Bischof Theodor Clemens, Herrnhuter Brüdergemeinde Sonntag
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Bischof Theodor Clemens, Herrnhuter Brüdergemeinde Sonntag
Bischof Theodor Clemens, Herrnhuter Brüdergemeinde Sonntag Reminiszere, 11. März 2001, 18 Uhr Fastenpredigt über 2. Timotheus 1,7-11 Paulus schreibt: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt. Jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Jesus Christus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium, für das ich eingesetzt bin als Prediger und Apostel und Lehrer." Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, sei mit uns allen, Amen. Liebe Gemeinde! Die Wochen zwischen Aschermittwoch und Karfreitag, die Passions- oder Leidenszeit sollten keine Zeit der Trauer sein. Manchmal gewinnt man den Eindruck, wenn man die ernsten Gesichter, um nicht zu sagen, die Leidensmienen von Pfarrern und Gemeindegliedern sieht. Es wäre schön, wenn wir auch in unseren Gottesdiensten, durch Lieder, Gebete und Predigten etwas mehr von dem österlichen Glanz vermitteln könnten, der auch schon über dieser Zeit liegt. So könnte unser Fasten frei von allem Zwang und Druck von der Freude über Gottes errungenen Sieg bestimmt sein. Dies hat dann wohl weniger zu tun mit dem Fasten aus medizinischen Gründen. Ich habe eine Frau vor Augen, der ich vor zwei Wochen im Krankenhaus begegnet bin. Sie erzählte ihren Mitpatientinnen stolz, dass sie eine Fastenkur gemacht und seit Dezember 20 kg. abgenommen habe. Sie hatte nichts außer einem Pulver zu sich genommen, das angeblich alle Nährstoffe enthalten sollte. Ihr Körper hat sich irgendwann dagegen gewehrt, und die Schmerzen wurden unerträglich. Schließlich hat der Körper die Notbremse gezogen, und sie musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Auch dort verweigerte sie die normale Kost. Angewidert wandte sie sich vom Essen ab und probierte höchstens ein Salatblatt oder fettarmen Joghurt. Ihr Nachtschrank war aber voller Schokoriegel, die sie als Seelennahrung, so sagte sie, nachts zu sich nahm, wenn keiner es hörte oder sah. Im Grunde litt diese Frau an sich selbst und ihren zerbrochenen Beziehungen. Sie litt unter Kollegen, die sie mobbten. Sie fastete mit der Hoffnung, verändert an Leib und Seele ein neues Selbstwertgefühl zu bekommen. Und sie hoffte, dann neue Beziehungen eingehen zu können und von einem Menschen geliebt zu werden. Aber meint dies wirklich Paulus, wenn er einen seiner engsten Mitarbeiter in einem ganz persönlichen Brief auffordert "Leide mit mir für das Evangelium". Geht es da auch um ein Programm der Selbstkasteiung und Selbstaufgabe? Was Paulus vermitteln möchte ist doch: Weil Jesus am Kreuz für uns den Sieg über den Tod bereits errungen hat, darum können wir das Leiden annehmen und leichter tragen. Wir müssen uns also nicht furchtbar anstrengen und auf einen mühsamen Weg machen, um ein Ziel zu erreichen. Sondern wir kommen von dem Ziel her, und das macht uns bereit, auch unsere eigenen Schwächen in einem anderen Licht zu sehen. Und dies bedeutet dann, nicht nur bis zum Horizont zu sehen und die eigenen Grenzen immer wieder wahrzunehmen, sondern hinter den Horizont zu sehen. Oder noch besser, von einem anderen Standpunkt aus die eigene Situation in den Blick zu nehmen. So kann Paulus auch die Kritik an seiner Person ertragen und aushalten, weil er von sich selbst weg auf Christus sieht. Und er kann es aushalten, dass Menschen sich von ihm abwenden, weil sie meinen, einer der in Ketten gebunden im Gefängnis liegt, kann kein Botschafter der Befreiung sein. Aber er sehnt sich in dieser Lage nach einem Mitbruder, mit dem er gemeinsam tragen kann. Trage mit mir die Last, die mir Christus durch das Evangelium auferlegt hat. Es ist eine Last, die auch einsam machen kann, und deshalb sehnt man sich in solchen Situationen nach anderen, die einem sympathisch sind, die mitleiden können, ohne zu zerbrechen. Dass Paulus der Timotheus besonders nahe stand, kann man gut verstehen, denn durch seinen griechischen Vater und seine jüdische Mutter hatte er keinen leichten Stand in der Gemeinde. Nicht nur zwei verschiedene Kulturen hatten ihn geprägt, sondern auch unterschiedliche Weltanschauungen, der Vater war bekennender Heide. dass Timotheus Prediger und Seelsorger geworden ist, sieht Paulus als Frucht des Glaubens der Großmutter und Mutter. Im Unterschied zu manchen Heilspredigern, die Menschen mit verlockenden Angeboten locken, macht er ihm bewusst, dass die Gnade nicht billig ist, sondern auch Verzicht und Leiden einschließt. Aber es ist kein Aufruf zur Selbstkasteiung und Askese. Und Timotheus hat den Ruf Gottes gehört und hat sich trotz seiner Jugend für diesen Weg entschieden. Am Schicksal seines Seelsorgers Paulus sieht er, dass dieser Weg auch persönliches Leid, Gefängnis, ja sogar den drohenden Märtyrertod bedeuten kann. Und beide sind bereit, dies alles auf sich zu nehmen. Selbst die Furcht vor dem Sterben wird überwunden. Und dies nicht in dem man selbst über den Zeitpunkt bestimmt und mögliches kommendes Leiden dadurch abwendet und verkürzt. Leiden und Sterben werden nicht als verlorene Zeit gesehen, die verkürzt werden sollte, sondern aus der Gewissheit, dass Jesus Christus jetzt schon in uns lebt. kommt die Kraft, auch diese Lebensphase auszuhalten. Der Tod kann uns zwar von Menschen trennen, aber nicht mehr von Gott und seiner Liebe. Dies ist die Gewissheit, die Paulus mit seinem Freund Timotheus teilen möchte. Und nicht nur mit ihm. Und doch halte ich diesen Text für ein sehr persönliches Wort und an jemanden gerichtet, der selbst leidvolle Erfahrungen gemacht hat. Jemand, der auch durch manche Krise in der Gemeinde gegangen ist. Einer, der im Missionswerk auf Zustimmung und Ablehnung gestoßen ist, ja der auch gefährliche Situationen aushalten musste. Und nicht immer kam die Gefahr von außerhalb der Gemeinde, sondern die Kritik von Gemeindemitgliedern ist manchmal verletzender als Kritik von Andersgläubigen. Um da zu widerstehen und den Mut nicht zu verlieren, ist es immer wieder gut, sich auf den Geist Gottes zu besinnen. Es ist kein Geist, der sich aus Angst zurückzieht. Kein Geist der Feigheit. Und wie schnell kann der auch in ganz harmlosen Situationen uns erfassen. Es ist der Geist, der den Schwachen Kraft schenkt und der uns bei aller Begeisterung auch besonnen reagieren lässt. Ein Geist, der uns nicht nur an uns denken lässt. Da liegt noch ein Unterschied in der Haltung des Paulus zu der Haltung der Frau, von der ich am Anfang berichtete. Sie leidet, um sich zu verändern, damit sie wieder geliebt wird. Paulus und Timotheus können aus der empfangenen Liebe ihre Kraft zur Veränderung der Welt einsetzen. Denn das Evangelium, die gute Nachricht von Jesu Tod öffnet den Blick für andere, auch für die, deren Väter oder Mütter nicht zu unserem Kulturkreis gehören. Wer weiß, ob nicht Gottes Geist der Kraft und der Liebe schon an ihnen wirkt? Wir warten gern auf besondere Zeichen. Darum sind wir bereit ab und zu auch etwas auf uns zu nehmen, wenn wir die Hoffnung haben, dass sich dann unsere Wünsche erfüllen. Ja, Träumende sind bereit, Opfer zu bringen. Wir brauchen nicht zu träumen, wir wissen, dass Jesus für uns und für die Welt den Sieg errungen hat, darum können wir in Freiheit einen Weg gehen, der uns scheinbar auf manches verzichten lässt. Ob wir dies Leiden nennen dürfen angesichts anderer viel größerer Not, die Menschen um uns herum oder in fernen Ländern auszuhalten haben, ich weiß es nicht. Aber in jedem Fall können wir auch die Last dieser Zeugen, die wirklich für ihren Glauben mit dem Verlust ihrer Heimat und ihres Besitzes bis in unsere Tage einstehen und oft auch ihr Leben lassen müssen, mittragen. Auch sie gehen diesen Weg im gleichen Vertrauen wie Paulus, mit der Gewissheit und Freude im Herzen, dass unser Herr Jesus Christus gesiegt hat. Lasst uns ihm folgen. Amen. Fürbittgebet: Herr, unser guter Gott, wir danken Dir am Abend dieses Sonntages für die Gemeinschaft unter deinem Wort. Du schenkst uns die Möglichkeit der Besinnung, aus der wir Kraft schöpfen können. Du kennst die Lasten und Belastungen eines jeden von uns. Wir danken Dir für diese Wochen, in denen wir über die Bedeutung des Leidens und Sterbens Deines Sohnes nachdenken, ohne in Resignation zu verfallen. Von der Hoffnung der Überwindung des Kreuzes durch das Geschenk neuen Lebens verliert diese Zeit das Bedrohliche. Und doch möchten wir auch Trauer aushalten. Mit denen zusammen, die durch Unglück und Gewalt und durch natürlichen Tod Angehörige verloren haben bitten wir gemeinsam: Herr, erbarme dich und tröste uns Kyrie eleison Wir denken heute besonders an die Eltern, die zwei Wochen lang um das Leben ihrer verschwundenen Tochter Ulrike gebangt haben, an ihre Schulkameraden und Lehrer und hoffen, dass du ihnen Raum und Zeit schenkst, in denen sie ihre Trauer und ihren Schmerz annehmen und ausleben können. Sei auch bei allen, die an der Suche beteiligt waren und zwischen Hoffen und Bangen gelebt haben. Nicht vergessen wollen wir auch die Eltern, die noch immer nicht wissen, was mit ihren Kindern geschehen ist, oder die, die durch Unglücke und unheilbare Krankheiten ihre Kinder verloren haben. Gemeinsam bitten wir: Herr, erbarme dich und tröste uns Kyrie eleison Oh Gott, wir wollen dich auch für den Täter und alle bitten, die Gewalt ausüben und Verbrechen begehen, lass Menschen zur Reue und Einsicht kommen. Heile du Menschen, die Lust an Gewalt haben und die, die sich auch in den Medien der Darstellung von Gewalt nicht entziehen. lass diese Saat nicht weiter aufgehen und lass uns darauf vertrauen, dass du uns nicht den Geist der Angst, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit gegeben hast. Zeige uns, dass dieser Geist macht hat über alle anderen Geister. Wir denken an diesem Abend auch an Brüder und Schwestern in fernen Ländern, die wegen religiöser Spannungen ihren Wohnort, Besitz und manchmal auch ihr Leben verloren haben. Herr zeige du Wege der friedlichen Lösung solcher ethnischer und religiöser, oft auch sozialer Konflikte und stärke die Menschen in ihrer Not. Gemeinsam bitten wir: Herr erbarme dich und tröste uns Kyrie eleison Wir wollen dich auch für Menschen bitten, die in seelischen Spannungen leben und allein ohne Hilfe nicht klarkommen. Wir bitten für geduldiges und liebevolles Personal in den Senioren- und Pflegeheimen und in psychiatrischen Einrichtungen. Wir bitten dich um Kraft für alle Angehörigen von psychisch kranken Menschen. Herr, danke, dass wir aus der Gewissheit deines Sieges die Kraft schöpften, unseren Glauben fröhlich zu bekennen. Segne uns dazu in diesen Wochen auch diese Fastenpredigten und alle Gottesdienste. Gemeinsam bitten wir: Herr erbarme dich und tröste uns. Kyrie eleison Mit den Worten unseres Herrn Jesus Christus fassen wir all unsere Bitten zusammen: Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name...Amen"