Mit dem Latz nach vorn!

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Mit dem Latz nach vorn!
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23. Aug. 2013, 10:13
Mit dem Latz nach vorn!
Mit dem Latz nach vorn!
Wie man eine Lederhose anzieht – und was man sonst zur Wiesn wissen muss, steht in einem neuen
"Merian" Von Hermann Weiß
Oh, oh, das tut weh! Da sonnte man sich in München ein paar Sommer lang in dem Bewusstsein, zu
den lebenswertesten Städten des Planeten zu gehören. Doch seit 2010, dem Jahr, in dem Tyler Brûlés
Lifestyle-Magazin "Monocle" München für konkurrenzlos erklärte, geht es konstant abwärts. Aktuell,
2013, steht München im Ranking der "Top 25 liveable cities" bei "Monocle" nur noch auf Platz acht.
Für eine Metropole tue sich hier zu wenig, heißt es: "Es ist keine Energie in der Stadt." Dafür jede
Menge "dröhnender Traditionalismus". Das ist nicht schön. Es ist nicht das, was man in München
gerne hört. Und deshalb tut es gut, wenn nun ein Wiesn-"Merian" das hiesige Brauchtum und eines
seiner Heiligtümer gegen solche – maßlos übertriebenen! – Unterstellungen verteidigt.
"Das Münchner Oktoberfest ist nicht nur Bierwahn und Saufgelage", schreibt Autorin Sonja Still.
"Keiner wird behaupten, dass die Wiesn eine klösterliche Veranstaltung ist. Aber sie ist auch kein 16
Tage dauernder Exzess." Dass das klar ist! Still, laut Klappentext im Schlachthofviertel aufgewachsen,
mithin also ein echtes "Münchner Kindl", bemüht im Folgenden sogar eine Psychologin, die alles
dransetzt, die Wiesn in den Rang eines sinnstiftenden gesellschaftlichen Ereignisses zu erheben.
"Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ist ein wichtiger Aspekt der menschlichen Identität", heißt
es da. Und: "Auf dem Oktoberfest und in Tracht kann jeder glauben, dazuzugehören und dem Alltag zu
entfliehen." Na, ja. So genau wollten wir es auch wieder nicht wissen. Denn das würde ja heißen, die
Wiesn ist auch nichts anderes als sagen wir: ein Rockfestival? Oder ein Fußballspiel? Da kann man
schon ins Grübeln kommen.
Aber das ist, andererseits, das Schöne an diesem "Merian": Dass er das Originale und das
Unverwechselbare, das Besondere und Einmalige der Wiesn in einer Weise beschreibt, dass einem – ob
man will oder nicht – am Ende doch das Herz aufgeht. Zum Beispiel, wenn Sonja Still ganz
unvermittelt, ihre Do's und Dont's lanciert: "Nicht alles durcheinanderessen! Fischsemmeln mit
Zwiebelringen nicht zu sich nehmen, wenn man noch ein Busserl von seinem Wiesn-Flirt hofft!" Oder
zum Dresscode und fachgerechten Anziehen einer Lederhose: "Der Latz gehört tatsächlich nach vorn!"
Denn: "Eine Lederhose ist keine ,Schnellscheißerhose'."
Der Ton auf der Wiesn ist manchmal halt ein derber! Man sollte vorbereitet sein. Und, wenn es doch
zum Äußersten kommt, wenigstens die passende App im Ärmel haben: "Oktoberfest – gscheid
gschimpft". Die App übersetzt bayerische Schimpfwörter ins Hochdeutsche und andersherum. Wiesn
digital gegen Wiesn analog? Jaja: Das Oktoberfest ist einerseits herrlich altmodisch. Andererseits aber,
natürlich, ultramodern.
Über die App "Herzalarm" zum Beispiel kann man neuerdings virtuell Lebkuchenherzen verschicken,
mit "MyWiesn" lassen sich Freunde orten. Gut zu wissen, meint Sonja Still, die auch sonst mit
Ratschlägen nicht geizt. Zu jedem Festzelt hat sie eine Anekdote parat. Und egal, ob man die
Geschichte schon kennt oder nicht – sie hilft dem Leser, eine Umgebung zu finden, die zu ihm passt.
Zum Beispiel das Augustinerzelt: Die Autorin schreibt zwar nicht, dass dort das Bier ausgeschenkt
wird, das die Einheimischen am liebsten trinken; wohl aber, dass es sich bei der Augustiner-Brauerei
um die älteste Brauerei Münchens handelt. Und dass der Liedermacher Konstantin Wecker dieses Zelt,
speziell die "Schenke 2 im Augustiner", auch schon besungen hat. Da weiß man, was man hat. Oder
was man bekommt. Wie, umgekehrt, auch bei Sepp Krätz im "Hippodrom".
Der "Merian" räumt auf mit der Mär, dass Krätz die "Promi-Wiesn" erfunden hat. Demnach hat der
Wirt das "Hippodrom" als Tummelplatz der Prominenten, Pseudo-Prominenten und Adabeis zwar
bekannter gemacht: "Als Paris Hilton dort im goldenen Dirndl ihren Schaumwein aus der Dose
präsentierte, kam es zum Massenauflauf ihrer Fans." Trotzdem verwaltet er nur das Erbe von Carl
Gabriel. Beim Gründer des "Hippodroms" saßen schon um die Jahrhundertwende "die Großkopferten
und Schönen an kleinen Tischen, die 50 Pfennig Reservierungsgebühr kosteten, und ließen sich
unterhalten".
Sonja Still enthält dem Leser die wirklich harten Bewährungsproben nicht vor. Vor dem "Kiwi"- und
"Italiener"-Wochenende im Hofbräuzelt etwa wird ausdrücklich gewarnt: "Blanke Busen und nackte
Hintern werden per Handy in die ganze Welt getwittert." Sie stellt aber auch klar: "Wer seine Ruh'
haben will, soll sich in den Biergarten setzen oder daheim bleiben."
Damit man nicht ins offene Messer läuft, gibt es ein "Wiesn-Barometer" in Form einer Grafik – die
überlaufenen Tage sind darin dunkelrot. Im Kapitel "Bazis, Bauernfänger und Haderlumpen" befasst
sich Sonja Still mit den Schleusern vor den Festzelten. Aber sie gibt auch Tipps, wie man die Hürden
umgeht. Denn: In ist, wer drin ist. In München. "Monocle" hin oder her.
Sonja Still. Münchner Wiesn 2013. Der perfekte Oktoberfest-Begleiter, 128 Seiten, 7,99 Euro
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