New York

Transcrição

New York
NEWYORK
Te x t & F o t o s : R o k k o
IF YOU SEE SOMETHING - SAY SOMETHING!
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8 MILLIONEN FREUNDE
N E W YO R K : S TA D T D E R L I E B E , D E S T E R RO R S , U N D
D E R M E N S C H E N H Ä N D L E R . D O RT V E R B R A C H T E
I C H M E I N E E R S T E N B E I D E N J U L I WO C H E N .
Meine Penne war in Wil l ia m sb urg, Brook l y n , b ek a n n t al s
der Stadtteil, wo di e St rok es, Ja pa n t her un d die Yea h Ye ah
Yeahs herk ommen. An deren a uc h b ek a n n t a l s un er t rä g l i c h
h ippes P f laster, da s s ic h m it t l er weil e k ein Sc hwein m e h r
le isten k ann. Beides is t w a hr.
Ne w York C i t y b e s t e h t j a b e k a n n t l i c h a u s d e n f ü n f St a d t b e z i rk e n Ma n h a t t e n , Bro n x , Qu e e n s St a t e n Is l a n d u n d
Brook lyn. Generell l ä ss t s ic h s a gen , da ss in l et z t erem d i e
spannendsten Or te, Fes t e un d Men s c hen z u f in d en s i n d .
Je weiter man in den Ost en geht , um s o ro u ghe r un d p re i s wer ter wird es. Wil l ia m sb urg j edoc h ist n ur durc h d e n
E ast River von Manha t t en get ren n t un d b ega n n b ere i t s i n
den 1970ern zum Wohn or t v iel er Kün s t l erIn n en un d zi e l lo ser Rabauk en zu m ut ieren . Der Gr un d: Ma n ha t t en w u r de großflächig unleist b a r un d n eue ( k ost en gün st igere , u n beliebtere, wildere) Geb iet e m uss t en ersc hl oss en we rd e n .
Diesen räudigen C ha rm e ha t Wil l ia m s b urg s c hon l an g e
ve rloren, wenn ma n a b er weit er n a c h rec ht s w a n d e r t, i n
die Stadtvier tel Be d f ord St uy ves a n t oder Bus hw ic k , w i rd
e s wieder spontaner un d b il l iger. Bed f ord St uy vesa nt w ar
fr üher ein schwar ze r Be z irk , a n dem d ie Krim in a l it ä t f l o r i er te, Bushwick ein In dust riev ier t el . Dor t w ol l t e n ie m an d
wohnen, bis die akt uel l e Ausprä gun g d er Bohèm e es d o c h
tat und lernte, die dor t igen Vor t eil e z u n ut zen : Nä m l i c h
Par ties in Lofts un d a uf Fa b rik gel ä n d en z u sc hm e i ße n ,
bei denen sich k ein Na c hb a r a uf regen
k onnte – wei l es k ein en
gab. Williamsb urg ist
auf jeden Fall d e r t ren dige Scheiß, d or t l ä ss t
man sein Fleis c h
beschauen
M&Ms-Shop, gleich beim Times Square. Auf dem Foto: die
Essenz! Runderhum auf mehren Ebenen: M&Ms-Lederjacken,
M&Ms-Strampelanzüge, M&Ms-Schultaschen und was es sonst
noch so gibt auf der Welt.
u n d k au f t te u re K l am o t te n , d i e ab s i c h t l i c h k ap u t t au s s e h e n . Das i s t te i l we i s e s c h o n s e h r e k e l h af t, ab e r n i c h t s
d e s to tro tz g i b t e s d o r t n ac h w i e vo r e i n p aar w i rk l i c h
s ym p at h i s c h e Ec k e n .
Zu r ü c k zu m A n f an g : Di e Ei n re i s e i n d i e US A w ar e r s tm al
e t w as m ü h s am : Es w i rd m i t Nac h d r u c k e m p f o h l e n , s i c h
d re i e i n h al b Stu n d e n vo r Ab f l u g am Fl u g h af e n e i n zu f i n d e n . War u m ? Dam i t g e n u g Ze i t f ü r s i n n l o s e Ko n tro l l e n ,
Po r t r ät f o to s , Fi n g e r ab d r ü c k e u n d Fr ag e n w i e „ Hab e n Si e
vo r, i n d e n US A te r ro r i s t i s c h e A n s c h l äg e zu
ve r ü b e n ? “ ü b r i g b l e i b t. Ei n e we i te re e r n s th af te Erk u n d i g u n g w ar, w ar u m
m e i n e Haare i n Wi rk l i c h k e i t k ü r ze r w äre n al s
au f d e m Fo t o
i m Pas s .
In NY a ng ekommen w a r tete ich a uf meine er s te U - Ba hn
und tr ug w ä hrenddes s en ein Bulbul- L eiber l, um den Na men der Beef Meta l- C ombo a n die Multiplika toren des
g roß en Apfels weiter z ug eben. Da s funktionier te s chneller
a ls er w a r tet, denn s ofor t ka m ein s chmier ig g r ins ender
K leinw uchs a uf mich z u und zeig te a uf den Schr iftz ug :
„ Do you k now w h at ‚ Bu l b u l’ means in my l angu age? “ Wh at
is you r l angu age? “, w ollte ich w is s en. „ Ph il ip p ine.“ „No, I
don’t k now, tel l me.“ „ Pu b ic h air “, kicher te der K leine und
zeig te a n die Stelle, w o s ein eig enes Scha mha a r w a chs en
könnte. Eine ber ühmte Ma rke ( deren Na men ich nicht
ka nnte und s ofor t w ieder ver g es s en ha be, K .A.K .A.? ? ? ) bedeutet „Mus chi“ und „Bor a t“ heiß t „Schw a nz “ „ in Ph il ip p ine, th e l angu age of th e p er ver ts“. Wir s tieg en g emeins a m
in die U - Ba hn und er s a g te mir g leich, w ie ich a m bes ten
ins Sex Mus uem komme und w o ma n Tickets für a lle mög lichen Ver a ns ta ltung en billig er kr ieg t a ls a n den offiz iellen Stellen.
Auf ä hnliche Weis e ler nte ich viele L eute kennen, w obei
ich mir a nfa ng s da chte, da s w ä ren Abzocker oder a nder weitig e Tunichtg ute: fer nha lten von fremden Ir ren, ha tte
mich Ma ma g e w a r nt. Aber ba ld w a r ich mit der NYer Gepflog enheit ver tr a ut, da s s ma n da uer nd mit a llen
Unbeka nnten ins Ges pr ä ch kommt, s ei es , wenn ma n in
einer Ba r s itz t, s ich w a s z u es s en ka uft, a n einen Ba um
br unz t oder ein bes timmtes Buch lies t: So viele
Freunde w ie in NY ka nn ma n nicht einma l bei
mys pa ce ha ben.
Wa s für z wei Wochen für mich a ls
Alleinreis enden recht a ng enehm w a r, weil ich ja ins ofer n
Meine italienischstämmigen Großeltern gingen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach NY und haben es dort zu was gebracht. Der Dicke mit den Einkaufssackerln auf dem Foto bin ich.
nichts z u ver lieren ha tte und mich g er ne mit a llen mög lichen s elts a men Ha ns ln unter hielt, g ing e mir bei lä ng erem Aufentha lt z iemlich a m Ar s ch. Nä mlich, wenn ich
AL L EI NE ein Bier tr inken oder AL L EI NE in einem Pa rk
w a s les en möchte und vor la uter ober flä chlicher Freundlichkeit und Zuneig ung z u keinem Er g ebnis komme. In
Wien is t es ha lt g ena u umg ekehr t: Da s itzen z wei L eute a n
je einem Vierer tis ch a lleine in einer Ba r, jeder möchte mit
dem a nderen qua ts chen, nur vor la uter Ger a dea us s cha uen
und einer Mis chung a us vor g es pielter C oolnes s und
unüber w indba rer Schüchter nheit s a uft ma n s ich
lieber a lleine a n.
Eine a ndere Sa che: Ma n w ird – z umindes t, s o
la ng e ma n den Schw a r zeneg g er - Dia lekt ver ber g en ka nn – nie für einen Aus lä nder g eha lten,
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A m e r i k an e r Bu s h d i e Fü ße k ü s s e n .
Zu s p ät e re r St u n d e am 4 . Ju l i s t o l p e r t e i c h n o c h i n e i n e
Bar, i n d e r e i n e Ban d , i n A m i f l ag g e n - Ko s tü m e g e w i c k e l t ,
e i n e Mi s c h u n g au s Ro l l i n g Sto n e s u n d Cre e d e n c e C l e ar w at e r Re vi val s p i e l te . De r Nazi - Mi c k Jag g e r s an g al s
Ei n s t an d d i e am e r i k an i s c h e Hym n e , w äh re n d d i e L e u te
„U - S- A ! U - S - A !“- C h ö re d u rc h d e n Rau m s ti e ße n . Ne b e n
d e n f ü n f Bu r s c h e n au f d e r Bü h n e d u r f t e n o c h e i n e e c h te
Ne g e r i n al s Bac k g ro u n d s än g e r i n l äc h e l n u n d d i e Hü f te n
s c h w i n g e n , w äh re n d d e r Fro n t m an n s an g : „g o t n o t i g e r s /
g o t n o m am b as / g o t n o li o n s / e ver y m an i s free/ as a m an c an
b e/ h ap py as a m o n k e y / o n h i s m o n k e y t ree. “ Ke i n S c h e i ß.
Di e Un ab h än g i g k e i ts e rk l är u n g , d i e am 4 . Ju l i g e f e i e r t
w i rd , i s t zw ar n i c h t u n b e d i n g t e i n Dre c k s b l att, ab e r tro tzd e m : Wo h i n Nati o n al i s m u s f ü h r t , s i e h t d e r Gro ßte i l d e r
A m i s n u r b e i au s l än d i s c h e n Fah n e n . De n n d as f än d e n s i e
s c h o n g r u s e l i g , we n n d i e De u ts c h e n an i h re m Nati o n al -
Chelsea Hotel: Hier passierte der eine oder andere Mord.
weil ja alle N Yer Zugereist e s in d ( un d d ie m eis t en d as
m ittler weile im Gegen s a t z z u un s hier ohn e gröb ere Bl äh ungen verdaut hab en ) . Lus t iger weise w ird m a n oft vo n
Touristen, die man w ieder um s el b st f ür a s t rein e NYe r g e h alten hätte, nach St ra ß en un d Wegen gef ra gt .
Was richtig unangen ehm is t : Ka f f ee in Am erik a er w ie s s i c h
als bloß schwar z ge f ä rb t es Wa s s er ohn e s pürb a res Ko f f e i n .
Außerdem ist die „co f f e e - t o - go “ -Sa c he ex t rem um st ä n d l i c h .
Da gibt es Kaf f ee in den Größ en S, M , L, XL, ev t . X X L .
Größer als Medium t ra ut e ic h m ic h n ie, d en n d as w ar
bereits ein halber Lit er. Un d b is diese Men ge k oc he n d e n
Wassers in einem ab ged ec k t en St y roporb ec her ein e t r i n k fä hige Temperatur erreic ht , k a n n m a n z w öl f Don ut s f re s se n und drei Mal in der U - Ba hn um s t eigen . Leider i s t b i s
z u diesem Zeitpun k t a uc h d a s m eist e Fa rbw a s s er d u rc h
den undichten Dec k el geq uol l en , m a n ha t s ic h b erei t s d i e
Pfoten verbrannt, die Hos e a n gepa t z t un d w ir f t d e n Be cher dann, ohne ein m a l d a ra n z u n ippen , z um Teuf e l .
Aber sonst ist NY ve r y e a sy go i ng, die U - Ba hn en fah re n
die ganze Nacht hin durc h, w od urc h Ta x is eher un n ö ti g
werden.
USA! USA! USA!
Das Verhältnis der Am erik a n er z um 4 . Jul i ist ein s e h r
seltsames, weil soga r „ n orm a l e“ Leut e Fa hn en s c h w i n g en oder zumindest d a s Feuer werk m it gl ä n zen den Au g e n
beobachten. Ein N Yer Hun t er S. T hom pson - Versc h n i tt
meinte: „Celeb rating t he 4 t h o f Ju l y i s a s ne u t ra l as e at i ng a pizza.“ – w a s w ohl d ie m eis t en Leut e s o s e h e n .
Nicht so Chris Hamb s t ib a m b s t i, d er, b ek l eid et m it e i n e m
„911 was an in side j o b“- T- Shir t , a m Feier t a g die rie s i g e n
St ars&Stripes-Aufkl eb er, d ie a uf j ed em U - Ba hn -Wag g o n
kleben, mit Hak enk reuz - Auf k l eb ern üb erk l eb t e un d m e i n te, ich solle der hies igen Lesers c ha f t s a gen , da ss n ic h t al l e
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s uchen, s o la ng e es keine Bücher über ihn g ibt.
So kleine K la s s iker w ie da s „ Ch el sea Hotel “ a nz us ehen,
ließ ich mir jedoch nicht nehmen. Die Beha us ung , in der
Sid Vicious s eine Na ncy Spung en er ledig t ha tte und jeder
na mha fte Weirdo von Jimi Hendr ix über Andy Wa r hol bis
Va ler ie Sola na s g e w ohnt ha t, is t ha lt jetz t eher ein Or t
d e s No s t a l g i e u n d d e s Pre i s a n s t i e g s a l s d e s u n g e z ü g e l t e n
Drog enr a us ches . Den „Spir it“ dor t ka nn ma n in Zeitung s a r tikeln s uchen, die a n den Wä nden hä ng en z w is chen den
heutig en Gä s ten: ehema lig en 68er n, die mittler weile C ons ulter s ind, und der nä chs ten Gener a tion, die s ich dor t die
Sonne a uf ihr krea tives Popöchen s cheinen la s s en w ill.
Und Willia m S. Bur roug hs’ „ Bu nk er “ a ufz us uchen, a ls o
s eine eig entümliche Wohns tä tte, in der er ja hrela ng Gä s te
w ie Mick Ja g g er oder Andy Wa r hol z u Dis kus s ions r unden beim Abendes s en empfa ng en ha tte, w ollte ich a uch
von innen s ehen: 222 Bower y a n der L ower Ea s ts ide, nur
wenig e Blocks entfer nt von da , w o eins t da s C BGB s ta nd
und eine Drog en- und Penner hochbur g da s L eben s pa nnend ma chte. Obw ohl Bur roug hs bereits 1997 g es tor ben
is t und da s Ende s eines L ebens in L a w rence, K a ns a s mit
s einen K a tzen und einem Metha donprog r a mm ver br a chte,
s teht bei K ling el Nr. 1 noch immer „ Bu nk er “ ( er w ohnte
im 2. Stock) . Ich lä utete w ieder holt, doch niema nd rea g ier te. Aus dem Na chba r ha us ka m ein mitteljung er Ma nn,
den ich fr a g te, w a s es da mit a uf s ich hä tte. Es s tellte s ich
her a us , da s s er weder Bur roug hs noch den Bunker ka nnte, s onder n im Ha us da neben ein Einz immer - R a ttenloch
für 180$ Mona ts miete be w ohnte und die res tlichen Mä us e
für Heroin la ufen ließ . Er meinte, a n der Bower y g ä be es
noch ein pa a r s olcher Wohn- , bes s er g es a g t: Schla fmög lichkeiten, wenn ma n a llerding s fünf Minuten na ch links
oder rechts g ehe, w ä re es w ieder a bs olut unleis tba r. In
den doppelt und dreifa ch a bg er ieg elten Bunker konnte er
mich a llerding s nicht br ing en – doch ich ä r g er te mich z u
Wim Delvoyes Schweine in einer Galerie in Chelsea.
fr üh. Denn a nder nta g s r ief ich Stu Spa s m von Lubr ica ted
Goa t a n ( s iehe Seite 76) , der mich a uf s eine Gebur ts ta g s feier einlud – in die Bower y 222. Denn g ena u dor t ha tte
der Freund von K a ren O ( Yea h Yea h Yea hs ) ein g a nzes
Stockwerk g emietet und s chmis s eine Feier – eig entlich
z um 4. Juli, Stu ka m a m 5. z ur Welt und infiltr ier te w ie
ein Eins er.
K E I N E K I N D E R J AU S N
Da s Kultur prog r a mm in NY is t über w ä ltig end, es g ibt
w a hr s cheinlich s og a r mehr Mus een und Ga ler ien a ls Hot
Dog - Verka ufs s ta ndln. In C hels ea z . B. reiht s ich eine Ga ler ie a n die nä chs te, der a bs olute Ker n befindet s ich bei
der 10th und 11th Avenue z w is chen 20th und 25th s treet.
Da r in s töß t ma n a uf Werke beka nnter Ges ichter w ie C hr is
Burden, Pa ul McC a r thy, John Ba ldes s a r i, Mike Kelly,
Wim Delvoye und Kons or ten. Eine Ins ta lla tion ( ? ? ? ) a llerding s s ta nd dor t für mich a uß er ha lb jeder Konkur renz
und fuhr mir z iemlich in die K nochen: Gleich neben einer
s ta rkbefa hrenen Str a ß e s teht ein Ha us , des s en Wa nd im
Erdg es choß a ufg ebrochen is t. Niema nd is t da , ich g ehe
a ls o a lleine in einen ca . 20x12 Meter g roß en R a um mit
na ckten Zieg elw ä nden, der nichts beinha ltet a uß er einen
Alta r in der hinteren Ecke, rechts . Dor t r uhen a uf einem
Pult Memor a bilia und g er a hmte Bilder, über die bereits
Ker zenw a chs fließ t und die einem 15- jä hr ig en Mä dchen
g e w idmet s ind. Es is t ver s chw unden, w a hr s cheinlich umg ebr a cht, ma n ha t s ie bis heute nicht g efunden.
Etw a fünf Meter entfer nt von dies em Schrein is t ein L och
in den Betonboden g es temmt, durch da s ma n g er a de s o
durchkommt. Ich s ehe Ker zenlicht von unten fla cker n und
eine L eiter, denke mir : g eht s chon!, und a tme noch einma l
tief durch. Na ch den er s ten drei- vier Spros s en s teig t s tickig e Luft in meine Na s e, die na ch zer brennendem Wa chs
und R ä ucher s tä bchen r iecht. Ich klettere weiter hinunter, bis ich mit meinen Schuhen a uf feuchtem L ehmboden s toß e – und bevor ich mich einma l umblicken ka nn,
222 Bowery aka der Bunker von William S. Burroughs
f e i e r tag d i e Fl ag g e i n d i e s e n Di m e n s i o n e n h i s s e n u n d m i t
Sp r ac h c h ö re n d u rc h d i e Stad t zi e h e n w ü rd e n .
D E A D H E RO E S
N Y i s t e i n e Stad t m i t Ge s c h i c h t e : Hi e r w u rd e n Er zäh l u n g e n ü b e r Ge n e r ati o n e n t r ad i e r t, e i g e n e ( Su b - ) Ku l tu re n
g e s c h af f e n u n d Atti tü d e n e r f u n d e n . We n n m an d an n ab e r
d o r t h i n g e h t, w o z. B . Jac k Ke ro u ac b e i r u m h än g e n d e n
Fre ak s Dro g e n k au f te , Mo o n d o g s e i n e Str aße n e c k e Tag f ü r
Tag b e w ac h te o d e r Patti Sm i t h s i c h d i e Be i n e au f d e r Bü h n e ve r tr at , w i rd m an e h e r e n t täu s c h t : N Y i s t e i n e s c h n e l l e
St ad t. Üb r i g vo n s o l c h e n Ge s t al te n b l e i b e n h ö c h s te n s d i e
Er i n n e r u n g u n d e i n e Pl atte re s p e k ti ve e i n Bu c h . Au c h we r
n ac h d e n A n f än g e n vo n j ü n g e re n Gr u p p e n s u c h t, l an d e t
d ab e i k e i n e n Tre f f e r, s o n d e r n o f t i n Wi l l i am s b u r g – u n d
d am i t i m Ke s s e l m o d e b e w u s s te r Au s tau s c h b ark e i t . Das
e i n zi g e , w as m an m ac h e n k an n : De n Mo o n d o g vo n h e u te
Die „Gluey Porch Treatments“ – zumindest habe ich sie mir immer
so vorgestellt.
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durchbricht der f ürc ht erl ic he Sc hrei ein es j un gen Mäd chens die Katak omb e un d m ein Wes en . Ein el ek t ri s c h e r
S chlag geht durch m ein en Körper, d oc h s t a t t t ot u m zu fa llen, haste ich oh n e z u üb erl egen n a c h ob en un d re n n e ,
r aus, raus, raus!, auf den Gehst eig. Ic h b in n oc h z ie m l i c h
g eschock t und sage l a ut z u m ir sel b st : „ S ca r y “, a l s ein Pas sant grinsend an m ir vorb eigeht un d m ein t : „ Tha t’s wh at
it should b e! “
Ich weiß bis heute n ic ht , w a s d a s w a r.
PA S S D U AU F M I C H AU F,
I C H PA S S AU F D I C H AU F !
Ein Bier zur Ber uh igun g? Nic ht a uf d en St ra ß en von N Y !
Alk ohol in der Öf f en t l ic hk eit z u t rin k en is t verb ot e n , i n
e i n em Lok al zu rauc hen eb en s o – d a s heiß t , b eides gl e i c h ze itig geht nur, wenn m a n sic h in da s Reic h der Krimi n al i tät begibt! Bis vor ein pa a r Ja hren ha t da s n oc h n iem an d e n
i nteressier t, da k üm m er t e s ic h d ie St a d t n oc h eher um m ajo r prob lem s. Das h a r t e Durc hgreif en w urde ers t m it Gi u li ani initiier t. Wer j et z t er w is c ht w ird, k a n n vor Ge r i c h t
g eladen werden, muss s ic h ein en Ta g von d er Arb ei t ( s o fern vorhanden) f rein ehm en un d k a n n da n n w ä hl en , o b e r
kur z in den Knast od er 2 5 $ z a hl en w il l . Ma n c hm a l kr i e g t
m an auch gleich de n 2 5 $ St ra f zet t el in d ie Ha n d gedr ü c k t.
L ösungsvorschlag: Ein en Bec her b ei St a rb uc k s hol en u n d
dor t das Dosenbier rein s c hüt t een . R ic ht ig gem üt l ic h i s t
das zwar auch nicht , a b er b ess er a l s ga r n ic ht s .
Eine Eigentümlich k eit , d ie eb en f a l l s erst s eit we n i g e n
Coney Island, der Wiener Prater von NY, am Ende Brooklyns.
Fette Familien, die dort ihre Sonntage verbringen, machen mich
zwar eher traurig, aber what shells? Die dortige „Sideshow“ war
eher enttäuschend und siedelte sich zwischen Zirkus und Comedy
an. Ich war allerdings untertags dort und laut Joe Coleman kann
eine Abendvorstellung schon was.
s e s tehen s olche Ver a ns ta ltung en nie unter einem mus ika lis chen Genre, s onder n da kommt z um Beis piel z uer s t
eine Fr ickel- Ba nd, da nn ein Sing er - Song w r iter, ein Elektronik- Duo und z um Abs chlus s eine Nois e Rock- Fr ika delle. Wenn ma n Glück ha t, tr ifft ma n z ufä llig und völlig uner w a r tet a uf kleine Sta r s a us dem Under g round. An einem
Abend beg eg nete ich im C lub De a t h by Au d i o u n a b h ä n g i g
voneina nder g leich z wei Her zchen: Pa ul Er icks on ( Va z ,
Ha mmer hea d) und Ja mie Peter s on ( Old Time Relijun, T he
Cur ta ins ) . Aber z u s elts a mer Mus ik kommen in NY a uch
nicht mehr L eute a ls bei uns . Es g a b Konzer te, w o nur
zehn- z w ölf Zus cha uer a n ihren Bierchen nippten.
Apropos C lubs : Da r über er fä hr t ma n entweder von l oc al gu ides , die ma n kennt oder kennenler nt, oder ma n
checkt z . B. Todd Ps Seite. Er is t s oz us a g en der King of
th e Under grou nd und or g a nis ier t ta us ende von Konzer ten.
brooklynveg a n.com kling t z w a r z iemlich c h eesy , a ber die
ha ben a uch g ute Empfehlung en. Auß erdem g ibt es noch
o b ac h t e t . Zu s ät zl i c h g i b t e s n o c h A n l e i tu n g e n , w o m an
s i c h al s Er w ac h s e n e r u n d w o m an s i c h al s K i n d au f e i n e r
Ro l l t re p p e zu h al te n h at u n d w i e m an s i c h ve r h al te n s o l l ,
we n n e i n e m i n d e r U- Bah n s c h l e c h t w i rd . A l s o i m m e r d i e
Au g e n o f f e n h al t e n u n d M EL - D EN !
E N T E RTA I N M E N T A N D . . .
Zahnarzt in Harlem.
A n d e n Ab e n d e n ve r g n ü g t m an s i c h am b e s t e n i n k l e i n e re n
Bu d e n , w o vi e r Ban d s f ü r 5 - 7 $ s p i e l e n . Ic h p e r s ö n l i c h
k an n t e m e i s t e n s k e i n e d avo n , ab e r i n d e r Re g e l w ar e i n e
vo n i h n e n s c h e i ße , zwe i o k , e i n e s u p e r. In t e re s s an te r we i Der Sänger von Shit Rot im Asterisk. Mit Cows-Humor forderte
er das Publikum heraus, das sich mit Gegengewalt bedankte.
Ich mochte ihn!
Zeits chr iften w ie Time Ou t New York ( TONY ), Vil l age
Voic e oder Sh ow p ap er , die ich s ow ies o eins tecken w ürde,
da ma n a uch über a ndere Ver a ns ta ltung en, Aus s tellung en
und Sta dtg es pr ä che er fä hr t. Bes onder s g efa llen ha ben mir
per s önlich die C lubs A ster isk , Mark et Hotel , Gl assl ands
Gal l er y, Death by Au dio und Th e Yard.
Eine Empfehlung , die mir Her r Pretter hofer g a b: Brook l yn
Lager tr inken. Da s ka nn ich nur mit einem Wichtig keits s tempel weiter g eben! Fres s en einfa ch in Bur g er buden,
da z u g ibt’s Pommes und ma n w ird s chön s a tt. Die kleinen
Hot Dog s , die ma n a uf der Str a ß e kr ieg t, g eben wenig er
a us a ls ein Über r a s chung s ei – höchs tens a ls Zw is chenZw is chenma hlzeit g eeig net.
Der obskurste Laden, den ich je betreten habe.
Ja hren, genauer: seit Sept em b er 2 0 0 1 um sic h greift : N Y
i st – trotz all der freun dl ic hen Leut e – ein k l ein es Pan o p ti con: Überall f ind et m a n Sc hil d er, d ie ein en da z u erm u ti g en, „auf zupassen“ un d a l l es Verdä c ht ige a n die j e we i l i g e
Telef on-Hotline zu m el d en . Da s sc hein t z u f un k t ion i e re n ,
die Stadt über wacht s ic h s el b st un d ist s t ol z a uf d ie A n r u fer zahlen der je weil igen Hot l in es , die a uf riesigen Pl ak ate n veröf f entlicht werden un d w ied er um Leut e z um Sp i tze l n e r m u t i g e n s o l l e n . In d e n U - Ba h n e n h ä n g e n S c h i l d e r,
auf denen steht „If yo u se e so m e t hi ng – sa y so m e t h i n g “.
Natürlich, Zivilcoura ge is t w ic ht ig un d da z u s ol l au c h
m otivier t werden, al l erd in gs b it t e ohn e die Leut e pa r an o i d zu machen. Da geht es n ic ht m ehr da r um , d a ss e tw as
p assier t, sondern d a ss et w a s pa s s ieren k ö nnt e – wen n d e n n
das Gegenüber eine r d er un s ic ht b a ren Terrorist en ist. Un d
m an muss schließlic h vom Sc hl im m st en a usgehen , w i rd
e i n em beigebracht. So sin d a uc h a n Ba ust el l en Sc h i l d e r
angebracht, auf den en Tel ef on n um m ern s t ehen , d ie m an
anr ufen soll, wenn m a n dor t „ verd ä c ht ige Ak t ion en “ b e -
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Brooklyn Flea hat mich eher enttäuscht, in Chelsea sind
– bei Schönwetter – gleich zwei nebeneinander.
Ein ganz besonderer Laden ist Billy’s Antiques&Props, in den
ich zufällig reingeschlittert bin. Ich ging an der Lower Eastside spazieren, bis ich ein Zelt sah, vor dem ausgestopfte
Tiere, Phinxstatuen, gruseligen Santa Claus-Figuren und
ungeöffnete Schatztruhen standen. Ein Penner wollte einen
Einkaufswagen, gefüllt mit Obskuritäten, an den Ladeninhaber verscherbeln, ich ging unbeteiligt an dem Marketender vorbei, ins Zelt hinein: Schwammiger, psychedelischer
Voodoo-Blues kommt aus matschigen Boxen, die Seltsamkeiten mehren sich hier in klaustrophobischer Atmosphäre.
...S H O P PI N G!
„The Thing“: der unüberschaubarste Plattenladen, den man sich
vorstellen kann. Von oben bist unten (!) sind auf zwei (!) Stöcken
in mehreren Schichten (!!) die Räume mit Plattenkisten vollgeräumt. Um dort etwas zu finden, muss man ganze Tage einplanen
– ich hatte nicht die Geduld.
Zum Kaufen gibt’s natürlich auch genug: Riiiiiiiiiiiiiesige
Buchläden sind etwa Strand Books oder Barnes&Nobles.
Die waren allerdings so überdimensional, dass ich nach
zwei Stunden Herumirren mit je einem Buch den Laden
beschämt verließ. Vergleichsweise klein, aber pipifein:
Spoonbill & Sugartown Books!
Plattenläden, in denen ich allesamt fündig geworden bin:
Other Music, Ear wax, Generation Records, Academy Records,
Kim’s Video&Music, Downtwon Music Galler y. Da kriegt
man z. B. Sun Ra-Platten, die bei uns 21 Euro kosten, um
14$, versiegelt.
Flea Markets gibt’s an den Wochenenden auch überall, der
Ich gehe zum Verkäufer und frage ihn intuitiv: „Kauft Joe
Coleman hier öfter ein?“ „Scheiße ja! Er ist einer unserer besten Kunden! Schau mal nach rechts!“ – wo ein Nachdruck
eines Colemans hängt. Voller Freude erzählt mir mein Gegenüber Anekdoten und holt für mich die wirklich argen
Sachen aus ihren Verstecken raus, die er nicht öffentlich
präsentieren kann und hinter Eckkästen und Buchreihen
schlafen lässt: in Formaldehyd eingelegte Menschenbabies
zum Beispiel. Kaufpreis: 25.000$. Nur in bar, und das Bare
nur in Euro. Prompt kommt ein Schussel zum Verkaufspult
und fragt: „Nehmt ihr auch Kredikarten?“ Nach einer Verschnaufpause wirft der Verkäufer einen langsamen Blick
durch das Zelt: „Siehst du, was wir hier verkaufen?! Glaubst
du allen Ernstes, wir nehmen Kreditkarten?!“
Er erzählt noch vom Hells Angels-Chapter in NY, das in der
East 3rd street sein Stammbeisel hat. Vor kurzem ist ein
italienischer Tourist dran vorbeigegangen und hat eins der
Motorräder, die vorm Lokal standen, gestreichelt. Sofort
stürmte eine Meute aus bärtigen Lederjacken auf ihn zu
und attackierte ihn mit einer Axt. Bei der Polizei hatte er
nicht viel zu sagen, als sie ihn nach dem Axtwerfer fragten:
„He was big and he had a beard.“
Ein Sandler, der über längere Zeit tote Tiere zum Verkauf
vorbeibrachte, wurde vom Geschäftsführer dann einmal
grob angefahren: „Wir haben genug tote Tiere! Bring endlich
mal was Spannendes vorbei!“ Ein paar Tage später kommt
derselbe Marktschreier mit einem Leiter wagerl vor das
Zelt, über das eine Plane gelegt ist. Er zieht sie mit einem
Grinser weg, darunter liegt eine halb verrottete Frauenleiche. Und eines Nachts ist vom Balkon des Nachbarhauses
ein Junkie durch das Zelt gefallen. Als die Zeltbesitzer am
nächsten Morgen ihren Laden betraten, mussten sie wahrscheinlich nur mehr ein Preispickerl aufs Hirn kleben.
Gute Nacht, schön war’s!
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