Moto Guzzi V11
Transcrição
Moto Guzzi V11
T E S T K L A S S I S C H E R T W I N - S P O R T L E R Moto Guzzi V11 Scura Limitierte Sonderserien sind derzeit schwer in Mode. Besonders unsere italienischen Freunde lieben die Etiketten mit exklusiver Editionszahl im dreistelligen Bereich. Wichtig an Nummer 137 aus der Scura-Edition ist für uns das komplett mit noblen Öhlins-Elementen bestückte Fahrwerk. Und auch der derb berippte V-Twin verspricht vergnügliche Stunden T E X T : J O S O P P A Die kleine Cockpitverkleidung bringt guten Windschutz im Brustbereich. Bei der Heckansicht stechen die asymmetrisch montierten Endschalldämpfer unangenehm ins Auge 1 MO F O T O S : K A I - U W E H andgriff Nummer 1: Das italienische Wörterbuch. „Scura“ bedeutet soviel wie die Finstere, Dunkle. Das konnte man sich angesichts der gedeckten Farbwahl fast denken. Bleibt anzu-merken, dass hinter dem Namen hoffentlich kein düsteres Omen seine bösartigen Klingen wetzt. Denn die Zukunft der italienischen Traditionsmarke ist auch nach Übernahme durch den Aprilia-Konzern noch nicht in W I D D E C K E , S O P P A trockenen Tüchern. Diesmal segelt das Stammhaus selbst im harten Wind der Finanzmärkte. Geld für wichtige Investitionen ist knapp. Man wird sehen. Sehen lassen kann sich auf alle Fälle, wie die Aprilianer bislang den maladen Adler aus Mandello del Lario wieder auf die Stange gesetzt haben. Die Akuratesse im Detail hat gewonnen, erfreut erblickt das Auge im Kabelbaum hochwertige AMP-Steckverbindungen, und die Oberflächen der ehedem an einen schrumpeligen Hartung-Helm erinnernden Kunststoffteile sind nun ebenmäßig wie mit 600er Schmirgel eingeglättet. Was die Vermarktung der ehrwürdigen Moto GuzziMaschinen angeht, haben die Aprilia-Strategen offenbar einen tiefen Seitenblick in Richtung Harley-Davidson riskiert. Getreu dem Motto: Man nehme ein Grundmodell und stricke möglichst viele Abwandlungen daraus, griffen die Guzzi-Macher zur 1999 vorgestellten V 11 Gesicht in der Menge. Der V-Twin mit seiner imposanten Architektur prägt den GuzziAuftritt. Beim ScuraSondermodell verwöhnen zudem „güldene“ Öhlins-Bauteile die Sinne der Technik-Gourmets. Im Stand und in Fahrt Die hecklastige Auslegung der V 11 macht das Motorrad trotz 245 kg ungemein handlich. Aber auch bei hohem Tempo anfällig für Störeinflüsse Schwarz und weiß. Zeitlos elegantes, mit Kohlefaser eingerahmtes Cockpit. Kontrollleuchtenkonsole gut im Blickfeld platziert Der offen laufende Wellentrieb will gepflegt sein. Schmiernippel in Reifennähe mahnen zum überlegten Umgang mit der Fettpresse Sport und vervielfältigten das Grundmuster gemäß den fein nivellierten Geschmäckern der erlauchten Guzzi-Kundschaft. So gibt es neben der BasisVersion „Sport Naked“ (11 190 Euro) die halbverschalte „Le Mans“ (11620 Euro), die historisch angehauchte „Tenni“ (11 990 Euro), das JubiläumsSondermodell „Rosso Mandello“ (12 015 Euro) und eben die hier zu bestaunende „Scura“. Das 12 750 Euro teure Top-Gerät der Riege. lich paradoxe Angelegenheit ist. Weglassen wäre noch leichter – und vor allem billiger. Weil eine richtige Moto Guzzi auch und besonders durch ihre Widersprüche interessant wird, soll uns die Kohlefaser nicht weiter tangieren. Tatsache ist, dass dieses Motorrad ein Fahrerlebnis bietet, für das es am Markt keinen Ersatz gibt. Das behaupten zwar andere Hersteller von ihren Produkten auch. Aber wenn Bier nicht gleich Bier ist, dann Für runde 1500 Euro Preisaufschlag zum Basismodell darf der Käufer die in einschlägigen Tech-Gourmetkreisen heiß begehrte Öhlins-Garnitur ab Ladentheke auskosten. Oben drauf gibt’s als Sahnehäubchen noch ein paar edel in der Sonne funkelnde KohlefaserBauteile. Wobei man sich durchaus die ketzerische Frage erlauben darf, ob ein federleichtes Kohlefaserteil als reine Abdeckung, etwa für den Anlassermotor, nicht eine reich- die Guzzi gewissermaßen der Rotwein unter den Bieren. Herb, fruchtig und mit langem Nachhall. Wobei man sich die Geschmacksfrage wie immer selbst beantworten muss. Für meinen Teil hat mir die Scura seit langer Zeit wieder ein rundum befriedigendes Fahrerlebnis verschafft. Liegt’s am so ungemein prickelnd-pulsierenden Guzzi-Twin, dem nur notorische Besserwisser seine betagte Stoßstangen-Konstruktion als Makel vorwerfen? Sicher, auch. Der Guzzi-Twin ist ein wahres Motor-Monument, auch wenn der mattschwarze Strukturlack den Block sehr unsichtbar macht. Spürbar ist dafür der ein wenig unharmonische Drehmomentverlauf. Im dunkel bollernden Drehzahlkeller steigt der Twin zwar sehr eifrig ein und bietet druckvollen Anfahrpunch. Ganz wichtig: Das typische Guzzi-um-die-EckeSchnuffeln bei 1500/min kann auch der Scura-Motor zur Erheiterung der Besatzung aus den Räderwerk schütteln. Oben ‘raus gibt sich der Motor als sportlich-gereifter Klassiker, mit dem man es auch ‘mal ganz anständig brennen lassen kann. Schenken wir uns aber an dieser Stelle das Abhaken der üblichen Testaussagen. Die können Sie viel besser in unserem Bewertungskasten auf Seite 111 nachlesen. Fragen wir lieber, wie sich Öhlins und Guzzi vertragen. Denn als kostenbewusster Interessent könnte man ja sehr wohl den Standpunkt vertreten, gute 1500 Euro auf dem Konto zu lassen, um sich an der günstigeren V11-Standard-Version schadlos zu halten. Zunächst fällt beim Aufsitzen die straffe Grundabstimmung der Scura auf. Das Motorrad federt kaum ein, und im Geiste sieht man sich schon über der erstbesten Bodenwelle einen halben Meter aus dem Sattel der Guzzi katapultiert. Doch schon nach dem ersten Kanaldeckel sagt man leise erstaunt „aha“, und mit Zwei mal 320 Millimeter aus dem Hause Brembo haben die schwere Guzzi im Griff Filigraner Schalthebel im Kontrast zu verblockter Schwingenlagerplatte. So muss ein getunter Traktor aussehen TEST T E S T T E S T X MO- TRACerTmodell der V11 Sport mit hochn- Sond rvenreiche Kostspieliges len. Auf ku werksbautei hr Fa beweglich en hr tig wer h Masse se ic hl ic re t z ot tr in versprüh Landstraßen render V-Tw ie ls Pu . am ts und unterhal Begehrtes Zubehör serienmäßig: Kohlefaserschale auf dem Tank. Die Scura ist drei Kilogramm leichter als die Standard-V 11 Sport Der gut ansprechende Öhlins-Lenkungsdämpfer muss nur beim harten Bolzen auf holprigen Landstraßen ins Spiel gebracht werden jedem weiteren Kilometer men Federungshüben mit ebenwächst die Begeisterung an so feinfühlig wie nachdrückdieser scheinbar saugend mit lich arbeitendem Dämpfer im dem Asphalt gekoppelten schnellen Federbereich zu verRadaufhängung. Rückmeldung knüpfen. Bei den meisten heißt das Zauberwort des Standard-Dämpferbauteilen beÖhlins-Fahrwerks. kommt man beim HerumneOffenbar verstehen es die steln an den Stellrädchen zwar Öhlins-Techniker, eine straffe irgendwann eine straffe Grunddämpfung bei langsa Grunddämpfung für klare Sportliche Höckerschale für Zweipersonenbetrieb abnehmbar. Der Hinterbänkler lernt so ein weiteres dunkles Kapitel der Guzzi kennen Rückmeldung eingedreht. hängungen der wahrlich mit Gleichzeitig wird das Gestell einem sehr ansprechenden Fahraber zum knüppelhart-unsenwerk gesegneten R1 benehsiblen Rüttelbock, wenn’s über men sich spürbar unruhiger. Bodenwellen geht. Bietet die Guzzi das Gefühl Einen guten Vergleich brachvon annähernd konstantem te die neue Yamaha R1. Die Bodenanpressdruck, wirken konnte ich direkt im Anschluss die R1-Räder „zappeliger“, an die Scura auf der selben was ganz klar von minimalen, Landstraße fahren. Die Radaufnicht restlos ausgedämpften Überschwingern beim Federn herrührt. Die Moto Guzzi V11 Sport Scura auf dem Prüfstand Die Frage, ob sich der Griff zur teuren Scura-Edition ffiziell wird zwar von einer geänderten LEISTUNGSDIAGRAMM Motorabstimmung gesprochen, beim Heat Messung durch lohnt, beantwortet sich nach Motorleistung 90 Rollenbeschleunigung am Hinterrad. auf dem Leistungsprüfstand ist zumindest keine Mit Verlustfaktoren auf die der ersten Fahrt. Wer das Kurbelwelle hochgerechnet. signifikante Veränderung zu früheren Modellen Maximalwerte sind mit den PS Öhlins-Fahrwerk kennen geHerstellerangaben im erkennbar. Nach wie vor sind die beiden Fahrzeugschein vergleichbar. Diagramm zeigt die 70 lernt hat, wird sich nur noch Drehmomentsenken bei 2500/min und 4000/min Leistungsentwicklung über der Motordrehzahl. Eine optimale deutlich zu sehen – und vor allem auch während mit leidendem GesichtsausLeistungskurve steigt ohne Einbrüche kontinuierlich an. Der der Fahrt zu spüren. Die Maximalwerte selbst sind Leistungsgipfel sollte möglichst druck in den Sattel der Stanbreit sein. Um Kurven vergleichbar für einen zulassungsgerecht schallgedämpften 50 zu machen, werden sie einheitlich dard-V11 Sport schwingen. Zweiventilschlegel klassischer Bauart durchaus auf Normmeßbedingungen (1013 Fazit: Wer ein traditionelbeachtlich. Gelänge es in zukünftigen DREHMOMENTDIAGRAMM Diese Kurve zeigt deutlich, ob ein Evolutionsstufen, die Kraterlandschaft zwischen les Motorrad mit ausdruck30 Motor nur rennt, oder ob er tatsächlich Kraft hat. Druck, Punch, diese 2000/min und 5000/min in einen sanften Hügel zu starkem Motor sucht, dazu wichtigen Motoreigenheiten zeigen verwandeln, ja dann, dann hätten wir einen Traum sich eindeutig im Drehmomentverlauf. Eine optimale beim Kurvenswing über vervon Guzzi-Twin. So wie er ist, taugt er zum guten Kurve verläuft sanft geschwungen 10 wie ein Hügel. Dabei sollte das zwickte Landstraßen viel RückZusammenleben im wirklichen Leben. Für die Einstiegsdrehmoment schon mögMotordrehmoment lichst nahe am Maximalwert liegen. fette Dampfparty sollte noch ein bißchen Feuer 100 Beim Viertakter spricht man von meldung und satte Straßenlage guter Motorarbeit, wenn das Nm unter dem Kessel gemacht werden. Und bitteDrehmomentmaximum mindestens wünscht, der sollte sich nach zehn Prozent vom Hubraum 80 schön ausschließlich im mittleren Drehzahlbereich. erreicht. Ein 1000 Kubikzentimetereiner der rund hundert nach Motor muss also mindestens 100 Motordrehzahl Newtonmeter maximales Dreh60 Deutschland importierten V11 Moto Guzzi V 11 Scura 3000 5000 1/min 9000 max. 93 PS (68 kW) bei 8100/min Scura umsehen. Eine großartige max. 99 Nm bei 5300/min Guzzi, und eine seltene obendrein. 1 MO O Moto Guzzi V 11 Sport Scura 16 Pluspunkte: gut ach langem Hoffen und Bangen ging anno 1999 die V11 Sport endlich in Serie. Eine gelungene Mischung aus Klassik und Moderne. Nach der Übernahme durch Aprilia im Herbst 2000 wurde die Vermarktungsmöglichkeiten der Guzzis auf Basis der bisherigen Technik optimiert. Ergebnis ist unter anderem das auf der V 11 basierende Sondermodell „Scura“. Nur 600 Stück werden gebaut, etwa 100 davon kommen nach Deutschland. N + + Motor: Einspritzer. Manuelle Standgasanhebung für Kaltstart. Springt nach einigen Leerumdrehungen zwecks Systemcheck mit sonorem Klang an. Sofort gute Gasannahme. Hohes Anfahrdrehmoment. Guter Rundlauf ab Standlaufdrehzahl. Kultivierter Rundlauf auch im Schiebebetrieb. Kleine Drehmomenthänger bei 2500/min und 4000/min. Ab 5000/min spurtstark und drehfreudig. Mechanisch bis auf leichtes Ventiltickern ruhiger Motorlauf. Angenehme, lastabhängige Pulsvibrationen. Gutes Lastwechselverhalten. Angenehmer Alltagsmotor. Ölstandkontrolle mit Peilstab. + + Kupplung und Getriebe: Leichtgängige, tendenziell forsch greifende Trockenkupplung. Leichtgängiges und klar rasten des Sechsganggetriebe. Tolerierbare Schaltschläge. Harte Umkehrspielschläge bei Lastwechsel. Im Leerlauf deutliche Rasselgeräusche. Sportlich enge Stufung zwischen Gang 5 und 6. + + Fahrwerk: Guter Geradeauslauf bis Topspeed. Reagiert auf Lenkeranreißen ab 150 km/h mit kurzem, abklin- 0 6 schwach gendem Nachschwingen. Leicht einzulenken, angenehm neutrale Kurvenlage mit viel Rückmeldung. Stellt beim Bremsen nur schwach auf. Bei provozierten Lastwechseln unruhige Kurvenlage. Unter Last deutlich sturer. Straffe Abstimmung mit dennoch gutem Schluckvermögen. Prima Landstraßenfahrwerk. Bereifung Bridgestone BT 20. Komfort: Entspannt-sportliche 9 na ja 17 gut 23 sehr gut 27 top Einbindung ins Motorrad. Rastenbasis nicht zu breit, Tank sollte im Kniebereich drei Zentimeter weiter eingezogen sein. Cockpitschale bietet gute Windentlastung im Brustbereich. + + Bremsen: Gutes Brembo-Material. Heiß gebremst transparenter als kalt. Auch hinten wirkungsvoll und gut dosierbar. + + Fahrhaltung mit guter MO-Messwerte* Gewicht vollgetankt.........................245 kg, davon 45,7 % vorn Topspeed solo liegend .............................................219 km/h Beschleunigung 0 bis 100 km/h in ..................................3,7 s Durchzug im letzten (6.) Gang von 60 bis 140 km/h in ....10,8 s Testverbrauch (Super) ........................................6,5 l/100 km * Fahrleistungen ermittelt mit Memotec-Messgerät Technische Daten Preis: 12750 Euro Leistung: 91 PS (67 kW) bei 7800/min, maximales Drehmoment 94 Nm bei 6000/min Motor: Viertakt-Zweizylinder-V-Motor, Zylinderwinkel 90 Grad, luftgekühlt. Zwei Ventile pro Zylinder, ohc. Bohrung x Hub 92 x 80 mm, Hubraum 1064 ccm, Verdichtung 9,5. Elektronische Benzineinspritzung. Elektrostarter. Sechsganggetriebe. Endantrieb über offen laufende Gelenkwelle Fahrwerk: Stahl-Zentralrohrrahmen, Motor mittragend. Vorn Öhlins Upside down-Gabel, voll einstellbar, Federweg 120 mm. Hinten Stahlrohrschwinge mit voll einstellbarem ÖhlinsFederbein. Federweg 120 mm. Bereifung vorn 120/70ZR17, hinten 180/55ZR17. Vorn Doppelscheibenbremse, 쏗 320 mm, hinten Scheibenbremse, 쏗 282 mm. Radstand 1471 mm, Sitzhöhe 800 mm, Tankinhalt 22 Liter, zulässiges Gesamtgewicht 460 kg Garantie und Service: Zwei Jahre Garantie ohne Kilometerbegrenzung. Kundendienst bei 1500 km, dann alle 10 000 km Fixkosten: Steuer im Jahr 79,15 Euro. Versicherung Haftpflicht bei 100 % Beitragsrate 250 Euro (Zirkatarif) + + Fahrleistungen: Knappe 220 km/h sind für ein prähistorisches Eisen sehr passabel. Der Durchzug ist wegen der Drehmomentdurchhänger nicht ganz state of the art. + Verbrauch: Superbenzin. Der Guzzi-Twin animiert zu ruhiger Gangart. Dann kommt man mit guten fünf Litern 100 Kilometer weit. Bei lustbetonter Fahrweise werden’s 6,5 Liter. Keine spezielle Abgasreinigung. + + Ausstattung: Solide Grundkonstruktion mit streckenweise liebevollen Details. Top Öhlins-Fahrwerk, hochwertige AMP-Stecker, Kohlefaserlaminat, gutes Werkzeug. Typische Guzzi-Nachlässigkeiten wie Freilauf-Kardan, durchblasende Krümmerflansche und asymmetrisch angebrachte Endschalldämpfer trüben das Bild. Seitenstütze mit Zündunterbrecher, durchschnittliches Fahrlicht. + Motorrad fürs Geld: Kein Sonderangebot, aber ein seltenes Stück mit hohem Unterhaltungswert. Und günstiger als eine nachträglich aufgerüstete Standard-Version. Einzelwertung: + + + = überragend. + + = prima. + = gut. + – = noch akzeptabel. – = schlecht. – – = indiskutabel. Insgesamt sind 27 Pluspunkte möglich. Für jeden Minuspunkt wird ein Pluspunkt abgezogen MO 1