Gewaltvideos auf dem Handy - Herausforderungen für Pädagogik

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Gewaltvideos auf dem Handy - Herausforderungen für Pädagogik
Gewaltvideos auf dem Handy - Herausforderungen
für Pädagogik und Jugendmedienschutz
Handynutzung Kein Medium ist unter HeranwachsenJugendlicher den so verbreitet wie das Handy. Der-
zeit verfügen rund 90 Prozent der 12bis 19-Jährigen über ein eigenes Mobil
telefon. Neben dem Versenden von
SMS und dem Telefonieren gewinnt
das Fotografieren mit dem Handy zunehmend an Bedeutung. Für 49 Prozent der Mädchen und 39 Prozent der
Jungen zählt das Fotografieren mit dem Handy zu einer der drei wichtigsten
Handy-Funktionen. Bereits 57 Prozent der Handybesitzer verfügen über eine
integrierte Kamera in ihrem Mobiltelefon und 69 Prozent haben die Möglichkeit, mit einem WAP-Handy im Internet zu surfen. Auch viele Jugendliche
besitzen mittlerweile Handys der neueren Generation. So verfügt die Hälfte der
Heranwachsenden über Geräte mit einer Infrarotschnittstelle und ein Drittel
kann sich über Bluetooth austauschen. Das Handy mutiert also mehr und
mehr zu einem technisch faszinierenden Multifunktionsgerät, das nicht nur
Kommunikationsmittel, sondern gleichzeitig auch Fotoapparat, Filmkamera, Ka
lender und Speicherplatz ist. So positiv diese neue Technik auf der einen Seite
ist, so erschreckend sind auf der anderen Seite die potenziellen Gefahren, die
mit diesem Multimediagerät verbunden sind.
„Happy Slapping“ Ein neuer, Besorgnis erregender Trend aus England greift vor allem unter
und „Snuff-Videos“ jugendlichen Handy-Nutzern um sich: das so genannte „Happy Slapping“. Als
„Happy Slapping“ bezeichnet man im Englischen ironisch die brutalen Überfälle, die mit dem Handy gefilmt werden und für die die Kameraaufnahme oft
das einzige Motiv ist. Gewalttätige Halbstarke schwärmen aus auf der Suche
nach Opfern, die sie meist grundlos plötzlich angreifen und verprügeln. Die Tat
wird mit Handy-Kameras gefilmt und anschließend an Freunde als Videoclip
oder Foto verschickt oder ins Internet gestellt, wo es für jedermann einsehbar
ist. Nach dem tätlichen Angriff drohen dem Opfer mit dem Film neben den
körperlichen und psychischen Wunden zusätzlich noch der Spott und die Demütigung.
Parallel zu diesen abartigen Mutproben kursieren heimlich von Schülerhandy
zu Schülerhandy inhaltlich höchst bedenkliche Filme, die körperliche und
psychische Demütigungen, Vergewaltigungen, Misshandlungen bis hin zu
brutalen Morden und Leichenschändungen darstellen.
Herausgeber:
Staatsinstitut für Schulqualität
und Bildungsforschung
Schellingstraße 155, 80797 München
Tel.: 089 2170-2101, Fax: 089 2170-2105
www.isb.bayern.de
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Pädagogik und Jugendmedienschutz
Diese Video-Clips, auf denen Menschen
auf grausame Weise gefoltert und hingerichtet werden, werden Snuff-Videos“
genannt und können oftmals problemlos
aus dem Internet auf Speicher, wie etwa
das Handy, heruntergeladen werden.
Das englische Verb to snuff out bedeutet
„jemanden umbringen, eine Kerze ausblasen, ein Leben auslöschen“, was verdeutlicht, welche abscheulichen und men
schenverachtenden Inhalte in diesen Videos transportiert werden. Einmal auf
einem modernen Handy gespeichert, genügen wenige Tastenbewegungen, um
diese Filme auf andere Handys zu über tragen. Da die Filme im Internet häufig
auf ausländischen Servern bereitgestellt werden, ist eine Verfolgung der Täter
durch die Polizei oftmals gar nicht möglich. Zudem wird mit den neuen Verbreitungstechnologien wie Internet und Han dy die Unterscheidung zwischen
Produzenten und Providern und deren jeweiliger Verantwortung zunehmend
schwieriger. Psychologen und Polizei warnen vor den Gewaltvideos, die als
„visuelle Mutproben“ unter Heranwachsenden die Runde machen, und vor den
fatalen Auswirkungen der visuellen Brutalität auf die jugendliche Psyche.
Rechtliche Hinzu kommt, dass das heimliche Aufnehmen von Personen - z. B. mittels
Hinweise Handy - gegen das Gesetz verstößt und die Weitergabe von rassistischen,
pornografischen oder Gewalt verherrlichenden Filmen an Personen unter 18
Jahren strafbar ist. Bei Darstellungen von Kinderpornografie, die auf einen
realen Hintergrund schließen lassen, stellt bereits deren Besitz einen Strafbestand dar. Auch das Anbieten, das Überlassen oder jede andere Form des
Zugänglichmachens von Medien, die auf der Liste jugendgefährdender Medien
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) stehen und indiziert sind, können strafrechtlich verfolgt werden.
Motive Was den Trend zum Filmen von Gewaltvideos in Schulen ausgelöst hat, darüber sind sich auch die Experten uneinig. Die Ursachen der Gewaltbereitschaft
können vielfältig sein. Bedeutsam sind laut dem Erlanger Wissenschaftler Prof.
Lösel vom Institut für Psychologie der Universität Erlangen-Nürnberg u. a. das
Schul- und Klassenklima sowie vor allem die Zugehörigkeit zu bestimmten
Cliquen. Einen deutlichen Einfluss haben außerdem der häufige Konsum
gewalthaltiger Computerspiele, Video- und Fernsehfilme sowie die Rezeption
von Fernsehshows, die extreme Mutproben zeigen. Pubertäre Prahlerei mit
strafbaren „Heldentaten“ nebst audiovisuellen Beweisen gelten als weitere
Handlungsmotive für „Happy Slapping“.
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Gewaltvideos auf dem Handy – Herausforderungen für
Pädagogik und Jugendmedienschutz
Handynutzungs- Nach dem wiederholten Auffinden von Pornoverbot in und Gewaltvideos auf Schülerhandys bei Poli
zeirazzien an bayerischen Schulen reagierte
Schulen
Kultusminister Siegfried Schneider am 28. März
2006 mit einem generellen Handynutzungsverbot an Schulen. Um Kinder und Jugendliche
vor Gewalt verherrlichenden und pornografischen Inhalten auf Mobiltelefonen, aber auch
drohenden Gewaltaktionen im Rahmen des vermeintlichen "Happy Slapping" zu schützen, hat
das Kabinett ein Nutzungsverbot von Mobiltelefonen in bayerischen Schulen beschlossen. Dieses Nutzungsverbot soll auch
auf andere Speichermedien wie MP3-Player, Walkman und Discman ausgeweitet werden. Die Mitnahme von Handys in die Schule ist bislang nicht verboten. Das bereits bestehende Nutzungsverbot des Handys während des Unterrichts soll nun erweitert und u. a. auch auf die Pausen ausgedehnt werden.
Dieses werde im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz verankert. In dringenden
Fällen dürfen Lehrkräfte jedoch Ausnahmen genehmigen.
Bei einer Zuwiderhandlung des Schülers kann das Handy bis zum Unterrichtsende von der Lehrkraft konfisziert werden. Liegt ein konkreter Verdacht vor,
dass ein Handy problematische Inhalte im Sinne der Jugendschutzbestimmungen beinhaltet, ist die Lehrkraft angehalten, das Speichermedium als Beweismittel sicherzustellen und Polizei und Eltern zu informieren. Aufgrund des
Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Artikel 2 des Grundgesetzes) darf die
Lehrkraft - selbst bei einem begründeten Verdacht einer Straftat - den Speicher
des Mobilgerätes nicht kontrollieren, sondern muss das Handy der Polizei
ausliefern. Diese darf den Speicher des Handys auf dessen Inhalte kontrollieren und es zu diesem Zweck einziehen. Um dem „Happy Slapping“ und der
Verbreitung gewalthaltiger und jugendgefährdender Inhalte entgegenzuwirken,
fordert die Polizei auf, alle Fälle direkt zu melden (www.polizei-beratung.de/,
www.bundespruefstelle.de/, www.jugendschutz.net/). Betroffene Schüler sollen sich
in jedem Fall unbedingt an eine Vertrauensperson wenden – entweder an ihre
Lehrer, an Mitschüler, an die Schulleitung oder ihre Eltern. Mitschüler und Lehrer, die Fälle von „Happy Slapping“ beobachten, sind aufgefordert, dies umgehend zur Anzeige zu bringen. Nach dem deutschen Strafgesetzbuch erfüllt
unterlassene Hilfeleistung den Tatbestand einer Straftat und wird mit Geldbußen bis zu einem Jahr Haft geahndet.
Prävention und Neben dem vom Kabinett geplanten Handynutzungsverbot an Schulen plädiert
Intervention der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider für eine umfassende Medienerziehung und Gewaltprävention an Schulen. Lehrkräfte sind aufgefordert,
sich in Lehrerkonferenzen und in Fortbildungen noch stärker mit der Problematik und den Möglichkeiten des Jugendmedienschutzes zu befassen.
Der gesetzliche Jugendmedienschutz hat die Aufgabe, mediale Inhalte hinsichtlich ihres Gefährdungspotenzials zu beurteilen und deren öffentliche Verbreitung zu regeln sowie strafrechtlich relevante Inhalte zu kontrollieren und zu
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Pädagogik und Jugendmedienschutz
unterbinden. Der Pädagogik kommt die Aufgabe zu, sich differenziert mit den
Ursachen der Gewalt auseinander zu setzen. Zentral ist in diesem Zusammenhang, Reflexionsprozesse bei Heranwachsenden anzustoßen, ihr Unrechtsbewusstsein zu fördern, sie für Ursachen von Gewalt zu sensibilisieren und
ihnen positive und aktive Zugänge zu Medien zu ermöglichen. Als eine präventive Maßnahme gegen schulische Gewalt bieten sich Verhaltenstrainings in
Form von Rollenspielen und Streitschlichtung sowie die Einhaltung gemeinsam
aufgestellter Regeln an. Hilfreich ist zudem die Einbindung von Fachleuten, wie
z. B. Schulpsychologen, Sozial- und Medienpädagogen oder Jugendpolizisten.
Flankierend sollte die Elternarbeit ausgebaut werden. Die Erziehungsberechtigten sollten über die Medienwelten ihrer Kinder informiert, über die potenziellen Gefahren aufgeklärt und auf ihre Verantwortung hingewiesen werden. Um
mögliche Risiken frühzeitig abschätzen und tragfähige medienpädagogische
Praxismodelle sowie Aus- und Fortbildungsangebote für pädagogisch Tätige
entwickeln und realisieren zu können, erscheint zudem eine kontinuierliche
wissenschaftliche Beobachtung der Medienaneignung Heranwachsender
notwendig. Die Gewaltproblematik muss als gesellschaftliche Aufgabe diskutiert werden. Von daher sind alle Institutionen der Bildung, Erziehung und des
Jugendmedienschutzes aufgefordert, zusammenzuwirken und mit adäquaten
medienpädagogischen Konzepten eine Auseinandersetzung mit Gewalt anzustoßen.
Eine Übersicht über kompetente Ansprechpartner, Portale, Informationen,
Materialien und Links zur Gewaltprävention an Schulen finden sich unter
folgenden Adressen:
http://www.mib-bayern.de/
http://www.km.bayern.de/km/aufgaben/gewaltpraevention/
http://www.bildungsserver.de/zeigen.html?seite=788
http://www.gewalt-in-der-schule.info/
Quellen Fachforum am 5. April 2006 in München: „Gewaltvideos auf Handys – eine
Herausforderung für Pädagogik und Jugendmedienschutz“.
http://www.mzm.jff.de/
Gewalttätiges
Lösel,
Friedrich
u.
a.
(2002):
Konfliktlösungsverhalten in der Jugend.
und
gewaltfreies
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2005): JIM Studie 2005.
Jugend, Information, (Multi-)Media.
www.medieninfo.bayern.de: Medienpädagogik>Medien und Recht> Jugendmedienschutz: http://tinyurl.com/s34sp
www.medieninfo.bayern.de: Medienpädagogik>Medienerziehung>Internet &
Co.: http://tinyurl.com/q8j2b
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Autorin Vera Haldenwang, ISB München
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