, die eine öffentliche Unterstützung erhielten, wurde 1836 mit 33.469 bemessen. Im Gerichtsbezirk Schwaz war jedeR 9. EinwohnerIn arm. Die Stadt Innsbruck hatte ebenfalls viele arme Leute zu beklagen (jedeR 11.). 386 Staffler begründete dies – ebenso wie die Politiker und Medien – durch „die in der neueren Zeit so sehr gesteigerten Lebensbedürfnisse auch der gemeinen Volksklasse, und eine theilweise, tief gewurzelte, sittliche Entartung als sichtbar mitwirkende Ursachen an der Verarmung vieler Familien nicht 387 verkennen." Deutlich sichtbar wurde die zunehmende Armut auch im Bregenzer Wochenblatt, wo pro Ausgabe etliche Versteigerungen zu verzeichnen waren. Folgendes Zitat steht deshalb exemplarisch für viele hundert andere: „Versteigerungs-Edikt. Auf Anlangen der Anna Maria Haltmeyer verehelichten Feßler zu Oberhochsteg wird das Anwesen der Eheleute Johann Lanz und Kreszenzia geb. Kienbach zu Stören, (...) im Exekutions-Wege öffentlich 388 versteigert werden.“ In Tirol wie in Wien gab es für kranke und beschäftigungslose ArbeiterInnen Unterstützungen von öffentlicher Hand: „Der Gemeinderat hat in der gestrigen Abendsitzung beschlossen, den Witwen der im Dienste der Stadt Wien mittellosen Gefallenen eine jährliche Pension von 200 fl. K.M., zu geben. Auch werden die mittellosen Eltern gefallener Legionen, 389 die von diesen erhalten wurden, unterstützt.“ „Wien, 6. Nov. Um den vielen bedrängten, durch die gegenwärtigen Verhältnisse in Nothstand versetzten Mitbürgern nach Möglichkeit eine Unterstützung angedeihen zu lassen, hat der Gemeinderath beschlossen, allen hieher zuständigen Individuen beiderlei Geschlechts, welche dermalen mittel- und arbeitslos sind, Arbeit anzuweisen, und in so ferne diese von der hierzu bereits beauftragten Kommission nicht sogleich genügend ausgemittelt werden könnte, vom 2. d. M. angefangen bis 16. d. M. einschließlich, und zwar: Den männlichen Individuen täglich 15 kr K.M, den weiblichen, welche Kinder haben, gleichfalls 15 390 kr K.M und allen übrigen täglich 10 kr K.M auszubezahlen.“ 386 vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 492. zit. ebda, S. 494. 388 Bregenzer Wochenblatt, Nr. 9, 3. März 1848, S. 38. 389 Innsbrucker Zeitung, Nr. 78, 15. Oktober 1848, S. 366. 387 121 9. Bäuerinnen und Landarbeiterinnen 9.1. Bäuerinnen und Landarbeiterinnen in Tirol B auern in Tirol und Vorarlberg (Proz ente) 40 30 20 14 21 17 12 10 10 Pus tertal An der Ets ch 10 16 0 Vorarlberg Oberinntal U nterinntal Trient R overeto Tirol hatte die höchste Agrarquote in der Donaumonarchie. Der landwirtschaftliche Bereich 391 stellte um die Jahrhundertmitte mit 78% der Bevölkerung eine entscheidende Lebensgrundlage dar. 392 Doch die wenigsten waren Bauern und Bäuerinnen. Der landwirtschaftliche Bereich umfasste v. a. auch LandarbeiterInnen, TagelöhnerInnen, DienstbotInnen, Gesinde, Mägde und Knechte. Landwirtschaftliche Strukturunterschiede gab es zwischen dem Osten Tirols mit dem Anerbenrecht und dem Westen und Süden mit Realteilung und Besitzsplitterung. 393 In der bäuerlichen Hausgemeinschaft lebten der Bauer und die Bäuerin mit Kindern, Verwandte, DienstbotInnen und TagelöhnerInnen nach einer streng gegliederten Hierarchie und Arbeitsteilung. Frauen (Bäuerinnen und Angestellte) hatten einen Arbeitsbereich mit „typisch“ weiblichen Dienstleistungen inne. 394 Die Arbeitsteilung erfolgte aber nicht nur zwischen Bauer und Bäuerin, sondern auch zwischen den männlichen und weiblichen Dienstboten und Tagelöhnern. Den Männern waren jene Arbeiten zugeordnet, die – vereinfachend gesagt – mit Acker, Wiese, Wald und Zugtiere zusammenhingen. Die Bäuerin war neben den Haushaltsarbeiten für die 390 Innsbrucker Zeitung, Nr. 94, 12. November 1848, S. 451. vgl. Staffler, Tirol und Vorarlberg, a.o.O., S. 133f. 392 vgl. Elisabeth Dietrich, Die Bevölkerungsentwicklung Tirols im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert; in: Chronik der Tiroler Wirtschaft mit Sonderteil Südtirol, Wien 1992, S. 129. 393 vgl. Mantl, Heirat, a.o.O., S. 20. 394 vgl. Sieder, Sozialgeschichte, a.o.O., S. 15. 391 122 Kühe, das Jungvieh, das Federvieh und die Schweine, für die Milchwirtschaft und den Garten, für Mohn, Hackfrüchte und Flachs zuständig. Weiters backte sie Brot, verarbeitete Milch zu Butter und Käse, konservierte das Fleisch, Obst und Kraut. Sieder hat die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in fünf 395 Kernaussagen 396 zusammengefasst: • War ein Arbeitsbereich von ökonomischem Interesse (z.B. Viehhandel und verkauf) und wurde er außerhalb des Hofes abgewickelt, so war dies ein Bereich der Männer. Je mehr eine Tätigkeit mit der Hausarbeit zusammenhing, desto mehr übten Frauen diese Arbeit aus. • Je eher eine Arbeit mit landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen verbunden war, desto eher übernahmen Männer diese Handhabung. • Je mehr Kraftaufwand man für eine Arbeit benötigte, desto größer war der Anteil der männlichen Arbeitskräfte. • Je feiner und monotoner eine Arbeit war, desto wahrscheinlicher wurde sie von Frauen übernommen. • Je größer der Bauernhof war, desto differenzierter war die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Der Agrarsektor deckte mehr als ¾ der Bevölkerung ab. Frauen spielten in ihm immer wieder eine zentrale Rolle. Doch in den Medien wurden sie kaum erwähnt. In der Geschichte der Tiroler Erbhöfe führte des Öfteren die Bäuerin den Hof: wenn etwa der Bauer starb und ihre Kinder noch minderjährig waren 397 oder wenn Männer durch Kriege oder Nebenerwerbsarbeiten abwesend waren. Den Bäuerinnen wurde die Verantwortung zur Führung des Hofes zugesprochen. 398 Oft sorgten sie sich um einen Zusatzverdienst: „Einige treiben Bilderhandel, andere nähren sich von Schnitzwaaren aus Zirbelbaumholz, während ihre Weiber geklöppelte Spitzen im Lande feilbieten, 399 andere flechten Strohhüte.“ 395 ebda, S. 29. ebda, S. 31. 397 ebda, S. 80. 398 ebda, S. 82; vgl. auch Lipp, Fleißige Weibsleut, a.o.O., S. 25. 399 zit. Edmund von Ambach, Tirol, und seiner Braven Liebe zum Kaiserhaus in den Tagen der Gefahr; Augsburg 1850, S. 12. 396 123 Mit der fortschreitenden Mechanisierung im 19. Jahrhundert verlor die protoindustrielle Erwerbstätigkeit (z.B. Verlagswesen) an Bedeutung und raubte der kleinbäuerlichen Unterschicht die wichtigste Existenzgrundlage. Probleme wie Überschuldung der Höfe, ein veraltetes Grundbuchwesen, mangelnde Produktivität und Absatzkrisen landwirtschaftlicher Produkte, ausländische Konkurrenz usw. 400 prägten das Bild der Tiroler Bauernfamilien. Ein Ausweg boten somit oft nur die Saisonarbeiten als Zuverdienstmöglichkeiten. Bild: „Kindermarkt“ in Schwaben, aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 47. Auch Kinder gingen oft einer Erwerbsarbeit nach (z.B. die „Schwabenkinder“. stieg in Notzeiten Jahrhunderts stark Die Zahl des 19. an). Ihr zusätzlicher Verdienst war für die Eltern oft von großer Hilfe: „(...). Eine wunderliebliche Jungfrau (...) war bemüht, mit dem Schnitzzeug aus einem Stück Zirbelbaumholz einen Pfeifenkopf zu formen. (...). (Er hatte) nun Gelegenheit, sie und ihre Arbeit zu beobachten, was ihm um so interessanter war, weil er noch nie dergleichen Schnitzarbeiten fertigen sah, und überhaupt 401 diese Kunst im Passeyrthale von keinem einzigen geübt wurde.“ „(...). Die Jungfrau entgegnete, dass sie sich allerdings schon ein hübsches Sümmchen Geld verdient habe. (...). Das Schnitzen sei ihr einziger Verdienst gewesen, der 402 sie und ihren Vater reichlich ernährt (...).“ Kinder wurden als Hirten nach Deutschland (die sog. „Schwabenkinder“) geschickt, Mädchen ab dem 12. Lebensjahr arbeiteten als Dienstmädchen und Mägde, ledige Männer arbeiteten als Holzfäller, Maurer, Handwerker, Knechte oder Zimmerleute in 400 vgl. Elisabeth Dietrich/Wolfgang Meixner, Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert; in: Chronik der Tiroler Wirtschaft, a.o.O., S. 121f. 401 zit. ebda, S. 34. 402 zit. ebda, S. 35. 124 Süddeutschland und in der Schweiz. 403 Nach Schätzungen Stafflers gingen 1837 rund 33.000 TirolerInnen und VorarlbergerInnen einer Saisonarbeit im Ausland nach. 404 Da Saisonarbeit mit dem Ledigenstatus verbunden war, ging die Zahl der geschlossenen Ehen im 19. Jahrhundert zurück. Die Bauern und Bäuerinnen bewirtschafteten gemeinsam mit Mägden und Knechten, denen kostenlose Verpflegung und Unterkunft am Bauernhof gewährt wurde, die Felder und Almen und betrieben gleichzeitig auch Viehzucht. „So wechseln denn schroffe Felsenmassen mit blühend duftenden Alpenthälern, welche zahlreiche Herden, nur von einsamen Hirten oder Hirtinnen bewacht, 405 beleben.“ „Trotz der strengen Mahnungen von der Kanzel und der noch strengeren Arbeit ist der Zudrang zur Alpe ein sehr namhafter. Jene besteht nämlich der Hauptsache nach dem Abmähen der Wiesen, weshalb es hier nicht Sennerinnen 406 und Almerinnen, sondern nur Mahder und Rechnerinnen gibt.“ Hauptanbauprodukte waren: Kartoffeln, Roggen, Mais, Weizen, Gerste, Hafer und Buchweizen. Nach 1800 stieg der Ertrag der landwirtschaftlichen Produkte. Gründe waren: eine effizientere Düngung, Verbesserungen der Geräte, Einführung von Nutzpflanzen, Vermischung und Bearbeitung des Bodens, Aufteilung und Beurbarung der gemeinen Hutweiden, Aufhebung der gemeinsamen Weide auf den Feldern, Gewinnung neuen Ackerlandes durch Regulierung der Flüsse und 407 Austrocknung der Möser. Der Vingschau wurde die Kornkammer Tirols genannt. Bauern und Bäuerinnen über 1000 Meter Meereshöhe mussten öfters das Korn kaufen. Einen Hauptertrag lieferte die Viehzucht (Pferde, Maulesel, Esel, Stiere, Ochsen, Kühe, Kälber, Schafe, Ziegen, Schweine). Wein wurde im Eisacktal bei Brixen und im Vinschgau angebaut. Ebenso gedieh Obst (Äpfel, Birnen, Pfirsich, Aprikosen, Feigen, Mandeln, Vogelkirsche und Quitten) nur südlich des Brenners. Im südlichsten Teil des Landes wurden Zitronen-, Orangen- und Ölbäume angebaut. Für den eigenen Bedarf gab es Kastanien, Nüsse, Pflaumen, Zwetschgen, Kirschen. Zur 403 vgl. Mantl, Heirat als Privileg, a.o.O., S. 32. vgl. Elisabeth Dietrich, Überblick der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols zwischen 1850 und 1900; in: Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde 56, Innsbruck 1992, S. 65. 405 zit. nach Ambach, Tirol, und seiner Braven, a.o.O., S. 11. 406 zit. nach Josef Streiter, Blätter aus Tirol, Wien 1868, S. 157. 407 vgl. Mittermaier, Wirtschaftspolitik, a.o.O., S. 26. 404 125 Landwirtschaft zählte auch der Flachs- und Hanfanbau, der nördlich des Brenners die größten Erträge aufweisen konnte. Tabak durfte nur im Kreis Rovereto kultiviert werden (jährlich 4.044.000 Pflanzen). Auch der Maulbeerbaum brachte beachtliche 408 Erträge. Im Jahre 1815 wurde die Kornausfuhr verboten, 1817 die Ausfuhr von Kartoffeln und Hülsenfrüchten aufgrund einer bedrohlichen Hungersnot in Tirol und Vorarlberg, von der sich das Land lange nicht erholte. 1848 folgte erneut eine Hungersnot in Tirol. Auf den Märkten wurden die Lebensmittel zu Wucherpreisen angeboten, die sich die arme Bevölkerung nicht leisten konnte: „Innsbruck. Heute sollen auf dem hiesigen Markte Zankereien ergeben haben, weil die Händlerinnen und sogenannte Vorkäuferinnen in aller Frühe die Kartoffeln aufkauften, um sie zu teuren Preisen wieder zu verkaufen. Wir erlauben zu fragen: Gibt es einen Marktkommissar, eine Marktpolizei? In wessen 409 Pflicht liegt diese Polizeiaufsicht?“ Es wurde für den Verkauf dieser Waren, v. a. auf den Märkten, eine strenge polizeiliche Aufsicht gefordert. Auf den Märkten wurden „zwey redliche Bürger" 410 zur 411 Kontrolle der Kornpreise beauftragt. (Bauern)Märkte waren neben dem Kirchenbesuch oft die einzige Möglichkeit für Bäuerinnen, den Hof zu verlassen und waren eine willkommene Abwechslung im bäuerlichen Leben: Bauernmärkte, eine willkommene Abwechslung; Aquarell von Jakob Placidus Altmutter, 1819; aus Fontana, Restauration, a.o.O., S. 640. 408 ebda, S. 29. Innsbrucker Zeitung, Nr. 38, 6. August 1848, S. 167. 410 vgl. Mittermeier, Wirtschaftspolitik, a.o.O., S. 143. 409 126 Im Oktober des Jahres 1848 ging z.B. ein Antrag ein, die Verzehrungssteuer auf Brot, Kartoffeln und Mehl aufzuheben, denn Brot war in Innsbruck teurer als in Wien. Der Grund hierfür waren die Transportkosten des Getreides. In Tirol kam Getreide zweimal pro Jahr mit dem Schiff nach Hall (Mitte Oktober bis Ende November und Mai bis Juni). Für die Armen rechnete man den Bedarf bis zur nächsten Ladung aus, denn in den Zeiten dazwischen stiegen die Preise sehr stark an. Ein Komitee kaufte Roggen, Mais, Türken und Gerste an. In den 1840er Jahren stieg – neben Kohl und Rüben – der Kartoffelverbrauch in Wien. Die durchschnittliche Konsumption pro Kopf und Jahr wuchs in der Zeit von 1830 bis 1850 von 47 auf 60 Kilogramm, was deutlich 412 die Verarmung eines Großteils der Bevölkerung zeigt. 9.2. Die Schützenweiber In der Schützenzeitung wurde eine Erzählung über „Die Schützenweiber“ veröffentlicht (vom 6. Jänner bis 23. Oktober 1848). Diese sollte sich anscheinend wirklich zugetragen haben, wurde aber nur mündlich tradiert, bis sie der Lehrer G. aufschrieb: Das historische Kolorit dieser Geschichte vermittelte wichtige Eindrücke über die Einstellung der Frauen und Männer. Sie zeigte Frauenstereotypen und sehr relevante Aspekte des Alltagslebens auf. Wie subtil in dieser Geschichte am Frauenbild herumgeschneidert wurde, das kann jedeR in dieser Geschichte lesen. Sie berichtete aber auch über das ländliche Leben, über Formen der Mischökonomien (Bauerntum und Handwerk), über die Einstellung der Frauen zum Schützentum, über die Doppel- und Mehrfachbelastungen von Frauen. Und vor allem über die Rebellion der Dorfbewohnerinnen gegenüber ihren Männern. Zum Schluss siegte aber das viel gepriesene Schützentum über die Rebellion der Frauen, die ohne Kritik die ihnen zugeschriebene Rolle hinnahmen und das Schützentum am Ende priesen. Die Geschichte erzählte, dass im Dorf N. irgendwo im Mittelgebirge alle Männer – außer drei – beim Schützenverein waren. Bei diesen handelte es sich um den 411 412 ebda. vgl. Hauch, Frau Biedermeier, a.o.O., S. 76. 127 Bäcker, den Weber und den Schneider, dem seine Ehefrau Martha verboten hatte, der Schützenkompanie beizutreten. Die Frauen zollten dem Schützentum größte Abneigung. Denn ihre Ehemänner vernachlässigten Höfe und Handwerksbetriebe durch ihre ständige Abwesenheit. Die Schneiderin und Hebamme Martha schürte unter den anderen Frauen das Feuer gegen das Schützenwesen. Martha riet den verbitterten Frauen, sich nichts gefallen zu lassen und gegen das Schützentum Widerstand zu leisten. Sie hörten ihr aufmerksam zu und begannen einen Plan aufzustellen. Im Mai (am Urbanitag) kam der häusliche Unfriede zum öffentlichen Ausbruch. Das Heu lag auf dem Feld und musste möglichst schnell untergebracht werden, da dicke Gewitterwolken aufzogen. Aber die Schützen kümmerten sich wenig um das aufkommende Gewitter. Sie nützten vielmehr die Windstille zum Scheibenschießen. Die Frauen und Töchter aber eilten zum Feld, um das Heu noch trocken in die Scheune unterzubringen. Die Kinder sollten die Väter zu holen. Doch diese kamen ohne die Männer zurück. Ihnen war das Scheibenschießen wichtiger als das Heu. Daraufhin wurden die Frauen zornig. 18 Frauen zogen mit Heugabeln oder sonstigen Geräten die Gasse herab. Die Schützen schenkten ihnen kaum Beachtung und schossen weiter. Als die Frauen nun erbost die Scheiben zertrümmerten und die Pflöcke zerschlugen, beschlossen die Schützen Rache. Abb. 1: Germania mit schwarz-rot-goldener Fahne und Schild, im Hintergrund eine deutsche Stadt (Zeichen bürgerlicher Tüchtigkeit) und auf dem Meer ein Schiff (Symbol der Hoffnung und des Aufbruchs zu neuen Ufern); Schützenscheibe 1848 aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 707. Abb.2 : Schützenscheibe zu Ehren Erzherzog Franz Karls, eines Bruders des Kaisers Ferdinand I. und Vater des späteren Kaiser Franz Joseph. Ölbild 1824 aus: Fontana, Restauration, a.o.O., S. 611. 128 Die Schützen beschlossen einen Gegenplan: Isidor, Marthas Ehemann, wurde zum besten Schützen im Dorf auserkoren. Das wurde bis spät in die Nacht befeiert. Isidor trat der Schützenkompanie bei. Schon bald war er einen Tag, bald zwei Tage, bald drei Tage und noch länger mit dem Stutzen weg. Immer öfter kam er betrunken nach Hause. Deshalb verweigerte Martha ihre Haushaltspflichten. Das Heu wurde drei Wochen nicht trocken, eine Menge vermoderte. Der Rest bekam einen Schimmelgeruch. Aber auch die anderen Frauen des Dorfes litten durch die Abwesenheit ihrer Männer. Neben der Erledigung der Haus- und Feldarbeit mussten sie die Arbeit des Ehemannes übernehmen, damit die Familie überleben konnte. Die Anwältin zog die Steuern ein, erstellte Rechnungen, veröffentlichte Dekrete, stellte Quittungen aus und schrieb Schuldscheine. Die Krämerin führte den Laden ihres Mannes, usw. Der Pfarrer kriegte das ganze Geschehen im Dorf mit: „Christliche Hausmütter, habt Geduld mit euren Männern. Laßt euch ein kleines Opfer nicht gereuen und ertragt die geringen Beschwerden, die das Schützentum mit sich zieht. Denn ich sage euch, die Schützen werden für euch und eure Kinder weit Schwereres aushalten: sie werden Hunger und Durst leiden, über Bäche waten und über Felsen klettern, im Kugelregen stehen und sich auf die feindliche Bajonette stürzen, sie werden die letzte Kraft anstrengen und weder Wunden noch Ketten scheuen, noch den Tod. Ihr werdet dann wünschen, dass doch alle Männer Tirols gute Schützen wären. Ihr werdet die braven Scharfschützen mit Verehrung und Dank anschauen, ihr werdet euren Rettern mit Blumen die Stutzen umwinden. Wollt ihr meine Ermahnung befolgen und das Schützentum schon jetzt in Ehren halten?" Der Pfarrer hatte also im Dorf den Frieden wiederhergestellt. Die Männer und die Frauen wetteiferten in der Befolgung der rührenden Predigt. Es brach ein Krieg herein. Die Stutzen von N. waren so gefürchtet und dem Feind bekannt. Martha ging sogar mit dem Plane um, sich und eine Schar mutiger Frauen mit Büchsen zu bewaffnen. Das Vorhaben wurde in der „Frauenversammlung“ abgelehnt. Um so eifriger statteten sie die Scharfschützen mit Kleidung und Geld aus, versorgten sie mit Essen und Getränke und beten für ihre Männer. 129 Viele Alltagsräume eröffneten sich durch diese Geschichte. Neben der bäuerlichen Struktur des Dorfes (Feldarbeiten) übernahmen sie in Abwesenheit ihrer Männer deren Handwerks- und Gewerbearbeiten (Rechtsanwältin, Krämerin, Schneiderin usw.). Frauen zeigten Verantwortungsbewusstsein, Kompetenz und Entscheidungsstärke, mussten sie doch in der Abwesenheit die Familie ernähren. Die Lösung lag in einer offenen Rebellion gegen die Männer. Auch von einer Frauenversammlung wurden geschrieben. Frauen dieses Dorfes trafen sich, um sich gegenseitig Ratschläge zu geben, zu diskutieren, Widerstand zu leisten und mögliche Handlungsstrategien gegenüber ihren Ehemännern auszudenken. Relevant war auch der Auftritt einer geschlossenen Frauengruppe zur gegenseitigen psychischen Unterstützung. Doch wäre es falsch zu meinen, Frauen hätten in der Schützenzeitung ein neues, liberaleres Bild eingenommen. Vielmehr ging es hier um die Akzeptanz des Schützenwesens bei den Frauen. Die Frauen waren doppelt- und mehrfachbelastet. Sie rebellierten auch dagegen, aber hierfür hatte der Autor eine einfache Lösung: Am Schluss trat der Pfarrer auf und schlichtete den Streit, indem er den Frauen die Relevanz des Schützentums zur Verteidigung des Vaterlandes, der Frauen und Kinder erklärte. Den emotionalen Frauen wurde so ein rationaler Mann gegenübergestellt. Den Frauen wurde die enorme Wichtigkeit des Schützenwesens bewusst und am Schluss wären sie am liebsten auch in den Krieg gezogen. Doch auch die Erledigungen der Arbeiten zu Hause wären von gleicher Bedeutung, betonte der Pfarrer. Doppel- und Mehrfachbelastungen wurden nicht hinterfragt, sondern beschönigt: Es war eine Ehre für die Frauen, wenn die Männer nach Hause kamen und alles in Ordnung vorfanden. 130 10. Schlussbemerkungen 1848 – das Jahr der europäischen Revolutionen; die Geburt der Österreichischen Frauenbewegung. In den Märztagen jenes Jahres brodelte es in den Wiener Gassen und Straßen. Am 17. März folgte der blutige Ausbruch der Revolution in Wien. Während Arbeiterinnen ihre schlechten ausbeuterischen Bedingungen nicht mehr widerstandslos annahmen und für bessere Konditionen kämpften, forderte das Bürgertum mehr politische Rechte. Der Kaiser gab aufgrund der bedrohlichen Unruhen in Wien den bürgerlichen Forderungen nach. Er gewährte in der kaiserlichen Proklamation vom 19. März eine Verfassung, Volksbewaffnung, Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit und die Auflösung des Metternichschen Spitzelwesens. In Tirol blieb es laut Berichten des Tiroler Landeshauptmannes Brandis und der Polizei ruhig. Einzig und allein Bürgerliche in den Städten feierten die Errungenschaften, die fast ausschließlich bäuerlich geprägte Mehrheit zeigte sich gegenüber den Neuerungen skeptisch und abweisend. Die politische Elite der konservativ-katholischen Ultramontanen sahen in den „neuen“ Freiheiten eine Einschränkung ihrer Macht – somit wurde auch ihr vehementes Engagement gegen diese verständlich. Als auch noch der kaiserliche Hof in Folge vor erneut aufflammenden Unruhen im Mai nach Innsbruck flüchtete, waren dies schon Gründe genug, um Tirol als Hort der Gegenreaktion in die Geschichte der europäischen Revolutionen eingehen zu lassen. 1849 setzte die Restauration ein. Dies veranlasste viele HistorikerInnen (mit Ausnahme der Historiker Hans Heiss und Thomas Götz) das Jahr 1848 für die Tiroler Geschichte als nicht relevant zu betrachten, da es zu keinen wesentlichen politischen Veränderungen geführt hatte. Doch dieser historische Ansatz täuscht über eine Fülle von (innen)politischen Neuerungen hinweg. Aufgrund der Einführung der Presse-, Meinungs- und Brieffreiheit formierten sich auch in Tirol erstmals relevante individuelle, soziale und politische Kommunikationsebenen, die es bis dato noch nicht gegeben hatte. Eine Reihe von Zeitungs- und Vereinsneugründungen, Volksversammlungen, Petitionen, Protesten, Ansprachen, Flugblättern, politischen Diskussionen beeinflusste die politische Landschaft Tirols bis in die heutige Zeit. Und von den bürgerlichen Rechten und Freiheiten profitierten auch Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten. Es öffneten sich erstmals ganz neue 131 (politische) Perspektiven für sie. Sie traten in vielfältige Räume ein, die ihnen bis dato verschlossen waren. Sie entdeckten Ausbruchsmöglichkeiten aus ihren vorgeschriebenen Rollen. Sie fanden neue Formen der Öffentlichkeit und des politischen Engagements. Sie griffen in politische Entscheidungsprozesse ein, auch wenn sie von Wahlen und (männlichen) Institutionen ausgeschlossen waren. Meist nutzten Tirolerinnen die neuen Freiheiten aber zur Aufrechterhaltung der Alten Ordnung. So nutzte beispielsweise der konservative Innsbrucker Frauenverein das breite Wirkungsfeld der Presse, um sich bei SpenderInnen zu bedanken, aber auch um den Jahresbericht zu veröffentlichen. „Ehrfürchtige fromme Damen“ und Bürger der Stadt Innsbruck verfassten eine Petition gegen die Aufhebung des Liguorianerordens, „im Beutel einiger Damen“ landete während des Aufenthaltes des Kaisers in Tirol so manche Petition auf seinem Schreibtisch. Und als bei der „Riesenpetition“ gegen die Religionsfreiheit Frauen ausgeschlossen wurden, notierte ein Autor Klagen von „Frauenzimmern“ in der Innsbrucker Zeitung. Dem ausschließlich männlich dominierten medialen Feld trotzte eine Frau: sie war Verlegerin des Bregenzer Wochenblattes. So wie sie traten nun vermehrt (meist bürgerliche) Frauen in Berufe außerhalb ihres Wohnzimmers, und auch das 1850 veröffentliche Frauenrecht hielt an einer sichtlichen Zunahme von berufstätigen Frauen fest. Ihnen wurden um die Mitte des 19. Jahrhunderts „typisch weibliche“ Berufe zugestanden: Durch die Schulreform von 1848 wurden erstmals weltliche Lehrerinnen gesetzlich zugelassen, die religiösen Orden (Karmeliterinnen, Ursulinen, Dominikanerinnen, Barmherzige Schwestern, Englische Fräulein) und Frauenkongregationen erfuhren einen vermehrten Zulauf aus allen gesellschaftlichen Schichten: denn Armen-, Alten-, und Krankenfürsorge wurden zu ihren Kompetenzen. Frauen erfuhren somit wichtige Wahrnehmungen, neue Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten außerhalb des häuslichen Bereiches: Waren bis ins 19. Jahrhundert sozialpolitische Aktivitäten von (adligen und bürgerlichen) Frauen hauptsächlich auf Almosen- und Spendenopfer begrenzt, so beeinflußten sie nun die Sozialpolitik durch direktes Handanlegen, was in dem Tätigkeitsbericht des Innsbrucker Frauenvereines besonders ersichtlich wurde. Frauen trafen hier wiederum auf Frauen außerhalb ihrer Familienstruktur und neben organisatorischen Angelegenheiten plauderten sie über Privates. Ähnliche Handlungsmuster taten sich beispielsweise auch bei jenen bürgerlichen Frauen auf, die sich zum Ziel gesetzt hatten, eine Fahne zu spenden bzw. zu sticken – eine Manifestation ihrer politischen 132 Gesinnung und Haltung. Sichtbar gemacht wurden auch die gemeinsame Partizipation vieler Bürgerinnen und Arbeiterinnen am Barrikadenbau, Aufständen und Tumulten in den Straßen und Gassen Wiens; neue, wichtige, politische Räume für Frauen. Auch bei sozialen Protesten, Kämpfen, Katzenmusiken, Plünderungen, Demonstrationen, Debatten, Diskussionen, Ansprachen, Reden (die erste öffentliche Rede einer Frau), Versammlungen waren Frauen anwesend, oft galten sie als die Initiatorinnen wie bei der ersten Arbeiterinnendemonstration im August. Manchmal waren nur Frauen zugelassen wie beim Demokratischen Frauenverein in Wien. Für Tirol hielt die Presse Unmutsäußerungen und Proteste von Frauen durch die Verdrängung der mechanischen Webstühle fest. Politische Erfahrungen und Wahrnehmungsmuster für Frauen hatte das Jahr 1848 hervorgebracht. Auch neue Orientierungs- und Handlungshorizonte hatte es eröffnet. Neue Strömungen (Kommunismus, Nationalismus usw.) und Bewegungen (ArbeiterInnenbewegung, Frauenbewegung) wurden ermöglicht. Auch wenn im darauf folgendem Jahr die Restauration einsetzte, so konnte dieses (politische) Bewusstsein nicht mehr aus den Köpfen vieler Frauen verdrängt werden. Wesentliche Schritte politischer Bewusstseins- und Meinungsbildung waren gesetzt. 133 11. Literaturhinweise 11.1. Primärquellen 1. Allgemeine Deutsche Realenzyklopädie Conversationslexikon. Bd. 6, Leipzig 1865. für die gebildeten Stände, 2. Bregenzer Wochenblatt, Bregenz März bis Dezember 1848. 3. Il messaggiere tirolese, Rovereto März bis Dezember 1848. 4. Innsbrucker Zeitung, Innsbruck Juni bis Dezember 1848. 5. 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Prof. Dr. Gabriella Hauch, die wichtige Anregungen und Tipps lieferte, Dr. Gerald Steinacher, für stetes Interesse und regen Gedankenaustausch und besonders Peter Fitz für das zeitraubende und kompetente Lektorat. Lebenslauf: Geboren am 20.12.1969 in Meran (BZ) Volks- und Mittelschule in Klausen (BZ) Realgymnasium in Brixen (BZ) mit Maturaabschluss im Juli 1989 Immatrikulation des Studiums der Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft/Geschichte im Wintersemester 1989/1990 an der Universität Innsbruck. Neben dem Studium verschiedenste Tätigkeiten: Bibliothekarin der AEP-Frauenbibliothek, Redakteurin und Journalistin der AEP-Informationen, Radioproduzentin, Tutorin in Statistik, Studienrichtungsvertreterin der Politikwissenschaft und Sennerin auf einer Alm im Pitztal.