AdVoice 03/2013Dezember 2013
Transcrição
AdVoice 03/2013Dezember 2013
Anwalt der Anwälte G 48742 04/13 FORUM Junge Anwaltschaft im DeutschenAnwaltverein Thema: Krieg Krieg nach Regeln – Haager Landkriegsordnung Amnestie um des Friedens willen Katja Keul: Kriegerin vorm BVerfG USA finanziert Datengraumarkt Diversity – mit Vielfalt im Wettbewerb forum Junge Anwaltschaft w w w. d a v f o r u m . d e ANNOTEXT GIBT IHRER GRÜNDUNG EINEN KRÄFTIGEN SCHUB Nutzen Sie AnNoText in der Vollversion zum Vorzugspreis für Gründer. Arbeiten Sie mit der besten vollintegrierten Software für Rechtsanwälte. Von der Mandatsbearbeitung bis zur Honorarabrechnung, von der ZV-Maßnahme bis zur Buchhaltung. AnNoText passt sich Ihren Bedürfnissen an. Und wenn Ihre Kanzlei wächst, sind Sie auch hier für Ihre Zukunft gerüstet. DAS KANZLEIGRÜNDER-PAKET > AnNoText Software als Vollversion > einfach installieren und sofort starten > individuelle Online-Schulung – persönlich und bedarfsgerecht > Serviceportal mit 24h-Support > Online Programm-Updates – sicher und bequem DIE EXTRAS: > JURION jDesk + JURION Rechtsprechungs- und Gesetzesdatenbank im Bundle 1 Jahr gratis > Top-Eintrag bei anwalt24.de mit 50 % Rabatt Jetzt Testzugang anfordern! Mehr Infos auf: www.kanzleigründer-paket.de Editorial Zuhören und Verstehen D Liebe AdVoice-Leserinnen und -leser, das Zitat „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“, das dem US-amerikanischen Dichter Carl Sandburg (1878-1967) zugeschrieben wird, wurde vor allen Dingen von der Friedensbewegung immer wieder aufgegriffen. Es steht wie kaum ein anderer Ausspruch für den Wunsch nach dauerhaft friedlichen Verhältnissen – für viele Menschen eine Utopie. Wie fragil das menschliche Zusammenleben sein kann und wie wenig selbstverständlich Frieden und Freiheit sind, das bekommen wir tagtäglich via Fernsehen und Internet ins heimische Wohnzimmer geliefert. Das Glück, in einer lang andauernden Friedensphase leben zu dürfen, und die Tatsache, dass an vielen Orten der Erde Krieg herrscht, waren für AdVoice Grund genug, den Fokus auf den weltweiten Unfrieden zu setzen. Die Redaktion ist eingetaucht in dunkle Kapitel der Menschheitsgeschichte. Dabei haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, ob Krieg überhaupt rechtlich begründet werden kann. Die zurückliegenden Kriege brachten zigfaches Leid über die Menschen. Die ungeheuren Opferzahlen sprechen für sich und geben dem Leiden eine kaum fassbare Dimension. Im 20. Jahrhundert sollen allein durch Kriege 185 Millionen Menschen ihr Leben verloren haben. Das allein legt den Verdacht nahe, dass Kriegsführung pure, entfesselte und unkontrollierbare Gewalt ist, die sich jedwedem Regelwerk entzieht. Gleichwohl gibt es inzwischen ein humanitäres Völkerrecht, eine Entwicklung aus den grausamen Kriegsfolgen, wonach vieles nicht legal ist, was Koalitionsmächte aus vermeintlich hehren Motiven anderen antun. Die vielen Kriegstoten sind auch eine Mahnung, Frieden zu bewahren und ihn dorthin zu tragen, wo er auf seine Chance wartet. der großen Weltkriege und will gleichzeitig Mittler für den Weltfrieden sein. Um die Erinnerung an Kriege wachzuhalten, wagen sich regelmäßig Filmemacher an diese Thematik. Titel wie „Im Westen nichts Neues“, „Full Metal Jacket“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ stehen für ein Genre, an dem auch die AdVoice-Redaktion nicht vorbeikam und über das sich zu schreiben lohnt. Kriegswaffen und Wehretats machen Kriege erst möglich. Wir haben uns die Mühe gemacht, Zahlen zu präsentieren, die im zivilen Alltag eher überlesen werden, aber die sehr plastisch zeigen, welchen Stellenwert die militärische Präsenz weltweit tatsächlich besitzt. Trotz großer Stabilität im Inland haben Strafverfolgungsbehörden immer wieder mit regelrechten Bandenkriegen zu tun. Besonders Motorradclubs sorgten in den vergangenen Jahren immer wieder mit Gewalt nicht nur gegen verfeindete Clans für Aufsehen. Der Drogen- und Menschenhandel, illegales Glücksspiel und Prostitution sind Wirtschaftssäulen, mit denen sich Rockerbanden zu mächtigen Outlaws der Gesellschaft entwickelt haben. Manch Strafverteidigerkollege war bereits in das ein oder andere Mammutverfahren Hells Angels versus Bandidos involviert – interessant und berichtenswert. Und während wir vertieft über Hitlers Angriffskrieg nachdenken und Amnestiegesetze examinieren, verlieren wir beinahe die NSA-Datenaffäre aus den Augen. Gastautorin Sandra Viol erinnert uns Berufsträger daran, dass wir ein hohes Maß an Verantwortung im Umgang mit sensiblen Daten haben müssen. Aufmerksam und dennoch frohen Mutes bleiben, auch bei der Lektüre dieser Ausgabe! Allen Leserinnen und Lesern ein gutes neues Jahr 2014. Das ist ein Anliegen des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Er kümmert sich um die Gefallenen AdVoice Redaktionsteam Tobias Sommer Berlin Rechtsanwalt Chefredakteur Euer Patrick Ruppert Patrick Ruppert Köln Rechtsanwalt Redakteur und Autor Stefanie Salzmann Eschwege Journalistin Zentralredaktion Jens Jenau Schloß Holte-Stukenbrock Rechtsanwalt Bücherforum Andrea Vollmer Berlin Fotografin und Bildredakteurin ADVOICE 04/13 1 Inhalt Thema: Krieg 4 So alt wie die Menschheit Krieg auf der Suche nach Rechtfertigung 8 Krieg nach Regeln Die Haager Landkriegsordnung 10 11 14 Nach dem Krieg kommt der Frieden Die EU ist mehr als Währungs- und Wirtschaftsunion Amnestie um des Friedens willen? Frieden bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krieg Magazin 18 Der nicht sichtbare Krieg: Der Tag des Spatzen Antikriegsfilme 20 Schwere Jungs Bandenkriege in Deutschland 22 Rocker ohne Kutte Wie ein Prozess platzt 23 Exportkontrollrecht Von Waffen bis Tulpenzwiebeln 27 Mehr Information zu Rüstungsexporten Katja Keul als Kriegerin vorm BVerfG Wer soll das bezahlen? Verteidigungshaushalte im weltweiten Vergleich 28 17 2 Wider das Vergessen Kriegsgräberfürsorge als Friedensdienst ADVOICE 04/13 Befreiung vom Stigma des Landesverrats Ausstellung zu Generalstaatsanwalt Fritz Bauer 31 Ein offenes Geheimnis USA finanziert Datengraumarkt 34 Anwälte gegen Überwachung Demo in Berliner Bannmeile 36 Überwachung zerstört Vertrauen Freie Berufe und behördliches Abhören 37 Gedicht des Monats Die drei Winkel / Christian Morgenstern 38 Let´s talk about money Ein Vorschuss hilft 41 Wach und heiter und so weiter! Ritalin und Co 42 Diversity Management Mit Vielfalt im Wettbewerb bestehen 44 Gericht des Monats Landgericht Dresden 46 Suchspiel Recht Finde Wörter im BAG-Tenor! 47 Partnerschaft mit beschränkter Haftung Seit 2013: Die PartGmbB 49 News Fotos v.l.n.r.: Dietrich Schneider_pixelio.de / BrandtMarke_pixelio.de Inhalt Euer FORUM Bücherforum 56 51 AdVoice braucht euch! Autoren für die neue Rubrik Jura News gesucht Kommunalrecht Datenschutzrecht in Bund und Ländern Start in den Anwaltsberuf Seminar von DAA und FORUM 54 Netzwerk Vorteile der Mitgliedschaft im Überblick 55 Termine Notieren, anmelden! 63 Autorenverzeichnis 64 Das letzte Wort 64 Impressum Schutz bei Gewalt und Nachstellung Mobile Apps – Rechtsfragen Tatort www 52 Info + Service Erfolgreich starten als Rechtsanwalt RVG + das neue Gebührengesetz 55 Regionalbeauftragte gesucht! Gebührenkalkulator Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht Wirtschaftsrecht Recht der Energiewirtschaft Praxishandbuch Anwaltsmarketing Anwaltshandbuch Arbeitsrecht Arbeitsrecht – Handbuch für die Praxis Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht Kündigungsschutzgesetz Mediationsgesetz Sozialrecht SGB IX Kommentar Vertragsbuch Gesellschaftsrecht Beck´sches Formularbuch Zwangsvollstreckung Paul_Evans-kentuckyArmy / Hartmut910_pixelio.de / Andrea Vollmer g ADVOICE 04/13 3 Thema So alt wie die Menschheit Der Krieg auf der Suche nach Rechtfertigung Kriege sind so alt wie die Menschheit. Und als hätten wir aus der irdischen Vergangenheit nichts gelernt, sie gibt es immer noch, kämpferische Auseinandersetzungen, bei denen Menschen massenhaft getötet und verletzt werden. Betroffen sind hierbei nicht nur Soldaten, Kombattanten, die offiziell für eine Seite kämpfen, sondern vor allen Zivilisten. Tatsächlich jedoch erfahren wir tagtäglich, dass die Realität eine andere ist. Auf die Zivilisten wird häufig überhaupt keine Rücksicht genommen, erst recht nicht auf den Erhalt kulturell wichtiger Einrichtungen. Es ist eben Krieg, in dem scheinbar völlig andere Gesetze zu gelten haben. So erhält in dem Zusammenhang der „aberratio ictus“, den wir aus dem Strafrecht als Fehlschlag kennen, und der nach der herrschenden Meinung zur strafrechtlichen Konsequenzen beim Täter führt, eine Privilegierung im Kriegsfalle. Kollateralschaden lautet die Vokabel für versehentlich getötete Zivilisten, obgleich eigentlich ein militärisches Ziel getroffen werden sollte. Letztgenannte werden erst in der jüngeren Geschichte mit Einführung des humanitären Völkerrechts als Gruppe erfasst, die besonderen Schutz genießt. Noch bis in die Neuzeit gehörte es beinahe zum guten Ton, als Sieger über Besiegte zu herrschen und mit ihnen nach Belieben zu verfahren. Brandschatzen, Plünderung und Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, besonders nach Abschluss kriegerischer Handlungen, wurden als das natürliche Recht der Siegreichen verstanden. Obgleich solche Auswüchse aus heutiger Sicht unzweifelhaft als Kriegsverbrechen eingestuft werden, kommen sie dennoch immer wieder, selbst in militärischen Konflikten aus jüngster Zeit, vor. Das gilt auch für die völkerrechtlich verpflichtende Maßgabe während andauernder militärischer Konflikte die Zivilbevölkerung zu schonen und kulturelle Stätten (Kirchen, Denkmäler, Museen) nicht zu zerstören. 4 ADVOICE 04/13 Foto: thopix_pixelio.de Thema Aus dem zweiten Golfkrieg, der dank in Kampftruppen eingebetteter Kriegsreporter erstmals live in die heimischen Wohnzimmer exportiert wurde, kennen wir diesen Begriff, der individuelles Leid beinah zynisch relativiert und die ansonsten geltende Strafbarkeit für Täter ausschließt. Dieses Konstrukt folgt der Überlegung, dass ein Krieg juristisch gerechtfertigt sein kann. Der Islamwissenschaftler Manfred Hutter von der Universität Bonn hatte im Gespräch gegenüber Advoice verdeutlicht, dass daher nicht von einem heiligen Krieg gesprochen werden dürfte, weil sich dies rein logisch ausschlösse (siehe Interview mit Manfred Hutter in AdVoice 2/13 S. 6). Es geht in der Bewertung also stets um das Einsatzmotiv, sozusagen die Rechtfertigung zur Führung eines Krieges, die ex post in der Aufarbeitung eines militärischen Schlages von unzähligen Juristen genau geprüft wird. Noch bevor zu den Waffen gegriffen wird, wird in der Regel mehr oder weniger intensiv nach einer plausiblen Begründung gesucht, warum eine militärische Intervention – ein Begriff der jüngeren Rechtsgeschichte – infrage kommen soll. AdVoice hat sich einigen Kriegen aus der lange zurückliegenden und jüngeren Geschichte zuge wandt, um nach den Begründungen für die jeweiligen Kampfhandlungen zu fahnden. Folgendes kam bei den Recherchen heraus. Antike Eroberungsfeldzüge Man könnte überspitzt formulieren, dass ein Krieg höheren Rechtszielen zu folgen hat, damit hinter jenen dann andere, individuelle Rechte zurücktreten. Das kann demnach in letzter Konsequenz also unmissverständlich bedeuten, dass viele Menschen ihr Leben lassen müssen – das eben für die eine „gute Sache“. Der Krieg, der Heil über die Menschen bringen soll, wäre somit der gerechte, „heilige“ Krieg? Friedensbewegten Bundesbürgern dürften an dieser Stelle maximal die Haare zu Berge stehen, ist doch inländisch kodifiziert und in den Köpfen der Mehrheit verankert, dass die Todesstrafe als abgeschafft gilt und das Töten/Verletzen anderer Menschen verboten ist, so nicht ein unmittelbarer Angriff auf Leib und Leben abgewehrt werden muss (Stichwort Notwehr/Nothilfe). Das mit der Heiligkeit ist ohnehin so eine Sache, bringt Krieg immer eines mit sich, Unheil über alle, die sich ihm in den Weg stellen oder ganz schlicht ohne jedwede Beteiligung zu Opfern werden. „Drei, drei, drei – bei Issos Keilerei“ war noch zu Schulzeiten ein Lehrsatz, um uns Pennäler Geschichtsverständnis, genauer: die Auseinandersetzung im November 333 v. Chr. zwischen Alexander dem Großen auf Seiten der Makedonier und Dareios III. auf Seiten der Perser einzubläuen. Die Schlacht, die Alexander der Große für sich entschied, bildet einen Höhepunkt in den damals zwischen den Griechen und Persern immer wieder aufflammenden Konflikten im Mittelmeerraum. In der Antike waren Angriffskriege in der führenden Klasse en vogue. Man nahm sich, was man meinte, sich nehmen zu müssen. Eroberung und Machtausbau standen auf der Agenda. Dörfer wurden niederge brannt, die Bevölkerung, so sie nicht umgebracht wurde, dem neuen Herrscher unterworfen, die al ten Machthaber den Löwen zum Fraß vorgeworfen oder außer Landes gejagt. Die justiziable wie schlichte Begründung für Issos war Rache für den über 100 Jahre zuvor unternommen, blutigen Angriff der Perser auf Athen und das Umland. Rache war durchaus legitim und wurde erst in der späten Neuzeit als inakzeptabel eingestuft. Die „Keilerei“ bei Issos war, wie alle Kriegsschlachten des Altertums, ein Gefecht von Mann zu Mann, das mit äußerster Härte geführt wurde. Schlachtentscheidend waren nicht nur die Ausrüstung wie Waffen, Schutzaus stattung und Logistik. Kriegswesentlich war vor allem die Schlachtordnung, die Aufstellung der unterschiedlichen Landsmannschaften und Truppen. g Frühe Religionskriege Mit der Etablierung des jungen Christentums schien eine Abkehr von kriegerischer Gewalt in greifbare Nähe zu rücken. Nach den Maßgaben des Neuen Testaments war die Lehre von „Aug um Aug“, die reflexivste Form der Gegengewalt, scheinbar abgeschafft. Das war insofern bemerkenswert, weil die frühen Christen sich im römischen Reich schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt sahen, auf adäquate Gegenwehr aber weitgehend verzichteten. Die Kaiser Nero, Trajan und Diokletian, um drei bedeutsame zu nennen, waren besonders grausame Protagonisten der Massenhetzjagd auf die Gruppe der Gläubigen. Die pazifistische Grundhaltung, die die ersten religiösen Märtyrer hervorbrachte, sollte jedoch nicht ewig massentauglich bleiben. Mit der Festlegung des christlichen Glaubens als Staatsreligion rückte Christsein in die Nähe staatlich ausgeübter Gewalt. Kriegerische Handlungen, so sie als gerecht eingestuft wurden, konnten somit moralisch legitimiert werden. Der „bellum iustum“ konnte daher gegen Andersgläubige jederzeit geführt werden, erst recht, wenn er die Befreiung eines eroberten Landstriches zum Ziel hatte. Der erste Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems, das seit 638 unter muslimischer Herrschaft stand, wurde als ein solcher gerechter, ja gottgefälliger (heiliger) Krieg proklamiert. Es kam zu insgesamt sieben Kreuzzüge zwischen 1095 und 1291, die nach groben Schätzungen drei Millionen Menschen das Leben kosteten. (Quelle: Necrometrics.com/pre1700a.htm) Krieg um Vorherrschaft Dynastische Machtbestrebungen, Kleinstaaterei und religiöse Disparitäten waren der ideale Nährboden für den von 1618–1648 währenden, Dreißigjährigen Krieg. Zwar wird er in vielen Geschichtslehrbüchern als klassischer Religionskrieg genannt. Im Kern der zigfachen Konfliktlinien dürfte es jedoch um Hegemonialbestrebungen der involvierten Mächte innerhalb des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und dem habsburgischen Europa gegangen sein. Gewiss, Protestantismus und Katholizismus waren willkommene Rechtfertigungsgründe – im übrigens ersten großen Flächenkrieg der Geschichte. Als Kriegsauslöser werden die öffentlichkeitswirksame Aberkennung der zuvor zugesicherten Religionsfreiheit (Augsburger Religionsfrieden vom 25.9. 1555) gesehen. Konkret erkannte in Böhmen Kaiser Matthias den Ständen die zuvor von seinem Bruder ADVOICE 04/13 5 Thema Rudolf II. zugesicherte (protestantische) Religionsfreiheit nicht an. Kaiserliche Legate, bewusst als Provokateure nach Prag entsandt, traten vehement als Verfechter der harten kaiserlichen Linie auf. Wutentbrannt wurden sie von den protestantischen Ständevertretern gepackt und aus dem Fenster des Königspalastes geworfen (16.5.1618). Dem letztlich erwarteten Prager Fenstersturz folgte die von Anfang an geplante Vergeltungsaktion des Kaisers, durch die der Krieg auf dem europäischen Kontinent initiiert wurde. Von Böhmen aus wurden die unterschiedlichsten Allianzen geschmiedet, die sich zunächst in zwei Hauptlagern, der Katholischen Liga und der Protestantischen Union, gegenüberstanden. Hieraus entwickelte sich in über drei Jahrzehnten ein Flächenbrand, in den nach und nach die Pfalz, die Niederlande, Spanien, Dänemark, Schweden, England, Pommern, Mecklenburg, Sachsen, Brandenburg und Frankreich als Kriegsparteien eintraten. Was hat es gebracht? Die angestrebte Hegemonie des katholischen Kaisers wurde mit der Besiegelung des Westfälischen Friedens und der Aufteilung der Ländereien auch an die protestantischen Dynastien verhindert. Der Blutzoll der lange andauernden Kriegshandlungen waren geschätzte 7,5 Mio. Tote, darunter erstmals viele Zivilisten (Quelle: Necrometrics.com/ pre1700a.htm). Moderne Angriffskriege Der Machthunger der Franzosen, genauer der eines korsischen Generals mit Namen Napoléon Bonaparte, sorgte im kompletten west-, mittel- und osteuropäischen Raum für Angst und Schrecken. Es erforderte sechs Koalitionskriege zwischen 1792 und 1815, um die französische Aggression endgültig zurückzuschlagen. Dabei waren die Befreiungskriege 1812-1815, zuletzt die Schlacht bei Waterloo, die entscheidenden Kriege zur Wiederherstellung alter Staatensouveränität. Die napoleonische Invasion in Europa basierte auf den Schwächen der damals noch jungen Demokratie, die aus der Französischen Revolution hervorging. Starke repräsentative Parlamente und klar instruierte, vom Volkswillen getragene Regierungen, wie sie heute in westlichen Staaten üblich sind, gab es nicht. Gegenläufige Interessen von Republikanhängern einerseits und aristokratiebewussten Monarchisten andererseits erschwerten ein stabiles Regieren. Dank der Unterstützung des Revolutionsheeres und aufgrund der Einführung plebiszitärer Elemente in bestimmten staatstragenden Fragen, hierzu zählt u. a. die Frage der Kaiserernennung, konnte sich Napoleon beinah mühelos an die Macht bringen. Schwächen im Inneren, so wusste es Napoleon, können nur durch Stärke nach außen kompensiert werden. Der starke Nationalismus gab ihm zudem Recht und trug ihn mit seiner 6 ADVOICE 04/13 Armee bis nach Russland. In den besetzten Gebieten galt fortan der Code Napoleon (Code civil), der in Teilen der Bundesrepublik noch bis in die 1970er Jahre zur Anwendung kam. Fazit der expansiven Gewaltherrschaft: 3,5 Mio. Tote (Quelle: Der Spiegel, Ausgabe 48/1966). Diese Zahl wurde ein Jahrhundert später durch den Ersten Weltkrieg (1914-1918) mit 15 Mio. Toten und durch den Zweiten Weltkrieg (1939-1945) mit 66 Mio. Getöteten um ein Vielfaches übertroffen. Weil im 20. Jahrhundert die Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen völkerrechtlich ins Abseits geriet, waren besonders die Nationalsozialisten bemüht, die Aggression des Deutschen Reichs als Notwehrhandlung im Sinne eines Defensiv- maximal eines Präventivkrieges darzustellen. Diese Frage ist unmissverständlich beantwortet. Hitlerdeutschland ist ausschließlich Schuld am Ausbruch des bislang größten Weltkriegs. Militärische Intervention Heutige Waffengänge westlicher Nationen werden in der Regel nicht als Krieg, sondern als militärische Intervention deklariert, die keinen aggressiven, sondern defensiven Charakter besitzt. Abgedeckt soll dies stets durch ein entsprechendes UN-Mandat sein, um es völkerrechtlich abzusichern. Die jüngste Vergangenheit hat allerdings deutlich gezeigt, dass einflussreiche Nationen wie die USA zum Einschreiten nicht zwingend auf ein UN-Mandat warten und auch ohne völkerrechtlich verbindliche Absegnung durch die Staatengemeinschaft losschlagen. Die Begründung für die Intervention lautet etwa „Kampf gegen die Achse des Bösen“, der durch eine Koalition „of the willing“ geführt wird. Ein völkerrechtlich fragwürdiger Einsatz erhält so jedenfalls noch lange vor einer sauberen juristischen Aufarbeitung eine moralische Aufwertung. Aktuell werden Truppeneinsätze im Bürgerkriegsland Syrien diskutiert. Bislang konnte sich der UN-Sicherheitsrat aber noch nicht auf eine einheitliche Linie verständigen. RA Patrick Ruppert, Köln Foto: thopix_pixelio.de Thema ” In keInem Waffengang soll eIn rechtsfreIer raum exIstIeren. ANZEIGE IHR INDIVIDUELLES KANZLEI-MARKETING Ihre Vorteile: • Zahlreiche kanzleispezifische Vorlagen • Schnelle und einfache Gestaltung im Internet • Günstige Online-Preise Soldan bietet Ihnen ein umfangreiches Sortiment für Ihr Kanzleimarketing. • Briefblätter • Schreibblocks • Visitenkarten • Haftnotizen • Urkundenumschläge • Tragetaschen • Kanzleischilder h schnell nac d n u h c fa en! Ganz ein line gestalt n o n e h c s Ihren Wün soldan.de/kanzlei-marketing ADVOICE 04/13 7 Thema Krieg nach Regeln!? Die Haager Landkriegsordnung im Überblick Deutschland (er)lebt die längste Zeit in Frieden. Der Zweite Weltkrieg, den das Deutsche Reich auf dem Gipfel der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mutwillig vom Zaun brach, liegt inzwischen mehr als 70 Jahre zurück. Die Generation der Protagonisten, die noch aus erster Hand von den erlebten Gräuel berichten konnte, stirbt aus. Somit verblasst das letzte Stück lebendig vermittelter Erinnerung. Sie war den unmittelbar nachfolgenden Geburtenjahrgängen eine stete Mahnung und Verpflichtung, den Nachkommen glaubhaft die Notwendigkeit zur Friedfertigkeit der Nationen zu vermitteln. Dank der langen Phase des Friedens auf eigenem Terrain ist die breite Bevölkerungsmehrheit nur am Rande mit der Thematik des Krieges belastet. Zwar gab es bis vor Kurzem noch für die Männer den Pflichtdienst an der Waffe. Der war eine politische Notwendigkeit des sogenannten kalten Krieges gewesen. Doch den konnte man bereits vor über zehn Jahren vor seiner Aussetzung mit mehr oder weniger überschaubarem intellektuellen Aufwand, beinahe regulär in zivile Arbeit – gleichsam sinnvoll – wandeln. Militärische Handlungen fanden und finden bis heute außerhalb der Bundesrepublik statt. Das machte uns bislang zu distanzierten Beobachtern ferner Konflikte, die im Dschungel Südostasiens, in den Wüsteneien des Zweistromlandes oder in der karstigen Bergregion des Hindukusch in der Regel mit „anderen“ tobten. Unzählige verstörende Bilder wurden uns über die Nachrichten ins heimische Wohnzimmer geliefert. Freund und Feind – Wer ist das überhaupt? – setzten die Medialität stets gezielt ein, um Gefühle zu provozieren und uns auf die eine oder andere Seite der Konfliktparteien zu ziehen. Letztlich erfuhren wir hierbei immer nur eins: Krieg ist grausam und in zivilisierten Zeiten, in denen wir weitestgehend ungestört existieren dürfen, immer unbegreiflicher. Und weil wir in den westlichen Zivilgesellschaften territorial wie emotional weiter von großen militärischen Auseinandersetzungen abdriften, schwindet auch jedwedes Verständnis für Regelhaftes in Kriegen. Das mag wie eine Perversion, ein unvereinbares Paar klingen: Krieg und Regeln. Sind doch viele Menschen davon überzeugt, dass im Krieg keinerlei Normen Gültigkeit besitzen, weil er grausam ist und niemals gerecht sein kann. Wozu also die Bemühung von Regeln? Und diese global kritische Haltung erhält zudem immer dann neue Nahrung, wenn einmal mehr aktuelle Berichte aus Kriegsregionen über Massaker die Runde machen. 8 ADVOICE 04/13 Doch es gibt sie tatsächlich, Regeln innerhalb eines Krieges, die völkerrechtlich verbindlich sind. Sie werden zusammengefasst unter das Kriegsrecht im engeren Sinne und verpflichten die Konfliktgegner zur Beachtung bestimmter Verhaltensweisen als eine Art Minimalkonsens. Diese „bestimmten Verhaltensweisen“ dienen dem Zweck, die Auswirkungen auf die involvierten Parteien so gering wie möglich zu halten und die nichtmilitärische Zivilbevölkerung zu schonen. Hieraus lässt sich unschwer ableiten, dass etwa strategische Bombardments, bei dem militärische und zivile Zivile ohne Ausnahme und in der Breite getroffen werden sollen, völkerrechtswidrig sind. Dies schließt gleichsam die Ächtung besonders grausamer Waffen ein, ohne dass es eigentlich einer gesonderten, vertraglichen Vereinbarung bedürfte (so z. B. das Verbot von chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen). gegner 1 Heute sprechen wir umfassend vom sogenannten humanitären Völkerrecht, das die „Spielregeln“ im Krieg eint. Seinen historischen Ursprung nahm die Entwicklung des humanitären Völkerrechts in der ersten Genfer Konvention von 1864. Sie zielte vornehmlich auf die Verbesserung der Versorgung verletzter Feldsoldaten nach bestimmten Mindeststandards ab – in einer Zeit, in der Krieg international als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung (nur „mit anderen Mitteln“ *C. von Clausewitz) begriffen wurde. Die am 24. Juni 1859 im lombardischen Solferino ausgetragene Schlacht zwischen Frankreich/Sardinien auf der einen und Österreich auf der anderen Seite mit über 30.000 Toten binnen kurzer Zeit, brachte einen Gesinnungswandel auf dem europäischen Kon- tinent, was die Art und Weise der Kriegsführung anbelangt. Es ist vor allem dem schweizerischen Kaufmann Henry Dunant zu danken, der die Grausamkeit und unzulängliche Sanitätsversorgung in dem Krieg miterleben musste, dass humanere Verhältnisse auf den Schlachtfeldern Einzug halten sollte, zunächst nur was die Behandlung Verwunderter angeht. Nach den Vorschlägen Dunants sollte eine international tätige Hilfsorganisation gegründet werden, die einheitlich durch ein unverwechselbares Zeichen für alle Konfliktparteien erkennbar ist. Das war gleichzeitig die Geburtsstunde des internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) und der Anstoß zum Aufbau einer ernstzunehmenden Sanitätsversorgung in den Armeen. Zwölf Staaten ratifizierten die erste Genfer Konvention, darunter Preußen, Hessen, Baden, Württemberg, die Schweiz, Spanien, Frankreich, Italien, die Niederlande und Portugal, wenig später Norwegen und Schweden. Die infolge der Kriegshandlungen des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder modifizierte, heute noch geltende Genfer Konvention gliedert sich in aktuell vier Konventionen (I die Verwundeten und Kranken im Felddienst, II die Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen im Seekrieg, III die Kriegsgefangenen und IV die Zivilbevölkerung in Kriegszeiten). Durch Zusatzprotokolle wurden ferner die Rolle von regulären Kämpfern (Kombattanten) als auch innerstaatliche Konflikte (Bürgerkriege) geregelt. Beinah parallel neben der Vereinbarung der ersten Genfer Konvention gedieh die Idee, den Krieg und die Vornahme von Kriegshandlungen, so eigentümlich das klingt, „humaner“ zu gestalten. Auf der Brüsseler Konferenz von 1874 unternahm der russische Zar Alexander II. den Versuch, die 15 teilnehmenden Staaten auf einen von ihm entworfenen Konventionsentwurf einzuschwören. Doch dieser Vorstoß misslang. Das Vertragswerk wurde von keinem Land unterzeichnet. Es blieb völkerrechtlich Makulatur. Fotos: Andrea Vollmer Thema Erst die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 brachten einen entscheidenden Durchbruch, an dessen Ende drei Kernpunkte festgehalten wurden. So sollte in keinem Waffengang ein rechtsfreier Raum überhaupt existieren. Zweitens sollte die Wahl der Mittel zur Kriegsführung nicht unbeschränkt sein. Und schließlich drittens sollten Zivilisten und Nichtkombattanten ebenso wie Zivileinrichtungen nach Möglichkeit verschont werden. Im Detail schließlich wurden Gebräuche und die Ordnung der Kriegsführung festgeschrieben und die Rolle neutraler Staaten definiert. Auch über ein Jahrhundert später gelten die Vereinbarungen der Haager Landkriegsordnung fort und binden selbst die Staaten völkergewohnheitsrechtlich, die dem Abkommen nicht offiziell beigetreten sind. Um einen Eindruck davon zu erhalten, wie die Regeln im Kampf aussehen, seien einige wichtige Verpflichtungen aus der Anlage zum IV. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 vorgestellt. OFFENE ERKENNBARKEIT Kämpfende Einheiten müssen klar erkennbar von einem an der Spitze stehenden Kommandierenden geführt werden. Dieser Führer muss die Verantwortung für seine Untergebenen übernehmen. Die Truppen müssen ein aus der Ferne wahrnehmbares Abzeichen tragen. Waffen sind offen zu führen. Schließlich haben diese regulären Truppen die Gesetze und Gebräuche der Kriegsführung einzuhalten. (Artikel 1) VERPFLICHTUNG ZUR ARBEIT Kriegsgefangene mit Ausnahme der Offiziere können entsprechend ihrem Dienstgrad und Fähigkeiten zu Arbeiten herangezogen werden. Diese Arbeiten dürfen aber nicht übermäßig sein und nicht in Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen. Diese Arbeiten sind nach den Sätzen des eigenen Heeres zu vergüten. (Artikel 6) VERBOTENE KRIEGSMETHODEN Verboten ist der Einsatz von Giftwaffen, die meuchlerische Tötung oder Verletzung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres, die Tötung eines sich ergebenden oder wehrlosen Gegners, jede Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird, die Verwendung von Kampfmitteln/Waffen, die unnötige Leiden verursachen (die Benutzung von „Dum-Dum-Geschossen“), und der Missbrauch der Parlamentärsflagge. (Artikel 23) gegner 2 SCHUTZ VON KULTURSTÄTTEN & -GÜTERN Kirchen, Gebetshäuser, Gebäude der Kunst und Wissenschaft, Krankenhäuser, Verwundetensammelplätze sind nicht zu beschießen. Diese müssen deutlich von den Belagerten gekennzeichnet sein. (Artikel 27) VERBOT DER PLÜNDERUNG BEHANDLUNG VON KRIEGSGEFANGENEN Kriegsgefangene sind menschlich zu behandeln. Sie unterstehen der gegnerischen Regierung, keinesfalls aber der Person oder Abteilung, der sie gefangen genommen hat. Sämtliche Gegenstände mit Ausnahmen von Waffen, Pferden und militärischen Dokumenten bleiben Eigentum des Gefangenen. (Artikel 4) Eingenommene Gebiete dürfen nicht der Plünderung freigegeben werden. (Artikel 47) VERBOT DER KOLLEKTIVBESTRAFUNG Strafen in Geld oder in anderer Art dürfen wegen Handlungen einzelner nicht über eine ganze Bevölkerung verhängt werden. (Artikel 50) g Übertretungen der Regeln des Haager Abkommens sind klar Kriegsverbrechen. Die praktische Überwachung und die Ahndung jener Taten jedoch stellte die Staatengemeinschaft bislang immer wieder vor erhebliche Herausforderungen. Bereits bei der Frage der Errichtung von Kriegstribunalen mussten, wie beispielsweise die Geschichte der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs IStGH in Den Haag zeigt, deutliche Kontroversen unter den Vertragsstaaten festgestellt werden. Bis heute haben die Vereinigten Staaten von Amerika zwar das Rom-Statut unterschrieben, Normgrundlage für den IStGH, eine Ratifizierung jedoch verweigert. Schon bei den Nürnberger NS-KriegsverbrecherProzessen waren deutliche Spannungen der (damaligen) Weltmächte im Tribunal festzustellen. Die USA und die damalige UdSSR rückten schon dort inhaltlich auseinander, um sich Jahre später im Kalten Krieg wiederzufinden. Nicht völlig kritikfrei sind auch die von der UN eingerichteten Tribunale, etwa der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien durch UN-Resolution 827. So wird zum Teil vorgebracht, das Tribunal sei völkerrechtswidrig initiiert worden, weil die UN-Charta zu weit ausgelegt worden sei. Letztlich, so darf aber konstatiert werden, war die Einführung und auch die Umsetzung von Verhaltensregeln in kriegerischen Auseinandersetzungen ein völkerrechtlicher Meilenstein des 20. Jahrhunderts. Die Kriegsverbrecherprozesse gegen Miloševic,´ Karadzic und Mladic wären undenkbar, hätten sich die Regierenden des späten 19. Jahrhunderts, angetrieben von den ersten Friedensbewegungen, nicht für eine Humanisierung der Kriege verwendet. Diese Feststellung mag angesichts der Millionen Toten in den später folgenden Weltkriegen zunächst zwar wie blanker Zynismus anmuten. Unter dem Strich jedoch kann sich heute kein Staatenführer und kein Befehlshaber mehr hinter nationalen Normen verstecken und zum eigenen Schutz die Einmischung in „interne Angelegenheiten“ monieren, wenn es um die Aufarbeitung zigfachen Verbrechens an der fremden oder der eigenen Bevölkerung geht. Sie müssen im Zweifel mit völkerrechtlich gültigen, international betriebenen Strafprozessen rechnen, an dessen Ende auch angemessen hohe Verurteilungen stehen können. Das ist ein klarer, ganz erheblicher Fortschritt hin zu humaneren Lebensverhältnissen auf der Erde, selbst wenn das Ziel zu umfassenden Weltfrieden noch in weiter Ferne liegt. RA Patrick Ruppert Köln ADVOICE 04/13 9 Thema Nach dem Krieg kommt der Frieden Die Europäische Union ist weit mehr als eine Währungs- und Wirtschaftsunion „Wenn dieses Europa nichts anderes erreicht hätte, als den Frieden in Europa zu sichern, dann müssten wir schon jeden Tag ausschließlich dafür dankbar sein." Das sagte Volker Kauder, Vorsitzender CDU/CSU Bundestagsfraktion am 16. November dieses Jahres auf dem Deutschlandtag der Jungen Union Deutschlands. Auch in den weiteren Kinderschritten der europäischen Gemeinschaft, den Römischen Verträgen, stand der gemeinschaftliche Wirtschafts- und Industrieraum im Fokus. Errungenschaften aus dieser Zeit prägen bis zum heutigen Tag das Verständnis von Europa. Politische Integration durch wirtschaftliche Integration. Die Zeiten, ein Unionsbürger zu sein, könnten nicht besser sein, auch wenn nur 31 Prozent Vertrauen in die Europäische Union haben. Fraglich ist, ob dieser Zustand ein Ergebnis der Finanz- und Schuldenkrise ist und die Unsicherheit in die gemeinsame europäische Währung auf das gesamte Konstrukt Europa übertragen wird oder den Mangel einer europäischen Identität sichtbar werden lässt. Müssten wir nicht dankbar für Einheit und Frieden sein? Diesem Grundsatz wurde auch in den folgenden Entwicklungsschritten die Treue gehalten. Denn auch wenn durch den Unionsvertrag 1992 grundlegende Strukturveränderungen, vor allem institutionelle, erreicht wurden, waren die Zielsetzungen von wirtschaftlichen Anforderungen geprägt. Der bereits florierende gemeinsame Binnenmarkt bedurfte einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Daraus folgt wohl, dass der Unionsbürger vor allem an die gemeinsame Währung denkt, wenn er zur EU befragt wird. Dankbarkeit nutzt sich jedoch ab. Und die Sonntagsreden der Politik mit Lobeshymnen auf die Errungenschaften der Europäischen Union erreichen die Bürger nicht. Europa ist fern, kompliziert, zu groß vielleicht und mit Sicherheit überbürokratisch. Aber sollte Volker Kauder recht haben und wir müssen dankbar sein? Am besten jeden Tag und vor allem nicht vergessen: Woher sind wir gekommen und warum darf unsere Dankbarkeit nicht abbrechen? 1951, der zweite verheerende Krieg innerhalb weniger Jahrzehnte ist vorbei, obwohl seine zerstörerische Kraft noch überall spürbar ist. Wenige europäische Politiker trauten sich und ihren Nachbarn unter diesen Bedingungen ein langfristiges, friedliches Zusammenleben zu. Winston Churchills Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“, die einen Zusammenschluss der europäischen Ländern beinhaltete, wurde kaum gehört und von den meisten als utopische Vision abgetan. Sind wir demnach tatsächlich zu einer Euro-undCent-Union geworden? Wenn man den Bürgern Glauben schenkt, dann liegt der Fortschritt und der persönliche Gewinn mit und durch die EU vor allem in der Freizügigkeit und dem Frieden innerhalb Europas. Wirtschaftliche Entwicklungen folgen nachrangig. Das mag zunächst überraschen, aber der Unionsbürger schaut offensichtlich zuvörderst auf die persönlich relevanten Vorzüge der Union und bewertet erst nachfolgend den Erfolg oder Misserfolg der EU. Tatsächlich ist Europa so viel mehr. Die Gründungsväter der EU haben in der Nachkriegssituation aus befeindeten Lagern wirtschaftliche Kooperationen geschaffen und die Gunst der Stunde genutzt. Sie haben den Samen für ein friedliches Miteinander und gegenseitiges Vertrauen gelegt. Wir leben heute von den Früchten dieser europäischen Pflanze. Sie gedieh langsam, denn nicht nur die Weltkriege, sondern auch ein zweigeteiltes Europa während des Kalten Krieges ließ die europäische Integration nur schrittweise vorankommen. Die Tatsache, dass dieser Prozess langwierig war und bis zum heutigen Tag anhält und der Umstand, dass wir vor allem von den Früchten leben, die wir nicht gesät haben, machen Dankbarkeit schwer. Deswegen müssen die kommenden Generation ihren Beitrag leisten, die EU voranbringen und das friedlichen Zusammenleben erhalten. Der Weg über das Geld hat den Weg für die Politik freigemacht. Und die Politik muss Hüter des Friedens sein. Denn es erscheint als die wertvollste Nebenwirkung des europäischen Integrationsprozesses den Frieden gebracht zu haben. Laura Stoll, Hamburg In Frieden leben zu können und Vertrauen zu haben, dass das so bleibt, ist ein besonders hohes persönliches, und auch gesellschaftliches Gut. Spätestens an diesem Punkt werden sich Europa-kritische Strömungen beim Ringen um die Gunst potenzieller Wähler die Zähne ausbeißen. In der historischen Rückschau wirkt es wenig verwunderlich, dass sich die europäischen Staaten zunächst wirtschaftlich annäherten. Dass die politische Integration nur sukzessive zu realisieren war, wird durch den Schuhmann-Plan deutlich, der in der Montanunion gipfelte. Diese diente nicht nur einer engeren Zusammenarbeit, sondern auch der supranationalen Kontrolle. Der Vertrauensvorschuss, vor allem für die Deutschen, war innerhalb und auch außerhalb Europas aufgebraucht. 10 ADVOICE 04/13 Foto: La-Liana_pixelio.de Thema g Amnestie um des Friedens willen? Frieden bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krieg Der Duden definiert Amnestie als durch ein besonderes Gesetz verfügten Straferlass oder verfügte Strafmilderung für eine Gruppe bestimmter Fälle, insbesondere für politische Vergehen. Diese Definition erscheint aus juristischer Sicht nicht ganz zutreffend, denn sie vermischt die Amnestie mit der Begnadigung. Auch die Begnadigung führt im Ergebnis zu Straffreiheit oder Strafermäßigung. Sie ist jedoch höchstpersönlich, das heißt auf einen individuellen Einzelfall beschränkt, während die Amnestie eine unbekannte Anzahl von Fällen betrifft. Aus juristischer Sicht ist deshalb unter Amnestie ein allgemeiner, für eine nicht bestimmte Anzahl von Fällen geltender und meistens auf bestimmte Vergehen oder Verbrechen bezogener Gesetzesbeschluss zu verstehen, der den Betroffenen Straffreiheit oder Strafermäßigung zukommen lässt. Der Gesetzgeber verzichtet also darauf, Rechtsnachteile an früheres Verhalten zu knüpfen. Dieser Eingriff in den regulären Ablauf der Rechtspflege kann in verschiedenen zeitlichen Stadien vorkommen. So wird in manchen Fällen bereits von der Verfolgung einer Straftat abgesehen. Alternativ wird nach Verurteilung ganz oder teilweise auf die Vollstreckung verhängter Strafen verzichtet. Dies kann auch derart geschehen, dass bereits inhaftierte Straftäter nachträglich aufgrund eines neuen Amnestiegesetzes freigelassen werden. Tatsächlich gibt es mehrere Arten von Amnestien und noch mehr Gründe, aus denen entsprechende Gesetze erlassen werden. Dieser Beitrag behandelt ausschließlich die Befriedungsamnestie, mit der versucht wird, den inneren Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen, der durch politische Gegensätze und die Form ihrer Austragung gestört ist. Die Amnestie kann rechtskonstituierender oder rechtsperpetuierender Natur sein. Erstere soll dort einen Rahmen schaffen, wo durch andauernde Kriege die gesamtgesellschaftliche Ordnung zerstört wurde. Letztere lässt die herrschende Ordnung grundsätzlich bestehen und bringt nur in Teilbereichen Korrekturen an. Eine reformbedürftige Ausnahmesituation, die die politische Führung verändern will, liegt in beiden Fällen vor. Wie jede rechtspolitische Entscheidung ist der Erlass von Amnestien umstritten. Die Vor- und Nachteile werden im Folgenden dargelegt. Prof. Dr. Maximilian Lanzinner, Direktor des neuen Zentrums für Historische Friedensforschung der Philosophischen Fakultät führt aus, dass sich vom Amnestien sind umstritten. Sie geben Raum für Neuanfang, hinterlassen aber auch Ungerechtigkeit. 16. bis zum 19. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen weltlichem und religiösem Frieden herauskristallisierte. Die noch heute aktuellen Verfahren und Methoden der Friedensschließung und -sicherung seien damals entwickelt worden. So waren Amnestie und Verzicht auf Feststellen der Kriegsursache eine wichtige Grundlage für einen dauerhaften Frieden. Die Geschichte bietet mannigfaltige Beispiele, bei denen eine Amnestie einem in Trümmern liegenden Staat zu einem Zustand verhalf, in dem die grundlegende Geltung des Rechts gesichert war und auf dem aufgebaut werden konnte. Annähernd alle bis 1918 geschlossenen Friedensverträge beinhalteten Amnestien. Am bekanntesten ist wohl der Westfälische Friede von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete und durch ein gegenseitiges Vergessen und Vergeben wechselseitig begangener Gräueltaten die Basis für einen Neuanfang schuf. Auch nach der kantischen Philosophie beruht geschlossener Friede größtenteils auf Amnestie. Die Leitgedanken dabei müssten Versöhnung, Mäßigung, Ausgleich und gegenseitige Vergebung sein. Nur so könne man das Ziel errei- Foto: Rike_pixelio.de chen, eine neue stabile und tragfähige politische Ordnung bei Vermeidung von machtpolitischen Exzessen der Siegermächte zu schaffen. AMNESTIE UND FRIEDENSVERTRAG Die Verbindung von Amnestie und Friedensvertrag wurde zum ersten Mal im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg gelöst. Die Schuldfrage wurde einseitig beantwortet, Kriegsverbrechen wurden allein dem deutschen Kaiser vorgehalten. Zugunsten der einseitigen strafenden Gerechtigkeit wurde das althergebrachte Konzept, dass der Wunsch nach Gerechtigkeit gegenüber dem Wunsch nach Frieden und Befriedung zurücktreten müsse, aufgegeben. Bekanntermaßen verfehlte dieser Friede durch seine aufoktroyierten Bedingungen das Ziel einer Befriedung völlig. Prof. Dr. Klaus Marxen, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität, Richter am Kammergericht Berlin a. D. erklärt, dass das staatliche Gewaltmonopol nur durch die Eindäm- ADVOICE 04/13 11 Thema mung von Revanchegelüsten der unterlegenen Partei entstehen kann. Trotzdem werden moderne zwischenstaatliche Friedensverträge fast immer ohne Amnestie für den unterlegenen Staat geschlossen. Bei den heutzutage vermehrt auftretenden innerstaatlichen Konflikten werden mitunter stark umstrittene Amnestiegesetze verabschiedet. Diese werden vor allem mit der Möglichkeit eines nachhaltigen Friedens begründet. Auch stelle es eine Chance für die Regierungsopposition im Ausland dar, bei einer Rückkehr in das Land am Demokratisierungsprozess teilzunehmen, da von einer rechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen abgesehen werden soll. Beispiele sind unter anderem Afghanistan, Sierra Leone und Uganda. Auch in Libyen gab es Stimmen, die Gaddafi und seinen Anhängern Straffreiheit und den Gang ins Exil anbieten wollten, um die Kämpfe zu beenden. Es sei ein probates Mittel zur Friedenssicherung, einem scheidenden Machthaber den Abgang zu erleichtern. Eine drohende Inhaftierung und Anklage sei kein Anreiz, sich an Verhandlungen zu beteiligen. KEINE AMNESTIE FÜR KRIEGSVERBRECHEN Es gibt aber auch bedeutende Argumente gegen den Erlass von Amnestien. Laut Elise Keppler, Juristin und leitende Beraterin im internationalen Rechtsprogramm von Human Rights Watch in Washington (DC), sei es sehr wichtig, dass es für Kriegsverbrechen keine Amnestie gäbe. Das verlange nicht nur das internationale Recht, sondern es sei auch entscheidend für den Aufbau einer Gesellschaft, die auf rechtsstaatlichen Prinzipien beruht. Ein Frieden, der auf eine Amnestie gegründet wird, könne kaum stabil sein. Der UNO-Sicherheitsrat tritt dafür ein, dass Menschenrechtsverletzungen nicht straflos bleiben. Amnestien für Menschenrechtsverbrechen sind als völkerrechtswidrig anzusehen. Eines der wichtigsten Ziele des Völkerstrafrechts ist es, Frieden zu schaffen. Damit ist zum einen Rechtsfrieden gemeint, also Wahrheitsfindung und Genugtuung für die Opfer. Andererseits ist damit tatsächlicher Frieden gemeint, der über die Stigmatisierung der Täter und ihren damit verbundenen politischen und militärischen Machtverlust den Weg für einen Neuanfang ohne Gewalt ebnen kann. Ein nachhaltiger FALSCHE SIGNALE Amnestien können außerdem das Signal senden, dass Verbrechen wie die massenhafte Tötung von Zivilisten folgenlos bleiben. In seltenen Fällen kann ein Amnestie-Gesetz dazu führen, dass bestimmte Foto: Sokaeiko_pixelio.de 12 Frieden erscheint schwierig durchzusetzen, ohne dass Täter, Militärführer, Politiker oder Rebellengruppen vor ein Gericht gestellt werden, das in einem rechtsstaatlichen Verfahren ihre Schuld klärt. In Algerien wurde 1999 ein Amnestiegesetz auf den Weg gebracht, dass eine Garantie für den Frieden darstellen sollte. Die Gesetzesvorlage wurde zwar mit großer Mehrheit angenommen, allerdings liegt auf der Hand, dass jeder Algerier den Bürgerkrieg alsbald beendet wissen wollte und dies als der einzig gangbare Weg erschien. Den bewaffneten Islamisten wurde unter der Voraussetzung, dass sie innerhalb einer sechsmonatigen Frist die Waffen niederlegen, Straffreiheit in Aussicht gestellt. Ausgenommen bleiben sollten aber diejenigen, die persönlich an Massakern, Bombenanschlägen auf öffentlichen Plätzen, Morden oder Vergewaltigungen teilgenommen hatten. Da das Amnestiegesetz keine Prozesse gegen die Betreffenden vorsah, konnten jedoch nicht ermittelt werden, wer für welche Taten verantwortlich war. Man opferte sozusagen die Gerechtigkeit dem Frieden zuliebe, was nicht erstrebenswert sein kann. r ADVOICE 04/13 Thema zukünftige Verbrechen nicht geahndet werden. Dann stellt es fast eine Ermutigung dar, mehr derartige Verbrechen in Zukunft zu begehen. Bei einem scheidenden Despoten mit großem Einfluss garantiert eine Amnestie nicht, dass dieser sich tatsächlich aus dem politischen Leben zurückzieht. Es besteht die Gefahr, dass er weiterhin ein Machtfaktor bleibt und mit einer starken Anhängerschaft sowie ausreichenden finanziellen Mitteln destabilisierend auf das neue System wirkt. Werden die Hauptverantwortlichen amnestiert, erschwert dies zudem die strafrechtliche Verfolgung der mittleren Führungsebene. Die daraus folgende allgemeine Straflosigkeit fördert den Erhalt des alten Systems. Ein mit Straflosigkeit erkaufter Frieden könne nicht von Dauer sein, wenn er mit Des´ Charles Taylor, Omar poten wie Slobodan Miloševic, al-Bashir oder Muammar Gaddafi geschlossen werde, meint. Dr. Leonie v. Braun, Staatsanwältin und Sprecherin der Themengruppe gegen Straflosigkeit der deutschen Sektion von Amnesty International. AMNESTIEN VERHINDERN AUFARBEITUNG auf einer Briefmarke der BRD von 1988 zu lesen ist. Neben dem Text ist eine brennende Synagoge als Erinnerung an die Reichsprogramnacht zu erkennen. George de Santayana schrieb 1905, dass derjenige, der die Vergangenheit nicht erinnern kann, ver-urteilt sei, sie zu wiederholen. Auch wenn dem nicht unbedingt gefolgt werden kann, denn auch bei Unkenntnis der Geschichte ist es unwahrscheinlich, dass sich diese genauso wiederholt. Unbestritten ist jedoch, dass wir aus der Geschichte lernen müssen. Dies geht nur, wenn man sich stets vor Augen führt, welche Untaten geschehen sind und was dazu geführt hat. Zwar löschen Amnestien keine Erinnerungen, jedoch sind sie geeignet zu verhindern, dass Sachverhalte vollständig und schonungslos aufgeklärt werden und dadurch ins Bewusstsein der Bevölkerung vordringen und dort haften bleiben. Das nicht unbedingt zweckgebundene Bedürfnis zu erfahren, wie es wirklich war, kann nicht vollständig befriedigt werden, sofern die Amnestie das Ermittlungsverfahren verdrängt. Fraglich ist außerdem, wie die Folgen einer Diktatur zu bekämpfen und nach Möglichkeit zu beheben sind, wenn keine Verurteilung der Schuldigen erfolgt. Das betrifft Regierungskriminalität, die Rehabilitierung von politisch Verfolgten, Haftentschädigungen sowie die Rückgabe von widerrecht- lich enteigneten Gütern. Die angemessene Würdigung der Opfer kann nur stattfinden, wenn klargestellt wird, dass sie tatsächliche Opfer sind. Frieden bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krieg. Deshalb sollte nicht um jeden Preis zur Beendigung von inner- oder zwischenstaatlichen Konflikten ein Amnestiegesetz verabschiedet werden, nur um einen Schlussstrich ziehen zu können. Wichtig ist, dass tatsächliche Bereitschaft zur Versöhnung besteht und die Opfer angemessen gewürdigt sowie entschädigt werden. Generell sind selbstbegünstigende Anmestien und solche, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Strafe befreien, abzulehnen. Referendarin Astrid Bauer, Berlin Quellen: www.fr-online.de/politik/israel-nahost-netanjahu-streitueber-amnestie,1472596,24804338.html /// www.zeit.de/politik/ ausland/2010-03/afghanistan-karsai-amnestie /// www.zeit.de/ 1949/43/amnestie-der-vorvertrag-zum-frieden/seite-1 /// http:// jung.jura.uni-saarland.de/Vertiefung/amnestie.htm /// www.amnesty.de/journal/2011/oktober/kein-frieden-ohne-gerechtigkeit Amnestien können auch dazu führen, dass allzu leicht vergessen wird, was passiert ist. Dabei ist Erinnerung das Geheimnis der Erlösung, wie schon R g ADVOICE 04/13 13 r Thema Wer soll das bezahlen? Verteidigungshaushalte im Vergleich Wer seine eigene Kanzlei betreibt oder einer Sozietät assoziiert ist, der kennt in der Regel alle Zahlen: Umsatzsteuerpflichtige Betriebseinnahmen aus der Rechtsberatung, dagegen gerechnet die Ausgaben für Büromiete, Personal, Büromaterial und Telekommunikation. Das wär's im Groben. Berufsstarter jonglieren mit Jahresabschlüssen in fünf- oder sechsstelligen Größenordnungen und dürften deshalb kaum den Überblick über die eigene Haushaltslage verlieren. 90,7 Mrd. US-Dollar an dritter Stelle, Großbritannien mit 60,8 Mrd. US-Dollar an vierter, Japan mit 59,9 Mrd. auf fünfter und Frankreich mit 58,9 Mrd. auf Rang sechs. Es schließen sich an: Saudi-Arabien (56,7 Mrd. US-Dollar), Indien (46,1 Mrd. US-Dollar) und die Bundesrepublik Deutschland (45,8 Mrd. US-Dollar). Insgesamt beliefen sich im Jahre 2012 die weltweiten Ausgaben für das Militär auf 1,75 Billionen US-Dollar. (Quelle Stockholm International Peace Research Institute, Erhebungszeitraum 2012). Verlassen wir die Niederungen der eigenen Buchhaltung und begeben uns auf die Ebene der Staatshaushalte. Da kann einem ob der großen Zahlen schon einmal dezent schwindelig werden. Geld hat man zu haben, so predigt nahezu jedes Schuldrechtslehrbuch, und der Staat beweist, dass da etwas dran ist. Trotz Schuldenkrise und Kreditklemme dürfen wir getrost festhalten: Die Bundesrepublik besitzt einiges an Geld. Um es einmal sehr klar zu sagen, es ist viel Geld! Das muss es auch sein, wenn im Bundeshaushaltsgesetz 2013 inkl. Nachtragshaushalt die Ein- und Ausnahmenseite auf 310 Mrd. Euro festgesetzt wurde. Für das Haushaltsjahr 2013 veranschlagte Deutschland 33,26 Mrd. Euro, umgerechnet 44,74 Mrd. USDollar (Stand 23.11.2012, Quelle BMVG). In diesem Betrag machen Betriebsausgaben, nämlich Personalkosten, Liegenschaftsverwaltung, Materialerhaltung u. a. (19,48 Mrd. Euro, 58,6 %) den größten Anteil aus. 21,4 % des Verteidigungsetats (7,12 Mrd. Euro) entfallen auf verteidigungsintensive Ausgaben (Forschung, militärische Beschaffung), 15,1 % (5,04 Mrd. Euro) auf die Versorgung von Angehörigen der Streitkräfte und schließlich 4,9 % (1,62 Mrd. Euro) auf sog. Betreiberlösungen (Kooperationen/Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit). Das meiste Geld (38,46 %), und das dürfte niemanden besonders überraschen, fließt in den Bereich Arbeit und Soziales (119 Mrd. Euro). Auf Platz zwei folgt dann aber bereits mit einem Budget von 33 Mrd. Euro der Verteidigungshaushalt (10,73 %). Gemes-sen an dem Bruttoinlandsprodukt Deutschlands von 3,59 Bio. Euro sind das beinahe Peanuts. Im Ländervergleich liegt Deutschland damit auf Platz 102. Vor Deutschland liegen das Vereinigte Königreich – dort fließen 2,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Wehretat – China (2,6 %), Kuweit (3,7 %), die USA (4,6 %), Israel (7,4 %), Irak (8,6 %), Saudi Arabien (9,1 %), Katar (10 %) und der Oman (11,4 %). Diese Zahlen verführen insoweit zu vorschnellen Ableitungen, weil sie das wahre Ausmaß der Rüstungsausgaben nicht auf den Punkt bringen, schließlich sind in der Auflistung etliche Staaten, die zwar vor Deutschland rangieren, aber keine starke Wirtschaft vorweisen können. Afghanistan zum Beispiel besetzt daher Platz 3 mit 10 % des BIP für Verteidigungsausgaben. Spannend wird es erst, wenn die absoluten Ausgaben für das Militär deutlich werden. Es ist nicht besonders überraschend, dass hier die großen Wirtschaftsnationen die Rangliste anführen. Einsamer Spitzenreiter sind die USA mit 682 Mrd. US-Dollar, gefolgt von China mit 166 Mrd. Russland steht mit 14 ADVOICE 04/13 USA | 682,0 RECHTLICHER EXKURS Die Legitimation erhält der Wehretat durch den Deutschen Bundestag, der das Budgetrecht hat (Art. 110 GG). Der Entwurf des Haushaltsplans, in den der Verteidigungsetat eingebettet ist, wird gleichzeitig dem Bundesrat zur ersten Stellungnahme zugeleitet. In drei Lesungen wird der Bundeshaushalt durch den Bundestag verabschiedet, bevor der beschlossene Haushaltsplan erneut dem Bundesrat übergeben wird. Ergeben sich zwischen Bundestag und Bundesrat Widersprüche, ist der Vermittlungsausschuss (Art. 77 GG) anzurufen. Legt der Bundesrat Einspruch gegen den beschlossenen Haushaltsplan ein, kann der Bundestag mit gleicher Mehrheit, mindestens mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, den Bundesrat überstimmen. RA Patrick Ruppert Köln # # Grafikkonzeption: Andrea Vollmer / Grafik: Gudman Design Thema rd. Dollar Australi en M ben in Anga | 26,2 Südk orea | 31, 7 Bras ilien | 33 ,1 Ital i e n De |3 ut 4,0 sch lan d| 45 ,8 ltweit Türkei | 18,2 Kanada | 22,5 hr e W s we t a t -E g TIEWTLEW STATERHE W oruE .drM ni nebagnA ASU 0,286 anihC 0,661 dnalssuR 7,09 neinnatirbßorG 8,06 napaJ 3,95 hcierknarF 9,85 7mIllIarden ,65 dollarneibarA iduaS neidnI 1,64 8,54 dnalhcstueD neilatI 0,43 neilisarB 1,33 7,13 aerokdüS 2,62 neilartsuA adanaK 5,22 iekrüT 2,81 n die In d Sau i |4 1 6, n| bie a r A Gesamtvolumen ,7 56 h| kreic Fran 1432 5 8, 9 59 Japan | ,3 Großbritannien | 60,8 Russ land | 90 ,7 ina Ch |1 ,0 66 ADVOICE 04/13 15 Thema 16 ADVOICE 04/13 Kriegsgräberstätte Südfriedhof Köln. / Foto: Foto: Patrick Ruppert Thema g Wider das Vergessen Kriegsgräberfürsorge als Friedensdienst Der Totenkult in Deutschland unterliegt dem Wandel. Mit Abnahme der ursprünglich großteils christlich geprägten Religiosität werden die traditionellen Vorstellungen der klassischen Erdbestattung allmählich abgelöst von einer deutlich liberaler ausgerichteten Betrauerung. Der Friedwald, das Urnengrab oder die Bestattung auf See sind längst keine exotischen Formen mehr, einem verstorbenen Menschen das letzte Geleit zu geben. Zu beobachten ist allerdings auch, dass Trauer in der althergebrachten Form, sie nämlich an einem bestimmten Tag und an einem bestimmten Ort auszudrücken, in der Generation unter 30 an Zuspruch zu verlieren scheint. über AdVoice, dass es dem Volksbund besonders auf die junge Bevölkerungsschicht ankomme: „ Wir betreiben Jugendarbeit seit 60 Jahren. Das heißt, wir konfrontieren junge Leute aus ganz Europa mit Kriegsgräberstätten. Wir bringen sie in den Sommerferien in sogenannte Workcamps, wo sie auf ganz unterschiedlichen Kriegsgräberstätten arbeiten, also leichtere Pflegearbeiten verrichten und sich vor allem mit dem Thema auseinandersetzen.“ Trauerseiten im Internet, oft völlig kostenfrei, dazu interaktiv, konkurrieren immer erfolgreicher mit kostenintensiven und fest ortsgebundenen Gräbern auf Friedhöfen. Zu dieser Veränderung passt auch, dass an den Feiertagen Allerheiligen, Allerseelen, dem Volkstrauertag und dem Totensonntag das Durchschnittsalter der aktiven Teilhaber jährlich steigt. Dabei ist der traditionelle Gang auf den Friedhof nicht nur ein Erinnern an liebe Dahingeschiedene, sondern auch eine bildende Reminiszenz an die eigene Geschichte. Der Bund beteiligt sich mit ca. 30 Prozent an der Lastentragung. Den Rest des Budgets muss der gemeinnützige Verein über Spenden generieren. Die Gesamteinnahmen beliefen sich im Jahr 2012 auf knapp 43 Mio. Euro. Auf den ersten Blick mag das üppig erscheinen. Bei nahezu gleich hohen Ausgaben, die die Pflege der Ruhestätten im Inund Ausland beansprucht, relativiert sich die Einnahmenseite jedoch deutlich. Bislang wurde die vom Volksbund geprägte Erinnerungskultur sehr aus nationaler Perspektive betrachtet. Der neue Präsident des Volksbundes, Bundesminister a. D. Markus Meckel, will diese Perspektive in Zukunft auf eine gesamteuropäische Sichtweise transponieren. Dieser Vorstoß unterstreicht die Bedeutung des Vereins, der Völkerverständigung und Friedenssicherung aktiv über das Totengedenken hinaus mitgestalten will. Einfache oder prunkvoll gestaltete Gräber, gar kleine Tempel oder Mausoleen künden von einer mehr oder weniger nahen Vergangenheit, die beschwerlich oder pompös ausgestaltet gewesen sein muss. So findet jede Ruhestätte die richtige Ansprache. Ganz und gar nicht protzig, sie sind das schiere Gegenteil, stellen sich die in der Bundesrepublik und dem europäischen Kontinent verteilten, unzähligen Kriegs-gräber des ersten und zweiten Weltkriegs dar. Sie fallen durch bewusste Schlichtheit auf, meist nur ein einfaches Steinkreuz, eine Stele oder Bodenplatte, die auf einen gefallenen Soldaten verweisen. Stumme Uniformität regiert, üblicherweise symmetrisch angeordnet, als seien die gestorbenen Ar-meeangehörigen auch auf dem Gräberfeld in Reih und Glied angetreten. Das Verständnis für den Erhalt und die Pflege dieser Gräber ist längst kein Selbstläufer mehr. Bis vor Kurzem war dies noch durch die Zweite-WeltkriegsGeneration erledigt worden. Diese Generation stirbt nunmehr aus, was die Erinnerungsauffrischung merklich negativ beeinträchtigt. Die dahinter stehende Geschichte generationsübergreifend wachzuhalten, ist eine der besonderen Aufgaben des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Ihr Pressereferent Fritz Kirchmeier erklärt gegen- Neben der Aufklärung und Bildung heißt Kriegsgräberfürsorge vor allem Grabpflege und Identifizierung gefallener Soldaten. Das sei mitunter nicht ganz leicht, da nicht jeder Tote ohne Schwierigkeiten identifizierbar ist. Um die 20 Prozent der entdeckten Soldaten können zugeordnet und erforderlichenfalls umgebettet werden. Gelegentlich melden sich politisch fragwürdige Kreise: „Es gibt im rechtsextremen Bereich Leute, die unter Kriegsgräberfürsorge und Totengedenken etwas anderes verstehen als wir. Da gibt es immer noch Vorstellungen, die eher unter den Begriff Heldengedenken subsumiert werden können.“ Kirchmeier hebt hervor, dass notfalls auch gerichtlich gegen rechtsextreme Sympathisanten vorgegangen werden müsste. Für Revisionisten oder Holocaustleugner ist im Volksbund kein Platz. RA Patrick Ruppert Köln HINTERGRUND Kirchmeier macht hierbei keinen Hehl daraus, dass heutzutage die Bindung von Jugendlichen an Vereinsleben ein äußerst schwieriges Unterfangen ist. „Wenn jemand 25 ist, dann löst er sich meist von dem Thema. Der hat dann ganz andere Sorgen: berufliche Ausbildung, Familiengründung, berufliche Etablierung.“ Rechtsgrundlage der Kriegsgräberfürsorge Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG Kriegsgräberstätten: 832 in 45 Ländern Zuschuss durch das aus Auswärtige Amt: 10,88 Mio. Euro Mitglieder: 119.216 Präsident: seit Oktober 2013 Markus Meckel (SPD), Bundesminister a. D. Schirmherrschaft: Bundespräsident Internet: www.volksbund.de ADVOICE 04/13 17 Thema Der nicht sichtbare Krieg: „Der Tag des Spatzen“ Dokumentarfilm folgt dem Krieg in Deutschland – Über (Anti-)Kriegsfilme Deutschland ist im Krieg. Auch in Deutschland findet Krieg statt. Es gibt viele Orte, wo die Spuren von aktuellen Kriegen sichtbar sind. Erst durch einen engagierten Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010 drang diese Information wieder in das Bewusstsein. Aber auch sonst sind Kriege und vor allem Kriegsbilder allgegenwärtig. Unsere eigenen Kriegserfahrungen schöpfen wir dabei zu großen Teilen aus Filmen, dem Leitmedium unserer Zeit. In dem preisgekrönten Dokumentarfilm der „Der Tag des Spatzen“ aus dem Jahr 2010 geht es um die Frage, ob Deutschland im Krieg ist und wo man dies sehen kann. Der Autor und Regisseur Philipp Scheffner hat sich auf die Suche gemacht nach den Orten, an denen auch in Deutschland der Krieg im Allgemeinen und der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr im Besonderen sichtbar sind. Inspiriert von zwei parallelen Zeitungsmeldungen vom 15. November 2005 – ein Spatz, der getötet wurde, weil er 23.000 Dominosteine umwerfen könnte, sowie ein deutscher Soldat, der in Kabul als Folge eines Selbstmordattentates gestorben ist – nimmt er dabei die Perspektive eines Vogelbeobachters ein. Was leicht verschwurbelt klingt, stellt sich im Laufe des Films als ungewöhnliches, aber überzeugendes Konzept dar. Denn folgt man den Vögeln und ihren Fährten, kommt man auch in Deutschland dem Krieg auf die Spur. Die Flugroute vieler Vögel entlang dem Lauf der Mosel ist gleichzeitig eine beliebte Übungsstreckte für Bundeswehrflieger, denn sie ähnelt der Landschaft am Hindukusch. In Geltow bei Potsdam wiederum sitzt das Einsatzführungskommando, das die Auslandseinsätze der Bundeswehr koordiniert. Auffällig oft befinden sich Wildparks und Naturschutz- und Vogelbeobachtungsgebiete nahe an Militärgeländen. Die Vögel sitzen in Kanonenrohren, auf Zäunen, flattern über Wiesen und Felder, in die sich der Krieg längst eingeschrieben hat. Der Krieg ist nicht neu in Deutschland, eine ganze Menge Arbeitsplätze hängen dran, sei es bei der Waffenherstellung, der Bundeswehr oder in der Verwaltung. Konsequent wird der Krieg aber hinter hohe Mauern gesperrt. Gut be- wachte Bundeswehrtore, die den Charme des kalten Kriegs haben, schirmen die Schaltzentralen auf deutschem Boden ab. Gefilmt werden darf hier nicht, Interviews für den Filmemacher gibt es auch nicht. Obwohl der Krieg auch in Deutschland stattfindet, ist er für Otto Normalverbraucher nicht sichtbar. Die Medien werden dadurch kalkulierbar und können viel einfacher beherrscht werden. Sie müssen für ihre Geschichten auf Fiktionen ausweichen. Oder eben auf Vögel. Im Rahmen dieser dokumentarischen Fiktion befindet sich „Der Tag des Spatzen“ in guter Gesellschaft. Allein 80 Kriege listet Wikipedia unter dem Stichwort Kriegsfilme auf. Von der Antike über den 2. Weltkrieg, den Kalten Krieg und den Vietnamkrieg bis zum Krieg gegen den Terror finden sich hunderte Filme, die im weitesten Sinne als Kriegsfilme definiert werden können. Als echte Antikriegsfilme, also solche, die bewusst und mit mahnender Absicht die Schrecken des Krieges zeigen, werden gerade einmal 82 genannt. Doch einige der besten Filme des Genres sind ausgesprochene Antikriegsfilme. Zwei Nachrichten haben den Dokumentarfilmer zu dem Film „Tag des Spatzen" inspiriert: Der Tod eines deutschen Soldaten in Afghanistan und ein Spatz, der getötet wurde, weil er möglicherweise g 18 ADVOICE 04/13 Thema APOCALYPSE NOW Als einflussreichster Antikriegsfilm gilt „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola aus dem Jahr 1979. Ein amerikanischer Captain soll im Vietnamkrieg einen anderen amerikanischen Offizier töten, der ein eigenes Territorium regiert. Die Bilder brennen sich ins Gedächtnis. Der vietnamesische Dschungel kann in dem Film fast eingeatmet werden, so intensiv dringt der Film in die Emotionen der Zuschauer ein. Der Film erzeugt eine eigene Faszination, stößt aber auch ab, Bilder werden ebenso gezeigt wie die Verführungsmacht von inszenierten Kriegsbildern. In genau diesem Zwiespalt liegt die Bedeutung für spätere Filme. Die Filmarbeiten zu dem Antikriegsklassiker sind sogar in einem eigenen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1991 mit dem Titel „Hearts of Darkness: A Filmmaker's Apocalypse“ für die Nachwelt festgehalten. Im Jahr 2001 erschein die um 50 Minuten längere Fassung des Spielfilms: „Apocalypse Now Redux“. DIE BRÜCKE In dem deutschen Film „Die Brücke“ aus dem Jahr 1959 wird die Sinnlosigkeit von Befehlen eindrücklich vorgeführt. Acht minderjährige Jugendliche erhalten kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs den Befehl, die Brücke einer Kleinstadt vor den anrückenden amerikanischen Soldaten zu verteidigen. 23.000 Dominosteine gekippt hätte. Völlig ideologiehörig und viel zu jung, sind sie nicht in der Lage, die Situation zu hinterfragen und zu erkennen. Vielmehr wollen sie den Auftrag unbedingt und mit patriotischer Begeisterung erfüllen. Nur ein Einziger überlebt. DER SOLDAT JAMES RYAN Richtig Kasse gemacht hat der (Anti-)Kriegsfilm „Der Soldat James Ryan“ von Steven Spielberg aus dem Jahr 1998. Erzählt wird die Geschichte eines Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg von der Front in der Normandie zurückgeholt werden soll. Er ist der letzte lebende Sohn einer Frau, die schon drei Kinder im Krieg verloren hat. Mit fünf Oscars wurde der Film, der in seiner Eingangssequenz die Landung der amerikanischen Truppen in der Normandie aus der Sicht der Soldaten zeigt, prämiert. Die Sequenz, gedreht mit Handkameras, dürfte einer der packendsten Kriegsszenen sein, die die Kinogeschichte zu bieten hat. Im Internationalen Filmlexikon heißt es über den Film: „... die konsequente und erschütternde Rekonstruktion des Krieges als Schreckensbild des kollektiven Todes verleiht dem Film einen hohen humanitären Rang.“ Mit einem Einspielergebnis von weltweit ca. 480 Millionen US-Dollar gilt der Film vor „Pearl Habour" (USA, 2001, Einspielergbnis: ca. 450 Millionen USDollar) als der international bisher finanziell erfolgreichste (Anti-)Kriegsfilm. ZERO DARK THIRTY Inzwischen etabliert sich mit Filmen wie „Zero Dark Thirty“ aus dem Jahr 2012, wo die Jagd nach Osama Bin Laden fiktionalisiert wird, oder „White House Down“ sowie „Olympus Has Fallen“ aus dem Jahr 2013 mit Terrorismusfilmen ein eigenes Subgenre von Kriegsfilmen. Liest man diese Filme als einen soziologischen Spiegel unserer Zeit, legen sie ganz konkret den Finger in die Wunde der aktuellsten kriegerischen Auseinandersetzung, die die westliche Welt erschüttert, den Krieg gegen den Terror. So wie dieser Krieg kein klassischer Krieg mehr ist, folgen diese Filme nicht immer dem Muster klassischer Kriegsfilme. Das Ende von „Zero Dark Thirty“ beispielsweise kennen die Zuschauer bereits, wenn die den Kinosaal betreten. Und trotzdem ist der Film spannend, die Dramaturgie verlagert sich. Nicht die Jagd auf den Übeltäter allein, sondern die Person der Jägerin und ihre Entwicklung halten die Spannung aufrecht. RA Tobias Sommer, Berlin > http://dertagdesspatzen.de/de Fotos: Bernd Meiners und Philip Scheffner KRIEGS- UND ANTIKRIEGSFILME „Unsere Mütter, unsere Väter“, Regie: Philipp Kadelbach, Deutschland 2013 • „Im Westen nichts Neues“, Regie: Lewis Milesstone, USA 1930 und 1979 von Delbert Mann • „08/15“ Regie: Paul May, Deutschland 1954 • „Killing fields“, Regie: Roland Joffé, Großbritannien, 1984 • „Full metal jacket“, Regie: Stanley Kubrick, 1987 • „Der schmale Grat“, Regie: Terrence Malick, USA 1988 • „Hamburger Hill“, Regie: John Irvin, USA 1987 • „Die Brücke von Arnheim“, Regie: Richard Attenborough, USA, UK 1977 • „Das Boot“, Regie: Wolfgang Petersen, Deutschland 1981 • „Der Tag des Spatzen“, Phillip Scheffner, Deutschland 2010 • „Platoon“, Regie: Oliver Stone, USA 1986 • „Stalingrad", Regie: Joseph Vilsmaier, Deutschland 1993 • „Lebanon", Regie: Samuel Maoz, Israel, Deutschland, Frankreich, Libanon 2009 • „Black Hawk Down", Regie: Ridley Scott, USA 2001 • „Waltz with Bashir", Regie: Ari Folman, Israel, Frankreich, Deutschland 2008 ADVOICE 04/13 19 Thema Schwere Jungs Bandenkriege in Deutschland Bandenkriege zwischen Rockerbanden sind immer wieder ein dankbares Thema in den Medien. Rohe Gewalt, Mord und Totschlag, Outlaws und oft mehr als ein Prise Sex – besser Prostitution – verkaufen sich einfach zu gut, um nicht darüber zu berichten. Ob es sich tatsächlich um einen erklärten Krieg handelt oder nur einen, der in den Medien stattfindet, weil es um die gleichen kriminellen oder wirtschaftlichen Interessen in gleichen Gebieten geht, ist eine Definitionsfrage. Auffällig ist jedoch, dass immer häufiger Streitigkeiten zwischen Rockerbanden gibt, die auch juristisch verhandelt werden. Die Begriffe „Rockerkrieg“ und „Bandenkrieg“ sind da schnell zur Hand. Die Nachrichtenagentur meldete im Februar 2013: „Der Rockerkrieg ist zurück“. Die Branchen, in denen Rocker tätig sind, wachsen. Sogar Bücher werden über die Rockerkriege geschrieben, Sondereinheiten ermitteln. Das Thema verkauft sich so gut, dass der Titel: „Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden“ von Jörg Diehl, Thomas Heise & Claas Meyer-Heuer zum Spiegel-Bestseller wurde. Auf Youtube finden sich gleich mehrere Dokumentationen zum Kampf der Rocker. Die beliebteste ist ein Magazinbeitrag, in dem sich zwei Rocker auf offener Straße attackieren, der von wackligen Amateurbildern lebt, in denen auch Warnschüsse fallen. Da der filmende Zeuge, der die Bilder gleich an die Bild-Zeitung verkauft hat, jedoch schweigt, hat es die Justiz schwer. Genauso wie die Rocker für die Medien ein dankbares Thema sind, sind sie für Strafverteidiger sicherlich ein dankbares Klientel. Begriffsbestimmung Die juristische Definition beschreibt den Begriff Bande als den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten der im Gesetz genannten Art zu begehen. Große Banden stellen Subkulturen dar, wobei man in manchen Fällen davon ausgehen kann, dass es sich um kriminelle Parallelgesellschaften handelt, die ihre eigenen Gesetze leben. Wenn sie konkurrierende Absatzmärkte in gleichen geographischen Gebieten pflegen, sind Bandenkriege nicht selten. Sie dienen dazu, das Einflussgebiet zu vergrößern. Je weniger Bandenkonkurrenz pro Deliktsgruppe, desto größer wird das Monopol einer Bande. 20 ADVOICE 04/13 J C h Der staatsähnliche Charakter von Banden zeigt sich unter anderem daran, dass umfassende Machtstrukturen aufgebaut werden und eine eigene Terminologie verwendet wird. Regionale, weitgehend autonome Unterorganisationen werden als Chapter bezeichnet (bei den Hells Angels als „Charter“). Es herrscht eine strenge Hierarchie, an deren Spitze der Präsident steht und die mit dem Supporter (ein bloßer Unterstützer) endet. Darüber hinaus besitzen die einzelnen Banden jeweils spezifische Ausdrücke, die allein in ihrer Organisation zur Fachsprache gehören. So heißt ein Anwärter auf die Vollmitgliedschaft bei den Black Jackets „Black Dog“. In Deutschland treten die organisierten Banden fast ausschließlich als Motorrad- und Rockerclubs auf. Bedeutende Gruppierungen HELLS ANGELS Die Hells Angels sind eine der ältesten Rockerbanden. Sie wurden 1948 von ehemaligen US-Kampfpiloten in Kalifornien gegründet. Derzeit gibt es Ableger in 32 Ländern. Die Hells Angels MC Germany gibt es seit 1973. 1999 übernahmen die Hells Angels den bedeutenden Motorradclub Bones MC. Die in Berlin und Brandenburg stark vertretenen Red Devils sind eine Untergruppierung der Hells Angels. Sie sind sowohl in legale als auch illegale Geschäfte verwickelt. Auf der legalen Seite findet man Mitglieder der Helles Angels oft als Betreiber von Tätowierstudios, Gastronomieeinrichtungen, Türsteher-Dienstleistungen, Kampfsportschulen und Online-Versendern. Die Hauptschauplätze bei illegalen Aktivitäten befinden sich in den Bereichen Waffen-, Drogen- und Menschenhandel sowie Erpressung. Bislang wurden einzelne Charter der Hells Angels verboten. Ein bundesweites Verbot wird seit 2010 geprüft. Die derzeitigen Brennpunkte von schwerer Bandenkriminalität und -kämpfen sind Berlin, Brandenburg, Hannover und Duisburg. BANDIDOS Veteranen des Vietnamkriegs gründeten 1966 in Houston, Texas, die Bandidos. 1989 expandierten sie nach Europa, und in Deutschland fassten sie 1999 nach Beitritt anderer Gruppen Fuß. Die Geschäftsfelder überschneiden sich größtenteils mit denen der Hells Angels, welche auch ihre primäre Konkurrenz darstellen. Im März 2012 waren 71 Chapter in Deutschland polizeilich bekannt. Die Gruppe ist in zehn europäischen Ländern aktiv. OUTLAWS MC 1935 in Illinois gegründet, besteht der Club in Deutschland seit 2001. Die „Outlaws MC Germany“ sind aus dem „Ghost Rider MC Germany“ entstanden, der 1973 von amerikanischen Soldaten im fränkischen Kitzingen gegründet worden war. Ursprüngliches Ziel war es, die amerikanische Bikerkultur nach Deutschland zu bringen, mit Werten wie Kameradschaft, Zuverlässigkeit und gemeinsamer Freude am Biken. Mittlerweile sind die Outlaws genauso wie Bandidos und Hells Angels in internationale Waffen- und Drogengeschäfte verwickelt. Thema GREMIUM MC Der Gremium MC wurde 1972 in Mannheim gegründet. Er ist der letzte große Motorradclub deutschen Ursprungs, der sich keinem internationalen Club angeschlossen hat. Auch der Gremium MC wird mit den oben genannten Motorradclubs mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht. BLACK JACKETS Die Black Jackets wurden 1985 von Jugendlichen in Heidenheim gegründet, mittlerweile sind sie auch im Ausland vertreten. In Deutschland operieren sie überwiegend in südlichen Regionen. Sie orientieren sich optisch und organisatorisch an Rockerbanden, sind aber kein MC sondern eine Streetgang. Ihre Gewaltbereitschaft ist nicht zu unterschätzen. Insbesondere sind sie mit der Red Legion verfeindet. RED LEGION Die rockerähnliche Gruppe Red Legion agierte im Großraum Stuttgart vor allem im Vergnügungsund Rotlichtgewerbe und wurde im Juni 2013 verboten. Die Mitglieder waren hauptsächlich kurdische Türken, deren Kleidung die für das Türstehergewerbe typischen schwarze Shirts und Kapuzenpullis waren. Dadurch standen sie auch optisch in direkter Konkurrenz zur Gruppe „Black Jackets“, mit denen sie sich immer wieder blutige Machtkämpfe lieferten. Die dazugehörige Jugendorganisation trug den Namen Red Nation. MONGOLS Da es Lateinamerikanern nicht erlaubt war, den Hells Angels beizutreten, wurde der Mongols MC (bzw. mongols nation) in Kalifornien gegründet. Es besteht eine alte Freundschaft zu dem Outlaws MC. Die heute ca. 600 Mann starke Gruppe hat Niederlassungen in Australien und Europa. Auch in Deutschland bildeten sich Gruppen: 2010 in Bremen und 2011 in Berlin, die jedoch jeweils im selben Jahr wieder aufgelöst haben beziehungsweise verboten wurden. Darüber hinaus soll es weitere Gruppen zum Beispiel in Karlsruhe und Köln geben. Vorfälle (ausschnittsweise) April 1973: Ein 20-jähriger Kirchenhelfer wurde in Hamburg von einem Mitglied der Bloody Devils erstochen. 1980: Auf der Insel Sylt wurde ein Disco-Besitzer von einem amerikanischen Hells-Angels-Mitglied getötet, nachdem er den Mann verprügelt und vor die Tür gesetzt hatte. Januar 2004: Die Führungsfigur des Karlsruher Hells Angels Charters, ein 42-jähriger Bordellbesitzer und stadtbekannte Rotlichtgröße, wurde in einem Café der Karlsruher Innenstadt am hellichten Tag erschossen. März 2006: Mitglieder der Hells Angels überfielen Mitglieder der Bandidos in deren Vereinsheim in Stuhr-Brinkum, fesselten ihre Opfer, klebten ihnen die Augen zu und schlugen mit Axtstielen auf sie ein. Anschließend raubten sie, wohl als Trophäen, Vereinsembleme und andere Insignien. Mai 2007: Nach vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen Hells Angels und Bandidos in Ibbenbüren wurde ein Hells-Angels-Mitglied durch zwei Bandidos-Mitglieder erschossen. Februar 2008: Schießerei in Cottbus zwischen Bandidos und Hells Angels. Juni 2009: Bei Stetten (Pfalz) wurde im Juni der Präsident des Outlaws MC Chapters Donnersberg von Hells-Angels-Mitgliedern erstochen, nachdem es zuvor in Bad Kreuznach zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der rivalisierenden Clubs gekommen war. August 2009: In Berlin-Hohenschönhausen wurde ein ehemaliges Mitglied der Hells Angels auf offener Straße erschossen. Dabei sei es um Geld, verlorene Ehre und um einen angeblichen Wechsel des Opfers zu den verfeindeten Bandidos gegangen. September 2009: Der Präsident des inzwischen aufgelösten Flensburger Charters der Hells Angels rammte absichtlich nachts auf der Autobahn mit dem Auto ein motorradfahrendes Mitglied eines anderen Clubs bei hoher Geschwindigkeit und verletzte die Person dabei lebensgefährlich. Oktober 2009: In Duisburg erschoss ein Prospect der Hells Angels das Bandidos-Mitglied Rudi Heinz Elten auf offener Straße aus einem Auto heraus. Schon wenige Stunden nach den Schüssen schleuderten dann Unbekannte einen Brandsatz gegen die Tür des Hells-Angels-Vereinsheims in Gelsenkirchen. 2010: In Anhausen im Westerwald wurde ein Angehöriger des Spezialeinsatzkommandos Rheinland-Pfalz von einem Mitglied der Hells Angels getötet. Der Täter schoss zweimal durch die geschlossene Wohnungstür, als das SEK diese zu öffnen versuchte. Der Bundesgerichtshof sprach das Hells-Angels-Mitglied frei, da es in Putativnotwehr gehandelt habe. Es hielt die Mitglieder des SEK für Mitglieder des verfeindeten Rockerclubs Bandidos, die ihn vorher bedroht hatten. Mai 2010: Friedensvertrag zwischen Hells Angels und Bandidos. 2011: Erneutes Aufflammen der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hells Angels und Bandidos. Mai 2011: Der ehemalige Anführer der Berliner Hells Angels wurde nachts auf seinem Anwesen im brandenburgischen Altlandsberg mit Schlägen und Messerstichen angegriffen. Er wurde lebensgefährlich verletzt und trug bleibende Schäden davon, lehnte aber jegliche Zusammenarbeit mit der Polizei ab. Die Ermittler gehen davon aus, dass der neue Anführer der Berliner Hells Angels, André Sommer, hinter dem Überfall steckte. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) führte ihn in dem Verfahren als Beschuldigten. Januar 2012: Massenschlägerei zwischen Hells Angels und Bandidos in Mönchengladbach. Juni 2012: André Sommer wird vor dem Germanenhof in Berlin Hohenschönhausen mit sieben Schüssen in den Oberkörper niedergeschossen, überlebt aber. Wahrscheinlich war dies ein Racheakt des ehemaligen Anführers, der im Mai 2011 angegriffen wurde. Dezember 2012: Mitglieder der Red Legion überfallen in Esslingen Mitglieder der Black Jackets, ein Mann stirbt durch Stichverletzungen. Februar 2013 / Duisburg: Massenschlägereien, Anschläge mit Handgranaten, Schießereien, Messerattacken. Beteiligte sind die Hells Angels und der Satudarah MC. Februar 2013 / Oberhausen: Mindestens dreizehn Schüsse auf den schwarzen BMW eines Hells Angels, zwei Treffer in den Oberkörper. Juli 2013: Hells Angels werden von ehemaligen Red-Legion-Mitgliedern in Stuttgart angegriffen. August 2013: Schlägerei zwischen rockerähnlichen Gruppierungen in Stuttgart, vermutlich Mitglieder der Red Legion und der Black Jackets. Die eingreifenden Polizeibeamten wurden massiv bedroht. September 2013: Nach dem Mord an einem Türsteher in Berlin, der Mitglied der Red Devils, einem Unterstützerclub der Hells Angels gewesen sein soll, fragt die Bild-Zeitung reißerisch: „Droht Berlin ein neuer Bandenkrieg?“ Oktober 2013: Messerangriff auf 18-Jährigen in Esslingen, Verbindungen zu Red Legion und Black Jackets werden vermutet. Referendarin Astrid Bauer, Brandenburg/H. > www.wikipedia.org/wiki/rocker ADVOICE 04/13 21 Thema Rocker ohne Kutte Sie haben Erfahrung mit der Obrigkeit – Wie ein Prozess platzt In der Strafrechtskanzlei einer mitteldeutschen Großstadt klingelt das Telefon. Eine rauhe Männerstimme verlangt, einen Anwalt zu sprechen. Die Sekretärin stellt zum Seniorpartner durch. Das Gespräch zwischen dem Anrufer und Anwalt ist kurz. „Sind Sie bereit, jemanden aus der Rockerszene zu vertreten?“ Der Anwalt sagt zu. Kurze Zeit später stehen vier Männer in der Kanzlei. „Eher Schränke als Männer“, beschreibt der junge Anwalt Felix Jahn (Name von der Redaktion geändert), der seinerzeit in der Kanzlei arbeitet, das Quartett. Einer der Männer ist glatzköpfig, der andere stiernackig und langhaarig. Die anderen beiden sind Anwälte, die Leute aus der Motorrad-Club-Szene regelmäßig vertreten. Doch jetzt ist ein versierter Strafrechtler gefragt. Denn die beiden Männer gehören der Rockerbande Bandidos an. Sie hatten sich von der Polizei dabei erwischen lassen, wie sie das Clubhaus einer anderen Rockertruppe samt seiner Insassen zerlegten. „Das war ein kleiner Rockerclub, der eher aus Opis und Lehrern bestand, die zusammen Bier getrunken und Billiard gespielt haben“, erzählt Jahn. Das war den Bandidos aber ziemlich egal, die LightRocker waren ihnen seit jeher ein Dorn im Auge. „Vielleicht“, sagt Jahn, „wollten sie auch Geld.“ Jedenfalls rücken die schweren Jungs der Bandidos an einem Freitagabend dort an und verprügeln die Konkurrenz. Sie zerbrechen Billardqueues und schlagen damit auf die Männer ein, die weder der Über- macht noch der Brutalität der Bandidos etwas entgegenzusetzen haben. Das einzige, was einem von ihnen doch gelingt, ist die Polizei zu alarmieren. Und die ist im Handumdrehen da und verhaftet ein Duzend Bandidos. Klingt zunächst nach einer gelungenen Aktion, tatsächlich kündigt sich aber schon jetzt aus Strafverfolgersicht das Desaster an. Knapp ein Duzend der Beteiligten werden angeklagt wegen schwererer Körperverletzung und Bandenbildung. Die Kanzlei übernimmt die Verteidigung der beiden Männer, deren Anführer wiederum von einer großen Strafrechtskanzlei vertreten wird. „Wir bekamen von der Polizei ordnerweise Telefonüberwachungsprotokolle“, sagt Jahn. „Doch die Jungs sind clever im Umgang mit der Obrigkeit.“ Während sich später im Verfahren herausstellt (das geht aus den Akten hervor), dass alle Anwälte abgehört wurden, verhalten sich die Kriminellen deutlich schlauer. Besprechungen mit den Anwälten finden in Kneipen statt, die Jungs bringen hübsche Prosituierte mit, ihre Handys lassen sie zu Hause. Für das Gros der Truppe werden sogenannte Konfliktverteidiger eingesetzt. „Die sorgen dafür, dass das Verfahren früher oder später zum Erliegen kommt“, sagt Rechtsanwalt Jahn. Und so kommt es dann auch. Die Anwälte stellen Befangenheitsanträge, dann wird die Abhörung der Anwälte bekannt und vieles mehr. Der Prozess wird unterbrochen. Allerdings länger als drei Monate, und dann wird er fortgesetzt. Die Unterbrechung des Prozesses hat gereicht, um Zeugen massiv unter Druck zu setzen. Derweil setzt die Gang, die in einem kleinen Dorf eine streng abgeschirmte und autarke Kommune betreibt, ihre Geschäfte weitestgehend unbehelligt fort. Ihre Geschäftsfelder sind der Drogenhandel, Prostitution und der Verkauf von Waffen. Die meisten Gangmitglieder haben ein veritables Vorstrafenregister, pro Kopf mindestens 15 Jahre Knast auf dem Buckel. Während Polizisten mit MP draußen das Gerichtsgebäude sichern, stellt sich drinnen im Gerichtssaal eine für die Rocker existentielle Frage: „Dürfen sie ihre Kutten während der Verhandlung tragen?“ Der Vorsitzende Richter entscheidet, dass sie dürfen, aber sie müssen ihre Kutten umdrehen, um das „Backpatch“ zu verbergen – eine schlimme Demütigung für alle Gangmitglieder. Die mehr als drei Monate Unterbrechung des Prozesses hat dann in letzter Konsequenz auch den gewünschten Erfolg. Zeugen widerrufen reihenweise ihre Aussagen, können sich nicht mehr so genau erinnern, alles war doch eigentlich nicht so schlimm. „Die Zeit hat gut gereicht, um Zeugen unter Druck zu setzen. Diese sagten dann plötzlich ganz andere Dinge aus als seinerzeit bei der Polizei“, so Jahn. Das Ende vom Lied: Der Prozess platzt. Die Bandidos drehen ihre Kutten wieder auf rechts und gehen zufrieden nach Hause. Stefanie Salzmann, Eschwege Foto: Hartmut910_pixelio.de KONFLIKTVERTEIDIGUNG Konfliktverteidigung umschreibt eine von Strafrichtern wenig geliebte Variation der Verteidigerstrategie. Im Schwerpunkt geht es hierbei um die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Strafprozessordnung mit der Maßgabe, ein Strafverfahren maximal zu belasten. Dies schlägt sich in erster Linie nieder in einer langen Verfahrensdauer. Zu den einzelnen grundsätzlich zugelassenen Möglichkeiten zählen Befangenheitsanträge sowie die Einbringung von vielen, nicht zwingend zielführenden Beweisanträgen bzw. Sachverständigengutachten. Umstritten ist, ob Dazwischenreden als Strategie zulässig ist. 22 ADVOICE 04/13 Thema g Exportkontrolle – von Waffen bis Tulpenzwiebeln Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) regelt den Handel Während in Malaysia sogar die Todesstrafe droht, verhängen die deutschen Behörden meist Ordnungsgelder im fünfstelligen Bereich. Oft geht es bei der Ausfuhrkontrolle auch um die Vorbeugung bei Menschenrechtsverletzungen oder kriegerischen Auseinandersetzungen. Verhindert werden sollen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie die unkontrollierte Verbreitung konventioneller Rüstungsgüter. Auch die Terrorismusprävention ist inzwischen ein wichtiger Grund für Exportverbote. Doch wie funktioniert die Exportkontrolle eigentlich und wie kann vorgesorgt werden? Konten werden eingefroren, die Einreise wird verweigert, der Handel wird reguliert. So will es ein aktueller Beschluss der EU (Az: 2012/642/GASP) für Weißrussland. Benannt werden 243 Personen und 32 Unternehmen, zahlreiche Politiker und Geschäftsleute, aber auch Richter und Staatsanwälte finden Foto: Daniel Pittner_pixelio.de sich namentlich in der Liste. Militärische Geschäfte mit der weißrussischen Holdinggesellschaft LLC Triple von Jurij Tschisch sind beispielsweise tabu, weil sie das Lukaschenko-Regime finanziert. Der Richter am obersten Wirtschaftsgericht, Dmitri Petrowitsch Aleksandrow, steht auf der Liste, weil er den unabhängigen Sender „Autoradio“ verboten hat. Der Rundfunksender hatte das Wahlprogramm des ehemaligen Oppositionskandidaten Sannikow übertragen. heimdienste melden sich in Verdachtsfällen ebenfalls. Ordnungsgelder, Freiheitsstrafen oder ein Eintrag ins Gewerbezentralregister, der die Vergabe öffentlicher Aufträge erschwert, können die Folge sein. Zollrechtliche Vereinfachungen wie z. B. den „zugelassenen Ausführer“, der eine zügige Ausfuhrabwicklung ermöglicht, gibt es nur bei einer geordneten Exportkontrolle. BEITRAG FÜR EINE SICHERERE WELT „Es gibt immer noch Unternehmen, die sich gar nicht bewusst sind, dass sie sich um die Ausfuhrkontrolle kümmern müssen“, sagt Steffen Hertwig, Leiter Recht bei der Würth Elektronik GmbH & Co. KG und Referent zum Thema Exportkontrollrecht. Daher werden immer noch Produkte verkauft, die eigentlich nicht ohne BAFA-Genehmigung verkauft werden dürften. Doch das geht nur solange gut, bis es eine Außenwirtschaftsprüfung gibt. Auch beim Zoll können solche Produkte auffallen. Ge- Bei der BAFA, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit Sitz in Eschborn, arbeiten etwa 850 Mitarbeiter. Gut ein Drittel der Mitarbeiter ist für die rechtliche und die technische Seite der amtlichen Ausfuhrkontrolle zuständig. Die Behörde wirbt mit dem Slogan: „Ausfuhrkontrolle, unser Beitrag für eine sichere Welt!“ Laut BAFA-Jahresbericht betrug der Wert des kontrollierten Gütervolumens im Jahr 2011 etwa 25,6 Milliarden Euro. ADVOICE 04/13 23 Thema g unser BeItrag für eIne sIchere Welt. 6.900 meist mittelständische Unternehmen stellten allein 2011 49.000 Anträge bei der BAFA. Damit sind etwa 2,4 Prozent des deutschen Außenhandelsvolumens für gewerbliche Güter geprüfte Ausfuhren. 6.900 meist mittelständische Unternehmen stellten im Jahr 2011 rund 49.000 Anträge und Anfragen beim BAFA. Selbst bei fahrlässigen Verstößen gegen das Exportkontrollrecht werden regelmäßig Ordnungsgelder verhängt. „In der Regel sind es dann bis zu 50.000 Euro“, sagt Anwalt und Privatdozent Dr. Harald Hohmann, der aus seiner Praxis auch von Freiheitsstrafen zu berichten weiß, „Im Höchstfall waren es vier Jahre Gefängnis.“ Kommt der Anwalt ins Spiel, sucht er nach Minderungsgründen, fertigt freiwillige Selbstanzeigen und sorgt für Transparenz. „So lässt sich in einem Verfahren vor den einschlägigen Behörden oft viel erreichen.“ Für die Lieferung eines besonders gehärteten Aluminiumprofils nach China gab es beispielsweise eine Gefängnisstrafe für vier Jahre. Gefängnisstrafe? Die Fakten, die Hohmann zusammengetragen hat, stellen dieses Urteil zwar infrage, haben letztlich aber nur das geforderte Strafmaß um drei Jahre gesenkt. Denn: Die Lieferung war für eine Grenzstadt zu Nordkorea bestimmt und die Staatsanwaltschaft ging von einer Gewerbsmäßigkeit aus, da es zwei Bestellungen gegeben hatte. Das Problem: Ein US-Geheimdienst hatte Bedenken angemeldet, die Profile könnten beim Bau von Gasultrazentrifugen, also militärisch, verwendet werden. Das Auswärtige Amt sah durch die Lieferung die politischen 24 ADVOICE 04/13 Foto: Lichtkunst73_pixelio Beziehungen zwischen den USA und Deutschland in Gefahr. Und schon war das Nebenstrafrecht aus dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren anwendbar. Das Privatgutachten, wonach der Einsatz der Profile für die Zentrifugen gar nicht möglich ist, half den verantwortlichen Unternehmen ebenso wenig wie der Fakt, dass letztlich gar nicht geliefert wurde. Schon der Versuch ist strafbar. ternehmen vor der Lieferung von Laborgeräten USamerikanischer Herkunft nach Kuba zwar alle denkbaren deutschen Institutionen wie Zoll, BAFA und Bundeswirtschaftsministerium befragt, jedoch keine einschlägige Warnung erhalten hat. Aus deutscher Sicht war damit alles in Ordnung. Doch aus den USA folgte ein Verfahren auf dem Fuß. Die Strafe konnte letztlich um 50 Prozent reduziert werden, doch die Anwaltskosten summierten sich auf einen fünfstelligen Betrag. WAS MACHT EIN AUSFUHRVERANTWORTLICHER? „Es ist eine echte Herausforderung, sich der Materie Exportkontrolle zu stellen. Das haben wir Juristen so nie gelernt“, sagt Katja Schoeltzke, Senior Legal Counsel Latin America bei der Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA. Sie ist zuständig für Lateinamerika, das Exportkontrollrecht macht nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit aus. Wer exportiert, hat auf Geschäftsführungsebene einen Ausfuhrverantwortlichen zu benennen. Wer alles richtig machen will, bestellt einen Exportverantwortlichen samt Exportkontrollteam und Exportbeauftragten in den jeweiligen Ländern, informiert regelmäßig seine Mitarbeiter, erfasst die Endverwendungen seiner Produkte, kontrolliert die Kunden regelmäßig und hält sich auch sonst an die Compliance-Anforderungen des BAFA, wie sie in dem ICP-Merkblatt zur internen Exportkontrolle zusammengefasst sind. Besonders problematisch wird es, wenn Waren aus den USA gehandelt oder in anderen Produkten verbaut werden. Das strenge Güterkontrollrecht der USA birgt zusätzliche Risiken, die erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennbar sind. Anwalt Hohmann berichtet von einem Fall, wo ein Un- Neben dem Ausfuhrverantwortlichen auf der Ebene der Geschäftsführung gibt es noch Exportkontrollbeauftragte, das Zollteam und zahlreiche Ländermanager, welche mit dem Thema befasst sind. Die Unternehmensjuristin Schoeltzke muss vor allem gestalten, den Behördendschungel durchschauen, BAFA-Anträge stellen und fallbezogen die externen Juristen koordinieren. Bekommt sie einen Nullbescheid für ein Produkt, feiert sie das als Erfolg, da dann die Verkehrsfähigkeit des Produkts bei überschaubarem Verwaltungsaufwand gewährleistet ist. Die besondere Herausforderung: Dadurch, dass Fresenius Medical Care an der New Yorker Börse Thema gelistet ist, gelten alle amerikanischen Vorschriften einschließlich der amerikanischen Anti-Terrorund Embargolisten. Sämtliche Kunden werden geprüft „In den vergangene zwölf Jahren hatten wir insgesamt fünf Treffer.“ Bleiben nach abgeschlossener Prüfung des Kunden weitere Zweifel, werde der Kundenkontakt eingestellt. HANDELSBESCHRÄNKUNGEN KANN ES AUCH FÜR KABELBINDER GEBEN Kabelbinder, Computerschlösser oder Software – es gibt zahlreiche Produkte, wo sich nicht auf den ersten Blick eine Handelsbeschränkung aufdrängt. Ab einer bestimmten Dicke und Breite könnten Kabelbinder zum Fesseln und Foltern genutzt werden. Computerschlösser könnten Verschlüsselungstechnologien enthalten und Software ist schlichtweg eine Gattung der zehn Dual-Use-Kategorien (siehe Infokasten). Zusammen mit der Ausfuhrliste, einer 428-seitigen Anlage zur Außenwirtschafsverordnung (AWV), ist die Dual-Use-Verordnung der EU das zentrale Regelwerk für güterbezogene Prüfungen im Rahmen der Exportkontrolle. Doch was steckt hinter dem Begriff Exportkontrolle? Es geht um die Einhaltung von länder-, personen-, güterund verwendungsbezogenen Beschränkungen wie beispielsweise Embargos, Terrorismuslisten, Genehmigungspflichten und Verboten für einzelne Güter, die sich aus einer Vielzahl von Regelungen - die wichtigste davon ist das Außenwirtschafsgesetz (AWG) – ergeben. Die Prüfpflicht liegt beim Unternehmen, es muss recherchieren, ob seine Güter nur mit Genehmigung ausgeführt werden dürfen. Unverzichtbar dafür ist das Handbuch der Deutschen Exportkontrolle, kurz HADDEX. Während die USA Totalembargos verhangen haben, beispielsweise für Kuba, kennen die Europäer nur Teil- und Waffenembargos. Mehr als 20 Länder sind als Embargoländer qualifiziert (siehe Infokasten), wobei jeweils unterschiedliche Regelungen gelten. Hilfreich ist hier die Länderübersicht auf der Internetseite der BAFA. Für die Personen- und Länderprüfungen gibt es in der Praxis verschiedene Lösungen. Für kleinere und mittlere Unternehmen eignet sich eine automatisierte E-Mail-Abfrage, die Lizenzen hierfür liegen im niedrigen vierstelligen Bereich. Der potenzielle Kunde kann damit in kurzer Zeit im Rahmen einer Bestellung überprüft werden. „Im Zweifel muss man Abstand von einem Geschäft nehmen“, sagt Steffen Hertwig, welcher den finanziellen Aufwand, eine funktionierende Ausfuhrkontrolle zu etablieren im siebenstelligen Bereich ansiedelt. Etwa zwei Prozent aller Waren unterliegen bei Würth Elektronik dem Exportkontrollrecht. Im Unternehmen kümmern sich Außenhandelsfachwirte um die Abwicklung der Exportkontrolle. Allein im Geschäft mit den Leiterplatten, wo Würth Eletronik etwa 1.000 seiner insgesamt 6.500 Mit- arbeiter beschäftigt, ist die Exportkontrollabteilung mit drei Personen besetzt. „Um das Restrisiko zu minimieren, beauftragen wir alle zwei Jahre Wirtschaftsprüfer mit einem externen Audit. Firmenintern versenden wir zudem einmal im Monat einen Newsletter mit Rechts- und Außenwirtschaftsthemen. Kunden werden auf das BAFA-Verfahren hingewiesen und dann regelmäßig informiert.“ Die meisten Kunden hätten für die längeren Lieferzeiten aufgrund der BAFA-Bearbeitung Verständnis. „Was gestern falsch war, kann heute richtig sein und umgekehrt,“ so kommentiert Torsten Roeser, Direktor für Exportkontrolle bei der Infineon Technologies AG, das Exportkontrollrecht, in dem er seit vielen Jahren tätig ist. Für Libyen gab es allein im Jahr 2011 Änderungen der einschlägigen Regelungen im Monatstakt. „Etwa fünf Prozent unserer Produkte brauchen eine Genehmigung, seien es Umrichter für Windkraftanlagen oder ABS-Sensoren. In Chips für Reisepässe und Gesundheitskarten steckt beispielsweise Kryptotechnologie, wodurch diese Produkte genehmigungspflichtig werden.“ Torsten Roeser leitet in München eine Abteilung mit insgesamt sechs Beschäftigten. Hinzu kommen eigens geschulte Mitarbeiter in den jeweiligen Ländern wie beispielsweise Singapur, USA oder Malaysia. „In Malaysia gibt es das Thema erst seit wenigen Jahren. Dort haben wir derzeit vier Mitarbeiter nur im Bereich Exportkontrolle. Die härteste Sanktion bei einem Verstoß ist dort die Todesstrafe“, sagt er. Probleme im Bereich Exportkontrolle sind lösbar, man muss nur früh genug damit beginnen. Bei Würth-Elektronik musste beispielsweise das Problem der Datenaufbereitung für eine Leiterplattenbohrschablone in Indien gelöst werden. „Schon der Datentransfer stellte ein Problem dar, wenn die Leiterplatten militärisch nutzbar waren“, so der Chefsyndikus Steffen Hertwig, der aus diesem Grund vor unbedachtem E-Mail-Versand warnt. „Wir haben dann nach den möglichen Anwendungen getrennt und nur die Daten für zivile Nutzungen nach Indien transferiert.“ Alles andere wurde in Deutschland erledigt. Mit der entsprechenden Genehmigung, die inzwischen erteilt wurde, wäre aber auch das kein Problem mehr. Seine Beobachtung: „Arbeitsfehler werden geduldet, mangelhafte Organisation hingegen finden die Behörden kritisch.“ Diese Länder benennt die BAFA in Ihrer Übersicht länderbezogener Embargos: Ägypten | Armenien | Aserbaidschan | China | Elfenbeinküste | Eritrea | Guinea | GuineaBissau | Haiti | Irak | Iran | Ex- Jugoslawien / ICTY | Kongo (DR) | Korea (DVR) – Nordkorea | Libanon | Liberia | Libyen | Moldau | Myanmar (Birma) | Sierra Leone | Simbabwe | Somalia | Sudan | Südsudan | Syrien | Tunesien | Weißrussland Hinzu kommen Maßnahmen wegen der Ermordung Rafiq Hariris. Nicht berücksichtigt sind personenbezogenen Embargos zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowie Umgehungsverbote. Dual-Use-Güter sind in folgende Kategorien eingeteilt: Kerntechnische Materialien, Anlagen und Ausrüstung Besondere Werkstoffe und Materialien und Ausrüstung Werkstoffbearbeitung Allgemeine Elektronik Rechner Telekommunikation und Informationssicherheit Sensoren und Laser Luftfahrtelektronik und Navigation Meeres- und Schiffstechnik Luftfahrt, Raumfahrt und Antriebe „Die Probleme haben die Mittelständler. Viele von ihnen stehen mit einem Bein im Gefängnis und wissen es noch nicht einmal“, sagt Anwalt Hohmann. Zwar müsse nicht jeder ein aufwendiges Verfahren organisieren. Doch selbst harmlose Produkte wie Teebeutel oder Tulpenzwiebeln können gegen die geltenden Regelungen verstoßen, wenn es Embargos gibt oder der Kunde auf einer Terrorliste steht. Jede Kategorie hat folgende Gattungen: A B C D E Systeme, Ausrüstung und Bestandteile Prüf-, Test- und Herstellungsausrüstung Werkstoffe und Materialien Datenverarbeitungsprogramme (Software) Technologie RA Tobias Sommer, Berlin ADVOICE 04/13 25 Thema d 26 ADVOICE 04/13 q g Zu zweiten Mal im Bundestag, die Abgeordnete Katja Keul (Bündnis90/Die Grünen). Sie kämpft gegen die deutschen Rüstungsexporte. / Foto: Tobias Sommer Thema Mehr Information zu Rüstungsexporten! Katja Keul – Als Kriegerin vor dem Bundesverfassungsgericht Vor gut vier Jahren war Keul als das damals mutmaßlich langjährigste Mitglied noch im FORUM junge Anwaltschaft aktiv. Inzwischen sitzt sie zum zweiten Mal für die niedersächsischen Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag (wir berichteten in AdVoice 4/2009). AdVoice: Du hast zusammen mit Claudia Roth und Hans-Christian Ströbele eine Klage zum Bundesverfassungsgericht gegen das Zurückhalten von Informationen zu Panzerexporten eingereicht. Wie ist der aktuelle Stand? Katja Keul: Zuletzt hat das Verfassungsgericht die Bundesregierung noch zur Beantwortung von Fragen zum Bundessicherheitsrat aufgefordert. Die Fragen wurden mit Schriftsatz vom 27.9. 2013 beantwortet und die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates beigefügt. Nun heißt es wieder abwarten. schen Industrie, die bewaffneten Konflikte und menschenverachtende Regime in aller Welt mit Waffen zu bedienen. A: Wie viel verdient die Rüstungsindustrie? K: 2012 wurden Kriegswaffen im Wert von etwa eine Milliarde Euro. ausgeführt. Das sind 0,1 % aller deutschen Exporte. Der genehmigte gesamte Rüstungsexport im weiteren Sinne betrug 2012 einschließlich der Sammelgenehmigungen etwa neun Milliarden Euro. Brisant sind dabei vor allem die Exporte außerhalb von NATO und EU in Höhe von 2,6 Mrd. Selbst wenn man also von einem Tag auf den anderen komplett auf die Ausfuhr in diese Länder verzichten würde, führte dies nicht zu einem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. A: Inwiefern geht Eure Klage zum Zurückhalten von Informationen zu Panzerexporten über den Rüstungsbericht und sonstige Informationen hinaus? K: Der Rüstungsexportbericht enthält nur die in den jeweiligen Kategorien addierten Umsatzzahlen und wenige Einzelangaben. Außerdem enthält er keinerlei Angaben über Vorbescheide. Ebenso wenig enthält der Bericht eine sicherheitspolitische Begründung für die jeweilige Entscheidung. Nach den geltenden Grundsätzen sind Kriegswaffen nur im Ausnahmefall bei besonderen sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik zu genehmigen. Im Regelfall ist die Genehmigung zu versagen. Wir wollen mit unserer Klage sowohl eine Antwort auf die Frage, ob die Regierung die Voranfrage genehmigt hat, als auch eine Begründung für diese Entscheidung. A: Welche Missstände prangert Ihr an? K: Deutschland ist trotz des Art. 26 GG seit Jahren der drittgrößte Waffenexporteur der Welt nach den USA und Russland. Eine restriktive Exportkontrolle besteht nur auf dem Papier. Und weil die Regierung weiß, wie unpopulär dieses Thema ist, versteckt sie sich hinter einer völlig überzogenen und in dieser Pauschalität nicht zu rechtfertigenden Geheimhaltung. Sie will sich davor drücken, ihre Entscheidungen zu begründen und verhindert damit auch gleich die verfassungsmäßige parlamentarische Kontrolle. Als Abgeordnete können wir unserer Kontrollfunktion nicht gerecht werden, wenn die Bundesregierung unsere Fragen nicht beantwortet und ihr exekutives Handeln geheim hält. Damit werden wir in unseren grundlegenden parlamentarischen Rechten verletzt. Ich gehe fest davon aus, dass die Regierung sich zu einer restriktiveren Genehmigungspraxis motivieren lässt, wenn sie gezwungen ist, ihre Entscheidung auch öffentlich zu vertreten. A: Weshalb ist das Thema wichtig und weshalb soll das offengelegt werden? K: Es geht um fundamentale Werte der Bundesrepublik, die im Grundgesetz in Art. 26 verankert sind und auf den Erfahrungen von zwei verheerenden Weltkriegen beruhen. Nie wieder sollte der Frieden zwischen den Völkern durch deutsche Waffen gefährdet werden. Genau das passiert aber, wenn die Überkapazitäten der deutschen Rüstungsindustrie durch Exporte von Kriegswaffen in Spannungsgebiete wie Indien und Pakistan oder an die autokratischen Regime der arabischen Halbinsel erhalten werden. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden. Es ist daher nicht Aufgabe der deut- A: Wie ist Dein persönliches Fazit nach Deiner ersten Amtszeit im Bundestag? K: Ich genieße den Beginn meiner zweiten Legislatur umso mehr, als ich mich noch sehr gut an die permanente Stresssituation vor vier Jahren erinnern kann. Aber nicht nur für Neue und QuereinsteigerInnen ist das Mandat mit Stress verbunden. Besonders das ständige Tempo und die Informationsflut sind ein echtes Problem, zumal es im parlamentarischen Betrieb leider keinerlei Fristensystem gibt. Bis zum Beginn der Sitzung werden noch ständig Entscheidungsvorlagen geändert und versandt. Da sehnt man sich doch gelegentlich nach einem geordneten Zivilprozess zurück, und Stellungnahmefristen von 14 Tagen bleiben ein Traum. Eine Weile habe ich noch versucht, für Fristen zu werben, aber irgendwann habe ich eingesehen, dass der Bundestag eben keine große Anwaltskanzlei ist und auch nie werden wird. Er ist eine echte Volksvertretung, und das ist auch gut so. Die VolksvertreterInnen sind so bunt, so emotional, so spontan, so gewieft, wie das Volk, das sie vertreten. Die Sprache der Juristen steht zwar am Ende im Gesetz, aber die Sprache der Politik ist doch eine andere. Wie oft habe ich zu hören bekommen: "... das darfst Du nicht rechtlich – das musst Du politisch sehen!" Nun gut: Der Bundestag gibt mir noch viel Gelegenheit dazulernen. Von höchster Stelle habe ich mir schon erläutern lassen: Das ist hier alles eine Maßnahme der Erwachsenenbildung! Aber im Ernst: Ich bin dankbar, dass ich die Ehre habe, das deutsche Volk vertreten zu dürfen und gebe mir alle Mühe, dieser Aufgabe gerecht zu werden und für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zu streiten. Das ist ein großartige Aufgabe! Besonders schön ist es, wenn es gelingt, als kleines Rad in einem großen Getriebe zu merken, dass man etwas bewegen konnte. Und wie in jedem anderen Job auch gibt es solche und solche Tage. Ganz klar: Auch als Parlamentarierin bin und bleibe ich durch und durch Anwältin! A: Katja, wir danken Dir für Deine Zeit, wünschen Dir weiterhin viel Erfolg im Parlament und bei Deiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht! Das Interview führte RA Tobias Sommer, Berlin Klage und Klagebegründung gegen das Zurückhalten von Informationen zu Panzerexporten, die Erwiderung der Bundesrepublik sowie die Replik sind dokumentiert auf www.katja-keul.de. Einer der Kernpunkte: Auf die Anfragen der Parlamentarier wurde pauschal auf die Geheimhaltung für Sitzungen des Bundes-sicherheitsrates hingewiesen. Fragen wie: „Wie rechtfertigt die Bundesregierung Entscheidungen über diese Kriegswaffenexporte angesichts der Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung, nach denen solche Kriegswaffenlieferungen in Länder wie Saudi-Arabien, in den fortdauernd und systematisch Menschenrechte verletzt werden, nicht in Betracht kommen?“, wurden beispielsweise nicht beantwortet. In der Zusammenfassung in der Klageschrift heißt es weiter: „Es drängt sich der Eindruck auf, die Bundesregierung versteckt sich hinter dem Argument der Geheimhaltung, um sich nicht festzulegen, Zeit zu gewinnen und einer Auseinandersetzung mit den konkreten Einzelheiten des Kriegswaffengeschäfts mit Saudi-Arabien aus dem Weg zu gehen.“ ADVOICE 04/13 27 Thema Befreiung vom Stigma des Landesverrats Ausstellung in Berlin erinnert an Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Im Berliner Kammergericht erinnert eine Ausstellung an Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der für eine Rehabilitierung der Attentäter vom 20. Juli 1944 kämpfte. Der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Hitler-Attentäter, die Männer des 20. Juli 1944, vor den bundesdeutschen Gerichten der Nachkriegszeit rehabilitiert wurden, und damit ein wichtiges Stück Rechtsgeschichte geschrieben. Eine Ausstellung im KG Berlin unter dem Titel „Der Prozess um den 20. Juli 1944 – Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer und die Befreiung vom Stigma des Landesverrats“, die auf Wanderschaft durch die deutschen Gerichte gehen soll, erinnert an den Juristen, das Attentat vom 20. Juli 1944 und seine Folgen sowie die Legitimierung des Widerstands gegen den NS-Unrechtsstaat im Braunschweiger Prozess von 1952. Dieser Prozess wird als der bedeutendsten Prozess mit politischem Hintergrund seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess eingestuft. Rede des Braunschweiger Professors Dr. h.c. Gerd Biegel anlässlich der Ausstellungseröffnung am Kammergericht in Berlin. 28 ADVOICE 04/13 Der am Landgericht in Braunschweig durchgeführte „Remer-Prozess“ vor 61 Jahren, mit dem sich unsere Ausstellung auseinandersetzt, gilt heute als eines der wichtigsten juristischen Verfahren mit politischem Hintergrund in der Geschichte der frühen Bundesrepublik und war ein Meilenstein im Kampf um die Würdigung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Der Prozess kennzeichnete einen Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur der jungen Bundesrepublik. „Jedermann wäre zur Zeit der Naziherrschaft berechtigt gewesen, bedrohten Juden zu helfen ... Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr.“ Es waren diese Aussagen, die im Jahre 1952 die Öffentlichkeit nicht gerne hörte, zu deutlich waren diese Sätze, die in der internationalen Presse großes Echo fanden. Ausgesprochen hatte die unbequemen Wahrheiten der damalige Braunschweiger Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer. Das Thema des Widerstandes war ihm spätestens seit seiner Emigration 1936 zur Lebensaufgabe geworden. Bereits vor 1933 war er als Jurist im Staatsdienst tätig, verlor sein Amt aber nicht Foto: Andrea Vollmer wegen seines jüdischen Glaubens, sondern aufgrund seiner politischen Betätigung. Erst Ende 1933 wieder aus der Haft entlassen, emigrierte er 1936 nach Dänemark, wo seine Schwester lebte, und floh 1943 ins Exil nach Schweden. Dort hatte sich Fritz Bauer der SPD im Exil (SoPaDe) angeschlossen und gründete gemeinsam mit Willy Brandt und Willy Seifert die Zeitschrift „Sozialdemokratische Tribüne“. Von 1945 bis 1949 lebte er zu-nächst wieder in Dänemark und kehrte 1949 nach Deutschland zurück. Er wurde erst Landgerichtsdirektor, dann Generalstaatsanwalt in Braunschweig. Bereits damals sah Fritz Bauer in der politischen Haltung des Widerstandes die „Basis für die Realisierung einer postdiktatorischen demokratischen Gesellschaftsordnung in Deutschland“. Die Rückkehr war allerdings überschattet von einer heftigen Auseinandersetzung innerhalb der Exil-SPD, an der Spitze Kurt Heinig, der in Schweden die „Einheitssozialisten Brandt und Bauer“ ebenso denunzierte, wie er Bauer als „hundertzwanzigprozentigen Kommunisten“ verleumdete, was den SPD-Parteivorstand in Hannover zunächst auf Distanz gegenüber Fritz Thema Bauer gehen ließ, da man ihn „als Kommunistenfreund und Einheitsparteiler [...] Moskauer Quisling“ denunzierte und verdächtigte. Erschwerend auch, und es sollte durchaus Erwähnung finden, dass in den Denunziationen innerhalb der SPD antisemitische Töne mitschwangen. Am 1. August 1950 wurde Bauer zum Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht in Braunschweig ernannt. Es war keine leichte Aufgabe für ihn, der sich die Aufklärung und Anklage krimineller Verstrickungen in die nationalsozialistischen Verbrechen zum Ziel setzte. Die Justiz selbst war zu diesem Zeitpunkt noch zu großen Teilen mit nationalsozialistisch belasteten Vertretern durchsetzt, die Alliierten und die Politik zunehmend weniger interessiert, und einem politisch aktiven Juristen wie Bauer stand man in der eigenen Zunft eher distanziert und misstrauisch gegenüber. Höhepunkt der Braunschweiger Amtszeit Fritz Bauers war der sogenannte „Remer-Prozess“ vor 61 Jahren, im März 1952. Bei den niedersächsischen Landtagswahlen im Mai 1951 hatte die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) rund elf Prozent der Stimmen erreicht und war mit 16 Abgeordneten in den Landtag eingezogen. Zwischen 1950 und 1952 war die SRP für eineinhalb Jahre im Bundestag durch Franz Richter und Fritz Dorls vertreten, die von anderen Parteien zur SRP übergetreten waren. Im Vorfeld der Wahl von 1951 in Niedersachsen hatte einer der offensivsten Vertreter neonazistischer Ideologie, Otto Ernst Remer (1912-1997), bei einer Veranstaltung der SRP im Braunschweiger Schützenhaus die Attentäter vom 20. Juli 1944 als vom Ausland bezahlte Hoch- und Landesverräter beschimpft. Remer selbst war am 20. Juli 1944 als Kommandeur des Berliner Wachbataillons „Großdeutschland“ maßgeblich an der Niederschlagung des Aufstands beteiligt gewesen. Bundesinnenminister Dr. h. c. Robert Lehr, Mitglied des Widerstands und aktiver Gegner der Nationalsozialisten sowie Vertreter eines aktuellen Parteiverbots der SRP, stellte wegen der Verleumdung der Widerstandskämpfer im Juni 1951 Strafantrag beim Landgericht Braunschweig. Zunächst hatte der zuständige Braunschweiger Oberstaatsanwalt Dr. Erich Günther Topf (1904-1983) die Eröffnung eines Verfahrens abgelehnt und vordergründig die Antragsberechtigung Lehrs in Frage gestellt. Die Anwälte Remers zweifelten darüber hinaus die Zugehörigkeit Lehrs zum Widerstand an. Auch Topf war einer der Juristen, die in der nahtlosen Kontinuität zwischen NS-Amt und Nachkriegstätigkeit im Justizdienst standen. Schließlich wies Fritz Bauer gegen amtsinterne Widerstände die Eröffnung des Prozesses an und ließ Remer nach §186 StGB anklagen. Eigentliches Ziel für Bauer war es, bei dem vor dem Landgericht stattfindenden Prozess die „Rehabilitierung der Widerstandskämpfer“ zu erreichen und „sonst nichts!“. Fritz Bauer machte damit die Legitimation des Widerstands gegen den Unrechtsstaat zum Gegenstand des Strafverfahrens. Schon vor der Eröffnung der Verhandlung hatte Bauer gegenüber der Presse erklärt, der Fall Remer sei für die Staatsanwaltschaft ein „Anlass, die Geschichte und Problematik des 20. Juli 1944 zu klären“. Ihm ging es um das Widerstandsrecht, das in der deutschen Rechtslehre und Praxis völlig verkümmert und in das Raritätenkabinett der Rechtsgeschichte verbannt war. Zwei Beispiele sollen diese Tendenz zur Delegitimierung des Widerstandes verdeutlichen, denn westdeutsche Gerichte betrachteten Widerstand noch keineswegs als rechtmäßiges Aufbegehren gegen das NS-Regime, sondern als Verrat: Im Februar 1951 stellte das Landgericht München I fest, die Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi, Dietrich Bonhoeffer, Wilhelm Canaris, Hans Oster, Ludwig Gehre und Karl Sack hätten nach damaligem Recht Hoch- und Landesverrat begangen. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg vertrat 1951 die Auffassung, dass „von der Gruppe des 20. Juli in umfassendem Masse Landesverrat und Spionage betrieben worden ist“. Die Todesurteile des NSReichskriegsgerichts gegen die Mitglieder der Roten Kapelle seien Folge des von den Regimegegnern begangenen Landesverrats gewesen. Es war daher ganz im Sinne Bauers, dass die Presse im Frühjahr 1952 nahezu bundesweit das Verfahren gegen Remer als „Prozess um den 20. Juli ankündigte“. Und das öffentliche Interesse sowie das Medieninteresse waren groß, wie auch aus den Bildern in der Ausstellung hervorgeht. Bauer stellte in seinem einstündigen Schlussplädoyer u. a. fest: „Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr gemäß § 53 StGB. Jedermann war berechtigt, den bedrohten Juden oder den bedrohten Intelligenzschichten des Auslands Nothilfe zu gewähren.“ Mit dieser Beurteilung stand Fritz Bauer in fundamentalem Gegensatz zur Mehrheitsmeinung in Deutschland im Jahr 1952 und leitete mit seiner Prozessstrategie einen historischen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Widerstand ein. Bauer betonte, dass man den am 20. Juli Beteiligten nicht vorwerfen könne, sie hätten „den Vorsatz gehabt, Deutschland zu schaden“, ihr Ziel sei es vielmehr gewesen, „Deutschland zu retten“. Landgerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig tätig. Generalstaatsanwalt Bauer hatte in seinem Plädoyer gefragt, ob neben den Männern vom 20. Juli 1944 „nicht jeder in Deutschland, der die Ungerechtigkeit des Krieges erkannte, berechtigt war, Widerstand zu leisten?“ Die Frage forderte Richter Heppe heraus. „Ich muss offen sagen, dass ich in Gewissenskonflikte komme. Ich bin 1943 bei Stalingrad in russische Gefangenschaft geraten. Ich habe erlebt, wie Generäle sich dem Nationalkomitee Freies Deutschland anschlossen. Bei aller Berechtigung zum Widerstand, diese Methode ist mir doch sehr sehr bedenklich erschienen. Wenn man sich Ihnen anschließt, Herr Generalstaatsanwalt, müsste man auch all das decken? Ich sage diese Worte aus tiefster und innerster Gewissensnot, und ich bitte zu verstehen, in welche Schwierigkeiten ein deutsches Gericht gelangen muss, wenn es diese Frage zu entscheiden hat.“ In der mündlichen Urteilsbegründung betonte der Richter schließlich, wie „bitter und hart“ es für ein westdeutsches Gericht sei, das Unrecht des NS-Staates zu verurteilen und das Widerstandsrecht anzuerkennen. Die vollständige Rede sowie weitere Informationen findet Ihr unter: www.davforum.de/blog. Dr. hc. Gerd Biegel bei der Ausstellungseröffnung. Foto: privat Am letzten Prozesstag geschah im Braunschweiger Schwurgerichtssaal etwas Ungewöhnliches. Nach dem Plädoyer von Fritz Bauer gab Richter Joachim Heppe eine persönliche Erklärung ab. Heppe war als Soldat der Wehrmacht im Februar 1943 bei Stalingrad in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft 1950, war er bis 1970 als Oberlandesgerichtsrat und ADVOICE 04/13 29 Magazin 30 ADVOICE 04/13 Das Black Budget der USA beträgt für 2013 50 Milliarden US-Dollar. / Foto: Arno Bachert_pixelio.de Magazin Ein offenes Geheimnis USA finanziert Datengraumarkt mit jährlich 50 Milliarden Dollar An dem Dauerthema NSA-Affäre kommt auch die Juristenwelt nicht vorbei. Der Anwaltverein hat reagiert und Experten zum regen Austausch versammelt. AdVoice war vor Ort. Naturgemäß haben wir eine eigene, auch datenschutzrechtliche Sicht auf die Dinge. Unter Leitung des DAV fand am 2. September 2013 eine Podiumsdiskussion zum Thema „NSA – Datenschutzskandal“ statt. Der Präsident des DAV, Herr Prof. Dr. Wolfgang Ewer, leitete die Veranstaltung mit treffenden Worten ein: Man wolle den Besuchern während der Veranstaltung näherbringen, wie die in jüngster Vergangenheit und gegenwärtig aufschäumende Affäre datenschutzrechtlich nach deutschem, europäischem und Völkerrecht zu bewerten ist und welche rechtspolitischen Schlüsse zu ziehen seien. Der Anwalt als Berufsgeheimnisträger müsse sich auch in Bezug auf den Umgang mit seiner Mandantschaft über die Tragweite der Überwachungsmechanismen im Klaren sein. Ein weiteres Augenmerk läge auf dem Zusammenspiel von nationalem und internationalem Recht im In- und Ausland und der Problematik der Sicherheitslücke als Ware. Fraglich sei, inwiefern der Aussage von Bundeskanzlerin Merkel „auf deutschem Boden gilt deutsches Recht“, gefolgt werden könne. Beachtung geschenkt wurde auch der US-amerikanischen Perspektive auf das Sammeln und Auswerten von Daten in Hinblick auf das Recht auf Privatheit. CONSTANZE KURZ, SPRECHERIN DES CHAOSCOMPUTERCLUB Die Taktik der Bundesregierung, aber auch die von Regierungen anderer Staaten sei, so viel geheim zu halten wie möglich und nur solche Tatsachen zuzugeben, die ohnehin schon öffentlich geworden seien. Im Mittelpunkt des Redebeitrages standen nicht die großen Skandale, die ein breites Echo in den Medien gefunden haben, sondern einzelne Enthüllungen, die zwar nicht allgemein bekannt, gleichwohl aber nicht weniger gravierend sind: / Am 30. August 2013 teilten die Unternehmen Microsoft und Google mit, dass sie gemeinsam gegen die US-Regierung klagen werden. Klagen mit gleichem Inhalt hatten beide Unternehmen separat voneinander bereits im Juni dieses Jahres eingereicht. Die beiden Unternehmen wollen erreichen, mehr Informationen über Nutzerdatenabfragen durch Sicherheitsbehörden veröffentlichen zu dürfen. Dies müsse in einer Form gesche- hen, die klar erkennbar mache, wie oft die Behörden Nutzerdaten, etwa zu einem E-Mail-Konto, abgefragt und auch Inhalte wie etwa den Text von E-Mails angefordert hätten. Zwar kündigte die USRegierung an, dass sie künftig einmal im Jahr die Zahl aller Anfragen nach Nutzerdaten veröffentlichen wolle. Dies sei aber nach Ansicht der Unternehmen bei Weitem nicht ausreichend, um das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu befriedigen. Die Verfassung garantiere außerdem ein weitergehendes Recht auf Information. / US-Sicherheitsbehörden fragen bei Providern Masterkeys ab, sogenannte Verschlüsselungsschlüssel für nur scheinbar sichere SSL/TLS-Verbindungen (erkennbar an https in der, und dem kleinen Vorhängeschloss neben der URL-Leiste im Browser), die von großen Anbietern wie Google, Facebook, Yahoo unter anderen genutzt werden. Mit Hilfe des Schlüssels des Websitebetreibers kann die jeweilige Sicherheitsbehörde die Kommunikation einbinden und sämtliche übertragene Daten mitschneiden. Ist ein Unternehmen nicht zur Kooperation bereit, muss es mit wirtschaftlichen und politischen Druckmitteln rechnen, die unter Umständen dazu führen können, dass das entsprechende Unternehmen seinen Sitz in den USA aufgeben muss. / Das sogenannte Black Budget der USA beträgt mehr als 50 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2013. Diese Summe wird unter den verschiedenen Sicherheitsbehörden aufgeteilt, wobei entgegen der allgemeinen Annahme, die CIA den größten Teil erhält. Mit diesen Geldern wird unter anderem der „Graue Markt“ finanziert, der es den Sicherheitsbehörden erlaubt, von den Softwareunternehmen nicht nur Masterkeys, sondern auch allerlei andere Daten beziehungsweises Wege zur Datenabfrage zu erhalten. Im Jahr 2013 gab die NSA bereits 25 Mio. US-Dollar für ungepatchte Sicherheitslücken aus. Ungepatchte Sicherheitslücken sind solche, die vom Provider zwar als für den User bestehende Gefahr im Programm erkannt, gleichwohl aber nicht durch ein angebotenes Sicherheitsupgrade repariert werden können. Dies ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie eng die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Silicon Valley und den Sicherheitsbehörden sind. / Die offizielle Begründung dieser umfassenden Datenerhebung lautet: Terrorismusgefahr. Gewiss besteht in manchen Bereichen eine derartige Gefahr, der durch rechtzeitige Information präventiv begegnet werden kann. Fraglich ist jedoch, inwiefern das Abhören des brasilianischen Präsidenten oder des französischen Außenministers durch diese Gefahrenlage gerechtfertigt werden kann. Auch der langfristige, immerhin seit 1987 bestehende, uneingeschränkte Zugriff der DEA (Drug Enforcement Administration) auf bestimmte Telekommunikationsanbieter kann nur schwer mit diesem Zweck in Einklang gebracht werden. JOHN M. OWENS, ATTORNEY-AT-LAW UND EHEMALIGER BUNDESSTAATSANWALT IN DEN USA Die Einstellung der Bevölkerung zu Privatsphäre und Datenerfassung in den USA und in Deutschland: Meinungsumfragen ergaben, dass sowohl europäische als auch US-amerikanische Bürger die Maßnahmen der Regierung skeptisch betrachten, die Sichtweisen jedoch leicht unterschiedlich sind. Während der durchschnittliche Europäer seine Privatsphäre als ein Menschenrecht ansieht, will der Amerikaner lediglich von der Regierung in Ruhe gelassen werden. In Deutschland beschäftigt man sich vermehrt mit der Frage, wie und in welchem Umfang Kommunikation global überwacht wird. In den USA dagegen konzentriert man sich eher auf innerstaatliche Probleme. 70 Prozent der Amerikaner gehen ohnehin davon aus, dass die gesammelten Informationen auch für Maßnahmen gesammelt werden, die nichts mit Terrorismus-Bekämpfung zu tun haben. Damit einher geht, dass ein Großteil der Bevölkerung annimmt, die Regierung sammle mehr Daten, als tatsächlich nötig wäre. Gesetzliche Regelungen in den USA: Datenerfassung zu Zwecken der normalen Strafverfolgung: Ausreichend für die Suche nach und Beschlagnahme von Daten ist nach dem 4. Zusatz zur Verfassung der USA ein hinreichender Verdacht. Es muss ein richterlicher Durchsuchungsbefehl vorliegen. Fehlt dieser, dürfen aufgefundene Beweise nicht verwertet werden. Darüber hinaus muss die Durchsetzung oder Beschlagnahme angemessen sein. Durch den Title III Order wurde die Durchführung von elektronischer Überwachung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Der Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) von 1978 regelt die Auslandsaufklärung und Spionageabwehr der US-Geheimdienste. Zweck dieses Gesetzes ist die Prävention von Terrorismus. Zur Durchsetzung wurde ein eigenes Gericht (Foreign Intelligence Surveillance Court – FISC) geschaffen, ADVOICE 04/13 31 Magazin dessen Verhandlungen nicht öffentlich sind. Die Organe des FISA überwachen hauptsächlich Personen in den USA, die keine Staatsbürger sind und keine Green Card besitzen. Durch den Patriot Act von 2001 wurden neue gesetzliche Regelungen zum Schutz der nationalen Sicherheit eingeführt und bereits bestehende Gesetze wie FISA erweitert. Das Gesetz soll zur Stärkung und Einigung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Instrumente, die den Terrorismus aufhalten und blockieren, beitragen. Er wurde vorerst mit einer zeitlichen Beschränkung bis 2015 erlassen. National Security Letters sind strafbewehrte Anordnungen von Regierungsbehörden, Dokumente oder Sachen herauszugeben. DR. THOMAS PETRI, BAYERISCHER LANDESBEAUFTRAGTER FÜR DATENSCHUTZ UND INFORMATIONSFREIHEIT Die europäische Lage stelle sich so dar, dass zwar gemäß Art. 16 AEUV in Verbindung mit EU-V ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten möglich sei, die gegen das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten verstießen. Einen wirksamen Hebel könne das Datenschutzrecht aber gegenwärtig nicht bieten, um der Überwachungspraxis beizukommen. Auch in absehbarer Zukunft sei keine Änderung durch eine Gesetzesreform in Sicht. Gerade bei dem bisher anerkannten System des Safe Harbour sei eine Reform dringend notwendig, da kein angemessenes Schutzniveau mehr bestehe. rung und Wahrung der Grundrechtsstandards sollte unter der Flut immer neuerer Enthüllungen und Skandale untergehen. Generell fände ein Ringtausch mit personenbezogenen Daten unter den Geheimdiensten kooperierender Staaten statt, man spreche hier auch von einem „Befugnishopping“. So halte sich jeder Geheimdienst an das für ihn unmittelbar geltende innerstaatliche Recht, da er Daten über eigene Staatsbürger nicht selbst erhebe, sondern lediglich von einem ausländischen Geheimdienst erhalte. Dabei sei davon auszugehen, dass nicht nur Meta-Daten, sondern auch Inhaltsdaten erhoben und gespeichert würden. Verpflichtende Sicherheitsstandards, die die bestmögliche Sicherheit nach dem neuesten Stand der Technik bereitstellen, sollten die Norm für OnlineAnwendungen sowie auch für Arztpraxen, Kanzleien und staatliche Institutionen sein. DR. HEIDE SANDKUHL, VORSITZENDE DES GEFAHRENRECHTSAUSSCHUSSES DES DAV Die Gefahr umfassender Offenlegung von personenbezogenen Daten gehe nicht in erster Linie vom Staat aus, sondern vom Bürger selbst, da er zu viele seiner Daten freiwillig preisgebe. Hier müsse vor allem im Umgang mit sozialen Netzwerken eine größere Sensibilität in der Bevölkerung geschaffen werden. FAZIT Der gemeinsame Appell der Redner nach mehr Aktionismus, mehr Transparenz bei der Bundesregie- Enge Beziehungen zwischen Silicon Valley und den Sicherheitsbehörden. Nicht außer Acht gelassen werden darf, dass neben Geheimdiensten private Unternehmen Nutznießer der gesammelten Daten sind. Die Anbieter der meistgenutzten Onlineplattformen verdienen nahezu ausschließlich am Datenhandel. Durch bewusst verwirrend gestaltete Benutzeroberflächen werden die Nutzer manipuliert mehr Daten zu teilen, als sie eigentlich wollen. Das Ausmaß an erhobenen Daten (beispielsweise das Mitschneiden von Klicks) ist nur wenigen bekannt und die gegenseitige Integration der Plattformen gibt mehr und mehr Daten in eine Hand. Die Problematik der Sicherheitslücke als Ware birgt die Gefahr, dass sogenannte „exploit broker“ mit diesen Sicherheitslücken handeln, die in nicht unerheblichem Maß von Kriminellen erworben werden, z. B. zum Ausforschen von Kreditkartendaten. Selbst prestigeträchtige Unternehmen sind derzeit leider noch nicht bereit, in ausreichendem Maße in die Sicherheit ihrer Internetpräsenz zu investieren und setzen damit sensible Nutzerdaten aufs Spiel. Referendarin Astrid Bauer, Brandenburg/H. Foto: Arno Bachert_pixelio.de Links zum Thema http://www.theguardian.com/world/2013/ sep/05/nsa-gchq-encryption-codes-security http://www.datenschutzbeauftragter-info.de/ zugriff-von-behoerden-auf-den-ssl-tls -masterkey/ http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2013 -06/ USA-Geheimdienste-Daten-InternetVerizon http://www.forbes.com/sites/andygreenber/ 2012/03/23/shopping-for-zero-days-an -price-list-for-hackers-secret-software -exploits/ 32 ADVOICE 04/13 )2580 6WDUWLQGHQ$QZDOWVEHUXI 'DV6HPLQDUIÖU-XQJDQZ¾OWH$VVHVVRUHQXQG5HIHUHQGDUH XQG)HEUXDULQ7LPPHQGRUIHU6WUDQG 3URJUDPPXQG$QPHOGXQJXQWHUKWWSZZZGDYIRUXPGHEHUXIVHLQVWHLJHUIRUXP In Kooperation mit: Für die Unterstützung bedanken wir uns bei: Magazin D 34 ADVOICE 04/13 Fotos: Andrea Vollmer ANWALTSDEMO GEGEN PRISM UND CO. IN DER BANNMEILE UND DAS SAGEN DIE MANDANTEN IM NETZ Am 18.11.2013 um 12 Uhr haben sich vor dem Bundestag etwa 150 Anwältinnen und Anwälte versammelt, um gegen die Überwachungen von NSA und Co zu demonstrierern. Ziel ist es u. a. die verdachtsunabhängige Massenüberwachung durch Geheimdienste wirksam zu unterbinden, Geheimdienste künftig effektiv zu kontrollieren und das Anwaltsgeheimnis zu schützen. Auch die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss steht auf dem Programm. Die Forderungen an die Bundesregierung sind in der Hamburger Erklärung zusammengefasst: Aus Leserkommentaren zu dem Artikel bei Spiegel Online zur Anwaltsdemonstration vor dem Bundestag am 18.11.2013 (http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/n sa-bundestagsdebatte-anwaelte-fordernende-der-ueberwachung-a-934196.html#jsarticle-comments-box-pager) / Erklären Sie, dass die anlass- und verdachtsunabhängige Totalüberwachung der deutschen Bevölkerung eine krasse Verletzung von Grundrechten sowie des deutschen (Straf-) Rechts darstellt, ganz gleich, wo sie stattfindet. Sie ist mit jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung unvereinbar und daher sofort einzustellen. / Bestellen Sie die Botschafter der USA und Großbritanniens förmlich ein, verdeutlichen Sie diesen diese Haltung und fordern Sie die sofortige Einstellung der Totalüberwachung. / Prüfen Sie alle erdenkl. Maßnahmen auf EUEbene gegen Großbritannien als EU-Mitglied. / Setzen Sie die Verhandlungen mit den USA über ein Freihandelsabkommen aus und kündigen Sie die „Safe-Harbour-Abkommen“ sowie die Verträge zum Austausch von Fluggastdaten, bis die Totalüberwachung seitens der USA eingestellt wird. / Schließen Sie sämtl. Standorte der NSA in Deutschland, damit die BRD ihre volle Souveränität erhält. / Überprüfen Sie Netze und Netzwerkeinrichtungen in Deutschland auf ihre Integrität hin, um ein „Abzapfen“ von Daten auszuschließen. / Veranlassen Sie strengere Kontrollen der deutschen Nachrichtendienste sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz. / Sorgen Sie dafür, dass Berichte vor Kontrollgremien künftig mit Vollständigkeitserklärungen unter Eid erstattet werden müssen. / Stoppen Sie die Verwendung von Programmen wie XKeyscore oder stellen Sie diese zumindest unter eine strenge Prüfung der verdachtsbezogenen Verwendung. Danke an die Anwälte mickt 18.11.2013 für Ihr Engagement, sie verstehen vielleicht einfacher als der Durchschnittsbürger, was eine (mögliche oder tatsächliche) Totalüberwachung bedeutet!!! Bitte unterschreibt deren Petition! Danke! ds26 18.11.2013 Meinen Respekt und Dank! Diese Menschen gehen auf die Straße, weil sie für UNSERE Rechte kämpfen. Die Bundesregierung verhöhnt sie! Ist für mich einfach gog-magog 18.11.2013 Wenn ich mal einen Anwalt brauche, dann kommt auf jeden Fall nur einer in Frage, der diese Erklärung unterschrieben hat. Wer nicht unterschreibt, ist für Totalüberwachung und damit als Anwalt ungeeignet. Alle Achtung! fragel 18.11.2013 In Deutschland gibt es sogar noch Anwälte mit nem Arsch in der Hose. Solche Anwälte zeigen dem Volk, noch sind nicht alle gekauft. und jetzt? Kompromiss 18.11.2013 finde ich gut! aber wo bleiben die ersten klagen? z. b. gegen die regierung wegen verletzung des amtseids, gegen die geheimdienste wegen verletzung des postgeheimnis etc. was ist überhaupt einklagbar und was nicht? SPON fragt doch mal juristen und tragt meinungen zusammen ... sind sammelklagen möglich um kosten gemeinsam aufzufangen? Zu wenige Rickie 18.11.2013 Wir brauchen noch mehr, die öffentlich protestieren. optional Freidenker10 19.11.2013 Hoppla, dachte, diese Branche ist nur noch ihrem eigenen Geldbeutel verpflichtet und jetzt demonstrieren sie gegen die Überwachnung aller ... Weiter so! ADVOICE 04/13 35 Magazin Überwachung zerstört Vertrauen Freie Berufe und die Sicherheit vor dem behördlichen Abhören D Laut Definition bezeichnet Sicherheit (von lat. securitas) einen Zustand, der frei von unvertretbaren Risiken der Beeinträchtigung ist oder als gefahrenfrei angesehen wird. Schaut man sich dazu die jüngste Berichterstattung zu dem Thema „heimliche Ermittlungsmaßnahmen“ an, dann ist es wohl kein unvertretbares Risiko: / wenn Telefonate, die Strafverteidiger mit ihren Mandanten führen, durch deutsche Ermittler (zum Teil offenbar über Jahre) abgehört werden, / wenn diese Mitschnitte in etlichen Fällen rechtswidrig protokolliert, ausgewertet und zum Teil jahrelang aufbewahrt werden, / wenn die Bundesanwaltschaft gegen eine durch den Bundesgerichtshof als rechtswidrig beurteilte Überwachungsmaßnahme sofortige Beschwerde einlegt und / wenn der Verfassungsschutz Journalisten und Anwälte ausspioniert, verfolgt und dann seine Maßnahmen und Pannen vertuscht. Das Abhören verstößt gegen elementaren Rechtsgrundsatz. Die freien Berufe wie Rechtsanwälte, Journalisten, Ärzte und Pfarrer zählen zur verfassungsrechtlich geschützten Gruppe der Berufsgeheimnisträger. So sieht die Strafprozessordnung vor, dass Anwälte, Pfarrer und Abgeordnete überhaupt nicht mehr abgehört werden dürfen, wenn sie nicht selbst verdächtig sind. Daraus folgen einige unserer rechtsstaatlichen Prinzipien, nämlich die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts und der Schutz auf das vertrauliche Gespräch zwischen Mandant und Anwalt. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss die Möglichkeit haben, sich einem Anwalt anvertrauen zu können. Aus Sicht des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) ist dieser elementare Rechtsgrundsatz unumstößlich. Aber gibt es die Sicherheit vor dem behördlichen Abhören bei Rechtsanwälten de facto? 36 ADVOICE 04/13 Eine Überwachung zerstört aber nicht nur das Vertrauen des Mandanten in die Tätigkeit seines Anwalts, und es wird nicht nur gegen einen elementaren Rechtsgrundsatz verstoßen. Behördliches Abhören, Abfangen, Speichern und Auswerten von Telefonaten und Schriftverkehr geschützter Berufsgruppen kann gleichzeitig immer auch einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte aus § 823 BGB darstellen, denkt man zum Beispiel an den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ebenso könnten eine Verletzung diverser Grundrechte vorliegen und das Datenschutzgesetz betroffen sein. Die Reichweite der verletzten Rechtsgüter ist folglich viel weiter, als die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts und der Schutz auf das vertrauliche Gespräch. Somit kann auch das von den Ermittlungsbehörden herangezogene Argument, dass es bei bestimmten abgehörten Gesprächen zwischen Mandant und Anwalt nicht um relevante Mandatsinhalte gegangen sei, nicht akzeptiert werden. Auch andere mitgehörte nicht relevante Inhalte können selbstverständlich zu sensiblen Daten wie Personaldaten, finanziellen Daten oder Kontaktdaten gehören. Und schenkt man verschiedenen Reportagen Glauben, dann ist selbst bei einer Vermutung von Abhörmaßnahmen und Nachfragen beim Verfassungsschutz nie sichergestellt, ob dieser wahrheitsgemäß Auskunft erteilt und eventuell rechtswidrig erlangte (relevante oder irrelevante) Daten wieder löscht. Was kann man also tun, wenn der gesetzliche und der aus rechtsstaatlichen Prinzipien abgeleitet Schutz nicht mehr sicher ist? Selbst schützen!? Schützen, was so viel bedeutet wie: vor etwas bewahren, hüten oder verteidigen. Der Geschäftsführer des IT-Sicherheitsdienstleisters Uniscon, Dr. Hubert Jäger, meint, Strafverteidiger und andere Rechtsanwälte müssten schon „selbst aktiv werden, um sicher zu sein, nicht von deutschen Ermittlern abgehört“ zu werden und empfiehlt unter Verweis auf den eigens entwickelten Kommunikationsdienst IDGARD speziell abgesicherte, nicht öffentliche Cloudsysteme für den Austausch mit Mandanten. Stichwort: Sensibilität für Daten und Datenspeicherung! Wie sensibel oder auch behütet gehen wir im Zeitalter von Facebook und anderen sozialen Netzwerken überhaupt mit unseren Daten um? Sind wir uns als Nutzer dieser neuen Social Networks tatsächlich immer über deren Nutzungsbedingungen bewusst? Was viele verdrängen oder überlesen: Nutzer vom Facebook zum Beispiel stimmen mit der Annahme der Datenschutzbestimmungen automatisch der Nutzung und Verwendung aller Personendaten von mit Facebook kooperierenden Partnern zu. Hierzu gehören – nach Aussage seriöser Pressequellen über verdeckte Nutzerprofile – auch deutsche und ausländische Polizeibehörden sowie die CIA und staatliche Stellen der USA über den Zugang als Miteigentümer des Netzwerkes. Fazit: Da weder Sicherheit noch Schutz vor dem behördlichen Abhören garantiert werden können, sollte gerade in der heutigen „Welt der neuen Medien“ jeder selbst genau hinschauen, wie er mit seinen Daten verantwortlich umgeht. Vielleicht wäre es auch an der Zeit, über eine neue gesetzliche Regelung nachzudenken, die dem Schutz der Privatsphäre wieder mehr Bedeutung verleiht. Anstoß hierzu könnte ein „Whistleblower-Gesetz“ sein, wie es jüngst Rechtsanwälte aus dem Bundesgebiet in einer Demonstration vor dem Reichstag forderten, und das Enthüller wie den Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden vor möglicher Bestrafung schützen soll. Ass. jur. Sandra Viol, Köln Foto: Bernd-Kaper_pixelio Magazin GEDICHT DES MONATS Die drei Winkel Drei Winkel klappen ihr Dreieck Die Wondel - ihr Decorum Drei Advokaten stammen zusammen wie ein Gestell zu wahren - spricht Latein: aus dieses Weihers Schoß. und wandern nach Hirschmareieck Vincula, vinculorum, Doch zählst du die drei zusammen, zum Widiwondelquell. in vinculis Fleisch und Bein! so sind es zwei rechte bloß. Dort fahren sie auf der Gondel Drauf nimmt sie die lockern Braten hinein in den Quellenwald und wirft sie in den Teich: und bitten die Widiwondel Drei Winkeladvokaten um menschliche Gestalt. entsteigen ihm allsogleich. Foto: Huber_pixelio.de Christian Morgenstern (1871-1914) ADVOICE 04/13 37 Magazin Let’s talk about money Ein Vorschuss hilft, um später sein Honorar nicht gerichtlich einklagen zu müssen Das Ende des Mandantenverhältnisses ist nicht der rechte Zeitpunkt, um die Rechnung zu stellen. Eine der ernüchternden Erfahrungen, die der Anwaltsberuf mit sich bringt, ist, dass es gar nicht mal das soziale Ansehen ist, an dem es fehlt, sondern vielmehr an der allgemeinen Verbreitung der Einsicht, dass dies ein Beruf ist, der auch dem Geldverdienen dient, und dass nicht jeder Anwalt schon in jungen Jahren einen guten Teil seiner Zeit mit der Verwaltung eines wachsenden Vermögens verbringt – auch wenn der eine oder andere Kollege (und ich benutze hier bewusst das Maskulinum) mit seinem Auftritt in einem höherklassigen, geleasten Fahrzeug diesen Eindruck erweckt. 38 ADVOICE 04/13 Denn kaum ein Kunde in einem Supermarkt hat die Chuzpe, dort die Güter des täglichen Lebens in den Einkaufswagen zu packen, um an der Kasse nach Angabe des Preises zu versuchen, die Rechnung um die Hälfte herunterhandeln, dabei darauf zu verweisen, dass man doch noch seine Familie, seine Nachbarn und Kollegen zum Einkaufen vorbei schicken will (denen man dann aber doch, bitte schön, nicht so viel berechnet), und dass man sich die eingepackten Fertiggerichte ja selbst machen könnte, und natürlich auch viel schmackhafter? Dergleichen, bei REWE, ALDI oder LIDL kaum zu erwarten, erleben Anwälte, die jovial und honorig bis zum Foto: uschi dreiucker_pixelio.de Abschluss ihrer Arbeit mit der Rechnungsstellung warten, mehr als einmal mit ihren Mandanten, allerdings mit dem Unterschied, dass der Mandant gewissermaßen den Inhalt des Einkaufswagens nicht nur schon in sein Auto gepackt, sondern bereits verzehrt, verbraucht und verdaut hat. Mag der Anwalt auch gegen den (hoffentlich solventen) Mandanten einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch haben – wer nicht diese Mühen und den Bruch mit diesem Mandanten riskieren will, findet sich auf einmal in der undankbaren und unangenehmen Situation, sich rechtfertigen zu müssen für sein gutes Recht als Anwalt. Magazin $ Das Ende des Mandatsverhältnisses ist demnach erfahrungsgemäß nicht der rechte Zeitpunkt, die Rechnung zu stellen – und dies ganz unabhängig davon, ob wir einen Erfolg eingeholt haben oder nicht. Aber auch der Vorschuss – wobei § 9 RVG uns einen weiten Spielraum gibt, was ein „angemessener“ Vorschuss ist, kann – wenn ungeschickt bemessen – das Mandatsverhältnis belasten. Es mag zwar wirtschaftlich optimal sein, bei der ersten Vorschussrechnung vielleicht schon den gesamten abrechenbaren Betrag einzustreichen und zu diesem Zeitpunkt, wenn der Leidensdruck des Mandanten vielleicht am höchsten ist, auch meistens durchsetzbar. Aber nachvollziehbarerweise erwartet der Mandant dann auch schnelle Erfolge, während auf der Anwaltsseite – seien wir ehrlich – die bereits bezahlte Arbeit viel von ihrem Reiz verloren hat. Kein gutes Setting für ein Verhältnis, das sich über eine lange Zeit hinziehen kann. Und dann gibt es nun auch Mandanten, die schlichtweg keinen nennenswerten Vorschuss leisten können, und die wir nicht nur grundsätzlich zu vertreten haben, sondern auch vertreten sollten, und im Übrigen auch realistisch – jedenfalls bei großstädtischen Verhältnissen – gar nicht allesamt wegschicken können. Aber stets einen gewissen „angemessenen“ Vorschuss zu nehmen (bis zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe bekanntlich auch bei der armen Partei möglich – ja, und auch die Beratungshilfegebühr nach Nr. 2501 VV RVG sollte nicht unbedingt erlassen werden), empfiehlt sich aus meiner Erfahrung, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, um ein beidseitiges „Commitment“ in das Mandatsverhältnis einzubringen: Der Mandant weiß, dass er einerseits nun etwas erwarten kann, andererseits aber noch weiter seinen Beitrag leisten muss, was zwanglos nicht nur die weitere Finanzierung, sondern auch die Bereitschaft umfasst, sich zügig auf Rücksprachebitten zu melden, Unterlagen beizubringen und auch seinerseits den Anwalt über Geschehnisse, die für die Sache von Bedeutung sein können, mitzuteilen, kurz, sich nicht nur als passiver Verbraucher zu verhalten (wozu Rechtsschutzversicherungen bei aller vermeintlicher Bequemlichkeit leider verführen). Und die Besprechung des Vorschusses führt zwanglos zu dem wegen § 49b Abs. 5 BRAO und dem Erfordernis einer Vereinbarung über die außergerichtlichen Gebühren wenigstens in Zivilsachen un- ANZEIGE vermeidbaren Gespräch über die Gesamtvergütung. Dabei lässt sich bei einem neuen Mandanten nicht nur ermitteln, wie er finanziell gestellt ist, sondern auch, wie es um seine Zahlungswilligkeit steht – vielleicht die letzte Gelegenheit, frühzeitig zu erkennen, dass ein Mandat nur unerfreulich sein wird, und sich rechtzeitig in Anstand zu trennen. An dieser Stelle sollte mit dem Mandanten geklärt werden, ob nach den Vergütungsregeln des RVG oder nach einer Honorarvereinbarung abgerechnet werden sollte. Unabhängig davon, welcher Kurs und welcher Finanzrahmen mit dem Mandanten abgesteckt wird, oder ob erwartet werden kann, dass am Ende vielleicht ein realisierbarer Erstattungsanspruch gegen den Gegner oder die Staatskasse besteht: Die Vereinbarung stetiger Zahlungen, also ein steter Zahlungsfluss, ist nach meiner Erfahrung die beste Möglichkeit, bei lange dauernden Rechtsstreitigkeiten das Mandatsverhältnis und die eigenen Finanzen gesund zu halten, und auch vielen, vielleicht nicht gerade „prozessarmen“ aber nicht in üppigen Verhältnissen lebenden Mandanten (und dazu zählen auch manche gewerbliche) die Finanzierung eines Rechtsstreites zu ermöglichen. Wenn nach Stundenhonorar abgerechnet wird, liegt es nahe, in festen zeitlichen Abständen abzurechnen, jeweils mit einer Leistungsaufstellung. In den USA gelangen wohl langsam Apps in den Markt wie Viewabill, über die der Anwalt täglich seinem Mandanten online mitteilt, was er getan hat, und hierüber Rechnung stellt. Eine reizvolles Konzept, aber ein monatlicher Zahlungsrhythmus sollte nach den hiesigen noch etwas gemütlicheren Verhältnissen ausreichend sein. Und was ist ein schönerer Abschluss eines Mandatsverhältnisses, als wenn nach der Beitreibung aller Forderungen die Endabrechnung mit einem Guthaben endet, und der Mandant auf diese Mitteilung sagt: „Ach behalten Sie erst mal das Geld, ich brauch Sie bestimmt bald wieder.“? RA Stefan Peveling, Köln Der DAV-Ratgeber wird vom Deutschen Anwaltverein und dem FORUM Junge Anwaltschaft herausgegeben und ist gegen eine Schutzgebühr von 5 EUR zu beziehen. > www.anwaltverein.de/berufsstart/ dav-ratgeber ADVOICE 04/13 39 Magazin 40 ADVOICE 04/13 Noch Jahre nach abgelegter Examensklausur träumen Juristen von den Strapazen dieser Zeit. / Foto: Andrea Vollmer Magazin Wach und heiter und so weiter! Ritalin und Co: Was für zappelige Kinder gut ist, kann Juristen nicht schaden Unbestritten ist, dass die Juristenausbildung kein Zuckerschlecken ist. Im juristischen Vorbereitungsdienst verdient man nur einen Hungerlohn, ist vielbeschäftigt in der Praxisausbildung, besucht Pflicht-AGs und schreibt nebenbei fünfstündige Klausuren. Das zweite Staatsexamen toppt diese Belastung aber noch um ein Vielfaches. Nicht grundlos träumen erfolgreiche Juristen noch Jahre nach abgelegter Prüfung von den Strapazen der Klausurenzeit. Dass man Schreibkrämpfe, Nackenverspannungen, Kopfschmerzen, Magenprobleme und Schlafstörungen bekommt, ist dabei noch das geringere Übel. Durchgreifender erscheinen die psychischen Belastungen, die man zwangsläufig ertragen muss. Der Leistungsdruck ist immens, was ohnehin bestehende Versagensängste massiv verstärkt. Trotzdem legen jedes Jahr hunderte junger Nachwuchsjuristen das zweite Staatsexamen mehr oder minder erfolgreich ab. Was ist deren Erfolgsrezept? Wie einem Repetitoren und wohlmeinende Eltern immer wieder vorgaukeln wollen, sind die entscheidenden Weichensteller ausreichende Vorbereitung und gutes Zeitmanagement sowie mentales Training, das einen auf den Umgang mit außergewöhnlichen Stresssituationen vorbereitet. Außerdem hilfreich seien Regenerationspausen und ein stabiles soziales Netz, das den nötigen Rückhalt gibt. Dass diese Vorgehensweise tatsächlich genügt, um mit den Belastungen fertig zu werden, erscheint jedoch äußerst fraglich. Denn weder fühlt sich der Durchschnittsreferendar jemals ausreichend vorbereitet, noch hat er Zeit und Energie für außercurriculare Aktivitäten. Viel besser wäre es doch, wenn man mit anderweitigen Hilfsmitteln auf die sichere Seite gelangen könnte. Auch eine Dosis Ritalin dann und wann ist in Erwägung zu ziehen – denn was für zappelige Kinder gut ist, kann Juristen nicht schaden. (http://www.zeit. de/studium/uni-leben/2013-03/ritalin-medikamentstudenten; http://www.spiegel.de/karriere/berufs leben/hirndoping-kopfarbeiter-greifen-verstaerktzu-modafinil-und-ritalin-a-864956.html) Ich bin gespannt, was mein Hausarzt sagen wird, wenn ich dieser Empfehlung nachkomme und demnächst bei ihm vorstellig werde, um mir genanntes Medikament verschreiben zu lassen. Noch bin ich nicht sicher, ob es effektiver wäre, entsprechende Symptome vorzutäuschen oder ihm geradeheraus zu sagen, was meine Motivation ist. Jegliche sich aufdrängende Bedenken gesundheitlicher, moralischer oder anderweitiger Art kann man getrost beiseitelegen, wenn das Wundermittel auch noch von einer für die Referandarsausbildung verantwortlichen Richterin empfohlen wird. Es handelt sich um Cymbalta, ein laut Packungsbeilage verschreibungspflichtiges Medikament zur Behandlung von depressiven Erkrankungen, generalisierter Angststörung (dauerhaftes Gefühl von Angst oder Nervosität) und Schmerzen bei diabetischer Neuropathie. Häufige bis sehr häufige Nebenwirkungen sind: Referendarin Astrid Bauer, Brandenburg/H. Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Übelkeit, Mundtrockenheit, Appetitverlust, Schlafstörungen, sich aufgeregt fühlen, vermindertes sexuelles Verlangen, Angst, Schwierigkeiten oder Unvermögen einen Orgasmus zu bekommen, ungewöhnliche Träume, Schwindel, sich antriebslos fühlen, Zittern, Taubheitsgefühl, einschließlich Taubheitsgefühl oder Kribbeln der Haut, verschwommenes Sehen, Tinnitus, Herzklopfen, erhöhter Blutdruck, Erröten, vermehrtes Gähnen, Verstopfung, Durchfall, Bauchschmerzen, Übelkeit (Erbrechen), Sodbrennen oder Verdauungsstörungen, Blähungen, ein vermehrtes Schwitzen, (juckender) Ausschlag, Muskelschmerzen, Muskelkrämpfe, Schmerzen beim Harn lassen, Erektionsstörungen, Störungen beim Samenerguss, Müdigkeit, Gewichtsabnahme. Nicht der Rede wert also. Wie wäre es mit einer Prise Weckaminen? Schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wusste man um die leistungssteigernde Wirkung dieser Substanzen. Der Spiegel in der Ausgabe 30/ 1966 berichtete, dass laut Ärzte-Magazin Selecta mit Hilfe von bestimmten Weckaminen „ohne inneren Krampf alle Reserven bis zur totalen Erschöpfung verausgabt werden können." Oder einfach Speed? Schließlich verhalf das auch deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zum erforderlichen Durchhaltevermögen (siehe taz-Artikel „Wach und heiter und so weiter“ (http://www.taz.de/ !84440/). Nach den Erklärungen der fachkundigen Richterin solle man nur rechtzeitig vor dem Examen mit der Einnahme beginnen, damit man sich mit den vermehrt zu Beginn auftretenden Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schlaflosigkeit zur Klausurzeit schon arrangiert habe. Um lästige Prüfungsangst und Panikattacken müsse man sich dann keine Sorgen mehr machen. Sie selbst nehme das Medikament schon seit Jahren und komme damit gut durch den Berufsalltag. Ihrer Tochter gebe sie es auch regelmäßig vor Prüfungssituationen. FÜR RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN FRAGEN SIE BITTE ... Traubenzucker steht nicht auf der Liste der unerlaubten Mittel im Prüfungsdoping. Gibt es eine solche Liste überhaupt? Brauchen wir vielleicht sogar eine eigene Abteilung in den Justizprüfungsämtern, um des Medikamentenmissbrauchs Herr zu werden? Denn was haben Anwälte von einer Generation „Cymsalin“ (Cymbalta, Speed, Rita- bzw. Weckamin)? Sie zahlen später nicht mehr ins Versorgungswerk ein, weil sie alle vorher berufsunfähig werden, und sie kommen nicht ohne Medikamente durch stressige Fristabläufe. Da steigt die Fehlerquote. Die Dunkelziffer im Juradoping ist vermutlich ziemlich hoch, kein Wunder also, wenn die Leistungsfähigkeit im Job dann abfällt und wir uns über manch junge Kolleginnen und Kollegen wundern. Definitiv sind die Verlockungen des Prüfungs- und Juradopings ein Persönlichkeitstest: Wer es auch ohne Doping oder Medikamente durch sämtliche Juraprüfungen schafft, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit belastbar und wird auch den unabwendbaren Stress im Job aushalten. Also für alle, die ohne Doping durchs Examen gekommen sind: Greift zur Robe und werdet Anwälte, Ihr schafft das! Für alle anderen: Sucht Euch einen Verwaltungs- oder Jurajob, bei dem ihr möglichst unangreifbar seid, z. B. Richter(in). Wenn Ihr dann noch Ausbilder werdet, verschont aber bitte die angehenden Anwälte mit Euren Dopinggeschichten. Astrid Bauer ADVOICE 04/13 41 Magazin Diversity Management - Nische oder Trend? Mit Vielfalt im Wettbewerb bestehen liche Vielfalt und den Umgang damit in ihre Personalpolitik integriert. Das zeigen zum Beispiel LGBTNetzwerke für schwule, lesbische, bi- und transsexuelle Mitarbeitende, wie es sie mittlerweile in so manchen Großkanzleien gibt. Ein Blick auf den demografischen Wandel und die damit verbundenen gesellschaftlichen Verhältnisse zeigt, dass sich ein Diversity Management für Kanzleien auszahlt – alleine schon, um nicht den Anschluss an die gesellschaftliche Realität zu verlieren: Die Bevölkerung Deutschlands wird älter und durch die Zuwanderung zunehmend internationaler. So sind die Nachkommen von Einwanderinnen und Einwanderern bereits heute eine bedeutende Gruppe, die weiter wachsen wird. Hinzu kommen sich ändernde Rollenbilder und ein Wertewandel im Berufsverständnis. Der Anteil der berufstätigen Frauen etwa steigt; gleichzeitig strebt die Mehrheit der Erwerbstätigen eine ausgeglichene Work-Life-Balance an. Dazu gehört, dass der Arbeitgeber die Familiensituation berücksichtigt, etwa, wenn Kinder da sind oder Eltern gepflegt werden. Und schließlich werden auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften, vielfältige Familienmodelle, unterschiedliche weltanschauliche und religiöse Vorstellungen oder die Inklusion von Menschen mit Behinderung zunehmend wichtige Faktoren in der Arbeitswelt und im Angebot von Dienstleistungen. Das gilt auch für den Rechtsberatungsmarkt. Anwaltskanzleien müssen sich also sowohl auf eine diversere Mandantschaft einstellen als auch auf sich ändernde Ansprüche und Bedürfnisse der Kanzleimitarbeitenden. ZUR ZEIT BESCHRÄNKT SICH DIVERSITY MANAGEMENT AUF FRAUENFÖRDERUNG Eine Anwältin mit Kopftuch gilt hierzulande noch als Exotin. Mit Diversity Management befassen sich erst wenige Anwälte und Anwältinnen. Doch ein professioneller und wertschätzender Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeiten von Menschen zahlt sich aus – für Einzelanwälte und -anwältinnen wie auch für Kanzleien. Denn die Gesellschaft wird diverser, was sich in der Mandantschaft und in der Personalstruktur widerspiegelt. 42 ADVOICE 04/13 Foto: Andrea Vollmer PAOLA CAREGA Eine Anwältin mit Kopftuch, die Kanzleimitarbeiterin mit Gebärdensprachkenntnissen oder ein Kanzleipartner, der in Teilzeit arbeitet: Noch gelten sie bei uns als Exotinnen und Exoten. Doch auch in Deutschland ist Diversity kein Nischenthema mehr – insbesondere international tätige Unternehmen und Rechtsanwaltskanzleien haben die gesellschaft- Anders als in den USA haben in Deutschland erst wenige Kanzleien ein Diversity Management, das sich zudem häufig beschränkt auf Initiativen zur Frauenförderung und besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Tatsächlich kann von Geschlechtergerechtigkeit in der Anwaltschaft heute nicht die Rede sein. So nehmen inzwischen zwar mehr Frauen als Männer ein Jurastudium auf, und es werden mehr Anwältinnen zugelassen als Anwälte. Doch zeigt eine Studie des Soldan-Instituts, dass Frauen sehr viel seltener Partnerin in einer mittelgroßen Sozietät sind und seltener in großen Kanzleien arbeiten. Zudem sind Rechtsanwältinnen häufiger für ein geringeres Jahreseinkommen tätig, auch bei gleicher Position und Qualifikation. Ent- Magazin sprechend ist knapp die Hälfte der Anwältinnen mit dem Verhältnis von Arbeitseinsatz und wirtschaftlichem Einkommen unzufrieden. Die Folge: Nach einigen Jahren verlassen viele gut ausgebildete Juristinnen ihre Kanzlei für eine Stelle im öffentlichen Dienst, in der Justiz oder in Unternehmen – kurz: Sie gehen dahin, wo Job und Familie besser unter einen Hut zu bringen sind. Kanzleien, die attraktiv bleiben wollen für gut ausgebildeten Nachwuchs und qualifizierte Fachkräfte, kommen deshalb nicht darum herum, Modelle für eine WorkLife-Balance zu entwickeln. MANDANTEN FORDERN DIVERSITY-KENNZAHLEN AN Auch gesetzliche Vorgaben und die Mandantennachfrage zwingen Kanzleien verstärkt zur Auseinandersetzung mit Diversity. Denn global operierende Unternehmen legen zunehmend Wert auf ein starkes Diversity-Profil der für sie tätigen Kanzlei. Ein vielfältiges Anwaltsteam und ein tatsächlich gelebtes Bekenntnis zu Diversity können neben der fachlichen Kompetenz über den Erfolg eines Pitches entscheiden. Das Unternehmen General Electric etwa fordert von seinen Kanzleien Diversity-Kennzahlen an, deren Entwicklung der Konzern beobachtet und bewertet. Auch im Zusammenhang mit sich verändernden Vergaberichtlinien kann es von Vorteil sein, ein Diversity Management vorweisen zu können, insbesondere wenn es um die Öffentliche Hand als Mandantin geht. So listet das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen unter den Nachhaltigkeitsaspekten in der öffentlichen Auftragsvergabe im Land auch Aspekte der Frauenförderung auf. Doch auch für Einzelanwältinnen und –anwälte ist Diversity- und interkulturelle Kompetenz eine der Schlüsselqualifikationen – etwa, um eine barriereund diskriminierungsfreie Rechtsberatung leisten zu können, oder auch, um sich Mandantenkreise aus unterschiedlichen ethnischen, kulturellen oder religiös-weltanschaulichen Milieus zu erschließen. So gibt es mittlerweile Kanzleien, die ihre Website in Gebärdensprache und Leichte Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten übersetzen lassen. Ein sensibler und wertschätzender Umgang mit Unterschiedlichkeiten von Menschen ist hilfreich, um das Vertrauen der Mandantschaft zu gewinnen – spätestens dann, wenn aufgrund unterschiedlicher lebensweltlicher Erfahrungen eine Distanz besteht. Diversity-Kompetenz hilft nicht zuletzt, Kommunikationsbarrieren abzubauen. So benennt die Schlichtungsstelle der Anwaltschaft Kommunikationsdefizite als Hauptursache für Konflikte zwischen Anwaltschaft und Mandantschaft. Anwältinnen und Anwälte sowie Kanzleien, die zeigen, dass sie Vielfalt wertschätzen, haben also eindeutig einen Wettbewerbsvorteil – in der Akquise von Mandaten und auch im Rennen um top ausgebildeten Nachwuchs. DIVERSITY – MEHR ALS FRAUEN UND GENDER Diversity steht für die Wertschätzung und Förderung der Vielfalt menschlicher Identitäten: Alle Menschen sollen das Recht und die Möglichkeiten haben, am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilzuhaben und die Chance erhalten, ihre Potenziale zu entfalten. Im Fokus stehen dabei die sogenannten Diversity-„Kerndimensionen“ Geschlecht, ethnische Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Lebensalter, sexuelle Identität und soziale Herkunft. Auch wenn Diversity und Vielfalt keine fest besetzten Rechtsbegriffe sind, so ist die Wertschätzung der Vielfalt menschlicher Identitäten vor allem den Diskriminierungsverboten immanent. Im deutschen Recht finden sich die wesentlichen Diskriminierungsgründe unter anderem im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Eine Verbindung zwischen Diversity und Antidiskriminierung ergibt sich für Kanzleien aus dem Verbot der Diskriminierung im Beschäftigungsbereich und bei dem Angebot von Gütern und Dienstleistungen sowie insbesondere auch über die in §5 des AGG verankerten „positiven Maßnahmen“ (affirmative actions), mit deren Hilfe die Benachteiligungen von bestimmten Gruppen ausgeglichen werden soll – zum Beispiel, indem bei einer Stellenbesetzung eine Bewerberin mit Behinderung gleich qualifizierten Bewerbern vorgezogen wird. DIVERSITY CHECK Welche Rolle spielt Diversity in Ihrem Arbeitsalltag als Anwalt/ Anwältin? Wird Diversity Management in Ihrer Kanzlei gelebt? Diese Fragen helfen Ihnen, sich ein Bild über den Ist-Zustand zu machen. 1. Wie vielfältig ist Ihre Mandantschaft? Wie setzt sie sich zusammen in Bezug auf Geschlecht, Alter, kulturelle, ethnische oder nationale Herkunft, Religion / Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Orientierung, Ausbildung, Berufssparten und Familienstand? Geschlecht, Alter, kulturelle, ethnische oder nationale Herkunft, Religion / Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Orientierung und Familienstand? 6. Was für Arbeitszeitmodelle gibt es? Ist Teilzeitarbeit möglich? Gibt es Home Office? Wie wird mit Elternzeit und Wiedereinstieg umgegangen? (Dieser Check ist ein Auszug aus der Handreichung „Diversity Management in der Kanzlei“; die Sie demnächst hier herunterladen können: www.institutfuer-menschenrechte.de/projekt-anwaltschaft-fuer -menschenrechte-und-vielfalt.html) FORTBILDUNGEN ZU DIVERSITY-KOMPETENZ Das Projekt „Anwaltschaft für Menschenrechte und Vielfalt“ wurde am Deutschen Institut für Menschenrechte entwickelt und bietet Fortbildungen zu Diversity und Diversity Management. Auch im kommenden Jahr finden wieder Seminare statt. So führt ein eintägiges Basisseminar in die Grundlagen der Diversity- und interkulturellen Kompetenz ein und zeigt Anwältinnen und Anwälten, wie sie ihre Kommunikation und Verhandlungsführung sowie die rechtliche Beratungs- und Mediationspraxis um Diversity-Aspekte erweitern können. Eine weitere Fortbildung zu Diversity Management richtet sich an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie an Mitarbeitende in Kanzleien, die mit Diversity-relevanten Fragen betraut sind und die Kanzlei im Hinblick auf die Umsetzung von Diversity überprüfen und Maßnahmen zur Optimierung entwickeln wollen. Begleitend zu den Seminaren werden auch Handreichungen entwickelt, die demnächst auf der Website des Projekts heruntergeladen werden können. Das Projekt wird im Rahmen des XENOS-Programms „Integration und Vielfalt“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert und stützt sich auf Kooperationspartner wie das Deutsche Anwaltsinstitut, den Deutschen Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer. Paola Carega, Berlin 2. Wie verständlich und wie zugänglich ist die Außendarstellung (Internetauftritt, Flyer, Anzeigen etc.) der anwaltlichen Dienstleistungen? Erreichen Sie damit unterschiedliche Mandantengruppen? 3. Gibt es Informationsangebote in anderen Sprachen, in Gebärdensprache oder in Leichter Sprache? 4. Für Einzelanwälte und -anwältinnen: Wie vielfältig ist das Netzwerk an Kollegen / Kolleginnen und an Experten / Expertinnen, mit denen Sie kooperieren? INFOS > http://www.institut-fuer-menschen rechte.de/de/projekt-anwaltschaft-fuermenschenrechte-und-vielfalt.html 5. Für Kanzleien: Wie vielfältig sind die Mitarbeitenden der Kanzlei zusammengesetzt in Bezug auf ADVOICE 04/13 43 Magazin Wenn Gerichte gewissermaßen über die Geschichte des eigenen Landes entscheiden, haben sie gute Chancen, in den Fokus der Aufmerksamkeit zu geraten. So avanciert in dieser Ausgabe das Landgericht Dresden zum Gericht des Monats. Die Angehörigen des Königshaus Sachsen werden sehr genau hinschauen beim gerade begonnenen Erbrechtsstreit vor dem LG zwischen Rüdiger Prinz von Sachsen gegen Er- ben der 2002 verstorbenen Prinzessin Virginia. Letztere war ursprünglich bürgerliche Tänzerin und später die zweite Ehefrau von Prinz ErnstHeinrich (1896-1971). Wie die größte deutsche Boulevardzeitung meldete, geht es um einen Nachlass aus Immobilien, Kunstschätzen und Barvermögen in Höhe von geschätzten 35 Mio. Euro, die vom Freistaat Sachsen an das Adelshaus seit 1997 transferiert wurden. pat Gericht des Monats Landgericht Dresden 44 ADVOICE 04/13 Foto: Patrick Ruppert Magazin ADVOICE 04/13 45 Magazin Suchspiel Recht! Finde im originalgetreu dargestellten Tenor ... Worte und Abkürzungen aus dem juristischen Sprachgebrauchs AAG (=Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung) / AWG (Außenwirtschaftsgesetz) / BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) / BGS (Bundesgrenzschutz) / BFH (Bundesfinanzhof) / DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) / EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) / ESG (Gesetz über die Sicherstellung der Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungsund Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft) / FAG (Finanzausgleichsgesetz) / FFG (Filmfördergesetz) / FPG (Fallpauschalengesetz) / GDG (Gesundheitsdienstgesetz) / GFG (Graduiertenförderungsgesetz) / GG (Grundgesetz) / GJG (Gesetz über die anerkannten jüdischen Gemeinden) / GKG (Gerichtskostengesetz) / HRG (Hochschulrahmengesetz) / IFG (Informationsfreiheitsgesetz) / KG (Kammergericht) / LAG (Landesarbeitsgericht) / LG (Landgericht) / NOG (Erstes Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung) / POM (Polizeiobermeister) / RG (Reichsgericht) / SIG (Signaturgesetz) / SKG (Sicherheitskon- Weitere Fundstellen an die Redaktion senden, sie werden in der kommenden AdVoice veröffentlicht. 46 ADVOICE 04/13 ... zu 1 des Beschlusses des BAG vom 13.3.2013, Az.: 7 ABR 39/11 folgende Worte und kreise diese ein (horizontal, vertikal, vorwärts, rückwärts, diagonal) Manche Worte kommen mehrfach vor. Buchstaben können mehrfach eingekreist werden. trollgesetz 2013) / SG (Sozialgericht) / TSG (Transsexuellengesetz) / UEAG (ÜAG: Überstellungsausführungsgesetz) / WSG (Wehrsoldgesetz) Worte des Allgemeinen Sprachgebrauchs AAL / ARG / AST / BASS / BAR / CHARGE / DAS / ESSE / GAG / GEN / IMAM / JET / KAHL / LABIL / LASS / LOS / MAG / MAI / MAMA / MET / NAP / NET / PIG / PUB / PO / SAG / SIE / SPASS / ULM / VON / WIN / WO zusammengestellt von Tobias Sommer Magazin Partnerschaft mit beschränkter Haftung Herzlichen Glückwunsch zur Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung Lieber Leser, Sie sind Anwalt? Dann sei Ihnen zur neuen Möglichkeit, seit dem 19. Juli 2013 eine Partnerschaft mit beschränkter Berufshaftung (im folgenden PartGmbB) zu gründen, gratuliert. Sie müssen sich nicht mehr fragen, wie Ihre Haftung durch die Tätigkeit in einer englischen Limited Liability Partnership begrenzt werden kann und was bei Gründung und Betrieb zu beachten ist, sondern Sie können nun ohne vertiefte Englischkenntnisse ein deutsches Pedant heranziehen. Über die deutsche Antwort auf die englische Gesellschaftsform wird täglich neu berichtet. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält für Sie einen Antwortkatalog auf die wichtigsten Fragen zur Gründung und zur Bedeutung bereit. Auf einige Fragen, z. B. zur Ausgestaltung des Versicherungsinhalts für die interprofessionelle PartGmbB, zum Versicherungsschutz bei der Ausübung höchst persönlicher Mandate oder einfach nur zur Ausgestaltung der Versicherungsbestätigung sind noch keine abschließenden Antworten gefunden worden. Es bleibt abzuwarten, wie die notwendige Diskussion in Gang kommt. Einstweilen lohnt sich der Blick auf den aktuellen Diskussionsstand zur Versicherung des Vorwurfs der wissentlichen Pflichtverletzung. Grundsätzlich ist im Bereich der verkammerten Berufe der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer der bewusste Verstoß gegen Beratungspflichten nicht versichert. Dies wurde (bis dato) als nicht schutzwürdig angesehen. Die RA-GmbH oder eine RAPartGmbB hat mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer die entsprechende Deckung. Der Verstoß gegen die anwaltlichen Beratungspflichten durch diese Gesellschaften ist nur noch an dem im VVG enthaltenen allgemeinen Vorsatzausschluss zu messen. Gem. § 103 VVG ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat. Die wissentliche Pflichtverletzung wurde quasi in letzter Sekunde des Gesetzgebungsverfahrens durch Streichung des Verweises auf § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO abgeschafft mit der Vorstellung, den Verbraucher- Foto: Andrea Vollmer ADVOICE 04/13 47 Magazin schutz zu stärken. Für die Tätigkeit eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers hat der Gesetzgeber den bewährten Ausschlusstatbestand der wissentlichen Pflichtverletzung im Übrigen belassen. Warum diese Regelung für die Anwaltschaft anders aussieht, ist nur schwer nachzuvollziehen, zumal die wissentliche Pflichtverletzung im Bereich Vermögensschaden-Haftpflicht im Vergleich zum Vorsatzausschluss überwiegend als das sachgerechte Ausschlusselement angesehen wird. Dies sei an einem typischen anwaltlichen Haftungsszenario wie der Aufnahme einer unwirksamen Klausel in einen Vertrag verdeutlicht. Anders als beim Personen- oder Sachschadenrisiko ist im Zeitpunkt der Aufnahme der Klausel in den Vertrag oder der Unterschrift unter denselben noch nicht erkennbar, ob ein Schaden eintreten wird. Der Schadeneintritt kann sich nach vielen Jahren realisieren, wenn z. B. durch Erbfall eine andere Person Partei des Vertrages wird. Ein Schaden kann aber auch gar nicht eintreten, wenn z. B. die Klausel in der Praxis keine Relevanz erfährt. Den Maßstab eines sorgfältig handelnden Rechtsanwalts im Beispiel an den im VVG enthaltenen Vorsatzausschluss zu messen, dürfte mangels Vorliegen eines Schadens scheitern. Diese Problemlage hat der Gesetzgeber früh erkannt und für eine sachgerechte Interessenabwägung zwi- schen Versicherer und Anwalt gesorgt, indem der Maßstab allein auf die Pflichtverletzung des Anwalts abstellt. Die anwaltliche Pflicht muss wissentlich mit Dolus directus verletzt worden sein, was vorliegt, wenn die in Rede stehende versicherte Person positive Kenntnis von der Pflichtverletzung hat und sich bewusst ist, pflichtwidrig gehandelt zu haben. Der Vorsatzausschluss benötigt zusätzlich neben der Pflichtverletzung auch ein Wissen und Wollen in Bezug auf die Herbeiführung des schädigenden Erfolgs. Für beide Voraussetzungen, also Pflichtverletzung und kausaler Schaden, ist Dolus eventualis ausreichend. Im Bild der mathematischen Mengenlehre gesprochen, ist die wissentliche Pflichtverletzung zum Vorsatzausschluss nicht der kleinere Ausschnitt. Beide überschneiden sich lediglich in großen Teilen. Das Vorliegen der wissentlichen Pflichtverletzung ist durch den Dolus directus an engere Voraussetzungen geknüpft als bei der Vorsatztat. Hier reicht für die Annahme der Pflichtverletzung – wie bereits gesagt – Dolus eventualis, der sich dann aber auch auf den Schaden beziehen muss. Versicherungsschutz für bewusst begangene Fehler? In der Anwaltschaft mehren sich die Stimmen, die gerade nicht im Rahmen der Versichertengemeinschaft für solche Fehler ihrer Kollegen geradestehen Die deutsche Antwort auf die englische Gesellschaftform: PartGmbB. 48 ADVOICE 04/13 wollen. Bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern wurde auf eine Stärkung des Verbraucherschutzes verzichtet. Möglicherweise beruht dies auf der Erfahrung, dass die seit Langem erlaubte Berufsausübung dieser Berufsgruppen in einer GmbH kein zusätzliches Risiko für den Mandanten darstellt. Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass der Rechtsanwalt im Vergleich zum Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer der schlechtere Berater ist, sodass sein Mandant hier des zusätzlichen Schutzes bedarf. Die Diskussion ist in diesem Punkt in vollem Gange. Abzuwarten bleibt, ob mit der Mitversicherung der wissentlichen Pflichtverletzung ein Paradigmenwechsel stattfindet, oder ob nicht doch das langjährig bewährte Deckungskonzept, zu der es eine gefestigte Rechtsprechung gibt, wieder bevorzugt wird. Steffen Eube, HDI Versicherung AG > www.hdi.de Foto: Rainer Sturm_pixelio.de Magazin NEWS zusammengestellt von RA Patrick Ruppert, Köln Vorsicht bei Empfehlungen Ein 51-jähriger Rechtsanwalt aus Oldenburg hatte letztlich Glück bei der Empfehlung eines Bilanzbuchhalters. Das Amtsgericht hatte ihm noch Beihilfe zum Titelmissbrauch vorgeworfen und ihn zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Rechtsanwalt, so war das Amtsgericht überzeugt, hätte einen Bilanzbuchhalter bei einem Unternehmen als „Steuerberater“ empfohlen. Dieser Vorwurf ließ sich jedoch in der Berufungsinstanz nicht halten. Das Landgericht hob die Entscheidung auf und sprach den Rechtsanwalt frei. Der, so sah es das Landgericht, hatte glaubhaft vorgetragen, den Bilanzbuchhalter als jemand empfohlen hätte, der in steuerlichen Fragen helfen könne. Die Bezeichnung Steuerberater sei niemals verwendet worden. Bereits zuvor war das Verfahren gegen den Buchhalter eingestellt worden. Schon allein deshalb, also wegen mangelnder Haupttat, musste der Freispruch der vorgehaltenen Beihilfe erfolgen. Elf Millionen zu viel Ein Insolvenzverfahren sorgt gegenwärtig für Furore. In der Abwicklung einer Baufirma aus Wiesmoor im Kreis Aurich wurde dem eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter eine Vergütung von 14,5 Millionen Euro genehmigt. 11 Millionen Euro zu viel, wie das Landgericht Aurich in einer aktuellen Entscheidung feststellte. Es änderte somit die Betragshöhe ab, die zuvor der zuständige Rechtspfleger am Amtsgericht festgesetzt hatte. Erhebliche Aufregung rief auch die Vergütung des Gläubigerausschusses hervor. 400.000 Euro pro Person waren ursprünglich genehmigt worden. Letztlich reduzierte das Landgericht diese Betragshöhe auf Summen zwischen 1.000 und 4.600 Euro. Inzwischen, so Presseinformationen, laufen strafrechtliche Ermittlungen gegen den Insolvenzverwalter wegen des Verdachts der Untreue. Mit „Montezumas Rache“ entschuldigt Rechtsanwälte müssen üblicherweise Vorkehrungen im Büroalltag treffen, wenn sie krankheitsbedingt ausfallen und das Ausbleiben von vornherein absehbar ist. Denkbar ist das bei längerfristig anstehenden Operationsterminen oder solchen Krankheitsverläufen, die eine persönliche Organisation vor dem Ausfall ermöglichen. Plötzlich auftretende Beschwerden können aber ein Entschuldigungs- grund dann jedenfalls sein, wenn sie völlig unvorhersehbar sind. So sah es auch der Bundesgerichtshof und gab einem Rechtsanwalt Recht, der als Einzelanwalt in einer Bürogemeinschaft tätig ist und wegen eines plötzlich aufgetretenen fiebrigen Magen-Darm-Infekts eine Beschwerdeschrift nicht persönlich abschicken konnte. Zwar hatte der erkrankte Rechtsanwalt seine Ehefrau mit dem Versand beauftragt, doch die hatte die ihr erteilte Anweisung nicht fehlerfrei zur Fristwahrung umgesetzt. Dieser Fehler, so der BGH, war entschuldbar und führte nach § 233 ZPO zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BGH, Beschluss vom 7.8.2013, Az. XII ZB 533/10). Die Wahl des sichersten Weges Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 13.6.2013, Az. IX ZR 155/11 erneut unterstrichen, dass zu den anwaltlichen Pflichten gehört, „sich die erforderlichen Informationen zu beschaffen, den maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären und durch Beschreiten des sichersten Weges einen Schaden des Mandanten zu verhüten“. Ein Rechtsanwalt hatte in einem Verkehrsunfallprozess die psychische Vorerkrankung seines Mandanten nicht ordnungsgemäß aufgeklärt und zeitnah in den Prozess eingebracht – erster Vortrag am Prozesstag. Verspätet und nicht substantiiert befanden die Richter der ersten und zweiten Instanz. Im Regressverfahren sah es der BGH als erwiesen an, dass hierin ein Haftungsfall begründet liege. (siehe § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO). Für die Entscheidung spricht indes, dass die Akteneinsicht einem Rechtsanwalt dann zu verweigern ist, wenn „wichtige Gründe entgegenstehen“ (s. § 147 Abs. 4 StPO). Hier könnte die Verschwiegenheitspflicht entgegenstehen, an der es außerhalb ordnungsgemäß geführter Kanzleiräume mangeln dürfte. Keine Vergütung bei fehlendem Hinweis Kommen scheidungswillige Eheleute zu einem Rechtsanwalt, um sich gemeinsam von diesem beraten zu lassen, muss der Rechtsanwalt vor der Beratung deutlich auf die gebühren- und vertretungsrechtlichen Folgen einer gemeinsamen Beratung hinweisen. Wenn beide Eheleute bei Aufkommen eines Interessenkonflikts den Rechtsanwalt verlassen und jeder für sich neue, getrennte anwaltliche Beratung in Anspruch nimmt, verliert der ursprünglich gemeinsam beratende Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch. Der BGH sah in der Gebührenforderung einen Schadensersatzanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. (BGH, Urteil vom 19.9.2013, Az. IX ZR 322/12) Psychiatrie wird Kanzlei? Dürfen Rechtsanwälte, die in eine geschlossene psychiatrische Klinik eingewiesen wurden, dort Mandantenakquise betreiben und anwaltliche Dienstleistungen Mitpatienten anbieten? Diese pikante Frage muss gegenwärtig die Münchner Rechtsanwaltskammer beantworten, da ein Rechtsanwalt aus Pasing als Patient der Psychiatrie des Haarer Isar-Amper-Klinikums munter auf Klientenfang ging. Als er auf einem eigens entworfenen Briefbogen für Patienten Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft beantragte, weigerte diese sich, Akten in die geschlossene Einrichtung zu schicken. Ob die Weigerung der Staatsanwaltschaft zulässig ist, wird kontrovers bewertet. Gegen die Entscheidung spricht, dass der Rechtsanwalt weiterhin seine Anwaltszulassung besitzt und diese nicht wegen vorübergehender Erkrankung widerrufen werden kann > [email protected] ADVOICE 04/13 49 www.davforum.de Die Stimme junger Anwälte Das FORUM bietet allen m/w Referendaren, Assessoren und Anwälten bis 40 Jahren • Interessenvertretung • Vergünstigungen • Erfahrungsaustausch • Mailingliste • Stammtische Mitgliedsbeiträge € 50,– / 25,– p.a. Informationen zur Mitgliedschaft: www.davforum.de Kontakt: [email protected] | 030 / 72 6152-0 Starthilfe | Fortbildungen | Netzwerk Euer FORUM f AUTORENAUFRUF JURA NEWS BRAUCHT EUCH ALS AUTOREN! ! Aktuelle Entscheidungen aus den Rechtsgebieten „Strafrecht“, „Öffentliches Recht“ und „Zivilrecht“, wichtige und nützliche Erfahrungen aus diesen Bereichen, die es lohnt, an Kollegen weiterzugeben, sowie Checklisten und Tipps sollen in der AdVoice künftig unter der neuen Rubrik Jura News erscheinen. Dazu braucht die AdVoice Eure Mitarbeit. Meldet Euch als Autoren für die AdVoice, nehmt Kontakt mit der Redaktion auf und teilt Euer Wissen. Eure AdVoice-Redaktion > [email protected] ADVOICE 04/13 51 Euer FORUM Start in den Anwaltsberuf Zu den Themen gehörten Pressearbeit, Berufsrecht, Marketing Freitagmorgen, es ist trüb und es regnet. Aber das kann eine Gruppe von insgesamt 146 ReferendarInnen und jungen AnwältInnen nicht davon abhalten, sich am 1.11.2013 im zentral gelegenen Göttingen in einem Hotel einzufinden, in welchem schon Thomas Gottschalk und viele andere Showgrößen nächtigten. Doch steht an diesem Wochenende nicht das Übernachten, sondern das durch den DAA und das FORUM Junge Anwaltschaft ins Leben gerufene 2-tägige Seminar „Start in den Anwaltsberuf“ im Vordergrund. Nachdem der Vorsitzende des DAA, Jürgen Widder, die Veranstaltung eröffnet und ein paar Grußworte an die Teilnehmerschaft gerichtet hatte, berichteten zwei junge Kollegen über ihre erfolgreichen Starts in den Anwaltsberuf. Dank der Deutschen Bahn, die mir eine Verspätung von über einer Stunde bescherte, war es mir leider nicht vergönnt, diesen Ausführungen zu lauschen. Für mich begann das Seminar mit der ersten Pause und einer Cola. In einem angenehmen Ambiente versammelten sich die Teilnehmer mit einer Tasse Kaffee oder Tee und teils noch mit einem Sandwich in der Hand um die Stehtische, um, so wie ich, die Kollegen kennenzulernen und mit ihnen in Austausch zu treten. Vor allem in den Pausen habe ich angeregte Gespräche geführt, sowohl mit Kollegen, die ebenfalls den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben oder mit diesem Gedanken liebäugeln, als auch mit angestellten Anwälten, die über ihre Erfahrungen berichteten. Auch habe ich mich mit kurz vor dem 2. Staatsexamen stehenden Kollegen unterhalten, die sich durch das Seminar eine Inspiration für den weiteren beruflichen Werdegang versprachen. Besonders bemerkenswert fand ich die Entspanntheit eines Kollegen, der in der darauffolgenden Woche seine mündliche Prüfung zum 2. Staatsexamen zu bestreiten hatte. KONVENTIONELLE PRESSEARBEIT UND SOZIALE NETZWERKE Nachdem die Pause durch ein Glockenläuten beendet wurde, startete der erste Fachvortrag „Der Anwalt und die Medien“, der sich mit der Thematik der Öffentlichkeitsarbeit eines Anwalts beschäftigte und von Herrn Swen Walentowski, Rechtsanwalt und Pressesprecher des DAV, und Herrn Micha Guttmann, Journalist und Rechtsanwalt, gehalten wurde. In einem heiteren Zwiegespräch stellten die 52 ADVOICE 04/13 Referenten Strategien für eine erfolgreiche Pressearbeit vor. Sie prangerten an, dass der Jurist, warum auch immer, zu ewig langen Schachtelsätzen neigt und es lieben würde, einen Nebensatz nach dem anderen zu bilden, obgleich dies bei Presseberichten äußerst schädlich sei. Ihr Credo: Lieber kurze Sätze bilden und knappe einprägsame Botschaften verwenden! Gepaart mit einigen Reizbegriffen wie „Ebay“, „Hartz IV“ oder Namen prominenter Persönlichkeiten stünde danach einer erfolgreichen Pressearbeit nichts mehr im Wege. Die Vortragenden ermutigten zu selbstbewusster Pressearbeit, bei der man auch keine Scheu davor haben sollte, seinen Namen als Autor eines eigenen Zitates zu nennen. Das Thema „Pressearbeit über die modernen Medien und sozialen Netzwerke“ entfachte eine hitzige Diskussion über das Für und das Wider. Letztendlich kamen alle überein, dass diese Form der Pressearbeit typabhängig ist, jedoch nichts abschreckender auf einen potentiellen Mandanten wirkt als eine veraltete Internetseite. Im Anschluss an das schmackhafte Mittagsbuffet vermittelte Frau Dr. Herzberg, eine Mitarbeiterin der krankheitsbedingt abwesenden Referentin, Grundwissen über den anwaltlichen Arbeitsvertrag, das Versorgungswerk und das Problem der Scheinselbstständigkeit. Sie wies auf einige Klippen im Arbeitsvertrag hin, räumte jedoch auch ein, dass dem jungen Anwalt naturgemäß kaum ein Verhandlungsspielraum verbleibt. Sie forderte alle Junganwälte auf, sich die Zeit zu nehmen und beispielsweise an einem verregneten Herbsttag anhand der Satzung des eigenen Versorgungswerkes zu prüfen, ob der Abschluss einer privaten Zusatzversicherung sinnvoll erscheint. WER HAFTET FÜR WEN UND WIE SIEHT’S AUS MIT MEINEM HONORAR? Über die vermutlich spannendsten Themen des Tages, das Honorar und die Haftung, berichtete Edith Kindermann, Rechtsanwältin und Notarin. Mit Witz und Charme überzeugte sie sowohl fachlich als auch rhetorisch und zog die gesamte Hörerschaft mit ihrem anekdotenreichen Vortrag in ihren Bann. Gleich am Anfang machte sie auf die feinen, aber mitunter entscheidenden Details der Vermögenshaftpflichtversicherung in den Versicherungsbedingungen aufmerksam und wies darauf hin, dass gerade in einer GbR-Kanzlei Versicherungskonzept und Deckungskonzept nicht immer übereinstimmen, was im Falle einer Haftung zu weitreichende Konsequen- zen führen kann. Insoweit mahnte sie zur Vorsicht bei einem anwaltlichen Zusammenschluss in Form einer GbR. Für eine solche sollte man sich nur dann entscheiden, wenn man zu seinen künftigen GbRKollegen uneingeschränktes Vertrauen hat. Die Vortragende warnte zudem eindringlich vor einer zu engagierten Herangehensweise an ein neues Mandat. Wichtig sei, gleich zu Beginn mit dem Mandanten den Umfang des Mandats, d. h. die genauen Tätigkeitsbereiche, abzustecken und ihm eine klare Vorstellung über den finanziellen Aufwand zu geben. Ganz plastisch verdeutlichte die Referentin die Notwendigkeit einer angemessenen Anwaltsvergütung, indem sie unter anderem die simple Frage stellte, warum sich ein Anwalt wohl mit einem fremden Problem beschäftigten sollte, wenn er dafür keine Gegenleistung erhält? Richtig, es gibt keinen anderen Grund! So ist es denn auch ratsam, sich als AnwältIn stets vor dem ersten Mandantengespräch zu überlegen, wie hoch „mein Preis“ ist. Am Ende appellierte Frau Kindermann an alle: „Tun Sie mir bitte einen Gefallen, legen Sie niemals Ihren gesunden Menschenverstand ab.“ FACHLICHE WORKSHOPS UND ABENDLICHER AUSKLANG Der Abend wurde nach einer kurzen Durchschnaufpause durch drei parallel stattfindende Themenworkshops abgerundet. Hierbei konnte der ambitionierte Jungjurist zwischen Sozialrecht, Strafrecht und Verkehrsrecht wählen. Ich wählte das Verkehrsrecht, eine Entscheidung, die ich nicht bereut habe. Der Vortragende, Herr Rechtsanwalt Siegert, gab einen kurzen Überblick über die Materie und stellte verschiedene Einzelbereiche genauer vor. Leider konnte aufgrund des Zeitlimits nur ein kleiner Teil der anwaltlichen Tricks und Kniffen diskutiert werden. Nachdem der fachliche Teil bewältigt war, fand sich ein Großteil der Teilnehmer und Referenten um 19.30 Uhr zum gemeinsamen Abendessen in der Hotellobby ein. Es wurde über das Tagesgeschehen geplaudert und in gemütlicher Runde wurden neue Kontakte geknüpft. Obwohl sich der DJ auch zu fortgeschrittener Stunde alle Mühe gab und seine gesamten Partykracher von „Shakira“ über die „Black eyed peas“ bis hin zu David Hasselhoff’s „I’ve been looking for freedom“ abspielte, konnte er nur eine kleine Gruppe tanzwütiger Kollegen auf die Tanzfläche bewegen. Euer FORUM ANZEIGE BERUFSRECHT, MARKETING UND MANDATSBEARBEITUNG FÜR ANFÄNGER Der nächste Tag startete pünktlich um 9 Uhr mit dem Vortrag zum anwaltlichen Berufsrecht des Rechtsanwalts Michael Kleine-Cosack, der durch seine langjährige Erfahrung zweifelsohne eine Koryphäe auf diesem Gebiet ist. Mit viel Enthusiasmus erklärte er die Standesregeln des Anwalts und verdeutlichte die Wichtigkeit von deren Einhaltung. Er begann seinen Vortrag mit den Strafrechtsnormen, die jeder Anwalt kennen sollte: § 356 StGB Parteiverrat, § 263 StGB Betrug, § 266 StGB Untreue und – den gern übersehenen – § 203 StGB, Verletzung eines Privatgeheimnisses. Sodann ging der Referent auf die anwaltlichen Hauptpflichten nach der BRAO und der BORA ein und verdeutlichte, dass mitunter nur ein schmaler Grad zwischen „richtig“ und „falsch“ im Sinne einer standesrechtlichen Norm liegt und es stets auf eine exakte Einzelfallprüfung ankommt. Der Vortrag endete mit Ausführungen zu den Möglichkeiten von Anwaltswerbung und machte deutlich, dass in Zweifelsfragen – gerade vor dem Hintergrund der europarechtlich garantierten Grundfreiheiten – zugunsten der Freiheit des Berufes entschieden werden sollte. Mit der dritten Tasse Tee in der Hand lauschte ich den Ausführungen von Rechtsanwalt Tim Günter, der ein kleines Medley an Informationen über die Mandatsbearbeitung vom ersten Anruf bis hin zur Zwangsvollstreckung zum Besten gab. Dabei referierte er unter anderem auch über den Nutzen eines Mandantenanamnesebogens und eines gut funktionierenden Sekretariats. Auch erinnerte er an die sorgfältige Eintragung und Überwachung von Fristen, um einer „lästigen“ und meist schwer zu erlangenden Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand oder gar einer Anwaltshaftung vorzubeugen. Nicht zuletzt schärfte er den Zuhörern ein, die Anwaltsrechnungen sorgfältig zu erstellen, um zu vermeiden, dass Gebühren „durch die Lappen“ gehen. Der letzte Fachvortrag des Seminars wurde von Wolfgang Schwackenberg, Rechtsanwalt und Notar, gehalten. Er beschäftigte sich mit Kanzleimarketing und Gründungsstrategien und machte deutlich, dass am Anfang einer Kanzleigründung ein durchdachtes und strukturiertes Konzept stehen muss, das sämtliche maßgebenden Faktoren, z. B. den Standort, die Zielgruppe und die Finanzierung beinhaltet. »… ein Volltreffer.« RA Dr. Egon Schneider zur 4. Aufl., in: Anwaltgebühren Spezial 8/2010 Beck‘sches Mandatshandbuch Zivilrechtliche Berufung #WȩCIG:.++5GKVGP )GDWPFGPas ISBN 978-3-406-64308-8 /GJT+PHQTOCVKQPGP YYYDGEMUJQRFG Erfolgreich in der Berufung Für den schnellen Zugriff Das bewährte Werk bietet dem Rechtsanwalt das nötige juristische und faktische Handwerkszeug für die Berufung in Zivilsachen. Neben Vorbereitung, Einlegung und Begründung der Berufung sind auch die Verteidigung des Berufungsbeklagten, die Berufungsverhandlung und weitere wichtige Einzelheiten behandelt. Zahlreiche Muster, Formulierungsvorschläge und Tipps ergänzen die Darstellung. Enthalten sind ABC-Stichwortreihen und Rechtsprechungsübersichten, ausgewählte Zitate aus der (insbesondere auch unveröffentlichten) Rechtsprechung sowie ein auf Vollständigkeit angelegter Belegapparat, der die eigenverantwortliche, differenzierte Argumentation gegenüber Gericht und Gegner ermöglicht. Auf meiner Rückreise nach der Veranstaltung hat mich die Bahn zum Glück nicht im Stich gelassen. Mein Fazit: Insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung, die ich jedem Berufsanfänger wärmstens empfehlen kann. Erhältlich im Buchhandel oder bei: beck-shop.de | Verlag C.H.BECK oHG · 80791 München | [email protected] | Preise inkl. MwSt. | 161509 RAin Frauke Zylka, Weimar ADVOICE 04/13 53 FORUM Junge Anwaltschaft im DAV Das FORUM ist: Die Stimme der jungen Anwälte. Eine der größten Arbeitsgemeinschaften innerhalb des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Das FORUM bietet: Fortbildungen. Netzwerke. Lobby. Starthilfe. Antworten und Hilfe für den Berufsstart und die ersten Berufsjahre. Eine Mitgliedschaft zahlt sich aus: Vorteile für alle Anwälte, Assessoren und Referendare bis 40 Jahre (Diese Vorteile bietet nur das FORUM Junge Anwaltschaft.) kostenlos · Anwaltsmagazin AdVoice mit Schwerpunktthemen und Erfahrungsberichten · Unterhaltsames und Wissenswertes aus der Anwaltschaft, Mitgliederinformationen und natürlich viel Service: Checklisten, Fachanwaltssteckbriefe, Steuerinfos, Tipps zur Haftungsvermeidung u. v. m. · Teilnahme an der Mailingliste, fachliche Unterstützung durch Kollegen, Antworten auf fast jede Frage des Anwaltsalltags, Terminvertretungen, Fällen von Kollegen international · Länderbeauftragte als Ansprechpartner bei grenzüberschreitenden Rechtsproblemen · Kontakte zu internationalen Organisationen junger Anwälte und Mitgliedschaft in der European Young Lawyers Bar Association günstige Konditionen · Berufshaftpflichtversicherung, mit HDI-Gerling besteht ein Abkommen mit hohem Sparpotenzial exklusiv für FORUMsmitglieder · Beck Online · Marktplatz Recht · Soldan · Deutscher Anwaltstag · Deutscher Anwaltverlag Fortbildung · eigene Seminare und günstigere Konditionen bei anderen Anbietern, z. B. Mitglieder-Rabatt teilweise bis zu 50 Prozent bei der Deutschen AnwaltAkademie vergünstigte Teilnahme · an Veranstaltungen, z. B. beim Deutschen Anwaltstag und Anwaltstagen der Landesverbände Netzwerk und Erfahrungsaustausch · regelmäßige Stammtische in vielen LG-Bezirken · Regionalbeauftragte als Ansprechpartner, die Euch gern vor Ort weiterhelfen Vertretung der Interessen · der jungen Anwaltschaft in der Berufspolitik und der anwaltlichen Selbstverwaltung VORTEILE für alle, die (noch) nicht im DAV sind kostenlos · 11x jährlich das Anwaltsblatt günstige Konditionen des DAV (http://anwaltverein.de/leistungen/rabatte) · · · · · Auto & Verkehr Hotels Fortbildung/Webdienste Kommunikation Versicherungen Rahmenabkommen · für kostenlose Kreditkarten NJW-Abo-Ermäßigung · um 22 Euro jährlich (Referendare erhalten vom Verlag weitere Rabatte) VORAUSSETZUNGEN für eine Mitgliedschaft · Anwältin/Anwalt unter 40 Jahren, Referendare und Assessoren · Jährlicher Mitgliedsbeitrag 50 Euro, Ermäßigungen auf 25 Euro: 1. bei Eintritt ab Juli eines Jahres 2. für Mitglieder eines dem DAV angeschlossenen Anwaltvereins Beitritt online: www.davforum.de/anmeldung Euer FORUM Termine 2014 6.–8. Februar 2014 / Stuttgart 6.–8. März 2014 / Hannover 25.–28. Juni 2014 / Stuttgart Erster Deutscher Akquise-Lernkongress „Chefsache Mandantenakquisition“ „2. Einführungsseminar Familienrecht“ Das 3-tägige Seminar, veranstaltet von der ARGE Familienrecht, mit insgesamt 18 Unterrichtsstunden, wird Einsteigern in das Familienrecht grundlegende Kenntnisse vermitteln und sie in die Lage versetzen, familienrechtliche Mandate gerichtlich und außergerichtlich erfolgreich zu führen. 65. Deutscher Anwaltstag Anmeldung unter: [email protected] oder 0228 391 797 0 Die Termine der Stammtische in den jeweiligen Landgerichtsbezirken findet ihr unter www.davforum/de. Anmeldung unter: www.busmann-training.de 21./22. Februar 2014 / Timmendorfer Strand, Maritim Seehotel „Forum – Start in den Anwaltsberuf“ für Junganwälte, Assessoren und Referendare 26. September 2014 / Frankfurt/M. Jahrestagung FORUM Junge Anwaltschaft Regional-Stammtische Anmeldung unter: Deutsche Anwaltakademie Frau Sendatzki Littenstrasse 11, 10179 Berlin Tel: 030 726153-182 [email protected] Regionalbeauftragte gesucht! Regionalbeauftragte gesucht! An alle FORUMs-Kolleginnen und -Kollegen in den LG-Bezirken Amberg, Baden-Baden, Bückeburg, Coburg, Landshut, Rottweil, Schwerin, Stendal, Waldshut-Tiengen, Weiden, Zwickau. In diesen Bezirken ist die interessante Position des Regionalbeauftragten nicht oder nur kommissarisch besetzt. Als engagierte FORUMs-Mitglieder könnt Ihr diese Lücken schließen. Der Regionalbeauftragte ist der Ansprechpartner des FORUM Junge Anwaltschaft vor Ort und organisiert in erster Linie den monatlichen Stammtisch zur Vernetzung der Mitglieder im eigenen Landgerichtsbezirk. Als RB bist Du auch die Schnittstelle zwischen dem Geschäftsführenden Ausschuss und den Mitgliedern vor Ort und stehst in Kontakt mit den anderen RBs im Bundesgebiet. Das FORUM lebt von der Vernetzung aller Mitglieder, und der Regionalbeauftragte ist ein wichtiges Bindeglied vor Ort. Der Job macht Spaß und bringt jede Menge Kontakte mit sich. Eine Übersicht aller Regionalbeauftragten findet Ihr im Internet unter: > www.davforum.de/469/ ADVOICE 04/13 55 Bücher-FORUM Kommunalrecht Datenschutzrecht in Bund und Ländern Schutz bei Gewalt und Nachstellung Klaus Lange, 1. Aufl. 2013, 1.347 S., 169,00 EUR, Verlag Mohr Siebeck Wolff/Brink (Hrsg.), 1. Aufl. 2013, 1.336 S., 149,00 EUR, Verlag C.H. Beck Cirullies/Cirullies, 1. Aufl. 2013, 321 S., 49,00 EUR, Gieseking Verlag Der Titel ist Programm: Kommunalrecht hat nicht weniger als das Kommunalrecht aller Bundesländer (mit Ausnahme der Stadtstaaten) zum Gegenstand. Die Spannweite reicht von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie über die innere Organisation der Gemeinden, die kommunalen Aufgabenarten, Satzungen, öffentliche Einrichtungen, das kommunale Wirtschaftsrecht und kommunale Finanzen bis zur Kommunalaufsicht und besondere Rechtsfragen der Kreise und der interkommunalen Zusammenarbeit. Die einzelnen Kapitel sind jeweils in mehrere gut überschaubare Unterabschnitte gegliedert. So umfasst z. B. das Kapitel zur inneren Organisation der Gemeinden Unterabschnitte zur Rechtsstellung der Ratsmitglieder, dem Verfahren des Gemeinderats, seiner Ausschüsse und Fraktionen, den Kompetenzen des Bürgermeisters und der Mitwirkung der Bürger. Zu den Neuveröffentlichungen von Kommentaren zum Datenschutzrecht reiht sich die gedruckte Form dieses BDSG-Kommentars aus dem Hause C.H. Beck ein, dessen Umfang zwischen dem Kurzkommentar von Gola/Schomerus und dem umfangreichen von Simitis liegt. Dabei handelt es sich um den seit Längerem bei Beck Online vorliegenden Online-Kommentar BDSG, der durch diese gedruckte Fassung ergänzt wird – ein zukunftsträchtiges Konzept. Das Besondere bei diesem Kommentar ist weiterhin, dass dem Hauptteil in Form der BDSG-Kommentierung ein umfangreicher „Allgemeiner Teil“ vorausgeht, der nicht nur allgemeine und europarechtliche Grundlagen behandelt, sondern auch Spezialmaterien wie Behörden- und Sozialdatenschutz. Häusliche Gewalt und Stalking und der Umgang der Rechtsberufe damit stellen die zentralen Themen des 38. FamRZ-Buches Schutz bei Gewalt und Nachstellung dar. Ein Familienrichter und eine leitende Oberstaatsanwältin erläutern auf über 300 Seiten den Umgang mit den alltäglichen Problemen von Familien aller Couleur, wo regelmäßig Streitigkeiten mit Gewalt einhergehen. Der Autor, Dipl.-Volkswirt und emeritierter Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Justus-Liebig-Universität Gießen, zeigt in jedem Kapitel die jeweils länderübergreifend geltenden Grundsätze (z. B. zur Rechtsstellung der Gemeindevertreter) auf, weist aber auch auf hiervon abweichende Besonderheiten in einzelnen Bundesländern hin. Verweise auf weiterführende Literatur finden sich ebenso wie aktuelle Rechtsprechung. Besonders hilfreich ist, dass jeweils sämtliche landesrechtlichen Normen „an Ort und Stelle“ als Fußnoten aufgeführt werden, sodass man sofort einen Überblick darüber hat, wo man gegebenenfalls „weitergraben“ muss. Mehr als diesen ersten Überblick kann (und will) das Buch trotz seiner mehr als 1.000 Seiten aber nicht leisten. Obwohl im Kommunalrecht noch stärker als in anderen Rechtsgebieten gilt, dass in einem Bundesland nicht oder unklar geregelte Rechtsfragen häufig durch einen Vergleich mit Regelungen in anderen Bundesländern bzw. der hierzu vorhandenen Rechtsprechung und Literatur geklärt werden können, musste man eine länderübergreifende, nicht nur an Studenten gerichtete Zusammenfassung, wie sie mit Kommunalrecht nun vorliegt, bislang vergebens suchen. Wer seine Kenntnisse zur wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden auffrischen möchte, wird hier ebenso fündig wie derjenige, der häufig länderübergreifend in kommunalrechtlichen Fragen berät und einen schnellen Zugriff auf alle landesrechtlichen Regelungen benötigt. Fazit: Um sich ohne langes Recherchieren einen ersten Überblick zu den wesentlichen, praxisrelevanten Themenkomplexen zu verschaffen, dürfte Langes Kommunalrecht derzeit nahezu alternativlos sein. Auch wenn die Herausgeber betonen, dass die Auswahl der Autoren alle juristischen Bereiche abdecke, fällt auf, dass die Mehrzahl der Autoren als Professoren oder bei den Aufsichtsbehörden tätig ist. Das Ziel, „wissenschaftliche Pluralität“ zu gewährleisten, wird durchaus gewahrt, jedoch fällt bei den Kommentierungen auf, dass oft nicht überzeugende, restriktive Ansichten gewählt werden oder vom Behördenwesen ausgegangen wird. So ist z. B. unklar, weshalb bei der Kommentierung zu Konzernen als verantwortliche Stelle auch Behörden besprochen werden oder warum abweichend von der h. M. auch unselbständige Niederlassungen teils als verantwortliche Stellen angesehen werden. Praxisnah und ausführlich wird z. B. die restriktive Zulässigkeit einer öffentlichen Videoüberwachung aufgezeigt. Die Datenübermittlung ins Ausland und die Auftragsdatenverarbeitung werden übersichtlich dargestellt, jedoch wird bei der Abgrenzung zur „Funktionsübertragung“ versäumt, auf die überzeugendere Vertragstheorie einzugehen. Bei den Grundlagen zum bereichsspezifischen Datenschutz wird kompakt und übersichtlich die Rechtslage bei freien Berufen, insbesondere Anwälten, dargestellt. Gut gelungen ist die Darlegung der Subsidiarität des BDSG zur ihm vorgehenden Verschwiegenheitspflicht und dass der Einsatz externer ITDienstleister derzeit eigentlich nicht möglich ist. Deutlich zu knapp gerät hingegen der Teil zu TMG und TKG, in dem zwar überzeugend die Grundlagen in Presserecht und Meinungsfreiheit veranschaulicht werden, jedoch kaum Platz für die eigentliche Kommentierung bleibt. Fazit: Der Beck’sche Kommentar Datenschutzrecht in Bund und Ländern überzeugt durch eine klare Darstellung des Datenschutzrechts. Er ist insbesondere für die Beratung in der öffentlichen Verwaltung zu empfehlen. In der umfassenden Darstellung werden auch Fragen des Vollstreckungs- und Kostenrechts, die in der Eile des Verfahrens durchaus auch einmal vergessen werden können, ausführlich abgehandelt, so dass das Buch als Leitfaden in Gewaltschutz- und Stalkingsachen gut geeignet erscheint. Warnhinweise wie der, dass bei dem häufigen Vergleich vor Familiengerichten der strafrechtliche Schutz wegfällt, sind gerade bei in Gewaltschutzverfahren noch unerfahrenen Beteiligten notwendig und daher ein guter Weg, um verfahrensrechtliche Sonderregelungen des familienrechtlichen Gewaltschutzes bekannt zu machen. Der Hinweis auf die Durchbrechung der Grundgedanken des Gewaltschutzgesetzes durch eine Ausweitung der Mediationsmöglichkeiten gemäß § 36a FamFG auf das Gewaltschutzverfahren ist hilfreich und zeigt, dass die Autoren auch aktuelle Entwicklungen berücksichtigt haben. Unverständlich bleibt eine Übersicht am Ende des Buches, die für die verschiedenen am Verfahren beteiligten Gruppen (Anwalt auf Täterseite, Anwalt auf Opferseite, Jugendamt, Gerichtsvollzieher etc.) erstellt zu sein scheint. Während ein wesentlicher Beteiligter, nämlich der Familienrichter bzw. die -richterin dort gar nicht aufgeführt wird, sind auch die dortigen Hinweise bzw. Verweise nur wenig hilfreich. Neuere Formen der Nachstellung, etwa das so genannte Cyberstalking, werden als Thema gar nicht oder nur am Rand behandelt und sollten bei einer Neuauflage unbedingt samt Praxishinweisen zu der Frage, wie Fangschaltungen erwirkt und Überwachung mittels Spyware erkannt und bekämpft werden kann, eingearbeitet werden. Erfreulich wäre auch, wenn die Formular- und Polizeirechtshinweise nicht allein auf Nordrhein-Westfalen beschränkt blieben und das verwaltungsgerichtliche Rechtschutzverfahren gegen polizeirechtliche Wegweisungsverfügungen genauer dargestellt würde. Fazit: Ein Buch wie dieses sollte in jeder familienrechtlich ausgerichteten Kanzlei vorhanden sein, um in Fällen häuslicher Gewalt mit der dann meist auftretenden Brisanz schnell reagieren zu können und Aspekte nicht zu vergessen. Dieses Buch kann dafür in die engere Auswahl genommen werden. RAin Anna Braun, Berlin RA Matthias Lachenmann, Paderborn 56 ADVOICE 04/13 RAin Juliane Hilbricht, Fachanwältin für Familienrecht, Solingen Bücher-FORUM Mobile Apps - Rechtsfragen und rechtliche Rahmenbedingungen Solmecke/Taeger/Feldmann (Hrsg.), 1. Aufl. 2013, 400 S., 99,95 EUR, De Gruyter Verlag Software für Smartphones und Tablets ist ein wichtiger Bestandteil der digitalen Dienstleistung. Über Mobile Commerce werden heutzutage teilweise bemerkenswerte Umsätze generiert. Umso erstaunlicher, dass sich dieser Wirtschaftszweig aus rechtlicher Sicht noch ein ziemliches Schattendasein befindet. Vermehrt rücken aber mobile Applikationen in den rechtlichen Fokus: Verbraucherschützer und Mitbewerber haben einen immer stärkeren Blick auf Apps & Co und die dortigen Stoplerfallen. Daher ist dieser Bereich wichtig für alle, die im Bereich IT-Recht, Urheberrecht und Wettbewerbsrecht beraten, denn das Thema mobile Softwareapplikationen hat viele Schnittstellen, wie das Buch zeigt. Mobile Apps ist dabei eine wichtige Unterstützung, auch wenn es sich gar nicht zwingend nur an Rechtsanwälte richtet. Zielgruppe sind ganz allgemein Personen, die vor allem beruflich mit Apps zu tun haben, wie beispielsweise Entwickler, Datenschutzbeauftragte, Marketingleiter, Unternehmer und eben auch Rechtsanwälte. Das Buch erhebt selbst den Anspruch, eine „Orientierung über alle wichtigen und aktuellen rechtlichen Fragestellungen der mobilen Apps“ zu sein und wird dem meines Erachtens auch gerecht. So wird zu Beginn zwar relativ allgemein in das Thema eingeführt (Entwicklung des Mobile Internet, Anwendungsbereiche von Apps, Besonderheiten von Apps im Vergleich zu anderer Software), aber im weiteren Verlauf werden alle wichtigen rechtlichen Knackpunkte ausführlich aufbereitet. Die Kapitel sind thematisch umfassend und decken aus rechtlicher Sicht alles Erforderliche ab. So werden die verschiedenen Vertragskonstellationen (beispielsweise Entwickler- oder Endkundenverträge) durchleuchtet. Weitere Themen sind AGB-Recht, Datenschutzrecht, Steuerrecht, Wettbewerbs- und Markenrecht sowie Jugendschutzrecht. Fazit: Das Buch richtet sich keineswegs nur an „Experten“, also Juristen, die schon vertiefend zu mobilen Softwareapplikationen beratend tätig sind. Somit ist der Einstieg in dieses Rechts- und Themengebiet mit diesem Werk zweifelsfrei möglich. Gleichzeitig bietet das Buch aber auch eine gute Arbeitsgrundlage für IT-Rechtler. So gibt es durchgängig Praxistipps und weiterführende Literaturhinweise, die die Vertiefung ermöglichen. RA Sebastian Dramburg, LL.M, Berlin Tatort www Erfolgreich starten als Rechtsanwalt Götz Schartner, 1. Aufl. 2013, 223 S., 19,90 EUR, Plassen Verlag Dieter Trimborn v. Landenberg (Hrsg.), 5. Aufl. 2013, 672 S., 29,00 EUR, Deutscher AnwaltVerlag Das Buch im handlichen DIN-A5-Format gibt anhand von wahren Fällen in den 6 Kapiteln WLAN, Webcam, Onlinebanking, Identitätsdiebstahl, Smartphone und Handy sowie „Die 10 Gebote der Computersicherheit“ praxisnahe Anleitungen, wie man sich vor den Gefahren im World Wide Web schützen kann. Das von Dieter Trimborn v. Landenberg herausgegebene, 2002 erstmals erschienene und nunmehr in der 5. Auflage vorliegende Werk ist ein Klassiker. Meines Erachtens bietet kein anderes Buch ein vergleichbar umfassendes und zugleich praktisch nutzbares Informationspaket. Als Konkurrent kommt allenfalls der DAVRatgeber für junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (aktuell in 13. Auflage) in Betracht, der zwar ein vergleichbares Themenspektrum behandelt, aber eher wie eine Aufsatzsammlung anmutet und weniger einheitlich und stringent aufgebaut ist. Jedes Kapitel beginnt mit einem als Kurzkrimi geschilderten Beispiel aus der Praxis, das die Gefahren und mögliche dramatische Folgen bewusst machen soll. Anschließend wird kurz erläutert, welche Fehler begangen wurden und wie wahrscheinlich ein solcher Angriff ist. Im Kapitel Onlinebanking werden z. B. die verschiedenen Verfahren wie PIN/TAN, iTAN, sms-TAN oder HBCI bewertet. Es folgen ausführliche Anleitungen für mögliche Schutzmaßnahmen. Checklisten dienen der Selbstkontrolle, können aber auch bei Beauftragung externer EDV-Dienstleister durch Einbeziehung zur Absicherung eingesetzt werden. Nützlich sind auch die Fristentabellen für wiederkehrende Schutzmaßnahmen wie die Vergabe neuer Passwörter und das Herunterladen von Updates. Bildschirmabdrucke etwa von Eingabemasken oder Internetseiten veranschaulichen die Darstellung. In einem Schlusswort weist der Autor kurz auf weitere Risiken etwa bei der Nutzung von Facebook, Apps und Online-Tauschbörsen hin und kritisiert die falschen bzw. unzureichenden Maßnahmen des Gesetzgebers sowie die derzeitigen Tendenzen zur grenzenlosen Überwachung. Ein knapp 8-seitiges Glossar erläutert die wichtigsten Begriffe von Admin-Rechten über Boot-CD, HBCI, SSL-Zertifikat bis WPA-Verschlüsselung. Auf der Website www.tatort-www.de kann man mehr über den Autor und Vorträge von ihm erfahren sowie Videoanleitungen für jedes Buchkapitel anschauen. Das Buch von Götz Schartner, einem professionellen Hacker, der im Auftrag von Unternehmen die Sicherheit von Datennetzen prüft, ist im September 2013 erschienen und damit auf dem aktuellen technischen Stand. Für 14,99 EUR ist es auch als E-Book erhältlich. Fazit: Das Buch eignet sich durch seine kompakte und lebendige Darstellung hervorragend als Bettlektüre, um zu erfahren, wie man mit wenigen, aber wichtigen Maßnahmen die Sicherheit im Internet erheblich erhöhen kann. Durch die Checklisten und das Glossar ist es auch für Leser, die technisch nicht so bewandert sind, bestens geeignet. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr und die ständige Nutzung des Internets im privaten Bereich ist dieses Basiswissen – schon aus Haftungsgründen – nahezu unverzichtbar. Um als Rechtsanwalt erfolgreich zu sein, braucht man mehr als „nur“ juristisches Fachwissen. Hier setzt das Werk an. Es wendet sich an Berufseinsteiger und vermittelt ihnen das Wissen, das – neben der Rechtskenntnis – unerlässlich ist. Zu nennen sind Themen wie Gründung, Finanzierung, Formen der Zusammenarbeit, Kanzleiorganisation, Aktenführung, Kanzleiausstattung, Marketing, Honorarabrechnung, Buchführung, Steuern, Zeitmanagement, Versicherungen, Umgang mit Mandanten etc., die das Buch allesamt aufgreift. Auf die jeweiligen Kapitel kann hier nicht im Einzelnen eingegangen werden, dennoch sollen einige Abschnitte kurz hervorgehoben werden. Die Anleitung zur Erstellung eines Businessplans ist einzigartig. Jeder Kanzleigründer braucht ein Gründungskonzept. Wer einen Gründungszuschuss oder Gründerkredit beantragen will, muss einen überzeugenden Businessplan vorlegen und kommt um das Buch nicht herum. Muster gibt es viele, nur die hier gebotene Anleitung ist jedoch speziell auf die Gründung einer Kanzlei zugeschnitten. Auch der Abschnitt über Marketing ist sehr gut gelungen. Angefangen bei Klassikern (Visitenkarte, Briefpapier, Kanzleischild, Kanzleibroschüre, Anzeigen) über modernere Formen (Internet, Soziale Netzwerke, Blogging) bis hin zu weniger verbreiteten Möglichkeiten (Pressearbeit, Sponsoring, Kanzleifeste) gibt das Buch eine Fülle von Anregungen und zeigt, dass sich diese auch ohne großes Kapital umsetzen lassen. Besonders hilfreich ist schließlich auch der Abschnitt über Steuern und Buchführung. Die Ausführungen sind weniger theoretisch als vielmehr eine sofort praktisch umsetzbare Schrittfür-Schritt Anleitung. Gleiches gilt für den von Norbert Schneider verfassten Abschnitt über die Honorarabrechnung. Fazit: Das Buch ist für jeden Kanzleigründer ein „Must-have“. RA Henry Naeve, Hamburg RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart ADVOICE 04/13 57 Bücher-FORUM Paket RVG-Reform 2013 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz + Das neue Gebührenrecht in der anwaltlichen Praxis 2013, 2.115 S., 123,00 EUR, Nomos Verlag Die 6. Auflage des HK-RVG war durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRModG) vom 23.7.2013 erforderlich geworden. Dessen Neuerungen sollen die lange stagnierenden Anwaltsgebühren allgemein anheben sowie Systembrüche und Fehlentwicklungen im RVG korrigieren. Auf 1.580 Seiten erläutern Praktiker das RVG mit Vergütungsverzeichnis. Neben guter Lesbarkeit fallen Praxishinweise, Muster und Berechnungen auf. Die Streitwertkommentierung des Anhang I reicht vom gerichtlichen Verfahren im Allgemeinen über das Arbeits-, Verwaltungs-, Zwangsvollstreckungsrecht bis zu Gebühren in Verkehrsunfallsachen, bevor Anhang II Gebührentabellen zeigt. Wegen der Neuerungen war das Werk zu aktualisieren und teils ganz neu zu kommentieren. Schwerpunkte sind z. B. im Sozialund Verwaltungsrecht. Insbesondere ist in Sozialgerichtsverfahren, in denen Betragsrahmengebühren anfallen, die neue reine Anrechnungslösung aufgearbeitet. Die Einigungs- und Erledigungsgebühren oder die fiktive Terminsgebühr sind neu zu berechnen. Insgesamt ist die Terminsgebühr breiter anwendbar. Die Vergütung zahlreicher Verfahren ist neu bewertet und meist angehoben worden. Intensiv arbeiten die Autoren Möglichkeiten zum Abschluss von Honorarvereinbarungen heraus. Somit ist der Anhang § 34 mit dem Sonderteil zur Führung von Vergütungsverhandlungen konsequent. Das neue Gebührenrecht in der anwaltlichen Praxis von Mayer konzentriert sich auf die strukturellen Änderungen des 2. KostR ModG und des Gesetz zur Änderung des PKH- und Beratungshilferechts. Er erläutert neue Anwendungsbereiche mit den gesetzgeberischen Zielen dahinter. Gelungen sind die Ausführungen zu Abschnitt 4. Gegenstandswert und im VV-RVG zu den sozialrechtlichen Neuerungen; insbesondere zur Anrechnung statt unterschiedlicher Rahmen bei Vorbefassung, zum erweiterten Anwendungsbereich der Terminsgebühr auf Anhörungstermine sowie zur Berücksichtigung der Tätigkeit im PKH-Verfahren. Viele Berechnungen zeigen, wie im Familien-, Verwaltungs-, Straf- und Sozialrecht Einnahmen zu steigern sind, bevor die Synopse das RVG alt und neu gegenüberstellt. Fazit: Das Paket RVG-Reform 2013 ist ideal, um sich in die gesetzlichen Neuerungen und Handlungsspielräume einzuarbeiten. Beide Werke richten sich auf die Chancen der Neuerungen. Der HK-RVG beachtet schon die Änderungen des ab 1.1.2014 geltenden Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts. Mayers Werk ergänzt ihn, indem es die strukturellen Neuerungen analysiert und mit Berechnungsbeispielen und der Synopse transparent macht. Gebührenkalkulator Hans-Jochem Mayer, 5. Aufl. 2013, 98 S., Rückendraht, 28,00 EUR, Nomos Verlag Der Gebührenkalkulator besteht aus drei Teilen: dem Gebührenverzeichnis (Volltext), einem Tabellenheft und dem „Gebührenrad“. Letzteres ist das Besondere an diesem Werk. Das rechenschieberähnliche Rad hat auf der Vorder- und Rückseite unterschiedliche Funktionen: Auf der Vorderseite kann man durch Drehen an dem Rad den Gegenstandswert einstellen (500 bis 200.000 Euro). Anschließend werden drei Kostenrechnungen angezeigt: (1) vorgerichtliche Anwaltskosten, (2) Verfahren erster Instanz und (3) Prozessrisiko. Auf der Rückseite des Gebührenrades können verschiedene Gebührensätze (0,1 bis 1,6) eingestellt werden, sodann lassen sich die Gebühren für alle Gegenstandswerte von 500 bis 750.000 Euro ablesen. Bei den vorgerichtlichen Anwaltskosten werden die Regelgeschäftsgebühr, die Auslagenpauschale und die Umsatzsteuer angezeigt. Bei den Kosten der ersten Instanz werden die Verfahrensgebühr, die Terminsgebühr, die Auslagenpauschale und die Umsatzsteuer sowie die Gerichtskosten und schließlich der anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr angezeigt; jeweils mit Zwischen- und Gesamtsumme. Damit lässt sich in Standardfällen mit einem Handgriff eine vollständige Rechnung generieren. Schade ist allerdings, dass nicht auch die Einigungsgebühr angezeigt wird. Bei dem Prozessrisiko (1. und 2. Instanz) wird der jeweilige Gesamtbetrag angezeigt. Zu beachten ist, dass die Kosten einer etwaigen vorgerichtlichen Vertretung (abzüglich des anrechenbaren Teils der Geschäftsgebühr) hierbei nicht berücksichtigt werden und gegebenenfalls manuell hinzuzurechnen sind. Das Heft enthält das Gebührenverzeichnis und zahlreiche weitere Tabellen für Gebühren und Kosten, die nicht mit dem Gebührenrad berechnet werden können (Einigungsgebühr, Mahnverfahren, Ehesachen, Strafverfahren, Bußgeldverfahren, Wertgebühren etc.). Fazit: Im Internet gibt es frei verfügbare Gebührenrechner mit größerem Funktionsumfang (frei einstellbarer Gebührensatz, frei einstellbare Auslagen, Einigungsgebühr, Mehrvergleich, mehrere Mandanten, mehrere Anwälte, usw.). Aber: Das Gebührenrad ist ein kleines handliches Instrument und macht Spaß. Die Standardgebühren lassen sich sofort und auf einen Blick ablesen. Man kann es zum Mandantengespräch mitnehmen und hat auch den Text des Gebührenverzeichnisses stets griffbereit. Der Gebührenkalkulator kann daher trotz digitaler „modernerer“ Möglichkeiten durchaus zur Anschaffung empfohlen werden. RA Henry Naeve, Hamburg RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht Klaus J. Hopt (Hrsg.), 4. Aufl. 2013, 2.034 S., mit CD-ROM, 169,00 EUR, Verlag C.H. Beck Das Formularbuch von Hopt behandelt im 1. Teil das Handelsrecht mit dem Recht der Kaufleute, den Handelsgeschäften und dem Transportrecht sowie im 2. Teil das Gesellschaftsrecht mit den verschiedenen Gesellschaftsformen und der Schiedsgerichtsbarkeit. Weitere Teile befassen sich mit dem Bilanzrecht und den Bankgeschäften einschließlich Börse und Kapitalmarkt. Der Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf den Gesellschaftsverträgen und Bankgeschäften, wobei auch das internationale Recht einbezogen ist. Es finden sich diverse Vertragsmuster, Formulierungsvorschläge für verschiedene Erklärungen wie Anmeldungen, Vollmachtserteilungen, Beschlüsse, Gründungsberichte und Gesellschafterlisten, Checklisten (etwa im Bereich Unternehmenskauf) und typische Vertragsbedingungen (z. B. Verkaufs- und Lieferbedingungen). Nach dem jeweiligen Muster werden in ausführlichen Anmerkungen die wesentlichen Rechtsprobleme kurz, präzise und übersichtlich dargestellt und Praxishinweise gegeben. Dabei wird auch auf steuerliche Aspekte sowie Kosten und Gebühren eingegangen. Das Handbuch ist angelehnt an den HGB-Kurzkommentar von Baumbach/Hopt. Die Gliederung in beiden Werken ist weitgehend parallel, was das Auffinden der entsprechenden Stelle im jeweils anderen Werk erleichtert. Es gibt zahlreiche Querverweise auf andere Muster sowie entsprechende Stellen im Kommentar. Die beiliegende CD-ROM enthält entsprechend dem Aufbau im Buch sämtliche Formulare, die sich über die Funktionen „Exportieren“ und „Drucken“ nutzen lassen. Die 4. Auflage befindet sich auf dem Stand Herbst 2012. Sie ist völlig neu bearbeitet, neu gegliedert und erheblich erweitert worden. So wurden insgesamt 31 Vertragsmuster und Formulare zu den bisher nicht berücksichtigten Rechtsformen der AG, KGaA und SE aufgenommen. Eingearbeitet sind u. a. bereits die Änderungen durch das ARUG, das BilMoG, den einheitlichen EuroZahlungsverkehrsraum (SEPA), die Neuregelungen im Zuge der Finanzkrise (etwa die geänderten Bilanzierungsvorschriften für Banken) und die verbesserte Durchsetzbarkeit von Anleger-Ansprüchen bei Falschberatung. Der Herausgeber Dr. Hopt (Professor, Direktor des Max-PlanckInstituts Hamburg, Richter am OLG Stuttgart) sowie das Autorenteam aus diversen Rechtsanwälten, Steuerberatern, Notaren, Wirtschaftsprüfern, Bankjuristen und Syndikusanwälten bürgen für die nötige Qualität. Fazit: Das Werk von Hopt ist die perfekte Ergänzung zum Kurzkommentar von Baumbach/Hopt für Praktiker im Bereich Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht. RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart 58 ADVOICE 04/13 Bücher-FORUM Wirtschaftsstrafrecht Recht der Energiewirtschaft Praxishandbuch Anwaltsmarketing Momsen/Grützner, 1. Aufl. 2013, 1410 S., 179,00 EUR, Verlag C.H. Beck Schneider/Theobald (Hrsg.), 4. Aufl. 2013, 1.467 S., 229,00 EUR, Verlag C.H. Beck Cosack/Hamatschek, 1. Aufl. 2013, 296 S., 59,00 EUR, NWB Verlag Der Aufbau des Buchs orientiert sich an der Struktur der in Rechtsabteilungen von Unternehmen und Wirtschaftskanzleien üblichen Aufteilung in Tätigkeitsfelder und Rechtsgebiete. Besonders relevante und praxisbezogene Aspekte werden in den Mittelpunkt der wissenschaftlich fundierten Darstellung gestellt. Das Handbuch umfasst das gesamte unternehmensrelevante Wirtschaftsstrafrecht mit Umweltstrafrecht, strafrechtlicher Produkthaftung, Außenwirtschaftsstrafrecht und Kriegswaffenkontrollrecht, Insolvenzstrafrecht, Kartellrecht und gewerblichem Rechtsschutz, Kapitalmarktstrafrecht und Marktmissbrauch. Mit dem in vierter Auflage erschienenen Praxishandbuch zum Recht der Energiewirtschaft wird eine Reihe fortgesetzt, die für Qualität und Übersicht steht. Auf knapp anderthalbtausend Seiten findet sich alles, was es zum Energiewirtschaftsrecht im weiteren Sinne nachzuschlagen und zu überlegen gibt. Dabei wird ein weiter Maßstab angesetzt, behandelt wird also nicht das Energiewirtschaftsrecht im engeren Sinne, sondern alle Aspekte, die im Anlagenbau und in -betrieben der Energieerzeugung eine Rolle spielen können. Und damit werden auch Fragen des Kommunalrechts und des Wegerechts ebenso behandelt wie des Umweltrechts und des immer wieder relevanten Kartellrechts. Der Titel des Buches ist Programm. Die beiden Autorinnen, Expertinnen für das Marketing von Anwalts- und Steuerberaterkanzleien, verfolgen das Ziel, ihre anwaltliche Leserschaft anzuleiten, sich erfolgreich am Markt zu positionieren und zu präsentieren, die Beziehungen zu den Mandanten zu vertiefen, Weiterempfehlungen zu aktivieren und neue Mandanten zu gewinnen. Die jeweilige Situation wird aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. Hierbei wird vor allem auf die Darstellung von Unternehmensperspektive, staatsanwaltschaftlicher Ermittlung und der Verteidigungsstrategien Wert gelegt. Besondere praxisrelevante Schwerpunkte bilden die Kapitel: Interne Ermittlungen, Compliance und Korruptionsbekämpfung. Aber auch die anderen Kapitel sind nicht weniger praxisrelevant. Jedes Delikt wird schulmäßig erklärt. Sehr positiv fällt auf, dass jeweils auch auf Strafzumessung und, besonders relevant, auch auf die zu erwartenden Nebenfolgen hingewiesen wird. Dr. Carsten Momsen ist Professor an der Universität Hannover und hat den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht inne. Dr. Thomas Grützner ist Rechtsanwalt bei Baker & McKenzie Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Solicitors in München. Fazit: Nach eigenen Angaben ist das Handbuch für Syndici, Juristen und Compliance-Beauftragte in Unternehmen, für strafrechtlich orientierte Rechtsanwälte oder für Juristen in Wirtschaftsverbänden, in Handwerks-, Industrie- und Handelskammern und für Rechtswissenschaftler gedacht. Dies kann definitiv bestätigt werden. Das Buch ist kein Werk für wirkliche Anfänger, sondern geht sehr stark in die Tiefe. Teilweise wirkt das Handbuch, vor allem bei den verschiedenen Delikten eher wie ein Kommentar als ein wirkliches Handbuch. Doch machen Tipps und Tricks das Buch dennoch zu einem sehr guten Werk, dass ich nur absolut empfehlen kann. RAin Christina Worm, Essen Die schwierige Aufgabe der Darstellung von 16 unterschiedlichen Länderrechten etwa im Kommunal-, Straßen- oder Baurecht meistern die drei Autorinnen und 17 Autoren des Praxishandbuchs durchweg gut. Bei der Prüfung einer konkreten Investition werden so die wesentlichen Prüfungspunkte mithilfe des vorliegenden Buches deutlich. In einzelnen Sachfragen wird man jedoch nicht umhin kommen, spezielle Literatur z. B. zum kommunalen Gemeindewirtschaftsrecht zur Hand zu nehmen. Deutlich zu kurz geraten erscheint das in der Anwaltspraxis boomende Energieumweltrecht in seiner Darstellung im Handbuch. Weder werden die europäischen Entwicklungen zur Förderung erneuerbarer Energien ausreichend dargestellt noch wird ein vorgerichtliches Schlichtungsverfahren wie die seit 2007 bestehende Clearingstelle EEG mit den verschiedenen dort laufenden Verfahren hinreichend beschrieben. Das Praxishandbuch wendet sich an viele im Energiewirtschaftsrecht Tätige und kann auch von vielen genutzt werden – so sind die Darstellungen im Kapitel zum Energielieferungsvertrag durchaus tauglich, um auch verbraucherrechtliche Fragestellungen zu bearbeiten, etwa Preisanpassungen zu überprüfen oder das anwaltliche Vorgehen bei Insolvenz des Energielieferanten zu planen. Fazit: Als äußerst hilfreich für die tägliche Arbeit erweisen sich das sehr feingliedrige Inhaltsverzeichnis und das umfangreiche Stichwortverzeichnis ebenso wie eine im Anhang befindliche Liste europäischer Richtlinien und Verordnungen mit Bezug zum Energiewirtschaftsrecht. Die Herausgeber führen damit eine Tradition fort, die begann, als Europa für viele noch ein Randthema war, die aber auch in Zeiten der Europäischen Union und der Umsetzung der Binnenmarktrichtlinien immer wieder ihre Berechtigung hat. RAin Juliane Hilbricht, Fachanwältin für Familienrecht, Solingen In einem knappen Einführungsabschnitt stellen die Autorinnen zunächst die vier exemplarischen Kanzleitypen des Existenzgründers, des Einzelanwalts, der kleinen bis mittleren Sozietät sowie der interdisziplinären Kanzlei vor, deren unterschiedlicher Beratungsbedarf die Basis der in den Folgeabschnitten entwickelten Lösungsansätze für ein erfolgreiches Kanzleimarketing darstellt. Innerhalb der fünf Folgeabschnitte zu den „Handlungsfeldern“ Strategie, Beziehungspflege, aktives Empfehlungsmarketing, überzeugender Außenauftritt und Marketingplan präsentieren die Autorinnen dann je mehrere Kapitel mit konkreten „Erfolgshebeln“, die zunächst im Überblick dargestellt und sodann in den größeren Kontext eingeordnet werden. Im Anschluss werden konkrete Lösungsansätze benannt und die für ihre Implementierung sprechenden Gründe dargelegt. Sodann werden praktische Umsetzungsbeispiele präsentiert, wobei der Leser durch Fragebogen und Checklisten zur Selbstanalyse aufgefordert wird; zur Anregung eigener Ideen dienen insoweit exemplarische Umsetzungsbeispiele für die vier unterschiedlichen Kanzleitypen. Abschließend geben die Autorinnen den Lesern in Form von Maßnahmenkatalogen oder Aktivitätenplänen ausgearbeitete Hilfestellungen zur praktischen Umsetzung des jeweiligen Erfolgshebels an die Hand. Die didaktische Aufbereitung des unterhaltsam geschriebenen Buches ist gut gelungen, Kernaussagen sind optisch hervorgehoben, Querverweise vermitteln Zusammenhänge zwischen den Themenblöcken. Das Inhaltsverzeichnis gibt alle Gliederungspunkte wieder, so dass man sich schnell im Buch zurecht findet; das Stichwortverzeichnis ist dagegen knapp gehalten. Fazit: Die Autorinnen versetzen ihre Leserschaft in die Lage, sich selbst aktiv ein ebenso individuelles wie professionelles Marketingkonzept zu erarbeiten, umzusetzen und - auch im Austausch mit den Autorinnen u. a. über XING - weiter zu perfektionieren. Ein Kauf, der sich bezahlt macht! RA Jens David Runge-Yu, Freiburg i. Br. ADVOICE 04/13 59 Bücher-FORUM Anwalts-Handbuch Arbeitsrecht Arbeitsrecht – Handbuch für die Praxis Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht Ulrich Tschöpe (Hrsg.), 8. Aufl. 2013, 3.035 S., 139,00 EUR, Verlag Dr. Otto Schmidt Kittner/Zwanziger/Deinert (Hrsg.), 7. Aufl. 2013, 2.892 S., mit Online-Ausgabe,168,00 EUR, Bund-Verlag Maschmann/Sieg/Göpfert (Hrsg.), 1. Aufl. 2012, 1.049 S., 119,00 EUR, Verlag C.H. Beck Die Neuauflage des Anwalts-Handbuch Arbeitsrecht mit Rechtsund Gesetzesstand 1.1.2013 ist komplett überarbeitet. Das sich aus erfahrenen Anwälten und Richtern zusammensetzende 27köpfige Autorenteam richtet sein Handbuch in Umfang und Themengewichtung an den Bedürfnissen des Praktikers aus. Daher ist der Aufbau des Buchs an den Ablauf eines anwaltlichen Mandats angelehnt, in dem die Autoren das gesamte formelle und materielle Arbeitsrecht zuzüglich der Schnittstellen – etwa zum Sozialrecht – erläutern. Die Neuauflage des Arbeitsrecht – Handbuch für die Praxis hat den Rechts- und Gesetzesstand 1.1.2013. Die 13 Autoren und Herausgeber – erfahrene Anwälte, Richter und Professoren – fokussieren das gut strukturierte und umfassende Werk auf sämtliche arbeitsrechtliche Streitfragen, die in der Praxis eines Arbeitnehmerberaters auftauchen können samt den darüber hinausgehenden typischen Schnittstellen zum Sozial- oder Steuerrecht. Die 21 Autoren haben das dreigeteilte Werk konzeptionell darauf angelegt, den Arbeitsrechtspraktiker in die Lage zu versetzen, bestehende und geplante Vertragsgestaltungen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung kritisch auf ihre Rechtswirksamkeit prüfen, ihre positiven oder negativen Folgen richtig beurteilen und sodann im Sinne eines sicheren Wegs ebenso ausgewogene wie rechtssichere Lösungsvorschläge für den betrieblichen Alltag finden zu können. „Der Kittner“ gefällt mit Aktualität und gelungener Schwerpunktsetzung. Neueste Gesetze sind integriert, etwa das Beschäftigungschancengesetz und die Instrumentenreform im SGB III, die AÜG-Reform, das Mediationsgesetz oder die Neuregelung der Rechtsbehelfe bei überlangen Verfahren. Intensiv bearbeiten die Autoren den steigenden Einfluss der Rechtsprechung des EGMR, etwa zum Whistleblowing oder zur Privatsphäre und zu Loyalitätspflichten kirchlicher Arbeitnehmer. Aktuelle BAG-Entscheidungen zur Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz, zur Tarif(un)fähigkeit der CGZP, zu tariflichen Differenzierungsklauseln oder zur Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl sind erörtert. Der 1. Teil (85 S.) führt in die Grundlagen der Vertragsgestaltung ein und behandelt dabei in drei Abschnitten die Grundfragen, die Grenzen und die Technik der Vertragsgestaltung. Der siebenteilige „Tschöpe“ beginnt in Teil 1 mit der Begründung von Arbeitsverhältnissen und ihrer vertraglichen Gestaltung und wendet sich in Teil 2 den Regelungen im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses zu. Es folgen die Änderung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Teil 3 und die Teile 4 und 5 zum kollektiven Arbeitsrecht und zum Arbeitsgerichtsverfahren. Teil 6 widmet sich dem Arbeitnehmerschutz, bevor Teil 7 zur Arbeitsförderung und zum Rentenrecht das Werk abrundet. Erneut besticht das Werk mit Aktualität und Praxistauglichkeit. Aus der neuen Gesetzgebung sind z. B. das Gesetz zu Änderung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung, die AÜG-Reform, das Mediationsgesetz, das Transplantationsgesetz, das Familienpflegezeitgesetz oder das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt beachtet. Ferner sind die aktuellen BAG-Entscheidungen zur Zulässigkeit der Videoüberwachung am Arbeitsplatz, zur Tariffähigkeit der CGZP, aus dem Kündigungsrecht die Entscheidungen zur Kleinbetriebsklausel und zu Leiharbeitnehmern oder zur Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl sowie die EuGH-Entscheidungen zur Wirksamkeit von Kettenbefristungen, zur zeitlichen Beschränkung des Urlaubsabgeltungsanspruchs oder zum Auskunftsanspruch abgelehnter Bewerber eingearbeitet. Das erweiterte Kündigungs-ABC listet diverse Kündigungsgründe auf. Ein neues Kapitel bündelt die Themen Elternzeit, Pflegezeit und Familienpflegezeit. Viele Checklisten, Musterformulierungen und (taktische) Hinweise dienen der Problemlösung. Optisch hervorgehobene Schlagworte und das Stichwortverzeichnis verbessern die Handhabung des Werks. Fazit: Der „Tschöpe“ ist mit der gelungenen Aufbereitung der vielfältigen Themen und seiner Aufmachung ein Leuchtturm in der arbeitsrechtlichen Literatur. Mit ihm lassen sich alle denkbaren arbeitsrechtlichen Problemstellungen geschickt lösen. Somit ist dieser Klassiker allen Arbeitsrechtlern unbedingt zu empfehlen. Das siebenteilige Handbuch zeigt in Teil 1 Grundlagen des Arbeitsrechts. Teil 2 ist der Begründung und dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit Ausführungen zur Anbahnung oder den Leistungsstörungen gewidmet. Teil 3 beleuchtet das praktisch wichtigste Thema, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Kündigung, Auflösungsvertrag und sozial- und steuerrechtlichen Folgen. Teil 4 stellt übergreifende Fragen zum Betriebsübergang, Datenschutz und Insolvenz etc. dar. Bachner analysiert den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des § 613a BGB neben den Auswirkungen des Betriebsübergangs auf das Arbeitsverhältnis, die Betriebsverfassung oder den Tarifvertrag. Teil 5 widmet sich besonderen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen oder Branchen und Berufen. Das überstaatliche Arbeitsrecht ist Teil 6 vorbehalten, bevor Zwanziger in Teil 7 das Arbeitsgerichtsverfahren mit den Grundlagen der Rechtsdurchsetzung, den Zugang zur Arbeitsgerichtsbarkeit, den Schwerpunkten des Verfahrens erster Instanz, den Prozessvergleich, den Kosten bis zum einstweiligen Rechtsschutz erläutert. Das Stichwortverzeichnis, der aktuelle Fußnotenapparat, die Hervorhebungen und Tabellen mehren neben der neuen OnlineAusgabe mit Rechtsprechung, Gesetzen und Musterformularen den Nutzwert des Werks. Fazit: „Der Kittner“ – absolut gewinnbringend in der Arbeitnehmerberatung! RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock 60 ADVOICE 04/13 Der 2. Teil (140 S.) präsentiert eine Vielzahl gängiger Vertragsund Gestaltungsmuster (Arbeitsverträge und Verträge zur betrieblichen Berufsbildung, freie Dienstverträge sowie Muster für Sonderabreden), die auch im Internet (www.masig.beck.de) im Word-Format abrufbar sind. Im 3. Teil (794 S.) werden 62 praxisrelevante Vertragsklauseln von A bis Z nach einem festen Schema eingehend analysiert. Nach einem Blick auf die Interessenlage der Parteien und auf die gesetzlichen Vorgaben folgt zu jedem Themenkomplex eine prägnante Erläuterung der verschiedenen Klauselgestaltungen. Auch Alternativklauseln werden behandelt, und vor nicht empfehlenswerten Klauseln wird gewarnt. Im Anschluss werden wertvolle Hinweise zur Verhandlungstaktik gegeben sowie gegebenenfalls zur Mitbestimmung und zu steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekten. Abschließend erfolgt ein Verweis auf weiterführende Literatur. Die Gliederungssystematik folgt einem stringenten Muster, die Orientierung im gut verständlichen Text fällt deshalb trotz eines rudimentären Inhaltsverzeichnisses leicht. Zudem hilft das ausführliche Stichwortverzeichnis, Gesuchtes zu finden. Der Text selbst ist durch selektiven Fettdruck von Schlüsselwörtern und Hervorhebung von zahlreichen Formulierungsvorschlägen und Beispielen durchgängig didaktisch und optisch ansprechend aufbereitet. Fazit: Die Neuerscheinung zur arbeitsrechtlichen Vertragsgestaltung überzeugt auf Anhieb durch einen sehr hohen Gebrauchswert, die all denjenigen, die mit der Gestaltung oder Überprüfung von Arbeits- und Dienstverträgen befasst sind, trotz starker Konkurrenzwerke mit vergleichbarem Ansatz nur wärmstens zum Kauf empfohlen werden kann. RA Jens David Runge-Yu, Freiburg i. Br. Bücher-FORUM Kündigungsschutzgesetz Kommentar zum Mediationsgesetz Münchener AnwaltsHandbuch Sozialrecht v. Hoyningen-Huene/Linck, 15. Aufl. 2013, 2.503 S., 89,00 EUR, Verlag C.H. Beck Fritz/Pielsticker (Hrsg.), 1. Aufl. 2012, 1.092 S., inkl. jBook, 69,00 EUR, Luchterhand Verlag Hermann Plagemann (Hrsg.), 4. Aufl. 2013, 1.589 S., 129,00 EUR, Verlag C.H. Beck Gut jedes dritte Verfahren der jährlich über 600.000 Arbeitsgerichtsprozesse ist eine Kündigungsschutzstreitigkeit. Klar, dass Rechtsprechung und Literatur in der wichtigsten Arbeitsrechtssparte ständig mehr werden, was sich im Umfang dieses Werks widerspiegelt. Am 26. Juli 2012 ist das Mediationsgesetz in Kraft getreten, welches die Mediation in Deutschland erstmals auf eine breite gesetzliche Basis stellt. Der Buchmarkt hat recht rasch auf diese Entwicklung reagiert. Neben zahlreichen Büchern und Leitfäden gibt es bereits drei Kommentare. Aus dem Hause des Luchterhand Verlags stammt der von Fritz und Pielsticker herausgegebene Kommentar zum Mediationsgesetz. Die 4. Auflage bringt das Münchener AnwaltsHandbuch Sozialrecht auf den Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung von Januar 2013. Nach drei Jahren war dies erforderlich, da diese Phase in dem von großer Dynamik geprägten Sozialrecht lebhaft war. Entscheidend waren jüngst die Urteile des BVerfG zu den Regelsätzen gemäß SGB II und AsylbewerberleistungsG, wodurch der Rechtfertigungsdruck auf den Gesetzgeber, die Sozialleistungsträger und die Sozialgerichtsbarkeit stieg. In der Folge verschärfte sich das Bewusstsein für die Grundrechtsrelevanz in der sozialrechtlichen Praxis aller Leistungsbereiche. Die Autoren sind mit Gerrick v. Hoyningen-Huene, Rüdiger Link und Rüdiger Krause führende Arbeitsrechtler im Bereich des Kündigungsschutzes, die über einen großen Erfahrungsschatz als Professoren oder BAG-Richter verfügen. Ziel des Standardkommentars ist ausweislich des Vorworts die wissenschaftlich fundierte Erläuterung des Kündigungsschutzrechts für die Praxis. Mit Rechtsstand vom 30.9.2012 bieten die Autoren Anwaltschaft, Justiz und betrieblicher Praxis ein aktuelles Werk für eine hohe Beratungsqualität. Das dreiteilige Werk beginnt mit dem Abdruck des Gesetzeswortlauts. Die Einleitung in Teil B. geht auf die Entwicklung, Zielsetzung, Entstehung, verschiedene gesetzliche Reformen, den Inhalt des KSchG, sein Verhältnis zum sonstigen Kündigungsschutz bis zu seinem Geltungsbereich ein. In Teil C. folgt die Kommenterung der Vorschriften. Großer Schwerpunkt sind Krauses 377-seitige Ausführungen zu § 1 KSchG. Selten erhält man eine so große Erkenntnis bringende Erläuterung der Kündigungsschutzvoraussetzungen, der Sozialwidrigkeit, zu den Gründen in der Person des Arbeitnehmers (Abs. 2 Satz 1), die Erläuterung einzelner personenbedingter oder verhaltensbedingter Kündigungsgründe oder zur Sozialauswahl (Abs. 3). Daneben fallen die Ausführungen zu §§ 2 und 4 auf. Natürlich sind in das Werk die neuesten Entwicklungen des Kündigungsrechts eingepflegt. Neben dem Umgang mit Bagatelldelikten, der Bedeutung des AGG im Kündigungsrecht, der neuen Rechtsprechung zum Kleinbetrieb, der EGMR-Rechtsprechung zum Whistleblowing oder der „Junk“-Entscheidung des EuGH zum Umgang mit Massenentlassungen sind die Kündigung von Schwerbehinderten, der Kündigungsschutz von Datenschutz- und Compliance-Beauftragten, die Zulässigkeit von Altersgruppen bei Sozialauswahl und die Auswirkungen der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG bearbeitet. Eine übersichtliche Gestaltung, ausführliche Gliederungen vor den Kommentierungen und der aktuelle Fußnotenapparat gewähren schnelle Orientierung im Buch. Fazit: Die gute thematische Gewichtung mit aktueller Auswertung der gesamten Rechtsprechung und die klare Sprache machen den Kommentar Kündigungsschutzgesetz zum souveränen Begleiter in der Bearbeitung kündigungsschutzrechtlicher Verfahren. Ganze neun Paragraphen umfasst das Mediationsgesetz und im Vergleich zu manch anderem neuen Gesetz fällt auf, dass sich der Gesetzgeber bei der Formulierung der einzelnen Paragraphen eher kurz gehalten hat. Daher fällt beim Kommentar von Fritz und Pielsticker auch direkt der Umfang ins Auge und die neugierige Frage: Was mag man denn in ganzen neun Paragraphen an Stoff finden, um einen solch umfangreichen Kommentar herauszubringen? Die Antwort findet sich gleich im Inhaltsverzeichnis: Der Kommentar umfasst neben einer Einleitung zur Geschichte der Mediation auch die Kommentierung zu weiteren relevanten Vorschriften wie z. B. im BGB oder FamFG. Alle Vorschriften, die von den Auswirkungen des Mediationsgesetzes betroffen sind, wie beispielsweise § 253 ZPO mit den Angaben in der Klageschrift, werden hier ebenfalls kommentiert. Der Kommentar beschränkt sich jedoch nicht hierauf, sondern geht in weiteren Kapiteln auf die Methodik und den Anwendungsbereich der Mediation sowie andere Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung ein und ähnelt in diesem Teil eher einem Lehrbuch. Zahlreiche Beispiele, Mustervereinbarungen und Formulierungsvorschläge sind sehr praxistaugliche Hilfen für die tägliche Arbeit im Bereich der Mediation. Die acht Bearbeiter des Kommentars setzen sich aus unterschiedlichen, auch nichtjuristischen Berufsgruppen zusammen. Den Kommentar kann man zusätzlich als jBook online freischalten und so Online-Zugriff auf alle zitierten Vorschriften erhalten oder wie in einer Datenbank recherchieren. Fazit: Der Kommentar von Fritz und Pielsticker bietet neben der Kommentierung zum Mediationsgesetz zahlreiche weitere Ausführungen und dadurch einen echten Mehrwert mit einem umfassenden Blick auf die gesamte Thematik. Mit dem Kauf dieses Kommentars hat man einen guten praxisorientierten Ratgeber, der den Erwerb von zahlreichen weiteren Leitfäden eigentlich entbehrlich macht. Der Kommentar ist in der Anschaffung zwar nicht günstig, aber Umfang und Qualität rechtfertigen diesen Preis allemal. Die 30 Autoren um Herausgeber Hermann Plagemann sind erfahrene Anwälte und Richter, die den Sparten des Sozialrechts besonders zugewandt sind. Ihnen gelingt ein Handbuch mit fundierter und strukturierter Darstellung der komplexen Materie. Daneben erfreuen den Leser die verständlichen wie umfassenden Antworten auf wesentliche sozialrechtliche Fragen, die mit vielen Praxis- und Beratungstipps, (Prüfungs-)Checklisten, Formulierungen, Mustern, Tabellen und Übersichten gespickt sind. Das Werk ist in zwölf Teile gegliedert, die selbst in Paragraphen aufgeteilt sind. Ausgehend vom sozialrechtlichen Mandant (Teil A) stellt das Handbuch die Versicherungs- und Beitragspflichten, die Arbeitsförderung (inkl. SGB II), die gesetzliche Kranken-, Rentenund Unfallversicherung, die Rehabilitation, die Pflegeversicherung, das Kindergeld und Elterngeld, die soziale Entschädigung, die Sozialhilfe und – ausführlich – das Verfahrensrecht (Teil L) dar. In das komplett überarbeitete Werk fügten die Autoren neue Kapitel ein, z. B. das betriebliche Eingliederungsmanagement, die Mediation, den Rechtsschutz bei überlangen Verfahren oder die Voraussetzungen von Stundung, Niederschlagung, Erlass, § 76 SGB IV. Neben dem Schwerpunkt beim SGB III sind die Kapitel zur Betriebsprüfung und zum Regress der Sozialleistungsträger, §§ 93, 94 SGB XII, 33 SGB II sehr lesenswert. Den Praktiker überzeugt Teil L mit Tipps zur Analyse eines Rentengutachtens, den Kapiteln zum Verwaltungsverfahren und vorläufigen Rechtsschutz sowie die angemessene Bearbeitung des Kosten- und Vergütungsrechts. Fazit: „Der Plagemann“ bleibt eine Klasse für sich! Er gewährt mit seiner Informationsfülle einen nahezu unerschöpflichen Fundus, um komplexe Sachfragen oder Einzelprobleme praxisgerecht zu lösen. Er ist als Begleiter in der Fachanwaltsausbildung und als Nachschlagewerk für den erfahrenen Sozialrechtler zu empfehlen. RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock RA Florian Wörtz, Stuttgart RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock ADVOICE 04/13 61 Bücher-FORUM SGB IX Kommentar Vertragsbuch Gesellschaftsrecht Beck’sches Formularbuch Zwangsvollstreckung Bernhard Knittel, 7. Aufl. 2013, 1.812 S., 139,00 EUR, Luchterhand Verlag Hamann/Sigle (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, 927 S., 129,00 EUR, Verlag C.H. Beck Hasselblatt/Sternal (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, 1.836 Seiten, 139,00 EUR, Verlag C.H. Beck Das für die anwaltliche Tätigkeit im Sozialrecht wie im Arbeitsrecht gleichermaßen interessante Werk ist in gewohnt hervorragender Qualität in der 7. Auflage erschienen. Neben dem gesamten SGB IX ist auch das AGG kommentiert. Wenige Rechtsgebiete sind im Bereich der Vertragsgestaltung so vielschichtig wie das Gesellschaftsrecht. Angefangen bei den Vorfragen zur Gründung, beispielsweise der Wahl der richtigen Unternehmensform, legen die Verfasser des nun in zweiter Auflage vorliegenden Vertragsbuch Gesellschaftsrecht eine praktische Arbeitshilfe vor, die schematisch den „Werdegang“ eines Unternehmens begleitet. Das Werk befasst sich mit den Vorfragen zur Gründung (1. Teil), der Gründung der Gesellschaft (2. Teil), deren Wachstum (3. Teil) und der Übertragung und Nachfolge (4. Teil) in insgesamt 22 Kapiteln. Das Darstellungsspektrum reicht von den verschiedenen (auch ausländischen) Gesellschaftsformen über die Gründung von Tochtergesellschaften und Kooperationen bis hin zu Problemen im Rahmen des Unternehmertestaments. Es gibt nicht nur den Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen, sondern auch den zwischen einem obsiegenden Urteil und der Befriedigung der Forderung. Die Folgen eines Forderungsausfalls können für Betroffene existentielle Folgen haben. Für die Schuldnerseite ist es ebenfalls äußerst bedeutsam, dass auch in der Phase nach einem verlorenen Rechtsstreit nicht Hopfen und Malz verloren sein müssen. Umso wichtiger ist die umsichtige und sachkundige anwaltliche Vertretung in diesem Stadium. Aufgrund der jährlichen Erscheinungsweise sind die neuesten Entwicklungen im Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen berücksichtigt. Unter der Webadresse www.behinderungundarbeit.de kann kostenpflichtig auf den laufend fortgeschriebenen online-Kommentar zugegriffen werden. Interessant ist das kostenfreie Angebot mit Blog, Newsletter, Downloads sowie Updates. Der Autor gilt als einer der Kenner des Rehabilitations- und Schwerbehindertenrechts. Er hat die Einführung des SGB während seiner Tätigkeit im Justizministerium begleitet. Ihm gelingt es sehr gut, die komplexen juristischen Sachverhalte im Schwerbehindertenrecht leicht verständlich darzustellen. Dabei hilfreich ist der Aufbau des Kommentars: Durch die Beibehaltung eines einheitlichen Schemas bei der Kommentierung der einzelnen Vorschriften ist er übersichtlich gestaltet. Sämtliche Vorschriften sind nach Bedeutung der Vorschrift, Fassung, Begründung, Anmerkungen und Literatur untergliedert. Im Bereich „Bedeutung der Vorschrift“ wird ihr Inhalt erklärt, unter dem Punkt „Fassung“ werden die entsprechenden Gesetzesänderungen aufgeführt. Besonders hervorzuheben sind die Auszüge aus den BT-Drucksachen zur „Begründung“ der Normen. Unter der Überschrift „Anmerkungen“ erfolgt die eigentliche Kommentierung: zum Beispiel § 81 SGB IX – Prüfungspflicht der Arbeitgeber, ob für einen neu zu besetzenden Arbeitsplatz ein schwerbehinderter Arbeitnehmer in Frage kommt. Das Prüf- und Konsultationsverfahren muss bei Leiharbeitnehmern der Entleiher durchführen. Unerheblich ist die tatsächliche Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem schwerbehinderten Leiharbeitnehmer. Arbeitsplatzbeschreibung und Anforderungsprofil sind für eine arbeitsplatzorientierte Beurteilung von Behinderungsauswirkungen im Sinne einer Qualifikationsanalyse festzulegen. Die festgestellte Qualifikationsstruktur kann ergeben, dass bestimmte Behinderungen für den Einsatz ausgeschlossen sind. Es ist zu prüfen, ob eine behindertengerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes einen besseren Zugang für behinderte Arbeitnehmer ermöglicht. Fazit: Auch einem bisher nicht in der Materie bewanderten Juristen erschließen sich durch die gut verständliche und vollständige Kommentierung schnell die Zusammenhänge im Schwerbehindertenrecht. RAin Ines Müller-Baumgarten, Fachanwältin für Sozialrecht, Bielefeld 62 ADVOICE 04/13 Als wichtigste Neuerung zur Vorauflage sind die sechs Vertragsmuster, darunter Gesellschafterverträge für die GmbH sowie die GmbH & Co. KG, zu nennen. Die Muster liegen in deutscher und englischer Sprache vor. Leider ist eine digitale Fassung nicht im Lieferumfang enthalten. Die Darstellung beschränkt sich nicht auf die Thematisierung der innerhalb des Gesellschaftsrechts auftretenden Vertragstypen, sondern erlaubt dem Leser einen Einblick in darüber hinausgehende gesellschaftsrechtliche Problematiken. So enthält § 10 beispielsweise Ausführungen zu verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten zur Sicherung und Ermöglichung des eigenen Fortkommens. So wird sichergestellt, dass dem beratenden Rechtsanwalt eine Information des Mandanten „über den Tellerrand hinaus“ möglich wird. Das Vertragsbuch richtet sich in erster Linie an Praktiker und ist auch von Praktikern verfasst. Gut gefallen in diesem Zusammenhang die zahlreichen, in den Text eingearbeiteten Formulierungsbeispiele sowie die umfassenden Literatur- und Rechtsprechungsnachweise, die eine eigene, vertiefte Auseinandersetzung mit speziellen Problemen erleichtern. Fazit: Im Ergebnis stellt das Vertragsbuch Gesellschaftsrecht ein mit breit aufgestelltem Wissen glänzendes Nachschlagewerk dar, das durch die zahllosen Formulierungsbeispiele die Vorteile eines Handbuches und eines Formularbuches vereint. Der zunehmenden Internationalisierung wurde durch die Neuauflage, insbesondere durch das nun eigenständige Kapitel zur SE und den zweisprachigen Mustern, Rechnung getragen. RA Tim Wegmann, LL.M., Velbert Das Beck’sche Formularbuch Zwangsvollstreckung umfasst 600 Muster und Checklisten sowohl zur Mobiliar- als auch zur Immobiliarvollstreckung. Die Mustertexte richten sich mit Anmerkungen sowohl an den Gläubiger als auch den Schuldnervertreter und enthalten zahlreiche höchst hilfreiche Praxistipps. Das Formularbuch fängt chronologisch bei der Vorbereitung der Zwangsvollstreckung an und handelt dort alle relevanten Maßnahmen ab, die im Vorfeld von Zwangsmaßnahmen ergriffen werden können. Neben mehr oder weniger bekannten Informationsrecherchen bei Schuldnerkartei, Detekteien oder der Schufa sind dies auch die Beantragung von PKH oder die Korrespondenz mit Rechtsschutzversicherungen. In anschließenden Kapiteln werden die allgemeinen Voraussetzungen einer Zwangsvollstreckung abgehandelt, bevor die Autoren sehr ausführlich und umfangreich auf die einzelnen Vollstreckungshandlungen ins bewegliche und unbewegliche Vermögen eingehen. Egal ob die Pfändung des Kindergeldanspruchs, die Pfändung der Ansprüche eines Gefangenen oder die Pfändung von Sozialleistungen – die Autoren lassen keinen Lebensbereich aus. In den abschließenden Kapiteln geht das Formularbuch auch auf die in der Praxis weniger zahlreich vorkommenden Zwangsvollstreckungen zur Erwirkung der Herausgabe, bei Abgabe einer Willenserklärung oder das Verteilungsverfahren ein. Sehr hilfreich sind die abschließenden Kapitel mit den Rechtsbehelfen oder Vollstreckungsverfahren mit Auslandsbezug. Fazit: Das Formularbuch umfasst alles, was das zwangsvollstreckungsrechtliche Herz begehrt. Mit seinen zahlreichen Mustern und Checklisten ist jeder Anwalt bestens gewappnet in diesem Stadium nach Abschluss des Erkenntnisverfahrens. Es lässt angesichts der Fülle der dargestellten Einzelfälle wohl keinen Lebensbereich aus, in welchem vollstreckt werden kann. RA Florian Wörtz, Stuttgart Autorenverzeichnis Stefan Peveling ist Rechtsanwalt in Köln. Sein Studium, zu dem neben Jura auch Anglistik und Philosophie gehörten, absolvierte er in Würzburg und in Warwick (England). Als Rechtsanwalt ist er hauptsächlich im Zivilrecht tätig, dort im Wirtschafts-, Urheber- und Presserecht. [email protected] Paola Carega ist freie Journalistin und arbeitet am Deutschen Institut für Menschenrechte Berlin. Sie betreut die Öffentlichkeits- und Pressearbeit im Projekt „Anwaltschaft für Menschenrechte und Vielfalt“. Das Projekt entwickelt Fortbildungen zum menschenrechtsbasierten Diskriminierungsschutz und zu Diversity. [email protected] Steffen Eube ist angestellter Jurist bei HDI Firmen und Privat Versicherung AG und dort im Zentralen Underwriting Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung tätig. [email protected] Astrid Bauer studierte Rechtswissenschaften in Rostock und ist derzeit Referendarin im OLG-Bezirk Brandenburg/Havel. Zwischen Studium und Referendariat arbeitete sie in einer Unternehmensberatung. Ihr Interessenschwerpunkt liegt im Datenschutzrecht. Laura L. Stoll Mediatorin, Studium der Rechtswissenschaft und Psychologie, Bundesvorstandsmitglied, Medienpolitische Sprecherin und stellv. Vorsitzende der Internationalen Kommission für Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik der Jungen Union Deutschlands, Mitglied der CDU, lebt in Hamburg. Prof. Dr. h. c. Gerd Biegel ist Direktor des 2009 gegründeten Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte an der TU Braunschweig und Honorarprofessor für Ethnomathematik an der TU Braunschweig. Sandra Viol ist Justiziarin beim Musikvertrieb Groove Attack in Köln. Die Assessorin legte im Referendariat ein besonderes Gewicht auf internationale Beziehungen und absolvierte ihre Wahlstage beim Deutschen Entwicklungsdienst DED (heute GIZ). Frauke Zylka ist seit 2013 selbständige Rechtsanwältin in Weimar mit den Schwerpunkten Vertragsrecht, Verkehrs- und Familienrecht. In ihrer Freizeit bereist sie gerne fremde Länder und erweitert ihren kulturellen Horizont. www.ra-zylka.de b Werdet AdVoice-Autoren! Wir suchen Autoren, die Lust haben, mit uns zusammen juristische Welten auszuleuchten. Wir sind auf Eure Ideen und Anregungen gespannt und freuen uns auf Eurer Beiträge. Meldet Euch per Mail bei der Redaktion. Schickt Eure Vorschläge und Texte an [email protected] Tobias Sommer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in der Kanzlei 24 IP Law Group. Er war als freier Journalist tätig und ist seit 2006 Chefredakteur der AdVoice. [email protected] ADVOICE 04/13 63 Das letzte Wort Fotos Titelseite: Alle Tassen im Schrank!? arkadius neumann_pixelio.de Gabi Eder_pixelio.de Anwalt nutzte Züchtigungsszenen für Werbung Na, ist das nichts, einen heißen Kaffee aus einem Becher getrunken, auf dem bildlich verbotene körperliche Züchtigung oder ein Suizidversuch abgedruckt sind? Da schmeckt der Latte Macchiato doch dreimal gut, dachte offenbar ein Rechtsanwaltskollege aus dem Ort Brühl bei Bonn und ließ entsprechende Werbemittel für Mandanten anfertigen. Doch bevor er den Schritt an die gespannte Öffentlichkeit wagte, informierte er die zuständige Rechtsanwaltskammer Köln von seinem Vorhaben. Diese machte ihm prompt einen Strich durch die Rechnung und kam zum Ergebnis: unvereinbar mit dem Standesrecht. Dessen nicht genug rief er den zuständigen Anwaltsgerichtshof an. Dieser entschied allerdings, dass die Äußerung der Rechtsanwaltskammer eine Belehrung zwar, aber kein Verwaltungsakt sei, der gerichtlich überprüft werden könnte, und wies seine Vorabbeschwerde zurück. (AGH NRW, Az. 2 AGH 3/13) Damit etwas draus wird, müssten die Tassen schon in Umlauf gebracht werden. Ob sich der Brühler Kollege traut? Unvereinbar mit dem Standesrecht. Kaffeetassen mit Gewaltszenen. RA Patrick Ruppert, Köln Foto: Andrea Vollmer jokerbomber_pixelio.de Impressum: Redaktion: Stefanie Salzmann, RA Patrick Ruppert / Bildredaktion: Andrea Vollmer / Bücherforum: RA Jens Jenau / V.i.S.d.P.: RA Tobias Sommer (Chefredakteur) Anschrift wie Herausgeber Fotos S. 2: Stephan Eichler, Stefan Höderath Herausgeber: Geschäftsführender Ausschuss des FORUMs Junge Anwaltschaft im DAV, Berlin Littenstraße 11, 10179 Berlin Tel. 030/7261520 Erscheinungsweise: vierteljährlich (1./2./3./4. Quartal) Es gilt die Anzeigenpreisliste 1/2014 Anzeigen: sales friendly Verlagsdienstleistungen, Bettina Roos Siegburger Str. 123, 53229 Bonn Tel. 0228/97898-10, Fax: 0228/97898-20 E-Mail: [email protected] Bezugspreis: 48,00 Euro (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten für 4 Ausgaben / Einzelheft: 14,50 Euro / Für Mitglieder des FORUMs Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN 1437-3084 Layout / Satz: gudman design weimar, www.gudman.de Lektorat: Nora Döring, BILDART Druck: Buch- & Kunstdruckerei Keßler GmbH, Weimar Artikel und Beiträge sind Meinungsäußerungen der Autoren und geben nicht immer die Meinung der Redaktion bzw. des Deutschen Anwaltvereins und seiner Gremien wider. Redaktionsschluss Heft 1/2014: 21. Februar 2014 ADVOICE 01/14 Ausbildung Die Anwaltsausbildung ist lang, aufwändig und erfordert vor allem ständig Entscheidungen, wohin die Reise beruflich gehen soll. Die AdVoice beschäftigt sich in ihrer nächsten Ausgabe mit der Frage, welche Tätigkeitsfelder im juristischen Ausbildungspaket schon mit drin sind und welche man dazukaufen muss. Wir befassen uns mit Schul- und Hochschulrecht und der möglichen Rechtsbehelfe während der Ausbildung. Und wer von Euch was über seinen Prüfer zu erzählen hat, ist herzlich willkommen, in der AdVoice seine Geschichte endlich loszuwerden. Schreibt an [email protected] 64 ADVOICE 04/13 www.davforum.de Mailingliste: Fragen rein, Ideen raus! Das FORUM bietet allen m/w Referendaren, Assessoren und Anwälten bis 40 Jahren s Mailingliste s Interessenvertretung s Vergünstigungen s Erfahrungsaustausch s Stammtische Mitgliedsbeiträge % 50,– / 25,– p.a. Informationen zur Mitgliedschaft: www.davforum.de Kontakt: [email protected] 030 / 72 6152-0 Starthilfe | Fortbildungen | Netzwerk Deutschlands meistgewählte Kanzleisoftware RA-MICRO 1 – einfach · sicher · kostenlos Für den perfekten Einstieg und Aufstieg: RA-MICRO 1 bietet die komplette Kanzleiorganisation für einen Einzelplatz und ermöglicht so den idealen Start ins Anwalten mit RA-MICRO. Die Einplatzlizenz ist kostenlos inklusive Updates und Support. Das Beste: Verändern sich die beruflichen Ansprüche, lässt sich die Software nahtlos auf RA-MICRO 8 umstellen. www.ra-micro.de INFOLINE 0800 726 42 76