Rede von Dr. Jürgen Rüttgers anlässlich des 85. Geburtstages von

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Rede von Dr. Jürgen Rüttgers anlässlich des 85. Geburtstages von
Lebenslinien
Gedanken zum 85. Geburtstag
von Bernhard Worms
von
Jürgen Rüttgers
am 14. März 2015
im Maternushaus, Köln
Geburtstagsreden sind schwierige Reden, schon gar über einen Freund. Ein Blick
ins Internet zeigt 100e von Angeboten, wo man Geburtstagsreden abschreiben
oder bestellen kann.
Aber Geburtstagsreden müssen eigentlich einzigartig sein. Warum? Weil der
Mensch, den es zu beschreiben, vielleicht sogar zu loben gilt, einzigartig ist. Niemand lebt für sich allein, niemand außerhalb seiner Zeit und seiner Gesellschaft.
Kein Leben ist nur eine Folge von Tagen, Worten und Jahren.
Mittelalterliche Biographien wurden in Anlehnung an griechische und lateinische
Vorbilder nach einem festen Schema geschrieben. (Fried)
Eine solche Rede wäre einfach zu machen. Auch bei dem heutigen Geburtstag
von Bernhard Worms.
Geburt:
am 14. März 1930 im Krankenhaus Stommeln,
Herkunft:
Vater Josef Worms, aus Dormagen, Postbeamter, Mutter Anna Bern-
hardine, Hausfrau,
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Erziehung: geprägt durch das Elternhaus, Abitur am Gymnasium in Nippes, Studium der Betriebswirtschaft an der Universität zu Köln, Promotion an der Universität Graz
Familie:
verheiratet mit Hildegard Worms
seit mehr als 50 Jahren, drei Kinder
Beruf:
Staatssekretär,
Bundes- und Landtagsabgeordneter
Äußeres:
wohlgenährt
Besonderheit:
vertrauenswürdig.
Aber was weiß man wirklich über Bernhard Worms, wenn man diesen beeindruckenden, aber nur tabellarischen Lebenslauf kennt? Ich glaube, nicht viel. Es sind
nur Lebenssplitter, die da erscheinen.
Unsere moderne Gesellschaft benutzt dagegen häufig andere Techniken, um
menschliches Leben zu verstehen. Da ist z. B. die „Schuldverteilungsstrategie“,
was meint: „Schuld sind immer die anderen“. Wir modernen Menschen wollen
immer mehr, nur nicht mehr Verantwortung. Würde heute jemand wie Ludwig
Erhard von Maßhalten reden, würde er Gelächter oder Missachtung ernten. „Doch
das Nichts-ist-unmöglich-Lebensgefühl“ hat fatale Folgen. Denn: Wer sein Denken durch irrwitzige Machbarkeitsparolen vernebeln lässt, steigert gleichzeitig
das Enttäuschungspotential ins Unermessliche“. (Mühl)
Ein anderer Gedanke: Jeder von uns arbeitet ein Leben lang an einem sozialen
Gesicht, das wir uns selbst zuschreiben. Ich meine damit nicht das wirkliche Gesicht, sondern ich spreche von dem Ausdruck, den wir in unser Gesicht hineinlenken, als „die soziale Rolle, all das, was wir uns an Fähigkeiten, Einfluss und
Macht zuschreiben“, das Muster aus Gewohnheiten und Einstellungen, das wir
Charakter nennen; die nach außen hin verkündeten Gedanken und Gefühle.“ (Bieri) Dieses Gesicht zu verlieren ist gefährlich. Aber weil so oft die soziale Rolle,
die wir spielen, mit der wirklichen nicht übereinstimmt, verlieren immer mehr
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Menschen das Vertrauen in die Politik, die Unternehmer, die Menschen, die Gewerkschaften, die Kirche, also die Institutionen unserer Gesellschaft.
Dieser Vertrauensverlust hat aber nicht nur mit menschlichen Fehlern, mit
Versagen zu tun.
Wer sieht, dass in unserer heutigen Öffentlichkeit immer häufiger Gesagtes oder
Nichtgesagtes, wie man es nennt, zugespitzt wird, damit die Berichterstattung
besser verkaufbar wird, wer sieht, dass neu Behauptetes ungeprüft für wahr erklärt wird, wem auffällt, dass wir Behauptungen im Internet sogar ohne Quellenangabe für zuverlässig halten, der versteht, warum der Glaube an das Gute immer stärker verloren geht.
Wer, ein dritter Gedanke, liest, wie der digitale Nachfolger des alten Lexikon ein
menschliches Leben in Einzelkategorien zerlegt, sie in Schubladen verpackt, der
versteht, warum unsere Wahrnehmung von Mitmenschen sich verändert hat.
Bernhard Worms mag mir verzeihen, wenn ich aus seiner Wikipedia-Seite die dort
genannten Kategorien seiner Lebensbeschreibung zitiere. Dort steht:
„Kategorie: Landrat (Rhein-Erft-Kreis), was übrigens falsch ist. Damals hieß der
Kreis noch „Erftkreis“. Also: Landrat / Landtagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen), beamteter Staatssekretär (Bundesrepublik Deutschland), Bundestagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen), CDU-Mitglied/Politiker (20. Jahrhundert / Lazarus-Orden / Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband / Träger des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen / Korporierter im KV / Person (Pulheim) / Deutscher / Geboren 1930 / Mann“.
Man spürt bei dieser Auflistung, wie wenig vom Eigentlichen von diesen blutleeren
Stichworten umfasst ist.
Wenn es wichtig ist, dass ein Leben mehr ist als die Ämter, das Einkommen, die
Tage und Stunden, die Herkunft, dann sieht man, dass diese Kategorien nur Lebenssplitter sind. Was fehlt, sind Lebenslinien. Lebenssplitter sagen nichts, um
mit Johannes Fried zu sprechen, von der „Totalität der zurückgelegten Wege und
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Bahnen, …[den] Begegnungen mit anderen, …[den] Absichten, Emotionen, Erfolge[n] oder …[dem] Scheitern, [sie] enthüll[en] nicht die Widersprüchlichkeit
eines lebendigen Ichs und dessen Austauschs mit seinesgleichen und in seiner
Welt“.
II.
Wenn ich jetzt versuche, ein Stück der Lebenslinien von Bernhard Worms zu beschreiben, so weiß ich um die Unvollkommenheit dieses Versuches, um die Unvollständigkeit des Unterfangens.
Die erste Lebenslinie, die ich in Bernhard Worms‘ Lebenslinien entdecke, wollte
ich mit dem Wort „Heimat“ bezeichnen. Nachdem ich aber bei der Suche nach
einer klaren Aussage, was
denn Heimat ist, gescheitert war, blieb mir neben der Erkenntnis, dass es keine
einheitlich Definition für Heimat gibt, nur die Erkenntnis, dass Heimat etwas mit
dem Raum, in dem ich lebe, den Menschen, die ich liebe und dem Gefühl, wo ich
zuhause bin, zu tun hat.
Konkret ist das bei Bernhard Worms Pulheim, weshalb er für Helmut Kohl immer
der „Pulheimer“ war.
Es ist aber auch der Erft-Kreis, dessen erster Landrat er war. Es war Bernhard
Worms, dem es gelang, die Städte und Gemeinden des Erftkreises vor der Eingemeindung nach Köln zu bewahren, die Wunden der kommunalen Neuordnung
zu heilen. Er war es, der diesem Kreis zwischen Rhein und Erft ein eigenes Selbstbewusstsein und Zukunftsvertrauen gegeben hat. Und er war es, dem die Menschen vertrauten. Ein Satz aus Stommeln über ihn war: „Jank zum Worms, dä
koss nix“.
Und Heimat ist für ihn das Rheinland, diese alte Region im Herzen Europas.
Es ist das Gebiet, das General Harras in seiner Abschiedsrede in Carl Zuckmayers
Drama „Des Teufels General“ so beschrieben hat:
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„…Denken Sie doch - was kann da nicht alles vorgekommen sein in einer alten
Familie. Vom Rhein - noch dazu. Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von
der Kelter Europas! Und jetzt stellen Sie sich doch einmal Ihre Ahnenreihe vor seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl,
braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und
dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch,
der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition
begründet. - Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant - das hat
alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt - und
- und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven, und der
Gutenberg, und der Matthias Grünewald, und - ach was, schau im Lexikon nach.
Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich
die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und
Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. Vom Rhein - das heißt: vom Abendland. Das ist natürlicher Adel…“ (Voigtländer)
Für diese Region hat Bernhard Worms in all seinen politischen Ämtern gearbeitet
und gestritten. Er hat hier Spuren hinterlassen, tiefe Spuren.
III.
Und das führt mich zur zweiten Lebenslinie. Als andere schon den Ruhestand
begannen, hat Bernhard Worms neue Aufgaben übernommen. Er hat als Vertreter der Senioren-Union Deutschland und später mehr als 12 Jahre als Präsident
der Europäischen Senioren Union für Europa gearbeitet. Und zwar in derselben
Art, die ihm schon in seiner Heimat die Zuneigung und das Vertrauen seiner Mitbürger eingebracht hat. Er hat Europa bereist, als „Landfahrer und Landpfarrer“,
wie ihn der Spiegel einst bezeichnet hat. Karlheinz Gierden fragt in seinem Buch
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über das „Rheinland - Wiege Europas?“: „Wo sind die Botschafter der europäischen Idee? Wer erreicht mit Europa die Herzen der Menschen?“ (Gierden) Es
war ganz sicher
Helmut Kohl und es war Bernhard Worms, der es schaffte, die Senioren in ganz
Europa davon zu überzeugen, dass sie es sind, die für Europa eintreten müssen,
weil sie aus eigener Erfahrung wissen, was Krieg und Völkerfeindschaft für Europa
bedeuten.
IV.
Und damit bin ich bei der dritten Lebenslinie. Ich habe Bernhard Worms gefragt,
was ihn geprägt habe; wer oder was ihm das Rüstzeug mitgegeben hat, ein ganzes politisches Leben lang für seine Überzeugungen zu kämpfen.
Er hat mir von seinem Vater erzählt, einem gläubigen Katholiken, der nach der
Machtübernahme durch Hitler im Jahre 1933 „mindestens einmal monatlich als
Postbeamter von einem Parteimitglied aufgefordert wurde, die Gründe darzulegen, warum er sich weigerte, der NSDAP beizutreten“.
Er erzählte davon, dass er im Januar 1945 als 14-jähriger in Köttingen vor einem
SS-Gericht erscheinen musste. Bernhard Worms war für „wehrunwürdig“ erklärt
worden. Er musste deshalb vor der gesamten, zum Appell angetretenen Gruppe
öffentlich aussagen. Er musste bekennen, dass er „ein Kameradenbetrüger, ein
Vaterlandsverräter, ein Feigling“ sei. Nicht benutzen bei dieser erzwungenen
Selbstbezichtigung durfte er das Wort „Verbrecher, weil ein Arier nicht Verbrecher
sein“ könne, „weil der ein Jude“ sei. Zu Beginn hörte er, wie der „Vorsitzende“
über seinen Vater sagte: „…das ist auch einer jener Schweine, die zu feige sind,
dem Führer ihr Leben zu schenken“. Er sollte bei diesem Schauprozess gegen
seinen Vater aussagen, was er aber ablehnte.
Sein Vater war derselbe Mann, der 5 Tage nach dem Kriegsende auf der linken
Rheinseite zu seiner Dienststelle ging, weil er als Arbeiter im Paketdienst wusste,
dass einige Waggons mit Paketen beladen wegen des Kampfes um Köln noch
nicht ausgeladen waren.
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Bernhard Worms‘ Standfestigkeit auch unter Druck hatte sich unter den Pastören
des damaligen Dekanats Weiden-Lövenich herumgesprochen. Deshalb beauftragte ihn der damalige Dechant Tücking aus Brauweiler im Herbst 1944 zu einer
Zeit, in der die Kirchenglocken schon konfisziert und eingeschmolzen waren, einen besonderen Auftrag zu erfüllen. Bernhard Worms sollte in jeder Pfarrei die
Monstranz abholen und zu einer Sammelstelle in Frechen bringen. Dechant Tücking fügte aber hinzu: „Wenn Du aber siehst, dass Du mit Deinem größeren Korb
die Stätte ohne Schwierigkeiten verlassen kannst, dann komm mit dem wertvollen Gut zu mir wieder zurück! Wir beide schweigen gegenüber jedem!“
Er hat mir von seiner Mutter erzählt, die ihm aus einem Heiligenbuch den Satz
seines Namenspatrons Bernhard von Clairvaux mitgab: „Bernarde ad quid venisti“ -„Zu was bist Du hier?“
Durch seine Eltern hat er gelernt, dass „Treue, Verlässlichkeit, Wahrheitsliebe,
Pflichtbewusstsein, Verzichtsbereitschaft, Dienen“ keine Sekundärtugenden sind,
als die sie heute dargestellt werden. Sondern sie sind Werte, ohne die die Menschen nicht in Freiheit und Gerechtigkeit zusammen leben können.
Lieber Bernhard, Du hast vielen Menschen geholfen.
Manchmal denke ich, dass Du Dich auch manchmal ausgenutzt gefühlt hast. Du
hast Dich aber nie beklagt. Du hast nicht aufgehört. Bis heute nicht. Vor ein paar
Wochen fand ich einen Bericht über hilfsbereite Menschen. Nach neuen amerikanischen Studien sind es hilfsbereite Menschen, die im
Leben weiter kommen als Ellenbogentypen, weil sie sich um andere kümmern.
Und: Solche Helfer finden oft Möglichkeiten, den Kuchen zu vergrößern; „Ihr Erfolg geht nicht zu Lasten anderer, darum wird er ihnen allseits gegönnt“.
(Dworschak)
Das, lieber Bernhard, soll mein letztes Wort heute an Deinem Geburtstag sein.
Du hast vielen Menschen geholfen, persönlich und politisch. Viele Menschen wünschen Dir heute herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Mach weiter so, solange der Herrgott Dich lässt. Und ganz besonders Vergelt‘s Gott!