Athletenporträt Günther Matzinger

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Athletenporträt Günther Matzinger
Günther Matzinger
Erst Banker, dann Medaillen-Bank
Karriere gegen die Laufrichtung
von JÜRGEN PREUSSER
Da arbeitet einer drei Jahre lang als Investment Banker in München, dann
erobert er zwei Goldmedaillen bei den Paralympischen Sommerspielen in
London. Und Plötzlich ist er Profisportler. Auch solche Karrieren gibt es. Oder
zumindest eine.
Sechzig Stunden die Woche Arbeit in der Bank zählten früher einmal. Jetzt zählen weniger als sechzig
Sekunden für die Stadionrunde einfach mehr. Leichtathlet Günther Matzinger, der ein
abgeschlossenes Studium (Exportmanagement) an der Fachhochschule Krems vorweisen kann, habe
irgendwie Glück gehabt – sagt er zumindest. „Weil ich während des Studiums in Krems zufällig
meinen Trainer kennengelernt habe, der mich dann auch mit den richtigen Laufkollegen
bekanntgemacht hat“, erzählt der Salzburger. Unter anderem mit Andi Rapatz, mit dem er sich
Trainer Edi Holzer teilt.
Einmal Quereinstieg – und zurück
Irgendwie eine verkehrte Karriere. Das scheint aber in der Familie zu liegen: „Der Papa ist inzwischen
fünf Marathons gelaufen“, erzählt Günther. „Den hab ich angesteckt.“ Er selbst sei schon als kleines
Kind dauernd irgendwo gelaufen. Im Turnverein und später bei der Leichtathletik wurde dieser
Bewegungsdrang kanalisiert, mit acht Jahren dann schon ernsthafter. „Radfahren würd’ mich auch
reizen, das tu ich auch als Ausgleichssport. Zu Hause steht auch ein Tischtennis-Tisch. Aber
inzwischen fordert mich der Laufsport voll.“
Gäbe es den Sport nicht… nun, Günther Matzinger hat einen Plan B. Und sogar einen Plan C: „Ich
würd‘ mich gern mit einem Unternehmen selbständig machen. Natürlich mit starkem Sportbezug.
Aber die Finanzkarriere, die ich vor dem Profisport verfolgt habe, ist auch noch nicht abgehakt.“
So betrachtet ist es nur allzu logisch, dass er einen, der im Sport und im sportbezogenen Business
erfolgreich war, als großes Vorbild nennt: „Sebastian Coe. Supersportler, der über 800 und 1500
Meter so lang dominiert hat, Politiker, Vorsitzender des Organisationskomitees der Sommerspiele in
London… Das ist eine Traumkarriere.“ Er bewundere aber auch einige seiner Trainingskollegen, auch
wenn diese lang nicht so berühmt sind. „Weil sie sich voll reinhauen können und alles geben.“
Verlagerung der Energie
Bei der Frage nach dem Größten der Sportgeschichte denkt Günther Matzinger lange nach, doch
dann landet er erst recht wieder bei einem Laufsport-Idol: „Haile Gebrselassie! Er hat Jahrzehnte lang
alles dominiert, ist dann auch im Marathon Weltspitze geworden und läuft jetzt in seiner Altersklasse
immer noch Weltrekorde.“ Diese Karriere sei unvorstellbar. „Wie kann man so lang auf so einem
enorm hohen Niveau rennen, sich tagtäglich motivieren und das dann auch noch so erfolgreich
umsetzen? Genau das werde ich ihn fragen, wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme.“
Was Motivation betrifft ist er selbst ebenfalls auf einem sehr guten Weg: Ein Bandscheibenvorfall im
März konnte trotz Schmerzen und Komplikationen seine Karriere nicht ernsthaft bremsen. Bei der
Leichtathletik-EM für Sportler mit Handicap in Swansea holte er im August die Silbermedaille über
400 Meter. „Das absolute Maximum“ sagte er, „ich hab ja nur vier Wochen voll trainieren können.“
Der Bandscheibenvorfall sei seine erste gröbere Verletzung gewesen. „Das ist nicht einfach. Mein
Rezept bestand darin, die Energie, die ich sonst ins Training investieren würde, in die Therapie und
die Erholung zu investieren.“ Das habe nicht immer Spaß gemacht, aber immerhin ganz gut
funktioniert. Bis jetzt zumindest. Denn ausgestanden sei die Verletzung immer noch nicht ganz.
Herzklopfen und Adrenalinstöße
Endlich wieder zu laufen und am Wettkampf teilzunehmen – das sei ihm wichtig. Die letzten Minuten
vor dem Start spielten dabei eine entscheidende Rolle: „Herzklopfen, volle Adrenalin-Stöße. Im
Callroom müssen mich die Aufpasser oft bremsen, weil ich voll hyperaktiv bin.“ „Please sit down“
und Ähnliches bekommt er dann zu hören. Es ist ihm unmöglich, solche Anweisungen zu befolgen.
Gedanklich gehe er auch das Rennen durch. Ein Ritual aus Aberglauben habe er keines. „Allerdings
mache ich immer genau die gleichen Aufwärmübungen. Das gibt mir Sicherheit.“
Das Charakteristische an seinen beiden Distanzen? „Sowohl 400 als auch 800 Meter sind sehr kurz,
können aber sehr lang werden.“ Und das wiederum könne mitunter wehtun: „Kein reiner Sprint, weil
es auch auf Taktik und Einteilung ankommt. Man darf sich in dieser einen oder diesen zwei Minuten
einfach keinen Fehler erlauben, sonst ist man weg.“
Seine Freundin ist in einer ähnlichen Situation: Nicole Tobolka ist Unter-23-Staatsmeisterin über 100
Meter Hürden. Günther Matzinger bezeichnet sie als eine ganz wichtige Bezugsperson in seinem
Sportlerleben. Doch auch sein Trainer habe einen großen Anteil am Erfolg: „Erst Edi Holzer hat aus
mir einen guten 400- und 800-Meter-Läufer gemacht.“ Wobei „gut“ ganz eindeutig eine schwere
Untertreibung ist: Mit 1:51,82 hat Günther Matzinger bei seinem Goldlauf bei den Spielen von
London über 800 Meter sogar einen Weltrekord aufgestellt.
Mit oder ohne Behinderung: Hauptsache laufen!
Günther Matzinger leidet an einer Dysmelie (= angeborene Fehlbildung) des rechten Unterarms.
Wobei das Wort „leidet“ eigentlich ziemlich fehl am Platz ist: Er hat – besser als viele andere –
gelernt, mit seinem Schicksal zu leben. Rein sportlich betrachtet war ihm sein Handicap lange Zeit
sowieso erst recht egal: Er bestritt seine Wettkämpfe anfangs ausschließlich bei den
Nichtbehinderten. Erst Sportkollegen machten ihn darauf aufmerksam, dass er bei den Paralympics
gute Chancen haben könnte. Seither arbeitet er gezielt auf diese Wettkämpfe hin. In Peking gab er
sein Debüt.
In Österreich bestreitet der 27-jährige Salzburger aus Tamsweg weiterhin Rennen und
Meisterschaften für Nichtbehinderte. Er zählt zu den besten fünf 800-m-Läufern Österreichs und ist
mehrfacher Salzburger Landesmeister über beide Distanzen.
Aus diesen vielen Gründen kann es wohl keinen würdigeren Botschafter für eine vor kurzem
angelaufene Initiative geben: Günther Matzinger hat sich als Frontman für den Sporthilfe Runtastic
Charity Run zur Verfügung gestellt. Der Reinerlös dieser Laufsport-Challenge für jedermann fließt in
die Vorbereitung der österreichischen paralympischen Athleten auf die Spiele in Rio 2016. „Damit wir
dort mindestens genauso erfolgreich sein können wie 2012 in London.“ Er selbst wird dort wieder zu
den großen österreichischen Medaillenhoffnungen zählen.
http://www.guenthermatzinger.com/
Word Rap Günther Matzinger
AC DC oder Helene Fischer? „Da ist mehr Punch dahinter. Und das braucht man beim Rennen.
Obwohl der Fischer-Song Atemlos auch ganz gut passen würde.“
Rivalität oder Freundschaft? „Im Rennen ist die Rivalität kurz da, aber davor und danach zählt die
Freundschaft.““
Jennifer Aniston oder Jody Foster? „Die ist für mich irgendwie mehr die Sportlerin.“
Arnold Schwarzenegger oder Tom Hanks? „Forrest Gump ist ein Klassiker. Da geht’s auch viel ums
Laufen. Und The Green Mile ist auch so ein Wahnsinnsfilm.“
Krawatte oder Flip Flops? „Als ehemaliger Banker hab ich mir oft genug eine Krawatte gebunden.“
Dschungel oder Großstadtdschungel? „Bin gern in der Natur und genieße die Ruhe.“
Katze oder Spinne? „Ich mag keine Katzen.“
T-Bone Steak oder Gummibärli? „Das schmeckt besser und man hat mehr davon.“
Felix Baumgartner oder Roger Federer? „Der eine macht mehr Show als Sport, der andere mehr
Sport als Sjhow. Und das taugt mir mehr.“
Alpenvorland oder Rocky Mountains? „Da komm’ ich her, da g’hör‘ ich hin.“
Facebook oder Brieftaube? „Spricht doch eher die junge Generation an, der ich mich noch zurechne.“
Jäger oder Sammler? „Sportbedingt! Irgendein G’scheiter in einem Managementseminar hat mir
einmal gesagt: Laufen ist ein Fluchtverhaslten. Ich hab‘ ihm gesagt: Nein, das ist ein JKagdverhalten!“
Fallschirm oder Bohrmaschine? „Ich pack‘ ganz gern selber an. Beim Werkzeug muss man sich auf
sich selber verlassen, beim Fallschirm ist man doch davon abhängig, ob das Ding aufgeht…“