Paraguay - Land der Frauen

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Paraguay - Land der Frauen
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Rede von Ute Schmitz bei Ausstellungseröffnung am 04. Februar 2014
„Paraguay - Land der Frauen“
Paraguay? Wo liegt das überhaupt?
Von Lateinamerika wussten wir wenig, von Paraguay gar
nichts, als wir uns zu Beginn der siebziger Jahre mit zwei
kleinen Kindern per Schiff auf den Weg machten.
Schwüle Hitze, feuchte Luft und rote Erde empfingen uns.
Wir waren angekommen in den Subtropen - und im Land
des deutschstämmigen Diktators Alfredo Stroessner.
Die Präsenz von Polizei und
Militär war auffällig und
gewöhnungsbedürftig.
In wohltuendem Gegensatz
dazu die große Freundlichkeit
der Landesbewohner.
Von diesen lernte ich
anfänglich erst einmal die
Frauen kennen, noch ohne ihre
besondere Bedeutung für dieses
Land zu kennen.
Während Hermann sofort von der Schule absorbiert wurde, erkundete ich die
Einkaufsmöglichkeiten und erlernte unter Anleitung von Silvia, die für 4 Jahre
zum fünften Familienmitglied wurde, die ersten spanischen Vokabeln aus dem
Haus- und Küchenbereich.
Das Einkaufen war ein Erlebnis. Nicht zuletzt wegen der kernigen Marktfrauen.
Eines der prächtigsten Exemplare der
damaligen Zeit haben wir zum Motto der
heutigen Ausstellung gemacht. Eine dicke
Zigarre zwischen den Lippen, oft selbst
gedreht, war keine Seltenheit.
Die Frauen amüsierten sich, machten sich
vermutlich lustig über die jungen
Ausländerinnen, die mit unpassendem
Schuhwerk durch Pfützen und Berge von
Abfall zu ihren Marktständen kamen.
Ich höre heute noch, wie sie sich gegenseitig
zu übertrumpfen suchten:
„Señora, comprá de mí!“ - (Señora, kauf´
bei mir!)
Nie habe ich erlebt, dass eine von ihnen
unsere anfängliche Unkenntnis der
heimischen Währung ausgenutzt hätte.
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Auch beim Verkauf an der Haustür wurde nie eine zudringlich oder unhöflich,
wenn ich nichts kaufte.
Ich erlebte die Dienstmädchen in den Nachbarhäusern und bekam mit, dass
ihnen die Kinder ihrer Arbeitgeber Befehle erteilten.
Dienstmädchen waren ein beliebtes Thema. Bei „Damen“- Kaffee-Runden
erhielt ich ungefragt lauter gute Ratschläge.
„Zahlen Sie nicht zu viel Gehalt, geben Sie nicht so oft frei, Achtung, die
Mädchen benutzen Ihren Lippenstift, sie putzen das Silberbesteck mit dem
Topfschwamm“, usw.
Wer waren diese Dienstmädchen?
Woher kamen sie? Und wer waren
ihre Arbeitgeberinnen? Mir wurden
die Klassenunterschiede sehr
schnell bewusst.
Die „muchachas“, kamen meist
vom Inland. Es waren viele, die
Arbeit suchten. Deshalb konnte man
ihren Lohn beliebig nach unten
drücken.
Sie wohnten mit im Haus und waren deshalb immer verfügbar. Ihr Zimmer lag
meist neben der Garage oder im hinteren Teil des Gartens. Zimmer konnte man
ihre einfache Behausung im - ansonsten großzügigen Haus - in den meisten
Fällen gar nicht nennen. Selbstverständlich aß das Mädchen in der Küche,
nachdem es am Tisch bedient hatte. „Sie wollen es so“, erklärte man mir.
„Sie schämen sich sonst oder werden eingebildet ....“
Wenig Scham empfanden so manche Dienstherren oder auch ihre Söhne,
gegenüber den Dienstmädchen .
Sexuelle Übergriffe waren und sind in Paraguay an der Tagesordnung.
Hatten solche Beziehungen Folgen, wurde das Mädchen aufs Land geschickt.
War der Nachwuchs geboren, blieb er dort und die Mutter kehrte zur Arbeit in
die Stadt zurück. In Asunción, nur wenige Meter von unserem Haus entfernt,
gab es eine Einrichtung mit dem schönen Namen Casa Cuna - Haus der Wiege
Wir hörten später, dass hier Hausmädchen ihre Kinder abgeben konnten, von
denen einige unter dubiosen Umständen verschwanden.
Später tauchte der Verdacht auf, dass Casa Cuna Drehscheibe des Handels mit
Babies und Organen war.
Die Dienstmädchen brachten sehr
geschätzte Erfahrungen aus ihren
großen Familien auf dem Land mit, wo
sie schon als Kinder Verantwortung für
jüngere Geschwister zu übernehmen
hatten. Ich sehe sie noch vor mir, wie
sie, selber schmächtig, oft stundenlang
mit dem Geschwisterchen auf der Hüfte
unterwegs waren.
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Autofahrende Frauen sah man kaum. Frauen in qualifizierten Berufen gab es in
den siebziger Jahren in Paraguay nur sehr wenige. Politik war reine
Männersache. Junge, hübsche, sich langweilende Sekretärinnen gab es schon
eher. Sehr häufig galt da die Gleichung „Posten nur bei Gegenleistungen.“
Auch gab es schlecht ausgebildete und schlecht bezahlte Lehrerinnen.
Ziel der jungen Mädchen war,
früh und günstig unter die Haube
zu kommen.
Mit einem aufwendigen, teuren
Fest wurde der 15te Geburtstag
gefeiert. Wie junge Bräute sahen
die früh erwachsenen Mädchen
aus. Besonders stolz waren sie,
wenn beim Fest der Papa an
ihrer Seite war.
Das ist nämlich nicht der
Normalfall. Zumindest nicht auf
dem Land oder bei der armen
Bevölkerung. Damals und bis heute wird in PY die Hälfte aller Kinder von
alleinstehenden Müttern auf die Welt gebracht.
Das ist auffallend in einem katholischen Land.
Die Gründe liegen in der Vergangenheit - gehen wir also noch ein wenig zu
den Anfängen zurück:
Die Eroberung Lateinamerikas
verbinde ich gedanklich immer
mit Kolumbus, drei Schiffen
voller perspektivloser
Sträflinge, Männer im
Goldrausch, die im Zeichen
des Kreuzes und unter der
Flagge der katholischen
Könige schreckliche Untaten
begingen. Es war schon eine
nachrückende ErobererGeneration, die den Weg von
Extremadura - Heimat der Conquistadores
Buenos Aires über den jetzigen
Rio Paraguay ins südamerikanische Landesinnere fand.
Asunción, die Hauptstadt Paraguays, wurde erst 1537 gegründet.
Erste Begegnungen mit dem dort heimischen Stamm der kriegerischen Guaranís
verliefen glimpflich. Die groß gewachsenen, stolzen Ureinwohner hatten sich
auf Kriegszüge bis in Inkareich begeben und waren dort bis auf den letzten
Mann vernichtet worden.
Es herrschte also vermutlich Frauenüberschuss. Die Europäer zögerten nicht
lange, als ihnen die Stammesführer ihre anmutigen Frauen und Töchter anboten.
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Irala, der erste spanische Gouverneur, hatte 70 Guaraní-Frauen.
Er und etwa 300 Gefährten zeugten innerhalb von 2 Jahren 2000
Mestizenkinder.
Die Väter, immer noch gierig auf der Suche nach Gold, erkundeten das
Landesinnere und hatten weder Zeit noch Lust, sich um die unübersichtliche
Nachkommenschaft zu kümmern. Verständigungsschwierigkeiten gab es
obendrein. Die Kinder sprachen ja Guaraní, wie ihre Mütter.
Schon wenige Jahre nach der Ankunft der Spanier bildete sich eine
Klassengesellschaft aus Mestizen, reinen Indios und Europäern. Name,
Hautfarbe und Herkunft entschieden über Erbe, Ansehen und Macht.
Selbstverständlich musste die Feldarbeit von den heimischen Guaranís verrichtet
werden. Als billige Arbeitskräfte, vertraut mit dem Klima, wurden sie gejagt und
wie Leibeigene behandelt.
In einem in Lateinamerika
einzigartigen „Experiment“
wurden jesuitische Padres ihre
Beschützer. In großen
Gemeinschaften, sogenannten
Reduktionen, lebten sie zusammen mit den bis dahin als
Nomaden lebenden Indios ein einfaches Leben.
Diese aber wurden fleißig
missioniert und entwickelten
sich, unter Anleitung, zu
äußerst geschickten Bauern, Handwerkern und Künstlern. Die Ruinen einst
mächtiger Kathedralen, Portale, Altäre, Heiligenfiguren, Wohngebäude und
Straßen zeugen noch heute von 160 Jahren relativen Wohlstandes. Die
Menschen waren gut genährt, die Arbeit
wurde gerecht aufgeteilt. Jede Frau lebte
mit dem ihr angetrauten Ehemann in
einem eigenen Heim. Seitensprünge
wurden streng bestraft.
Das müssen schwere Zeiten gewesen sein
für die Frauen der Guaraní, die es gewohnt
waren, allein für ihre Kinder zu sorgen.
Es hätte so weiter gehen können, wären da
nicht Neid und Missgunst der Oberklasse
gewesen, denen die billigen Arbeitskräfte
abhanden gekommen waren. Der spanische König löste die Reduktionen auf.
Die Indios, der paternalistischen Führung beraubt, flohen zurück in die Wälder
oder wurden zu Knechten. Ihre Guaraní-Sprache hatten die Padres zur
Schriftsprache gemacht - die bis auf den heutigen Tag im schriftlichen und
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mündlichen Gebrauch in Paraguay ist, gesprochen von über 90% der
Bewohner - einzig in Südamerika.
Von der Auflösung der Reduktionen bis zur Ablösung vom spanischen
Mutterland dauerte es nur wenige Jahre. 1811 wurde Paraguay unabhängig.
Mit Dr. Francia, dem ersten Präsidenten und ersten Diktator, begann ein neues
Kapitel in der Geschichte der Frauen dieses Landes. Obwohl er selbst
französische Vorfahren hatte, empfand dieser Mann einen gehörigen Hass auf
Ausländer, Frauen und vermutlich auch auf sich selbst. Kann man seine
politische Weitsicht nur loben, so bleiben doch Unverständnis oder gar Abscheu
für viele seiner Taten. .
Francia lebte spartanisch, war geizig und ohne eigene Familie. Als seine
uneheliche Tochter den Präsidenten-Vater um Unterstützung bei der Aussteuer
bat, riet der ihr, sich zu prostituieren, um selbst Geld zu verdienen. Gleichzeitig
machte er das Gewerbe zum Berufsstand und die Damen waren ab dann am
goldenen Kamm zu erkennen, den sie im pechschwarzen Haar trugen.
Per Dekret verfügte der Diktator, dass Europäer nur noch einheimische Frauen
heiraten durften. Zuwiderhandlungen wurden bestraft und das
Familienvermögen eingezogen. Auch wenn sich die europäischen Männer einer
Eheschließung verweigerten, so wurden sie doch unter Zwang innerhalb weniger
Jahrzehnte die Ur-Väter eine Mestizengesellschaft, die bis heute fast 80 % der
Gesamtbevölkerung ausmacht.
Kann man sich vorstellen, dass unter den geschilderten Bedingungen Kinder mit
liebevollen, sorgenden Vätern groß wurden?
Wieder einmal sind es fast ausschließlich die Frauen, die die Kinder aufziehen.
Auf Francia folgte sein
Neffe Antonio López.
Die Gelder, die sein
sparsam lebender
Onkel der reichen
Oberschicht
abgenommen hatte,
investierte er in
Industrie, in Waffen,
aber auch in Technik.
Paraguay besaß als
erstes Land auf dem
Kontinent eine eigene
Eisenbahn.
Vater López nahm auf dem Totenbett seinem Sohn und Nachfolger das
Versprechen ab, Konflikte diplomatisch und nicht militärisch zu lösen.
Vergeblich!
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Francisco Solano López führte sein Land in den schrecklichsten Krieg der
lateinamerikanischen Geschichte. Von 1864 – 70 dauerte der Kampf gegen
Brasilien, Argentinien und Uruguay, bekannt als Triple-Allianz- Krieg.
Mit Schaudern beschreiben Zeitzeugen den Kampfesmut und die
Todesverachtung der zahlenmäßig weit unterlegenen paraguayischen Kämpfer sicher auch ein Erbe ihrer kriegerischen, indigenen Vorfahren.
Der Krieg fordert ungeheure Verluste. Als es kaum noch Soldaten gibt, greifen
die Frauen
unerschrocken
zur Waffe und
gehen an die
Front. Noch
ahnen sie nicht,
was ihnen
bevorsteht.
Schließlich
werden die
kleinen Jungen in
die Schlacht
geschickt. Bärte
aus Riedgras
sollen den Feind
glauben lassen, er habe es mit Männern zu tun. López und sein 15- jähriger Sohn
fallen schließlich brasilianischen Soldaten in die Hände und suchen, statt sich zu
ergeben, bewusst den Tod, getreu ihrem Schlachtruf: „ Patria o muerte“ Vaterland oder Tod.
Von den 1,3 Millionen Einwohnern überleben nur 220000 den Krieg - Frauen,
Greise und Kleinkinder - und nur 600 Männer!
Zum Kriegsende 1870 wird Paraguay nun wirklich das „Land der Frauen.“
In einer enormen Leistung bauen sie das ausgeblutete Land auf. Mit großem
Elan und mit aufopfernder Hingabe, ohne die, so sagen Historiker, Paraguay als
Nation nicht überlebt hätte.
Wieder sind sie Alleinversorgerinnen.
Wie aber können sie sich Kinderwünsche erfüllen?
Zeugungsfähige Männer sind Mangelware. Hat die Frau einen Mann gefunden,
darf er in der Hängematte ruhen, während sie schwere Arbeit im Haus und auf
den Feldern verrichtet. Als im Asuncióner Hafen ein Schiff anlegt und die
Seeleute von Bord gehen, werden sie am Kai von Frauen bedrängt, die sich um
ihre Gunst sogar prügeln.
Als wir 1973 nach Asunción kamen, waren seit dem Ende des schrecklichen
Drei-Bund-Krieges erst 100 Jahre vergangen Nur 30 Jahre lag ein weiterer,
grausamer Krieg zurück, der sog. „Chacokrieg“ gegen Bolivien, der erneut
50.000 Männer das Leben kostete.
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Ich sehe noch unsere damals 9jährige Tochter Birgit vor mir, die seitenweise
Geschichtsdaten auswendig lernen musste.
Wann und wo fand welche Schlacht statt?
Wie heißen die Namen der berühmtesten Kriegsorte?
Wie heldenhaft gingen López und sein Sohn in den Tod?
Und für die als Kinder in den Kampf geschickten Jungen gab es sogar Gedichte,
Lieder und Heldenmonumente.
Über die Frauen, Urmütter und mehr als einmal Retter, mindestens aber
Bewahrer des Landes, über ihre ganz besondere Geschichte gibt es in den
paraguayischen Geschichtsbüchern keine Abhandlungen.
Dafür aber zum „Dia de la madre“ Gedichte und fromme Sprüche, wie hier bei
uns zum Muttertag.
Uns bereitet es daher eine besondere Freude, durch unser Erzählen und unsere
Fotos Ihnen die Urenkelinnen aus dem „Land der Frauen“ vorzustellen.
Ute Schmitz, Februar 2014