Das prozessorientierte Krankenhaus

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Das prozessorientierte Krankenhaus
PROZESSMANAGEMENT
Foto: Thomas Söllner - Fotolia
Das prozessorientierte
Krankenhaus
Mit Traditionen brechen –
Paradigmenwechsel in deutschen Kliniken
Die aktuelle Situation im Gesundheitswesen
braucht innovative Abläufe und Prozesse.
Viele Kliniken in Deutschland setzen auf
High Tech Medizin und modernste klinische
Ausstattung. Im Gegenzug sind die internen
Ablaufprozesse häufig traditionell organisiert
und werden von den klinischen Fachabteilungen bestimmt. Querdenken ist angesagt!
Das Krankenhaus der Zukunft kann nicht
mehr abteilungsorientiert gesteuert werden,
sondern soll prozessorientiert arbeiten,
indem der Patient selbst den Takt für die
Patientendurchlaufsteuerung angibt.
Mit der Ausgangsfrage, inwieweit die gegenwärtigen Ablaufprozesse eine Zukunftsorientierung darstellen, hat das Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg sich bereits vor
vielen Jahren auf den Weg gemacht, den
Gesamtprozess von der Aufnahme bis zur
Entlassung eines Patienten neu zu definieren
und patientenorientiert auszurichten. Aus
dieser ursprünglichen Idee entwickelte sich
das prozessorientierte Krankenhaus.
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nter dem Anspruch, dass Patienten so qualitativ und
wirtschaftlich wie möglich
durch den Krankenhausprozess geleitet und hohe Vorhalte- und Prozesskosten vermieden werden, hat
das Caritas-Krankenhaus St. Josef
mit den alten Traditionen gebrochen. Dabei wurde das abteilungsund funktionsorientierte Organisationsmodell durch kreative Wege ersetzt.
Es bildeten sich zentrale Einheiten
im Aufnahmeprozess wie das Zentrale Belegungsmanagement (ZBM),
die Zentrale Patientenaufnahme
mit integrierter medizinischer Aufnahme (ZPA) und die Stationäre
Holding Area (SHA).
Auf den Stationen wurden Ablaufprozesse verschlankt und das Pflegesystem der Primären Pflege eingeführt, aus dem sich ein patientenorientiertes und kommunikatives
Fallmanagement entwickelt hat.
Diese vorgenannten Konzepte haben sich über Jahre hinweg bewährt
und werden heute auch von ande-
ren deutschen Krankenhäusern als
erfolgreich anerkannt und realisiert.
Zentrales
Belegungsmanagement (ZBM)
Der Erstkontakt des Patienten zur
stationären Aufnahme, unabhängig
ob der Patient aus der Indikationssprechstunde oder direkt vom Facharzt in das Krankenhaus eingewiesen wird, läuft über das Zentrale Belegungsmanagement. Das ZBM koordiniert und terminiert alle stationären Aufnahmen der unterschiedlichen Fachrichtungen.
Der Patient erhält dort seinen Termin für die ambulante, prästationäre und/oder stationäre Aufnahme.
Die Mitarbeiter im ZBM überprüfen
alle Voruntersuchungen, die bei der
Aufnahme vorliegen müssen. Sie
orientieren sich an den Einbestellungspfaden der verschiedenen klinischen Fachrichtungen. Fehlende
diagnostische Maßnahmen werden
intern oder extern zusätzlich organisiert. Die Terminvergabe erfolgt
unter festgelegten Standards.
Neben der Vergabe und Organisation der Aufnahmetermine werden
auch die Stationszuweisung, interne Verlegungen und Aufnahmen
über die Notaufnahme durch das
ZBM gesteuert. Dieser zentrale Regelsteuerungskreis für die Aufnahme- und interne Belegungsplanung
ermöglicht eine optimale ressourcenorientierte Leistungsplanung
mit einer Reduzierung der präoperativen Phase und Verweildauer.
Zentrale
Patientenaufnahme(ZPA)
Nach der Terminvergabe im ZBM
und der Erledigung des Aufnahmeprozedere geht der Patient nach
Hause und kommt zum vereinbarten Zeitpunkt in das Krankenhaus.
Er meldet sich in der Zentralen Patientenaufnahme und wird von einem kompetenten Ansprechpartner
an einem Tresen empfangen. Anschließend wird er in den anliegenden Untersuchungsräumen sowohl
administrativ als auch ärztlich stationär aufgenommen. Dafür stehen
jeweils ein erfahrener Arzt der entsprechenden Fachrichtung und eine Arzthelferin zur Verfügung.
te Ablauf der strikten Trennung administrativer Aufnahme im Eingangsbereich und medizinischer
Aufnahme - zum Teil durchgeführt
von unerfahrenen Assistenzärzten
auf Station - wird dabei grundsätzlich durchbrochen.
Stationäre Holding Area (SHA)
Nachdem der Patient die Prämedikationsvisite durchlaufen hat, gibt
er seine Krankenakte auf der Stationären Holding Area ab. Die SHA
dient als präoperativer Aufnahmebereich. Das Pflegepersonal überprüft die Patientenakte auf Vollständigkeit und leitet sofort erforderliche Maßnahmen ein, sofern
noch administrativ-medizinische
Fragen vorliegen.
Anschließend geht der Patient nach
Hause und kommt meist am nächsten oder übernächsten Tag zur stationären Aufnahme direkt auf die
SHA und wird dort für die Operation
vorbereitet. Das Pflegepersonal der
SHA bringt den Patienten, ohne
Reibungsverluste bezogen auf das
Just-in-Time Prinzip, nach OP-Plan
in den OP-Saal. Nach der Operation
und anschließendem Aufenthalt im
Aufwachraum wird der Patient auf
die Station verlegt.
Bettenengpässe auf den Stationen
gehören der Vergangenheit an.
Durch die SHA bekommt jeder Patient bei der stationären Aufnahme
sofort einen Bettenplatz zugewiesen. Er wird in einem geschützten
Rahmen durch kompetente Pflegekräfte auf die Operation vorbereitet.
Aufgrund routinemäßiger Abläufe
bei der Operationsvorbereitung
durch das Pflegepersonal verringern sich im Sinne des Risiko-Managements die Verwechslungsrisiken.
PROZESSMANAGEMENT
Das Ziel besteht darin, den Zeitraum zwischen der Aufnahme und
der Operation so gering wie möglich
zu halten. Ferner wird eine konstante Auslastung sämtlicher am Prozess beteiligten Abteilungen angestrebt. Somit haben Patienten und
niedergelassene Ärzte eine zentrale
Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen zur stationären Aufnahme.
Der kollegiale Austausch für die stationäre Aufnahme zwischen Hausarzt, Facharzt und dem Krankenhausarzt findet weiterhin statt.
Pflegesystem der
Primären Pflege (PP)
Auf der Station erhält jeder Patient
durch die Einführung des Pflegesystems der Primären Pflege eine verantwortliche Pflegekraft. Diese E
Michael Frank
Direktor für Pflege- und Patientenmanagement
Caritas-Krankenhaus St. Josef. Regensburg
Cornelia Straßburger
Dipl. Betriebswirtin (FH), Assistentin der
Direktion für Pflege- und Patientenmanagement
Caritas-Krankenhaus St. Josef, Regensburg
Die Erfassung der medizinischen
und sozialen Anamnese, die Blutabnahme, das EKG, die Ultraschalluntersuchung und die Aufnahme
der Versicherungsdaten sowie das
medizinische Aufklärungsgespräch
und das Festlegen des Behandlungsverlaufs geschehen in einem
ausgewiesenen Raum. Das diagnostisch bildgebende Verfahren wird
anschließend organisiert. Nach der
administrativen und ärztlichen Aufnahme folgt das Prämedikationsgespräch durch den Anästhesisten.
Der in der überwiegenden Zahl
deutscher Krankenhäuser etablier-
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Elektiv/
dringend
Hausarzt
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Eine Verschiebung von Aufgaben
sowie neue Berufsbilder entstanden.
Bettenplanung
Sprechstunde
ZBM
ZPA
Fallmanagement
Aufnahmeplanung
ZBM
System der Primären Pflege
ZPA
Elektiv/
dringend
Facharzt
Notfall
Aufnahme
OP/Behandlung
Entlassung
Stationäre
Holding Area
Notaufnahme
Abb.1: Prozess ZBM/ZPA/PP am Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg.
stellt sich bei Ihm mit einer Visitenkarte vor und erklärt ihm, dass sie
für seine Pflege und den pflegerischen Behandlungsablauf verantwortlich ist. Sie führt gemeinsam
mit ihm eine professionelle Planung der pflegerischen Maßnahmen durch. Der Patient erhält somit
eine personenbezogene und individuelle Betreuung. Die primäre Pflegekraft versorgt täglich ihren Patienten und begleitet ihn von der Aufnahme bis zur Entlassung. Wenn sie
aufgrund des Schichtmodells abwesend ist, führt die vertretende Pflegekraft die Maßnahmen nach ihren
geplanten Angaben durch.
Primäre Pflegekraft
als Fallmanager
Indem der Patient täglich von seiner verantwortlichen Pflegekraft
von der Aufnahme bis zur Entlassung betreut wird, ist eine effektive
und effiziente Patientendurchlaufsteuerung auf den Stationen möglich.
Da die primäre Pflegekraft alle Informationen über ihren Patienten
aus dem gesamten therapeutischen
Behandlungsteam erhält, hat sie
den Gesamtüberblick über seinen
Behandlungs- und Pflegeverlauf.
Sie trägt somit nicht nur eine
Schicht- sondern auch Prozessverantwortung. In Zusammenarbeit
mit dem zuständigen Stationsarzt
übernimmt sie das Fallmanagement
ihrer Patienten.
Weitere Schnittstellen würden zu
Informationsverlusten führen. Vor-
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aussetzung für die pflegerische und
medizinische Absprache ist eine
gut organisierte Visite und das Einführen von Fallbesprechungen,
wenn mehrere Berufsgruppen eingebunden sind. Ist dieser Informationsaustausch gut organisiert, kann
eine vorausschauende Entlassungsplanung erfolgen und der Patient
ohne große Reibungsverluste durch
den Aufenthalt geleitet werden.
Stationsabläufe brauchen
Innovationen
Um dies zu erreichen benötigen
auch die klassischen Stationsabläufe eine innovative Neustrukturierung. Mit dem Pflegeorganisationssystem der Primären Pflege wurde
ein professionelles und kontinuierliches Fallmanagement auf der Stationsebene etabliert und realisiert,
das höchste Patientenorientierung
verfolgt. Aber ein Pflegesystem der
Primären Pflege wird nicht alleine
durch eine effektive und effiziente
Patientendurchlaufsteuerung gewährleisten. Auch die Ablaufprozesse auf der Station werden überdacht.
In einem ersten Schritt wurden die
Aufgabenfelder Medizin und Pflege
analysiert und neu verteilt. Wie
können Mediziner von administrativen Aufgaben entlastet werden?
Müssen Mediziner Aufgaben wie
Blutabnahme, Venenverweilkatheter legen etc. übernehmen, oder
können dies auch Pflegekräfte tun?
Muss eine examinierte Pflegekraft
Essen austeilen? Diese und viele
weitere Fragen wurden diskutiert.
Mit der Devise, dass der Experte im
Expertenfeld arbeitet, soll eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im
Behandlungsteam auf Augenhöhe
geschaffen werden, um ein koordiniertes Entlassungsmanagement zu
realisieren. Dazu werden die Verantwortlichkeiten des medizinischen und pflegerischen Fallmanagements genau definiert und Foren
für einen gemeinsamen Austausch
geschaffen.
In einem weiteren Schritt werden
derzeit die Stationsabläufe und Prozesse analysiert und ein neues
Raumkonzept für die Stationen
erarbeitet. Kreatives Denken und
entsprechende Planspiele ermöglichen positive Innovationen.
Fazit
Viele deutsche Kliniken sind aus
der Tradition heraus vorwiegend
arzt- und abteilungsorientiert im
Klinikalltag organisiert. Die Veränderungsresistenz ist dabei beachtlich. Mit Traditionen zu brechen –
für diese Lösung hat sich das Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg entschieden und sich einen Weg für neue und kreative Ideen geebnet. Interdisziplinäre Teamarbeit ist die Handlungsoption. Mit
dem Motto „Hand in Hand die Zukunft“ gestalten, haben alle Mitarbeiter an dem prozessorientierten
Krankenhaus mitgewirkt und Abläufe entwickelt, indem der Patient
der Taktgeber für die klinischen
Prozesse ist.
Michael Frank – Direktor für Pflege- und
Patientenmanagement am CaritasKrankenhaus St. Josef.
Cornelia Straßburger – Dipl. Betriebswirtin
(FH) und Krankenschwester
Assistentin der Direktion für Pflege- und
Patientenmanagement am CaritasKrankenhaus St. Josef
Landshuter Straße 65, 93053 Regensburg