Hat Josef Joffe auf seinen Laptop gekotzt?

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Hat Josef Joffe auf seinen Laptop gekotzt?
Hat Josef Joffe auf seinen Laptop gekotzt?
Über das deutsche TV-Kabarett im Allgemeinen
und ?Die Anstalt? vom 29. April im Besonderen
Autor: Reyes Carrillo
Datum: 05. Mai 2014
Ich lebe noch nicht so lange in diesem Land, um mir ein Urteil darüber erlauben
zu können, ob es ein wirklich politisch linkes TV-Kabarett (inkl.
Systemhinterfragung) hierzulande je gegeben hat. In ?meiner? Zeit jedenfalls
nicht. Über peinlichen Karikaturen ihrer selbst wie Mathias Riechling oder
schwer Haltungsgeschädigten wie dem Neoliberaliebling und selbsternannten
INSM-Botschafter Dieter Nuhr liegt eh das große schwarze, schwere Tuch der
kaum steigerbaren Fremdscham. Aber auch Urgesteine aus der seriösen
Abteilung wie (der von mir wegen seiner Lebensleistung und vor allem als
Mensch hoch geachtete und geschätzte!) Dieter Hildebrandt wusste meiner
Wahrnehmung nach kabarettistisch dem schleichenden Gift des
entdemokratisierenden, vielschichtig gewalttätigen Neoliberalismus nichts
entgegenzusetzen ? oder auch, er erkannte diese Gefahr einfach nicht? Seine
grundsätzliche Abneigung gegenüber jener Partei links der SPD konnte er ja
zudem bis zum Schluss nicht aufgeben.Mit Urban Priol und Georg Schramm
standen dann jedoch mit ?Neues aus der Anstalt? plötzlich ein ? vor allem durch
Schramms Tiefe dominiertes ? erstmals die wirklich dunklen Zeichen und
Zusammenhänge der Zeit wahrnehmendes, linkes Kabarett ausgerechnet unter
dem ZDF-Label. Da erinnere ich mich gern an einige wunderbare Highlights! Vor
allem, wenn noch der starke, linke Baum Volker Pispers mit von der Partie war.
Mit dem Weggang Schramms ging?s jedoch bergab. Frank-Markus Barwasser
alias Pelzig konnte freilich nicht ansatzweise einen Georg Schramm ersetzen.
Ohne dabei unterschlagen zu wollen, dass er in dieser Zeit einige beachtliche
Solos und mit seiner ?Goldman-Sachs?-Flipchart-Nummer einen jetzt schon als
legendär geltenden Höhepunkt hatte. Heute allerdings ist sich Barwasser nicht
zu schade, am beliebten, öffentlichen Putin- und Russland-Bashing munter
teilzunehmen. Arschloch! Nun, und beim in seinem komödiantischen Stil
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eigentlich immer sehenswerten Urban Priol schien nach dem Verlust seines
genialen Kollegen oft eine kleine Schere hinterm aufgebürsteten Haar zu
stecken. Und dann ? war Schluss mit dieser Anstalt, die wollten nimmer. Blickt
man heute zurück, konnte nichts Besseres passieren. Dieser ausführliche Abriss
war notwendig, um das angemessen würdigen zu können, was Max Uthoff und
Claus von Wagner in der neuen, nunmehr besetzten ?Anstalt? auf die Bühne
bringen: Linkes, scharfes, wirklich aufklärendes, immer auch
systemhinterfragendes - und, wunderbar! ? auch wütendes und fantastisch
moralisierendes Kabarett! Das ist in dieser Art geradezu sensationell ? für hier
und heute in diesem Land. Und dann ist da noch eine andere Dimension des
Trostes: Dass Georg Schramm, der ja vor Kurzem in aufrechter, erschreckend
realistischer Hoffnungslosigkeit und tiefer Desillusion in Rente ging, nun diese
vergleichsweise jungen Kollegen mit einer solchen kämpferischen Frische
nachfolgen und ein riesiges, imaginäres Trotzdem-Schild in die Luft halten, das
ist wunderbar. Und, nicht zuletzt, dass das ZDF Solches ermöglicht (aus welchen
Gründen auch immer), das ist diesem seltsamen Regierungssender zu danken!
Gäste diesmal: Alfons, Abdelkarim und Konstantin Wecker. Was auf den ersten
Blick in vielerlei Hinsicht nicht zwingend homogen erscheint ? ist es auch
nicht. Alfons und Abdelkarim jedoch stören nicht nur nicht, sondern sie sind
dankenswerterweise in die Bühnenshow so integriert, dass echte Brüche
ausbleiben. Bonmot von Abdelkarim ?Ich find? das gut, dass Putin und Russland
jetzt die Bösen sind. So hab? ich als Moslem mal 'ne kleine
Verschnaufpause!?. Und Konstantin Wecker muss bis zum fulminanten Finale
mit Konstantin Wecker den running gag am Leben halten, einfach nicht, so sehr
es ihn auch drängt, an den Flügel gelassen zu werden. Eine der Begründungen:
?Ach wissen Sie, Herr Wecker, diese engagierten Lieder, ja, die hatten in den
80er-Jahren durchaus ihre Berechtigung, aber heute??. ?Zu pathetisch??, fragt
Wecker. ?Ja?. Thema der Sendung sollte eigentlich Europa sein, aber das gelang
aus zwei gegensätzlichen Gründen nicht. Der positive Grund: Der Ukraine-Krise
mit allen ihren Lügen, inszenierten Feindbildern und willfähriger, bellizistischer
Journaille war ein geradezu traumhaft aufbereiteter etwa gleichgroßer Block
wie Europa gewidmet. Auf der anderen Seite wurden fast singulär die
katastrophalen Auswirkungen auf die südlichen Mitgliedsländer thematisiert,
nicht aber die Hintergründe dieser vor allem von Deutschland forcierten Politik.
Da half auch das schöne Bild nichts, wenn Konstantin Wecker als siecher
Kranker auf einer Bahre liegend auf die Bühne gefahren wurde und ihm
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Abdelkarim hinter einem Paravent als Chirurg mit dem blutigen Beil noch die
Gliedmaßen abhackte.Der nun Verblichene wurde dann mit einer griechischen
Fahne zugedeckt. Schwitz! Welch Symbolik! Auch noch zwei weitere Szenarien
zu Europa vermochten kaum Licht in das gewollt herbeimanipulierte Dunkel
des Ursache-Wirkungs-Prinzips dieser skandalösen Politik zu bringen. Schade.
Ganz anders jedoch beim schon angesprochenen Thema Ukraine mit all seinen
widerwärtigen Facetten! Zunächst liest der sprachmächtige Jurist Uthoff (auch
in der dritten Sendung noch etwas nervös wirkend) in seinem Solo vor allem
der deutschen Außenpolitik und ihren Feindbildern die Leviten. Dabei neu:
diese ungewohnte Schärfe. Gut, Spargel Uthoff wirkt natürlich nicht unbedingt
angsteinflössend, wenn er sich dann mit fixierendem Blick direkt in die Kamera
an Steinmeier persönlich wendet: ?Jetzt hör? mal zu, du Bundes-Uhu?!?, aber er
tut es und sagt sowas und man glaubt ihm seine Wut. Und wenig später hat
Claus von Wagner, der zehn Jahre Jüngere und doch irgendwie ausgebuffter
Wirkende seinen furiosen, pelzigesken Auftritt: Wieder wird eine Schautafel auf
die Bühne gerollt, die es in sich haben soll. Auf dem oberen Drittel sind so gut
wie alle relevanten transatlantischen Lobbyorganisationen aufgeführt
(?Atlantik-Brücke?, ?Aspen-Institute?, ?Münchner Sicherheitskonferenz?, ?The
German Marshall Fund of the United States? usw. usf.) und im unteren Drittel
sieht man u.a. die Visagen von (den ?NATO-Verstehern?) Josef Joffe (Die Zeit),
Stefan Kornelius (Süddeutsche), Nonnenmacher, Frankenberger (FAZ) usw. Das
mittlere Drittel ist ? noch abgeklebt. Schließlich reißt von Wagner diesen Teil
frei ? und sichtbar wird das dicht gehäkelte Verbindungsnetzwerk, das
genannte Journalisten zu diesen Lobbyorganisationen in serviler, inniger
Verbundenheit unterhalten. (Ohne die Untersuchungen von Uwe Krüger wäre
diese Aufklärungsarbeit sicher nicht so detailliert möglich gewesen. Buch:
Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und
Alpha-Journalisten - eine kritische Netzwerkanalyse.)Uthoff danach
resümierend: ?Dann sind also diese ganzen Zeitungen eigentlich nur die
Lokalausgaben der NATO-Pressestelle!?. Von Wagner: ?Das haben jetzt Sie
gesagt!?. Im Nachsatz: ?Aber Sie haben es schön gesagt!?.Das Finale rückt näher.
Von Wagner zündet eine Kerze an und sagt mit Sentiment in der Stimme: ?Für
eine Lichterkette für den Frieden.? Uthoff macht es ihm nach. Von Wagner: ?Sie
auch? Ich hab? schon immer gedacht: Im Innern sind Sie ein Softie!?. Der:
?Quatsch! Aber alles, was Josef Joffe dazu bringt, auf seinen Laptop zu kotzen,
da bin ich dabei!?. (Und alles, was ich - u.a. - in einem guten Kabarett brauche,
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sind Sätze wie dieser.)Es wird still. Von Wagner, mit der Kerze in der Hand:
?Irgendwas fehlt hier??. ?Vielleicht ein bisschen Pathos??, fragt eine Stimme aus
dem Hintergrund. - Konstantin Wecker hat seinen Auftritt. Was dazu sagen?
Gänsehaut pur. Wecker spricht zu seinem Willi ins Grab und kotzt all das
heraus, was jedem und jeder an dieser Zeit, an diesem Land, an dieser Welt
Verdurstenden wie süßer Wein die Gurgel bis tief hinab in die Seele rinnt und
für Momente jenes großartige, vor allem in Deutschland schon längst vergessen
geglaubte Gefühl zurückbringt: Das wunderbare Pathos des gemeinsamen
Auflehnens, des Kampfes um den Frieden, des Kampfes um eine bessere Welt!
Und sich dies vor allem voller Stolz zu trauen, dieses Pathos als wunderbares
Pathos zu bejahen und, selbstverständlich, sich in diesen Kontexten auch als
guten Menschen zu begreifen, dies also alles als Speisung und Trank des
Menschseins zu erfahren im Bewusstsein davon, wie viel weiter weg denn je all
diese Ziele liegen und wie lächerlich moralisch und gutmenschlerisch solches
auf den ?modernen Menschen? wirkt. Scheiß? doch drauf! Lasst in der Zeit des
neuen Kriegsgeheuls in Europa, lasst in Zeiten des Homo Oeconomicus
pathetische Gutmenschen auf den Strassen in Massen um uns sein! Die
Frankfurter Rundschau war übrigens die einzige (!) im Netz zu findende Stelle,
die diese ?Anstalt?-Sendung einer Besprechung für würdig befand. Ansonsten
wurde sie tot geschwiegen. Freilich kein Wunder.Kritiker Daland Segler
rezipierte nach einigem Lob für Uthoff und von Wagner Konstantin Weckers
Auftritt allerdings so: Konstantin Wecker ?wärmte seinen ?Willy? auf und wurde
so schrecklich moralisch und mit seinem Appell, wieder massenhaft zu
demonstrieren, irgendwie auch so vorgestrig, dass diese Ausgabe des Kabaretts
statt mit Gelächter eher trist endete.?Wenn Sätze aus Scham rot werden
könnten vor ihrem angepassten Zeitgeist-Kotau, dann dieser. Ach ja, und die
Tristesse: Die war in Wahrheit ein orkanartiger Applaus. Da muss unser Freund
Daland wohl kurz auf dem Klo gewesen sein.
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