Der Werra-Meißner-Kreis 3.0 - Verein für Regionalentwicklung
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Der Werra-Meißner-Kreis 3.0 - Verein für Regionalentwicklung
KurzgeschichtenWettbewerb 0 . 3 s i e r K r e n ß i e M -hr 2025) a r r e W r e D (im Ja Die besten Geschichten aus der Region Inhalt 6 Jubiläum in Gefahr - Freundschaften, die (nicht) die Welt verändern Sarah Grosser 42 9 In Herzen Deutschlands - der Werra-Meißner-Kreis Michael vor dem Berge 46 Ich träume … Peter Klebe 49 Endlich Zuhause Marie Wilhelm 51 Wir schreiben das Jahr 2025 in Laudenbach im Werra-Meißner-Kreis Burkhard Burschel 53 Preisträger Mathilde Sabine Dürschel-König Preisträger Rote Boote Martin Große Preisträger 15. März 2025 oder Von geschenkten und verpassten Chancen Andrea Römer 16 Preisträger Das Warten Finn Seifert 22 Preisträger 2025 Carsten Werner 24 Seine Schuld Anna-Lena Möller 58 Die neue Zeit - WMK 2025 Erich Böck 31 Hamburg Leonard Weber 60 Mein Freund Fred 2025 Heidi Brundig 35 In Grebendorf 2025 Sabine Groß 61 Zwischen gestern und morgen Larissa Knapmeyer 37 Zeiten ändern sich Philipp Hohmann 65 Rückblick Salome Belling 39 Wo der Himmel die Erde küsst Hanna Wallbraun 68 KurzgeschichtenWettbewerb Der Werra-Meißner-Kreis 3.0 - Wie sieht das Leben im Jahre 2025 in der Region aus? Liebe Leserin, lieber Leser, der Verein für Regionalentwicklung Werra-Meißner e.V. hat 2014 den Kurzgeschichten-Wettbewerb mit Ideen für die Zukunft unserer Region ausgeschrieben. Wir wollten wissen: • Wie sieht das Leben im Jahre 2025 in unserer Region aus? Die Jury hat sich nach intensiven Diskussionen für folgende fünf Preisträger entschieden: Mathilde! von Sabine Dürschel-König Rote Boote von Martin Große 15. März 2025 oder Von geschenkten und verpassten Chancen von Andrea Römer Das Warten von Finn Seifert 2025 von Carsten Werner • Was ist das Besondere in unserer Region? • Worauf sind die Bewohner besonders stolz? • Welche Themen spielen für die Zukunft eine bedeutende Rolle (Schule, Freizeit, Vereine, Ausbildung, Arbeit, Mobilität, Tourismus, Nahversorgung, ..)? • Wie will ich im Jahre 2025 hier leben? Insgesamt wurden über 40 Beiträge für den Wettbewerb eingereicht. Alle Beiträge wurden der Jury mit Sandra Ehrenberg, Autorin aus Witzenhausen, Uwe Heinemann, Buchhändler aus Eschwege, Helga Kawe, Vorsitzende des Vereins für Regionalentwicklung Werra-Meißner e.V. aus Hebenshausen, Ralph Nowag, Autor aus Eschwege und Dieter Salzmann, Journalist aus Eschwege, vorgelegt. 4 Wir gratulieren den Preisträgern ganz herzlich zu dieser Auszeichnung! Darüber hinaus wurden 14 Beiträge für die Ausgabe des READERs sowie der Kurzgeschichten-Broschüre ausgewählt. Alle weiteren Kurzgeschichten finden sie im Internet unter: www.vfr-werra-meissner.de. Die eingereichten Geschichten mit ihren Ideen zur Zukunft unserer Region werden ebenfalls bei der Bearbeitung des regionalen Entwicklungskonzeptes Werra-Meißner 2014-2020 berücksichtigt. Dazu werden Leitbilder, Handlungsfelder, Ziele und Projekte für die Zukunft erarbeitet. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen Ihre Helga Kawe Vorsitzende des Vereins für Regionalentwicklung Werra-Meißner e.V. 5 Mathilde von Sabine Dürschel-König „Mathilde!“ Lieschen ist ungehalten. „Mathilde! Wo steckst du denn?“ Ärgerlich stellt Lieschen ihre Teetasse klirrend zurück auf den kleinen Beistelltisch, der neben ihrem Ohrensessel steht. Das Sonnenlicht spiegelt sich in der Glasplatte des Tisches und in den zahlreichen Silberrahmen, die auf ihm stehen. Erinnerungen steigen in Lieschen auf, Erinnerungen an die Zeit, als lachende Kinderaugen in die Kamera blickten. Durch einen Klick festgehalten für die Ewigkeit. Ewigkeit? Lieschen kehrt aus ihren Gedanken zurück und ruft wieder: „Mathilde!!!“ Endlich surrt es aus dem Flur und leise rollend erscheint Mathilde im Wohnzimmer. „Mathilde! Ich habe keine Sahne mehr zum Tee. Was ist denn los? Du bist heute auch so langsam!?“ »Datenstau, Frau Liesbeth. Nur Datenstau.» „Nicht schon wieder, Mathilde. So allmählich macht das keinen Spaß mehr!“ »Soll ich...?» „Nein, lass nur, ich mach das schon nachher... wir hatten ja schon lange keinen Neustart...“ »Und die Sahne?» „Geh und hol mir wenigstens Milch. Um die Sahne kannst du dich dann später kümmern.“ Mathilde wendet und rollt surrend durch die Tür. Lieschen sieht ihr nach. Komisch, da sitz ich nun hier und rede mit meiner elektronischen Haushaltshilfe. Früher, ja früher konnte ich selber noch... Doch seit dem Unfall ist alles anders. Ich blieb allein zurück. Ich sitze fest, den ganzen Tag und mein Leben besteht aus Erinnerungen... und 6 Gesprächen mit Mathilde. Ich hab noch gut vor Augen, als die Kinder mit ihr ankamen. »Hier, Mama, damit du nicht so allein bist.» Als wenn ein Roboter das Alleinsein erträglicher machen würde. Doch irgendwie erleichtert Mathilde, so hab ich dieses technische Etwas genannt, mein Leben zugegebenermaßen wirklich. Früher, ja früher bin ich selbst einkaufen gegangen, nein mit meinem neuen Elektrorad gefahren! Den Berg runter ins Dorf und hab mir meine Sahne zum Tee gekauft. Und beim Bäcker ein Stück Kuchen dazu. Doch was ist jetzt? Gibt es den Bäcker überhaupt noch? Na, jedenfalls sage ich Mathilde jetzt, was ich brauche. Sie wandelt meine Worte in elektrische Impulse, leitet diese selbstständig samt ihrer Erkennungsdaten an irgendeinen Großrechner, der in irgendeiner Großstadt steht. Der schickt diese Daten zurück an den Laden im Ort, der vor 10 Jahren noch einfach Supermarkt hieß und dort packt ein gesteuerter Greifarm meine Sahne; die rollt über Förderbänder zu dem bereitstehenden Mini... ja.. Auto? Motorrad? E-Rolly. Der öffnet selbst seine Ladeklappe, die Sahne wird eingeladen und E-Rolly setzt sich in Bewegung. Durch Mathildes Eckdaten weiß das Ding, wo es hinrollen soll. Nach Grebendorf. Die Straße nach Neuerode hoch. Komisch, die Dörfer haben noch ihren Namen, nur zusätzlich ihre Erkennungszahlenkombination. Also E-Rolly macht sich auf den Weg, langsam aber stetig. Wenn er knapp vor meiner Haustür steht, sendet er ein Signal an Mathilde und die rollt zum Treppenlift, fährt aus dem ersten Stock mit ihm runter zur Haustür, die sich automatisch öffnet. E-Rolly dreht sein Hinterteil... äh... seine Ladeluke zur Mathilde, die greift sich das Sahne- töpfchen, wieder den Treppenlift hoch und ich krieg endlich meine Sahne. Toll, was? Und das ist nur so umfangreich, weil ich mich weigere, Mathilde ein irgendwie nach Sahne schmeckendes Mix- Etwas zusammenrühren zu lassen. Ich möchte schon etwas noch halbwegs Natürliches zu mir nehmen. Es gibt heutzutage Künstliches genug. 7 Nur wenn Mathilde einen Datenstau hat oder wenn die ganze dörfliche Atmosphäre voll mit Einkaufsdaten, Orientierungsdaten, Gesprächsdaten... was auch immer Daten voll ist... tja dann muss ich meinen Tee ohne Sahne trinken. Rote Boote von Martin Große Vielleicht sollte ich Mathilde doch mit meinem Superkühlschrank vernetzen, dann muss sie nicht jeden Tag mühsam abscannen, was noch vorrätig ist und kriegt gleich die entsprechende Order, etwas Fehlendes zu bestellen. Aber vorher genehmige ich ihr noch einen Neustart! Der Taxifahrer bekam auf seine Frage nur ein knappes „Hamburg“ erwidert. Die Antwort auf die zweite Frage, die nach dem Grund des Besuches seines Fahrgastes forschte, fiel ebenso knapp und abweisend aus und war mit „geschäftlich“ nur nebulös beantwortet. Der recht kurze Fahrweg! zwischen dem Reichensächser Bahnhof und Eschwege war ohnehin zu kurz um tiefgreifende Gespräche zu führen. Dann eben nicht, dachte der Taxifahrer. Der Fahrgast hieß Henning Kappes. „Mathilde? Mathilde!“ Es gibt viele Möglichkeiten sich Eschwege zu nähern. Die Erstaunlichste ist zweifellos das Befahren der Straße, die der Taxifahrer mit seinem wortkargen, in sich gekehrten Fahrgast nahm, die von Reichensachsen aus über eine gut ausgebaute Schnellstraße führt, und in breiten, gefälligen Schwüngen die Hügelkette südlich von Eschwege erklimmt. Oben angekommen eröffnet sich dem Betrachter ein geradezu fantastischer Blick auf die nordhessische Stadt und die umliegenden, dicht bewaldeten Höhenzüge und Berge. Diese Straße befuhr Henning Kappes in jungen Jahren unzählige Mal. Großmutter lebte in einem Reichensächser Altenheim und der kleine Henning mit seinen Eltern in einem stattlichen Fachwerkhaus mitten in Eschwege, bis zu dem Zeitpunkt, als ihm der Vater erklärte, dass die Familie umzöge. Nach Hamburg. Denn Vater war ein junger, aufstrebender Ingenieur und in Hamburg wurden Flugzeuge gebaut. Umgezogen wurde dann schnell und chaotisch. Die ersten Jahre in Hamburg waren aufreibend und unruhig. Es folgte das Abitur im Heisenberg Gymnasium und ein leidenschaftliches Studium am Hamburger Konservatorium. Und jetzt saß Henning Kappes in einem Taxi, unterwegs von Reichen8 9 sachsen nach Eschwege und kramte in den verborgenen Nischen seiner Erinnerungen und fand vieles wieder, wenn auch die Bilder der Erinnerung sich als größer darstellten, als aus der Sicht eines erwachsenen Mannes. „Können Sie bitte da oben rechts rausfahren und kurz anhalten?“ Henning Kappes wies auf die vor ihnen liegende Anhöhe, von der man diesen ganz besonderen Blick über Eschwege hatte. Der Taxifahrer tat es, und als das Fahrzeug zum Stehen gebracht wurde stiegen beide aus. Es war ein warmer, wolkenloser Spätsommertag zur Mittagszeit. Das Rotbraun der Dächer durchsetzt mit modernen in den Himmel ragenden Gebäuden bildeten eine optische Symbiose, die sich weit vom Westen bis tief in den Osten an die Hänge des Leuchtbergs erstreckte. Henning zeigte Richtung Osten, wo der Leuchtberg den Werratalsee zu berühren schien. „Die Baukräne da im See, … stehen die im Wasser?“ „Nein, nein“, antwortete der Taxifahrer, „die stehen auf einer Insel. Sie meinen die Seebühnen- Baustelle?“ „Seebühne?“ Henning legte die Stirn in Falten. Der Fahrer erzählte Henning von einer im Bau befindlichen Freilichtbühne im Werratalsee, genau in der Bucht der östlichen Insel und einer 2000 Besucher fassenden, modernen halbrunden Arena, die die Bucht ganz ausfüllen würde und einem außergewöhnlichen Fährdienst zum Erreichen der Insel, der allein schon den Besuch der Bühne zum Erlebnis machte und vom Mittelpunkt Europas, in dem sich Eschwege nun einfach mal befände. „Einen Spitznamen haben die Eschweger dem Bau auch schon verpasst. Hessisches Bregenz!“ Der Taxifahrer fühlte sich sichtlich wohl. Die Zeit drängte. Sie stiegen ein und fuhren weiter. Die doppelspurige Straße setzte sich als Allee fort und führte zielstrebig, bergab nach Eschwege hinein, vorbei an großen Parkflächen, die mit einer Vielzahl unterschiedlichster Busse bevölkert waren. Um die Busse herum schwirrten, quirlige Menschen wie bepackte Bienen um einen Bienenstock. 10 „Unsere asiatischen Gäste fluten wieder Eschwege.“ Der Taxifahrer war amüsiert. Eschweges Innenstadt war für Fahrzeug mit Verbrennungsmotor schon seit Jahren gesperrt. Die Touristen die noch mit alten Bussen Eschwege besuchten, mussten also umsteigen. Dazu stand eine Armada von blauweißen Mini-E-Bussen bereit. Das Ziel der Besucher war zumeist Brückenhausen. Lohgerber City wurde es treffend genannt und hatte schon seit Jahren seinen Ruf, der weit über die Grenzen Deutschlands reichte ausbauen können. In Lohgerber-City konnte man das Flair einer mittelalterlichen, deutschen Stadt hautnah erleben. Ein authentischer Genuss, aufgepeppt durch neueste Erlebniskommunikation, dem sich Gäste aus der ganzen Welt gern hingaben. Brückenhausen wurde das Aushängeschild der Region. Der Taxifahrer öffnete nach dem Passieren des Ortsschildes lautlos das Panoramadach seines E-Taxis, und Henning musterte die vorbei huschenden Fassaden. Weit geöffnete Fenster, wehende Gardinen, Musik, Grün in allen Facetten und all’ die dazugehörigen bunten Bilder und Laute einer geschäftigen, quirligen Stadt. Der Weg führte weiter an der alten Post vorbei zum Schlossplatz. Hier drängte sich Straßencafé an Straßencafé, dicht bevölkert von Menschen die es nach Sonne, Kaffee, menschlicher Nähe und anderen Genüssen dürstete. Schwarz gekleidete Kellner mühten sich, große Tabletts jonglierend, den Wünschen der Gäste nachzukommen. Ein irgendwo verborgener Straßenmusiker war zu hören, dessen Spiel fast überdeckt wurde von den lebhaften Geräuschen der Cafés. Und dann sah er es. Mitten über dem Schloßplatz schwebte ein Holobanner. Transparent, leicht und feenhaft verkündete es seine Botschaft in grünen, blauen und weißen Schriftzügen: The Planets / Holst, präsentiert vom Sinfonieorchester Hamburg auf dem Marktplatz zu Eschwege, am heutigen Tag im Jahr 2025, nach Sonnenuntergang. Der Taxifahrer spürte die ungeteilte Aufmerksamkeit die sein Fahrgast 11 dem Banner schenkte. „Sie sind Musiker. Sie gehören dazu!“ Henning zögerte mit der Antwort. „Ich gehöre dazu, bin aber kein Musiker.“ „Dann sind sie der Dirigent ?“ Tatsächlich war Henning Kappes weder Musiker der Hamburger Symphoniker, auch wenn er es vielleicht gern gewesen wäre und schon gar nicht Dirigent. Henning war Konzertorganisator. Er war Teilhaber der renommierten Konzertgesellschaft C-Conzerts-Hamburg, die Musikveranstaltungen der besten Orchester Europas plante, vermittelte und organisierte. Henning lächelte und schüttelte den Kopf. Der Taxifahrer bewegte das Auto mittlerweile im Schrittmodus und steuerte in Richtung Werrapromenade. Der Fluss war von vielen kleinen Booten belebt, und am anderen Ufer der Werra konnte man die ersten Gebäude von Brückenhausen erkennen. Das bunte Leben des Schlossplatzes setzte sich an der Werrapromenade fort. „Wir sind gleich da ,“ verkündete der Taxifahrer und steuerte sein Taxi mit aller Vorsicht durch die flanierenden Menschen am Stad vorbei, der einen Einblick in das innerstädtische Eschweger Leben gewährte. Vor einem Fachwerkhaus „Unter dem Berg“ hielt der Fahrer. Henning Kappes stieg aus und stand vor einer Dependance des Eschwege Stadthotels. Henning öffnete mit seiner Chipkarte die Eingangstür und wurde unmittelbar nach dem Eintreten in den hellen, luftigen Empfangsraum von einer freundlichen Frauenstimme und der dazugehörigen Holographie begrüßt. „Herzlich Willkommen im Stadthotel Eschwege.“ Das Stadthotel Eschwege bestand aus 26 kleinen und großen Fachwerkhäusern, die sich über das gesamte Altstadtgebiet Eschweges verteilten und über 200 Betten verfügte. Jedes dieser Häuser war modern und sehr individuell gestaltet und den Bedürfnissen eines zeitgemäßen Hotelbetriebes angepasst. Die freundliche Frauenstimme teilte Henning wichtige organisatorische und technische Einzelheiten mit. Die Liste der zur Verfügung stehenden 12 Restaurants, die für das leibliche Wohl der Hotelgäste verantwortlich zeichnete war lang und ließ keine Wünsche offen. Henning registriert die helle und großzügige Einrichtung nur am Rande und stieg sofort über eine breite Treppe in den ersten Stock. Er schob die weißen, leichten und bodenlangen Vorhänge zurück und öffnete die Tür zum Balkon. Würzig warme Luft schlug ihm entgegen. Er trat vor, stütze sich auf das Balkongeländer und ließ sich von der ihn umgebende Silhouette umarmen. Die Werra reflektierte glitzernd das Sonnenlicht, kleine Wellen schlugen an den Kiesstrand der Uferpromenade. Das gegenüberliegend Ufer war üppig begrünt. Der scheinbar ewige Bismarckturm, der immer noch als Spitze auf dem Leuchtberg thronte und mit einer riesigen blau- weißen Fahne beflaggt war, rundete das Bild nach Osten hin ab. Henning ließ sich in die bereit stehende Liege fallen und genoss den Anblick. Henning Kappes besuchte nur selten die von seiner Agentur organisierten Veranstaltungen. Dazu gab es ein spezielles Visitor-Team. Als er jedoch vor einigen Monaten den Namen „Eschwege“ in seiner Customer-List aufblitzen sah, beschloss er sich selbst auf den Weg zu machen. Und so lag er entspannt und mit geschlossenen Augen auf einer Liege über der Werra. Die Geräusche der vorbei schlendernden Menschen drangen nur gedämpft zu ihm. Wärme und ein tiefes Wohlbefinden umgaben ihn … Und dann erblickte er es. Ein rotes U-Boot zog gemächlich aber kraftvoll Werra-aufwärts. Eine leichte, schneeweiße Welle umspielte den Bug des riesigen, beeindruckenden Bootes. Auf der stolz erhobenen Brücke stand eine in weißer Uniform gekleidete, lachende Person und winkte in weit ausholenden Bewegungen Henning Kappes zu … Henning erwachte. Er registrierte sofort dass die Zeit drängte. Die tief stehende Sonne vergoss schon ihr verschwenderisches Rot. Mit geübten Handgriffen brachte Henning sein Aussehen auf den Stand, der einem abendlichen Kulturevent unter freiem Himmel angemessen 13 war und machte sich auf den Weg. Die engen Gassen, die zum Marktplatz führten, waren ihm noch vertraut, und so fand er schnell den richtigen Weg, indem er sich geschickt durch die Menschenmenge manövrierte. Trotz seiner Eile fiel ihm auf, dass den einst dem Verfall preisgegebenen Fachwerkhäusern neues, komfortables Leben eingehaucht wurde. Viele Bauherrn und leidenschaftliche Architekten mussten sich mit Erfolg dem historischen Eschwege gewidmet haben. Trotz alter Mauern, erstrahlten die Gassen in ein jugendlich, modernen Gewand. Dieser Eindruck bestätigte sich ebenso beim Erreichen des Marktplatzes. Eine riesenhafte Bühne, die den optischen Mittelpunkt des Marktplatzes bildete, lehnte sich an das stolze Fachwerk-Rathaus im Westen. Sie wurde überspannt von einem riesigen Dach, wäre es nicht in einem leuchtenden weiß gehalten, an einen Fledermausflügel erinnert hätte. Unzählige Reihen von rot-braun gepolsterten Stühlen bauten sich vor der Bühne in Reih und Glied auf, von denen schon eine ganze Anzahl von Konzertbesuchern besetzt waren. Die weit geöffneten und mit Publikum bevölkerten Fenster des den Platz umschließenden Häuserensembles ließen Henning an das Globe-Theater zu London denken. Auf dem Marktplatz wurde es hektisch. Sektgläser wurden leer getrunken, noch schnell ein paar Hände geschüttelt um dann zügig die reservierten Plätze einzunehmen. Die Scheinwerfer konkurrierten mit dem Restlicht der untergegangenen Sonne, als auf der Bühne der Kulturbeauftragte der Stadt erschien und die Besucher und Musiker des Sinfonieorchesters Hamburg mit warmen Worten begrüßte , die daraufhin die Bühne unter anhaltendem Applaus der Konzertbesucher in Besitz nahm. Und dann wurde es ganz still. Und noch bevor der Dirigent unter Jubelstürmen sein Pult betrat schaute sich Henning Kappes noch einmal um, betrachtete die Szenerie aus der Sicht eines Konzertbesuchers und war mit sich und der Welt tief zufrieden. Es war ein rauschender Konzertabend. Die Magie des Ortes verband sich mit dem monumentalen, vollendeten Klang des Orchesters, gleich einer Orgie aus Licht und Tönen, die sich anschickte den Himmel über den Dächern der Stadt zu erobern. 14 Überschwänglicher Applaus. Zugabe. Frenetischer Jubel. Zugabe Am nächsten Morgen, es mag wohl gegen 10 Uhr gewesen sein, summte ein Handy. Henning Kappes lag schon eine geraume Zeit wach, geweckt durch das beständige Schlagen der weißen, leichten und bodenlangen Vorhänge. „Hallo, … Henning Kappes.“ Obwohl er wusste wer der Gesprächspartner sein würde, meldete er sich förmlich. „Henning wo bist du? Wir warten auf dich, … seit über einer Stunde.“ Die drängende Stimme seines Geschäftspartners war deutlich zu hören. Henning suchte nach geeigneten Worten. „Ich bin noch hier am Konzertort.“ Pause. „Es ist etwas dazwischen gekommen.“ Die folgende Pause war länger und angefüllt mit knisternder Spannung. „Henning, wie du weißt haben wir seit einer Stunde eine wichtigen Konferenz, was um alles in der Welt ist … dazwischen gekommen?“ „Ein rotes U-Boot … .“ 15 15. März 2025 oder Von geschenkten und verpassten Chancen von Andrea Römer Ich sitze in meiner Penthousewohnung, schaue auf die Skyline der Großstadt, während irgendeiner der 468 empfangbaren Sender an die Wand projiziert wird. Grandiose Bildqualität, neueste Technik – nur das Programm ist konstant schlechter geworden. Nach meinem täglichen Dienst in einer der weltweit modernsten Kliniken mit der neuesten technischen Ausstattung – die halbe arabische Welt kommt zu uns - fühle ich mich leer und einsam. Essen beim besten Italiener der Stadt, Training im teuersten Fitnessstudio mit anschließender Hot-Stone-Massage und Ayurvedabad, Logenplatz in der Oper… alles nicht schlecht, aber wirklich glücklich macht es mich auch nicht. Am Wochenende habe ich nach 10 Jahren endlich alte Freunde in Eschwege besucht. Und seitdem bereue ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Entscheidung. Aber das konnte ja keiner wissen. Hätte ich es gewusst- … Für mich sah damals alles so aus, als würden sie sich zwischen „Wir sind vom Land“- Minderwertigkeitskomplex, „Aber wir haben die Ahle Worscht“- Verbohrtheit und „Wenn wir uns nur anstrengen kommen wir schon hinterher“-Mentalität endgültig ins Abseits schießen. Ich will nicht ungerecht sein - sie haben sich alle Mühe gegeben. Über Kitaplätze, Nahversorgung, seniorengerechtes Wohnen, „Tu‘s hier“ und Marktplatzgestaltung bis zu Ehrenamtsstärkung, Kulturförderung und neuem Stadtbahnhof, sie haben sich wirklich angestrengt. Hunderte von Arbeitskreisen hatten sich damit beschäftigt, wie man den Werra-MeißnerKreis attraktiv gestalten kann, wie man den demografischen Wandel konstruktiv nutzen kann, wie Inklusion umgesetzt werden sollte. Aber hinter allen „Wir können stolz auf uns sein“- Bekundungen schlummerte die alte Angst, die so lange geschürt worden war. Die jahrzehntelange Kopfwäsche war auch in den letzten Winkel gedrungen und hatte sich festgesetzt. Bei den Worten „Arbeitslosigkeit“, „Schulden“ oder „Leerstand“, überfiel ein kollektives Heulen und Zähneklappern den Land16 kreis, das jeden traf, selbst die erklärten Optimisten. Die sogar am meisten. Heimlich. Egal welche Slogans man sich ausdachte, die Verknüpfungen saßen felsenfest in den Köpfen: Arbeit = Geld = Wachstum = Fortschritt = Wohlstand = erstrebenswerter Zustand. Schließlich gab ich meine Hoffnung auf wirklich neue Wege frustriert auf und ging zurück in die Großstadt. Das Paradigma von Arbeit, Wachstum und Wohlstand war natürlich nicht nur im WMK so lange unumstößlich. Deshalb dauerte es auch ewig, bis man sich endlich aus rein finanziellen Gründen zum längst fälligen bedingungslosen Grundeinkommen durchgerungen hatte. Statt Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld, Bafög und all den anderen staatlichen Zuschüssen und Einkommensformen die es gab, bekam ab 2018 jeder Mensch regelmäßig ohne Antragstellung so viel Geld, das niemand mehr existenziell bedroht war. Wohnen und gesund Essen konnte jetzt jeder, Lernen und Kultur waren kein Luxus mehr. Das führte überall dazu, dass immer mehr Menschen das taten, was ihnen Spaß machte und was sie besonders gut konnten. Im WMK wirkte sich genau das als „Katapult“ aus. Jetzt zahlte sich aus, dass der Kreis nicht, wie so viele andere, alles verkauft hatte. Es gab genügend Möglichkeiten, das kreative Potenzial der idealistischen Osthessen setzte ungeahnte Fähigkeiten frei und sorgte in kürzester Zeit für ein neues Selbstbewusstsein. Nach dem Vorbild der Wanfrieder Rentnertruppe, die schon seit Jahren alte Häuser renoviert und verkauft hatte, wurden jetzt im gesamten Kreis leer stehende Gebäude renoviert. Angeleitet von tatkräftigen RentnerInnen und gelernten HandwerkerInnen, unterstützt von ehemals Langzeitarbeitslosen, unzufriedenen BeamtInnen und Schulklassen glich die Aktivität tatsächlich einer Epidemie. In unglaublichem Tempo strahlte ein Haus nach dem anderen neuen Charme aus und inspirierte weitere unentdeckte Talente, die sich jetzt zeigen konnten. Pfiffige Heizsysteme, langlebige Möbel, unkonventionelle Gartengestaltung und umweltschonende Reinigungsmethoden wurden gebaut und umgesetzt und jede Neuerung wurde stolz präsentiert und weitergegeben. Das gemeinsame Arbeiten und Lernen motivierte nicht nur alle Beteiligen, sondern auch die NachbarInnen. Und jetzt zahlte sich 17 die „Überalterung“ tatsächlich aus. Gerade die Ältesten hatten Kniffs und Tricks und längst vergessenes Wissen, das sich als wahre Goldgrube erwies. Reparieren, ausbessern, Ressourcen optimal nutzen, dass alles war ja lange nicht gefragt. Die Wirtschaft sollte durch immer mehr Produktion angekurbelt werden, und um die meist überflüssigen Produkte an den Mann oder an die Frau zu bringen mussten sie möglichst kurzlebig sein. Diesem Zwang unterlagen die neuen Interessengemeinschaften nicht, zu groß war die Freude an dem, was da unter ihren Händen entstand und zu zufrieden waren sie mit ihrer neuen Freiheit. Sie bauten und schafften, holten sich Anregungen aus der Umgebung und verfolgten, wie ihre Werke genutzt wurden. Groß und klein, alt und jung, die neuen Räume boten sich neuen Lebensformen an. In der ebenerdigen Villa ließ sich eine Wohngemeinschaft aus vier Generationen nieder, in dem verwinkelten Fachwerkhaus eine Gruppe aus KünstlerInnen und HandwerkerInnen, auf dem renovierten Bauernhof Tier- und Gartenliebhaber und im Fabrikgelände eine bunte Mischung aus allen, die besonders die Gemeinschaft pflegen und Raum für individuelle Entwicklungen fördern wollte. Jede Stadt und jeder Ortsteil konnte sich wieder einen Kindergarten und eine Grundschule leisten, die Räume waren da und die Personalkosten weggefallen. Mit engagierten ErzieherInnen und Lehrkräften, angeregt durch die Aktivität vor Ort, lernten schon die Kleinsten ihre Begabungen und Fähigkeiten zu erkennen und zu nutzen. Überall führte das neue Handeln auch zu neuem Denken. Wieso sollte man die Marmelade im Supermarkt, den Kuchen im Backshop und den Grillrost im Obi kaufen? Als man noch im Arbeits- und Freizeitstress zwischen Auto, Büro und Fitnessstudio gefangen war, ging es vielleicht nicht anders, aber jetzt? Ehemalige Erzieherinnen, vordem schlecht bezahlte Küchenhilfen und MetallarbeiterInnen die ihren Ein-Euro-Jobs entflohen waren genossen das Köcheln und Backen, das Schweißen und Werkeln und die glücklichen Gesichter satter MitbewohnerInnen und FreundInnen. Während die einen sägten, hämmerten und anstrichen, vergnügten sich andere an Ofen und Herd, gaben ihr Wissen in nichteuklidischer Geometrie an wirklich interessierte SchülerInnen weiter oder erfreuten mit ihrem A-Capella-Gesang Haus und Hof. Auch die ortsansässigen 18 HändlerInnen hatten sich inzwischen darauf eingestellt. Kleine mittelständische Unternehmen, Familienbetriebe und Kollektive bedienten die Wünsche nach solidem Werkzeug, heimischen Baumaterialien, sinnvoller ökonomischer Technik, ökologischen Lebensmitteln und handgefertigten Textilien. Motivierte und begabte Auszubildende gab es im Überfluss. Befreit vom Druck guter Zeugnisse aus schlechten Schulen bewarben sie sich mit ihrem Talent und ihrer Geschicklichkeit, mit dem Wunsch etwas zu lernen. Und weil kein Betrieb dadurch Kosten hatte, nahmen sie alle, die echtes Interesse hatten und wurden immer besser. Kaum eine große Marktkette hatte sich unter dem Qualitätsdruck gehalten. Die Katastrophenorakel waren vergessen. Vorm Fernsehgerät auf dem Sofa hielt es fast niemand mehr aus, wo man doch an jeder Ecke Respekt und Wertschätzung bekam für das was man konnte. Keiner verlangte mehr, dass man als Baggerfahrer Kranke pflegte, als Erzieher Wurst verkaufte oder hunderte von Bewerbungsschreiben anfertigte. Auch hier erwies sich ein lange als Nachteil empfundener Zustand als Vorteil: der hohe Anteil an ehemaligen Arbeitslosen und sogenannten „schlecht Qualifizierten“ war so zufrieden mit dem sicheren Lebensstandard, dass sie gerne ihre Fähigkeiten da einsetzten, wo sie gebraucht wurden. Auch die ehemals „Behinderten“, entwickelten ungeahnte Ressourcen, nachdem sie nicht mehr ständig ihre Bedürftigkeit beweisen mussten, um überleben zu können. In den wirklich existenziell wichtigen Lebensbereichen die mit Nahrung, Hygiene und Pflege zu tun haben, sind sie inzwischen fast überrepräsentiert und genießen entsprechendes Ansehen. Die Annahme, dass keiner mehr arbeiten wolle wenn es nicht notwendig wäre, erwies sich schnell als Trugschluss. Im Gegenteil, teilweise wurde es geradezu ein Privileg, an einer bestimmten Stelle arbeiten zu dürfen. In der Schule zum Beispiel oder im Krankenhaus. Selbst der Landrat und viele der BürgermeisterInnen blieben in ihrem Job, weil sie ihn wirklich gerne machten. Beim Landrat gab vor allem die Möglichkeit wieder als Schiedsrichter aktiv zu sein den Ausschlag, trotz Gehaltseinbußen das Amt weiter zu führen. Viele Besuche, Reden und Sitzungen waren überflüssig geworden, weil die 19 Menschen sich ihres Wertes und ihrer Wirksamkeit bewusst waren. Ein gut gepfiffenes Spiel war wichtiger geworden als eine ausgefeilte Rede. Die Finanzierungsfrage des Grundeinkommens hatte sich natürlich, wie von Fachleuten längst berechnet, erledigt. Die Ersparnisse an staatlichen Hilfen und Unterstützungen und die Stelleneinsparungen bei den bearbeitenden Ämtern waren erwartet worden. Die Einbußen an Vermögens-, Gewerbe- und Einkommensteuer trafen die strukturschwachen Gegenden deutlich weniger als die großen Ballungsgebiete. Auch hier profitierte der WMK von einem lange bestehenden Nachteil, der sich plötzlich als Vorteil erwies. Dazu kam, dass durch die schnelle Umstrukturierung im Kreis eine Exportwelle hochwertiger einheimischer Güter erfolgte, die unerwartete Steuereinnahmen brachte. Die mit dem Grundeinkommen eingeführte Mehrwertsteuer von 50% auf alle nicht lebensnotwenigen Produkte erwies sich als wahrer Segen. Auch der Tourismus boomte. Als der WMK 2020 als „Innovative Vorbildregion Europas“ ausgezeichnet wurde, kamen Neugierige aus der ganzen Welt. Die vielen neu renovierten Häuser, die außergewöhnlichen kulturellen Angebote und die traumhafte abgeschiedene Landschaft, dazu fast überall hochwertiges regionales Essen, ungewöhnliche und wertvolle einheimische Produkte und Kunstwerke boten den Gästen eine einmalige Vielfalt neuer Erfahrungen. Bestärkt durch dieses internationale Interesse, die planbaren Einnahmen und vor allem durch die damit verbundene Bestärkung des eingeschlagenen Weges handelte man bedächtig. Der Erhalt des Erreichten und die Wahrung der gemeinsamen Güter wurden von allen als höchste Priorität gesehen. Keine externe Firma baute Hotels oder Feriendörfer, kein Hotelier wurde angeworben, keine neue Straße gebaut und erst recht kein Flugplatz. Die Häuser, die noch leer standen, durften so bleiben, sie bestärkten den Charme der Gegend wie die verfallenen Ruinen in Rom. Fast alle hatten inzwischen erkannt und erlebt, dass Wachstum nicht das Allheilmittel war und ihr Wohlbefinden nicht vom Geld abhing. Mit diesem neuen Selbstbewusstsein bekannten sie sich gerne zu ihren „Schwächen“, die sich endlich als Stärken erwiesen hatten. Hier sollte zuallererst jeder seinen Platz und seine Wertschätzung behalten, das war die wahre Wertschöpfung. Das 20 Potenzial des Kreises bestand in der Vielfalt und Kreativität seiner BewohnerInnen und seiner Landschaft. Das galt es zu erhalten. Alles andere, wie Steuereinnahmen, Export, Tourismus, war Luxus, war nachrangig. Und machte alleine nicht glücklich. Und so sitze ich hier in meiner schönen teuren Luxuswohnung und bin nicht glücklich. Ich bereue meine Entscheidung von damals. Mit ein bisschen mehr Geduld hätte ich auch teilhaben können, würde in einem der schönen Häuser mit netten MitbewohnerInnen kochen und singen, hätte fröhliche Kinder um mich und könnte von der Weisheit alter Menschen profitieren. Ich wanderte auf dem Meissner und führe Rad an der Werra, statt im Fitnessstudio auf dem Laufband zu traben. Ich könnte den Luxus meines Grundeinkommens und meiner Freiheit schätzen, der abgebrochene Fuß meines Schreibtisches würde von Otto repariert und ich käme gar nicht auf die Idee, mir von meinem üppigen Zusatzgehalt einen neuen zu kaufen. Ich würde nur noch an drei Tagen in der Woche im Krankenhaus arbeiten, einen Tag in der Kita und einen Tag im Garten. Und Theater spielen. Und zweimal im Jahr nähme ich mir einen Monat frei zum Schreiben und Malen. Was würde ich schon vermissen? Das Fernsehprogramm? Die teuren Bilder an der Wand? Den BMW? Den Urlaub auf den Malediven? Den Urlaub vielleicht, alles andere definitiv nicht. Und den Urlaub wahrscheinlich auch nicht, weil ich gar keine „Auszeit“ mehr brauchen werde. Was hält mich also? Ist es am Ende die eingebrannte Verknüpfung Arbeit = Geld = Wachstum = Fortschritt = Wohlstand = erstrebenswerter Zustand? Dann sollte ich mich mal schnellstens von der Kopfwäsche befreien. Am besten in Osthessen. Vielleicht kann ich von denen was lernen. Wahrscheinlich sogar. Morgen ziehe ich um. 21 Das Warten von Finn Seifert Eschwege im Jahr 2025. Sie wartet. Voller Aufregung erwartet sie den nahenden Zug. Er steigt aus, sieht sich kurz um und schon fällt sie ihm um den Hals. Glücklich gehen sie zusammen nach Hause. In vielen Teilen der Welt herrschen Kriege um Wasser. Der Kampf der Nationen um natürliche Ressourcen hat fast jeden Winkel der Erde erreicht. Der Werra- Meißner- Kreis schafft für das junge Paar eine Insel des Friedens. Zwei Jahre später steht sie zur selben Zeit am Bahnsteig und wartet. Langsamer werdend kommt der kurze, blaue Zug schließlich zum Stehen. Sie umarmt den austeigenden Mann, es ist ihr Verlobter. Sie fühlt sich sicher. Glücklich gehen sie zusammen nach Hause. Die USA sind keine Weltmacht mehr. China und Indien beherrschen die Finanzmärkte der Erde. Die Krisen kommen und gehen. Wieder zwei Jahre später steht sie am gleichen Ort und wartet. Geduldig wartet sie auf die Ankunft des Zuges. Schließlich kommt die Lock zum Stehen, die Türen öffnen sich und der Mann, der aussteigt, ist ihr Ehemann. Als Ehepaar gehen sie glücklicher als je zuvor nach Hause. Die Veränderungen weltweit vollziehen sich immer schneller. Regierungen werden gestürzt und durch neue ersetzt. Doch die Zeit im Werra-Meißner-Kreis scheint stehenzubleiben. Alles scheint so geblieben zu sein, wie es schon zu ihrer Kindheit war. Stehend wartet sie am Bahnhof. Vier weitere Jahre sind vergangen. Sie hat ein Kind auf dem Arm. Der Zug kommt langsam in den Bahnhof gefahren und die kleine Familie ist wieder vereint. Zum ersten Mal gehen sie zu dritt nach Hause. Die Pole schmelzen, die Menschen in den Großstädten leiden unter extremer Luftverschmutzung, doch die Menschen im Norden Hessens bleiben davon unberührt. So wie sie es bereits seit 30 Jahren kennen, werden die Felder bestellt, die Wälder genutzt und der Stolz auf die Natur und Artenvielfalt ist größer denn je. Zwei Jahre später steht ein kleiner Junge mit seiner Mutter am Bahnhof und wartet. Seine Mutter hat ein Kleinkind 22 auf dem Arm und ersehnt die Rückkehr ihres Mannes. Dieser kommt mit dem ankommenden Zug herangefahren. Als er aussteigt, wird er innig von seinem Sohn und seiner Ehefrau begrüßt. Seine kürzlich geborene Tochter erkennt ihn noch nicht. Die Zeit, in der die Familie voneinander getrennt ist, kommt ihnen viel länger vor als die gemeinsame. Doch er muss immer weg, um das Geld zu verdienen. Umso mehr genießt die Familie die kurzen Aufenthalte des Vaters. Auf dem Weg nach Hause denkt er darüber nach, wie schön er es doch eigentlich hier hat. Trotz seines durchschnittlichen Gehalts kann er bereits mit jungen Jahren in einem eigenen Haus wohnen. Wie oft sehnt er sich nach seiner Heimat wenn, er weit entfernt in der Stadt arbeitet. Die Ruhe und der Platz fehlen ihm. Die Lebensweise ist eine andere als in der Stadt und er ist glücklich mit seinem Leben auf dem Land. Trinkwasser ist mancherorts wertvoller als Öl, obwohl die Quellen bald erschöpft sind. Autos, die noch Benzin oder Diesel verbrennen, gelten als rückständig und werden von der Gesellschaft geächtet. Zwanzig Jahre später steht sie wieder am Bahnhof und wartet. Die beiden Kinder sind aus dem Haus. Studieren und arbeiten in fremden Ländern. Die Ankunft ihres Mannes wird für sie immer etwas Besonderes sein. Man kann sich an so Etwas nicht gewöhnen. Sie sieht ihn schon durch die Scheiben des Waggons, ehe dieser zum Stehen kommt. Es fühlt sich an wie damals. Für das Ehepaar könnte es ewig so weiter gehen. Doch die Zeit bleibt auch im Werra- Meißner- Kreis nicht stehen. Mit der weiterlaufenden Uhr altern Körper und Geist. Das Haar ergraut langsam und die Falten im Gesicht vertiefen sich. Doch das Gefühl bleibt dasselbe. Die Welt ist automatisiert, Computer bestimmen nahezu jeden Moment des Lebens. Die künstliche Intelligenz ist das Lieblingsthema der Wissenschaftler geworden. Kriege werden schon lange nicht mehr auf dem Schlachtfeld sondern im Internet gewonnen. Eschwege im Jahr 2090. Sie wartet. Erfüllt von Trauer erwartet sie den nahenden Zug. Doch diesmal steigt niemand aus. Niemand nimmt sie in die Arme und bringt sie nach Hause. Sie bleibt alleine stehen und sieht wie der Zug wieder abfährt. Eigentlich ist alles gleich geblieben und doch wird es nie wieder so sein wie zuvor. 23 2025 von Carsten Werner Die Smart Watch Uhr am Handgelenk signalisiert Simon Berg den Eingang einer neuen Nachricht auf dem Tablet vor ihm am Sitz. Er befindet sich gerade auf dem Weg von der Hauptstadt Berlin zurück nach Nordhessen. Im Flugzeug hat er noch einen Fensterplatz ergattert die first buisness class ist sonst immer schnell ausgebucht und nur das Blinken seiner Uhr stört ihn nun bei seinem Blick von oben auf das nordhessische Bergland, welches neben den vielen grünen Wäldern nun auch Heimat unzähliger Ungetüme mit drei Rotorblättern den sogenannten Windrädern mit einer Höhe von 200 m ist. Immerhin die Energiewende ist geschafft und alle Atomkraftwerke wenn auch nur in Deutschland gehören der Vergangenheit an zumindest was die Energieerzeugung betrifft. Die Entsorgung und der Rückbau: Dies steht auf einen anderen Blatt Papier… Nordhessen und vor allem der Werra-Meißner hat sich zur Energieregion entwickelt seitdem findige ortsansässige Ingenieure das Problem mit der Speicherung des erzeugten Wind- und Solarstroms erfolgreich gelöst haben. Simon Berg hält seine Smart Uhr an das Tablet, Daten werden ausgetauscht und folgende Nachricht erscheint auf dem Bildschirm direkt vor ihm: „Hallo Simon, Meeting um 14:00 Uhr im Schloss. Ich hoffe du hast gute Nachrichten dabei. Bis dann Ben.“ Ein Teil des District Managements Werra Meißner auch kurz DMWM genannt, wie die ehemalige Kreisverwaltung nun heißt befindet sich mittlerweile im umgebauten alten Schlosshotel in Eschwege. Das altehrwürdige Landgrafenschloss gegenüber – im Laufe der letzten Jahre ebenfalls aufwändig saniert – und das direkt zum Schlosshotel benachbarte Verwaltungsgebäude gehört gleichfalls zu den Liegenschaften. Simon Berg ist als Außendienstmitarbeiter des DMWM ständig auf Achse und spätestens wenn das Dietemannlied vom Turm glockenklar 24 aufgrund der aktuellen digitalen Klangtechnik mit 3D Sound über den Schlossplatz hallt kommt so etwas wie ein Heimatgefühl auf. Nur gut dass der Dietemann kein Slalom auf dem Turm fahren muss damit er die unzähligen Solarplatten auf dem neu gedeckten Dach umkurven kann. „Fasten your seat belts, please. Wir setzen demnächst zur Landung an!“ verkündet die Stimme an Bord. Der Mittelstreckenairbus, das neueste Modell in Sachen Energieeffizienz durch seinen Hybrid aus 80% Windturbine und 20% Düsenantrieb aus Kerosin ist auf dem vor kurzem eröffneten Hauptstadtflughafen Berlin gestartet und befindet sich im Landeanflug auf den wohl wichtigsten Flughafen im Herzen von Deutschland: Kassel-Calden. Regionalflughafen Erfurt, Regionalflughafen Paderborn-Lippstadt? Längst stillgelegt. Die Wahnsinnssummen des Flughafens BER nach erneuten Umbau und dem Abriss eines kompletten Terminals haben die Bundesregierung zum Umdenken bewogen und ein Konzept entwickelt, was die Flughafenstruktur gehörig durcheinander gewirbelt hat. Als Sieger ist der einst bei „Wer wird Millionär?“ so unrühmlich belächelte Airport Calden hervorgegangen auch aufgrund seiner hervorragenden Lage genau im Mittelpunkt von Deutschland. Berg angelt sich inzwischen seinen Trolley vom Gepäckband und quetscht sich durch die Menschenmassen des mittlerweile viel zu kleinen Abfertigungsgebäudes. Der Flughafen kann sich vor Passagieren kaum retten und platzt aus allen Nähten. Und just in diesem Moment ertönt unverkennbar die Melodie von „I will always love“ im Original von Whitney Houston jetzt etwas verunglimpft durch die unterlegten Dancefloor Beats der „Disco Boys“ aus den unsichtbaren Lautsprechern von Bergs Smartphone. Dies kann nur eins bedeuten: „Hallo Schatzi, wie geht’s dir und wann kommst du endlich nach Hause?“ vernimmt Simon die aufgeweckte Stimme seiner Frau Hanna, die jetzt Mittagspause hat und ansonsten in der Friedrich Wilhelm Schule dem einzigen Gymnasium in Eschwege unterrichtet. „Hallo Liebes. Ich bin gerade gelandet und…ah warte mal!“ Jemand hat ihn angerempelt und dabei ist seine Aktentasche runtergefallen. „So, Mann Oh Mann! Also…Ich habe ein Meeting um 14:00 Uhr und komme dann nach Hause.“ 25 Die Familie Berg bewohnt in Eschwege ein kleines aufwendig renoviertes Fachwerkgebäude in der Altstadt. Nordhessen und natürlich der Werra Meißner sind Simons Heimat und er fühlt sich wohl hier. Er liebt die Mittelgebirge und den Werratalsee in Eschwege, auf dem seine bildhübsche fünfzehnjährige Tochter Lea am liebsten in ihrer Freizeit dem Wakebordfahren nachgeht. Jetzt in den Sommermonaten werden wieder im Verein die Meisterschaften ausgetragen, die gilt es schließlich zu verteidigen in ihrer Altersklasse. Na, ja im Winter bei ausreichend Schnee muss der Meißner als Überbrückung mit Snowboardfahren Trost spenden. Viele betrachten es zwar als Raubbau an der Natur aber letztendlich konnte dann doch der Skilift bis nach Vockerode errichtet werden wobei dieser dazu beiträgt die Ferienregion Werra Meißner noch beliebter zu machen. Gott sei Dank ist die Rutschung am Hang zum Erliegen gekommen und das Schwalbenthal - mittlerweile zum Hotel umgebaut - ist seinem eigentlich schon besiegelten Schicksal in Form von Rückbau durch eine unerklärliche Laune der Natur nochmal davon gekommen. Doch als seien die Gittermasten nicht schon genug Rache für abgesackte Straßen und Bergbewegungen, die Sommerrodelbahn hat ein kluger Investor ebenfalls realisieren können. Hoffentlich rächt sich der Meißner nicht noch in anderer Form. Wie wär`s mit einem Vulkanausbruch? Doch der ist zum Glück längst erloschen und war Ursache für den jahrelangen Basaltsteinabbau. Unglaublich was mit dem technischen Fortschritt alles möglich ist: Erst jahrelange Entwicklungs- und Forschungsarbeit, horrende Kosten für die Umsetzung einer Strecke vom Flughafen Franz-Josef Strauß nach München-Stadt, Unfall auf der Teststrecke im Emsland und dann Einstellung aller Arbeiten und Verkauf der Technologie nach China. Und von dort zurück in Rekordbauzeit von nur 3 Jahren und vor allem ohne Kostenexplosion wie bei der Hamburger Elbphilharmonie direkt vor die Haustür des einstigen Erbauers TyssenKrupp: Die Magnetschwebebahn vom Flughafen Calden über den Fernbahnhof Kassel Wilhelmhöhe zur Tank- und Rastanlage Kassel Nord an der A7 ein Megaparkplatz mit seinen 500 LKW und 1.000 PKW Stellplätzen. Einen davon hat Bergs Elektroauto 26 belegt, welches sich mittlerweile fast geräuschlos der Anschlussstelle Kassel-Ost nähert. Der Bildschirm in der Mittelkonsole zeigt den Weg in Form einer Karte mit noch gut 10 km über die ehemalige B7 jetzt trassengleich umgewidmet als A44. Eine freundliche Stimme aus dem Navigationsgerät gespeist mit Daten aus den in Höhe von 5.000 m um die Erde kreisenden EU Satelliten weist zusätzlich akustisch den Weg. Was diese Erdtrabanten aber nicht wissen bzw. uns Autofahrer nicht preisgeben ist die Tatsache, dass diese unheimliche Planungs- und später dann auch Baugeschichte der A44 nach fast 100 Jahren endlich im letzten Jahr eine Ende gefunden hat mit der feierlichen Eröffnung der Werratalbrücke, welche das Reichensächser Tal in 35 m Höhe überspannt und die beiden Tunnel Trimberg und Spitzenberg verbindet. Plötzlich verschwindet die Kartendarstellung und ein wohl bekanntes Gesicht erscheint nun auf dem Flatscreen nachdem Simon den Kommunikationsannahmebutton am Lenkstick (früher hieß dies mal Lenkrad und war noch rund) gedrückt hat: „High, Simon, wollte nur mal sehen ob alles klappt oder ob du im Stau stehst!“ Lautes Gelächter auf beiden Seiten. Ben Müller, sein Vorgesetzter, ist in diesem Moment mit wohl rasierten Gesicht und einer leicht gebräunten Haut dank der Übermittlung via Skype auf dem Bildschirm in Bergs Elektroauto in Ultra High Definition 3D Auflösung bestens zu erkennen. Was aber auch nicht immer Vorteile mit sich bringt, denn auf der anderen Seite im Büro von Müller werden wohl einige Bartstoppeln von Simon gekonnt in Szene gesetzt. „Nein, alles okay. Ich werde pünktlich da sein!“ Das Lachen hat dem Umstand gegolten, dass Hessen mit der Aktion „Staufrei 2015“ dieses Problem in Form von Verkehrsbeeinflussungsanlagen und Seitenstreifenfreigabe wirkungsvoll bekämpft hat. Doch wie es viele Verkehrs-Prognosen schon prophezeit haben, lässt der Verkehr auf der A44 zwischen dem Abschnitt Kassel und Wommen an der A4 Anschlussstelle nun nicht gerade darauf schließen sich auf einer Autobahn zu befinden. Wenigstens die Anwohner der Ortschaften wie Bischhausen und Hoheneiche sind wirkungsvoll vor Lärm geschützt gerade auch weil sich die Trasse 27 häufig im Einschnitt oder unter Tage im Tunnel befindet. Die Ursache dafür, dass nur annähernd 20.000 Fahrzeuge pro Tag sich auf dieser Autobahn von Ost nach West und umgekehrt bewegen liegt wohl daran, dass die Einnahmen aus der LKW und PKW Maut in schwindelerregende Höhen gestiegen sind und die schwarz grüne Bundesregierung nicht weiß wohin mit dem ganzen Geld. Also eher wusste bis der ehemalige hessische und nun Bundesverkehrsminister Tarek al Wazir alte „urgrüne“ Grundsatzprogramme wieder ins Gespräch gebracht hat und nun werden Container im Güterverkehrszentrum in Kassel auf Züge verladen und per reaktivierter Strecke Kassel-Eschwege dort eben wieder umgeladen auf LKW. Der Transport auf der leider immer noch mehr als versalzenen Werra mit dem Bau eines entsprechenden Hafens in Eschwege ist dann doch mangels EU Fördergelder erst einmal auf Eis gelegt. Als Abhilfe weitere Erhöhung der Mineralölsteuer? Abwarten oder besser gleich E-Auto fahren, denn die Akkus dieser Fortbewegungsmittel können momentan kostenlos an jeder der im Werra Meißner Kreis gut 500 vorhandenen „Tankstellen“ aufgeladenen werden. Stromenergie aus Windkraft-, Wasserkraft oder Sonne ist hier nahezu unbegrenzt vorhanden und die zuvor bereits erwähnten Speicher haben noch eine begrenzte Kapazität. Doch sein Vorgesetzter ließ sich nicht so leicht abschütteln und bleibt immer noch auf dem Flatscreen sichtbar: „Nun sag schon, warst du erfolgreich in Berlin?“ „Du kannst dich auf mich verlassen. Näheres gleich im Meeting!“ Damit drückte er das Gespräch weg und schaltete in den Modus Musik. „Stones!“ redet Berg scheinbar mit einem Unsichtbaren. Die Musikanlage spielt nun wie gewünscht die neuesten Songs der Rock Opas der Rolling Stones um den Frontmann Mick Jagger und dem Gitarristen Keith Richards, der eigentlich schon vor 10 Jahren mausetot sein sollte und sich immer noch allerbester Gesundheit erfreut. „Hey Jude, don t bring me down…“ Die Stones haben sich auf ihre alten Tage tatsächlich dazu hinreißen lassen Beatles Songs zu covern… Mit Berieselung gleitet also Berg gemütlich auf der A 44 mit dem festgelegten Tempolimit von 80 km/h vollkommen LKW frei dahin bis zur 28 Anschlussstelle Eschwege, die er nach Fahrtantritt vor ca. einer halben Stunde nach gut 40 Autobahnkilometer erreicht. Von jetzt an führt der Weg auf der Verflechtungsstrecke zur B 27 um Reichensachsen als Umgehungsstraße vorbei. Seine Gedanken schweifen ab und er denkt an seine Familie und wie gut es ihnen hier geht. Einige seiner früheren Schulfreunde sind nach dem Studium weggezogen in Großstädte wie Stuttgart oder München. Sie haben Arbeit bei dem größten Automobilkonzern der Welt der Mercedes-BMW AG gefunden. Doch während er hier für sein Häuschen mit Kauf und den Umbau in ein verbrauchsarmes Fachwerkgebäude nahezu nur 100.000,- € bezahlt hat wird dieser Betrag in den beiden zuvor genannten Landeshauptstädten als Miete fällig und zwar lediglich für einen Stellplatz in einer Tiefgarage von den Wohnmieten ganz zu schweigen. Anstatt Betonklötze und Wohnhochhäuser ist die heimische Natur reich an Nadel- und Laubwälder, in denen sich wiederum eine Vielzahl von ehemals bedrohten Tierarten wohlfühlen wie Luchse und Wölfe um nur einige zu nennen. In den Betonwüsten der Millionenstädte (ja auch Stuttgart hat diese eine Million Grenze nun geknackt während München schon an der 2 arbeitet) fühlen sich eher Spezies der Art Bankmanager und Vorstandsvorsitzender wohl. Da geht es in Eschwege schon beschaulicher zu. Doch auch diese Stadt boomt und hat entgegen den Erwartungen annähernd 30.000 Einwohner. Dies hängt sicherlich auch mit dem Ankauf des immer noch Weltmarktführers SMA auf dem Bereich der Wechselrichterherstellung der ehemaligen Wölm Gebäude zusammen. Mehrere 1.000 Arbeitsplätze sind so entstanden und haben die Einwohnerzahl nach oben steigen lassen entgegen aller Prognosen. Negativer Beigeschmack der Verlagerung der Güter auf die Schiene hingegen ist gewesen, dass einige Logistikstandorte wie Amazon ihre Lager wie in Bad Hersfeld aufgegeben und näher an große Umschlagbahnhöfe wie Frankfurt am Main gebaut haben. Pläne für den Umbau der riesigen Hallen in der Kurstadt als Reparaturhangar für den Eurocargolifter liegen noch beim Bürgermeister in der Schublade. 29 Was für ein Glück noch ein Parkplatz frei in der neuen Tiefgarage unter dem ehemaligen Schlosshotel aber es gibt schließlich ja auch nur ein Fahrzeug mit dem Kennzeichen WMK-DM-111 und dies hat seinen angestammten Platz. Simon Berg betritt das Besprechungszimmer und wird von seinen Arbeitskollegen freundlich begrüßt. Nach den einleitenden Worten seines Vorgesetzten steht der Tagungspunkt „Förderanträge Berlin“ zur Diskussion. Berg berichtet ausführlich über seinen Besuch in der Bundeshauptstadt beim Bundeswirtschaftsministerium. „Der Herr Minister hat zugesagt uns für die Verzahnung der Innenstadt Eschwege mit der Werra und die damit einhergehende Umnutzung der alten Speichergebäude entlang des Flusses in ein neues Stadthotel mit Restaurant Fördergelder in Höhe von 500.000,- € zur Verfügung zu stellen unter der Bedingung noch nächstes Jahr mit den Bauarbeiten zu beginnen!“ „Gute Arbeit, Herr Berg! Nun denn lasst uns mit den Planungen beginnen, damit wir unsere Region weiter voranbringen!“ Die Neue Zeit von Erich Böck Lange noch saßen einige der Mitglieder aus den verschiedenen Regionalgruppen, sowie interessierte Bewohner, am Lagerfeuer zusammen und sprachen darüber, wie alles begann ... damals im Jahr 2013. Der Kreis Werra-Meißner hat sich in den letzen 20 Jahren sehr entwickelt ...zum Positiven. Damals, als die Region noch mit Abwanderung, Bevölkerungsrückgang und immer geringer werdender Infrastruktur, sowie großen Jobverlusten zu kämpfen hatte, tat sich eine Gruppe Visionäre zusammen, um diesem Treiben nicht weiter zuzuschauen. Die meisten Altbewohner waren eng verbunden mit ihrer Heimat und die wenigen neu zugezogenen waren begeistert, was sie im WerraMeißner Kreis alles erleben durften. Sie fanden hier eine wunderschöne Landschaft, idyllisch gelegen in der Mitte Deutschlands mit Seen, Wäldern, Fluß und Wiesen. Das alles eingebettet in ein, an die sanften Hügel der Toskana erinnernden Landschaft. Es erwartete die Neubürger eine Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Einwohner, die sich manchmal kaum in Worte fassen ließ. Auch heute, im Jahr 2025 ist an diesen Eigenschaften der Bewohner sogar noch eine stetige Steigerung erkennbar. Es kamen noch einige Eigenschaften mehr dazu, nämlich Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und Lebensfreude. Wodurch dies alles erreicht wurde? Nun, daran erinnern sich unsere Freunde am Lagerfeuer gerne. Die Visionäre, die sich damals zusammen mit Bürgermeistern, Landräten und Ortsvorstehern an einen Tisch setzten, hatten alle ihre Ideen und Pläne bis ins Detail ausgearbeitet. Im Gepäck hatten sie Pläne, die Viele zu dieser Zeit noch belächelten. Doch aus dem einstigen Belächeln wurde schnell ein AHA-Effekt. Die Visionäre wussten, von was sie sprachen. 30 31 Auch wenn sich vieles damals wie Utopie anhörte, so hatte es dennoch einen realen Hintergrund. Alles, was damals noch nach Zukunftsmusik klang, wurde bereits getestet und war größtenteils schon auf dem freien Markt erhältlich. Natürlich nicht im großen Stil, denn damit wären sie einigen Lobbyisten wohl ziemlich stark auf die Füße getreten. So kam es, dass sich die ersten Ideen mit finanzieller Unterstützung von Staat, der EU sowie privater Investoren sehr schnell umsetzen ließen. Seitdem wird der vor Ort durch Solar, Wind und Wasser gewonnene Strom in der eigenen Region verbraucht und das ganz ohne Schadstoffe zu produzieren. Durch diese Art der Stromgewinnung sind seitdem viel mehr Elektroautos auf den Strassen zu sehen. Egal ob Handwerker, Privatleute oder gar Autovermieter, die Nachfrage nach Elektroautos und E-Bikes stieg seither rasant an. Dies kam sogar einem regional tätigen Elektroauto Hersteller sehr gelegen. Auch er schreibt inzwischen schwarze Zahlen und schuf dadurch in Verbindung mit seinen Zulieferern viele zusätzliche Arbeitsplätze. Das Modell des Carsharing ist inzwischen auch sehr verbreitet. Nicht jeder, der ein Auto hat, nutzt es auch den ganzen Tag. In Zeiten in denen es nicht selbst genutzt wird, steht es einem regional agierendem Carpool zur Verfügung. Dort registriert, kann sich jedes Mitglied für wenig Geld ein Fahrzeug ausleihen und muss somit nicht die ganzen anfallenden Kosten, inklusive Wertverlust, alleine tragen. Durch diese Art der Fahrzeugvermietung kam auch der Tourismus in Schwung. Die Gegend rund um den hohen Meißner und das Werratal lassen sich mit E-Bikes locker und gemütlich erkunden. Auch die Zahl der Übernachtungen stieg wieder stark an. Durch die Idee, ökologische Baustoffe zu benutzen und neue Wege in alternative Bauweisen einzuschlagen, entstanden ganze Ferienhaus Siedlungen mit Strohballenhäusern und andere Naturbauten, die sich autark mit allem Benötigtem versorgen. Durch die überwiegend positiven Presseberichte und Medienauftritte über die Entwicklung des Kreises, stieg das Interesse daran in ganz Deutschland. Sogar aus dem Ausland kamen Delegationen, um sich 32 hier Anregungen für die eigenen Länder zu holen, um dem demografischen Wandel entgegen zu wirken. Die Lebensmittel werden selbstverständlich auch wieder überwiegend regional angebaut. Dies geschieht durch Gewächshäuser, die sich das ganze Jahr über selbst mit Strom versorgen und somit ein dauerhaftes Wachstum, auch exotischer Pflanzen, garantieren können. Landwirte, Gärtnereien und auch viele Hobbygärtner nutzen inzwischen die alten Anbaumethoden, ergänzt mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie man ganz ohne künstliche Dünger, oder gar Gentechnik, eine ertragreiche und gesunde Ernte einfahren kann. Verkauft werden die regional erzeugten Lebensmittel täglisch frisch auf Märkten und in Geschäften, die sich auf Regionalprodukte spezialisiert haben. Da durch eigene Gewächshäuser, die sich selbst mit Strom versorgen, die Preise für die Herstellung der Lebensmittel relativ gering ist, gibt es auch fast keine Discounter mehr, die ihre Ware teilweise durch ganz Europa und die Welt heran schaffen müssen. Die Bevölkerung hat längst erkannt, dass dies völlig unnötig und sehr umweltschädlich ist und kauft daher die benötigten Artikel lieber als regional erzeugte Produkte. Somit stärken sie die örtliche Infrastruktur und sichern sich dadurch ihre eigenen Arbeitsplätze. Beim Thema Arbeitsplätze hat sich auch sehr viel getan in der Entwicklung des Kreises. Inzwischen gibt es ein sogenanntes Grundeinkommen, das sich testweise in unserer Region etabliert hat. Jedem Bürger steht ein monatlich festes Einkommen zu, das sich durch Einsparung von Ämtern, Bürokratie und weiterer Kosten finanziert. Obwohl sich die Mehrwertsteuer zur Mitfinanzierung dieses Einkommens erhöht hat, bleibt den Menschen dennoch mehr Geld übrig als vorher. Viele müssen nicht mehr für viel zu geringe Einkommen zur Arbeit gehen, denn durch das Grundeinkommen sind die wichtigsten Ausgaben zum leben bereits gedeckt. Somit arbeiten viele nur noch in Teilzeit. Das schaffte zusätzliche Arbeitsplätze und die Menschen sind viel motivierter bei der Arbeit, da sie sich nebenbei noch um eigene Interessen und Hobbys, sowie 33 natürlich auch der Familie widmen können. Auch haben viele Menschen sich mit ihrem „Hobby“ nebenbei selbständig gemacht und sorgen so mit weiteren Steuern dazu, das Grundeinkommen zu stützen. Die Lebensqualität der Bewohner hat sich somit um ein Vielfaches gesteigert. Mein Freund Fred 2025 von Heidi Brundig Durch diese gesteigerte Lebensqualität, haben die Menschen ein viel tieferes Verständnis und Empfinden für Natur, Tiere und ihre Mitmenschen entwickelt. Man trifft sich wieder mehr mit Freunden, Nachbarn und Familie und sorgt somit für ein besseres soziales Umfeld. Alte Menschen werden nicht mehr in Heime abgeschoben, denn die Kinder haben nun wieder mehr Zeit, um sich um die „Alten“ zu kümmern. Man nimmt gerne wieder deren Können und Wissen an, welches sonst verloren gegangen wäre. Mehrgenerationen Wohn- & Lebensprojekte gibt es inzwischen in fast jedem, noch so kleinen Ort. Fred ist immer freundlich und niemals schlecht gelaunt. Ohne ihn könnte ich nicht mehr alleine in meiner Wohnung sein. Er ist rund um die Uhr für mich da. Zugegeben, ein guter Gesellschafter ist er nicht. Aber zum Ausgleich skype ich mindestens einmal die Woche mit meinen Freunden. Die sind im ganzen Bundesgebiet verteilt. Im Zeichen der Globalisierung ist jeder irgendwo anders gelandet und eben hängen geblieben. Bei unseren virtuellen Treffen haben wir viel Spaß und man verliert sich nicht aus den Augen. Natürlich sprechen wir auch unsere Probleme an und geben uns gegenseitig Tipps. Auch für die Kinder wurden neue Projektschulen ins Leben gerufen. Die Schulen sind in ihrer Art ganz anders, viel praxisorientierter, geworden. Die Kinder haben kein so großes Lernpensum mehr zu tragen, sondern sind durch praktische Unterrichtsstunden viel mehr naturverbunden. Das Lernen macht nun wieder Spaß, da die Kinder hier wieder Kind sein dürfen. Über vieles der Wandlung des Kreises liesse sich noch berichten, doch das Lagerfeuer ist schon längst nur noch eine Glut. Die Menschen in dieser Runde wurden nicht müde, sich über diesen Wandel, der sich in all den Jahren vollzogen hat, auszutauschen. Eile hat hier niemand mehr, die Zeiten der Hetze und des Stress sind lange vorbei. Die Bewohner sind entspannter geworden, was auch teilweise durch das Grundeinkommen geschehen ist. Dies hatte Vielen eine große Last von den Schultern genommen und das Selbstwertgefühl der Menschen gestärkt. Bis zur Morgendämmerung saßen sie noch zusammen und machten neue Pläne, was sich noch alles zur Steigerung der Lebensqualität im Werra-Meißner Kreis tun läßt. 34 Daher weiß ich auch unsere kleine Stadt im Werra-Meißner-Kreis zu schätzen. Es ist alles vorhanden, was man zum Leben braucht und das auf engstem Raum. Mein Vater hatte das vor einem guten Jahrzehnt schon festgestellt und zog im Alter von immerhin 92 Jahren von Mannheim nach Witzenhausen. Er wurde über 100 Jahre alt und hat seine Entscheidung nie bereut. Die Menschen hier sind vernetzt und man kennt sich. Egal ob wir zum Einkaufen, Bummeln oder zu einem Treffen in die Innenstadt wollen, alles ist in Kürze zu erreichen. Auf der anderen Seite ist man ebenso schnell in herrlicher Natur. Durch die Uni sind viele Mensche aus fremden Ländern hier sesshaft geworden. Wir müssen nicht in die Welt hinaus, die Welt ist zu uns gekommen. In den Generationshäusern, ist die Betreuung der Senioren gut organisiert. Die Zentren werden ähnlich wie Hotels geführt. In den Seniorenzimmern wird gepflegt, Freunde und Bekannte können sich ebenso 35 besuchsweise einmieten, aber auch junge Menschen, meist Studenten, wohnen in einem Trakt. Wenn mir Freds Hilfe nicht mehr ausreicht, ziehe ich gleichfalls in ein Generationshaus. Natürlich sind die Kosten hierfür teurer wie meine derzeitigen Aufwendungen. Aber auch das haben meine Freunde schon festgestellt: hier lässt es sich nicht nur gut leben, sondern obendrein vergleichsweise preiswert. Selbst die gesundheitliche Versorgung ist super gelöst. Im Bedarfsfall übermittelt Fred alle relevanten Daten, wie z.B. Blutdruck, Blutwerte und welche Beschwerden aufgetreten sind. Falls nötig macht er einen Termin aus und in den so genannten Arztmobilen wird vor Ort praktiziert. Der nächste Montag ist wieder ein schlimmer Tag. Fred muss zur Inspektion. Zweimal jährlich werden die Pflegeroboter überprüft und die Programme den veränderten Ansprüchen angepasst. Manches mal hat er danach auch wieder ein paar neue Wörter auf Lager. Na, ja auch ein Roboter kann einem ans Herz wachsen. Falls er mich doch einmal nervt, schalte ich die Sprachwiedergabe ab oder schicke ihn an seine Ladestation. 36 Zwischen gestern und morgen von Larissa Knapmeyer „Wuaaaah!“ Die Personen springen erschrocken auseinander. Das kleine Mädchen kommt als Erste neugierig näher. „B-b-b-bleib weg von mir!“, hallt der angsterfüllte Schrei durch die Burg. Das Skelett springt einen Schritt zurück: „Dein Monster kann mir nichts anhaben.“ Das Mädchen guckt erstaunt an sich runter: „Meinst du Hello Kitty? Die ist doch nur aufgedruckt!“ Ein erzwungenes Lachen ertönt. „Na gut, wenn du diese Meinung vertrittst.“ Er wird gemustert: „Ich kenn dich. Dein Bild hängt im Gang. Du warst mal der Herrscher der Burg.“ „Das stimmt, ich bin Hugo. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Apple.“ „Zu meiner Zeit gab es einen solchen Namen nicht, aber die liegt ja auch schon ein paar Jahrhunderte zurück.“ „Ah ja“, sie guckt etwas skeptisch. Sein Blick schweift zum Fenster. „Was sind das für Lichter?“, er guckt verwirrt, „Befindet sich eine Wäscheleine über den Gewässern?“ „Häh? Was für Gewässer?“ Apple versteht nichts. „Na, die blauen Fluten, die sich unter uns langschlängeln.“ „Du meinst die Werra mit dem See. Deine Wäscheleine ist eine Seilbahn, damit kannst du über den ganzen See fahren. Der Strand ist ein beliebter Treffpunkt für alle. Die Lichter gehören zur Jugendherberge. Kennst du das Johannisfest?“ „Natürlich! Zu meiner Zeit war es sehr beliebt.“ Apple guckt ungläubig: „Okay, das und das Open Flair ziehen immer Massen von Besuchern an. Es sind immer alle Jugendherbergen voll, deswegen wurde die neue in Schwebda gegründet.“ Hugo guckt verwirrt: „Zu meiner Zeit war alles viel kleiner.“ „Sagen meine Eltern auch immer. Es sind viel mehr Leute hierhergezogen. Vor allem Alte. Das liegt wohl an der schönen Natur und der Ruhe.“ Sie guckt kritisch. „Und was sollen diese grauen hohen Monster an Betonmassen verkörpern?“ Sie lacht: „Hochhäuser mit Wellnessbereich. Danach fühlt sich jeder wie neugeboren. Musst du mal ausprobieren.“ „Ich? Ich glaube nicht.“ Sie grinst. „Kennst du Burg Hanstein?“ „Natürlich, mein ehemaliger Erzfeind 37 wollt mich mit seinen Festen ausstechen.“ „Heute könnte er dir das Essen liefern. Die Burg ist ein 5- Sterne- Hotel. Nur für gehobene Gäste wenn du verstehst, trotzdem immer voll belegt.“ „Ich versteh nicht ganz, aber wieso hast du eigentlich Zutritt zu meiner Burg?“ „Deine Burg dient gemeinnützigen Zwecken. Viel cooler als so ein Nobelhotel.“ „Gemeinhutzig?“ „Gemeinnützig! Gruppen können hier für niedrige Preise Lager veranstalten.“ „Das klingt nicht schlecht.“ Er guckt zu den Sternen. „Wie die Welt sich verändert hat.“ Apple reißt ihre Augen auf. Was für ein Traum. Vielleicht war der Besuch heute im Kerker doch etwas zu viel. Rückblick von Salome Belling „Wie sieht es draußen aus?“, fragte sie. „Es ist kalt“, antwortete ich, während ich meine Schuhe von meinen Füßen zog und sie unter die Heizung schob. „Das beantwortet nicht meine Frage“. Die Stimme kam aus der hinteren Ecke des Raumes. Dort, wo das alte schwarze Ledersofa stand, auf dem sie immer saß. Ich schwieg. „Wieso hast du so lang gebraucht?“, fragte sie mit einem hässlichen Unterton in der Stimme, der während der letzten Monate ihr Freund geworden war. „Das Auto ist nicht angesprungen, ich musste das Fahrrad nehmen“, sagte ich. Seitdem alle Läden in nächster Nähe zugemacht hatten, brauchte man mit dem Fahrrad eine halbe bis zu einer Stunde zum Lebensmittelladen. Je nachdem wo man sich gerade befand. Das Vorankommen mit dem Bus schien gänzlich unmöglich. Tagsüber kamen die Busse unregelmäßig und nach Einbruch der Dunkelheit fielen die öffentlichen Verkehrsmittel oft komplett aus. „Pack den Einkauf in den Kühlschrank und setz dich dann zu mir, ich habe uns Kaffee gemacht.“ Sie wollte nie in ein Altersheim und sie hasste es, nichts tun zu können. –Das tat sie schon immer. Aber nachdem meine Eltern zurück nach Berlin gezogen waren, weil mein Vater dort wieder ein Jobangebot bekam, musste sie sich damit abfinden. Ich selbst hatte nach meinem Studium einen Arbeitsplatz eine Stunde entfernt von hier gefunden. So oft ich konnte kam ich sie besuchen. 38 39 Ich setzte mich zu ihr. „Sie haben mir wieder meine Rente gekürzt.“ „Ich weiß“, sagte ich. „Ich weiß.“ „Ausbeuter sind das.“ Ich schwieg. „Würde dein Großvater sehen, wo ich gelandet bin, er würde es nicht glauben.“ Ihre Hand zitterte stark, als sie nach der Tasse griff. Sie hatte sich lange gehalten, das gefiel mir an ihr. Doch in den letzten Jahren war auch sie alt geworden und ihr Gesicht war gekennzeichnet durch Falten an den Schläfen und um die Mundwinkel herum. Ich schloss für einen Moment meine Augen und nahm einen Schluck von dem Kaffee. Während mir der bittersüße Geschmack auf der Zunge zerfloss, ging ich in meinen Gedanken zurück. Ich sehnte mich sehr, nach meiner alten Umgebung. Zwar war sie noch dieselbe, wie vor 10 Jahren, doch hatte sich viel getan. „Wie geht es deinen Geschwistern?“ „Gut, denke ich.“ „Sie melden sich kaum bei mir“, sagte sie und legte ihre Stirn in Kraus. „Sie haben viel zu tun.“ Umso trauriger, dass es offensichtlich kaum jemand geschafft hat hier zu bleiben. „Du hörst mir gar nicht zu!“ „Doch, doch.“ „Sie wollen meinen Lieblingsladen zumachen.“ Noch einer weniger. „Ich hab’s gelesen. Es tut mir leid.“ „Du kannst ja nichts dafür.“ „Ich bring dir demnächst etwas Schönes aus der Stadt mit“, sagte ich. Sie verstand nicht, wie es so weit kommen konnte. Ich konnte es ebenso kaum begreifen. Rückblickend auf das, was ich erlebt hatte, und auf das, was ich mit diesem Ort verband, schien diese Wandlung unmöglich zu sein. Doch sie war da und sie hatte nicht vor sobald wieder zu gehen. Die meisten öffentlichen Plätze für Jugendliche, die ich früher oft genutzt hatte, sind heute nicht mehr vorhanden. Die Frage, die sich mir aufdrängte war jene, ob diese Umgebung veraltet ist, weil die Jugendlichen alle in die Großstädte zogen, oder ob die Jugendlichen in die Großstädte zogen, weil die Umgebung veraltete. Ich denke zurück, an die Tage, die wir bei schönem Wetter am See verbrachten. Sobald die ersten Sonnenstrahlen rauskamen, waren wir die Ersten, die sich in Gruppen an den See setzen und darüber redeten, wie glücklich wir uns eigentlich schätzen konnten, hier aufzuwachsen. 40 41 Jubiläum in Gefahr Freundschaften, die (nicht) die Welt verändern. von Sarah Grosser Es ist eine schöne Woche für die 18-Jährige Ursula-Maria Meyer. Denn sie zieht vom Wohnheim für Behinderte Kinder & Jugendliche in Reichensachsen ins Betreute Wohnen nach Eschwege. Das ist auch für sie näher an dem Übungsraum von ihrem Fanfarenzug dran, in dem sie Fanfare spielt. Sie macht auch mehrfach die Woche Sport & liebt es auch zu singen. Sie ist eine erwachsene Frau wie jede andere auch. Nur sie ist geistig Behindert. Das heißt: sie hat z.b. leichte Probleme beim lernen. Oder sie hatte als kleines Baby elliptische Anfälle gehabt. Das sind Anfälle die über das Gehirn entstehen können. Diese können sehr verschieden aussehen. Man sieht & merkt diese Behinderung kaum. Es ist halt so wie es ist. Jetzt ist sie gerade im betreuten Wohnen angekommen. „Wo ist denn das Apartment in dem ich einziehen soll?“ „Komm mit ich zeige es dir gerne.“ Sagt der Betreuer. „ok danke das sie es mir gezeigt haben.“ Sagte Ursula als sie in das Apartment rein kommen. „gern geschehen. Wenn du was wissen möchtest musst du nur fragen.“ „ja mache ich.“ Der Betreuer ging aus dem Apartment. „so jetzt erst mal die Taschen auspacken.“ Dachte Ursula sich & machte sich an die Arbeit. Jetzt klingelt auch ihr Handy. Ihre beste Freundin Marie ruft an. „Hallo Marie.“ Sagt Ursula fröhlich wie immer. Doch was sie da hörte war nicht gerade schön. Denn Marie liegt mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus. „Hallo Ursula. Hier ist die Mama von Marie. Sie wurde gerade mit einem gebrochenen Bein ins Krankenhaus gebracht. & sie hat sich gewünscht, dass du sie besuchen kommst. “ „Soll ich wenn ich mit allem fertig bin zum Krankenhaus kommen?“ „nein ich hole dich dann ab.“ „ok danke das sie mich abholen. Ich rufe sie dann zurück wenn alles getan ist.“ „ja ist gut Tschüss.“ „Tschüss bis später.“ Jetzt muss es aber schnell gehen. Denn sie möchte unbedingt ihre beste Freundin sehen. Marie ist eine der Freundinnen die Ursula trotz ihrer geistigen Behinderung mögen. sie und die anderen kamen sie 42 gerne im Wohnheim besuchen. Marie & Ursula kennen sich durch ein Fußballspiel ihren gemeinsamen Lieblingsfußballverein (dem Adler Weidenhausen) im Kreis. Darauf waren sie schon als 7 jährige besonders stolz das es hier viele Fußball- Handball & Musikvereine gibt, auch auf die Werraland Werkstätten & auch auf die Sänger, Sängerinnen & Bands hier im Kreis. Sie haben sich von Anfang an echt super verstanden. Wenn es mal streit gab redeten sie drüber und versöhnten sich auch wieder. Während sie ihre Taschen auspackte & ihr Apartment so langsam wie sie es sich wünschte wurde, kam Riccardo einer ihrer Mitbewohner zu ihr & fragte „na du bist bestimmt die Ursula-Maria Meyer. Oder?“ „ja die bin ich. & wer bist du?“ „oh ich habe vergessen mich vorzustellen. Ich heiße Riccardo Lehmann. Ich bin hier im Heimbeirat. Du kannst immer wenn du Sorgen oder reden möchtest zu mir kommen.“ „Oh cool danke. Behältst du auch die Sachen die man dir erzählt für dich?“ „Ja klar. Aber ich würde jetzt gerne alleine sein.“ „ok dann bis dann“ „bis dann“. Riccardo geht aus ihrem Apartment. Jetzt ist sie endlich fertig & dann jetzt Maries Mama wegen abholen anrufen. „Hallo hier ist Ursula. Ich wollte nur sagen das ich jetzt fertig bin mit allem.“ „ok ich bin in 5 Minuten da. Bist du gut angekommen?“„ja bin gut angekommen.“ „wo wohnst du denn jetzt?“ „Ich wohne da wo das Amtsgericht in der Straße ist.“ „ok bis gleich“ „bis gleich Tschüß“. 5 Minuten später war die Mama von Marie da. „danke noch mal, dass sie mich mitnehmen.“ „Nix zudanken“ „sag mal auf was warst du 2014 hier in der Region besonders stolz?“ „da wurde Inklusion schon gelebt. & auch das hier viel grün ist.“ „mehr als in Kassel?“ „ja genau“ „ok“. Jetzt sind sie beim Krankenhaus angekommen. „Da ist ja Marie schon.“ sagte Ursula als sie ihre beste Freundin im Rollstuhl erkannte. „hallo Marie. Wie geht es dir denn?“ „Hallo Ursula. den Umständen entsprechend bescheiden.“ „ja ich sehe es dir an.“ „Freue mich auch dich zusehen.“ „ja aber du weißt ja wie ich es meine.“ „gut genug“. „Was hast du denn angestellt?“ „Ich möchte nicht drüber reden.“ „Ok wollte nur fragen.“ „ich weiß.“ Sie redeten lange zusammen. Leider musste Ursula wieder zurück. Marie & Ursula verabschieden sich von einander. Als Ursula wieder im betreuten Wohnen ankam wurde sie von den anderen Be43 wohnern einmal so richtig aufgenommen. „Danke für die Willkommensparty. „Das ist eine sehr nette Begrüßung. Das habt ihr auch schön organisiert. Habe mich sehr drüber gefreut.“ Sagte sie als sie etwas sagen sollte. Als die Party fertig war redete sie mit Riccardo. „Freut mich, dass die Willkommensparty dir gefallen hat Ursula.“ Riccardo geht jetzt aus Ursulas Apartment. Am nächsten Tag ging Ursula wieder zu Marie. Da bekommen die beiden Freundinnen gesagt, dass Marie in 2 Tagen wenn alles gut läuft aus dem Krankenhaus entlassen wird. Da sind die beiden natürlich sehr froh drüber. „Da freue ich mich schon sehr darauf.“ Sagte Ursula als die beiden Freundinnen im Zimmer von Marie waren. „und ich mich erst.“ freute sich Marie. „Sag mal Ursula, kommst du auch zum Fußballspiel von Eschwege 07 gegen unsere Freunde hier in Eschwege?“ „so weit ich weiß komme ich.“ „na dann ist es ja gut. Dann können wir ja unser 10-jähriges Freundschafts-Jubiläum nachfeiern. Oder? Denn das wollten wir letztes Jahr schon immer machen. Es hat aber nie geklappt.“ „Na klar da wäre ich dabei. Nur was wollen wir noch machen? Außer dem Fußballspiel anschauen?“ „Wir könnten ja zum Kletterwald und klettern gehen. Was hältst du davon?“ „na das ist ja mal eine gute Idee Marie. Auf die Idee wäre ich jetzt nicht gekommen.“ „du kommst auch auf gute Ideen.“ „ich weiß.“. So kam es auch. Der Tag des Fußballspieles von Eschwege 07 & dem Adler Weidenhausen die Ursula & Marie „ihre Freunde“ nennen beginnt. Ursula & Marie treffen sich am Eingang zur Torwiese hier lernten sich die beiden Freundinnen kennen und freundeten sich auch gleich an. und die beiden Freundinnen freuten sich auch dass ihre „Freunde“ das Spiel auch 3:1 gewonnen haben. „so jetzt können wir ja im Kletterwald so richtig unser 10 Jähriges nachfeiern.“ Sagte Ursula. „ähm Ursula. Das geht schlecht mit meinem Bein.“ Sagte Marie. „schade aber wir könnten ins Kino gehen. & dann anschließend an den Werratalsee.“ „ja das ist eine gute Idee. Wenn es für dich ok ist würde ich den Eintritt bezahlen & das du das Popcorn bezahlst.“ „Da wäre ich dabei.“. Beim Kino angekommen entschieden sich die beiden das sie sich „die ewige Freundschaft“ mit Til Schweiger anschauen möchten da dies für die beiden passend zum 10. Jubiläum ihrer Freundschaft fanden. Marie bezahlte den Eintritt und 44 Ursula eine große Tüte Popcorn. Gut das Marie nur noch Krücken braucht, denn für einen Rollstuhl gibt es zwar eine Rampe, aber Marie mag es lieber wenn sich frei bewegen kann. Das hat sie jetzt durch die Verletzung im Bein gelernt. Sie gehen in den Saal wo der Film laufen soll. Als der Film fertig war gingen Ursula & Marie erst mal zum Werratalsee, danach zum Betreuten Wohnen & Ursula zeige Marie ihr Apartment. „wow das hast du dir aber schön eingerichtet.“ Sagte Marie als sie sich umgesehen hatte. „danke soll ich deine Mama anrufen das sie dich abholt?“ „ja gerne.“ Dies tat Ursula auch. 5 Minuten später kam Maries Mama auch. „Freut mich, das euer Jubiläum so gut ablief.“ Sagte sie als Ursula & Marie ihr von ihrem Tag erzählten. Danach verabschieden sie sich & Marie & ihre Mama fuhren weg. Ursula machte sich Bettfertig, packte ihre Tasche für die Arbeit am nächsten Tag, Sie sagte sich: „Das war ein schöner Tag heute. Aber ich bin auch froh das er auch rum ist.“ und legte sich schlafen. Auch wenn die beiden Freundinnen nicht wie geplant in den Kletterwald konnten. Aber sie sind auch froh dass das Freibad in Eschwege wieder aufgemacht hat. Vielleicht gehen sie da das nächste Mal rein wenn es auf hat. Es war wirklich trotzdem ein schöner Tag. Als Maries Bein wieder richtig gesund war gingen Ursula und Marie ins Freibad. Da wurde das Jubiläum erst mal so richtig gefeiert. Denn die beiden Freundinnen hatten Ursulas Vereinskollegen & Mitbewohner & Maries Ärzte die sie während dem Beinbruch betreut hatten eingeladen. Es gab auch im Betreutem Wohnen auch eine Überraschung für die beiden: der Adler Weidenhausen kam zu besuch um den beiden Freundinnen zum Jubiläum persönlich zu gratulieren. Das war eine sehr schöne Überraschung für die beiden. Dieser schöne Tag ging für die beiden viel zu schnell vorbei. 45 In Herzen Deutschlands - der Werra-Meissner-Kreis von Michael vor dem Berge Wir schreiben das Jahr 2025. Ich sitze am Bootssteg des Meinharder Skipper Clubs in Jestädt. Immer wieder ziehen Sportboote vorbei, deren Besatzung freundlich herüber grüßt. Wer hätte das damals im Jahr 2014 gedacht. Kurz nach der Wende (Wiedervereinigung der beiden Deutschen Länder) ist es im WMK still geworden. Industriebetriebe waren abgewandert, Arbeitsplätze gingen verloren, die Bevölkerung hatte abgenommen. Viele Gemeinden waren verschuldet und unter den hessischen Rettungsschirm geschlüpft. Das hatte zur Erhöhung der Abgaben in den Gemeinden geführt, Grundsteuer, Hundesteuer und vieles mehr. Das machte vor allem älteren Menschen, Rentnern und Pensioären Schwierigkeiten. Junge Menschen wanderten ab in Gebiete, wo Arbeitsplätze und höherer Verdienst locken. Die Gesellschaft im WMK überalterte. Tourismus lief nur schwach und ungleichmäßig. Warum? Durch die Abwanderung waren die Immobilienpreise gesunken, es gab kaum noch Neubauprojekte. Warum nur und was konnte man tun? Der WMK liegt im Herzen Deutschlands, in einem landschaftlich super attraktiven Gebiet, mit Wasser, Bergen, Burgen ausgedehnten Wäldern und Spazierwegen. Einfach so hinnehmen, resignieren oder was? Das Jahr 2014 brachte die Wende, im Denken und im Handeln. Blicken wir zurück: Die Bürgermeister aller Städte und Gemeinden treffen sich zu einem Meeting auf dem Hohen Meissner. Ideen und Ablehnung treffen hart aufeinander. Die eine Seite findet neue Ideen ganz toll, andere halten Ideen für Spinnerei und ein großer Teil hält das alles für überhaupt nicht finanzierbar – also unmöglich. Dann kommt ein guter Vorschlag. Man könnte es vielleicht doch versuchen, mit den Erfahrungen, Wissen und Zeit der Pensionäre und Rentner. 46 Diese Leute müssen nicht angestellt, also keine neuen Planstellen geschaffen werden. Die geringe Kostenerstattung kann sich jede Gemeinde leicht leisten. In einem zweiten Meeting kommt es zu einer Entscheidung. Mit sofortiger Wirkung stellt jede Stadt 2 Rentner und jede Gemeinde 1 Rentner an, die eine Arbeitsgruppe bilden. Jeden 1. Montag im Monat trifft sich diese Arbeitsgruppe und erarbeitet neue Vorschläge, startet Projekte und überwacht diese. Da Industrie nicht so leicht zurück zu bringen ist, beginnt man mit der Förderung des Tourismus. Mit sanftem Tourismus, der mit der Natur im Einklang steht. Bald ist auch die EU überzeugt und steigt mit in die Finanzierung ein. Das Radwegenetz wird weiter ausgebaut und, wo notwendig, restauriert. Und was ist mit der Werra? Eine ungenutzte Attraktion. Dabei handelt es sich um eine Bundeswasserstraße. Schnell kommt es zu Verhandlungen mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt in Hann. Münden. Es wird beschlossen die seit Jahren defekte Schleuse vor Hann .Münden wieder instand zu setzen und Hindernisse im Flußbett zu entfernen. Somit ist die Werra für Sportboote bis Wanfried wieder befahrbar. Inzwischen ist die Autobahn von Kassel bis Reichensachsen fertig gestellt. Reisende aus Kassel erreichen nun den WMK in nur 30 Minuten. Der WMK ist per Bahn, mit dem Auto und dem Boot leicht erreichbar. Entlang der Werra wurden in Witzenhausen, Bad Sooden, Eschwege und Wanfried kleine Häfen für die Sportboote angelegt. Dadurch bildeten sich schnell neue Gastronomiebetriebe an den Häfen und weiteren Bootsstegen. Wo nun wieder Verkehr ist, braucht man auch Tankstellen, Service-Betriebe und Zubehörhändler. Ein pfiffiger Ausflugsbootbetreiber aus Hann. Münden hat von der neuen Möglichkeit erfahren und richtet eine regelmäßige Schiffsverbindung bis Wanfried ein, auf der auch Fahrräder mitgenommen werden können. Jetzt können Radtouristen – und ihre Zahl ist enorm gestiegen, nachdem die Kraftstoffpreise inzwischen auf 4,00 € je Liter gestiegen sind – mit dem Rad das Werratal rauf fahren und nach einer Übernachtung mit dem Schiff zurück fahren. Ein Busunternehmer aus Eschwege richtet eine Busver47 bindung mit Fahrradanhänger von Kassel über Melsungen, Eschwege bis Bad Sooden ein. (2x täglich am Wochenende) Gezielte Direktwerbung bei Firmen wie VW in Kassel oder B. Braun in Melsungen lässt die Zahl der Besucher ständig wachsen. Inzwischen haben die Gemeinden und deren Bürgermeister umgedacht und locken die Interessenten mit besonders günstigen Steuersätzen und niedrigen Gebühren. Kleine dezentrale Windkraftanlagen in Neuerode, bei Wanfried und bei Jestädt sorgen in Kombination mit Solaranlagen und Wasserkraft für eine preisgünstige und sichere Stromversorgung. Das alles bleibt den Einwohnern von Göttingen, Hersfeld, Melsungen und Kassel (man ist ja Internet vernetzt) nicht verborgen und auf Grund der guten Verkehrsanbindung suchen nun wieder viele eine Immobilie oder mindestens ein Ferienhaus im WMK. Die Bürgermeister der Gemeinden nutzen das und bieten entsprechende Baugelände für Eigenheime und Feriensiedlungen an, ähnlich wie an der Müritzer Seenplatte nach der Wende. Schon seit 2011 hatte der Wanfrieder Bürgermeister mit einer ähnlichen Aktion einige Holländer in sein Gemeinegebiet geholt. Jetzt kommen noch viele Weitere, da die Werra ja wieder mit dem Boot befahren werden kann. Der sehr aktive Bürgermeister von Eschwege erkennt das Potenzial und setzt sich nun endlich für noch mehr Attraktivität seiner zentral gelegenen Stadt ein und eröffnet am Rande von Eschwege einen Sportflugplatz für 1 und 2 motorige Sportflugzeuge, Leichtflugzeuge sowie Hubschrauber. Bereits seit dem Jahr 2020 erholt sich das Herz der Region in der Mitte Deutschlands wieder sehr schnell. Durch die vielen Bauprojekte geht es Handwerkern und den mittelständischen Betrieben wieder gut, sie suchen Arbeitskräfte aus Nah und Fern und damit ist Zuzug aus anderen Gegenden Deutschlands und Europas gewährleistet. Wo die Wirtschaft gut läuft lässt auch die Industrie nicht lange auf sich warten und siedelt Zweigbetriebe und Niederlassungen an. Ja, wer hätte das damals 2014 gedacht, von der kränkelnden Ente zum stolzen Schwan – der Werra Meissner Kreis. Ich bin froh, dass ich hier leben darf – im Herzen Deutschlands. 48 Ich träumte … von Peter Klebe Ich träumte, wir sitzen auf der Terrasse, die Sonne scheint warm Schon im Februar, ich hab Dich im Arm, Wir blicken Richtung Leuchtberg, genießen die Zeit, die uns bleibt, ganz entspannt zu zweit. Morgen fahren wir nach Eschwege, gehen in die Stadt, die viele, kleine Fachgeschäfte hat, dann in die Schloss Galerie, mit Rolltreppen drin, und ins Café Wolf, wo ich manchmal zum Frühstücken bin. Wir stöbern in den Läden und kaufen auf dem Markt, was wir brauchen, und haben sogar noch gespart, weil wir nur kaufen, was auf dem Einkaufszettel steht, und weil s nicht nur um Schnäppchenjagd geht. Ich träumte, das wir gemeinsam auf eine Radtour geh´n, durchs Werratal, vorbei an den See´n, Flussabwärts zur Perle, vorbei am Ludwigstein, im Hof Kindvatter in Witzenhausen kehren wir ein. Da gibt s kleine Gerichte, feinen Kuchen vom Buffet, Wasser, Apfelschorle und Kaffee oder Tee, frisch gestärkt geht s zurück, das Wetter ist schön, obwohl wir fast 70 sind, ist das kein Problem. Ich träumte, in Eschwege gibt s keine Ampeln mehr, die wurden alle ersetzt durch den Kreisverkehr, und die Autos gleiten vorbei fast lautlos und still, und die Luft ist sauber, ein tolles Gefühl. 49 Ich träumte, dass McDonalds 10.000 neue Stellen schafft, den Artikel hat die neue Werra Rundschau gebracht, Ende März 2025 ist Abgabeschluß, für Bewerbungen, die man bis dahin abgeben muss. Endlich Zuhause von Marie Wilhelm Denn ab Mai tritt ein neues Gesetz in Kraft, das diese neuen Arbeitsplätze schafft, jede Filiale braucht dann ein Müllbeseitigungs-Team, die zum Müllsammeln am Morgen über die Parkplätze zieh´n. Der Zug hält. Sie steigt aus. Der Bahnhof ist leer, nur ihre Mutter steht an ihrem Auto und wartet auf sie. Sie läuft auf ihre Mutter zu und umarmt sie zur Begrüßung. „Na endlich!" ,sagt ihre Mutter, „ich habe mich schon die ganze Woche darauf gefreut, dass du heute nach Hause kommst". „Ich mich auch", lügt sie und lächelt ihre Mutter an. Es war ihre schon immer alles zu klein hier gewesen, hier war einfach nichts los. Sie wollte schon immer in einer großen Stadt wohnen. Ihre Mutter lädt ihre Taschen in das Auto und sie steigen beide ein. Ich träumte, man denkt über neue Bahnstrecken nach, eine über Wanfried und Treffurt nach Eisenach. Und eine die Eschwege mit dem Flugplatz Kassel Calden verbindet, wo man problemlos Flüge nach ganz Europa findet. So fängt dann der Urlaub schon auf dem Eschweger Stadtbahnhof an, weil man dann ganz bequem mit dem Cantus starten kann, Eine Stunde später steht man am Flugplatz und checkt ein, und genießt den Kaffee vor dem Abflug, so schön kann Urlaub sein. Doch jeder Traum endet irgendwann, das Leben holt mich ein, doch mir wird klar, wenn man nur fest genug daran glauben kann, weiß ich, werden Träume wahr... Ihre Mutter fährt los. Sie hatte ihr immer geraten in der Heimat zu bleiben, wo sie einen Ausbildungsplatz im Reisebüro ihrer Tante sicher gehabt hätte und immer nah bei ihren Schulfreundinnen und ihrer Familie gewesen wäre. Aber sie hatte sich gegen den Willen ihrer Mutter dagegen entschieden, war von zu Hause weggezogen, um in einer großen Stadt glücklich zu werden. „Guck mal, deine alte Schule!", sagt ihre Mutter. Sie schreckt auf. Sie betrachtet das alte Gebäude im Vorbeifahren und denkt über ihre Schulzeit nach. Sie hatte immer viel Spaß gehabt mit ihren Freundinnen. Nach dem Unterricht waren sie oft zusammen zum Schwimmen gegangen. Im Winter ins Eschweger Hallenbad und im Sommer an den See. Sie hatte ihre Freundinnen, seit sie von hier weg gegangen war, nur selten gesehen, obwohl viele noch hier wohnten oder zurück, gekommen waren. In der Großstadt hatte sie sich, anders als sie erwartet hatte, schwer getan, neue Freunde zu finden. Anders als hier, wo sie immer jemanden getroffen hatte, sobald sie aus dem Hause ging, fühlte sie sich in der großen Stadt oft einsam. 50 51 Ihre Mutter biegt ab auf die Werrabrücke und sie denkt, wie schön Eschwege doch eigentlich aussah mit seinen Fachwerkhäusern, verglichen zu den Hochhäusern aus ihrem Wohnblock in der Stadt. Der ist ihr so vertraut. Sie hatte in den letzten Monaten Schwierigkeiten gehabt, Geld für die Miete ihrer Wohnung aufzubringen. In ihrer Beziehung lief es auch nicht mehr so gut. Ihre Mutter biegt in die Straße ein, wo ihr Elternhaus steht. „Gleich sind wir da“, sagt ihre Mutter. „Endlich zu Hause", denkt sie. Wir schreiben das Jahr 2025 in Laudenbach im Werra-Meißner-Kreis von Burkhard Burschel Wir haben es richtig gemacht. Wir haben in de n 70iger Jahren die richtigen Weichen gestellt. Den Wahnsinn der Zentralisation haben wir nicht mit gemacht. Die Grundlage unseres Erfolges war die Übernahme der Bahnstrecken. Wir haben die kleinen Bahnstrecke n als Lebensadern ausgebaut. Es kam billiger, als die Züge durch dutzende Busse zu ersetzen. Wir haben die Bahnhöfe unter gewissen Auflagen günstig verkauft. Die neuen Besitzer haben sich verpflichtet, die unteren Räume als Bahnshop, Warteraum mit Toilette und Kiosk zu betreiben. Eine ideale Stelle für die "Hausfrau". Wenn nichts los ist, kann sie private Sachen erledigen und wird nur bei Bedarf durch eine Klingel gerufen. Die Lagerschuppen fungieren als Verteilerzentrale für sämtliche Läden und Firmen in unserem Dorf. Dafür wurde eine Vollzeitstelle geschaffen. Da wir hier nur kurze Strecken zu bewältigen müssen, sind die Transporter alles Elektrofahrzeuge. Die längste Strecke beträgt ca. 3 km bis zur weitesten Abladestelle. Jeden Tag kommt ein oder mehrere Waggons mit Post und Waren für unser Dorf. Wir haben ca. 1400 Einwohner. Im Dorf gibt es mehrere kleine Lebensmittelgeschäfte auf das Gemeindegebiet verteilen, eine Apotheke, einen Zahnarzt, einen Praktischen Arzt, eine Gärtnerei, mehrere Gaststätten, eine Disco, ein Elektrogeschäft und ein Bekleidungsgeschäft. Es sind keine großen Märkte wie Aldi oder Lidl, aber dafür eben mehr Menschen davon. Und was nicht vorrätig ist, wird bestellt und ist am nächsten Tag da. 52 53 Wir haben die Infrastruktur, die unsere Väter und Großväter mit der Eisenbahn in Jahrzehnten aufgebaut haben nicht totgemacht, sondern ausgebaut. Vor ca. 30 Jahren kam dann das Internet. Wir haben die Bahnstrecken genutzt und an ihnen Glasfaserstrecken entlang gelegt und die Bahnhöfe als Knotenpunkte ausgebaut. Dadurch konnten wir unsere Dörfer viel schneller als andere Kreise mit schnellem Internet versorgen. Unsere Bürgersteige sind so konstruiert, dass wir immer wieder ohne großen Aufwand Leitungen tauschen oder nachverlegen können. Dies war am Anfang etwas teurer, aber auf Dauer gesehen, wesentlich billiger. Dies vorausschauende langfristige Denken haben wir von unseren Eltern und Großeltern übernommen. Kurzfristige Entscheidungen gibt es bei uns nicht. Unser Dorfleben wurde durch das in den1980iger Jahren gebaute Bürgerhaus weiter gefördert. Schon beim Planen und auch bei den Bauarbeiten wurden die Bürger und die ansässigen Firmen mit einbezogen. Es sollte kein Prachtbau werden, in dem sich ein geltungsbedürftiger Architekt verwirklichen will, sondern ein zweckmäßiger Bau, der leicht zu pflegen ist und Jahrzehnte überdauert. Daher war von vorn herein auch ein Flachdach indiskutabel. Es wurde ein eckiges Gebäude mit schrägem Dach ohne Schnörkel, von dem auch keine großen Folgekosten erwartet werden mussten. Auf der in Saal integrierten Bühne feierten auch unsere Hoaderlumpen", die Laienspielgruppe unseres Dorfes, jedes Jahr große Erfolge. Das Dorfleben ist bei uns sehr ausgeprägt, da die meisten Einwohner ihren Arbeitsplatz im Ort haben und dadurch meistens am Ort sind. Und trotzdem sind wir über alles informiert und weltoffen. Es wurden viele kleine Firmen gegründet, die ihre Geschäfte im Dorf und übers Internet abwickeln. Deshalb haben wir auch in unserem Dorf viele Arbeitsplätze geschaffen und erhalten. Dadurch schonen wir auch die Erdölvorräte für unsere Nachfahren. Und wir sind zufrieden und nicht gierig. Auf unserem Bahnhof stehen auf den Abstellgleisen Waggons für Sperrmüll, den gelben Sack, Altpapier und Eisenschrott Der Bahnhofswärter überwacht zu den Öffnungszeiten den abgesperrten Bereich, damit auch getrennt gesammelt wird. Dort wurden viele Sachen zentralisiert. Zum Beispiel wurden auf der grünen Wiese riesige Einkaufszentren errichtet, die man aber nur mit dem Auto erreichen kann. Ältere Mitbürger müssen sehen, wo sie bleiben. Ich habe gerade angefangen, einen Roman zu lesen, in dem eine Parallelweit beschrieben wird. Über 80% des Gütertransportes erfolgen über die Straßen. Wir haben auch unsere 2 Schulgebäude behalten und unterrichten dort von der ersten bis zur zehnten Klasse. Das Internet macht es möglich. Die Schüler müssen nicht ab der fünften Klasse durch die Gegend geschippert werden. Allein die Zeitersparnis ist für die Schüler und ihre Freizeit ist enorm. 54 Es sind überall riesige Hallen als Verteilerzentren gebaut worden. Die Folge sind permanent verstopfte Straße, genervte Anlieger und ein riesiger Spritverbrauch. Die Bundesbahn hat sich auf Schnellstrecken konzentriert. Wozu? Warum muss man innerhalb kürzester Zeit irgendwo sein? Es wurden Vorzeigeprachtbauten gebaut, die inzwischen marode sind 55 und aus Kostengründen nicht renoviert werden können, und es daher günstiger ist, sie abzureißen. Für Neubauten ist aber auch kein Geld mehr da. Daher Schwimmbad und Bürgerhaus ade. Die schlimmsten Worte in dieser Welt sind Wirtschaftswachstum und einsparen. Warum muss die Wirtschaft immer mehr wachsen und wohin? Wenn ich immer mehr wachse (z.B. mein Bauch) werde ich irgendwann krank. Genauso geht es dort der Wirtschaft. Es wird dort versucht, da der Markt mittlerweile gesättigt ist, über den Preis noch mehr Waren zu verkaufen. Dadurch sind große Handelsketten innerhalb kürzester Zeit Pleite gegangen. Die Waren, die nicht verkauft werden können, werden entsorgt. Dadurch werden Tausende Tonnen Lebensmittel vernichtet. Einmal ist hier die Autoindustrie in Schieflage geraten. Die Regierung führte eine Abwrackprämie für Autos ein. Jeder der sein altes Auto abgab, und sich ein neues Auto kaufte, bekam 2.500,-- Euro dazu. Steuergelder! Eigentlich hätte die Autoindustrie, nachdem sich ihre Lage wieder stabilisiert hatte, das Geld zurückzahlen müssen. Weit gefehlt! Es kam kein "Pfennig" zurück! ln dieser Welt sinken die Löhne immer mehr. Dadurch sinken aber auch die gezahlten Steuern, während die Warenkäufe und andere Sachen immer teurer werden, wie z.B. die Energiekosten. Die Menschen arbeiten nur noch für ihre Wohnung, Energiekosten und Lebensmittel. ln den großen Lebensmittelmärkten arbeiten meist nur 2-4 Verkäufer für wenig Geld. Die Besitzer der Handelsketten aber sind Milliardäre. Durch die Niedriglöhne können die Arbeitnehmer aber auch nicht viel zur Kaufkraft beitragen und erst recht nicht für das Alter vorsorgen. Die Rente deckt teilweise nicht die Lebenshaltungskosten. Als Alternative bleibt oft nur der Weg zum Sozialamt Und woher kommen diese Gelder? Vom kleinen Steuerzahler, der schon kein Geld hat. Da in dieser Welt ein riesiger Energiebedarf besteht, wird z.B. die Solartechnik subventioniert. Die Aktienkurse dieser Firmen sind anfangs schnell gestiegen. Dann wurden aber weniger Solaranlagen verkauft und die Firmen fingen an zu wanken. Der Erfolg der Firmen war fast nur den Subventionen zu verdanken. Nur die Subventionen müssen ja auch irgendwo herkommen. Und das sind die kleinen Steuerzahler. Die großen Steuerzahler gehen ins Ausland. Und dann gibt es noch die Banken, die wild mit den Einlagen spekulieren. Dadurch gab es eine große Bankenkrise. Welche Subventionen bekommt der kleine Steuerzahler? Die Strompreise sind kaum noch zu bezahlen. 56 57 Seine Schuld von Anna-Lena Möller Er steht am Straßenrand. Diese Ruhe. Herrlich. "Eine Kleinstadt hat eben doch seine Vorteile", denkt er sich und genießt die Sonne. In Eschwege ist alles friedlich. Er sieht Kinder spielen, Erwachsene spazieren gehen, alle genießen das schöne Wetter. Im nächsten Moment hört er etwas. Bam! Was zur Hölle war das? Er ist verwirrt, weiß nicht recht, was zu tun. Da, schon wieder. Geräusche, als würde ein riesiges Flugzeug über seinen Kopf fliegen. Sein Blick wandert nach oben. "Wann ist es so dunkel geworden?", fragt er sich. Seine Gedanken wurden durch einen weiteren ohrenbetäubenden Knall unterbrochen. Langsam breitet sich Panik in seiner Umgebung aus. Er hört Leute schreien. Wo ist die Idylle hin? Alles um ihn herum scheint sich zu verändern. Die Stille wird durch zu viele Geräusche ersetzt. Er zuckt zusammen, jedes Mal, wenn er ein anderes Geräusch wahrnimmt. Diese lauten schrillen Töne. So viele Schreie. Er selbst bleibt still, da er gar nicht realisieren kann, was gerade geschieht. Es ist, als würde sein Gehirn nicht arbeiten. Er versucht nachzudenken, doch es will ihm einfach nicht gelingen. Ein leeres Nichts. Gedanken verirren sich. Alles nicht so, wie es sein soll. Aber was geht hier vor sich? Warum alle schreien, alle in Panik sind, interessiert ihn nicht. Er steht noch immer an derselben Stelle. Es spielt sich direkt vor seinen Augen ein Horrorszenario ab, jedoch scheint er die Augen vor der Realität zu verschließen. Versucht er sich einzureden, das alles geschieht nicht? Denkt er noch immer, es sei ein Traum? Er beginnt die Hitze zu spüren. Leider kann er nicht darüber nachdenken, wo sie herkommt. Er steht noch immer an derselben Stelle. Erstarrt, gedankenlos. Langsam kommt er zu Bewusstsein. Auf einmal schießen ihm tausend Fragen durch den Kopf: Wieso die Panik? Wieso all die Schreie? Wieso ist es so heiß um ihn herum? Wieso ist er alleine an der Straße? Wieso fällt es ihm schwer, in die Ferne zu gucken? Das Schlimmste für ihn war, zu realisieren, dass er die Antworten auf all diese Fragen ganz genau 58 kannte. Er weiß, wieso das alles geschieht. Es war vorhersehbar, auch wenn in ihm immer die Hoffnung schlummerte, es wäre nicht der Fall. Die Hitze wird spürbar stärker. Es ist fast so warm wie im Hochsommer, Tendenz steigend. Er blickt nach oben und zuckt zusammen. Noch ein Knall. Deutlich lauter. Ohren schmerzen. Seine Augen können den Himmel nicht entdecken. Ist er verdeckt? Das bedrückende Grau über ihm. Um ihn herum. Es ist überall. Die Luft ist schwer. Er kann kaum atmen. Menschenschreie sind nur noch aus der Entfernung zu hören. Sind alle geflohen? Er blickt sich um. Straßen sind leer, die Luft schwer, er ist still. Noch immer scheint ihn die Situation nicht zu ergreifen. Die Angst, die er verspüren sollte, ist einfach nicht da. Nichts. Ist es seine Schuld? Hätte er es verhindern können? Er steht noch immer an derselben Stelle. Das Sprechen fällt ihm mit jedem Moment schwerer. Zu viel Schmutz in der Luft. Unrein. Grau. Das Atmen wird mehr und mehr zur Qual. Das Chaos um ihn wird immer schwerer zu durchschauen. Er sieht Gesteins- brocken, die sich dem Boden nähern. Der Vulkan spuckt. Er steht immer noch an derselben Stelle. Er setzt sich langsam auf den Boden. Er kann kaum noch gucken, kaum noch atmen. Es ist seine Schuld und er weiß es genau. Wäre seine Gier nach dem im Inneren des Meißner verborgenen Gold nicht zu groß gewesen, wäre dieser wohl nicht noch einmal ausgebrochen. Es ist ihm offensichtlich erst zu spät bewusst geworden. 59 Hamburg von Leonard Weber In Grebendorf 2025 von Sabine Groß Die Prognosen stehen schlecht für Eschwege. Der Demographiewandel scheint unaufhaltbar und auch die Wirtschaft geht dem sicheren Ende zu. Allen voran prognostiziert Olaf, ein Mathematiker eine Bevölkerungszahl von 1000 im Werra- Meißner Kreis bis 2025. Er berechnet sämtliche Faktoren und ist sich sehr sicher. Die Schulen werden zusammen geführt, Kitas geschlossen und für Fußballvereine Fahrgemeinschaften gebildet werden müssen. Als positiver Nebeneffekt werden die Preise für Wohnungen und Häuser steil abfallen. Er ist sich sicher. „Traurig, aber wahr“, sagt er gerne. Noch einmal rechnet er auf Antrag und ein wenig aus Schadenfreude die vorliegenden Daten durch. Er scheint keinen Fehler gemacht zu haben. Er hat noch nie Fehler gemacht. Seine Ehrenprofessuren an drei Universitäten hat er sich verdient. Das hat ja mal wieder geklappt. Um kurz vor 10 Uhr treffe ich mich an der Straße mit Frau Weller. „Hallo, wie geht’s?“ „Na, das war ein anstrengendes Wochenende. Wir mussten ja noch vom Angerfest alles aufräumen. Und im Heimatverein haben sie nicht genügend Leute, die da noch mithelfen können.“ „Aber bei dem schönen Wetter war es wieder einmal ein gelungenes Fest.“ Seit einem halben Jahr gehen wir dienstags zur Gymnastik. Die findet im Schlosshof statt. Anfangs gab es da einige Widerstände zu überwinden. „Wird es nicht die Arbeit in der Gemeindeverwaltung stören, wenn vom Hof im Dreivierteltakt Klänge aus der Musikbox ertönen?“ So konnte man damals hören. Inzwischen wird die halbe Stunde aber toleriert. Und gelegentlich macht auch einer von der Verwaltung mit. Das ist möglich, seit die gleitende Arbeitszeit eingeführt worden ist. Abgeguckt haben sich die Grebendörfer das mit der Gymnastik von den Jestädtern. Die haben schon seit zwei Jahren damit begonnen. Dort wollte man den Mehrgenerationenspielplatz aktivieren. Und mit der Gymnastik ist das auch gelungen. Und nun haben einige Jestädter, und nicht nur Omas, entdeckt, dass man sich an den Geräten einen angenehmen Ausgleich für die Gartenarbeit schaffen kann. An der Ecke zur Grubenstraße, wo früher einmal ein Brunnen stand, an den noch immer ein Schwenkhahn erinnert, stoßen wir auf Frau Ziegel. „Hallo, heute mit Rollator, was ist los?“ „Ich bin doch letzte Woche so fürchterlich hingefallen. Mit Gartenarbeit ist es nun aus.“ „Was willst du denn jetzt machen?“ „Ich habe mich entschlossen, einen Rasen anzulegen. Dann können die Enkel wenigstens Federball spielen. Nächste Woche kommt der Willi vom Verein des Gemeindebetreuungsdienstes. Mit einer kleinen Fräse wird er mein Land durcharbeiten.“ Im Schlosshof sind schon elf Frauen versammelt. Eine hat dieses Mal ihren Mann mitgebracht. Er braucht, wie Frau Ziegel, einen Rollator. Nachdem es sich herumgesprochen hat, dass es Übungen gibt, die man 2024 steht das Wasser zu hoch - Hamburg muss umgesiedelt werden. Der Werra- Meißner-Kreis scheint die einzige Möglichkeit zu sein. Innerhalb von fünf Monaten steigt die Bevölkerung enorm an. Olaf war sich sicher. Doch damit hatte er nicht gerechnet. 60 61 auch sitzend auf dem Rollator mitmachen kann, wollte er das mal ausprobieren. Die Übungsleiterin, Frau Käse kommt gerade aus dem Schloss mit einer Kabeltrommel für ihren Verstärker. Aber sie ist nicht alleine. Mit ihr kommen ein paar Frauen. Und die stellt sie uns auch gleich vor. Es sind Eschwegerinnen vom Seniorenforum, die sich unsere Gymnastik anschauen wollen. Die überlegen nämlich, ob sie etwas Entsprechendes auf dem kleinen Brunnenplatz am Alten Steinweg einrichten können. Die Musik wird eingeschaltet. Wir bilden einen Kreis. Die Eschwegerinnen nehmen wir gleich hinein. Mit einer einfachen Schrittfolge stimmt sich die Gruppe auf einander ein. In der Hauptsache sind es immer die gleichen Übungen, die wir machen. So braucht nicht viel erklärt zu werden. Frau Käse korrigiert gelegentlich jemanden, ansonsten macht sie alles vor. Wir beenden die Gymnastik immer, wie wir sie begonnen haben. Es wird ein Kreis gebildet. Und als kleines Ritual wird die Schrittfolge vom Anfang wiederholt. Gestern hatte Frau Luder Geburtstag. „Möchte jemand von dem übrig gebliebenen Kuchen haben. Ich besitze leider keine Gefriertruhe. Und alleine aufessen, das kann ich mir bei meiner Figur nun beim besten Willen nicht leisten.“. Frau Mette bietet ihr an, den Kuchen in ihrer Gefriertruhe aufzubewahren. Sie wohnt ja direkt gegenüber von Frau Luder. „Bis zum Heimatfest habe ich Platz“. So sind sich die beiden schnell einig. Wir sagen tschüss und wünschen den Eschwegerinnen viel Erfolg. Als wir im März mit der Gymnastik angefangen hatten, konnte man sehen, wie an den Fenstern des Schlosses das eine oder andere neugierige Gesicht auftauchte. Inzwischen hat man sich aber an uns gewöhnt. Leider muss bei Regen die Gymnastik ausfallen. Nur in den Schulferien, da dürfen wir die Turnhalle besuchen. Dann kommen auch hin und wieder Enkelkinder mit Die freuen sich, wenn sie erst mal durch die Turnhalle rennen dürfen. Wenn aber die Omas mit ihren Übungen anfangen, dann kommen die Kinder aus dem Kichern nicht mehr heraus. Ich gehe nicht direkt nach Hause sondern mache noch einen kleinen Umweg. Ich will am Informationskasten der Bürger vorbei gehen. 62 Vielleicht hängen die Fotos von dem Angerfest schon aus. Frau Weller schließt sich mir an. Der Weg zum Schaukasten ist zuzeit versperrt. Die Straße musste aufgerissen werden für die Warmwasserleitung zum Schloss. Im alten Schulgebäude am Friedhof steht das neue Blockheizkraftwerk, auf das Grebendorf zu Recht sehr stolz ist. Es wurde von der Genossenschaft Bürgerenergie gebaut. Die Sporthalle mit dem Bürgerhaus und die Schule sind schon angeschlossen. Nun wird die Leitung zum Schloss gebaut. Wir müssen also einen kleinen Umweg hinnehmen. Der Informationskasten ist ein Projekt des Gemeindebetreuungsdiensts. Als der sich vor 10 Jahren umstrukturierte, kam so richtig Schwung hinein. Der Heimatverein hat damals den Kasten gebaut und auch aufgestellt. Schließlich nutzt er ihn ja auch regelmäßig. Wenn man eine Mitteilung machen möchte, wendet man sich an Frau Kloht vom Unterdorf. Die hat den Schlüssel zu dem Schaukasten. Die Fotos vom Angerfest sind noch nicht ausgestellt Mein Blick fällt auf ein Blatt der Meinhardschule. Sie sucht freiwillige Helfer, die sich jeweils an einem Vormittag um den Milchausschank kümmern. Nachdem die EU-Richtlinien geändert wurden, hat die Schule vom Gesundheitsamt die Genehmigung bekommen, den Kindern frische Milch auszuteilen. Der letzte Milchbauer in Grebendorf, der vor einigen Jahren auf Bio umgestellt hat, bringt jeden Vormittag zwei große Kannen voll Milch. Die kommt dann wirklich frisch von der Kuh. Wenn ich auch enttäuscht bin dass die Fotos noch nicht da sind, nehme ich eine andere Mitteilung mit Genugtuung auf: Mein Filmvorschlag im Dorfkino wurde angenommen. Im ehemaligen Gasthof im Bernstal hat sich schon vor 6-7 Jahren ein Kinoclub etabliert. Das ist kein Verein, sondern eine offene Gruppe. Da kann jeder mit machen, wie es ihm gefällt. Kosten entstehen praktisch keine, gerade einmal im Winter die Heizkosten für den Raum und dann natürlich für die Beleuchtung. Dafür steht ein Sparschwein auf dem Tisch. Jeder steckt nach Lust und Laune etwas hinein. Mit Ablauf eines Jahres bekommen wir dann die Rückmeldung, wie viel Geld zusammengekommen ist. Jede Woche wird ein Film gezeigt, und das zu einer normalen Uhrzeit. Es liegt dort eine lange Liste aus, auf der die Filmtitel aufgeführt sind, von denen jemand eine DVD 63 besitzt. Herr Kingel hat es übernommen, die Liste immer wieder zu aktualisieren. Nun freue ich mich auf „meinen“ Film; Alexis Sorbas. „Kommst du auch?“ frage ich Frau Weller, „da wird der Sirtaki getanzt.“ „Weiß noch nicht, ich kriege Handwerker ins Haus“. „Na dann auf jeden Fall bis nächsten Dienstag, Tschüss!“ Zeiten ändern sich von Philipp Hohmann Die Autobahn ist voll. Vom majestätischen Gleiten, so wie es in der Werbung seines Autos beschrieben wurde, merkt er nichts. Der Verkehr geht nur schleppend voran. Er nimmt die erste Ausfahrt und fährt von der überfüllten Autobahn auf die Bundesstraße in Richtung Reichensachsen. Er wird langsamer und fährt fast im Schritttempo in die Ortschaft. Seine Gesichtszüge entgleiten, als er das erste Hochhaus sieht. Er durchquert die Ortschaft und verlässt sie wieder. Er blickt auf die Uhr. 9:30 Uhr. Wie die Zeit vergeht. Langsam fährt er die Scheiben seines Wagens herunter und hält seinen Kopf aus dem Fenster. Schockiert zieht er ihn schnell wieder ins Auto. Das, was er da gerade riecht, ist definitiv nicht die gute Landluft, die er gewohnt war. Das Ortsschild seines Heimatdorfes erscheint am Ende der Straße. Wenigstens das hat sich nicht verändert. Er parkt seinen Firmenwagen. Langsam bewegt er seinen alten und korpulenten Körper aus dem Wagen. Sofort strömt Landluft um ihn. Er nimmt einen Luftzug und beginnt zu husten. Verdammte Zigarren. Er nimmt seinen teuren Mantel von der Rückbank und schließt den Wagen ab. Er holt ein weiteres Mal Luft und bewegt sich vom Wagen weg. Sein Blick schweift von Haus zu Haus. Er ist verblüfft. Nichts hat sich verändert. Die Häuser stehen immer noch und die Hauptstraße führt mitten durch die Ortschaft. Samstagmorgen und das Surren einiger Kettensägen ist zu hören. Der bekannte Geruch von Kettensägenöl steigt in seine Nase. Er steht vor einem alten und großen Haus. Mit einem Mal wird er vom durchdringenden Klingelton seines Smartphones aus seinen Erinnerungen 64 65 gerissen. Er zieht dieses übermäßig große und unglaublich zerbrechliche Stück Metall aus seiner Manteltasche und starrt auf das Display. Auf ihm steht der Name seiner Sekretärin. Er drückt auf den roten Hörer und beendet das Gespräch, bevor es beginnen konnte. Es klingelt erneut, noch bevor er es zurück in die Manteltasche stecken kann. Er drückt noch einmal mit seinem dicken Finger auf den roten Hörer und stellt sein Telefon aus. über die neusten Skandale im Dorf unterhalten. Selbst das ist noch geblieben. Mittlerweile ist er fast am Dorfende angelangt. Er setzt sich auf eine Bank und denkt nach. Er guckt auf die Uhr, 10:25 Uhr. Eine weitere Stunde seines freien Tages ist verstrichen. Er geht weiter die Hauptstraße entlang und hört aus einem Gebäude Volksmusik und einige Männerstimmen auf die Straße hallen. Die alte Dorfkneipe. Er geht, so schnell es ihm sein Gewicht erlaubt, die paar Treppenstufen bis zur alten Eingangstür der Kneipe hoch, öffnet die Tür und tritt ein. Am Ende der Straße sieht er sein Auto. Sündhaft teuer und eine Spritschleuder, die seinesgleichen sucht. Er steht von der Bank auf, auf der er die letzte halbe Stundeverbracht hat und schlendert das Dorf erneut hinunter. Hier ist alles so ruhig und unbeschwert. Er zieht seinen Mantel aus, nimmt sein Smartphone heraus und schaltet es ein. 123 neue E-Mails und 65 verpasste Anrufe. Am Rande seines Handys starrt er auf die Zeit. 13:05 Uhr und die Frage ... Der Geruch von Zigaretten und Bier steigt ihm in die Nase. Die Kneipe hat sich nicht verändert. Er rückt einen der dreibeinigen Barhocker vom Tresen ab und setzt sich darauf. Der Mann hinterm Tresen, der bis jetzt pfeifend und die Biergläser spülend da stand und mit dem Fuß wippte, guckt auf. Er zieht die Augenbrauen hoch „ Ein Bier bitte, aber `nen großes.“ Er nimmt den ersten Schluck und ist wie benebelt. Eschweger Klosterbräu, er wird diesen Namen nie vergessen. Ohne es abzusetzen, leert er den halben Liter in einem Zug. Er guckt auf die große Wanduhr hinter den Männern. 11:0 Uhr. Die Zeit vergeht. Er legt einen Schein auf den Tresen, sagt „Stimmt so und verlässt die Kneipe, ohne dass ihn jemand erkannt hat. Über ihn ziehen einige Vögel. Er guckt auf die Uhr und geht weiter. In Gedanken versunken bemerkt er kaum all die älteren Damen, welche mit Rollator und Krückstock langsam an ihm vorbei schleichen und sich 66 67 Wo der Himmel die Erde küsst von Hanna Wallbraun Liebe Moni, weißt du noch? Am Parkplatz Schwalbenthal am Hohen Meißner mussten wir noch mal anhalten, du bist ausgestiegen und hast wortlos die wundervolle Aussicht auf dich wirken lassen. Was wird dir dabei alles durch den Kopf gegangen sein. Abschied und neugierige Erwartung, Angst und Freude, Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt, alles wird sich mit diesem Blick auf das vertraute Werratal vermischt haben. Stolz hast du deinen Studienfreunden erzählt, dass der Werra-MeißnerKreis zu mehr als einem Drittel der Fläche aus Naturschutzgebieten besteht und dass kein anderer Kreis so viel wertvolle Natur zu bieten hat. Du hast Recht, deine Heimat ist auch in geologischer Sicht eine Fundgrube. Fachleute verweisen gerne auf die Vielfalt und räumliche Nähe der unterschiedlichsten Gesteine. Allein die Kuriositäten, dass am Hohen Meißner seit Jahrhunderten unterirdisch selbst entzündete Kohle brennt oder dass es eine Quelle dort gibt, deren Wasser auch im heißesten Sommer nie mehr als ein bis drei Grad Celsius misst, sind doch sehr staunenswert. Immerhin birgt der Meißner auch einen Kultplatz einer vorchristlichen Muttergottheit und der Frau-Holle-Teich soll der Eingang zu ihrem unterirdischen Reich sein. Die Region ist unheimlich reich an Geschichten und Sagen. Das macht sie noch liebenswerter, stimmt‘s? Es freut mich, dass du überlegst, ob du wieder hier leben möchtest. In den vergangenen Jahren hat sich viel in der Region getan, was dich freuen wird. Es kommen viele Besucher zum Wandern hierher. Der Kreis hat sich durch die zwanzig zertifizierten Premium-Wanderwege und guten Markierungen zu den schönsten Zielen zum erstklassigen Wanderparadies entwickelt. Die Infrastruktur wurde erheblich verbessert. Man findet jetzt unterwegs gute Einkehrmöglichkeiten und Herbergen. Durch die gute Resonanz können die Wirte ihre Öffnungszeiten kundenfreundlich nach den Bedürfnissen der Gäste ausrichten und sie sprechen 68 sogar die Ruhetage untereinander ab. Stell dir vor, sie schulen sogar ihr Personal im Hinblick darauf, was man in der Region alles erleben kann. Endlich nutzen die Hotels auch die Möglichkeit, in ihre Angebote geführte Wanderungen und Wanderwochen einzubeziehen und arbeiten mit dem Naturparkbüro zusammen. Kleinbusse fahren bis in den Herbst hinein in vertretbarem Takt Stationen des Werra-Burgen-Steigs Hessen an. Das macht die Wahl der Tagestour sehr variabel und erleichtert die Gepäckfrage. Einige der Premiumwege liegen wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Die lassen sich mit Busunterstützung nun auch als Streckentouren nutzen. Inzwischen haben die Gemeinden endlich damit aufgehört, nur für Angebote in den eigenen Gemeindegrenzen zu werben. Wer sich für einen Urlaub hier interessiert, der bekommt auf einer einzigen Internetplattform mit guten Unterseiten nun Informationen zu allen Möglichkeiten der ganzen Region und auch noch Hinweise auf schöne Ziele in Thüringen oder Niedersachsen. Deutschlandweit ist die Mohnblüte in Germerode und den Nachbargemeinden bekannt geworden. Die Fotos, die ich dir mitschicke, sind vom letzten Juli, als der Schlafmohn auf 25 Hektar nicht grellrot sondern pinkrosa blühte. Ein gigantisches Schauspiel für die Augen, das noch vom Hellblau der Leinblüten und dem Weiß der Kamille und dem Blau der Kornblumen ergänzt wird. Jedes Jahr kommen mehr Besucher und sie reisen immer weiter an. Vermutlich hat auch die Änderung der Dachmarke in „Werra-Bergland“ die Gäste überzeugt. So lange mit Werratal geworben wurde, kamen immer wieder enttäuschte Rückmeldungen von Wandergruppen, die in einem Tal nicht so große Höhenunterschiede vermutet haben. Analog zum touristisch bekannten „Weser-Bergland“ wissen sie nun eher wo sie dran sind und dass ein Flusstal auch Berge haben kann. Das bringt viele Gäste hier her, denen die Alpen zu hoch und die Küsten zu flach sind. Das „schnelle Internet“ ist auch in unserer Region kein Traum mehr. Schon lange arbeiten Firmen von unterschiedlichen Städten aus vernetzt miteinander. Du rufst eine Nummer in Kiel an und erfährst dann, dass du mit einem Gesprächspartner in Gera verbunden bist. Das hast du si69 cher auch schon erlebt. In den Ballungsgebieten und Großstädten sind die Geschäftsmieten inzwischen so hoch geworden, dass schon so manche Firma die noch bezahlbaren Preise in unserer Region entdeckt hat und via Internet mit der Welt verhandelt. Es entstehen dezentrale Arbeitsplätze, die nicht mehr in der Großstadt liegen müssen. In vielen Fällen arbeiten Angestellte komfortabel von zu Hause aus. Seitdem sind weniger Familien „abgewandert“. Wäre das auch etwas für dich? Und wenn dann doch mal eine Reise nötig wird, ist es von erheblichem Vorteil, dass wir verkehrsgünstig in der Mitte Deutschlands liegen. Die Autobahn ist endlich fertig und auch der florierende Flughafen Kassel-Calden hat dazu beigetragen, dass wir nun leichter zu erreichen sind. Weltweit agierende Firmen umwerben die Schulabgänger und jungen Leute, weil sie händeringend nach guten Arbeitskräften suchen. Du würdest sicher ganz schnell etwas Gutes finden. Es gibt auch genug Ausbildungsplätze. In den Schulen werden kleinere Klassen gebildet als es noch zu deiner Zeit hier üblich war. Lehrer haben es dadurch leichter, deshalb ist es auch kein Problem, die Stellen zu besetzen. Hier im Werra-Meißner-Kreis ist der demografische Wandel besonders spürbar. In den letzten 10 Jahren ist er um fast 20 % seiner Einwohner geschrumpft. Doch es ist ihm gelungen, aus dem überaus hohen Anteil an Senioren eine Tugend zu machen. Er hat sich optimal darauf eingestellt. Es gibt überdurchschnittlich viele Angebote für die Generation 66 Plus. Auch in sehr ländlichen Gebieten. Viele Senioren-Wohngemeinschaften wurden gegründet, die fachlich kompetent betreut werden. Essen auf Rädern, Pflegeteams oder Alltagshilfen unterstützen die Seniorengruppen auf Wunsch. Der Kreis ist zum Mekka für Senioren geworden und so bleibt es nicht aus, dass immer mehr Ältere aus den lauten Städten fliehen und die Beschaulichkeit des Landlebens hier für die letzten Jahre vorziehen. Als Modellregion wundert es nicht, dass sich wieder mehr Hausärzte hier niedergelassen haben. Das Schöne ist, dass nebenbei auch noch Synergien entstehen, die Alleinstehenden oder Familien mit Kindern helfen. Es gibt In jedem kleinen Ort einen gut funktionierenden Omi-Service, der Eltern entlastet und den Omis viel Spaß macht. Die Eltern revanchieren sich, indem sie im Garten 70 anpacken, mal den Rasen mähen oder Einkäufe mit erledigen. MehrGenerationen-Vereine haben sich auch schon gegründet, sie funktionieren wie Tauschbörsen. Viele Häuser stehen auf dem Lande noch leer, aber das ist auch eine Chance für die jungen Familien, weil der Wohnraum erschwinglich ist und oft mit geringen Mitteln schon Eigentum gebildet werden kann. Und deinen Schwager aus Berlin höre ich sagen: „Vergiss nicht, dass die gute Luft bei euch unbezahlbar ist.“ Ach liebe Moni, vor 10 Jahren hat dich nichts hier halten können. „Ich will dahin, wo der Himmel die Erde küsst“, hast du gesagt. Klar, den Spruch hast du wohl irgendwo gelesen. Inzwischen bist du so weit herum gekommen, hast fremde Länder bereist, bist zehn Mal umgezogen. Hast du den Ort gefunden? Soll ich dir etwas verraten? Ich habe ihn entdeckt. Die Sonne schien und es regnete auch ein bisschen. Hier, am Ende des Regenbogens – das ist der Ort, wo der Himmel die Erde küsst. Er ist da, wo man sich wohl fühlt, wo man zu Hause ist. Da wo man Heimat spürt und Ruhe findet. Wo die Familie wartet. Wo man sich jeden Tag aufs Neue in die wundervolle Natur und Landschaft verliebt. Wann kommst du? Deine M. 71 Da wir nicht alle Kurzgeschichten abdrucken konnten, finden sie weitere Geschichten aus und über die Region im Internet unter www.vfr-werra-meissner.de Die Autoren sind: Jorias Bach Christoph Bayer Heidi Brundig Sonja Dau Maria Sophie Degenhardt Helga Fasshauer Celine Fey Torben Gayk Niklas Gries Clemens Gümpel Ilona Gurtman Pauline Haase Marina Immke Max Jahns Brigitte Manß Lukas Möckel Sandra Oettel Annika Prätorius Maximilian Rohrbach Janine Ruiz Janosh Sagawe Oliver Schöniger Emily Simon Charlotte Vaupel Paulina Dingert Lisa Weiner Herausgeber: Verein für Regionalentwicklung Werra-Meißner e.V. Niederhoner Straße 54, 37269 Eschwege, Tel.: 05651 70511 [email protected] Layout und Druck: Jatho Design Meinhard Der Wettbewerb wurde gefördert vom Werra-Meißner-Kreis, dem Land Hessen, dem LEADER-Programm der Europäischen Union und der Buchhandlung Heinemann, Eschwege.