Diese Seite als PDF anzeigen

Transcrição

Diese Seite als PDF anzeigen
01·02 | januar·februar 2011
J1
F OTO : E R O L G U R I A N
jugend
„So machen wir das jetzt mal.“ Christian Hanika vertritt die Jugendlichen und Azubis bei E.ON mit knallhartem Verhandlungsgeschick
Wie macht der das?
i n h a l t
Europa mitgestalten
porträt | Christian Hanika hat schon eine Frauenfußballmannschaft trainiert, heute ist er Vorsitzender der
Konzernjugend- und Auszubildendenvertretung bei e.on und noch einiges mehr – ein Superprofessioneller auf Turbo
von Monika Goetsch
Schwarzer Kurzmantel, geputzte Schuhe
und zwei Rollkoffer, in jeder Hand einer:
Christian Hanika, 24, wirkt ausgeschlafen
und frisch und voller Energie. Obwohl
es noch früh ist, ein grauer Januarmorgen, Schneematsch auf Münchens Straßen. Hanika hat nach dem Aufstehen
Kaffee getrunken, Obst und Saft gibt es
dann beim Meeting in der e.on Energie-Zentrale hoch über den Dächern
Münchens. „Wer Höhenangst hat, kann
hier nicht runterschauen“, sagt er mit
Blick auf die schöne Eingangshalle des
Hauptgebäudes ganz weit unten. Er hat
aber keine Höhenangst. Man hätte sich
auch gewundert bei einem Mann wie
ihm.
Seine Vertreter sitzen schon im Hufeisen des Konferenzsaals, sie kommen
aus ganz Deutschland, um sich zu beraten: demographischer Wandel, Patenschaften für junge Mitarbeiter, das Nachbesetzen frei werdender Stellen, alles
Themen, die 4 900 jungen Menschen
im Gesamtkonzern auf den Nägeln brennen. „Da wird viel drüber geredet“, sagt
Hanika, „aber von Arbeitgeberseite
kommt gar nix.“ Christian Hanika wirft
den wohl geordneten Laptop an und
beamt den Kalender an die Wand. Jahresplanung. Wann trifft man sich 2011
zur Videokonferenz, wann persönlich?
„Wie ich Terminplanungen hasse“, murmelt Hanika gut gelaunt und zieht die
Sache doch flott und professionell durch,
als liege ein Spaß darin. Als der Wunsch
einer Teilnehmerin nicht berücksichtigt
werden kann, schaut er sie freundlich
an, „so machen wir das jetzt mal, tut
mir leid für dich“.
Es ist die zweimonatliche Vorstandssitzung der kjav, der Konzernjugendund Auszubildendenvertretung: ein
Wortungetüm, das dem Vorsitzenden
und Schnellsprecher Hanika leicht über
die Lippen geht – auch wenn das Bayerische immer wieder durchschlägt. Hanika mag eine gewisse Weltläufigkeit
ausstrahlen, sein Dialekt verrät die Herkunft aus der Provinz. Bad Abbach bei
Regensburg, 10 000 Einwohner, ein
Städtchen mit „Kaiser-Therme“ an der
Grenze von Mittel- zu Nordbayern. Hier
hat er Fußball gespielt, den Nachwuchs
und die Frauenmannschaft trainiert, in
der Schule ein bisschen herumgekaspert,
dabei allerdings „strategisch gelernt,
um durchzukommen“ und im vergangenen November die „Jungen Freien
Wähler“ gegründet, deren Vorsitz er
kurzerhand auch noch übernahm.
Eine volle Woche
Heute wohnt er, der leidenschaftliche
Koch mit Vorliebe für gesunde Ernährung, noch immer im Haus seiner Kindheit, in einer „Zweier-wg“ mit seiner
Mutter. Aber eigentlich ist er gar nicht
so viel zu Hause. Seine Arbeit als Vorsitzender der kjav und seine Posten in
42 unterschiedlichen Gremien prägen
den beruflichen Alltag. Aber auch privat
ist Christian alles andere als faul. Diese
Woche ist besonders vollgepackt: Montag Büro Regensburg, Dienstag und Mittwoch Sitzung in München, Donnerstag
Sitzung in Berlin, Freitagmorgen Regensburg, Freitagnachmittag bis Sonntag Sitzung in der Nähe von Rosenheim, Sonntagnachmittag Hallenfußballturnier mit
seiner Mannschaft, dem tv Oberndorf,
die Sporttasche fährt er seit Freitag im
Auto spazieren. Abends Tanzkurs mit
der neuen Freundin, „danach sink ich
ins Bett.“ Allerdings nicht, ohne vorher
sein tägliches Sportprogramm zu absolvieren, Ausgleich und Stärkung zugleich:
100 Situps und 50 Liegestütze.
Mit einem spielerischen Sinn für Experimente zieht er privat immer noch
mehr Jobs an Land, als Model zum Beispiel und als dj, der anderen einheizt,
er hat Auftritte in Quizshows, spielte
schon mal einen flirtenden Kellner in
der Fernsehproduktion Alles Liebe, verkleidete sich für Tchibo als kinderlieber
Hase und ließ sich in der Show Singing
Bee hochnehmen. Er hat fünf Patente
laufen, darunter eins, das Kindern das
Einschlafen erleichtern soll, und ein anderes zum Thema Hautpflege. Oberflächliche Gameshows und professionelles Wissen, Quirligkeit und knallhartes
Verhandlungsgeschick, schillernde
Selbstdarstellung und das Talent, sich
in wichtigen sozialen Fragen für die Belange anderer durchzusetzen: Das scheint
auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Passt es aber, auf ganz entspannte Weise. „Neue Zeiten brauchen
neue Antworten“, steht entsprechend
auf Hanikas Visitenkarte. Und er meint
es auch so.
Dampf ablassen
Anfangs, vor acht Jahren, wollte er vor
allem Parties für die Jüngeren bei e.on
organisieren. Inzwischen hat er sich tief
eingearbeitet in sein Amt, Inkompetenz
kann er sich nicht leisten. Einen bunten
Strauß an Eigenschaften anbieten – das
klappt nur, wenn man überall gut ist.
Vorbereitet, engagiert, mit einem guten
Gespür für das, was andere von einem
wollen. Natürlich hört auch er die üblichen, missmutigen Sprüche: Die da oben,
heißt es etwa, machen sowieso, was sie
wollen. Du kannst eh nichts ändern. Wen
interessiert das schon. Solcher Politikverdrossenheit begegnet Hanika mit Gegenfragen: Wie kommst du darauf? Warum setzt du dich nicht für deine Zukunft
ein? Möchtest du denn nicht unbefristet
übernommen werden? „Die Leute brauchen ein Ventil. Sie wollen Dampf ablassen. Aber irgendwann merken die:
Mensch, der Christian hat ja Recht.“
So akribisch Christian Hanika auch arbeitet, so effizient und entscheidungs-
sicher er auftritt: Die Jüngeren mögen
ihn für seine Lockerheit. Manche sehen
ihn erst im Fernsehen, bevor sie ihn als
kjav-Vorsitzenden von e.on erleben.
„Ein crazy Typ“, habe er gedacht, als er
Hanika bei Singing Bee sah, sagt Alexander Kütt, einer seiner Stellvertreter.
Ausgerechnet I’m Mister Vain von Culture
Beat sang Hanika da, „Ich bin Herr Eitel“.
Dann lernte Kütt ihn als leidenschaftlichen kjaver kennen. „Gut, dass er so
viele verschiedene Seiten hat.“
Noch genieße er den „Jugendbonus“,
sagt Hanika, die Erlaubnis, über die
Stränge zu schlagen, die ganze Offenheit
der Zukunft. Zwei Jahre bleiben ihm bei
der kjav, zwei Jahre lang setzt er sich
weiter ein für die unbefristete Übernahme aller Azubis, für eine hohe Ausbildungsqualität, für vernünftige Tarife und
gegen die Ausbeutung junger Auszubildender. Dann ist Schluss.
Aber was heißt schon Schluss, Hanika
hebt die Hand und deutet auf jeden Finger einzeln: „Es gibt die Gewerkschaftsschiene. Und die politische Bürgermeisterschiene. Ich könnte eine Fernsehshow
übernehmen. Oder einfach dj werden
und nebenbei politisch aktiv sein.“ Dann
wäre da noch die ursprüngliche Karriere,
der er gerade eins draufsetzt: Für Mai,
sagt er im e.on-Konferenzsaal vorsichtig
zu seinen Stellvertretern, mögen sie bitte
keine Sitzung einplanen. Da lerne er für
seinen Bachelor in Electronics. Eine Viertelstunde später ist der Einwand vergessen, Christian Hanika nickt einen Maitermin durch. „Kommt nicht in Frage,
da hast du Prüfungsvorbereitung. Lernen
geht vor!“ sagt jemand aus der Runde.
Ein Tag Sitzung, behauptet Hanika, sei
immer drin. „Christian!“ sagt seine Stellvertreterin Sabina Schmidt da nur mahnend. Der Termin wird gestrichen.
Manchmal muss man den Hanika ein
bisschen bremsen – das wissen hier am
Tisch alle.
Wie ver.di-Jugendliche an ihrem
Europa arbeiten
j2
„Bring 2“
Am 19. Februar geht’s auf nach Dresden und jeder nimmt noch zwei
Freunde mit
j2
Notunterkünfte für
Erstsemester
Den Unis gehen die Plätze aus
j3
Zu wenig zum Leben
Wenn das Einkommen nicht zum
Auskommen reicht
j4+j5
Hinterm Horizont
Kulturbeutel
j6+j7
Raus aus der Unsicherheit
Sie haben alles, was man für einen
guten Start ins Berufsleben braucht:
eine gute Ausbildung, teils Hochschulabschlüsse und vor allem viele
praktische Erfahrungen und Talent.
Und dennoch: Kaum je hatten es
junge Menschen schwerer als heute,
sich durch Arbeit eine gesicherte
Existenz aufzubauen. Eine Familie
gar? Ist nicht dran zu denken. In der
Wissenschaft, der Soziologie, nennt
man das „unsichere Existenzen“
oder spricht vom Prekariat. Wir haben uns umgesehen und umgehört,
wollten wissen, was das mit den
jungen Leuten macht? Die Antworten sind unterschiedliche. Das Porträt auf dieser Seite macht Hoffnung, doch nicht jede und jeder ist
ein Tausendsassa. Andere Beispiele
zeigen aber: Es gibt Wege raus aus
der Unsicherheit.
Petra Welzel