Für Hasso Hofmann

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Für Hasso Hofmann
Für Hasso Hofmann
Vorbemerkung
Der vorliegende Band folgt mit wenigen, im Rahmen der Übersetzung vom
Autor vorgenommenen bzw. autorisierten inhaltlichen ¾nderungen und punktuellen Verbesserungen dem Text von: La rappresentanza politica. Genesi e
crisi del concetto, Franco Angeli, Milano 2003, seinerseits eine erweiterte Neuauflage von: La rappresentanza: un problema di filosofia politica, Franco Angeli, Milano 1988. Die Quellen dieser ersten Auflage waren: La rappresentazione e l'arcano dell'idea, in: Il Centauro 15 (1985), S. 35±70; dieser Aufsatz
bildet mit wenigen ¾nderungen das 1. Kapitel. Dem 3., 4. und 6. Kapitel liegen
Aufsätze zugrunde, die gleichzeitig in verschiedenen Sammelbänden erschienen
sind, und zwar in: Marta Losito/Pierangelo Schiera (Hrsg.): Max Weber e le
scienze sociali del suo tempo, Il Mulino, Bologna 1988, S. 481±512; Gustavo
Gozzi/Pierangelo Schiera (Hrsg.): Crisi istituzionale e teoria dello Stato in Germania dopo la prima guerra mondiale, Il Mulino, Bologna 1987, S. 283±324;
Giuseppe Duso (Hrsg.): Filosofia politica e pratica del pensiero. Eric Voegelin,
Leo Strauss e Hannah Arendt, Franco Angeli, Milano 1988, S. 159±191. Da es
sich vor allem um eine kritische Diskussion von Quellentexten handelt, wurde
(abgesehen von wenigen Ausnahmen) auf eine Aktualisierung der Literaturverweise (gegenüber 1988) verzichtet. Das 2. Kapitel, das in der italienischen Fassung erst in die 2. Auflage aufgenommen wurde, ist gleichzeitig erschienen unter dem Titel GØnesis y logica de la representación política moderna, in: Fundamentos 3 (2004); auf Deutsch sind einige Passagen dieses Kapitels enthalten
in: Repräsentative Demokratie: Entstehung, Logik und Aporie ihrer Grundbegriffe, in: Karl Schmitt (Hrsg.): Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden 2003, S. 11±36. Das 5. Kapitel
ist ein Originalbeitrag zur ersten Auflage der italienischen Ausgabe.
Ich danke Peter Paschke, der mit viel Geduld und klugem Verständnis die
Übersetzung besorgt hat, sowie Michele Basso für seine Unterstützung bei der
Anpassung von Zitaten und Fundstellen sowie der Erstellung von Personenregister und Literaturverzeichnis.
Dieser Band ist Hasso Hofmann gewidmet, der zum Thema Repräsentation
das wichtigste Werk verfasst hat.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I.
Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung . . .
1. Die Repräsentation: eine Aporie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Zur Geschichte der modernen Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Repräsentation als Anwesenheit von Abwesendem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Die Struktur der Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Ein Streifzug durch Platon: Ikone bzw. gutes Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Repräsentation und Idee: der Entwurf der polis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Praxis der Philosophie und das Problem des Ursprungs . . . . . . . . . . . . . . .
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18
23
29
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52
II.
Entstehung und Logik der modernen Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
1. Menschenrechte und Verfassung: die Französische Revolution . . . . . . . . . 57
2. Von der ständischen zur modernen Repräsentation: eine neue Auffassung von Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
3. Der Begriff des Volkes und die repräsentative Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4. Die Entstehung der modernen Politikwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
5. Naturgemäûe Gemeinschaft und Regierung bei Althusius . . . . . . . . . . . . . . 71
6. Das plurale Wesen des Volkes und die ständische Repräsentation . . . . . . . 75
7. Der moderne Begriff von Herrschaft und Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
8. Politische Einheit und Erfindung des neuen Repräsentationsbegriffs . . . . 83
9. Präsenz des Volkes durch Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
10. Das Volk gegen den Repräsentanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
11. Repräsentation der Freiheitsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
12. Kontrolle der Repräsentanten und Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber . . . . . . . .
1. ¹Herrschaftª im modernen Sinne von ¹politischer Machtª . . . . . . . . . . . . .
2. Der Gegensatz von rationaler und charismatischer Herrschaft . . . . . . . . . .
3. Charisma und Dauer der Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Das charismatische Element im rational-legalen Herrschaftstyp . . . . . . . .
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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124
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10
Inhaltsverzeichnis
IV. Repräsentation und politische Einheit in der Debatte der zwanziger
Jahre: Schmitt und Leibholz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Repräsentation und politische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Repräsentation und Realisierung der Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Repräsentation als Legitimation der Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V.
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150
160
169
Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
1. Analogie und das Problem einer radikalen Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . .
2. Das Hervortreten einer theoretischen Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. ¹Sichtbarmachungª und ¹Säkularisierungª . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Repräsentation und politische Form in ¹Römischer Katholizismusª . . . . .
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183
186
192
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin . . . . . . . . . . .
1. Praktische Philosophie als philosophische ¹Disziplinª . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Voegelins Kritik an Schmitt: eine Radikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Repräsentation und das Wahrheitsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Platon, Aristoteles und die ¹Praxisª der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200
202
211
215
220
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
Einleitung
Wer sich anschickt, ein Buch zur politischen Repräsentation zu lesen, mag
verwundert sein, dass er auf eine Reihe von Studien stöût, die ± mit einer Ausnahme ± einem Phänomen gewidmet sind, das wir als moderne politische Repräsentation bezeichnen können. Um die Geschichte des Begriffs der Repräsentation nachzuvollziehen, mag ein umfassenderer Ansatz notwendig erscheinen,
der andere historische Epochen wie das Mittelalter und das Zeitalter der ständisch gegliederten Gesellschaft einbezieht. Wenn die vorliegende Arbeit fast
ausschlieûlich die moderne Repräsentation berücksichtigt, so liegt dies keineswegs daran, dass dem vorhergehenden politischen Denken eine geringe Bedeutung beigemessen würde, im Gegenteil: Nur ein weiter Blick, der sich vom beschränkten Horizont der modernen Begriffe befreit, ist imstande, die Probleme
einer Gegenwart zu erhellen, die mit den politischen Grundbegriffen der Epoche
der Staatlichkeit anscheinend nicht mehr zu fassen ist. Es handelt sich also um
eine bewusste Entscheidung, die auf der Überzeugung beruht, dass der moderne
Repräsentationsbegriff etwas völlig Neues darstellt, keine bloûe Abwandlung
dessen ist, was im feudalen oder ständischen Kontext mit diesem Wort gemeint
war, sondern ein radikal anderes Verständnis von Mensch, Wissenschaft und
Politik mit sich führt. So lassen sich eventuell die Tücken einer verbreiteten Art
von Begriffsgeschichte vermeiden, bei der die Veränderungen, die ein Begriff in
der Geschichte durchläuft, in einem einheitlichen Rahmen präsentiert werden,
der von der Antike bis zur Gegenwart reicht. Dabei setzen die historischen Veränderungen einen gleichbleibenden Kern des sich wandelnden Begriffs voraus,
während in Wirklichkeit eine solche begriffliche Einheit nur möglich ist, weil
konstitutive Merkmale des modernen Begriffs, der unsere heutige Denkweise
beeinflusst, auf andere Zusammenhänge projiziert werden.1
Vor dem Hintergrund der Trennung, welche die moderne politische Wissenschaft gegenüber einer Tradition vollzieht, die auf politischem Gebiet Erfahrung als grundlegend für das Wissen und Tugend als wesentlich für die Praxis
ansah, formt und definiert sich der Repräsentationsbegriff und erweist sich als
unentbehrlich für jene politische Form, die vermeintlich als einzige Frieden und
Ordnung zu garantieren vermag. Im Rahmen der neuen Auffassung von Wissenschaft, die hinsichtlich gesellschaftlicher Belange als neue Wissenschaft vom
1 Zur theoretisch-methodologischen Erörterung der Begriffsgeschichte vgl. Duso,
Giuseppe: La logica del potere. Storia concettuale come filosofia politica, Roma/Bari
1999, bes. Kap. I.
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Einleitung
Naturrecht auftritt, gewinnt der Begriff als solcher einen spezifischen Status:
Seine Merkmale sind Abgrenzung; rationale, erfahrungsunabhängige Bestimmung; eindeutige, notwendige Beziehung zu anderen Begriffen im Rahmen
eines regelrechten Begriffssystems2. Sie ergeben ein kohärentes, widerspruchsfreies und deshalb für Alle gültiges Ganzes, das unabhängig ist von den individuellen Lebenswelten und verschiedenen Ansichten über Gerechtigkeit. All
diese Merkmale sind ausschlaggebend für das, was man in der Moderne unter
Begriff versteht.
Im Rahmen eines solchen ¹wissenschaftlichen Vorgehensª erscheint der Begriff der Repräsentation nicht als eine von vielen Modalitäten der Herrschaftsausübung, womöglich als eine, die man oberflächlich als ¹demokratischerª ansehen könnte, sondern als unentbehrliches Mittel, um dem kollektiven Subjekt
Form zu geben, um ihm Stimme, Wille, Tat zu leihen. Wenn ± was in der vorliegenden Arbeit nachzuweisen ist ± diese Funktion konstitutiv für den Begriff
der Repräsentation sein sollte, dann erschienen bestimmte Dilemmata, die in
bekannten Arbeiten wie denen von Hanna Pitkin auftreten, in einem anderen
Licht. Unabhängigkeit des Repräsentanten oder seine Abhängigkeit vom Mandat wären dann nicht verschiedene Deutungsmöglichkeiten des fraglichen Phänomens, sondern das bezeichnende Symptom eines Problems, das logischer Natur ist und zudem die Verfassungsprozeduren in Frage stellt. Denn nicht nur
nach gängiger Meinung, sondern auch in den Verfassungsprinzipien selbst wird
Repräsentation einerseits als Funktion verstanden, die notwendig ist, um einen
Gemeinwillen zu formieren, der zwangsläufig, insofern Wille des kollektiven
Subjekts, einheitlich sein muss (man denke an eine der Hauptaufgaben der repräsentativen Körperschaft, die der Gesetzgebung, also des einheitlichen Befehls, dem Alle unterstellt sind), andererseits jedoch als Weg, auf dem die Bürger, mit all ihren Unterschieden und Besonderheiten, ihren Willen artikulieren
und an der Bildung des Gemeinwillens teilnehmen können.
Der Begriff der Repräsentation erweist sich als wesensmäûig gebunden an
denjenigen der Souveränität, d.h. an den modernen Begriff von Herrschaft, im
Sinn der rationalen und legitimen Herrschaft, die auf dem Willen Aller beruht,
mehr noch: Er ist ihr heimlicher Kern, insofern er jenes Gewaltmonopol zu
legitimieren vermag, das grundlegend für die Figur des modernen Staates geworden ist. Dies betrifft sowohl die Herrschaftsausübung, die keine persön2 Von einem ¹logic framework of modern political conceptsª spricht ± im Hinblick
auf die dargelegte Auffassung von der Funktion der grundlegenden politischen Begriffe
der Moderne ± Chignola, Sandro: ¹History of Political Thought and the History of
Political Concepts. Koselleck's Proposal and Italian Researchª, in: History of Political
Thought 23 (2002), S. 517±541, bes. S. 539 ff.; hilfreich ist dieser Aufsatz auch, um
die Beziehung zwischen den begriffsgeschichtlichen Forschungen der Paduaner
Gruppe und der (in anderer Form) von Otto Brunner und Reinhardt Koselleck betriebenen Begriffsgeschichte zu verstehen.
Einleitung
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lichen Züge tragen und nicht funktional für die Interessen ihres Inhabers sein
darf, also auch den Rechtstitel derselben, der nur in einem konstitutiven Akt
entspringen kann, der auf dem Willen all jener beruht, die anschlieûend der
Herrschaft der Kollektivität unterworfen sind. Wegen dieses Herrschaftbezugs,
der die Bedeutung des Terminus Politik in der Neuzeit entscheidend beeinflusst
hat, ist die Untersuchung des Repräsentationsbegriffs so wichtig und grundlegend.
Eine Begriffsgeschichte wie diejenige, die sich hier abzeichnet, erfordert ±
nicht nur im Hinblick auf das Problem an sich, sondern auch bei den Autoren,
die hier untersucht werden ± ein philosophisches Denken: nicht im Sinne eines
¹höherenª Denkstils, der jenseits der Begrifflichkeit der politischen Wissenschaften sowie der heutigen Auffassung von Politik und dem verfassungsmäûigen Zusammenleben der Menschen liegt, sondern verstanden als radikale Infragestellung der in der Neuzeit zu beobachtenden Theorieentwicklung, als Frage
nach der Gültigkeit ihrer Prämissen und nach möglichen, verborgenen Widersprüchen. Auf diesem Weg stoûen wir, wenn die Fragwürdigkeit der modernen
Repräsentation einmal erkannt ist, auf Platon ± nicht, weil in seinem Denken
die politische Repräsentation eine Rolle spielen würde, sondern weil in den
Dialogen eine ursprüngliche Struktur zu Tage tritt, die ± wie sich erweist ±
auch die moderne Repräsentation prägt, denn anders als gemeinhin angenommen, spiegelt Repräsentation durchaus keine vorhandenen Realitäten wider oder
hängt von ihnen ab, sondern impliziert notwendig das, was empirisch nicht anwesend und ideeller Natur ist. Der Bezug auf Platon steht nicht im Kontext
einer vermeintlich durchgängigen Begriffsgeschichte, die bei den Griechen beginnt und bis in die Gegenwart reicht, sondern ist der Versuch, ein Grundproblem zu erfassen, das sich im Herzen der modernen Politikwissenschaft festgesetzt hat, ohne dass diese sich dessen bewusst ist.
Im Lichte dieser Überlegungen könnte man meinen, ein Titel wie ¹Logik und
Aporien eines Begriffsª wäre angemessener für die vorliegende Arbeit. Gleichwohl wurde der Formulierung ¹Entstehung und Kriseª der Vorzug gegeben: einmal, weil sie für diejenigen klarer ist, die sich mit der hier diskutierten Frage
beschäftigen und sie zum Gegenstand ihrer Forschungen machen wollen, zum
anderen, weil der Begriff der Repräsentation durchaus eine historische und epochale Dimension hat. Er ist nicht universell, sondern entsteht in einem spezifischen zeitlichen Zusammenhang, wobei eine bestimmte, traditionsreiche Vorstellung von Mensch, Politik und Gesellschaft aufgegeben wird, die in früheren
historischen Kontexten (aber nicht nur: man denke an die Langlebigkeit des
Ständestaats etwa in Deutschland oder im ancien rØgime) dort anzutreffen ist, wo
der der Ausdruck ¹Repräsentationª Verwendung findet (vgl. etwa die Althusius
gewidmeten Abschnitte des 2. Kapitels). Einmal abgesehen von seinen konstitutiven Aporien, scheint der Begriff der Repräsentation, dessen Entstehung in
das frühe 17. Jahrhundert fällt, heute auch deshalb eine Krise zu durchleben,
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Einleitung
weil die mit der modernen politischen Wissenschaft entstandene und in die Figur des Staates und seine Verfassung eingegangene Begrifflichkeit nicht imstande ist, eine Gegenwart zu begreifen, die den Horizont der Nationalstaaten
und des ius publicum europaeum allem Anschein nach bereits überschritten hat.
Ja, die Krise betrifft offenbar auch die legitimatorische Funktion, die von Beginn an das Wesen der Repräsentation geprägt hat.
Der vorliegende Band ist eine Neuauflage von La rappresentanza: un problema di filosofia politica (1988), ergänzt um das 2. Kapitel, das sich der Entstehung, den Wandlungen und Aporien des Begriffs zuwendet und dabei zu jenen Klassikern des politischen Denkens führt, die in dieser Hinsicht Erhellendes
mitzuteilen haben. Auf diese Weise lassen sich sowohl die machtvolle Logik
der Repräsentation wie auch ihre Widersprüche begreifen. Die Einfügung dieses
Kapitels ist nicht nur von zentraler Bedeutung für die Geschichte des Begriffs,
sondern bildet auch eine notwendige Grundlage, um die Überlegungen des 20.
Jahrhundert zu verstehen, denen die erste Auflage fast ausschlieûlich gewidmet
war.
Was diese jüngeren Beiträge angeht, so schien es sinnvoll, jene Autoren zu
berücksichtigen, die zu einer Zeit, als die mächtige Struktur der modernen politischen Form, d.h. des Staates, erste Anzeichen einer Krise erkennen lässt, mit
besonderer Klarheit deren Grundkategorien herausarbeiten, wobei der Repräsentation offenbar eine entscheidende Bedeutung zufällt. Zu thematisieren ist dabei
zunächst der Wendepunkt, den das Webersche Denken verkörpert. Um eine
Wende handelt es sich, weil Weber einen entscheidenden Beitrag zum grundlegenden Wandel in der Auffassung von Theorie und Rationalität und zu jener
erkenntnistheoretischen Umwälzung leistet, welche die Wissenschaft in ihrer
Grundstruktur verändert und einer ¹objektivenª, ¹wertfreienª Analyse verpflichtet, die auf die Bestimmung von Maûstäben menschlichen Verhaltens verzichten
soll, da diese als Produkt subjektiver, nicht wissenschaftlich fundierter Entscheidungen gelten. Typisch für diesen Moment des Übergangs ist auch die Konsolidierung einer ¹Gesellschaftsanalyseª, die offenbar jedes andere mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit auftretende politische Wissen zu verdrängen bestimmt ist.
Es ist bedeutsam, dass in diesem neuen erkenntnistheoretischen Modell
gleichwohl jene Begriffe von ¹Herrschaftª und ¹Staatª wiederzufinden sind, die
± wenn auch in der neuen, ¹deskriptivenª Bedeutung ± ohne die lange Entwicklung der modernen politischen Wissenschaft, die ihren Ursprung im 17. Jahrhundert hat, völlig undenkbar wären. Ebenso undenkbar wäre diese neue Analyse der Gesellschaft ohne den Begriff der societas civilis, der von der Naturrechtslehre hervorgebracht wurde und schlieûlich in die Unterscheidung bzw.
den Gegensatz zwischen ¹bürgerlicher Gesellschaftª (als Gesamtheit der vom
Element der Herrschaft unberührten zwischenmenschlichen Beziehungen) und
Einleitung
15
¹Staatª (mit dem Merkmalen des Zwangs und der institutionellen Ordnung)
mündet. Es mag wohl zutreffen, dass das Weber'sche Denken in jenen problematischen Zusammenhang einzuordnen ist, der durch das negative Denken und
Nietzsches Zerstörung der Werte bezeichnet ist, und dass die Wissenschaft in
diesem Kontext jenen normativen Charakter einbüût, den sie in der Philosophie
und modernen politischen Wissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts hatte,
gleichwohl scheint mir ± hierin einer fruchtbaren Anregung Norberto Bobbios
folgend ± dass man eine starke Wechselbeziehung zwischen Weber und den
Klassikern der modernen politischen Philosophie nicht bestreiten kann.
In diesem Zusammenhang scheint es unerlässlich, nicht nur die notwendige
Beziehung zwischen dem Begriff der Herrschaft, wie Weber ihn bestimmt, und
der erwähnten Denktradition der Moderne zu beleuchten, sondern auch die Dialektik zwischen der formellen Rationalität (einschlieûlich des Typs von Herrschaft, der diese am besten zu verkörpern scheint) und den Elementen von Subjektivität und Glaube, die dem Charisma eigentümlich sind. Diese Dialektik
erweist die tiefe Problematik des theoretischen Ansatzes, verhindert jede ¹soziologischeª Normalisierung des Weberschen Denkens und konfrontiert es mit
einer radikalen Frage nach dem Wesen des Politischen.
Ein ¹radikalesª Denken ist das ausdrückliche Ziel von Carl Schmitt, der ±
gerade weil er als Jurist die politische Form analysiert ± erkennt, dass es unmöglich ist, der Frage auszuweichen, wie die politischen Form erzeugt wird; zu
fragen ist auch nach einem Begriff des Politischen, der die Bestimmung des
Staates als Form ebenso denkbar macht wie die Relativität und Geschichtlichkeit seiner Herausbildung sowie die wesensmäûigen Gründe seiner Krise. Die
staatsrechtliche Sphäre ist also gezwungen, sich von innen her zu öffnen; die
Bewegung hin zur Philosophie ergibt sich aus der Notwendigkeit, die juristische Rationalität selbst zu begreifen. In Schmitts Überlegungen wie auch in den
parallelen Arbeiten von Gerhard Leibholz erscheint im Mittelpunkt der modernen politischen Form das repräsentative Prinzip, und zwar nicht als das Produkt
der heutigen, ab der Französischen Revolution gültigen Staatsauffassung, sondern als unerlässliches, strukturelles Element der modernen politischen Form
selbst, das ihr von Anbeginn zu eigen ist.
Neben der hermeneutischen und historiographischen Valenz des Begriffs der
Repräsentation ist mir vor allem daran gelegen, seine erkenntnistheoretische Dimension aufzuzeigen. Denn wenn Repräsentation nicht bloû in ihrer legitimatorischen Funktion begriffen, sondern radikal in Frage gestellt wird, offenbart sie
eine theoretische Struktur, die einer problemlosen, widerspruchsfreien Wissenschaftsbegründung im Wege steht, und führt zum Problem des Ursprungs. Aus
der Unleugbarkeit dieses Problems entspringt ein Denken, dessen Strenge nicht
in der formalen Rationalität der politischen Form, sondern in der Einsicht in die
Aporien eben dieser Form liegt.
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Einleitung
Wenn Schmitts Radikalisierung, die nicht in den Grenzen des juristischen
Denkens verbleibt, sondern den Ursprung und das konkrete Wirken der Form
zu begreifen sucht, bereits einige Merkmale philosophischen Denkens zeigt,
kommt es bei Denkern wie Eric Voegelin und Leo Strauss zu einer expliziten
Wiederaufnahme der Philosophie im politischen Denken. Obwohl sie ihre bedeutendsten Werke in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben haben,
finden sie in der Ende der zwanziger Jahre begonnenen Debatte über das Wesen
des Staates einige sehr wichtige Anknüpfungspunkte. Auch Voegelins Entwurf
einer ¹neuen Wissenschaft der Politikª, der mit einem philosophischen Nachdenken über Ursprung und Grund zusammenfällt, hat seine Wurzeln offenbar in
jener Zeit und mündet nicht in eine neue ¹Begründung von Wertenª, sondern
eher in ein Fragen nach dem Ursprung der Ordnung, das von den modernen
politischen Kategorien ausgeht und sich im Moment ihrer Krise offenbart.
Das Denken, das von der Konzeption des Politischen bei Schmitt bis zur
politischen Philosophie Voegelins reicht (¹neue Wissenschaftª im Vergleich zur
modernen Wissenschaft, aber Rückgriff auf eine Idee des Wissens, die der griechischen Philosophie angehört) ist ± unabhängig vom Gesamturteil über das
Werk der beiden Autoren ± insofern bedeutsam, als es ein Verhältnis zwischen
politischer Philosophie und moderner politischer Wissenschaft andeutet, das der
Philosophie nicht etwa einen Raum neben der wissenschaftlichen Objektivität
bewahren will, in dem die ¹unwissenschaftlicheª Weltanschauung oder der
abstrakte, theoretische Entwurf von Modellen (womöglich ¹postmodernerª oder
¹poststaatlicherª Art) beheimatet sind, sondern das die Philosophie im Bereich
der politischen Wissenschaft selbst ansiedelt und deren Aporien und Implikationen zu erfassen sucht. Die modernen politischen Kategorien sind in diesem Fall
zwar der unabdingbare Rahmen, in dem das Denken verläuft, bilden aber
gleichwohl keine unumstöûliche Prämisse und auch keine erkenntnistheoretische Struktur, deren Schranken man nicht überwinden könnte.
Wie angedeutet, erfordert das Thema der Repräsentation nicht nur eine Anstrengung des Denkens, die philosophischer Natur ist, sondern lässt auch eine
epochale Dimension erkennen. Ist Repräsentation Wesensmerkmal jener modernen politischen Form, in welcher der Staat als kollektives Subjekt aufgefasst
wird, das aus der Vielzahl der Individuen besteht, dann setzt sie sich zusammen
mit dieser Konzeption durch, gerät aber auch in die Krise mit ihr. Wenn die
Figur des Nationalstaats und sein begriffliches Kernelement, die Souveränität,
heute nicht mehr geeignet sind, eine Wirklichkeit zu begreifen, die von Phänomenen und Mechanismen globaler Dimension geprägt sind, aber auch von
scheinbar widersprüchlichen Prozessen ± einerseits Regionalisierung und Fragmentierung der Staaten, andererseits Zusammenschlüsse wie im Fall der Europäischen Union ±, dann bedarf es eines radikalen Nachdenkens über jene Elemente, die der modernen Souveränität zugrunde liegen, d.h. über die konstitutive Funktion des Begriffs ¹Individuumª, über die spezifische Bedeutung der
Einleitung
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Begriffe ¹Gleichheitª und ¹Freiheitª sowie über die Struktur der Repräsentation
in ihrem doppelten Sinne: einerseits als Prozess der Herausbildung des einheitlichen Willens des kollektiven Subjekts, andererseits als Prozess der Konstituierung eben dieses Subjekts und seiner Herrschaft, und zwar ausgehend von
abstrakten Individuen, die auûerhalb aller Bindungen und Verhältnisse gefasst
sind, in denen sie eine konkrete Realität besitzen3.
Die Einsicht in die Aporien der modernen Repräsentation und die massive
Wiederkehr von Problemen, die die Repräsentation nur scheinbar gelöst hatte,
führen nicht zu einem neuen ¹wahrerenª Entwurf, der die Frage ¹was tun?ª
abschlieûend beantworten könnte. Aber die Verantwortung, die wir für die Gestaltung unserer Gegenwart und für die Bestimmung von Orientierungspunkten
für die Praxis haben, sowie die Schwierigkeiten und Risiken möglicher Vorschläge können uns weder am radikalen Überdenken der modernen Begriffe
hindern, noch die darin zu Tage tretenden Widersprüche auslöschen. Aus der
Kritik an den Begriffen kann gewiss kein in die Praxis umzusetzendes Lösungsmodell abgeleitet werden, aber ohne eine solche Kritik gibt es keine Orientierung, und es besteht die Gefahr, weiterhin fruchtlose Wege zu beschreiten und
Begriffe zu verwenden, die uns, statt hilfreich zu sein, den Blick auf das verstellen, was in unserer Erfahrung zu Tage tritt.
3 Betrachtet man die heutige verfassungsrechtliche Wirklichkeit im Lichte eines
Ansatzes, der (wie der hier verfolgte) die Krise des Zusammenhangs von Souveränität
und Repräsentation und seiner theoretischen Voraussetzungen aufdeckt, dann kann
man das Wagnis eingehen, einige Grundlinien für ein anderes Verständnis von Repräsentation und Teilnahme der Bürger am politischen Leben zu skizzieren, und zwar
unter Anerkennung der sozialen Gruppen und Beziehungen, in denen die Individuen
als Teil eines komplexen Bedingungsgefüges stehen. An anderer Stelle habe ich eine
solche Blickrichtung als ¹föderalistischª bezeichnet, allerdings in einem Sinne, der
sich von den beiden geläufigen Bedeutungen des Terminus ¹Föderalismusª (Bundesstaat oder Staatenbund) entfernt. (vgl. Duso, Giuseppe: ¹Tra Unione europea e formaStato: pensare il federalismoª, in: Carrino, Agostino (Hrsg.): L'Europa e il futuro
della politica, Milano 2002, S. 199±233; Duso, Giuseppe: ¹L'Europa e la fine della
sovranitàª, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 31
(2002), S. 109±139; siehe auûerdem die Einführung zu Duso, Giuseppe (Hrsg.): Oltre
la democrazia. Un itinerario attraverso i classici, Roma 2004). Diese Bedeutungen,
welche die gegenwärtige Föderalismus-Debatte beeinflussen, müssen überwunden werden, da sie der Voraussetzung der Souveränität verhaftet bleiben, die der Grundzug
des Staates als politischer Form gewesen ist. Aber hier sind wir schon einen Schritt
weiter, während die vorliegende Arbeit sich auf eine Infragestellung des modernen
Begriffs der Repräsentation beschränkt (die als solche philosophisch ist).
2 Duso
I. Repräsentation und arcanum der Idee:
eine theoretische Einführung
Eine jede Idee tritt als ein fremder Gast in die Erscheinung.
(Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 12, S. 439)
1. Die Repräsentation: eine Aporie
Bei einer ersten Annäherung mag das Thema der Repräsentation den Eindruck erwecken, man habe ein Feld von besonderer Klarheit und begrifflicher
Eindeutigkeit vor sich. Die mit dem Akt des Repräsentierens verbundene Terminologie bezieht sich, so scheint es, auf die Abhängigkeit dessen, der die
Herrschaft ausübt, von denen, die ihm das Mandat für sein politisches Handeln
verliehen haben; das politische Handeln findet seinen Grund nicht im Repräsentanten selbst, sondern in denen, die von ihm repräsentiert werden. In diesem
Sinne kann man sagen, die Institutionen eines Landes seien als repräsentativ zu
betrachten, wenn die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung ihr Mandat
durch Volkswahl erlangen.1 Das repräsentative Element erscheint gebunden an
die Demokratie, und kennzeichnet anscheinend, sowohl begrifflich wie historisch, den langen Weg der Überwindung des Absolutismus. Das politische Handeln in seiner repräsentativen Form ist nicht allen Individuen eigen, sondern es
ist besonderen politischen Akteuren vorbehalten und entzieht sich offenbar dennoch der herkömmlichen Unterscheidung von Regierenden und Regierten. Nicht
nur, weil diese Akteure ersetzbar sind und, formal gesehen, Allen die Möglichkeit gegeben ist, die politische Bühne zu betreten, sondern auch, weil das politische Handeln nicht von der Willkür seiner Träger, sondern vielmehr vom
Willen der Wähler abzuhängen scheint: Diese wählen die Repräsentanten und
geben zugleich die Grundrichtung des politischen Lebens vor.
Ein derartiger Begriff von Repräsentation erscheint besonders dann angemessen, wenn der zahlenmäûige Unterschied zwischen Repräsentanten und Repräsentierten gering ausfällt und eine direkte Beziehung, Konsultation und Kontrolle zulässt, was möglicherweise sicherstellt, dass der im politischen Raum
1 Auf diesen Aspekt verweist der Artikel ¹Rappresentanza politicaª in: Bobbio, Norberto/Matteucci, Nicola/Pasquino, Gianfranco (Hrsg.): Dizionario di politica, 2. Aufl.
1983, Torino; dort ist das proprium der politischen Repräsentation definiert als
¹Möglichkeit dessen, der die Herrschaft nicht persönlich ausüben kann, die politische
Herrschaft zu kontrollierenª (S. 955).
1. Die Repräsentation: eine Aporie
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formulierte Wille, wenn auch nur annähernd, demjenigen der Repräsentierten
entspricht.2 Repräsentieren heiût dann in etwa ¹an Stelle von jemandem stehenª, ¹an jemandes statt handelnª, von Anderen festgelegten Bedingungen unterliegen, sich also nicht frei und unabhängig bewegen.
So formuliert, entspricht diese Konzeption offenkundig verbreiteten Auffassungen der so genannten demokratischen Gesellschaft, d.h. einer Klasse von
Begriffen, deren Verbreitung der ¹Selbstinterpretationª der Gesellschaft dient,
anders gesagt betrifft sie das Bild, das eine Gesellschaft von sich selbst entwirft, dient jedoch nicht dem kritischen Verständnis des Begriffs der Repräsentation, da sie die darin verborgene Konzentration an Problemen und Aporien in
keiner Weise erfasst.3
Die ersten Probleme mit einer solchen Konzeption ergeben sich, sobald man
fragt, auf welche Weise sich der Wille des Wählers bildet und kundtut und welche Kompetenzen und Vorstellungen er zu all den Fragen hat, die von der repräsentativen Versammlung der Nation entschieden werden müssen. Dabei stellt
sich nämlich als Merkmal eines repräsentativen Systems die Kluft zwischen Repräsentant und Repräsentiertem heraus sowie der Handlungsspielraum, der prinzipiell demjenigen zusteht, der den Volkswillen ¹repräsentiertª. Angelegt ist
dies im Übrigen bereits im Begriff des freien Mandats: Er kennzeichnet die
moderne Repräsentation, so wie sie seit der Französischen Revolution sanktioniert ist, und unterscheidet die ¹moderneª Variante des Begriffs von der ständi-
2 Bemerkenswert ist, dass ein solcher Begriff, wie wir sehen werden, mehr mit
ständischer Repräsentation gemein hat als mit der modernen Staatstheorie. Daraus ergibt sich die Frage nach der Beziehung bzw. der faktischen Kontinuität zwischen ständischen Strukturen und modernem Parlamentarismus, letzterer weniger im formalen
und institutionellen Sinne, d.h. als ein die nationale Souveränität repräsentierendes Organ, denn im Sinne der Verfassungswirklichkeit, d.h. als Vermittlungsinstanz zwischen
Gruppen, Parteien und Interessen; auûerdem stellt sich die Frage, inwieweit die beiden
verschiedenen Begriffe von Repräsentation theoretisch miteinander vereinbar sind. Zur
Überschneidung der unterschiedlichen Repräsentationsbegriffe vgl. die bemerkenswerte ¹Antizipationª einer Untersuchung zur politischen Repräsentation von Miglio,
Gianfranco: ¹Le trasformazioni del concetto di rappresentanzaª, in: La rappresentanza
politica, Atti del convegno del 14±15 dicembre 1984, Bologna 1985, S. 1±25 (jetzt in:
ders.: Le regolarità della politica, Milano 1988, 2. Bd., S. 973±997). Zur Schlüsselrolle des Repräsentationsbegriffs in der Neuzeit und mit einer ähnlichen Sichtweise
wie der hier vertretenen vgl. Galli, Carlo: ¹Immagine e rappresentanza politicaª, in:
Filosofia politica 1 (1987), S. 9±30.
3 Voegelin, Eric: The New Science of Politics, Chicago/London 1952, bes. S. 27 ff.
(dt.: Die neue Wissenschaft der Politik, hrsg. von Karl Alber, 4. Aufl. 1991, Freiburg/
München bes. S. 52 ff.), liefert ± bezogen auf die Thematik der Repräsentation ± eine
gelungene Unterscheidung zwischen sprachlichen Symbolen, die vom sozialen Kontext zwecks Selbstdeutung hervorgebracht werden, und solchen, die dem kritischen,
wissenschaftlichen Verständnis dienen (angesichts der Herangehensweise des Autors
und der Bedeutung von ¹new scienceª kann man auch sagen: dem philosophischen
Verständnis).
2*
20
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
schen Auffassung, wonach der Repräsentant an bestimmte Anweisungen gebunden ist, die sein Handeln unzweideutig determinieren.
Diese Problematik kommt erkennbar auch bei Hanna Pitkin zum Vorschein.
Die beiden möglichen Interpretationen der Handlungsfreiheit des Repräsentanten
werden offensichtlich, sobald man fragt, ob der Repräsentant so handeln soll,
wie der Wähler es ¹möchteª, oder ob er sich nach dem richten soll, was er im
Interesse des Wählers für ratsam hält. Zu fragen ist also, ob der Repräsentant an
den bestimmten Willen der Wähler gebunden ist, oder ob sein Wesen als Repräsentant, d.h. als Mitglied eines Parlaments, das allein den Willen der Nation
ausdrückt, nicht eine Abkopplung von den bestimmten und partikulären Willen
der Einzelnen oder Gruppen im Staat nach sich zieht.4 Die Frage, ob und wie es
möglich ist, den Willen der Wähler in einem modernen Staat zur Geltung zu
bringen, steht im Widerspruch zu einer langen Theoriegeschichte, nach der de
jure nicht der Wille von Einzelnen oder bestimmten Gruppen durch den Repräsentanten im Parlament zum Ausdruck kommen soll, sondern derjenige der
¹ganzen Nationª. Diese Konnotation der Totalität scheint sich zwangsläufig
daraus zu ergeben, wie sich der moderne Begriff von Repräsentation herausgebildet hat. Bemerkenswert ist, dass Pitkin zuweilen vom Standpunkt der ¹deutschen Theoretikerª oder der ¹kontinentalen Autorenª5 spricht, wenn sie sich auf
jene Auffassungen bezieht, welche die Unabhängigkeit der Repräsentanten hervorheben, ohne jedoch in diesem Zusammenhang anzumerken, dass derartige
Positionen die ± zugegebenermaûen vorwiegend auf dem Kontinent entwickelte
± Theorie des modernen Staates widerspiegeln.
Schon hier ist also die Frage zulässig, welche bestimmte Bedeutung der Begriff des freien Mandats wohl hat und ob er nicht vielmehr eine Fiktion ist,
insofern die Rechtsfigur des Mandats eine festgelegte Bedeutung in der Form
des imperativen Mandats hat, das auf der politischen Ebene in einer ständischen
Gesellschaft anzusiedeln ist, wie wir weiter unten sehen werden.6 Zu hinterfragen ist auch die theoretische Konstruktion jener Monströsität, der zufolge das
Volk souverän ist, der Wille des Volkes sich aber im Parlament bildet, das seinerseits ein ¹souveränesª Organ ist7: es ist nämlich das Parlament, die Versammlung der Repräsentanten, die den Volkswillen ausdrückt. Dieser hat vorher
4 Vgl. Pitkin, Hanna F.: The Concept of Representation, Berkeley 1967, bes. ¹The
Mandate-Independence Controversyª S. 144 ff.
5 Vgl. z. B. Pitkin, The Concept of Representation, S. 147±148 wo die Autorin sich
auf Gerhard Leibholz, Hans Kelsen und Hans Wolff bezieht. Pitkins Position ist jedoch komplexer, wie die von Hobbes ausgehende Einführung in das Problem der Repräsentation erkennen lässt (vgl. The Concept, S. 14±37).
6 Vgl. Triepel, Heinrich: Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, Stuttgart/
Berlin 1942; zum selben Thema Müller, Christoph: Das imperative und freie Mandat.
Überlegung zur Lehre von der Repräsentation des Volkes, Leiden 1966.
7 Vgl. Schmitt, Carl: Römischer Katholizismus und politische Form, 2. Aufl. 1925
(1. Aufl. 1923), München, S. 36.
1. Die Repräsentation: eine Aporie
21
weder Form noch einen bestimmten Inhalt, sondern bildet sich erst in der Repräsentation selbst heraus, die nutzlos und widersinnig wäre, wenn der gemeinsame Wille schon ausgedrückt und bestimmt wäre, d.h. eine Form hätte.
Auf dieser Ebene der Argumentation scheint man sich in jenes Dilemma zu
verstricken, das eine so resolute Kritikerin der modernen Repräsentation wie
Hannah Arendt formuliert hat: Entweder ist das Handeln des Repräsentanten
ein schlichtes Surrogat für das direkte Handeln der Bürger (eine allerdings als
ziemlich realitätsfern angesehene Auffassung), dann aber verliert der öffentliche
Raum, auch für das politische Personal selbst, seine Sinnfülle und die Würde
des freien Agierens und reduziert sich auf bloûe Verwaltung; oder aber das
Handeln des Repräsentanten ist völlig autonom, aber auf diese Weise reproduziert sich, in der angeblich ¹demokratischenª Gegenwart, die schlichte, alte
Trennung zwischen Regierenden und Regierten, so dass die meisten Menschen
auf die Rolle von Untertanen reduziert und ihres politischen Willens beraubt
sind.8
Allerdings lässt sich das Problem der Repräsentation radikaler erfassen, wenn
man versucht, seine Genese und Geschichte, die Unterschiede zum vorherigen
Wortgebrauch zu rekonstruieren. Dabei wird man nämlich mit einer gewissen
Verwunderung (angesichts der heute geläufigen Wortbedeutung) und dennoch
mit groûer Evidenz entdecken, dass der Begriff der Repräsentation bei einem
Theoretiker der absoluten Souveränität wie Hobbes im Mittelpunkt seiner Theorie des politischen Körpers steht. Hobbes ist weniger als Ideologe des absoluten
Staates des 17. Jahrhunderts denn vielmehr als Schöpfer eines theoretischen
Modells zu sehen, das den Anspruch erhebt, streng rationale Begründungen zu
liefern. Wenn die Souveränität in diesem Modell absolute Züge annimmt und
weder eine übergeordnete Kontrollinstanz noch irgendwelche Formen des Widerstands der Untertanen kennt, dann deshalb, weil sie, die keinem besonderen
Individuum durch Geburt oder aufgrund direkter göttlicher Einsetzung zusteht,
von ihrem Wesen her repräsentativ ist.
Der Souverän agiert nämlich ohne Kontrolle und Widerstand, weil seine
Handlungen die Handlungen des politischen Körpers sind, d.h. die Handlungen
der juristischen Person (persona civilis), die durch den Vertrag zwischen den
Individuen Form angenommen hat. Durch den Prozess der Autorisierung, d.h.
der Konstitution der Autorität, sieht sich ein jeder nach Abschluss des Vertrags
als Autor (Urheber) der Handlungen der juristischen Person, also desjenigen,
der die Rolle dieser Person übernimmt, d.h. des Souveräns. Der Souverän ist
also eine Maske, ein Akteur, der einzige Darsteller der politischen Bühne, und
die Handlungen, die er bei seinem Bühnenspiel ausführt, haben als Autoren die
Individuen, welche ihn autorisiert haben und die in der konkreten Form des
8
Arendt, Hannah: On Revolution, New York 1963, S. 239±240.
22
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
politischen Körpers Untergebene und Untertanen sind.9 Repräsentant zu sein ist
für den Souverän also nichts Nebensächliches, sondern etwas Wesentliches, das
seine ureigenste Natur ausmacht: Er verleiht dem politischen Körper Ausdruck
und Stimme und beruht auf dem Akt der Autorisierung (Ermächtigung) derer,
die sich dem Commonwealth anschlieûen. Zugleich gibt es einen politischen
Körper überhaupt nur aufgrund des Akts der Repräsentation. Der Wille und das
Handeln der einzigen Person, die der Vertrag hervorbringt, kann nämlich nicht
die Gesamtheit der vielen individuellen Willen und Handlungen sein: Da die
Persönlichkeit des Staates keine physische Qualität hat, bedarf sie der Repräsentation, um eine Form zu gewinnen, d.h. um die politische Einheit zum Ausdruck zu bringen.
Das repräsentative Element erscheint also nicht nur in den Konzeptionen der
modernen Demokratie, die ja gewiss nicht die Form der direkten Demokratie
annehmen, sondern auch in jener ± gemeinhin als diametral entgegengesetzt bewerteten ± Theorie, welche die Absolutheit der Souveränität und des BefehlGehorsam-Verhältnisses begründet. Die hier zu Tage tretende Aporie macht es
unumgänglich, das repräsentative Element von den so genannten demokratischen Garantien und vom Wahlvorgang abzukoppeln10 und umfassendere Definitionen des Phänomens in Betracht zu ziehen, wie etwa die von Eric Voegelin,
der die Repräsentation als wesentliche Voraussetzung dafür sieht, dass es überhaupt eine politische Realität geben kann; bei ihm erscheint Repräsentation als
¹Form, durch die eine politische Gesellschaft Existenz für ihr Handeln in der
Geschichte gewinntª.11 Der Hinweis auf die zentrale Rolle der Repräsentation
für die Herausbildung der politischen Form verweist auf die Grundsätzlichkeit
des Problems und veranlasst uns, Bedeutung und Struktur der Repräsentation
gründlicher zu untersuchen.
9 Vgl. Kap. XVI des ¹Leviathanª (Hobbes, Thomas: Leviathan, oder Stoff, Form
und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hrsg. und eingel. von Iring
Fetscher, übers. von Walter Euchner, 4. Aufl. 1994, Frankfurt a. M., S. 123 ff.). Bei
der Behandlung der theoretischen Aspekte der modernen Repräsentation übernehme
ich einige Überlegungen aus der Einleitung zu Duso, Giuseppe (Hrsg.): Il contratto
sociale nella filosofia politica moderna, Bologna 1987 (vgl. bes. den Aufsatz von
Alessandro Biral zu Hobbes im selben Band). Dieser Band liefert auch eine detaillierte Begründung für das im folgenden Abschnitt zum modernen Repräsentationsbegriff Gesagte sowie für die Ausführungen im 2. Kapitel.
10 Vgl. Rausch, Heinz: ¹Repräsentation. Wort, Begriff, Kategorie, Prozess, Theorieª, in: Bosl, Karl (Hrsg.): Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlage in
der ständischen Repräsentation, Berlin 1977, S. 69±98. Eine umfassendere Definition
von Repräsentation findet sich bei Fraenkel, Ernst: ¹Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaatª, in: Rausch, Heinz (Hrsg.):
Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 330.
11 Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 19.
2. Zur Geschichte der modernen Repräsentation
23
2. Zur Geschichte der modernen Repräsentation
Hobbes' Position ist nicht nur geeignet, den heutigen Gebrauch des Begriffs
¹Repräsentationª zu problematisieren, sondern beleuchtet zugleich den Ausgangspunkt der historischen Entwicklung des Begriffs: nämlich den Moment, in
dem die moderne Politikwissenschaft und überhaupt die Staatsform (bis hin
zum Kant'schen Rechtsstaat) Gestalt annimmt. Das gewichtige und sperrige
theoretische Erbe dieser Epoche beeinflusst sogar noch die heutige Debatte, die
von der Krise der Staatstheorie und den Versuchen einer Neubestimmung ausgeht, die in den 1920er Jahren vor allem, aber nicht ausschlieûlich, in Deutschland angestellt wurden.
Die Meinung, Repräsentation bedeute eine Widerspiegelung des Willens derjenigen, die das Mandat erteilen und den Repräsentanten fortlaufend unterweisen und kontrollieren, ist keineswegs mit der auf Hobbes zurückgehenden
Staatstheorie zu vereinbaren, sondern gehört eher zu der Art, wie Repräsentation im Zusammenhang der ständischen Gesellschaft konzipiert war. Dort ist ±
wie oben erwähnt ± das imperative Mandat angesiedelt; der Repräsentant geht
also mit präzisen Verhaltensanweisungen in die Versammlung und muss anschlieûend Rechenschaft ablegen. Das setzt die Existenz politischer Subjekte
voraus, die Autonomie und einen eigenen Willen haben und an den Entscheidungen einer hierarchisch übergeordneten Herrschaftsinstanz teilhaben.12
In Hobbes' Theorie dagegen existiert nichts, was dem gemeinschaftlichen
Körper vorausginge, auûer den Individuen und ihren Bewegungen. Es gibt
keine bereits existierende und zu übertragende Herrschaft; vielmehr wird versucht, die politische Herrschaft selbst zu begründen und ihre Entstehung zu zei12 Beispielhaft zum Ausdruck gebracht ist dies in der ¹Politikª des Althusius, wenn
er bei der Schilderung der Repräsentanten der verschiedenen Zusammenschlüsse in
der Provinzversammlung schreibt, dass sie nach ihrer Rückkehr Rechenschaft über
ihre Handlungen ablegen müssen (Althusius, Johannes: Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, 3. Aufl. 1614, Herborn [Faks.-Druck Aalen
1981, VIII, 66], jetzt in dt. Übers.: ders.: Politik, übers. von Heinrich Janssen, in
Ausw. hrsg., überarb. und eingel. von Dieter Wyduckel, Berlin 2003); die erste (recht
unterschiedliche) Ausgabe ist von 1603, ebenfalls verlegt bei Corvinus in Herborn; ich
beziehe mich hier auf die dritte Ausgabe, welches die endgültige Fassung ist. In diesem vormodernen Zusammenhang hat die Bezeichnung ¹Herrschaftª eine ganz andere
Bedeutung als im heutigen Sprachgebrauch. Es handelt sich weniger um Herrschaft
und Zwang eines Willens über andere als um eine ¹Regierungª im antiken Sinne von
¹gubernatioª, d.h. um eine Funktion vorgegebener Verhältnisse bzw. einer überindividuellen Ordnung, die nicht vom bloûen Willen der Menschen abhängt. Dagegen bedeutet Herrschaft im modernen Sinne eine Funktion individueller Willensbeziehungen
von Befehl und Gehorsam, die als legitime gedacht werden müssen. Deshalb gibt es
in der antiken und vormodernen Welt je nach den Verhältnissen verschiedene gerechte
Herrschaften (Regierungen), in der Moderne aber nur eine kraft subjektiver Willensakte legitime Herrschaft. Dieser neue Begriff von Herrschaft hat seinen Ursprung bei
Hobbes (vgl. auch Fn. 21 des 2. Kapitels).
24
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
gen. Das Volk, im Sinne einer Einheit, kann dem Vertrag nicht vorausgehen,
sondern ist eben jener politische Körper, den die Individuen, mit einem Kunstgriff, erst ins Leben rufen. Auûerhalb dieser Einheit gibt es nur ungeformte
Vielheit und keine Person, wie es die juristische Person ist. Dann gibt es also
niemanden, der Wollen und Handeln dieser Person darstellen könnte, wenn
nicht denjenigen, der auf repräsentative Weise, d.h. mit Geltung für die politische Einheit, einen einzigen Willen und ein einziges Handeln ausdrückt. Allein
in diesem Handeln des Repräsentanten manifestiert sich der Volkswille: noch
radikaler kann man sagen, dass nur in diesem Handeln das Volk ist, d.h. eine
konkrete und bestimmte Existenz hat; darüber hinaus gibt es nur das Handeln
der einzelnen Untertanen. So gelangt Hobbes, bezogen auf die Monarchie, zu
der paradoxen Behauptung: ¹Der König ist das Volkª, weil sich durch den einzigen Willen des Königs das Volk als Einheit manifestiert.13 Diese ¾uûerung
offenbart die Distanz zwischen dem hier dargestellten Begriff und der vorhergehenden mittelalterlich-feudalen Auffassung von Repräsentation, bei der das in
Stände gegliederte Volk dem Regierenden gegenüber- und entgegengestellt ist.
Jetzt dagegen kann das Volk paradoxerweise keinen Widerstand mehr leisten
oder gegen jemanden opponieren, weil auûerhalb seiner selbst nichts existiert:
Die Herrschaft des Souveräns ist dem Volk nicht äuûerlich oder entgegengesetzt, sondern findet ihren Grund in eben diesem Volk, ja, sie ist die ihm eigene
Form des Handelns.
Sichtbar werden zwei Grundzüge des Repräsentierens; der erste besteht in
seinem formierenden Charakter. Es geht also nicht darum, einen bereits formierten Willen auf die politische Ebene zu übertragen, sondern es geht darum,
dem, was repräsentiert wird, eine Form zu geben, d.h. den Volkswillen zu bestimmen, der erst in dieser Bestimmung das ist, was er ist. Was hervortritt, ist
also der aktive und kreative Charakter des Repräsentierens.
Das zweite Element steht mit dem ersten in Verbindung: der Akt des Repräsentierens erschöpft sich nicht im bloûen Spiel der Darstellung, der Erzeugung
von in sich abgeschlossenen Bildern, sondern verweist auf eine andere Instanz,
die zwar nicht physisch anwesend ist wie etwas Gegebenes, aber dennoch dem
Handeln des Repräsentanten eine besonderen Sinn verleiht: Er ist nicht einfach
ein Individuum unter anderen. Obschon die Existenz des politischen Körpers,
der Einheit des Volkes, nicht vorgegeben ist, sondern erst in dem Moment Gestalt annimmt, in dem sie in der Repräsentation zu Tage tritt, so fällt der politische Körper doch nicht unmittelbar mit dem Wollen und Handeln des Repräsentanten zusammen, der ihn repräsentiert: Zwar ist er nur in dessen Handeln präsent, doch ist der politische Körper, als ¹repräsentierterª, verschieden von der
Person und dem Handeln des Repräsentanten.
13 Hobbes, Thomas: Vom Menschen/Vom Bürger, hrsg. von Günther Gawlick,
Hamburg, 1959 S. 199.
2. Zur Geschichte der modernen Repräsentation
25
Die Logik der Repräsentation, die darin liegt, dass das Volk nur in der Form
der Repräsentation als politischer Körper agieren kann, weshalb diese Form also
auch keinen Widerstand zulässt, ist in der modernen Theorie des Staates ein dermaûen zentraler Gedanke, dass wir ihn sogar bei einem Autor wie Kant wiederfinden, der nach verbreiteter Auffassung wenig Affinitäten zu Hobbes aufweist.
Auch für Kant nämlich ist Widerstand gegen das souveräne Organ unmöglich,
weil es auûerhalb seines repräsentativen Ausdrucks kein Volk, sondern nur einzelne Untertanen gibt.14 Aus der engen Umklammerung der Repräsentation gibt
es vermutlich kein Entrinnen: in der modernen Theorie erscheint sie als alleinige Möglichkeit des Handelns der juristischen Person, d.h. als einzige Form
des politischen Handelns. Verständlich wird in diesem Zusammenhang, warum
die Repräsentativität nicht umso gröûer ist, je geringer der zahlenmäûige Abstand zwischen Repräsentanten und Repräsentierten ausfällt, sondern warum sie
gemeinsam mit diesem Abstand steigt: Deshalb kann Kant paradoxerweise sagen, das republikanische Element sei umso stärker, je stärker die Repräsentativität und das zugehörige Verantwortungsgefühl seien, so dass die Annäherung
an die echte res-publica eher einem monarchischen Regime gelinge als einem
Regime mit einer groûen Zahl von Repräsentanten; ganz zu schweigen von der
Demokratie, die im wörtlichen Sinne ± als Ausübung der Herrschaft durch alle
± der republikanischen Regierung nicht nur nicht nahe kommen kann, sondern
mit ihrem Gegenteil, d.h. der despotischen Regierung zusammenfalle.15
Repräsentation und Demokratie ± im engeren Sinne der Regierung des ganzen Volkes ± fallen bei Kant nicht nur nicht zusammen, sondern bilden geradezu einen Gegensatz. In der Demokratie gibt es nämlich keine Repräsentativität, aber auch keine Verantwortung und keine Form: die souveräne Versammlung des Volkes ist im eigentlichen Sinne unförmig, insofern sie keine Grenzen
hat, keinerlei Form gebenden peras, keinerlei Bezugspunkt für ihr Handeln.
Diese Logik der Repräsentation, typisches Merkmal der modernen politischen
Theorie, schlägt sich in einer sonderbaren Struktur der politischen Subjektivität
nieder.16 Eine Konstitution der politischen Form, welche Befehlsverhältnisse
14 Vgl. die ¹Allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur
des bürgerlichen Vereinsª, in: Kant, Immanuel: Metaphysische Anfangsgründe der
Rechtslehre, in: ders.: Kant's gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preuûischen Akademie der Wissenschaften, Abt. 1, Bd. VI, Berlin 1914, S. 318.
15 Vgl. Kant, Immanuel: Zum ewigen Frieden, in: Kant's gesammelte Schriften,
Bd. VIII, S. 353, Zur philosophischen Infragestellung des modernen Begriffs von Repräsentation bei Kant vgl. jedoch Kapitel 2, § 12 der vorliegenden Arbeit.
16 Natürlich sollen hier die oft erheblichen Unterschiede und die ganz verschiedenen Kontexte der erwähnten Denker nicht unterschlagen werden, aber dennoch sind
einige Elemente der Logik der Repräsentation zu beleuchten, die sich ± bisweilen erstaunlicherweise, bedenkt man die einschlägige Sekundärliteratur ± in Autoren wieder
finden, deren Überlegungen zur politischen Form gewöhnlich dem Bereich der naturrechtlichen Ansätze zugerechnet werden. Eine kritische Rechtfertigung dieses Vorgehens im Hinblick auf die Auslegung einzelner Philosophen findet sich in den Aufsät-
26
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
und Unterschiede zwischen den Menschen nicht als etwas Naturgegebenes voraussetzt, sondern auf dem rationalen Willen aller Individuen beruht, kann die
Individuen in ihrer Gesamtheit nur dann an der Herrschaft beteiligen, wenn
diese der Möglichkeit beraubt werden, selbst politisch zu handeln. Nur dann
werden Alle zu Urhebern, also Subjekten von Handlungen, wenn sie die Ausführung der Handlungen auf der politischen Bühne einem einzigen Darsteller
überlassen: dem Souverän bzw. den Repräsentanten der Souveränität des Volkes, also nur indem sie darauf verzichten, selbst öffentlich zu handeln. Auch
der Repräsentant freilich lässt sich kaum als handelndes Subjekt in vollem
Sinne begreifen, liegt doch sein Wesen eben darin, dass er als ¹Personª ± entsprechend der Wortherkunft ± eine Maske ist, d.h. eine Rolle übernimmt, deren
Handlungen auf die Urheberschaft aller Individuen zurückgehen. Schon bei ihrer Entstehung in der Neuzeit ist die Subjektivität unwiderruflich gespalten:
eine unmögliche Subjektivität, die nur als wechselseitige Spiegelung existiert.
Es ist bemerkenswert, dass der Ausdruck ¹Personª, auûer dem Merkmal der
subjektiven Innerlichkeit, das ihm anzuhaften scheint, schon von seiner Wortherkunft her ein szenisches Element beinhaltet: Person sein und auf der Bühne
etwas darstellen sind ein und dasselbe; zum Wesen der Person gehört es, repräsentativ, d.h. von Spaltung und Doppelung gezeichnet zu sein.
Die Unmöglichkeit einer vollen Subjektivität äuûert sich auch dort, wo die
Absolutheit des Hobbes'schen Souveränitätsbegriffs zurückgewiesen wird: Kant
etwa bezieht Repräsentation weniger auf einen von den Individuen geäuûerten
Willen oder auf ein als aktives Subjekt verstandenes Volk, das scheinbar vor
und unabhängig von der Repräsentation existiert, als vielmehr auf jene gemeinsame Vernunft und jenen öffentlichen Raum, die sich in der Beziehung zwischen Autor, d.h. Philosoph, und Publikum manifestieren; aber selbst bei ihm
bleibt der Repräsentation ein unantastbarer Herrschaftsbereich vorbehalten und
es kommt zu einer Kluft zwischen der Herrschaftsausübung und der Sphäre des
politischen Urteils, das im Übrigen nicht selbst in Handlung umschlagen
kann.17
Die Spaltung der Subjektivität ist anscheinend an die Repräsentation als
Form gebunden, d.h. an die legale, rechtsförmige Repräsentation, die den Wilzen des schon erwähnten Sammelbandes: Duso, Il contratto sociale nella filosofia politica moderna.
17 Es sei erinnert an Kants positive Bewertung der französischen Revolution, freilich nicht als historisches Geschehen, das die politische Form modifiziert, sondern als
von der Öffentlichkeit rezipiertes Ereignis: Kants Einschätzung betrifft also die Sphäre
des öffentlichen Urteils und nicht die (radikal ausgeschlossene) Frage der Legitimität
des revolutionären Geschehens. Eine besondere Wiederaufnahme der Kant'schen
Sphäre des Urteils auf dem Feld der Politik, die Diskussionen ausgelöst hat, ist in
jüngerer Zeit die von Hannah Arendt vorgelegte (vgl. Arendt, Hannah: Lectures on
Kant's Political Philosophy, hrsg. v. R. Beiner, Chicago 1982, sowie den Anhang zu:
dies.: The Life of the Mind, New York/London 1978.
2. Zur Geschichte der modernen Repräsentation
27
len des Staates durch die verfassungsmäûige Unterscheidung zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Verantwortlichen für Gesetz und Befehl einerseits und denjenigen, die diesem Befehl unterstellt sind, ausdrückt ± und zwar
unabhängig von der Frage, ob der Gesetzgeber auf Dauer eine einzelne Person
ist oder eine Gesamtheit von Abgeordneten, die von Mal zu Mal ersetzt werden
können. Ein solcher Unterschied ist selbstverständlich nicht zu vernachlässigen,
ändert aber nichts daran, dass das politische Handeln nur dem zusteht, der die
Rolle des Repräsentanten übernimmt.
Die Problematik der Repräsentation hat jedoch eine Bedeutung, die über den
im 17. und 18. Jahrhundert dominierenden formalen Aspekt hinausgeht. Ein
Element, das diese gröûere Tragweite bestätigt, findet sich im Gedankengut
Rousseaus, auch wenn dieser die Funktion des Repräsentanten und damit das
fragwürdige ± nicht auf Vernunft gegründete ± Vertrauen in eine oder mehrere
Personen (Repräsentanten) ablehnt zugunsten einer Eroberung der politischen
Bühne durch das Volk. Zu beseitigen ist nach Rousseau eben die Funktion des
Darstellers, des Schauspielers, der von seinem Wesen her Lug und Trug produziert und eine Differenz zwischen sich und den Zuschauern voraussetzt: Diese
sind der Möglichkeit des Handelns und der daraus erwachsenden Freiheit und
Glückseligkeit beraubt und auf die Rolle bloûer Beobachter reduziert. Dagegen
hält Rousseau: ¹Bietet die Zuschauer als Schauspiel dar, macht sie selbst zu
Schauspielern, macht, dass ein jeder sich in den anderen sieht und liebt, damit
alle einiger sind.ª18 Nicht mehr Theater also, sondern ein Fest, nicht länger das
Agieren von Repräsentanten, sondern politisches Handeln des Volkes: keine Repräsentation der Souveränität, sondern Aktualität des gemeinsamen Willens.
Aber selbst bei Rousseau ist die in der Repräsentation hervortretende Differenz nicht einfach überwunden, sondern lediglich verinnerlicht. Jeder ist Untertan und, als Staatsbürger, zugleich Souverän: Diese Konzeption ergibt freilich
keine spontane und glückliche Subjektivität, sondern trägt eine tiefe Spaltung in
das Individuum hinein. Ein jeder hört sein eigenes, partikuläres Ich ganz anders
sprechen als den Gemeinwillen, und dennoch ist dieser allgemeine Wille sein
Wille ± auch wenn er dem eigenen Ich und seinem Interesse widerspricht.19
Die Verinnerlichung des überindividuellen Willens bedeutet eine umfassendere
und vollkommenere Unterwerfung als im Fall des Hobbes'schen Souverän, und
impliziert zudem eine innere Spaltung und Auseinandersetzung.
18 Vgl. Rousseau, Jean Jacques: ¹Lettre à d'Alembert sur les spectaclesª, in: ders.:
êvres compl›tes, Bd. 5 (Écrits sur la musique, le langage, et le theatre), Paris 1995
(Édition PlØiade), S. 1±125; 115 (¹. . . donnez les Spectateurs en Spectacle; rendez-les
acteurs eux-m†mes; faites che chacun se voye e s'aime dans les autres afin que tous
en soient mieux unis.ª).
19 Rousseau, Jean-Jacques: êvres compl›tes, Bd. 3 (Du contrat social, Écrits politiques), Paris 1964 (Édition PlØiade), S. 363.
28
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
Die Differenz kommt ans Licht, wenn man sich fragt, wie sich der allgemeine Wille bildet. Dann entdeckt man nämlich, dass der göttlichen Gestalt des
groûen Gesetzgebers die ¹übermenschlicheª Aufgabe zufällt, auûerhalb der
Form und ohne eigene verfassungsmäûige Rolle diesem Willen Form zu geben
und Gesetze für die Menschen hervorzubringen. Hier tritt, jenseits der legalen
Repräsentation, ein repräsentativer Akt in dem Sinne der Formierung des Gemeinwillens, seines Gestalt-Annehmens hervor: dieser erscheint wiederum als
wesentlich für den Begriff der Einheit des politischen Körpers, der politischen
Person, des Volkes als politisches Subjekt und nicht als bloûe Ansammlung von
Individuen.
Dieser kurze Exkurs zu einigen Höhepunkten der Herausbildung der modernen Staatstheorie und damit der modernen Theorie der Repräsentation gibt Anlass, im Rahmen einer begriffsgeschichtlichen Betrachtung eine Reihe von Fragen aufzuwerfen.
Zu fragen ist, ob sich in der modernen Staatsform, wie sie seit der Französischen Revolution auftritt, im Grunde nicht Hobbes' Repräsentationsbegriff
durchgesetzt hat20 und wie sich die demokratische Idee der Volkssouveränität
mit einem repräsentativen Prinzip vereinbaren lässt, das an seinem Ausgangspunkt als notwendig elitär und aristokratisch erscheint. Radikaler noch ist zu
fragen, ob moderne Repräsentation sich nicht stets, und zwar aufgrund innerer
Notwendigkeit, als Form der Enteignung darstellt, d.h. ob die Individuen nicht
nur ihrer politischen Subjektivität, d.h. des unmittelbaren politischen Handelns,
sondern der Politik überhaupt beraubt werden ± eine Auffassung, die z. B. Hannah Arendt zu vertreten scheint.21
Zu untersuchen ist auûerdem der Umstand, dass einerseits die dargestellte
theoretische Entwicklung die Möglichkeit versperrt, den Begriff der Repräsentation auf Gruppen und partikuläre Interessen zu beziehen, da ja gerade die Einheit und Ganzheit des politischen Körpers repräsentiert werden sollen22, dass
20 Vgl. den interessanten, dem hier vertretenen Ansatz verwandten Vorschlag von:
Pasquino, Pasquale: ¹La rappresentanza politica. Progetto per una ricercaª, in: Quaderni piacentini 12 (1984), S. 69±86.
21 Vgl. Arendt, On revolution, bes. die beiden letzten Kapitel, S. 179 ff. sowie den
Aufsatz: Arendt, Hannah: Was ist Autorität, in: dies.: Zwischen Vergangenheit und
Zukunft. Übungen im politischen Denken I, München 1994, S. 159±200.
22 Im ständischen Kontext hat Repräsentation eine andere Bedeutung, weil sie sich
an einen Adressaten (die übergeordnete Herrschaft der Regierung oder des Fürsten)
richtet, gegenüber dem das Volk in seiner ständischen Gliederung repräsentiert wird.
Den Unterschied zwischen einer solchen Auffassung von Repräsentation, der sich auf
einen vorher bestimmten Willen bezieht, und jenem anderen Begriff, demzufolge sich
die Repräsentation auf die Gesamtheit des gemeinsamen Körpers bezieht und dem
Willen dieses Körpers mittels Fiktion Form verleiht, beleuchtet Miglio, Le trasformazioni del concetto di rappresentanza, bes. S. 15±16. Zu fragen ist, ob es nicht angemessener wäre, diese Form der ständischen Repräsentation mit dem Begriff der Teilnahme zu belegen: Im Unterschied zur modernen Repräsentation berücksichtigt er den
3. Repräsentation als Anwesenheit von Abwesendem
29
aber andererseits allmählich die Auffassung vordringt, dass Repräsentation die
Interessen der Gruppen und der Einzelnen schütze und auf die politische Ebene
hebe. Je mehr sich die Form des Staates verändert und je weniger der Repräsentationsbegriff, im Sinne der Repräsentation des Allgemeinen (Volk, Nation,
Gemeinwohl), eine komplexe Verfassungswirklichkeit zu beschreiben vermag,
ohne dass er aufgegeben wird, umso stärker verspürt man das Bedürfnis, den
Begriff der politischen Repräsentation durch Elemente von Partizipation zu ergänzen, wobei es weniger um die Teilnahme von Einzelnen als von Gruppen
und organisierten Interessen geht.23 Aber wie lassen sich derart gegensätzliche
Begriffe miteinander vereinbaren? Zwar ist in der modernen Repräsentation das
Interesse nicht gänzlich ausgeschlossen ± es wird akzeptiert als allgemeines Interesse oder als sein Gegenstück: das individuelle Interesse, verstanden als von
der staatlichen Macht geschützter individueller Freiraum ± vom Ansatz her ausgeschlossen ist aber die Repräsentation der Interessen von partikulären Körpern,
denn eine solche zerstört nicht nur in den Augen von Hobbes und Rousseau,
sondern auch nach Siey›s Einheit und Wesen des Staates.24
Die zur Untersuchung des Begriffs der politischen Repräsentation gehörenden
Probleme werden hier lediglich angedeutet, denn diese einführenden Überlegungen zielen nicht auf eine Vertiefung der genannten Problematik, sondern sollen
die Struktur des Repräsentierens selbst und die darin verborgenen philosophischen Probleme einer genaueren Betrachtung unterziehen.
3. Repräsentation als Anwesenheit von Abwesendem
Die Repräsentation ist offenbar derart tief in der Staatsform verankert, dass in
dem Moment, als diese Form offensichtlich in die Krise gerät, nicht zufällig der
Begriff der Repräsentation zum Hauptgegenstand der theoretischen Reflexion
wird. Gemeint ist die schwierige Zeit der Weimarer Republik, als der Staat
nicht mehr als über den Parteien stehende Instanz erscheint, die deren freies
Spiel gewährleistet, sondern selbst zum Gegenstand einer fortwährenden Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Gruppen und Kräften wird.25 Aus
Pluralismus der Partikularinteressen und unterstreicht das Wesen der Beziehung zwischen den partikulären Organisationen mit ihren nicht abgeleiteten Rechten und der
Zentralregierung, die in diesem Fall den ständischen Körperschaften nicht erst selbst
eine Form gibt, sondern sie als bereits vorgefundene anerkennt.
23 Beispielhaft ist Kaiser, Joseph Heinrich: Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1978 (1. Aufl. 1956); vgl. dazu Scalone, Antonino: Rappresentanza politica e rappresentanza degli interessi, Milano 1996.
24 Vgl. Sieyes, Emmanuel Joseph: Qu'est-ce que le Tiers Etat, hrsg. von Roberto
Zapperi, Genf 1970, S. 206±207.
25 Vgl. dazu den Vorschlag, diese politische Erfahrung mit dem Begriff ¹ausgehandelte Demokratieª (it. democrazia contrattata) zu beschreiben bei Rusconi, Gian Enrico: La crisi di Weimar. Crisi di sistema e sconfitta operaia, Torino 1977.
30
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
dem bisher Gesagten wird deutlich, dass auf diesem Wege die Repräsentation in
Frage gestellt wird, kommt es doch zur Wiedereinführung eines Begriffs der
bloûen Übermittlung von Interessen der sozialen Gruppen und Teile, wenn auch
im Rahmen des Begriffs der politischen Einheit, die weiterhin Grundlage der
formellen Verfassung bleibt. Artikel 21 der Weimarer Verfassung lautet nämlich, ähnlich wie in vorhergehenden und nachfolgenden modernen Verfassungen: ¹Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkesª, also nicht von besonderen Gruppen und Parteien oder von jenen einzelnen Wählern, die für sie
gestimmt haben.
Auf diese Form der Repräsentation als Ausdruck der politischen Einheit konzentriert sich Schmitt in seiner Verfassungslehre, und zwar in dem Bewusstsein,
dass diese Rolle der Repräsentation, auch wenn sie in der modernen Staatstheorie und im Verfassungsrecht erhalten geblieben ist, immer weniger der Verfassungswirklichkeit in Deutschland entspricht. Schmitts Überlegungen zur Repräsentation bilden, einige Jahre vor der Verfassungslehre von 1928, bereits den
Kern seiner Schrift Römischer Katholizismus (1923) und lösen einen Chor von
Stimmen aus, welche die Schlüsselrolle der Repräsentation für das Wesen der
politischen Form anerkennen. Fast zeitgleich mit Schmitts Werk von 1928 erscheint der wichtige Beitrag von Gerhard Leibholz Das Wesen der Repräsentation26 und 1929 die Schriften zur Repräsentation von Friedrich Glum27 und
Emil Gerber28. Aber um dasselbe Thema kreisen auch die Überlegungen in den
bekannten Werken von Rudolf Smend über die Verfassung29 und von Hermann
Heller zur Souveränität.30
In Frage gestellt wird in diesem Geflecht von Überlegungen die verbreitete
Meinung, Repräsentation sei gleichzusetzen mit Vertretung oder Stellvertretung,
d.h. mit einem ¹an jemandes Stelle stehenª, ¹in jemandes Auftrag handelnª,
wobei diese Fehlinterpretation darauf beruht, dass ein im Privatrecht gegebenes
Verhältnis zwischen Personen auf den Bereich des öffentlichen Rechts übertragen wird. Eine solche Begriffsverkürzung wird durch die Feststellung verhindert, dass das Phänomen der Repräsentation in der politischen Sphäre an den
Begriff der Einheit gebunden ist, die wiederum nicht anders in Erscheinung
26 Leibholz, Gerhard: Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, Berlin u. Leipzig 1929, oder die 3., erweiterte Auflage ders.: Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im
20. Jahrhundert, Berlin 1966.
27 Glum, Friedrich: Der deutsche und französische Reichswirtschaftsrat. Ein Beitrag
zu dem Problem der Repräsentation der Wirtschaft im Staat, Berlin u. Leipzig 1929.
28 Gerber, Emil: Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland
zwischen Wiener Kongreû und Märzrevolution, Neunkirchen/Saar 1929 (Dissertation
von 1926).
29 Smend, Rudolf: Verfassung und Verfassungsrecht, München u. Leipzig 1928.
30 Heller, Hermann: Die Souveränität, Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin u. Leipzig 1927.
3. Repräsentation als Anwesenheit von Abwesendem
31
treten kann als durch jenen Akt des Formierens, der mit der Repräsentation
zusammenfällt. Einerseits impliziert der Begriff der Repräsentation also politische Einheit und somit Identität, andererseits jedoch hebt er sich von diesen
Konzepten ab, insofern er das Element der Dualität und Differenz einschlieût.31
Repräsentation und Einheit bilden einen Gegensatz und bedingen sich zugleich
gegenseitig. Diese Aussage gilt, wie ich meine, für Schmitt: Zwar sieht er Repräsentation und Einheit als entgegengesetzte Bezugspunkte, die abwechselnd in
der Geschichte der Staaten überwiegen, zugleich aber betrachtet er sie nicht als
in Reinform gegebene: Es gibt keine Identität auûer durch Repräsentation, welche die Identität präsent und erfahrbar macht und der Identität eines politischen
Körpers, eines Volkes, Form verleiht.32 Schmitt erinnert mit Kant daran, dass
keine Repräsentation vorliegt, wenn das Volk in seiner unmittelbaren Präsenz
gegeben ist: ¹[. . .] so repräsentiert das vereinigte Volk nicht bloû den Souverän,
sondern es ist dieser selbstª.33 Jedoch ist es eben diese unmittelbare Präsenz des
Volkes, die in der Realität nicht gegeben ist, und Kant stellt das formierende
Prinzip der Repräsentation in den Mittelpunkt der politischen Theorie.
Die theoretische Analyse versucht also, dem repräsentativen Handeln auf den
Grund zu gehen: Da es Form verleiht und ein präsentes, konkretes Bild erzeugt,
ist es nicht bloûe Vermittlung von etwas schon Gegebenem. Repräsentation
scheint strukturell mit dem übereinzustimmen, was seine Wortherkunft besagt:
Dasjenige präsent und konkret erfahrbar zu machen, was abwesend ist, etwas
gegenwärtig zu machen bzw. zu vergegenwärtigen, was als solches nicht der
Gegenwart angehört.34 Repräsentation ist an die Notwendigkeit gebunden, das
greifbar zu machen, was es von seinem Wesen her nicht ist.35 Schmitt bringt
31 Vgl. Schmitt, Carl: Verfassungslehre, Berlin 1928, S. 205; zur ¹Duplizitätª vgl.
Leibholz: Das Wesen der Repräsentation, S. 28 und 37.
32 Vgl. dazu Duso, Giuseppe: ¹Tra costituzione e decisione: la soggettività in Carl
Schmittª, in: ders. (Hrsg.), La politica oltre lo Stato: Carl Schmitt, Venezia 1981, bes.
S. 58±60; eine Untersuchung dieser Beziehung erfolgt aber auch in Kap. 4 des vorliegenden Bandes, wobei gezeigt werden soll, dass die Repräsentation im Schmitt'schen
Ansatz die einzige Struktur und zugleich Bildungsweise der politischen Form ist.
33 Vgl. § 52 der ¹Metaphysik der Sittenª.
34 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 26. Eine genauere Untersuchung der Debatte mit ihren unterschiedlichen Positionen findet sich im 4. Kapitel.
An dieser Stelle geht es mir lediglich darum, die auf das Feld der Philosophie und
Theologie führenden Aporien der zugrunde liegenden theoretischen Struktur herauszuarbeiten. Eine Erörterung des Repräsentationsbegriffs, die der deutschen Debatte der
1920er Jahre besondere Beachtung schenkt, findet sich in dem sehr hilfreichen Aufsatz von Galli, Carlo: ¹Immagine e rappresentanza politica. Ipotesi introduttivaª, in:
La rappresentanza politica, S. 27±52. In der Bezeichnung ¹Repräsentationª kommt das
aktive, formierende Element zum Ausdruck: Es ist bemerkenswert, dass im Deutschen
die Bezeichnung ¹Vertretungª oft als unangemessen und irreführend empfunden wird
und man deshalb auf den ursprünglich lateinischen Terminus ¹Repräsentationª zurückgreift, der in der hier interessierenden Debatte oft als Gegensatz zu ¹Vertretungª erscheint.
32
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
die Dialektik des Begriffs sehr treffend zum Ausdruck, wenn er sagt, sie liege
¹darin, daû das Unsichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig
anwesend gemacht wirdª.36 Es ist stets eine unsichtbare, nicht präsente Wirklichkeit, die sich in der Repräsentation zeigt und diese möglich und zugleich
notwendig macht, damit überhaupt von der unsichtbaren Realität gesprochen
werden kann. Deutlich wird, wie weit sich diese Sicht von der in den modernen
Demokratien verbreiteten Meinung entfernt, der Repräsentant hänge vom Willen seiner Wähler ab. Das ist übrigens offensichtlich, wenn man bedenkt, dass
seit der Französischen Revolution eben die Nation in ihrer Gänze in der repräsentativen Versammlung repräsentiert ist.
An dieser Stelle lassen sich einige Überlegungen politisch-verfassungsrechtlicher Art anstellen. Zunächst einmal wird deutlich, warum im Zusammenhang
des Problems der politischen Einheit, das ± wie gesehen ± schon die Herausbildung der Staatstheorie geprägt hat, der Repräsentant notwendigerweise unabhängig ist.37 Die Figur des so genannten ¹freien Mandatsª ist nämlich an die
Vorstellung gebunden, der auszudrückende Wille des Gemeinkörpers falle nicht
mit dem Willen der das Mandat erteilenden Individuen zusammen und existiere
deshalb nicht, wenn er nicht mittels Repräsentation Form annehme. In diesem
Sinne lässt sich sagen, die Repräsentation komme immer ¹von obenª und sei
niemals bloûe Widerspiegelung eines bereits existenten Willens, könne nie von
einem anderen Willen oder einem Auftrag abhängen.38 Repräsentation ist also
nicht nur ein Merkmal der so genannten repräsentativen Einrichtungen, bei denen eine Wahl der Abgeordneten durch die Bürger vorgesehen ist: Auch der
Hobbes'sche Souverän ist eine Form der Repräsentation, insofern sie der politischen Einheit eine konkrete Form verleiht.
Der Repräsentant ist also unabhängig, und aus demselben Grund kann der
Bezugspunkt seines Handelns, wie bestimmt und partikulär dieses auch sein
mag, kein anderer sein als die Gesamtheit. Denn diese ist es, die repräsentiert
werden muss und von der man annimmt, dass sie repräsentiert wird: Die Teile
sind nichts weiter als sie selbst, und für die partikulären Interessen gibt es nur
Vertretung.39 Deshalb sagt man, der Repräsentant repräsentiere die ganze Na35 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 57 sowie Heller, Die Souveränität, S. 76, der hinsichtlich der Demokratie von der Volkssouveränität als einer Einheit
über dem als Vielheit gefassten Volk spricht: Auch hier liegt das Problem darin, der
politischen Einheit eine Form zu geben, ohne das diese aus der Vielheit der realen
Individuen ableitbar wäre.
36 Schmitt, Verfassungslehre, S. 209±210.
37 Schmitt, Verfassungslehre, S. 212.
38 Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 37. Eben weil die Repräsentation keinen bereits konstituierten Willen voraussetzt, erklärt Leibholz, dass man nicht zwischen mittelbarer und unmittelbarer Repräsentation unterscheiden könne; Repräsentation ist immer unmittelbar, weil sie nicht auf einer Vollmacht beruht, nicht ¹Vertretungª ist (vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 38).
3. Repräsentation als Anwesenheit von Abwesendem
33
tion, das ganze Volk. Würde nur das Partikuläre repräsentiert, dann gäbe es keinen politischen Körper, sondern einen Kampf zwischen verschiedenen Teilen
und Körpern: es gäbe dann keine politische Einheit.
Ein weiteres Wesensmerkmal der Repräsentation ist das der Persönlichkeit.
Wenn jenes Unsichtbare, das greifbar werden soll, von Transzendenz geprägt
ist, dann muss es im persönlichen Handeln, d.h. in einer konkreten Handlung
hervortreten, die einer Person zugeordnet werden kann.40 So offenbart sich jenes Merkmal des Repräsentanten, auf das schon Hobbes hinweist: Er ist im
etymologischen Sinn Person, d.h. Maske, Darsteller, der nicht eigene Handlungen ausführt, sondern einer anderen Wirklichkeit Gestalt verleiht, der auf der
Bühne etwas darstellt, dessen Autoren andere sind.41 Daraus folgt, dass dem
Begriff der Repräsentation im Staatsrecht ± anders als der privatrechtlichen
¹Vertretungª ± die Dimension der Öffentlichkeit zu eigen ist.42 Aber das Merkmal der Öffentlichkeit ist im Grunde schon in der ¹szenischenª Dimension des
Repräsentierens enthalten, also in der Tatsache, dass Repräsentieren heiût, jemandem etwas präsent, d.h. gegenwärtig zu machen.
Gänzlich unfähig, die Dialektik des Begriffs zu erfassen, erscheint vor diesem Hintergrund die Meinung, wonach sich Repräsentation auf eine schlichte
Beziehung zwischen Repräsentant und Repräsentiertem reduziert und letzterer
durch seine Stimme die Vollmacht erteilt, repräsentiert zu werden. In Wirklichkeit ist die zu Tage tretende Dialektik um einiges komplexer und umfasst: den
Repräsentanten; die zu repräsentierende politische Einheit als ideale Gröûe; das
Repräsentierte im Sinne des Produkts der Repräsentation, d.h. der konkreten
Art und Weise, wie die Idee interpretiert, greifbar und präsent gemacht wird;
schlieûlich diejenigen, für die die Repräsentation vollzogen wird, d.h. diejenigen, die sich in ihr wiedererkennen, also repräsentiert fühlen.
Besonders aporetisch im Wesen der Repräsentation und daher einer eingehenden Erörterung bedürftig erscheint jedoch der Umstand, dass das Abwesende
gegenwärtig wird, d.h. dass das an sich Unsichtbare in irgendeiner Weise sichtLeibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 54.
Repräsentation ist an die Vorstellung einer persönlichen Autorität gebunden und
setzt die Würde der Person voraus, so Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 29.
41 Vgl. Kap. XVI des ¹Leviathanª. Zur ursprünglichen Bedeutung von ¹Personª als
¹Maskeª und zum Gebrauch des Begriffs ¹Personª in der Trinitätslehre seit Tertullian
vgl. Schlossmann, Siegmund: Persona und Prósopon im Recht und im christlichen
Dogma, Kiel 1906; vgl. auch das Stichwort Persona in: Pauly-Wissowa: Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, XIX/1, Stuttgart 1937, S. 1036±1040
zur Vielfalt der etymologischen Hypothesen.
42 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 33, und auch Wolff, Hans J.:
Organschaft und Juristische Person, Bd. 2: Theorie der Vertretung ± Stellvertretung,
Organschaft und Repräsentation als soziale und juristische Vertretungsformen, Berlin
1934; die Seiten 16±91 finden sich unter dem Titel ¹Die Repräsentationª auch in
Rausch (Hrsg.): Zur Theorie und Geschichte, S. 116±221, hier S. 199.
39
40
3 Duso
34
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
bar wird. Hier setzt eine aufschlussreiche Kritik an Schmitt an: Die Behauptung, das als abwesend Vorausgesetzte werde gleichzeitig vergegenwärtigt, gilt
dieser Kritik als Widerspruch; wenn das Unsichtbare gegenwärtig gemacht
werde, dann sei es eben nicht mehr abwesend, sondern schlicht und einfach
präsent.43 Noch bedeutsamer ist der Hinweis auf die gänzlich theologische
Wurzel dieses Widerspruchs: Denn gerade im Bereich der Theologie ist von
Gott die Rede als von etwas, das zugleich als anwesend und abwesend gedacht
werden kann. Diese Kritik ist hilft uns, die Thematik der Repräsentation weiter
zu vertiefen, und zwar unter dem Gesichtspunkt ihrer theologischen Herkunft
und ihres symbolischen Gehalts.
Das Symbolische ist mit dem Göttlichen nachdrücklich in Verbindung gebracht worden, denn offenbar bietet es die einzige Möglichkeit, das Göttliche
zu erreichen und zu erfahren; der Grund liegt in der Inkommensurabilität des
übersinnlichen Daseins Gottes im Verhältnis zu unserem Geist, der dem Sinnlichen verhaftet ist.44 Das Problem des Verhältnisses zwischen Sinnlichem und
Übersinnlichem, Sichtbarem und Unsichtbarem, das als Eigentümlichkeit der
Repräsentation gelten darf, scheint zugleich das Wesen des Symbols zu kennzeichnen, vor allem wenn dieses das Verhältnis zum Göttlichen betrifft, denn
die religiöse Form des Symbols entspricht wohl seinem ursprünglichen Wesen
einer Verbindung zwischen Endlichem und Unendlichem.45
Aber das religiöse Element ist bereits in der Geschichte der Wortfamilie verankert, die von der Wurzel repraesentatio abgeleitet ist. Man denke etwa an die
sprachliche Tradition der ¹eucharistischen Repräsentationª46 oder auch an den
zuerst von Tertullian auf Christus angewandten Ausdruck Repraesentator47.
Hier wird sowohl das Element der Transzendenz offenbar als auch das in der
Repräsentationsfunktion implizierte persönliche, menschliche Element; denn
nicht Gottvater lässt sich der Akt des Repräsentierens zuschreiben, ist er doch
jenseits aller möglichen Gestalt und Sichtbarkeit; die Repräsentativität von
43 Glum: Der deutsche und französische Reichwirtschaftsrat; die angesprochene
Kritik findet sich in einem Textteil, der auch erschienen ist unter dem Titel ¹Begriff
und Wesen der Repräsentationª, in: Rausch (Hrsg.): Zur Theorie und Geschichte, bes.
S. 106±107; vgl. auch Wolff, Die Repräsentation, S. 125±126.
44 Vgl. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode, 4. Aufl. 1975, Tübingen,
S. 69, zum Pseudodionys.
45 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 74: ¹Die religiöse Form des Symbols
entspricht damit genau der ursprünglichen Bestimmung von Symbolon, Teilung des
Einen und Wiederergänzung aus der Zweiheit zu sein.ª
46 Grundlegend für die Geschichte des Begriffs ¹Repräsentationª in den verschiedenen, relevanten Anwendungskontexten ist Hofmann, Hasso: Repräsentation. Studien
zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 4. Auflage
2003, Berlin, hier insbes. Kap. 2.
47 Adversus Praxeam, 24, 7, vgl. Hofmann, Repräsentation, S. 48. Vgl. Tasinato,
Maria: ¹La ¸Repraesentatio in Tertulliano: l'immagine e il teatroª, in: Il Centauro 15
(1985), S. 119±131.
3. Repräsentation als Anwesenheit von Abwesendem
35
Christus liegt eben darin, dass er zugleich Gott, aber auch Mensch ist, in seiner
Fähigkeit, Bilder hervorzubringen und selbst ein Bild zu sein. In der auf das
Göttliche bezogenen Repräsentation sind also zwei Elemente zugleich gegeben:
einerseits die Transzendenz, das radikale Anderssein Gottes, andererseits sein
Sich-Vergegenwärtigen in der Repräsentation der Person, durch eine dem Menschen eigene Hervorbringung von Bildern.
Eine Nähe zwischen Symbol und Repräsentation finden wir bei Smend48; und
selbst bei Leibholz erfolgt die Unterscheidung der beiden Begriffe im Rahmen
der ihnen gemeinsamen Funktion, das Geistige und Unsichtbare mit der sinnlichen Welt zu verbinden.49 Aber vor allem bei Schmitt tritt der der Repräsentation innewohnende Aspekt der Transzendenz deutlich ans Licht. Der Theologismus-Vorwurf ist ± auf seine Art und ganz unabhängig von den Intentionen seiner Vertreter ± treffend, weil er die wahre Herkunft der politischen Theologie
Schmitts aufzeigt.
Schon im Römischen Katholizismus deutet sich das transzendente Element
der politischen Form an. Die unglaubliche Kraft der politischen Form der Kirche hängt eben mit dem repräsentativen Element zusammen, das sie in hervorragender Weise verkörpert. Wenn es zutrifft, dass in der modernen Theorie der
Repräsentation die politische Einheit nicht aus der Vielfalt der Interessen und
dem Konflikt der Teile erwachsen kann, sondern repräsentiert werden muss ±
weshalb die Repräsentation von oben kommt und sich auf die Idee von der Einheit des Volkes bezieht ± dann gilt um so mehr, dass es dieses im wahrsten
Sinne des Wortes transzendentale Element ist, welches die Autorität der Kirche
stärkt, die nicht nur die menschliche civitas, sondern zugleich Christus repräsentiert. Die Transzendenz erscheint eben dank der Repräsentation als Kernelement der politischen Form, und diese Tatsache lässt sich auch nicht in der
modernen Repräsentanz auslöschen, die den Abschluss eines langen Prozesses
der Säkularisierung bildet.50
Transzendenz und ihre Vergegenwärtigung auf der öffentlichen Bühne durch
Bild, Ritus, Sprache und Liturgie sind die typischen Kennzeichen der kirchlichen Repräsentation, aber auch jeder anderen Form von Repräsentation. Es ist
nämlich unmöglich, die sinnlich wahrnehmbaren, materiellen Dinge zu repräsentieren, die dem wirtschaftlichen und technischen Bereich angehören: diese
Dinge sind, in ihrer Gegebenheit, einfach präsent. Also nicht Interessen und
Vgl. Smend, Verfassung, S. 28 und 48.
Der Unterschied ist dem Umstand geschuldet, dass das Symbol ¹dinghaft gebundenª ist (Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 36) und ± obgleich, wie die Repräsentation, auf ein äuûeres Wesen als Wert bezogen ± nicht die Funktion hat, dieses
Wesen noch einmal konkret zu vergegenwärtigen. Einen Unterschied zwischen Repräsentation und Symbol sieht Wolff, Die Repräsentation, S. 121.
50 Zur Beziehung von Transzendenz und politischer Theologie sowie zur Repräsentation als Ursprung der politischen Theologie Schmitts vgl. Kap. 4.
48
49
3*
36
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
Bedürfnisse, sondern Begriffe wie Gott, Volk, Gerechtigkeit sind Gegenstand
der Repräsentation, nicht empirisch gegebene, sondern ideelle Gegenstände.51
Dies trifft auch auf die moderne politische Theorie zu, wenn man bedenkt, dass
das Parlament das Volk repräsentiert, das Volk als Ganzheit und Einheit aber
nicht etwas Gegebenes, sondern eben eine Idee ist.52
Erkennt man die Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie
Schmitts, dann lassen sich die verbreiteten Missverständnisse seines so genannten ¹Dezisionismusª aufklären. Beachtet man, dass Entscheidung nicht Willkür
ist, nicht bloûes Produkt des Willens, sondern wirksame Entscheidung, d.h. die
effektive Fähigkeit, eine politische Wirklichkeit zu formieren53, dann wird verständlich, dass eine solche Entscheidung ihre ganze Tragweite erst dann offenbart, wenn man ihr repräsentatives Element erkennt. Letzteres nämlich bedeutet
zugleich: Entscheidung; Fähigkeit, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit zu einen; Handlungsfähigkeit, die Zusammenhalt stiftet; Zustimmung und Überzeugung. Es bezieht sich auf eine Art von Ideen, ohne die für Schmitt die Politik
nicht begreifbar ist, es sei denn als bloûe Technik; aber die Technik als solche
erscheint nicht tauglich, sie bringt keine wirksamen, dauerhaften Entscheidungen zustande.54
Im Zentrum dieser Überlegungen zur Repräsentation steht offenbar das Element der Transzendenz, sei es als Merkmal der Person Christi wie im Fall der
Kirche, sei es in Gestalt der Idee, die jedenfalls auch grundverschieden von
aller physischen Präsenz ist und sich nicht auf die Repräsentation reduzieren
lässt, von der sie in gewisser Weise präsent gemacht wird.55 Aber das Gegenwärtig-Sein dessen, was über die Form der Repräsentation hinausgeht, ist die
Aporie (Glum sprach von ¹Widerspruchª) der Anwesenheit des Abwesenden.
51 Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 28±29 und ders., Verfassungslehre,
S. 210.
52 Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 36.
53 Vgl. dazu die Beiträge in Duso, La politica oltre lo Stato, jetzt aber auch die
umfassende Monographie über Schmitt von Galli, Carlo: Genealogia della politica.
Carl Schmitt e la crisi del pensiero politico moderno, Bologna 1996. Noch immer
wichtig ist Hofmann, Hasso: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Berlin 1992, 2. Aufl.
54 Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 22±23.
55 Siehe dazu weiter unten Überlegungen zum Zusammenhang von Göttlichem und
Idee. Auch nach Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32 ff. wurzelt die Repräsentation in einer Welt ideeller Werte, weshalb das wirtschaftliche Element nicht repräsentiert werden könne. Die mit Nachdruck im Römischen Katholizismus aufgezeigte zentrale Rolle der Transzendenz für die Problematik der Repräsentation ist in
spezifischer Weise bereits in den Schriften des vorhergehenden Jahrzehnts antizipiert:
vgl. dazu wiederum Kap. 4 und Nicoletti, Michele: ¹Alle radici della ¸teologia politica di Carl Schmitt. Gli scritti giovanili (1910±1917)ª, in: Annali dell'Istituto storico
italo-germanico di Trento X (1984), S. 255±316; vom selben Verfasser vgl. jetzt die
umfassende Monographie: ders.: Trascendenza e potere. La teologia politica di Carl
Schmitt, Brescia 1990.
4. Die Struktur der Repräsentation
37
Diese aporetische Dialektik lässt im Übrigen ein Problem aufscheinen, das sich
weder auf die politische Sphäre eingrenzen noch in ihr lösen lässt, aber das der
Herausbildung des Politischen selbst zugrunde liegt und uns zur Frage seines
Ursprungs zurückbringt. 56
4. Die Struktur der Repräsentation
Eine Analyse dessen, was der Ausdruck repraesentare uns durch seine Abstammung und seinen Gebrauch verrät, ist ein riskantes Unterfangen, bei dem
sich eine gewisse Willkür oder zumindest Auswahl nicht vermeiden lässt, da
die zu untersuchenden Schichten sprachlicher Tradition sehr zahlreich sind und
der empirisch feststellbare Wortgebrauch zuweilen groûe Widersprüche aufweist.57 Gleichwohl sind einige Elemente vorhanden, die den Terminus prägen,
einige sprachliche Traditionen, die sich in ihm abgelagert haben und offenbar
eine verborgene Wirkung entfalten, auch auf Gebieten, wo der Wortgebrauch
ganz klar und eindeutig zu sein ¹scheintª. Ich beziehe mich vor allem auf die
wichtige Sprachtradition, die den Ausdruck ¹repraesentatioª im Zusammenhang der Eucharistie und der zugehörigen Dispute verwendet und deren Auswirkungen weit über das theologische Feld hinauszugehen scheinen, wenn man bedenkt, dass die Definition der politischen Repräsentation, an einem Angelpunkt
der staatstheoretischen Argumentation, auf die Formel von der ¹Anwesenheit
des Abwesendenª bzw. der ¹Sichtbarkeit des Unsichtbarenª zurückgreift.
Bei den lateinischen Klassikern werden die Mitglieder der Wortfamilie repraesentare nicht einheitlich verwendet; die gängige Konnotation der Evidenz,
der visuellen Ausdruckskraft58 scheint sich zuweilen in einer bloûen Unmittelbarkeit und Anwesenheit des Gezeigten aufzulösen: so etwa in der mehrfach bei
Cicero belegten Wendung ¹pecuniam repraesentareª in der Bedeutung von
¹das Geld sofort vorlegen, umgehend bezahlenª.59 Zugleich tendiert die Wortbedeutung oftmals in die Richtung der Erneuerung einer Handlung: es wird etwas vergegenwärtigt oder erneut vergegenwärtigt, was nicht unmittelbar vor
Augen ist oder zumindest nicht im gegebenen Moment.60 Das dem Präfix re
innewohnende verstärkende Element verhindert nicht die oftmals zu beobach56 So gesehen wirft die politische Theologie das Problem der politischen Philosophie erneut auf.
57 Vgl. Rausch, Repräsentation, S. 69 ff; mit der Fähigkeit, unterschiedliche Kulturbereiche und Disziplinen zu erkunden, um den Begriff in seiner Vielgestaltigkeit zu
erfassen, besticht insbesondere ist die schon mehrfach zitierte Arbeit von Hasso Hofmann, Repräsentation.
58 Vgl. z. B. Quintilian: ¹plus est evidentia, ut vel alii dicunt repraesentatio, quam
perspicuitasª, vgl. Hofmann, Repräsentation, S. 39.
59 Vgl. Rausch, Repräsentation, S. 77.
60 Vgl. Hofmann, Repräsentation, S. 39.
38
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
tende iterative Bedeutung desselben und den Verweis auf ein Anderes, auf etwas, das von anderer Natur, an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit
oder gänzlich auûerhalb von Raum und Zeit ist. Diese Form von Verweis verhindert ihrerseits nicht das Element der Evidenz, das ein Wesensmerkmal des
Terminus bleibt, denn im Repräsentieren steckt der physische Aspekt der Erzeugung einer sichtbaren Figur, der Hervorbringung dessen, was ins Auge fällt,
was evident ist.
Selbst Cicero zeigt diese Verknüpfung der Evidenz eines Geschehens mit ihrem Symbolwert, d.h. mit dem Verweis auf einen das Physische übersteigenden
Wert, wenn er seinen Tod als Repräsentation der bürgerlichen Freiheit, also als
Repräsentation eines Wertes versteht, 61 der als solcher nicht sichtbar und nicht
im physischen Sinne präsent ist. Auch hier steht der Verweis auf ein Anderes,
auf das, was seiner Natur nach das Todesgeschehen übersteigt, nicht im Widerspruch zu der vom Präfix geleisteten Funktion der Intensivierung und Vergegenwärtigung: Hier und jetzt wird etwas gegenwärtig, und nicht später oder
irgendwann.
Auch der umstrittene Passus Tertullians ± eines für die Geschichte der ¹repraesentatioª recht wichtigen, doch schwer zu deutenden Autors ± wo es heiût,
in den an einigen Orten Griechenlands stattfindenden Konzilen werde die ¹repraesentatio ipsa totius nominis christianiª gefeiert, bringt die sichtbare Präsenz der im Konzil versammelten Personen in Zusammenhang mit der Idee der
ganzen Christenheit, die auf diese Weise konkret und lebendig wird. 62
Der Verweis auf ein wesenhaft Anderes, das aber in konkreter Form vergegenwärtigt wird, ist noch deutlicher dort, wo der Terminus ¹Repräsentationª
zum Einsatz kommt, um die Gegenwart des Leibes Christi in der Eucharistie zu
bezeichnen.63 In der Debatte über die Eucharistie unterliegt der Wortgebrauch
einer gewissen Schwankung, je nach den verschiedenen, mehr oder weniger
rechtgläubigen theologischen Positionen: ¹Repräsentationª bedeutet daher teils
61 ¹Quin etiam corpus libenter obtulerim, si raepraesentari morte mea libertas civitatis potestª, zitiert nach Hofmann, Repräsentation, S. 42.
62 So die Interpretation des berühmten und umstrittenen Passus De ieiunio adversos
psychicos, 13,6, in der Übersetzung von Lebreton, Jacques: ¹Le dØveloppement des
institutions ecclØsiastiques à la fin du second si›cle et au dØbut du troisi›meª, in: Recherches de Science Religieuse 24 (1934), S. 161; vgl. zur Debatte über die Interpretation dieser Textstelle Hofmann, Repräsentation, S. 47 ff. Da das vorliegende Kapitel
lediglich die Absicht verfolgt, den im Repräsentationsbegriff verborgenen philosophischen Kern herauszuschälen, übergehe ich hier ein groûes Problem der Geschichte
politischer Begriffe, das Otto Hintze aufwirft, wenn er im Einklang mit seiner
Annahme einer historischen Kontinuität, den Konzilen eine grundlegende Bedeutung
für die Herausbildung repräsentativer Körperschaften zuschreibt. (vgl. Hintze, Otto:
¹Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativverfassungª (1931), in: Oestreich,
Gerhard (Hrsg.): Staat und Verfassung, 2. Aufl. 1962, Göttingen, S. 140±185.
63 Schon bei Tertullian: ¹. . . Nec panem, quo ipsum corpus suum repraesentat . . .ª
(Adversus Marcionem, 1, 14,3).
4. Die Struktur der Repräsentation
39
Zeichen oder Erinnerung ¹tamquam in tragoediaª des Leibes Christi wie etwa
bei Melanchton, teils reale Präsenz des Leibes Christi in der sakramentalen Repräsentation.64 Hervorzuheben ist jedoch, dass die Bezeichnung in jedem Falle
auf ein wirkliches Opfer verweist, das sich tatsächlich einmal (semel) in geschichtlicher Zeit ereignet hat, das jedoch erneuert, d.h. erneut vergegenwärtigt
wird durch das Geschehen der Repräsentation, in das die Teilnehmer aktiv einbezogen sind: Das Leiden wird neu erlebt und entfaltet seine Wirksamkeit für
diejenigen, die am Sakrament teilnehmen. Wenn es also in der repraesentatio
eine Figur, ein Bild gibt (repraesentatio imaginis), dann nicht im bloûen Sinne
eines Zeichens, das eine transzendente Wirklichkeit ¹bezeichnetª, sondern vielmehr im Sinne eines Bildes, das die Kraft und Wirksamkeit des Urbildes in sich
trägt; deshalb beinhaltet die Feier des Geheimnisses ¹repraesentatio dominicae
passionis et partecipatio fructus ejusª.65
In der Rede vom eucharistischen Geheimnis manifestiert sich also ein weiteres Kennzeichen der Repräsentation: sie geschieht immer für jemanden, was
nicht nur bedeutet, dass sie an jemand gerichtet ist, sondern auch, dass der
Adressat der Repräsentation sich in ihr wiedererkennt, an ihr teilnimmt, dass er
betroffen ist und eine aktive Rolle spielt: Er ist selbst Element der Repräsentation.
Die Untersuchung der sprachlichen Tradition fördert dieselben Elemente zu
Tage wie die theoretische Reflexion über den Begriff ¹Repräsentationª. Vor allem das Mehr- und Anderssein dessen, worauf verwiesen wird: Repräsentiert
wird das, was als solches nicht im gegenwärtig Gegebenen ist, da es sich dem
Sehen und Wahrnehmen entzieht; denn sonst gäbe es weder die Notwendigkeit
noch die Möglichkeit, es zu repräsentieren. Repräsentiert wird also das, was
auûerhalb dieser Zeit liegt und wesensmäûig vom empirisch Gegebenen verschieden ist. Und dennoch ist das, worauf verwiesen wird, nicht an einem ¹anderen Ortª: von ihm sprechen lässt sich nur durch die Repräsentation, das Bild,
den Akt der Vergegenwärtigung, der es jedoch weder reduziert noch seiner radikalen Alterität beraubt, der es nicht erschöpft und nie zu seinem Objekt macht.
Während das Präfix re dieses Mehrsein und die Erneuerung eines Geschehens
bezeichnet, in welchem sich das ursprüngliche Ereignis erneut zeigt, steht praesentare einerseits für das zeitliche Moment, d.h. die Vergegenwärtigung des Repräsentierten im Hier und Jetzt, andererseits für den Akt der Formierung, welcher das Repräsentierte ganz konkret sicht- und fassbar macht. In diesem Prozess entsteht die Form, oder Gestalt, eben aus der Repräsentation, geht ihr nicht
voraus, denn das Urbild als solches ist nicht sichtbar wie etwas, von dem man
Vgl. dazu Hofmann, Repräsentation, S. 65 ff.
Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica, III, q. 3, a. 2 corp., und Hofmann,
Repräsentation, S. 73.
64
65
40
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
eine gewöhnliche Kopie, ein Duplikat anfertigen könnte, dessen Identität lediglich in physischer Trennung und Verdopplung seine Grenze fände.
Auûerdem richtet sich das Geschehen bei der Repräsentation an jemanden,
was im Italienischen ¹rappresentareª (gebildet aus ri-ad-praesentare) deutlich
wird.66 Das Bild ist da, um von demjenigen gesehen zu werden, der es sieht
und als Ereignis erlebt. Wenn dies für die szenische oder bildliche Darstellung
(it. rappresentazione) auf der Bühne oder in der Malerei gilt, dann umso mehr
und in vollem Sinne auf der religiösen Ebene67, wo sich in der Begrenztheit des
Bildes das, was jegliches Bildnis übersteigt, formiert und manifestiert. Das Bild
in seiner religiösen Form offenbart in hervorragender Weise seine innere Struktur: sowohl das Element der Transzendenz als auch den Aspekt des Geschehens
und der Teilnahme derjenigen, die sich in der Repräsentation wieder erkennen.68
Bei der Untersuchung der Repräsentation drängt sich also das Thema des
Bildes auf; nicht von ungefähr wird eben der Begriff repraesentatio verwendet,
um den ontologischen Status des Bildes zu definieren und seine wesensmäûige
Besonderheit im Vergleich zur bloûen Kopie herauszustellen. Das Thema des
Bildes steht bei Gadamer in gelungener Verbindung mit der Repräsentation in
ihrer politischen Form, denn in dieser Verbindung offenbart sich die strukturelle
Komplexität des Repräsentierens.69 Der Souverän ist Souverän, eben weil er
sich seinen Untertanen gegenüber darstellt und als Bild erscheint: der Charakter
des öffentlichen Ereignisses ist Wesensmerkmal der Repräsentation. In der Tatsache, dass der Souverän repräsentieren muss, gewinnt das Bild seine authentische Realität. Aber so kommt es auch dazu, dass er, dessen Wesen im SichZeigen, im Repräsentieren besteht, nicht mehr sich selbst gehört, weil er so sein
muss, wie man es von seinem Bild verlangt.70
Anders ausgedrückt kann man sagen, dass einerseits die Repräsentation als
Bild ein Urbild impliziert, also etwas, das sich im Bild zeigen muss, dass jedoch andererseits die Repräsentation von ihren Adressaten beeinflusst ist und
zudem ihrerseits auf das Urbild einwirkt. In dieser politischen Dialektik, diesen
wechselseitigen Bezügen zwischen Bild, Repräsentiertem und Einwirkung des
Zuschauers auf das Bild kommt es wiederum zum Verlust der Struktur einer
vollen Subjektivität. Wenn es zutrifft, dass die Repräsentation von oben kommt,
also das Repräsentierte erst in der Repräsentation Form annimmt, so ist die Re66 Vgl. die theoretische Untersuchung von Melchiorre, Virgilio: Sul concetto di rappresentazione, jetzt in: ders.: Essere e parola, Milano 1981, S. 111 ff.
67 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 74 (siehe Anm. 45).
68 Vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 135±136.
69 Es geht mir nicht darum, die in Wahrheit und Methode dargestellte ontologische
Struktur des Bildes darzustellen, sondern ich greife einige Anstöûe heraus, die ihren
Sinn im Kontext der vorliegenden Argumentation bekommen.
70 Vgl. wiederum Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 135.
5. Ein Streifzug durch Platon: Ikone bzw. gutes Bild
41
präsentation gleichwohl kein simples Spiel der willkürlichen Erzeugung von Figuren, denn der Repräsentant ist Teil einer komplexen Dialektik, die ihn einerseits an das zu repräsentierende Urbild bzw. Original bindet und andererseits an
die ¹Zuschauerª (die, wie gesehen, keine reinen Zuschauer sind). Zwar ist politische Repräsentation nicht bloûe Vertretung von bereits formierten Gebilden,
sondern gibt dem, was repräsentiert wird, erst seine Form, jedoch besteht diese
Tätigkeit des Souveräns nicht in der willkürlichen Entscheidung eines autonomen Subjekts.
Das Thema der Repräsentation als Bild konfrontiert uns also mit der grundlegenden Frage nach ihrer Beziehung zum Ur- oder Vorbild, zum Archetyp
bzw. ± wenn man Archetyp und Idee gleichsetzt ± nach dem Verhältnis von
Repräsentation und Idee. Zwar hat diese Frage noch mit dem Problem der
politischen Repräsentation zu tun (Repräsentation des ideellen Elements der
politischen Einheit in ihren verschiedenen Formen: Volk, Nation, Gemeinwille,
Gemeininteresse usw.), doch verschwimmt hier der Unterschied zum Grundproblem der Philosophie überhaupt, jedenfalls dann, wenn man Benjamins treffender
Beobachtung zustimmen kann: ¹Es ist dem philosophischem Schrifttum eigen,
mit jeder Wendung von neuem vor der Frage der Darstellung zu stehen.ª71 Und
eine erste, grundlegende und für die weitere Entwicklung der Philosophie entscheidende Wende und seinerseits Ausgangspunkt für die Untersuchung des
Verhältnisses von Repräsentation und Idee ist anscheinend das Denken Platons,
auch wenn die Geschichte des Terminus ¹Repräsentationª, insofern lateinischen
Ursprungs, nicht von dort ihren Ausgang nimmt.
5. Ein Streifzug durch Platon: Ikone bzw. gutes Bild
Folgt man einem verbreiteten topos der antiken wie modernen Geschichte der
Philosophie, dann ist Platon der Philosoph, der die Wahrheit in die Unveränderlichkeit des Seins und auf die Ebene der Ideen verlegt hat, die mit ihrem objektiven Charakter die Wissenschaftlichkeit der Philosophie begründen, und der auf
diese Weise die Welt der doxa abgewertet hat, die an Schein und Abbild gebunden ist. Platon markiert dann eine Wende im Verhältnis zur vorauf gehenden
Tradition (6. und 5. Jh.), in der Termini wie eikµzei, eikasía, dokeîn, dóxa,
phaínein, phainómenon als solche keine negative Bedeutung haben, sondern im
Gegenteil den Bereich der Suche und die Versuche einer Annäherung an die
Wahrheit dort bezeichnen, wo es um eine Realität geht, die nicht vor Augen,
nicht sinnlich erfahrbar und evident ist.72
71 So Benjamin zum Auftakt der bekannten ¹Erkenntnistheoretischen Vorrede zum
Ursprung des deutschen Trauerspielsª, in: ders.: Gesammelte Schriften, Band I, hrsg.
von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1980, S. 207±
430, 207.
42
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
Die klare Trennung zwischen dem wahrhaft Seienden und dem Veränderlichen sowie zwischen den entsprechenden Formen der Erkenntnis, epistØme und
dóxa, hat Folgen für die Art der politischen Konzeption Platons, insofern diese,
wie es scheint, die Welt der dóxa ausschlieût und sich auf ein wahres, unveränderliches Wissen stützt. Zum einen erscheint so die in der Politeia entworfene
polis als vollkommene, weil philosophisch gedachte polis, zum anderen erweist
sich das politische Handeln des die polis regierenden Philosophen als ein fundiertes, da dieser sich an der Welt der Ideen, insbesondere an der Idee des Guten orientiert, um das politische Leben zu lenken.73
Selbstverständlich gibt es bei Platon eine Reihe von Stellen, die in die angegebene Richtung zu gehen scheinen: Man denke etwa an die Position der eikasía in der Stufenleiter der Erkenntnis (im berühmten Liniengleichnis) oder an
die in den Dialogen vorgetragene Kritik der mímesis, sei es, dass diese sich als
Erzeugung von Schein im Werk der Dichter darstellt, sei es, dass sie sich im
phantasmagorischen Spiel der Illusionen manifestiert, welches das unwissenschaftliche Vorgehen der Sophisten prägt.
Diese beiden Gegenstände der Kritik sind miteinander verknüpft, wenn man
bedenkt, dass die mímesis der Maler und Dichter am Beginn des 10. Buchs der
Politeia als Kunst erscheint, unabhängig von den Fähigkeiten in einer spezifischen Technik alles nachzuahmen: eine Definition, die ebenso gut das Wirken
des Sophisten kennzeichnet.74 In diesem Zusammenhang wird die Nachahmung
als Erzeugung von Figuren, von Øídola75, kritisiert, weil sie vor dem Hintergrund des Wahrheitsproblems als irreführend erscheint. Die verschiedenen erzeugten Formen erscheinen nämlich als illusorischer Schein, der auf Täuschung
und Verwechslung mit der Wahrheit zielt.76 Der Aspekt der Nachahmung wird
von Platon oft mit Ausdrücken belegt, die von derselben Wurzel phan abgeleitet sind. Die Produkte der Nachahmung sind nämlich ouk onta, aber
phantµsmata77, d.h. bloûe Erscheinungen im Vergleich zum Sein; sie sind phai72 Vgl. Vernant, Jean Pierre: ¹Nascita di immaginiª, in: Aut-aut 184±185 (1981),
S. 7±23.
73 Auf diesem Weg ist man dahin gelangt, Platon als Begründer der modernen politischen Wissenschaft (und ihrer ungelösten Probleme) anzusehen und ihn sogar zum
Vorläufer Hobbes zu machen, auf die Gefahr hin, epistØme auf tØchne zu verkürzen
(vgl. z. B. den im Übrigen interessanten Beitrag von Held, Klaus: Stato, interessi e
mondi vitali, tr. it. A. Ponsetto, Brescia 1981, bes. S. 48 ff., und vor allem, da noch
deutlicher in dieser Hinsicht, seinen Aufsatz: ders.: ¹Per la riabilitazione della doxaª,
in: Berti, Enrico (Hrsg.): Tradizione e attualità della filosofia pratica, Genova 1988).
74 Pol., X, 595 a ff.
75 Eídolon ist das vom Nachahmer geschaffene Objekt: Pol., X, 599 a 7, 599 d 3,
598 b 8.
76 Pol., X, 598 c.
77 Pol., X, 599 a 1.
5. Ein Streifzug durch Platon: Ikone bzw. gutes Bild
43
nómena, die als solche jenen Wesen entgegen gesetzt sind, die wahrhaft sind
(onta ghØ pou te aletheía).78
Die Kritik an der nachahmenden Kunst richtet sich also auf den ihr eigenen
Aspekt der Unwahrheit, d.h. darauf, dass sie nicht nur scheinbare Gegenstände
hervorbringt, sondern mit ihnen eine Täuschung im Verhältnis zum Nachgeahmten bewirkt. Es ist das Problem des Wahren, das im Mittelpunkt der Kritik an
der mímesis steht. Es geht nicht so sehr um ein Urteil über Dichtung und Malerei als solche, sondern um den Bezug der Kunst auf ein zweifaches Problem,
das die gesamte Politeia durchzieht: das Problem der Wahrheit, und damit das
der Struktur des Philosophierens, und das politische Problem. Vor allem bezüglich der Darstellung des Göttlichen durch die Dichter spitzt sich die Kritik Platons zu, da das Göttliche nicht gemäû seinem vollkommenen und unveränderlichen Wesen dargestellt wird, sondern ± aufgrund des schillernden Charakters
der menschlichen Seele ± als geprägt von der Fülle und der Veränderlichkeit
der Leidenschaften.79 Der bunte Reigen göttlicher Bilder in der Dichtung verdeckt demnach nicht bloû das göttliche Element, das er bezeichnen will, sondern er zerstört es, indem er ein Bild entwirft, das auf von menschlichen Leidenschaften erzeugten Phantasien beruht.
Aber die Problematik der Wahrheit ist in der Politeia eng gebunden an die
politische Ebene, weshalb die Frage nach den politischen Folgen der Homerischen Dichtung aufgeworfen wird, d.h. es wird gefragt, welche polis dank
Homer eine bessere Regierung erhalten habe. Die enge Bindung zwischen
Wahrheits- und politischer Problematik zeigt sich nicht nur in der Notwendigkeit, das Bild einer von der Frage nach der Wahrheit und der Gerechtigkeit
geprägten polis zu entwerfen, sondern auch im Bildungselement der paideía,
das sowohl die Annäherung an die Idee, d.h. die philosophische Praxis, kennzeichnet als auch die Erziehung zum politischen Leben und zur Regierungstätigkeit. Nur wenn diese beiden, miteinander verknüpften Stränge des platonischen Dialogs und die diesbezügliche Rolle der philosophischen Reflexion berücksichtigt werden, lässt sich die Bedeutung der Kritik an der Erzeugung von
Bildern in der künstlerischen mímesis begreifen.
Und dennoch mündet die harsche Kritik an der mímesis nicht in ihre simple
Negation, im Namen eines ihr entgegen gesetzten logos, der von der Wirklichkeit der seienden Dinge, d.h. von der Welt der Ideen Besitz ergreift. Im Gegenteil stöût man auf eine nicht zu unterdrückende Präsenz von Bildern an den
Höhepunkten der platonischen Philosophie, dort, wo die strikte, widerlegende
Argumentation einer Möglichkeit oder Notwendigkeit Platz macht, die Welt der
seienden Dinge oder das an sich Göttliche positiv zu sagen oder auszudrücken.
Auf dieser hohen Stufe stoûen wir auf das Bild, das im Gewand des Mythos
78
79
Pol., X, 596 e 4.
Pol., II, 380a ss.
44
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
und in bildlicher Form eine Wirklichkeit beschreibt, welche die Möglichkeiten
des logos übersteigt und von ihrem Wesen her nicht auf das menschliche Wort
reduzierbar ist.
Ein bedeutsames Beispiel für diese bei Platon durchgängige Tendenz finden
wir im Phaidros, wo zu Beginn des Mythos vom geflügelten Wagen die Notwendigkeit behauptet wird, zu mythischen Mitteln zu greifen, wenn es um das
Wesen der seienden Dinge geht. Das eidos der Seele auszudrücken ist ein
Unterfangen, das einem Gott vorbehalten bleibt; dem Menschen angemessen ist
dagegen der Versuch, in Bildern davon zu sprechen (hô de Øoiken).80 Wir
stoûen hier auf ein Wort mit der Wurzel eik, das den positiven Gebrauch des
Bildbegriffs mehrfach kennzeichnet (eikôn).81 Das bildhafte Vorgehen erscheint
hier nicht nur als möglich und hilfreich, sondern als notwendig für jene Wirklichkeit, welche die Idee und das Göttliche miteinander verbindet. Denn gegenüber dem Göttlichen gibt es für den Menschen keine angemessene Möglichkeit
der Anschauung oder des Verstehens (oute idóntes oute hikanôs noØsantes): es
ist nicht Gegenstand des Denkens, ihm gegenüber bleibt uns nur die Möglichkeit der bildhaften Vorstellung, mit deren Hilfe wir es gestalten, ihm eine Form
(plµttomen) als unsterbliches Wesen geben: gebildet aus Leib und Seele, die auf
ewig in einer einzigen Natur verbunden sind.82 Das Bild ist keine logische Darlegung des Wahren, sondern eben eine Darstellung, die uns das zeigt, was Sehen und Denken übersteigt und dennoch in irgendeiner Weise im Bild präsent
ist.
Aber dieses Vorgehen scheint auch die ideelle Welt zu betreffen, nicht nur
weil Platon in Bildern von der Idee der Seele spricht, nämlich durch den Mythos des geflügelten Wagens, sondern auch, weil in demselben Mythos die
Struktur der Erkenntnis als anµmnesis hervortritt. Das heiût, wenn die Seele
von der Vielfalt der Empfindungen zur gegliederten Einheit der Überlegung (hen
loghismô) fortschreitet, dann nicht im Sinne einer Abstraktion oder Konstruktion, sondern vielmehr im Sinne einer Erinnerung, eines Gegenwärtig-Werdens
von etwas, das sie schon einmal geschaut hat.83 Anders gesagt: Die Idee entzieht sich dem Sehen, sie kann nicht betrachtet werden ± die Betrachtung der
Ideen ist Gott allein vorbehalten ±, aber sie kann in gewisser Weise durch das
Bild vergegenwärtigt werden; sie ist weder Gegenstand unseres Sehens noch
80 Phaidr., 246 a 3±4; bemerkenswert ist, dass das göttliche Unterfangen als lang
(makrµ) bezeichnet wird, so wie im Staat jener Weg als länger erscheint, der zu beschreiten wäre, wollte man Kenntnis von den Ideen erlangen ± ein Weg also, den Sokrates, jedenfalls in besagtem Kontext nicht einschlägt.
81 Zur Unterscheidung von eikón und phµntasma vgl. Turrini, Guido.: ¹Contributo
all'analisi del termine eikos. II. Linguaggio, verosimiglianza e immagine in Platoneª,
in: Acme 32 (1979), S. 299±323.
82 Phaidr., 246 c 6±d 2.
83 Phaidr., 249 b 7±c 2.
5. Ein Streifzug durch Platon: Ikone bzw. gutes Bild
45
unseres Erkennens. Es ist der phrónesis nicht gegeben, eídola zu schaffen, denn
das Denken entbehrt der Besonderheit und Evidenz des Sehens; die einzige
Möglichkeit der Seele, die seienden Dinge zu erfassen, liegt also darin, sich an
das zu anderen Zeiten und an anderem Ort Geschaute zu erinnern, und diese
Wiedererinnerung ist nur durch das Bild möglich. Die Idee des Schönen wird
durch den Anblick schöner Dinge erinnert, deren Bedeutung sich nicht in ihrer
bloûen Präsenz erschöpft, die nicht bloûe Objekte des Genusses sind, sondern
die auf jenes Schöne an sich verweisen, das nur die eingeweihte Seele, die
nicht beim äuûeren Schein stehen bleibt, erfassen kann.
Gerade hinsichtlich der aller Anschauung unzugänglichen Wirklichkeit der
Idee scheint das Bild eine Schlüsselrolle zu spielen. Gibt es also eine gute und
eine schlechte mímesis, ein falsches, trügerisches Bild und eines, welches das
Wahre ins Gedächtnis zurückruft?
Eine Antwort auf diese Frage scheint Platon im Sophistes zu geben; dabei ist
bezeichnend, dass einerseits das philosophische Vorgehen seine Konturen gerade in Absetzung von der sophistischen Kunst gewinnt, dass andererseits Dialektik und Sophistik aber einander so ähnlich sehen, dass die Abgrenzung auf
des Messers Schneide steht und der Versuch, den Sophisten zu definieren, auf
die Definition des Philosophen hinauszulaufen scheint. Das heiût nicht, dass die
Unterscheidung nicht klar und radikal ist, aber sie ist es im Rahmen einer Gemeinsamkeit, die wieder einmal durch das Problem der paideia und die Frage
der Wahrheit im Zusammenhang von Bildgebrauch und -bedeutung gekennzeichnet ist.
Im Hinblick auf die paideia führt der Versuch, die Sophistik zu definieren,
zur Bestimmung des elenchischen Verfahrens, das ± im Gegensatz zum Vorgehen der Väter, d.h. dem Appell an die Vernunft ± darin besteht, das vermeintliche Wissen des Gesprächspartners zu erschüttern, ihn in Widersprüche zu verwickeln und so, d.h. durch Einsicht in das eigene Nicht-Wissen, zur philosophischen Haltung der Suche zu bewegen.84 Offenbar wird der Sophistik in dieser
Definition zuviel Ehre zuteil, und die ¹edle Kunst des Sophistenª ähnelt allzu
sehr der von Sokrates in den platonischen Dialogen eingesetzten. Dies ist nicht
verwunderlich, wenn man bedenkt, dass sich Dialektik und Sophistik gerade in
Bezug auf den Widerspruch voneinander unterscheiden: erstere hält den Widerspruch als solchen fest, während letztere gleichgültig von einem zum anderen
Pol des Gegensatzes pendelt und dabei eben das Bewusstsein des Widerspruchs
verliert.85
Soph., 229 d ss.
Dazu verweise ich auf Duso, Giuseppe: ¹L'interpretazione hegeliana della contraddizione nel ¸Parmenide, ¸Sofista e ¸Fileboª, in: Il Pensiero XII (1967), S. 206±
220 und ders.: ¹Confutazione e contraddizione in Platoneª, in: Il Pensiero XX (1975),
S. 69±88.
84
85
46
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
Aber es ist vor allem die Unterscheidung hinsichtlich der nachahmenden
Kunst, die uns besonders interessiert. Wieder einmal vermischen sich positive
und negative Einstellung und die Differenzierung bewegt sich auf der gemeinsamen Ebene der typisch menschlichen Kunst der Erzeugung von Bildern. Die
mímesis wird nicht zwangsläufig negativ gesehen und kritisiert: Zwar existiert
einerseits eine Art nachahmender Kunst, die bloûe phantµsmata, Illusionen,
trügerische und von der Wahrheit wegführende Erscheinungen produziert, andererseits jedoch existiert eine gute Art der Nachahmung, die eikónes erzeugt,
Bilder, die nicht zur Täuschung neigen, sondern sich so auf das Vorbild
(parµdeigma) beziehen, dass ¹die Verhältnisse des Urbildes in Länge, Breite
und Tiefe . . . erhaltenª bleiben.86 Die eikastikØ tØchne kontrastiert mit der phantastikØ tØchne: einerseits eine Nachahmung, die bedacht ist, das Vorbild getreu
wiederzugeben, andererseits die Erzeugung eines Scheins, der die Beziehung
zum Vorbild verliert und es nach eigenem Gutdünken verfälscht.
Nicht vertretbar ist also die These von der pauschalen Abwertung des Bildes,
denn die Erzeugung von eikónes mag zwar an die philosophische Methode und
an das kritische Bewusstsein der unvermeidlichen Implikation der Idee sowie
der Unmöglichkeit, sie auf irgendeinen bestimmten Inhalt zu reduzieren, gebunden sein, jedoch ist sie nicht identisch mit dieser Methode; auûerdem ist zu
bedenken, dass Platon in seinem dichotomischen Vorgehen zwar die eikastikØ
tØchne von der phantastikØ unterscheidet, dies aber im Rahmen der übergreifenden eidolopoiikØ tØchne.87 Die im eikôn gegebene ¾hnlichkeit mit dem Urbild
gründet nicht in einem rein logischen Prozess, sondern ist stets an die Form des
Bildes gebunden.
Der Unterschied zwischen den beiden Arten von Bildern lässt sich wie folgt
charakterisieren: eikôn ist das seiner Bildnatur treu bleibende Bild, das auf das
von ihm Abgebildete verweist, auf das, was als solches nicht anwesend ist, d.h.
auf das Urbild; phµntasma dagegen ist das seine repräsentative Natur verleugnende Bild, das die Beziehung zum Abgebildeten verbirgt und sich als unabhängige Gröûe aufführt, als Seiendes, als Wahrheit. Mit einer Umkehrung der
Perspektive erfährt so gerade das Bild in seiner repräsentativen Funktion eine
Aufwertung, während das Bild, das seine eigene Natur verrät, aber eben nicht
das Bild als solches, der Kritik unterzogen wird.
Der Versuch, die Nachahmung des Urbildes wörtlich zu interpretieren, muss
an dem scheitern, was oben zum Phaidros gesagt wurde. Das Ur- oder Vorbild
kann nämlich nicht als etwas aufgefasst werden, das sich seinerseits präsentiert,
das eine Gestalt hat und deshalb direkt kopiert werden kann.88 Wenn dem so
Soph., 235 d 7±8.
Soph., 235 b 8 ff.
88 Auch die Beziehung Bild-Urbild, die bei Platon als wiederkehrender topos und
Bezugsschema erscheint, ist ± wegen des Fehlens einer sichtbaren Form des Urbildes
86
87
5. Ein Streifzug durch Platon: Ikone bzw. gutes Bild
47
wäre, dann wären die Form des Urbildes und die des Bildes spiegelbildlich:
letzteres wäre eine vollkommen übereinstimmende Kopie, aber auch eine nutzlose Kopie, wenn sich das Urbild selbst den Blicken darbietet und als solches
wahrgenommen werden kann. Aber das Wesen der Idee ist ein anderes: Sie
selbst ist nicht sichtbar und nur in der Tiefe der anamnesis zugänglich, d.h.
nur, wenn ihre Sichtbarkeit von der Gegenwart wegrückt und wenn sie, die sich
nicht in figürlicher Evidenz zeigt, anhand von Spuren aufgefunden wird. Gäbe
es einen Weg, die Idee zu ¹sehenª, dann würde die Philosophie ihn beschreiten
und sich schlicht als sophía darstellen; aber, wie gesehen, kommt die Kontemplation der Ideen nur Gott zu. Ebenso wenig lässt sich sagen, die Idee zeige
sich nicht in visueller, sondern geistiger, logischer Form. Wenn dem so wäre,
dann wäre die Idee Objekt des logos und als solche wäre sie aussprechbar, definierbar, eindeutig bestimmbar, dann gäbe es nicht nur keinen Raum mehr für
eine ideenbezogene Darstellung, sondern die Darstellung wäre an und für sich
immer und notwendig falsch, und würde die Wahrheit von ihrem Wesen her
verneinen. Aber im Einklang mit der Aussage im Phaidros, nur vermittels Bildern (eikónes) könnten wir über das Göttliche sprechen, werden in den Dialogen keine Ideen definiert, dargestellt und auf Inhalte des logos reduziert. Auf
diese Weise wird zum einen die Möglichkeit der Existenz der sophia, als Besitz
der Wahrheit, und zum anderen die Möglichkeit ausgeschlossen, das gute Bild
sei eine schlichte Kopie, welche die Proportionen des Vorbilds reproduziert, die
sich der Wahrnehmung als Gegebenes darbieten. Die Treue gegenüber dem
Vorbild liegt also nicht in der Genauigkeit der Kopie, in der Wiedergabe der
Maûe des Modells, sondern darin, dass das Bild seiner Bildnatur treu bleibt,
sich nicht selbst als etwas Wahres aufführt, vielmehr seine eigene Unzulänglichkeit, seine Ausrichtung auf den Archetyp, auf jenes Wahre, zu erkennen
gibt, dem es ähnelt, das es durchscheinen lassen will, aber das es weder besitzt
noch in sich selbst erschöpft.
Im Bild wird das wahrnehmbar, was alle Möglichkeiten des Sehens übersteigt
und ohne das selbst das Gesehene nicht das ist, was es ist. Deshalb verweisen
die schönen Dinge, sinnlich erfahren, auf eine Idee des Schönen, die andersartig ist und doch eben durch die schönen Dinge intensiv erlebt wird; letztere
werden strukturell als Bilder betrachtet ± in der Art der erotisch intensiven Passagen, die Platon dem oben genannten Phaidros-Mythos widmet. Die Dinge
selbst erscheinen demnach als Symbole, in dem doppelten Sinne, dass sie bezeichnen, wofür sie als Symbol stehen, und dass sie dadurch einen Kontakt
schaffen, eine Art Teilhabe, die jedoch das, was sich im Symbol offenbart, niemals auf das Symbol selbst zu reduzieren vermag. Die Präsenz der Idee im Bild
ist also stets eine Anwesenheit in der Form der Abwesenheit.
± vom logischen Standpunkt her keine rational angemessene Bezeichnung unserer Beziehung zur Idee, sondern sie ist der Versuch, diese Beziehung bildhaft auszudrücken.
48
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
Es scheint notwendig, die dargestellte Auffassung der Idee in jenem Dialog
zu untersuchen, der in relevanter Weise zugleich das Problem der Wahrheit und
der so genannten ¹Theorie der Ideenª und das Problem der Politik thematisiert.
Es geht darum zu prüfen, ob auch an dieser Schlüsselstelle der platonischen
Reflexion das parµdeigma den hier aufgezeigten Sinn hat oder vielmehr den
eines Modells, das ± einmal geschaut ± dazu dient, eine perfekte polis zu errichten, eben die völlig identische Kopie des idealen Modells.
6. Repräsentation und Idee: der Entwurf der polis
Der Frage des Zusammenhangs von Wahrheit und Politik kann hier nur in
Ansätzen nachgegangen werden; dabei geht es mir um eine Interpretation, die
sich von der Sicht Platons als des Gründers der Politikwissenschaft abhebt und
die Rolle der Repräsentation sowohl für die Wahrheit der Idee als auch für die
Errichtung der polis herausarbeitet.89 Es soll versucht werden, einige Spuren
sichtbar zu machen, die in die angegebene Richtung gehen.
¾hnlich wie in den ¹sokratischenª Dialogen manifestiert sich auch in der
Politeia jene kritische Haltung, die den Anspruch der doxa, Theorie zu werden,
in Widersprüche verwickelt, wie im Fall der Definition der Gerechtigkeit durch
Thrasymachos. Aber diese Haltung genügt offenbar nicht mehr: die Möglichkeit, das politische Handeln mit dem sokratischen Engagement in der polis, d.h.
dem Befragen und Widerlegen zu identifizieren, wird in Frage gestellt, denn der
Philosoph wird in genau dieser polis getötet und ausgeschaltet, d.h. seine Art
der politischen Betätigung wird unmöglich gemacht. Es stellt sich daher die
Aufgabe, positiv etwas über die Idee der Gerechtigkeit auszusagen, eine Form
der polis in ihren Teilen und notwendigen Funktionen anzugeben, die als Anleitung für das politische Leben dienen kann.
Gleichwohl tritt diese positive Aussage über die Idee nicht im Gewand wissenschaftlicher Unwiderlegbarkeit auf, sondern ist geprägt von der Unzulänglichkeit und Fragwürdigkeit des Bildes. An den Schlüsselstellen des Dialogs
findet sich nämlich wiederum der Rückgriff auf das Bild. Um bildliche Darstellung handelt es sich beim Höhlengleichnis, das den Aufstieg der Seele zur
Wahrheit und zugleich die schwierige, mit der Wahrheitsfindung verknüpfte politische Aufgabe veranschaulichen soll. Der Mythos kann hier kaum als bloûe
Metapher einer in ihrer Gesamtheit logisch und rational begründbaren Erkenntnistheorie verstanden werden. Man denke etwa an den nicht erklär- oder herleit89 Das hier dargelegte Verständnis des parµdeigma, auch in Bezug auf die Fragestellungen des Staats, folgt den Hinweisen von Cavarero, Adriana: ¹Tecnica e mito
secondo Platoneª, in: Il Centauro, Heft 6 (1982), S. 3±17. Zu einer umfassenderen
Interpretation der Idee in einer ähnlichen Sichtweise vgl. Chiereghin, Franco: Storicità
e originarietà dell'idea platonica, Padova 1976.
6. Repräsentation und Idee: der Entwurf der polis
49
baren Vorfall der Befreiung des Gefangenen von seinen Ketten oder an das Erblicken der Sonne, d.h. die Kontemplation der Idee des Guten. In dem Teil des
Dialogs, der dieses Thema zu erörtern versucht, ist Platon wiederum gezwungen, auf das Bild der Sonne zurückzugreifen, und mit Hilfe des Bildes versucht
er, in positiver Weise das zu benennen, was Quell des Seins wie des Erkennens
ist und ± obschon Ursprung alles Seienden ± als solches alles Seiende übersteigt
(epØkeina t†s ousías).90 Man beachte, dass die Rede von der Idee des Guten
sowohl im Mittelpunkt des Problems der Wahrheit, d.h. der so genannten
¹Ideenlehreª, als auch im Zentrum der politischen Problematik steht, die um
das Wohl der polis in Analogie zum Wohl des Menschen kreist. Und dennoch
erscheint diese Idee nicht als Gegenstand rationaler Beschreibung, sondern sie
wird nur durch ein ihr ¾hnliches, ein Bild, nämlich das der Sonne bezeichnet.
Die Notwendigkeit, in Bildern zu sprechen, ist durch den Versuch bedingt,
eine positive Aussage über die Idee zu treffen, und Sokrates wehrt Glaukons
ironischen Kommentar des ¹übernatürlichen Übertreffensª (daimonías hyperbol†s) ab, indem er Glaukon selbst die Schuld zuweist, insofern dieser ihn zu
sprechen genötigt habe.91 Will man nicht nur die notwendige Implikation der
Idee aufzeigen, sondern diese selbst definieren, ihr Wesen positiv aussagen,
bleibt nur die Möglichkeit des bildhaften Ausdrucks, d.h. durch ein Bild, das
die Idee offenbart und zugleich ihre Überlegenheit über den logos, ihre unermessliche Alterität bezeugt. Schon vorher war im Dialog die Mahnung ergangen, dass wir von der Idee des Guten keine angemessene Kenntnis haben
(hikanôs)92: Sie lässt sich also nicht auf einen Inhalt der Erkenntnis reduzieren,
weil sie nun einmal Ursprung aller Erkenntnis wie im Übrigen auch allen Seins
ist.
Analog stehen die Dinge hinsichtlich der eingangs gestellten Frage nach der
archØ, dem typos, d.h. nach der Idee der Gerechtigkeit, die dem gesamten Dialog zu Grunde liegt. Zwar scheint ihre Definition als Zustand, in dem jeder Einzelne die ihm obliegende Aufgabe erfüllt (ta heautoß prµttein) befriedigend zu
sein, so dass der Eindruck entstehen mag, man habe endlich gefunden, was
richtig für den Menschen, den Staat, und was die Gerechtigkeit an und für sich
sei93, aber es ist zu beachten, dass diese Definition ± eine der wenigen Definitionen von Ideen in den Dialogen ± eigentlich nichts anderes ist als ein Bild,
ein eídolon der Gerechtigkeit94, wie sehr auch immer sie sich ± mehr als jede
andere ± der Idee anzunähern und einen nützlichen Orientierungspunkt für das
Pol., VI, 508 c±509 c.
Pol., VI, 509 c 3±4; schon in der Wortherkunft von ¹hyper-bolت steckt das sich
über die Möglichkeiten des menschlichen Geistes hinaus ¹Schwingendeª, wobei das
begleitende Attribut ¹daimoníaª den übermenschlichen Aspekt anzeigt.
92 Pol., VI, 505 a 5.
93 Pol., IV, 444 a 5.
94 Pol., IV, 443 c 4.
90
91
4 Duso
50
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
Verhalten des Menschen und der polis abzugeben scheint. Es handelt sich also
nicht um eine angemessene und erschöpfende Definition der Idee, sondern um
ein Bild, das eine höhere Ordnung andeutet und Unzulänglichkeit und Fragwürdigkeit in sich trägt.
Die angeführte Definition von Gerechtigkeit ist eigentlich nur in einem ganz
spezifischen Sinne Definition, denn das proprium jedes Einzelnen wird ja gar
nicht definiert: Konkrete Inhalte und praktische Konsequenzen lassen sich also
nicht eindeutig ableiten. Allerdings enthält die Definition den Bezug auf eine
Ordnung, in der die Totalität jedes Einzelnen in Frage gestellt und auf ein Ganzes bezogen wird, in das sie sich einfügt, so dass von jedem konkret bestimmten proprium eine Beziehung zum Ganzen ausgeht, in der sich eben das Wirken
der Idee der Gerechtigkeit zeigt. Diese Figur der Gerechtigkeit ist also alles
andere als nutzlos, auch ist sie nicht mit jeder beliebigen Definition vergleichbar, z. B. der als widersprüchlich entlarvten von Thrasymachos, weil sie die
Wirkungsweise der Idee und der darin implizierten Ordnung erkennen lässt;
trotzdem ist sie keine rational angemessene Definition, keine erschöpfende und
restlose Erkenntnis ihre ¹Gegenstandesª.
Man kann noch hinweisen auf die mehrfach wiederholte Aussage, dass man
sich, wolle man das angestrebte Ziel erreichen, also begreifen, was die Gerechtigkeit und die anderen Tugenden der Seele und der polis seien, nicht mit der
angewandten Methode begnügen dürfe, sondern einen längeren und beschwerlicheren Weg einschlagen müsse.95 Schwer zu sagen, wie dieser Weg beschaffen
ist, auch wenn er als notwendig für den Philosophen, d.h. für den Wächter des
Staates, bezeichnet wird: In der Politeia wird dieser Weg jedenfalls nicht beschritten, um zu einem Bild der Gerechtigkeit zu gelangen; vielleicht handelt es
sich um einen göttlichen Weg: Auch die lange Erzählung, welche die im Phaidros gezeigte Idee der Seele definieren könnte, gehört ja dem Göttlichen an.
Sollte der lange Weg in jenem dialektischen Verfahren zu erkennen sein, das
von den Hypothesen seinen Ausgang nimmt, sich zum Prinzip des Anhypothetischen aufschwingt, wieder heruntersteigt und dabei die entsprechenden Konsequenzen zieht, sich stets im Bereich der Ideen bewegt, ohne Bilder oder irgendetwas sinnlich Wahrnehmbares zu gebrauchen96, dann würden sich erneut Probleme und Schwierigkeiten auftun. Es übersteigt die hier gestellte Aufgabe,
dieses Verfahren näher zu bestimmen und eine Interpretation vorzuschlagen, die
den Rückgriff auf das genannte Prinzip einerseits als Merkmal dialektischer
Strenge begreift, welche in Anbetracht der Bedingtheit der Hypothesen die
Alterität und notwendige Implikation des Unbedingten offenbart, andererseits
nicht als Ausdruck einer wissenschaftlichen Systematik, welche die Erkennt95
96
Vgl. Pol., 434 d 3, 504 b 2, 504 c 9±d 1.
Pol., VI, 510 b 6±9 e 511 b 3±c 2.
6. Repräsentation und Idee: der Entwurf der polis
51
nisse in ein System von Abhängigkeiten und Ableitungen ordnet, sondern als
¾uûerung einer im Siebenten Buch exemplarisch beschriebenen philosophischen
Praxis, welche die Elemente solange aneinander reibt, bis im exaíphnes die Idee
hervortritt.
Auszuschlieûen ist dagegen wohl die Vorstellung einer systematischen und
definitorischen Abhandlung der Ideen und ihre konsequente Herleitung aus der
Idee des Guten. In diesem Fall läge ein Ideen-Wissen vor, das nicht anders als
absolut sein könnte, da es ja ein Wissen um das Seiende wäre. Auch der Entwurf der polis nähme dann den Charakter einer konsequenten, unumstöûlichen
Begründung an. Es dürfte deutlich sein, dass ein solcher Weg in der Politeia
und in den anderen platonischen Dialogen nicht beschritten wird.
Der Philosoph ist offenbar nicht im Besitz eines solchen sicheren Wissens;
vielmehr kann seine Einstellung, während er versucht, das Schema der Verfassung zu entwerfen, mit derjenigen des Malers verglichen werden, wobei der
Blick des Philosophen auch auf die Idee gerichtet ist, um einem Bild Form zu
geben. Jedoch garantiert sein Rückbezug auf die Idee kein sicheres Voranschreiten der Wissenschaft, sondern hat ein von Versuchen und Zweifeln geprägtes Modellieren des Bildes zur Folge: da wird gemalt, radiert, neu gemalt,
bis etwas entsteht, das dem göttlichen Charakter so ähnlich wie möglich ist.97
Wieder einmal kommt es auf die ¾hnlichkeit an, darauf, das parµdeigma durchscheinen zu lassen, das allerdings unsichtbar ist und von dem es keine perfekte
Nachzeichnung geben kann, eine, in der es vollkommen anwesend wäre. Die
Beziehung zum Urbild gewährleistet also kein perfektes Abbild; das Bild bleibt
stets gefährdet, denn im Vergleich zum Prinzip liegt es immer auf einer radikal
anderen Ebene: Treue gegenüber dem Prinzip setzt den völligen Verzicht darauf
voraus, das Prinzip zu besitzen und zum Gegenstand des logos zu machen.
Es liegt also gewiss keine von einem Modell ausgehende Politikwissenschaft
vor, und die Tatsache, dass die Gerechtigkeit an sich und das Prinzip des Anhypothetischen als Problem aufgeworfen werden, heiût vielmehr, dass der in der
Politeia vorgelegte Entwurf ein groûes Bild ist, das wohl die Idee des Guten
und die daraus abgeleitete göttliche Ordnung aufzeigt, sich aber bewusst ist,
wie sehr diese Idee jeden menschlichen Entwurf übertrifft und wie heikel und
haltlos der Entwurf selbst ist. Der logos lässt so seinen bilderzeugenden und
symbolischen Charakter erkennen, und die im Dialog dargelegte politeia erscheint als Erzeugung eines Mythos (mythologoßmen lógo).98 Natürlich handelt
es sich nicht um jene Art von Mythenerzählung, welche die Beschreibung der
von Leidenschaften beherrschten und miteinander im Streit liegenden Götter als
wahr ausgibt, d.h. um ein Bild, das sich in Täuschung und Fälschung erschöpft,
97
98
4*
Pol., VI, 501 b 9±c 2.
Pol., VI, 501 e 4.
52
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
sondern es geht um ein Bild, das die Idee durchblicken lässt, sich aber nicht an
ihre Stelle setzt, sondern sie in ihrer Andersartigkeit bewahrt.
Auch das in der polis dargestellte Handeln des regierenden Philosophen erscheint als ein repräsentatives, denn einerseits kann er nicht umhin, sich auf die
ideale Welt zu beziehen ± das, was den Philosophen ausmacht, ist eben das
logische Bewusstsein, dass es der Idee bedarf, um von etwas Rechtem und Gutem sprechen zu können ± andererseits kann er die ideale Wirklichkeit nicht
anders als im Bild darstellen, mit der ganzen Fragwürdigkeit und Relativität
seines ¹zeichnerischenª Wirkens. Da die Ausübung des Befehls ± als kennzeichnendes Element des Politischen ± kein persönliches Vorrecht des Philosophen ist, sondern sich aus seinem Bezug auf die Idee herleitet, erscheint sie von
ihrem Wesen her durch Repräsentativität geprägt: Das Wirken des Philosophen
beruht nicht auf Willkür, sondern liegt im Mitteilen der Idee.
7. Praxis der Philosophie
und das Problem des Ursprungs
Der kurze Blick auf Platon hat uns erlaubt, den engen Zusammenhang zwischen Repräsentation und Idee zu beleuchten. Diese Verknüpfung ist in beiden
Richtungen wirksam. Einerseits gehört es zum Wesen der Repräsentation, auf
etwas anderes, auf ein Vorbild zu verweisen, das als solches unsichtbar und
formlos ist. Andererseits: Verlegt man das Wahre in die Idee, dann kann man
sagen ± eben weil die Idee sich nicht zum Gegenstand der Erkenntnis machen
lässt, sondern dem Zugriff des Denkens entzogen ist ±, dass es von ihr nichts
als Darstellung gibt. Wenn man bemüht oder gezwungen ist, positiv etwas darüber auszusagen, was wahrhaft ist, dann kann man sich nicht anders als in
Bildern ausdrücken.
Die rigorose sokratische Widerlegung jedes Versuchs, auf die gestellten Fragen umfassend und definitorisch zu beantworten, und das in den ¹dialektischenª
Dialogen des reifen Platon präsente Bewusstsein der Notwendigkeit, den Widerspruch aufrechtzuerhalten, gehen einher mit der Überzeugung vom repräsentativen Wesen des Bildes und von seiner Unabdingbarkeit, sofern man etwas über
das ¹Göttlicheª sagen will.
Also ist die Idee eigentlich gar nicht Gegenstand der Frage, ist nicht der zu
erkennende Gegenstand, und eben deshalb erscheint eine Antwort auf die Frage,
d.h. eine angemessene Definition der Idee unmöglich. Man kann hingegen sagen: Die Idee ist dasjenige, was das Fragestellen erst erlaubt; selbst nicht erfragbar, macht sie doch jede andere Frage möglich. Wenn Wahrheit als an sich
Existierendes und nicht von unserer Erkenntnis Produziertes in die Idee verlegt
wird, dann bedeutet dies gleichwohl keine Objektivierung der Wahrheit selbst:
Diese zeigt sich nicht nur als notwendiges Auftreten der Idee, sondern zugleich
7. Praxis der Philosophie und das Problem des Ursprungs
53
als etwas, das sich ihrer Objektivierung entzieht. Daran liegt es, dass es keine
Ideenlehre, keine Wissenschaft der Ideen geben kann, in der diese zum Gegenstand logischer Argumentation verkürzt werden. Die Nicht-Existenz einer Ideenlehre geht einher mit der Beibehaltung der Repräsentation, die ± weit entfernt
davon, von Wissenschaft und logos abgelöst zu werden ± eng mit dem Bereich
der Wahrheit verbunden bleibt. Eine ihren Gegenständen völlig angemessene
Wissenschaft würde die Repräsentation beseitigen, aber dies eben unter der Bedingung, auf die Frage nach der Wahrheit zu verzichten.99
Die Idee ist also nicht eigentlich das, was repräsentiert wird, sondern das,
was die Repräsentation ermöglicht und in ihr seine Alterität zeigt. Es ist eben
diese Lücke, welche die stets andersartige, fragwürdige Repräsentation ¹existieren lässtª und ihr den wesensmäûigen Charakter der Unvollständigkeit und
des Verweises gibt. Im Sich-Entziehen der Idee tritt also der eigentliche Ursprung der Repräsentation hervor ± das, was die Repräsentation ermöglicht und
in ihr zur Wirkung gelangt. Eben deshalb taucht in den Dialogen immer wieder
das Problem der archØ auf, und nicht nur am Anfang, sondern auch am Schluss,
wo die Rückkehr zur archØ nicht nur eine Rückkehr zur unbeantwortet gebliebenen Ausgangsfrage ist, sondern auch der Hinweis auf das, was das Fragen
selbst erst ermöglicht und die im Dialog sich durchsetzende Struktur des Suchens begründet.
Die Idee ist zwar nicht Gegenstand der Erkenntnis ± so kann man sagen ±,
aber sie kann erfahren werden in einer Bewegung, die sowohl logisches Vorgehen als auch Einsatz von Bildern impliziert; die Bewegung wird möglich durch
die Idee, eben weil sie in keinem Punkt mit ihr zusammenfällt, vielmehr erscheint sie als Erfahrung der Teilhabe an der Idee.
Es kann nicht verwundern, dass im Rahmen unserer Erörterung des Zusammenhangs von Repräsentation und Idee und der hier vorgeschlagenen Lektüre
Platons zwei Ansätze in Erinnerung gerufen werden, die verschiedenen Quellen
entstammen, aber beide brauchbar sind, um das symbolische Element im platonischen Diskurs zu unterstreichen. Zunächst einmal Benjamin, der wie Platon
die Wahrheit in Ideen ansiedelt, die weder der Erkenntnis noch der Intuition
zugänglich sind, und der die auûergewöhnliche Macht des Namens betont, der
in einer ursprünglichen Befragung die Existenz der Ideen ermöglicht ± eine
Existenz, die jedoch nie zu Präsenz oder Besitz wird, denn die Idee wird definiert als ¹ein Sprachliches, und zwar im Wesen des Wortes jeweils dasjenige
Moment, in welchem es Symbol istª.100 Das Wort offenbart so einen symboli99 Erinnert sei an Benjamins Bemerkung in der Erkenntnistheoretischen Vorrede:
¹Wie deutlich es Mathematik belegt, daû die gänzliche Elimination des Darstellungsproblems, als welche jede streng sachgemäûe Didaktik sich gibt, das Signum echter
Erkenntnis ist, gleich bündig stellt sich ihr Verzicht auf den Bereich der Wahrheit, den
die Sprachen meinen, dar.ª (Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 207).
54
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
schen Charakter, der nicht fester, objektiver Wesenszug ist, sondern der sich im
Geschehen zeigt: Es ist die Repräsentation, die den symbolischen Charakter des
Wortes wiederherstellt und sich als einzige Möglichkeit erweist, die Idee aufscheinen zu lassen, die jenseits alles Sichtbaren, jenseits von Intuition und Intention liegt.
Nützlich ist auch der Hinweis auf die Rückkehr zu den Griechen (besonders
Platon und Aristoteles) bei Eric Voegelin, dessen Klassiker-Interpretationen
nach den Maûstäben der gängigen Philosophiegeschichte oft als eigenwillig und
unorthodox betrachtet werden. Voegelin stellt den radikalen Gegensatz von Mythos und Philosophie in Frage, weil beide einer Haltung des thaumµzein entspringen und sich weniger als stabile und objektivierte Formen der Erkenntnis
oder Intuition offenbaren denn als symbolische Ausdrucksformen der Erfahrung
des Staunens und als Formen des ¹Partizipierens am Grundª.101 Das Bild gewinnt in diesem Kontext seinen repräsentativen Charakter, nicht weil es die
Wirklichkeit mehr oder weniger genau nachahmt, sondern weil es Erfahrung
der Teilhabe ist. Der symbolische Aspekt der Repräsentation zeigt auch hier
das Merkmal des Geschehens, des der wirklichen Erfahrung, im Gegensatz zur
Konzeption der Objektivität der Figur und der Form des Bildes.102 Philosophie
selbst erscheint als Prozess des Partizipierens am Grund, als Praxis, die das
Subjekt in seiner Totalität so erfasst, dass Wahrheit nicht als auf das Subjekt
reduzierbare, sondern als dieses transzendierende erscheint. Die objektive Dimension der Wahrheit ist gebunden an die subjektive, praktische Dimension der
Teilhabe, und in diesem Prozess fällt dem symbolischen Element der Repräsentation eine Schlüsselfunktion zu. Geht diese Dimension des Symbolischen und
der philosophischen Praxis verloren, dann werden die Symbole der Philosophie
zu zweideutigen Bildern und es entsteht die Metaphysik, nicht im ursprünglichen Sinne der noetischen Erfahrung der Griechen, sondern als Disziplin, als
¹propositionelle Manipulation von noetischen Symbolenª, d.h. als Verkürzung,
so könnte man sagen, der Erfahrung der Idee auf ein Lehrgebäude von Begriffen und Definitionen, das den Besitz der Wahrheit beansprucht.103 Es ist bezeichnend, dass Voegelin, der die symbolische und philosophische Dimension
der Repräsentation erfasst, diese zur Grundlage seiner ¹neuen Wissenschaft der
Politikª, d.h. der philosophischen Durchdringung des politischen Problems der
Ordnung macht.
Wenn wir uns nun wieder der Beziehung zwischen Repräsentation und Idee
in der modernen politischen Theorie zuwenden, können wir darin eine BeweVgl. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 216.
Vgl. Voegelin, Eric: Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München 1966, S. 298.
102 Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 306.
103 Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 306.
100
101
7. Praxis der Philosophie und das Problem des Ursprungs
55
gung des Transzendierens entdecken, das durch die von Voegelin aufgezeigte
¹Erfahrung des Grundesª ermöglicht ist, diese aber zugleich zu verraten
scheint. Zwar lässt sich im Hobbes'schen Vorgehen ein nicht zu unterdrückendes transzendentes Element erkennen, und zwar in der Struktur der Repräsentation selbst ebenso wie im Akt des Vertrauens und Glaubens, der die im Rahmen
des Vertrags zu treffende Wahl der Person des Repräsentanten prägt, jedoch ist
es ein Akt wissenschaftlicher Begründung, mit welchem die Naturrechtslehre
den Beginn einer neuen politischen Wissenschaft einläutet. Versucht wird eine
wissenschaftliche, widerspruchsfreie Bestimmung der politischen Form, die rationale Begründung des Unterschiedes zwischen Herrschenden und Untertanen.
Das wissenschaftliche Vorgehen mündet also in die Bestimmung der Genese.
Das Wesen des Staates als rationale Sphäre von Beziehungen kann verstanden
werden, wenn gezeigt wird, auf welche Weise der Staat erzeugt wird, und diese
Weise ist eben der Ausdruck des rationalen Willens Aller durch den Gesellschaftsvertrag. So gelingt die Erfassung der logischen (wenn auch nicht der
historischen) Genese der politischen Form und legitimiert die für die oben beschriebene moderne Repräsentation kennzeichnende Unterwerfung bzw. Enteignung des Willens. Das Problem ist weniger der Ursprung als vielmehr die Genese: der Akt, der ein für alle Mal die Repräsentation hervorbringt. Gemeint ist
nicht das, was das repräsentative Handeln von Fall zu Fall ermöglicht oder seinen Gehalt ausmacht, sondern das, was Repräsentation ab initio begründet und
eine ± im Vergleich zu diesem Gründungsakt ± radikal andere Dimension eröffnet: nicht mehr Verhandlung zwischen gleichen Individuen, sondern eine Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten: d.h. nicht mehr Verhandlung,
sondern Gehorsam. Diesen Akt an den Anfang zu setzen, hat die Funktion, die
Befehl-Gehorsam-Beziehung unwiderruflich zu machen und dem Element der
Repräsentation Absolutheit zu verleihen. Die repräsentierte Idee ± Volk oder
Nation ± garantiert den Absolutheitsanspruch dessen, der autorisiert ist, in ihrem Namen zu sprechen. Die Rekonstruktion der Genese fällt hierbei zusammen mit der Begründung durch die Theorie und mit ihrem Wissensanspruch:
Wir haben es mit dem Versuch einer immanenten Begründung der Politik zu
tun.
Wenn man jedoch diese Struktur der Repräsentation freilegt, ihr innerstes
Wesen begreift, ihre Beziehung zur Idee aufdeckt, die in der Form der Abwesenheit zum Vorschein kommt, dann gelangt man zum Problem des Ursprungs,
zu dem, was jedes repräsentative Handeln ermöglicht und darin hervortritt, aber
offenbar nie bestimmbar und auf ein Objekt der Erkenntnis reduzierbar ist, welches eine theoretische Begründung ermöglichen würde. Zu diesem Ursprung
vordringen kann man aber jederzeit durch eine Partizipation, welche allerdings
die Wesensmerkmale der Philosophie trägt und strukturell auûerstande erscheint,
die politische Form zu begründen. Der philosophische Zugang zum Problem der
Repräsentation vermag zwar das Kernproblem des Ursprungs zu begreifen, er-
56
I. Repräsentation und arcanum der Idee: eine theoretische Einführung
weist aber zugleich die Unmöglichkeit einer theoretischen Begründung der
Form.104
Es mag bezeichnend sein, dass im Moment der Krise des Staates als politischer Form eine Konzentration der Überlegungen auf die Repräsentation zu beobachten ist, aber ebenso bezeichnend ist es, dass ± eben weil in der Repräsentation der Kern des politischen Problems erkannt wird und man sein Wesen bis
auf den Grund erforschen will ± die Fähigkeit, die Wirklichkeit zu verstehen,
und die Wiederentdeckung eines Gegenstandsbereichs der philosophischen Reflexion mit dem Bewusstsein einhergehen, wie ohnmächtig die Theorie ist,
wenn sie versucht, neue, garantierte und begründete Formen für ein politisches
Leben jenseits des modernen Staates hervorzubringen.
104 Die Bezeichnungen Philosophie, Wissenschaft und Theorie haben hier die Bedeutung, die aus dem Kontext meiner Argumentation deutlich wird, und nicht die
Voegelin'sche Bedeutung. Dass die Bewegung der Anwesenheit des Abwesenden von
zentraler Bedeutung für die moderne Repräsentation ist, offenbart auch die mittlerweile erschienene Studie von Accarino, Bruno: Rappresentanza, Bologna 1999, deren
erstes Kapitel bezeichnenderweise ¹Presenza e assenzaª [Anwesenheit und Abwesenheit] betitelt ist.
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation1
1. Menschenrechte und Verfassung:
die Französische Revolution
Fragt man nach der Entstehung der Repräsentation, wie sie die modernen
Verfassungen kennzeichnet, dann richtet sich das Augenmerk unweigerlich auf
ein historisches Ereignis: die französische Revolution. Bekanntlich gewinnt die
Theorie in der Revolution und in der Phase der Entstehung der Verfassung eine
groûe Bedeutung. Deutlich wird dies bei Sieyes, der schon 1789 darauf hinweist, dass eine Reihe von Ideen, die bei ihrem ersten Auftreten noch als ¹Metaphysikª galten, zugleich Gemeingut und Wirklichkeit wurden: dass es nämlich
notwendig sei, Frankreich eine Verfassung zu geben; dass die gesetzgebende
Gewalt bei der Nation und nicht beim König liege; dass die Abgeordneten der
Stände echte Repräsentanten seien; dass man konstituierende und konstituierte
Gewalt unterscheiden müsse; dass die Staatsbürger alle gleich und Inhaber gleicher Rechte seien. Sieyes meint, so verhalte es sich immer mit rationalen Wahrheiten, die sich im praktischen Bereich durchsetzen: Zuerst würden sie als abstrakt angefeindet, aber schlieûlich gingen sie ein in die Gesamtheit allgemeiner
Ideen, würden schlicht Teil des ¹gesunden Menschenverstandesª.2
Eine Zusammenfassung der von der Theorie als universell postulierten Prinzipien findet sich in der berühmten Erklärung der Menschenrechte.3 Sie verrät,
1 In dieses Kapitel sind, z. T. gänzlich unverändert, einige Materialien aus folgenden Veröffentlichungen eingegangen: Duso, Giuseppe (Hrsg.): Il potere. Per la storia
della filosofia politica moderna, Roma 1999 und ders.: La logica del potere. Storia
concettuale come filosofia politica, Roma/Bari 1999 sowie aus Aufsätzen zu Kant,
Fichte e Hegel, auf die gesondert verwiesen wird; der Grund liegt in der Zielsetzung
des vorliegenden Bandes, einen Überblick über den Begriff der Repräsentation zu geben. Einige Passagen des vorliegenden Kapitels sind eingeflossen in Duso, Giuseppe:
¹Repräsentative Demokratie: Entstehung, Logik und Aporie ihrer Grundbegriffeª, in:
Schmitt, Karl (Hrsg.): Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, Baden-Baden 2003, S. 11±36.
2 Sieyes, Joseph Emmanuel: PrØliminaires de la Constitution. Reconnaissance et exposition raisonnØe des Droits de l'homme et du citoyen, 3. Aufl. 1789, Paris (Baudouin), dt.: Einleitung zur Verfassung. Anerkennung und erklärende Darstellung der
Menschen- und Bürgerrechte, in: ders.: Politische Schriften 1788±1790, übers. und
hrsg. v. Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt, 2. Aufl. 1981, München/Wien, S. 239±
257. Zum Verfassungsgedanken bei Sieyes vgl. Pasquino, Pasquale: Sieyes et l'invention de la constitution en France, Paris 1998.
3 Vgl. Jaume, Lucien (Hrsg.): Les DØclarations des droits de l'homme, Paris 1989.
58
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
wie weit sich die Vorstellung durchgesetzt hatte, die Menschen seien gleich,
hätten die gleichen Rechte und auf der Grundlage dieser Rechte sei ihr Zusammenleben bzw. die bürgerliche Gesellschaft zu organisieren. In einem Schlüsselmoment der modernen Verfassungsgeschichte zeigt sich, dass der Herausbildung einer bestimmten Gesellschaft, die als solche stets Prozesse der Inklusion
und Exklusion, also klare Grenzen mit sich bringt, ein Denken zugrunde liegt,
das Universalität fordert, das Gültigkeit für die menschliche Natur, also jenseits
jeder besonderen Gesellschaft beansprucht. Die theoretische Spannung zwischen
der Behauptung universeller Recht, die dem Menschen an sich und somit allen
Menschen zu eigen sind, und der Festlegung einer bestimmten Verfassung, die
zwangsläufig Exklusion bedeutet, sollte die nachfolgende Verfassungsgeschichte
prägen und ein ungelöstes Problem bleiben.4
Die Gesellschaft ausgehend von den Rechten der einzelnen Menschen zu
konzipieren, wird in jedem Fall zu einer Konstante der weiteren Entwicklung.
Entgegen landläufigen Vorstellungen besteht die Rolle der Menschenrechte als
Grundlage der Verfassung nicht lediglich darin, gegenüber der Herrschaft Grenzen und Schutzzonen abzustecken. Eine bloûe Begrenzung der Herrschaft durch
Rechte wäre vorstellbar, wenn die Herrschaft eine andere Grundlage hätte als
die Vernunft, welche die Rechte setzt oder anerkennt. Aber die Situation stellt
sich ganz anders dar, als zum ersten Mal der Versuch unternommen wird,
Frankreich eine gerechte und legitime Verfassung zu geben. Da wird nämlich
keine vorhandene Herrschaft akzeptiert, sondern es soll eine Herrschaft erst
konstituiert werden, die der ganzen Nation gehört und gerecht und rational ist,
insofern sie auf den Rechten und dem Willen der Individuen gründet. Dieselbe
Vernunft, welche die Rechte setzt, setzt auch die Herrschaft und die Regeln
ihrer Ausübung: Die Herrschaft entspringt also aus der Instanz der Rechte
selbst. Dies wird in der Erklärung ausdrücklich ausgesagt, wenn darauf hingewiesen wird, dass eine öffentliche Gewalt notwendig ist, um die Rechte durchzusetzen.5 Die Idee der Menschenrechte selbst führt also hin zum Element der
Herrschaft, der gemeinsamen Gewalt, hin zu jener Souveränität im modernen
Sinne, die der Konzeption des Staates zugrunde liegt.
In der Sphäre der Rechte sind insbesondere Gleichheit und Freiheit von
höchster Bedeutung und übernehmen eine grundlegende Rolle. Die Schlüsselstellung des Freiheitsbegriffs verleiht selbst der Bezeichnung ¹Revolutionª eine
neue Bedeutung: nicht mehr, entsprechend der Wortherkunft, ein Rotieren um
sich selbst, sondern Bezug auf die Errichtung einer neuen Ordnung, also auf
eine Geschichtsphilosophie mit ihrer Vorstellung von Evolution und Emanzipation.6 Das Wort ¹Revolutionª ist nicht länger eine schlichte Beschreibung von
4 Vgl. dazu Hofmann, Hasso: ¹Il contenuto politico delle dichiarazioni dei diritti
dell'uomoª, in: Filosofia politica 5 (1991), Heft 2, S. 373±397.
5 Vgl. Artikel 12 der ¹Erklärung der Menschen- und Bürgerrechteª von 1789.
1. Menschenrechte und Verfassung: die französische Revolution
59
Ereignissen, sondern vielmehr eine zu verwirklichende Aufgabe und eine Einheit von Ideen und Prinzipien, denen gegenüber der eigene kulturelle und politische Standpunkt zu definieren ist. Die Freiheit weist den Weg der Revolution,
d.h. den Prozess der Befreiung von den Fesseln der bestehenden Herrschaft und
von der Erstarrung der verschiedenen Rechte und Privilegien.
Und die Freiheit bildet die Grundlage der Erklärung der Rechte. Es geht
nicht länger um die verschiedenen Freiheiten, die in den politischen Kämpfen
des 18. Jahrhunderts fortwährend gegen die absolutistische Übermacht eingeklagt wurden, also die Freibriefe, Immunitäten und Privilegien von Gemeinden,
Orden und Korporationen. Zu bedenken ist, dass bis zur Revolution sowohl die
politische Realität als auch die gängigen Vorstellungen von Politik keineswegs
von den einheitlichen Begriffen der Naturrechtslehre geprägt waren, sondern
von einem komplexen Gefüge von Rechten und Gewalten. Erst in der Revolutionszeit verbreitet sich jene Idee von Freiheit, die bereits in der politischen
Philosophie des 17. Jahrhunderts in Erscheinung getreten war: Freiheit als etwas, das allen Individuen gleichermaûen zusteht, weit entfernt von der tausendjährigen Lehre, wonach nur einige Menschen frei sind, weil sie ihre Freiheit der
Unfreiheit all jener verdanken, die durch Arbeit die Wenigen von der Anstrengung der Bedürfnisbefriedigung entlasten und so für das politische Leben freistellen. Freiheit verstanden als Unabhängigkeit oder als Abhängigkeit vom eigenen Willen, der sich frei in alle Richtungen entfalten kann und nur dort
beschränkt ist, wo anderen Schaden zugefügt würde. Diese Schranke ist vom
Gesetz festgelegt, von einem Gesetz, das den Befehl des zu konstituierenden
politischen Körpers darstellt. Aber wenn das Gesetz, mitsamt dem von ihm ausgehenden Zwang, auf der Freiheit basiert und für diese funktional ist, dann
muss seine Erzeugung von der Autonomie des Willens geprägt sein. D.h. frei
ist das Volk nur dann, wenn es Gesetze befolgt, die es sich selbst gegeben hat.
Dies wird von nun an zu einer unumstöûlichen Wahrheit und die Frage ist nur
noch, wie das Volk sich selbst das Gesetz geben kann. Diese Modalität festzulegen, ist eben Aufgabe der staatlichen Verfassung.
Der Grundsatz der Freiheit verknüpft sich mit dem der Gleichheit der Menschen und bildet zusammen mit diesem die Basis der neuen Gestaltung der Gesellschaft. Verständlich wird so der Bedeutungswandel aller Begriffe, die sich
auf die politische Sphäre beziehen. Die Einberufung der Generalstände von
1789 erinnert daran, dass der Staat nach Ständen aufgebaut war, deren politische Teilhabe an ihre Besonderheiten und Unterschiede gebunden war: Neben
Adel und Geistlichkeit gab es den Dritten Stand, der in Gemeinden, Dörfern
6 Vgl. das Kapitel ¹Historische Kriterien des neuzeitlichen Revolutionsbegriffsª, in:
Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft, Frankfurt a. M. 1979, bes. S. 76. Vgl. dazu
den Artikel ¹Revolutionª in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. V, S. 653±788, und
Griewank, Karl: Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehungsgrund und Entwicklung, 2. Aufl., Frankfurt 1969.
60
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
und Städten nach Körperschaften und Vereinigungen gegliedert war. Nun aber
tritt ein ganz anderes Politikverständnis auf den Plan, und in Was ist der Dritte
Stand? von Sieyes, der berühmten Proklamation der neuen Ideen, erweist sich
die der Einberufung der Generalstände zugrunde liegende politische Ordnung
als bar aller Rationalität und Legitimität. Die sich durchsetzenden Ideen der
Gleichheit und Freiheit erzeugen zwangsläufig die Vorstellung eines einheitlichen Volkes, einer Nation, in der es keine Privilegien und Unterschiede mehr
gibt, es sei denn solche sozialer Art, die mit der Arbeitsteilung zusammenhängen und dem Gemeinwohl zuträglich sind. Es gibt daher keine verschiedenen
Klassen und Stände mehr, sondern der Dritte Stand fordert die Einrichtung eines einzigen Standes, in dem alle gleich sind. In dem Moment, als er sich mit
der gesamten Nation deckt, wird der Dritte Stand (Øtat) zum Staat (État) und
büût seine antike politische Bedeutung ein, ebenso wie all jene ständischen
Gliederungen an Bedeutung verlieren, welche zuvor die Unterschiede im politischen Zusammenleben der Menschen begründet hatten.
Die politische Gesellschaft Frankreichs steht damit als eine auf ungerechte
Weise konstituierte da, und es ist nicht länger vertretbar, sich auf die Rechte
und Privilegien zu stützen, die das Ancien rØgime gekennzeichnet hatten, oder
auf die gesetzgebende Gewalt des Königs. Der Staat muss auf rationaler Grundlage und gerechten Prinzipien gründen, er muss verfasst bzw. konstituiert werden, somit bedarf es des konstituierenden Subjekts, das als einziges legitimiert
ist, eine Verfassung zu geben. Nur die aus Gleichen bestehende produktive Gesellschaft, d.h. die gesamte Nation, kann die Aufgabe der Verfassungsbildung
übernehmen, wobei das Volk als wahrer, mit absoluter Macht ausgestatteter
Souverän erscheint: ¹Die Nation existiert vor allem, ist der Ursprung von allemª. Nur das Volk kann sich selbst Gesetze auferlegen, kann den Staat konstituieren. Die Macht, mit der die Nation ausgestattet ist, ist weder beschränkt
noch von irgend jemandem beschränkbar. Es gibt keine Konstitution, keine politische Form, welche die Nation binden könnte: sie selbst ist der Ursprung jeglicher Form ¹und ihr Wille braucht sich nur zu äuûern, damit jedes positive Recht
ihr gegenüber zurücktritt, die sie Quelle und höchster Gebieter über jedes positive Recht istª.7 Der Staat, nach rationalen Prinzipien begründet und durch den
Willen aller legitimiert, wird zur einzigen Quelle des Rechts in seinem Innern.
Während Frankreich vor die neue Aufgabe gestellt ist, sich eine Verfassung
zu geben, erscheint zugleich das Subjekt, das als einziges diese Aufgabe erfüllen kann: die Nation als Gesamtheit gleicher Individuen, als Realität, die nur
das Naturrecht voraussetzt und so alle vorhandenen und historisch verfestigten
Unterschiede auslöscht. Die Situation ist nicht mehr eine bloû theoretische wie
7 Sieyes, Emmanuel Joseph: ¹Was ist der Dritte Stand?ª, in: ders.: Politische
Schriften 1788±1790, übersetzt und hrsg. von Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt,
2., überarb. und erw. Aufl., München/Wien 1981, S. 117±195, 167 ff.
2. Von der ständischen zur modernen Repräsentation
61
in den Lehren vom Gesellschaftsvertrag, sondern es geht darum, einer politischen Gesellschaft in der geschichtlichen Wirklichkeit eine Verfassung zu geben; und zugleich mit dem Problem der Verfassung stellt sich dasjenige der verfassungsgebenden Gewalt. Sieyes unterscheidet konstituierende und konstituierte Gewalt: es gibt eine politische Organisation, insofern es eine Gewalt gibt,
die zu gliedern oder zu teilen ist, aber diese konstituierte Gewalt kann nicht
auch konstituierende sein. Deren Inhaber kann nur die gesamte Nation, das
ganze Volk sein. Hier wird also die Idee des souveränen politischen Körpers
von Rousseau aufgenommen, wenngleich in diesem gedanklichen Kontext, anders als beim Genfer Philosophen, vom ¹repräsentativen allgemeinen Willenª
die Rede ist. Die politische Repräsentation ist also bei Sieyes nicht nur auf der
Ebene der konstituierten Gewalt notwendig, sondern auch auf der höheren
Ebene der konstituierenden Gewalt, denn um sich zu äuûern, bedarf das Volk
stets einer kleineren Gruppe von Personen, nämlich der konstituierenden bzw.
verfassungsgebenden Versammlung.
2. Von der ständischen zur modernen Repräsentation:
eine neue Auffassung von Politik
Der fundamentale historische Unterschied und der radikale Wandel in der
Auffassung von Politik werden deutlich in der Debatte über die politische Repräsentation und die Funktion des repräsentativen Organs. Als die Generalstände einberufen werden, ist der König noch im Besitz seiner Vorrechte, hat
die Funktion der Regierung inne und hält die Gesetzgebung in seiner Hand,
während die Gesellschaft in Stände und Korporationen gegliedert ist, die ihre
Ansprüche und Bedürfnisse vorbringen. Die Einheit des Staates wird vom König verkörpert, der gegenüber der ständischen Repräsentation eine übergeordnete Instanz darstellt. Nicht die Individuen, sondern die Korporationen und
Stände bringen durch die Repräsentation ihren Willen zum Ausdruck. Der
Dritte Stand befindet sich gegenüber den anderen beiden Ständen bzw. gegenüber der von ihnen eingegangenen Koalition in einer unterlegenen Stellung. Die
zunächst erhobene Forderung des Dritten Standes, die eigene Vertretung soweit
zu stärken, dass sie den Repräsentanten der beiden anderen Stände zahlenmäûig
nicht mehr unterlegen ist, erwies sich rasch als unzureichend angesichts der
Tatsache, dass der Dritte Stand nahezu die gesamte Bevölkerung (fünfundzwanzig Millionen Bürger gegenüber zweihunderttausend Angehörigen des
Adels und des Klerus ± so Sieyes) umfasste und dass die Vertretung der ersten
beiden Ständen auf Privilegien beruhte. Daraus erwuchs die Forderung einer
Repräsentation nach Kopfzahl: Das grundlegend Neue daran ist nicht der Umstand, dass der Dritte Stand die Vorherrschaft übernimmt, sondern dass die Vorstellung einer nach Ständen und Korporationen gegliederten Gesellschaft radikal
aufgehoben wird.
62
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
Dieser grundlegende Wandel beruht offenbar darauf, dass sich ein neues Verständnis von Gesellschaft durchgesetzt hat. Gesellschaft erscheint nicht länger
als Gliederung verschiedener Körper und Teile, sondern nimmt eine kollektive
Dimension an, die vom einzelnen Individuen ausgeht. Das Individuum und sein
Wille werden zur grundlegenden Kategorie der Gesellschaft. Es geht nicht mehr
darum, Teile der Gesellschaft oder partikuläre Bedürfnisse gegenüber einer
obersten Instanz (der Figur des Königs) zu vertreten, vielmehr soll der souveräne Willen der Nation, d.h. der Wille des aus der Gesamtheit der Individuen
gebildeten kollektiven Körpers zum Ausdruck gelangen. Die repräsentierende
Instanz bringt also nicht die Pluralität partikulärer Willen der Stände zu Gehör,
sondern den einzigen Willen der Nation: es handelt sich also um die Repräsentation der politischen Einheit. Repräsentieren bedeutet hier etwas radikal Neues:
In der ständischen Gesellschaft ging es darum, Anliegen, Bedürfnisse und Willensbekundungen, die bereits bestimmt waren, d.h. eine Form besaûen, auf eine
höhere Ebene zu tragen. Die Gruppe oder Korporation existierte, bevor sie repräsentiert wurde. Nun hingegen geht es darum, einer Sache Form zu geben,
die in dem für die Repräsentation grundlegenden Subjekt, d.h. im Individuum
oder der Gesamtheit der Individuen (und nicht im kollektiven Subjekt), noch
gar nicht in bestimmter Weise existent und präsent ist. Die politische Repräsentation wird damit zum (vermeintlich einzigen) Verfahren, das nicht nur den Willen des kollektiven Subjekts ausdrückt, sondern zugleich die Quelle der Legitimation der politischen Herrschaft enthält, welche in der Willensbekundung aller
Bürger liegt, zu der sie bei der Wahl der Abgeordneten aufgerufen sind.
In diesem Kontext gewinnt der Wahlvorgang eine neue Bedeutung: Als Willensausdruck der Staatsbürger verkörpert er den einzigen Akt, der das Repräsentationsorgan zu legitimieren vermag: ¹Ohne Wahl keine Repräsentation.ª8 Deshalb erscheint die Repräsentation durch den König auf der Grundlage der
Erbmonarchie nicht mehr als legitim.9 Diese Konzeption ruht auf der fundamentalen Rolle des Willens der Individuen, die nicht in der Unterschiedlichkeit
ihrer realen Lebensbedingungen erfasst sind, sondern in ihrer totalen Unabhängigkeit und Autonomie. Nur ihr Wille kann den vom repräsentativen Organ formulierten Gemeinwillen fundieren und legitimieren.
8 Zur Debatte über die Repräsentation anlässlich der Verfassung von 1791 vgl. Biral, Alessandro: ¹Rivoluzione e costituzione: la costituzione del 1791ª, in: Filosofia
politica 1 (1987), S. 57±75. Zu den Prozessen und zur politischen Debatte der 1790er
Jahre vgl. Colombo, Paolo: Governo e costituzione. La trasformazione del regime politico nelle teorie dell'età rivoluzionaria francese, Milano 1993. Zur Beziehung von
Konstitution und Repräsentation vgl. auch meinen Beitrag ¹Constitution et reprØsentation: le probl›me de l'unitØ politiqueª, in: Tropeur, Michel/Jaume, Lucien (Hrsg.):
1789 et l'invention de la constitution, Paris 1994, S. 263±274.
9 Vgl. die Rede von Sieyes (Archives nationales 284 AP 4 doss. 12 ) und dazu:
Pasquino, Pasquale: ¹Sieyes, Constant e il ¸governo dei moderni, in: Filosofia politica 1 (1987), Heft 1, S. 77±98.
2. Von der ständischen zur modernen Repräsentation
63
Um das Besondere an dieser neuen Konzeption von Repräsentation zu verstehen, ist genauer zu untersuchen, welche Bedeutung die Willensbekundung mittels Wahl hat. Offenbar handelt es sich nicht um den Ausdruck eines bestimmten Willens durch den Bürger. Es wäre völlig unmöglich, von Millionen spezifischer Willensbekundungen zum Ausdruck jenes einzigen Willens zu gelangen,
der zum Gesetz wird. Die Repräsentation in einer ständischen oder feudalen
Gesellschaft kann ± wenn auch mit Einschränkungen10 ± als Willensübertragung verstanden werden. Die Unterschiede zwischen den Ständen, Korporationen und Zünften waren spezifische Unterschiede, die mit der objektiven Realität dieser Bestandteile der Gesellschaft verknüpft waren. Solche unterschiedlichen konkreten Willen drückten sich mittels der Repräsentationsfunktion aus, in
der oftmals ein imperatives Mandat vorgesehen war, d.h. ein bestimmter, ausdrücklicher Wille, an den die Repräsentanten gebunden waren11. Seit der Verfassung von 1791, d.h. seitdem durch das Parlament der einheitliche Wille der
gesamten Nation repräsentiert wird, kann es ein imperatives Mandat nicht mehr
geben, denn der Wille der Nation, dem der Repräsentant verpflichtet ist, ist
nicht an den partikulären Willen derjenigen gebunden, die das repräsentative
Organ wählen. Deshalb spricht man vom freien Mandat: dabei geht es nicht um
den Ausdruck eines bestimmten Willens, der zu respektieren und auf einer höheren Instanz zu vertreten ist, sondern vielmehr um den Auftrag an jemanden,
den einheitlichen Willen der Nation zum Ausdruck zu bringen.
Im Gegensatz zu gängigen Vorstellungen führen die modernen Verfassungen
keineswegs eine Repräsentation ein, die von unten her den souveränen Willen
ausdrückt, sondern etwas Grundverschiedenes. Im Wahlvorgang liegt nämlich
nicht etwa der Ausdruck eines bestimmten Willens durch die Wähler, sondern
vielmehr die Bestimmung des- oder derjenigen, die an ihrer Stelle den Willen
der gesamten Nation ausdrücken sollen. Beim Wählen verleihen die Bürger
kein bestimmtes Mandat, sondern erkennen umgekehrt den bindenden Charakter
der zukünftigen Beschlüsse der Vertreterversammlung an12. Mit anderen Worten
liegt in der Wahl eigentlich ein Akt der Ermächtigung, der den Gewählten das
Recht gibt, zu repräsentieren, d.h. dem einheitlichen Willen der Nation Form zu
geben. Insofern sie Ermächtigung und somit Grundlegung der Autorität ist, liegt
in der Wahl die Begründung der Herrschaft von unten, aber diese bestimmt von
10 Einzuschränken ist diese Aussage insofern, als es in den für diese Gesellschaften
typischen Konzeptionen keine Verabsolutierung des Willens gibt, die es erlauben
würde, die Repräsentation auf eine reine Willensübertragung zu reduzieren.
11 Vgl. dazu Triepel, Heinrich: Delegation und Mandat im öffentlichen Recht,
Kohlhammer, Stuttgart/Berlin 1942, und Müller, Christoph: Das imperative und freie
Mandat, Überlegung zur Lehre von der Repräsentation des Volkes, Leiden 1966. Vgl.
auch Miglio, Gianfranco: ¹Le trasformazioni del concetto di rappresentanzaª (1984),
jetzt in: ders. (Hrsg.): Le regolarità della politica.
12 Vgl. Pasquino, Sieyes, Constant e il ¹governo dei moderniª, S. 97.
64
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
oben her die Form des Willens, also unabhängig vom partikulären Willen der
einzelnen Bürger.13
3. Der Begriff des Volkes und die repräsentative Form
In der Debatte um die französische Konstitution von 1791 tritt eine Position
hervor, welche die zentrale Bedeutung des Repräsentationsprinzip für die Verfassung betont, den Volkswillen also mit dem vom Vertretungsorgan manifestierten Willen gleichsetzt. Die Legitimität dieses Organs gründet auf seiner
Wahl, d.h. auf der Tatsache, dass die Bürger in freier Entscheidung die Repräsentanten gewählt haben, denen der Ausdruck des Volkswillens obliegt. Damit ±
so die Annahme ± ist in der Verfassung das Prinzip der Freiheit verwirklicht,
das allem zukünftigen Demokratieverständnis zugrunde liegt: Nur dem Volk,
dem von Allen gebildeten kollektiven Subjekt steht es zu, Gesetze zu erlassen,
denn nur das Volk kann sich selbst kein Unrecht antun. Bürgerliche Freiheit
besteht also darin, nicht länger einer fremden, äuûeren Instanz unterworfen zu
sein, sondern dem Gesetz, das man sich selbst gegeben hat. Diese Feststellung
bezieht sich sowohl auf die einzelnen Staatsbürger wie auf das Volk als Ganzes.
Das Volk ist also zugleich das aktive Subjekt, welches das Gesetz schafft, wie
auch die Gesamtheit derer, die dem Gesetz unterworfen sind.
Wenn man davon spricht, das Volk sei den Gesetzen unterworfen, die es sich
selbst gegeben habe, und diese Aussage als Verwirklichung der Freiheit, d.h.
der Unabhängigkeit des Willens des kollektiven Subjekts versteht, begibt man
sich freilich auf ein Argumentationsfeld, das nicht frei von Problemen oder Widersprüchen ist. Offenbar sind nämlich das Volk als Souverän, der das Gesetz
macht, und das Volk, das den Gesetzen gehorcht, kein einheitliches, unmittelbar
identisches Subjekt. Das Volk, welches das Gesetz hervorbringt, ist jene homogene kollektive Entität, die nur im konkreten Handeln des repräsentativen Organs zu Tage tritt; denn letzteres legt ja die Inhalte des Gesetzes fest. Das
Volk, das gehorcht, ist hingegen die Gesamtheit der Bürger, die dem Gesetz
unterworfen sind, die es aber ganz gewiss nicht selbst geschaffen haben. Wenn,
wie gezeigt, die Identifizierung des Willens der gesetzgebenden Körperschaft
mit dem idealen Willen des Volkes ihre Legitimation in der Wahl, also in der
Mitwirkung Aller an der Bestimmung der Repräsentanten findet, dann ist im
Wahlakt selbst der Aspekt des Volkes als Summe von Einzelbürgern auffindbar.
13 Natürlich ist die Dialektik der Repräsentation weitaus komplexer, wie im 1. Kapitel gesehen; der unabhängige Wille der Repräsentanten kann sich in eine Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung, im Sinne diffuser, vorherrschender Meinungen verwandeln, also in ein Handeln, das auf die Vorlieben der Wähler bzw. eines Teils der
Wählerschaft Rücksicht nimmt, um mittels Wahl die Funktion der Repräsentation beizubehalten. Hier soll nur die formale Struktur herausgearbeitet werden, die sich mit
den modernen Verfassungen durchsetzt.
3. Der Begriff des Volkes und die repräsentative Form
65
Die einzelnen Bürger erscheinen also sowohl am Ausgangspunkt der Festlegung
des Volkswillens (im Sinne des einheitlichen Willens des kollektiven Subjekts)
wie andererseits auch am Zielpunkt, als Untertanen, können aber an seiner Festlegung selbst nicht direkt mitwirken. Zwischen individuellem und kollektivem
Subjekt, zwischen Individuum und Volk ergibt sich damit ein Verhältnis von
Identität und zugleich Alterität, Widerspruch.
Die politische Freiheit, die in Gestalt des ¹Voll- bzw. Aktivbürgersª auch bei
Sieyes zu Tage tritt, setzt voraus, dass dieser nicht Untertan einer Instanz ist,
die ihren Grund nicht im Bürger selbst findet. Allerdings heiût das nicht, dass
der Bürger einem Gesetz unterworfen ist, das er sich selbst gibt, sondern vielmehr, dass er einem Gesetz gehorcht, zu dessen Hervorbringung er in gewisser
Weise beigetragen hat durch die Wahl der Repräsentanten, d.h. von Personen,
die an seiner Stelle die Gesetze schaffen.
Auf der Grundlage dieser Logik und im Rahmen seines ganz vom repräsentativen Prinzip bestimmten Ansatzes erblickt Sieyes in dem, was er das Recht,
Vollmachten zu erteilen, nennt, die Art und Weise, wie das Volk als Gesamtheit
aller Bürger zur Gesetzgebung beitragen kann: Hinsichtlich der direkten Machtausübung hat sich das Volk auf die Beauftragung zu beschränken, d.h. es soll
lediglich die Personen auswählen und delegieren, welche seine realen Rechte
ausüben, angefangen beim (auûergewöhnlichen) Recht, die öffentliche Institution zu konstituieren. Entgegen einem ganz wörtlichen Verständnis von Demokratie, wonach das Volk unmittelbar die Herrschaft ausübt, also die Gesamtheit
der Bürger das Gesetz bestimmt, bedeutet das repräsentative Prinzip, dass das
Volk mittelbar präsent ist, und zwar mittels Übertragung der Aufgabe, das Gesetz hervorzubringen, an die repräsentative Körperschaft. Sieyes wendet das repräsentative Prinzip ganz konsequent an: nicht nur, wie gesehen, im Rahmen
der Verfassung auf die konstituierte Gewalt, sondern auch auf die verfassunggebende Gewalt. Auch in diesem Fall besteht der Einfluss des Volkes in der Auswahl jener auûerordentlichen Repräsentanten, die der verfassunggebenden Gewalt
eine konkrete, bestimmte Form geben.14
Aufgrund seiner direkten Koppelung an das Repräsentativprinzip offenbart
die Bezeichnung Volk also eine Doppelbedeutung, die zu berücksichtigen ist,
will man Missverständnisse hinsichtlich der logischen Struktur des Begriffs der
Repräsentativität vermeiden und die Probleme verstehen, die von hier ausgehend die nachfolgende Verfassungsgeschichte durchziehen. Einerseits ist das
Volk kollektives Subjekt, das sich in der Repräsentation ausdrückt, andererseits
die Gesamtheit der Bürger, die ihrerseits zugleich Untertanen des gemeinsamen
Gesetzes sind und diejenigen, welche die Repräsentanten ermächtigen und auf
diese Weise (also nicht durch Bekundung eines bestimmten Willens, bestimmter
14
5 Duso
Vgl. Pasquino, Sieyes, Constant e il ¹governo dei moderniª, S. 92.
66
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
Gesetzesinhalte, sondern durch einen Akt der Ermächtigung, des Vertrauens) zur
Schaffung des Gesetzes beitragen, dem sie unterworfen sind. Das kollektive
Subjekt ist also eine einheitliche Gröûe, weil die im Gesetz sich manifestierende Willensbekundung eine einzige ist. Die Repräsentation ist also die Ausdrucksform dieser Einheit der Nation, des Volkes, ganz unabhängig von einer
Übereinkunft verschiedener Gruppen und Einzelwillen. Die Freiheit des Mandats ist unmittelbar verknüpft mit der Aufgabe, das diesem neuen Repräsentationsbegriff eigentümliche Einheitskonzept zum Ausdruck zu bringen.
Die andere Bedeutung von Volk erfasst die Individuen, die als Einzelne gefassten Bürger. Nur sie können die Grundlage der Repräsentation sein: die Bürger als Einzelne und Gleiche. Gruppierungen und soziale Gebilde scheiden aus,
denn sie hätten einen bestimmten und je unterschiedlichen Willen. Ihre politische Anerkennung in der ständischen Gesellschaft war gebunden an ein gänzlich anderes Verständnis von Repräsentation, nämlich die Übertragung von Einzelwillen, die durch das Handeln der Regierung abgestimmt und harmonisiert
werden müssen. Die Existenz von Gruppen und Gebilden verhindert jene Vorstellung von Einheit des Volkes und Freiheit der Bürger, die sich ausgehend
von der Französischen Revolution in der modernen Verfassung durchsetzt.
Die Zulassung von Vereinigungen, sozialen Gebilden und Gruppen mit bestimmtem Charakter würde es privaten Willen ermöglichen, die Gleichheit der
Bürger bedrohende Kräfte zu bilden, indem sie als Gemeinwille ausgeben, was
lediglich der Wille einer Gruppe ist, als allgemeines Interesse das partikuläre
Interesse von Wenigen. Damit es eine gerechte Verfassung gibt, die Freiheit und
Gleichheit durchsetzt, muss die Vertretung von Gruppen- und Verbandsinteressen verhindert werden; d.h. zu verbieten ist die Bildung von Kräften, welche
die Oberhand gewinnen und die Bürger beherrschen könnten. Nur die ungeheure, jeden Widerstand brechende Macht der gesamten Nation kann Freiheit
und Gleichheit der Bürger garantieren: Dann verzichtet der Bürger, sobald er
Teil der politischen Gesellschaft wird, nicht auf einen Teil seiner naturgegebenen Freiheit, sondern kann ganz im Gegenteil als Mitglied dieser Gesellschaft
und dank der von ihr geforderten Unterwerfung eine Freiheit genieûen, die umgekehrt, d.h. bei fehlender politischer Herrschaft und rein individueller Absicherung ziemlich ungesichert wäre. Denn: ¹Kein Recht ist vollkommen gesichert, wenn es nicht von einer verhältnismäûig unwiderstehlichen Gewalt geschützt wird.ª15
Dieses Wesen der Repräsentation wird von Sieyes treffend formuliert, wenn
er schreibt, dass nur das gemeinsame Interesse und das individuelle, persönliche
Interesse vertreten werden dürfen16. Einerseits kann man dem französischen
15
16
Vgl. Sieyes, Einleitung zur Verfassung, S. 245, 246 f.
Vgl. Sieyes, Was ist der dritte Stand?, S. 187.
3. Der Begriff des Volkes und die repräsentative Form
67
AbbØ zustimmen, wenn er in seiner Beschreibung der Individualisierung der
modernen Gesellschaft bemerkt, dass das persönliche Interesse, dessentwegen
der Einzelne sich isoliert und nur um die eigenen Belange kümmert, keine Gefahr für das Gesamtinteresse darstellt. Andererseits aber, und radikaler noch, ist
anzuerkennen, dass Gesamtinteresse und Einzelinteresse zwei Seiten ein und
derselben Konstruktion sind, denn das Gesamtinteresse ist in diesem Kontext
nichts anderes als der Schutz der Privatsphäre, die es jedem Einzelnen erlaubt,
seine Interessen und sein selbst definiertes Wohl zu verfolgen. Nicht repräsentierbar ist hingegen ein korporatives Interesse, das die Kräfte mehrerer Individuen vereint und damit eine Gefahr für die Gemeinschaft bildet. Die ständische, korporative Repräsentation ist mit einer ganz anders gearteten Auffassung
von Gesellschaft und Politik verknüpft: Der einzelne Staatsbürger ist dann nicht
als Individuum politisch tätig, sondern im Rahmen der gesellschaftlichen
Gruppe, welcher er angehört. In diesem vormodernen Zusammenhang bezieht
sich Repräsentation immer auf bestimmte, konkrete Anliegen, die auf eine höhere Ebene zu tragen, d.h. gegenüber einer Regierungsinstanz zu vertreten sind.
Dieser Bezug auf die ständische Gliederung der Gesellschaft aber wird durch
die Logik der Revolution und die Begriffe Freiheit und Gleichheit auûer Kraft
gesetzt. Nur als von allen sozialen Unterschieden Emanzipierte können die Individuen als frei und gleich anerkannt werden und diejenigen legitimieren, die als
Repräsentanten die gemeinschaftliche Herrschaft ausüben. Der fundamentale
Zusammenhang zwischen Einzel- und Gemeinwille lässt keinen Raum für eine
politische Rolle von Vereinigungen partikulärer Interessen. Diese stehen im Widerspruch zu jener Gleichheit und Freiheit, welche das Programm der Revolution ausmachen. Freiheit und Gleichheit setzen voraus, dass die politische Bedeutung der Unterschiede zwischen Gruppen und Verbänden aufgehoben wird.
Die zahllosen, unbestimmten Unterschiede zwischen den Individuen hingegen
sind ungefährlich, kompensieren sich gegenseitig und resultieren im Einzelbürger, der als Gleicher wählt und im Akt der Ermächtigung keine partikulären
oder bedrohlichen Interessen ausdrückt. Das Le-Chapellier-Gesetz von 1791 geht
nicht zufällig in die Richtung der Beseitigung jeglicher Vermittlungsinstanz
zwischen Individuen und Nationalwillen und verbietet folglich, partikuläre Körperschaften zu organisieren und zu repräsentieren, ganz im Gegensatz zur voraufgehenden ständischen Ordnung.
Die Logik des modernen Repräsentationsprinzips setzt sich durch, stöût jedoch in der Debatte über die Verfassung von 1791 auf starke Gegenkräfte; aus
dem zuvor Gesagten dürfte bereits deutlich geworden sein, welche Gefahren
diese Logik birgt: Insofern das repräsentative Organ der direkten Beeinflussung
durch den Willen der Bürger und ihrer Kontrolle entzogen ist, und zwar aufgrund des im Wahlakt ausgesprochenen Vertrauens, läuft dieses Organ stets Gefahr, den eigenen partikulären Willen als Gemeinwillen auszugeben, zusammen
mit diesem also auch das Volk zu verraten. Nachdem das Volk einmal als ver5*
68
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
fassunggebende Gröûe, als eigentlicher Souverän auf den Plan getreten ist, kann
es nicht mehr beiseite gedrängt werden. In der Verfassungsdebatte werden die
Feuillants als Verräter der Revolution kritisiert: Der Gemeinwille, so heiût es,
könne nicht ein für allemal dem Repräsentanten anvertraut werden, sondern dieser bedürfe einer stetigen Überwachung durch das Volk und habe sich an dessen
Willen zu orientieren, wobei der Volkswille nur in der konkreten Bewegung der
dem Klub der Jakobiner angehörenden Vereine zu Tage trete. Nur diese freien
¾uûerungen des Volkswillens könnten verhindern, dass sich der Wille der Bürger im Repräsentationsorgan seiner selbst entfremde. Nur die patriotischen Gesellschaften könnten eine stetige Kontrolle über die Verfassungsorgane ausüben
und jene öffentliche Meinung zum Ausdruck bringen, welche die Repräsentanten als Gemeinwillen zu respektieren hätten, statt ihren partikulären Willen als
einen solchen auszugeben.17
Der Vorstellung, der Volkswille könne sich allein durch Repräsentation artikulieren, steht Rousseaus Idee gegenüber, Repräsentation erzeuge ein Volk von
Sklaven und bewirke eine inakzeptable Enteignung der Volkssouveränität. Der
Gemeinwille ist für Rousseau überall und in der Seele jedes Einzelnen präsent
und zeigt sich unverzüglich dank der Tugend, welche die Vorzüge der Individuen miteinander verschmilzt. Durch die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Mensch und Bürger und durch die zunehmende Politisierung der öffentlichen Meinung wird der tugendhafte Bürger zu demjenigen, der die kollektive
Tugend repräsentiert und dabei zugleich beständig die revolutionären Prinzipien
aktualisiert. Die Tugendgemeinschaft erscheint als Mittel, die politischen und
sozialen Unterschiede zwischen den Individuen ± auch gewaltsam ± zu beseitigen, da sie als unverantwortliche Ungleichheit und somit als bewusste Verbrechen gegen die Homogenität des Volkes wahrgenommen werden.
Der dialektische Widerspruch zwischen der Formulierung des Volkswillens
durch die verfassungsmäûige, repräsentative Versammlung einerseits und seiner
unmittelbaren Manifestation durch das der Verfassung übergeordnete Volk andererseits taucht im politischen Leben und in der Verfassungsgeschichte immer
dann wieder auf, wenn versucht wird, den souveränen Volkswillen auf möglichst direktem Wege zur Geltung zu bringen. Aber noch eine andere Dialektik
hat ihren Ursprung in der Revolution: Es ist jederzeit möglich, eine Differenz
zwischen dem von den Repräsentanten gebildeten öffentlichen Willen und dem
so genannten wahren Volkswillen anzuprangern, denn als ideelle Gröûe ist letzterer nicht mit einer bestimmten, empirischen Realität identifizierbar. Daraus
erklärt sich nicht nur eine kritische Strömung in der öffentlichen Meinung gegenüber der konstituierten Gewalt18, sondern auch das Bestreben, die öffentliche Meinung zu beherrschen und zu beeinflussen, sowie der moderne Wettstreit
17
18
Vgl. Biral, Rivoluzione e costituzione, S. 63, 72.
Vgl. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962.
4. Die Entstehung der modernen Politikwissenschaft
69
der Parteien um die Beherrschung der Institution, in der sich der Gemeinwille
herausbildet.
4. Die Entstehung der modernen Politikwissenschaft
Wir wollen unsere Überlegungen zur Entstehung der modernen Verfassungen
an dieser Stelle unterbrechen und uns fragen, wo der neue Begriff von Repräsentation, der in der französischen Debatte zwischen 1789 und 1791 auftritt,
eigentlich entstanden ist. Es mag merkwürdig erscheinen, dass dieser Begriff
von Repräsentation im Sinne der repräsentativen Ausübung der politischen
Herrschaft bzw. der Volkssouveränität, im Sinne des Ausdrucks einer politischen Einheit, die jenseits der Bindung an Stände und Gruppen liegt, dass dieser scheinbar eng mit dem modernen Demokratieverständnis verknüpfte Begriff
(nämlich in der Form der repräsentativen Demokratie) seinen Ursprung im
Denken eines Autors hat, der oft als Theoretiker des Absolutismus betrachtet
wird, nämlich Hobbes.19 Dieser Entstehungszusammenhang ist zu untersuchen,
wenn man die Voraussetzungen der Durchsetzung des Repräsentationsbegriffs
beleuchten, seine innere Logik jenseits der gängigen einschlägigen Meinungen
verstehen, aber auch die dem Begriff innewohnenden Probleme und Aporien
erfassen will.
Schon Sieyes wies in der oben erwähnten berühmten Rede darauf hin, dass,
was zuvor als abstrakte Metaphysik gegolten hatte, nun zu verbreiteten und
allgemein anerkannten Auffassungen geworden war bzw. wurde. In Hobbes'
politischer Philosophie, oder besser: in seiner mit dem Anspruch der exakten
Wissenschaft, der neuen politischen Wissenschaft, auftretenden theoretischen
Konstruktion wird eine neue Auffassung der Gesellschaft eingeläutet, die auf
den Individuen aufbaut, wobei diese ihrerseits auf den begrifflichen Rahmen
von Freiheit und Gleichheit bezogen sind. Mit Hobbes kommt es zu einem tief
greifenden, radikalen Bruch mit einer Denktradition, in der ein ganz anderes
Verständnis von Repräsentation zu Hause war ± ein Verständnis, das, wie angedeutet, noch in der Einberufung der Generalstände deutlich wird. Der kritische
Nachvollzug des Hobbes'schen Denkens lässt erkennen, dass die moderne politische Repräsentation in ihrem begrifflichen Kern weniger eine bestimmte Form
der Herrschaftsausübung ist als vielmehr notwendige Voraussetzung für die
Konzeption der Gesellschaft und der gerechten und vernünftigen politischen
Herrschaft, welche Gesellschaft erst möglich macht. Es geht um die Einsicht,
dass das Wort Herrschaft ± oft betrachtet als universeller Begriff, der ein
19 Die Verbindung zwischen dem Repräsentationsbegriff, wie er sich in der Französischen Revolution durchsetzt, und dem Denken Hobbes' ist übrigens schon vor längerem aufgezeigt worden; s. dazu den wichtigen Beitrag von Jaume, Lucien: Hobbes et
l'Øtat reprØsentatif moderne, Paris 1986.
70
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
menschliches Wesensmerkmal und somit zeitlose menschliche Verhältnisse bezeichnet ± in Wirklichkeit im Zusammenhang der modernen politischen Begrifflichkeit eine ganz neue Bedeutung annimmt, die ungeeignet ist, das Denken und
die Verhältnisse der vorneuzeitlichen Epoche zu begreifen.19a Zu erfassen ist,
dass der neue Begriff von Repräsentation, wie er sich in den modernen Verfassungen durchsetzt, eine wesentliche Voraussetzung jener theoretischen Konstruktion darstellt, aus der sich die politische Herrschaft als legitime Herrschaft in
der Form der modernen Souveränität ableitet.20
Richtet sich der Blick auf die Konzeption des imperium und die Gesellschaft
der Zeit vor Hobbes, dann beinhaltet das, was als Herrschaft bezeichnet wird,
oftmals eine Vorstellung von Mensch und politischer Gemeinschaft, die vom
modernen Souveränitätsbegriff radikal negiert wird. Der neue Begriff der Herrschaft entsteht ± vermittels der Verabsolutierung des Einzelwillens und des
neuen Freiheitsbegriffs ± eben, um die alte Auffassung von Mensch und zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die damit verbundene Vorstellung von
der Notwendigkeit der Regierung zu überwinden, also die Idee, es sei rational,
dass einige Menschen über die anderen regieren, dass es also eine Herrschaft
des Menschen über den Menschen gebe. Eben dieses Element der Regierung
will Hobbes ausdrücklich negieren: Seine Konstruktion beruht auf dem Begriff
der Gleichheit der Individuen, auf dem Begriff der Freiheit als Willensautonomie und auf dem daraus folgenden Begriff von Souveränität, die nur mit repräsentativen Mitteln zu konzipieren ist.
In dem zuerst von Hobbes aufgezeigten Zusammenhang von Repräsentation
und Souveränität offenbart der neue Repräsentationsbegriff einen radikalen Bedeutungswandel im Verhältnis zu dem, was er in der ständischen Gesellschaft
mit ihrem spezifischen Politikverständnis bezeichnete; begreiflich wird dieses
Politikverständnis nach Otto Brunner nur vor dem Hintergrund des ¹Prinzips
der Herrschaftª (ich würde es ¹Prinzip der Regierungª im antiken Sinne von
gubernatio nennen), das über Jahrtausende den praktischen Disziplinen einen
bestimmten Sinn verleiht: der Individualethik, der Wirtschaft und der Politik,
die allesamt ethische Disziplinen sind.21 Um das Neuartige zu verstehen, soll
19a Eine kritische Auseinandersetzung mit der Begriffskontinuität, die zuweilen die
Darstellung des Stichworts ¹Herrschaftª in den Geschichtlichen Grundbegriffen kennzeichnet, findet sich in Duso Giuseppe: ¹Il potere e la nascita dei concetti politici
moderniª, in: Chignola, Sandro/Duso, Giuseppe (Hrsg.): Sui concetti giuridici e politici della costituzione dell'Europa, Milano 2005, bes. S. 165±173.
20 Zu Hobbes als ¹Vaterª der modernen Souveränität und zur Entstehung der modernen politischen Begriffe im Schoû der Gesellschaftsvertragslehren vgl. Duso
(Hrsg): Il contratto sociale nella filosofia politica moderna; zur Begriffsgeschichte von
¹Souveränitätª vgl. den Sammelband Duso, Giuseppe (Hrsg.): Il potere. Per la storia
della filosofia politica moderna, Roma 1999.
21 Vgl. Brunner, Otto: ¹Das ¸ganze Haus und die alteuropäische ¸Ökonomikª, in:
ders. (Hrsg.): Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968.
5. Naturgemäûe Gemeinschaft und Regierung bei Althusius
71
kurz untersucht werden, welche Funktion die Repräsentation im Politikverständnis eines Denkers wie Althusius innehatte, der sich noch im Rahmen der genannten Tradition bzw. einer ständischen Gesellschaft bewegt.
5. Naturgemäûe Gemeinschaft und Regierung
bei Althusius
Ein Grundmerkmal der Politica von Althusius ist die Annahme, der Mensch
sei in seinem Innersten ein politisches Wesen und die Gesellschaft etwas Naturgegebenes.22 Daraus folgt, dass die philosophische Reflexion über Politik nicht
in einem leeren, durch rationale Konstruktion zu füllenden Raum stattfindet,
Zum Wandel der Herrschaft vgl. den Aufsatz von Brunner, Otto: ¹Bemerkungen zu
den Begriffen ¸Herrschaft und ¸Legitimitätª von 1962, auch in: Brunner, Neue
Wege, S. 64±79. Der Bedeutungswandel der von Brunner verwendeten Bezeichnung
¹Herrschaftª ist m. E. wie folgt zu interpretieren: In der langen Tradition der praktischen Philosophie bezeichnet der an Befehl und Gewalteinsatz gebundene Ausdruck
¹Herrschaftª die für das gesellschaftliche Leben notwendige ¹Regierungª, im alten
Sinne des Wortes ¹gubernatioª, und die zugehörige Beziehung zwischen Regierenden
und Regierten. Im Kontext der modernen politischen Wissenschaft dagegen nimmt der
Ausdruck ¹Herrschaftª die Bedeutung der formalen Beziehung Befehl-Gehorsam an,
entsprechend der berühmten Definition von Max Weber. Herrschaft verliert hier nicht
lediglich ihren persönlichen Charakter und wird der Gesellschaft in unpersönlicher
Form übertragen (eine solche Auffassung wäre noch gänzlich vom modernen Gebrauch des Wortes beeinflusst), sondern es entsteht ein völlig neuer, auf der Verabsolutierung des Willens beruhender Begriff, der all das negiert, was die mit den Begriffen gubernatio und gubernare verbundene Politikauffassung beinhaltete, wie ich im
vorliegenden Band zu zeigen versuche. So gesehen liegt kein Begriffswandel vor, sondern wir haben es mit zwei radikal unterschiedlichen Politikauffassungen zu tun (vgl.
das Kapitel ¹Fine del governo e nascita del potereª, in: Duso, La logica del potere,
S. 55±85). Um die Trennung zwischen der alten Auffassung von gubernare und dem
modernen Begriff von Herrschaft (die in der italienischen Fassung der vorliegenden
Schrift durch das Gegensatzpaar governo/potere verdeutlicht wird) klarer zum Ausdruck zu bringen, verwende ich den Ausdruck ¹Regierungª anstelle von ¹Herrschaftª,
wie er in der Brunner'schen Wendung ¹Prinzip der Herrschaftª erscheint. In der hier
erläuterten Weise verwende ich auch im Folgenden das Wort ¹Regierungª.
22 Zwei internationale Tagungen haben 1984 und 1988 in Herborn stattgefunden.
Ergebnis der ersten Tagung ist Dahm, Karl Wilhelm/Krawietz, Werner/Wyduckel, Dieter (Hrsg.): Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988 (vgl. die Rezension Duso, Giuseppe: Althusius postmodern?, in: Filosofia politica 4 (1990), S. 163±
175) mit Beiträgen u. a. von H. Hofmann, W. Krawietz, P. L. Weinacht, H. U. Scupin,
D. Wyduckel). Die zweite Tagung war dem Thema des Föderalismus gewidmet:
Duso, Giuseppe/Krawietz, Werner/Wyduckel, Dieter (Hrsg.): Konsoziation und Konsens. Grundlage des modernen Föderalismus in der politischen Theorie, Berlin 1996.
Zum Föderalismus vgl. auch Hüglin, Thomas O.: Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin/New York 1991. Eine knappe Darstellung des Denkens von Althusius findet sich in Duso, Giuseppe: ¹Il governo e l'ordine
delle consociazioni: la Politica di Althusiusª, in: ders., Il potere, S. 77±94, und
Wyduckel, Dieter: ¹Johannes Althusiusª, in: Roloff, Hans-Gert (Hrsg.): Die Deutsche
Literatur zwischen 1450 und 1620, Bd. 2, Bern 1991, S. 345±356.
72
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
sondern im Kontext einer komplexen Wirklichkeit, die durch diverse vom
menschlichen Willen unabhängige Faktoren geprägt ist: Die Gesamtheit dieser
Faktoren ermöglicht Orientierung und ein Nachdenken über Regierung. Zu diesen Faktoren zählen die göttliche Wahrheit, wie sie aus den Heiligen Schriften
hervorgeht, das gute alte Recht, die heiligen und die profanen exempla, die aus
dem symbiotischen Recht abgeleiteten Pflichten, nicht zuletzt das Problem des
guten und gerechten Lebens. Im Zusammenhang des politischen Lebens erwachsen weitere Bindungen aus der ¹Verfassungª des Reichs, aus der Existenz
seiner verschiedenen Mitglieder, d.h. der Gruppen und Konsoziationen, aus denen es sich zusammensetzt. All dies bildet eine Realität, die den Willen der
Menschen beeinflusst und von keiner Mehrheitsentscheidung des politischen
Körpers aufgehoben werden kann. Nur innerhalb dieses Kontextes gewinnt der
Terminus imperium ± anknüpfend an die antike Bezeichnung gubernare ± seine
eigentliche Bedeutung.
Aus der Behauptung der natürlichen Geselligkeit der Menschen ergibt sich
eine grundlegende Dimension der Politik, nämlich die Gemeinschaft (communio, communicatio) der Güter, der Leistungen, des Rechts, auch belegt mit dem
griechischen Ausdruck, der das Spezifikum der aristotelischen Politik bezeichnet: koinonia. Es darf nicht übersehen werden, dass nicht die civitas oder respublica oder das Reich zentraler Gegenstand von Althusius' Lehre sind, sondern
die consociatio als solche, deren höchste, umfassendste und unabhängigste
Form die respublica ist. Dieses gemeinschaftliche Element ± manch einer mag
es als ¹horizontalesª Element sehen ± beinhaltet freilich nicht die Behauptung
der Gleichheit der Menschen: Vielmehr setzt es Unterschiede zwischen den
Menschen wie zwischen den Teilen der Gesellschaft voraus. Der Begriff der
Eintracht (concordia), der das Zusammenleben der Teile des Gesellschaftskörpers kennzeichnet, setzt immer die Idee der Pluralität verschiedener Subjekte
voraus. Eben diese Verschiedenheit ist eines der Elemente, welche das Regieren
und Führen zugleich möglich und notwendig machen, und zwar gegenüber
Gliedern, die mitwirken, aber auch zur Zwietracht tendieren können. Wenn alle
Menschen gleich wären und alle regieren wollten, dann gäbe es keine Übereinkunft, sondern es käme zur Auflösung der Gesellschaft.23 Da die Glieder, aus
denen sich die menschlichen Gemeinschaften ± die consociationes, wie Althusius sagt ± zusammensetzen, unterschiedlich sind (auch in der einfachsten aller
Konsoziationen, der Familie), ergibt sich die Notwendigkeit einer Führung und
Regierung, denn ohne sie könnten sich die Glieder in unabhängiger oder widersprüchlicher Weise bewegen.24
23 Althusius, Johannes: Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis
illustrata, Herborn 1614, Nachdruck, 2. Aufl., Aalen 1981, I, 37 (zitiert wird nach
Kapiteln und Ziffern der thematischen Gliederung).
24 Politica, I, 35.
5. Naturgemäûe Gemeinschaft und Regierung bei Althusius
73
Die Behauptung von der Natürlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft geht bei
Althusius einher mit der Behauptung der Natürlichkeit der Regierung (imperare,
regere, subjici, regi et gubernari, sunt actiones naturales), ohne die wir es nicht
mit einem politischen Körper, sondern mit einem ¹monstrumª, d.h. einem Körper ohne Haupt, zu tun hätten. Will man die Behauptung, es sei natürlich, dass
es unter den Menschen Regierende und Regierte gebe, begreifen, so ist das Wesen des imperium ± des Herrschens und Gebietens im Rahmen der gubernatio ±
und seine Andersartigkeit gegenüber dem modernen Begriff der Herrschaft zu
erfassen.25 Die althusische Behauptung der Natürlichkeit des imperium ist nämlich keineswegs gleichbedeutend mit der Natürlichkeit der Herrschaft, wie sie
in den modernen politischen Theorien als künstliche, durch den Willen aller
Individuen legitimierte Beziehung von Befehl und Gehorsam in Erscheinung
tritt. Eine solche formale Beziehung zwischen den Einzelwillen kann nicht natürlich sein; natürlich und notwendig für einen Zusammenschluss aus unterschiedlichen Elementen ist hingegen die Leitungs- und Regierungsfunktion.26
Das Wesen des imperium erhellt aus den im 1. Kapitel der Politica oft verwendeten Verben regere und gubernare. Es geht darum, die Gesellschaft zu
führen unter Berücksichtigung von Gut und Böse, es geht um das Streben nach
einer guten Regierung, wobei der Maûstab der guten Regierung unabhängig
vom Willen der Regierenden ist. Zwar bringt der Regierende auch einen Befehl
zum Ausdruck26 a, dem die Untertanen unterworfen sind, aber es liegt kein for25 Auch hier ist das Problem nicht dadurch lösbar, dass die Begriffgeschichte auf
eine Wortgeschichte reduziert wird. Bei Pufendorf bezieht sich das Wort ¹imperiumª
nur wenige Jahrzehnte nach Althusius auf eben jene Form von Herrschaft, die der
modernen Souveränität des neuzeitlichen Denkens eigen ist und sich mit der neuen
Naturrechtslehre durchsetzt (zwecks näherer Klärung verweise ich auf Duso, Giuseppe: ¹Sulla genesi del moderno concetto di società: la ¸consociatio in Althusius e
la ¸socialitas in Pufendorfª, jetzt in: ders., La logica del potere, Kap. 4.)
26 Der Unterschied zwischen Regierung und Herrschaft wird von Bobbio vernachlässigt, wenn er das aristotelische und das naturrechtliche ¹Modellª vergleicht: Dieser
Vergleich bewegt sich nämlich im Rahmen der übergreifenden Begriffe Staat und
Herrschaft und differenziert lediglich verschiedene Weisen, deren Wesen, Ursprung
und Legitimität aufzufassen (Vgl. Bobbio, Norberto/Bovero, Michelangelo: Società e
stato nella filosofia politica moderna, Milano 1979, bes. S. 44). Herrschaft (¹potere
politicoª) wird hier als menschliche Konstante verstanden, die in jeder historischen
Realität gegeben ist, während doch im Begriff der Herrschaft auf ganz spezifische
Weise jenes formale Verhältnis von Befehl und Gehorsam, jenes Willensverhältnis mitgedacht wird, das typisch für die moderne Wissenschaft der Politik ist. Wird das übersehen, entgeht einem nicht nur zwangsläufig die Besonderheit des aristotelischen Denkens und der vormodernen Tradition, sondern es wird eine Begrifflichkeit als universelle hypostasiert, die durch und durch neuzeitlich ist und vermutlich eine Reihe von
Aporien und Widersprüchen aufweist. Das Denken Aristoteles' wird auf diese Weise
(man denke an die Aussage, bei Aristoteles sei das Herrschaftsverhältnis ¹natürlichª
und seine Legitimation liege in der Macht der Dinge) aufgrund von Wertelementen
beurteilt, die erst Teil des modernen Herrschaftsbegriffs sind, zu dem wesensmäûig
das Element einer Legitimation gehört, die nur im Willen der einzelnen Subjekte begründet liegen kann.
74
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
males Verhältnis von Befehl und Gehorsam vor, keine Willensäuûerung, die Gehorsam lediglich auf der Grundlage der Funktion und der Ermächtigung des Regierenden einfordert.
Um den Unterschied von Regierung und Herrschaft zu klären, ist es sinnvoll,
ein einprägsames Bild anzuführen, das neben Althusius schon Platon, Aristoteles, Cicero und andere verwendet haben, nämlich das des Steuermanns, dessen
Handeln im gubernare navem rei publicae besteht. Wichtig ist bei dieser Metapher nicht nur die Tatsache, dass der Steuermann das Schiff zum Besten des
Schiffes führt, und nebenbei, da er selbst auch auf dem Schiff ist, zu seinem
eigenen Vorteil, wie Aristoteles sagt, sondern vor allem die Tatsache, dass die
Steuerung des Schiffes nur im Rahmen einer bestimmten Umwelt und ihrer
Kenntnis vorstellbar ist. Man muss das Meer kennen, die Winde, die Strömungen, aber auch Bezugspunkte im Firmament haben. Auf der einen Seite steht
also die Objektivität des Handlungsumfeldes, auf der anderen die Kenntnis und
Erfahrung des Steuermanns, seine Tüchtigkeit und Tugend, sein Sinn für den
kairos: nicht alle können Steuermänner sein, obwohl alle eine bestimmte Rolle
auf dem Schiff übernehmen. Das Regierungsprinzip ist nur sinnvoll, wenn es
bezogen ist auf eine Wirklichkeit, die weder von den Regierenden noch den
Regierten abhängt, auf die Unterschiede zwischen den Gliedern der Gesellschaft, auf Orientierungspunkte, welche die Schifffahrt erst ermöglichen.
Übersetzt bedeutet die Metapher, dass Regieren nur innerhalb einer bestimmten Ordnung der Dinge denkbar ist, innerhalb einer Welt also, in der es Anhaltspunkte zur Orientierung gibt. So impliziert Regierung die Frage, was gut ist und
wie man gut lebt, die Ordnung der Seele, den Kontext der Verfassung und der
Gesetze, der nomoi. Innerhalb dieses Rahmens muss man sich orientieren und
das Wagnis der Schifffahrt eingehen: Die Seefahrt an sich ist nicht durch Normen abgesichert; hilfreich sind Kenntnis und Erfahrung, aber wichtig sind die
Fähigkeiten und die Tugend des Steuermannes. Die zugrunde gelegte Auffassung vom menschlichen Handeln ist dadurch bestimmt, dass es weder durch
wissenschaftliche Erkenntnisse noch durch Regeln abgesichert ist, die auf die
konkreten Fälle lediglich anzuwenden wären: Das politische Handeln lässt sich
nicht auf eine formale Rationalität zurückführen (wie sie nicht nur für die Politik, sondern auch die Moral der Neuzeit prägend ist). Nur in der konkreten
Handlung weisen noetischer Akt und Tugend in die einzuschlagende Richtung.
Die Funktion der Leitung und Regierung ist im gegebenen Kontext weder
gleichbedeutend mit Willen oder Befehl des dazu formal Ermächtigten noch
mit der bloûen Unterwerfung der Regierten unter den Willen der Regierenden.
26a Dies ist eben das spezifische Merkmal des Wortes imperare, mit dem es einen
Unterschied gegenüber regieren ausdrückt; deshalb sagt Althusius: ¹omnis gubernatio
imperio et subjectione contineturª (Politica, I, 12); erst das Prinzip der Regierung erlaubt eine adäquate Einordnung des Befehlsbegriffs.
6. Das plurale Wesen des Volkes und die ständische Repräsentation
75
Es sei hervorgehoben, dass politisches Handeln nicht nur das Regieren, sondern
auch das Regiert-Werden umfasst. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang die Tugend und Tüchtigkeit der Regierenden: Wir bewegen uns in einem
Denken, das der Tugend, und ± darin Aristoteles folgend ± insbesondere der
phronesis, eine Schlüsselrolle für das gute politische Handeln zuweist. So wie
es nicht notwendig ist, die Notwendigkeit der Regierung für den politischen
Körper zu begründen (es wäre, als wollte man die für den Körper notwendige
Existenz des Hauptes rechtfertigen), so ist den Mächtigsten und Umsichtigsten
die Tendenz angeboren, die Schwachen und Unfähigen zu regieren.27
Um zu verstehen, was das imperium für Althusius ist, muss klar sein, dass
das grundlegende, die Politica prägende Element der Gemeinschaft nicht ohne
Führung denkbar ist. Besteht die consociatio ± auf allen Ebenen ± aus verschiedenen, miteinander verbundenen Gliedern, so werden communio bzw. comunicatio nur dann wirksam, wenn es eine Koordination gibt, eine Führung, ein
unum auf das sich die Vielzahl der Glieder bezieht. Im Gegensatz zur modernen Herrschaft drückt eine solche Regierung nicht den einheitlichen Volkswillen aus, sondern das Handeln der Regierenden, welches in den Gliedern der
Konsoziation ein Gegenüber findet. Die einigende Funktion der Regierung kann
nur in Bezug auf die gesellschaftliche Pluralität gedacht werden. Der Regierungsbegriff erweist sich bei Althusius als bezogen auf die seinem Denken eigentümliche pluralistische, föderale Dimension.
Auch wenn das Volk eine Einheit im Rahmen der Republik oder des Reichs
bildet, so bleibt es dennoch geprägt von jenen Zusammenschlüssen und Gruppierungen unterschiedlicher Art, die das Reich haben entstehen lassen. Mit dem
konstituierenden Pakt wird weder ihr politisches Wesen noch ihre Unterschiedlichkeit ausgelöscht: Sie bleiben Glieder des Reiches. Das Volk als Gesamtkörper ist überhaupt nur möglich, weil es aus unterschiedlichen Gliedern besteht,
sonst wäre es kein Körper. Es ist bezeichnend, dass im Zusammenhang der majestas des Volkes stets begleitende Attribute erscheinen, die seinen pluralischen
Charakter verdeutlichen: populus, seu membra regni consociata28 oder potestas
regni, seu consociatorum corporum.29
6. Das plurale Wesen des Volkes und
die ständische Repräsentation
In der Politica von Althusius begegnen wir einer komplexen Realität: Der
politische Körper setzt sich auf allen Ebenen ± Stadt, Provinz, Reich ± aus verschiedenen Teilen und Vereinigungen zusammen. Auf jeder Ebene stoûen wir
27
28
29
Politica, I, 38.
Politica, IX, 16.
Politica, XVI, 19.
76
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
also auf ein Bemühen um Übereinkunft und Einigung unterschiedlicher Gemeinschaften, die auch in der übergreifenden Einheit noch ihre besondere Identität aufrechterhalten und mittels repräsentativer Organe ihren jeweiligen Willen
zum Ausdruck bringen können. Dieser wird weder absorbiert vom einheitlichen
Willen der übergreifenden Körperschaft, deren Glieder die einzelnen Vereinigungen sind, noch andererseits auf einen privaten Willen reduziert, welcher einer ganz anderen Sphäre bedürfte, die von der politischen Sphäre abgegrenzt,
aber zugleich durch sie geschützt und verbürgt wäre.
Um diesen ganz spezifischen Zusammenhang ± in dem allein die Repräsentation eine konkrete Bedeutung annimmt ± zu verstehen, sind zwei Aspekte zu
beachten, die für unser modernes Denken schwer begreiflich sind: 1. Der Begriff des Individuums spielt im Hinblick auf die Funktionsweise von Politik
keine bestimmende Rolle; 2. der Wille ist nicht das konstitutive Element der
politischen Beziehung, weder hinsichtlich der Hervorbringung des Gesetzes als
Befehl noch hinsichtlich der Unterordnung, d.h. des Gehorsams gegenüber dem
Gesetz. Was den erstgenannten Aspekt betrifft, ist vor allem daran zu erinnern,
dass ± wie Althusius für die diversen Ebenen der Verfassung ausführt ± die
Glieder des politischen Körpers nicht etwa die Einzelnen sind, sondern ihrerseits Vereinigungen, sei es öffentlicher oder privater Art.30
Zugehörigkeit der Individuen zum politischen Körper heiût also nicht, dass
diese als Einzelne dem Einheitswillen des Gesamtkörpers zugleich zugrunde
gelegt und gegenüber gestellt würden, vielmehr bedeutet es, dass der Einzelne
einer Gemeinschaft angehört, die sich als solche im Rahmen des Gesamtkörpers
artikuliert und mit eigener Würde, eigenem Willen und spezifischen Bedürfnissen darin präsent ist. Hier fehlt jener Dualismus von vereinzelten Bürgern und
Einheit der politischen Gesellschaft, der in der Folgezeit daraus resultiert, dass
die Gesellschaftskonstruktion auf der Vorstellung von einer unendlichen Zahl
gleicher Individuen aufbaut. Hier dagegen ist die Teilnahme des Einzelnen am
politischen Leben durch die Gemeinschaft vermittelt, der er angehört; diese
weist bestimmte Merkmale auf, zeigt spezifische Unterschiede gegenüber anderen Gruppierungen und ist als politische Gröûe anerkannt.
In dieser pluralistischen Konzeption ist auch das Volk nichts Einheitliches,
sondern etwas Zusammengesetztes, das dem Zusammenwirken verschiedener,
konstitutiver Teile entspringt. Die majestas, welche Althusius dem Volk zuerkennt, womit er einer Reihe von Abhandlungen (etwa von Hoenonius und Alsted) den Weg ebnet, die seinem Ansatz folgen, zugleich aber die Kritik vieler
zeitgenössischer und nachfolgender Theoretiker31 auf sich zieht, ist keineswegs
Man vgl. etwa die Ausführungen zur Stadt in Politica, V, 10.
Berühmt ist die Kritik von Hermann Conring, z. B. in seiner ¹Dissertatio de Autoribus politicisª, in: ders.: Opera, hrsg. von Johann W. Göbel, Braunschweig 1730,
Bd. 1, S. 31. Zur maiestas und zu den iura maiestatis sowie zur Vertragslehre und zur
30
31
6. Das plurale Wesen des Volkes und die ständische Repräsentation
77
gleichbedeutend mit der Volkssouveränität, wie sie in der modernen politischen
Philosophie, z. B. im Denken Rousseaus, konzipiert ist. Diese Bedeutung ist
nämlich nur im Rahmen der modernen Vorstellung von Souveränität möglich,
auf der Ebene der politischen Herrschaft, die nur dem politischen Körper bzw.
Volk im Sinne der Totalität aller Individuen, d.h. als dem einzigen politischen
Subjekt zustehen kann. Bei Althusius hingegen setzt sich das Volk aus verschiedenen Teilen zusammen. Im Reich drückt sich zwar das einheitliche Regierungshandeln des obersten Magistrats aus, aber dieses repräsentiert das Volk
nicht im Sinne einer Formierung seines Wollens und Handelns, vielmehr ist
dieses Handeln (für das die Regierenden verantwortlich sind) notwendig aufgrund der Pluralität der Ansprüche des Volkes, mit denen sich die Regierung
ständig auseinandersetzt. Möglich ist dies, weil das Volk nicht als die Gesamtheit aller Individuen verstanden wird, sondern als Gefüge bestimmter Teile, die
ihre jeweiligen Aufgaben und Rechte, ihre Macht und ihren Willen haben.
Während in der modernen politischen Wissenschaft der Volkswille von dem
formuliert wird, der das Volk als einheitliches Subjekt repräsentiert, und während seit Rousseau das Volk als Subjekt gefasst ist, das als einziges das Recht
zum politischen Handeln und zur Festlegung der Konstitution hat, also eine
konstituierende Gröûe ist, erscheint das Volk im althusischen Denken als konstituierte, aus verschiedenen Teilen zusammengesetzte Gröûe.
Es gibt wohl auch bei Althusius eine konstituierende Funktion des Volkes,
insofern es Reiche stiftet und Regierungen einsetzt, aber das widerlegt nicht die
Tatsache, dass das Volk eine konstituierte Gröûe ist, sondern bestätigt sie vielmehr. Nur als konstituierte Gröûe hat das Volk eine Form und kann sich in
Versammlungen artikulieren; das Volk existiert vor dem König (im doppelten
Sinne von vorher und gegenüber), kann einen Mandatsvertrag mit ihm abschlieûen und sein Tun kontrollieren, bis hin zur Absetzung. Das Volk als konstituierte Gröûe kann also den Regierenden einsetzen, es ist eine Gröûe, die sich
vor dem Pakt, durch den Pakt und nach dem Pakt artikulieren kann.
Die althusische Konzeption der Konsoziation beinhaltet also ein spezifisches
Verständnis von Repräsentation. In der politischen Gemeinschaft oder societas
civilis kommt zweierlei zum Ausdruck: einerseits ein einheitliches Moment in
Gestalt dessen, der mit Vorsitz oder Regierung betraut ist (auf der obersten
Ebene der oberste Magistrat), andererseits die Ansprüche des Volkes bzw. der
zahlreichen Vereinigungen, aus denen es gebildet ist ± Ansprüche, die von seinen Repräsentanten artikuliert werden (von den Ephoren in der consociatio uniPluralität des Volkes im Zusammenhang der frühen Darstellung des politischen Denkens von Althusius in seiner Disputatio politica ¹De regno recte instituendo et administrandoª vgl. Duso, Giuseppe: ¹Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius: la dottrina del patto e la costituzione del regnoª, in: Quaderni fiorentini per la
storia del pensiero politico moderno 25 (1996), bes. S. 87 ff. Dieser Band enthält auch
den Text der Disputatio.
78
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
versalis). Wir haben also eine Führungsinstanz und eine kollegiale Instanz zur
Artikulation des Willens der Gemeinschaft. Das gilt nicht nur für das Reich,
sondern für alle Ebenen des sozialen und somit des politischen Lebens. Auf
jeder Ebene tritt eine Dualität der repräsentativen Formen auf, und diese Dualität ist, wie Hasso Hofmann überzeugend nachgewiesen hat, prägend für die
ständische Gesellschaft, die Althusius zum Gegenstand seiner Überlegungen
macht.32 So wie dem obersten Magistrat die Ephoren gegenüberstehen, so steht
dem Rektor der Korporation das Kollegium gegenüber, dem Stadtoberhaupt
oder Konsul der Senat, dem Provinzvorsitzenden (praeses) die Provinz- oder
Territorialstände.
Während die Autorität des obersten Magistrats durch einen Mandatsvertrag
geregelt ist, auf dem seine Repräsentativität beruht, liegt in der kollegialen Repräsentation eine Teilnahme des Volkes mit seinen verschiedenen Teilen vor
und weniger eine Vollmacht oder ein Mandat. Deshalb ist es nicht so wichtig,
wie die Mitglieder des Kollegiums ± welcher Art dieses auch sein mag ± gewählt oder bestimmt werden; wie Althusius zuweilen bemerkt, kann die Entscheidung auch von oben, z. B. durch den Fürsten oder Provinzgrafen33 oder im
Fall der Ephoren durch den obersten Magistrat34 getroffen werden, eventuell
nachdem eine gröûere Anzahl Mitglieder als notwendig gewählt worden ist.
Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich den Charakter der politischen Wissenschaft
bzw. Kunst, um die es in der Politica von Althusius geht: nicht die Schaffung
eines rational begründeten und in sich schlüssigen Modells mit dem präskriptiven Anspruch, in die Praxis umgesetzt zu werden, sondern eine Reflexion über
die vielfältigen Formen der bestehenden Vereinigungen.35 Der Umstand, dass
dem Wahlmodus eine so geringe Bedeutung beigemessen wird, ist bezeichnend
auch für den Charakter der Repräsentation in seiner kollegialen Form: Wer eiVgl. Hofmann, Hasso: ¹Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeitª, in:
Dahm u. a. (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, insbes. S. 522 ff. Eine
andere Auffassung vertritt Hüglin, Sozietaler Föderalismus, bes. S. 194±195; er sieht
eine einheitliche, homogene Struktur der Repräsentation, welche die Herrschaft von
unten begründet. Althusius' Einbettung in einen theoretischen Kontext, der an das
Prinzip der Regierung gebunden und nicht vom modernen Herrschaftsbegriff geprägt
ist, verhindert m. E. eine solche Interpretation. Eine Erörterung der Thesen des interessanten Beitrags von Hüglin liefert Duso, Giuseppe: ¹Althusius e l'idea federalistaª, in:
Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico 21 (1992), S. 611±622.
33 Vgl. Politica, V, 60.
34 Vgl. Politica, XVIII, 59.
35 Das heiût nicht, dass es sich um einen bloû deskriptiven Zugang handelt, denn es
geht nicht darum, die empirische Realität lediglich abzubilden, sondern sie entsprechend der eigenen Begrifflichkeit zu durchdenken und darin eine Bewegung hin auf
das Gute und die gute Regierung zu erkennen. Vielmehr ist hier ebenso wie bei der
aristotelischen Politica darauf hinzuweisen, dass erkenntnistheoretische Kategorien
wie die heute gängigen Begriffe ¹deskriptivª und ¹präskriptivª ± die an einen historisch viel späteren und völlig andersartigen theoretischen Kontext gebunden sind ±
keinerlei hermeneutische Kraft besitzen.
32
6. Das plurale Wesen des Volkes und die ständische Repräsentation
79
nen Stand oder eine Gemeinschaft vertritt, ist an dessen objektive Lage gebunden und hat mit den anderen Mitgliedern eine Reihe von Bedürfnissen, Interessen, Rechten, Sichtweisen sowie das Bewusstsein der eigenen Würde gemein.
Von geringer Bedeutung ist sein Wille, denn es ist kein freier Wille in dem
Sinne, dass er willkürlich festgelegt werden könnte, sondern es geht um ein Bewusstsein der gemeinsamen Zugehörigkeit zur selben Körperschaft, um eine
Identitätsrepräsentation.36
Zwar gibt es auf jeder Ebene der sozialen Ordnung einheitliche Regierungsinstanzen, aber die Kollektivität gelangt zum Ausdruck in der kollegialen Repräsentation, weshalb diese die höchste Instanz ist ± nicht nur prinzipiell, sondern tatsächlich, handelt es sich doch um eine bestimmte und organisierte Präsenz, die sich in konkreten Formen äuûert. Da auf der Ebene der consociatio
universalis vom ganzen Volk die Rede ist, hat dieses ± und nicht der regierende
Herr ± die Majestätsrechte inne: es sind die Ephoren, welche die gröûte auctoritas und potestas haben. Denkbar ist dies, weil das Volk eben eine aus verschiedenen Teilen mit den jeweiligen Repräsentanten konstituierte Realität ist.
In der Kollegialität äuûerst sich die Kollektivität als Gesamtheit ihrer konstitutiven Glieder.37
In dieser komplexen Ständegesellschaft haben wir es also weniger mit einem
einzigen souveränen Willen zu tun, gegenüber dem es nichts als Untertanen
gibt, als vielmehr mit einem Zusammenwirken von potestates und Realitäten,
die nach Einklang und Harmonie streben. In ihren Verbänden haben die Einzelnen ihre jeweils unterschiedliche Realität und üben einen je spezifischen Einfluss auf das Leben des Gemeinwesens aus: politischen Charakter haben sie
nicht als einzelne Individuen, sondern als statusbezogene Teilnehmer am Gemeinschaftsleben. In diesem Zusammenhang gewinnt der Ausdruck Konsens
seine ursprüngliche Bedeutung, eben weil hier nicht die Situation gegeben ist,
dass der in Gesetze gefasste Wille des Gesamtkörpers lediglich Gehorsam verlangt, sondern ein beständiges Bemühen um Ausgleich und Eintracht vorliegt,
welches das Reich ebenso zusammenhält wie die anderen Formen der Vereini36 Vgl. Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre, S. 525. Zum schwierigen Problem der Repräsentation von Identität vgl. ders.: Repräsentation. Studien zur Wort- und
Begriffsgeschichte, bes. S. 191±285.
37 Will man keine historischen Werturteile fällen, sondern im Bereich des Verstehens von Denkstrukturen verbleiben, dann erscheint vor dem Hintergrund des hier Gesagten das von Behnen gezeichnete, auf die Arbeit von Antholz gestützte AnthusiusBild als ¹Diktator von Emdenª als nicht fundiert (vgl. Behnen, Michael: ¹Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der ¸Politica des Johannes Althusiusª, in: Zeitschrift
für Historische Forschung 11 (1984), S. 417±472). Diese Lesart ist das Kennzeichen
einer Interpretationsrichtung, die von der modernen Begrifflichkeit beeinflusst ist ±
ähnlich jenen Ansätze, die im politischen Denken Althusius' den Begriff der Volkssouveränität im Rousseau'schen Sinne oder das Modell einer ¹echten Demokratieª im
Sinne der Begründung der Herrschaft von unten zu erkennen meinen.
80
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
gung. Das Problem, das sich hier stellt, ist nicht das der politische Einheit, sondern es geht um eine durchgehende Geschäftigkeit mit dem Ziel, Einmütigkeit,
Verträglichkeit und Solidarität zwischen den verschiedenen Teilen des Gemeinwesens herzustellen. Aufschlussreich ist auch der Ausdruck Partizipation, denn
mittels Partizipation der verschiedenen Teile entsteht das Leben des Ganzen.
Man könnte sagen, dass Konsens und Partizipation eine konstitutionelle Bedeutung haben, wenn wir uns auch hier von der modernen, verfassungsrechtlichen
Bedeutung des Terminus Konstitution lösen und ihn im ursprünglichen Sinne
der Struktur des Körpers verstehen, der sich eben aus all seinen Teilen mit je
verschiedenen Funktionen zusammensetzt. Konsens und Partizipation verwirklichen sich durch die Repräsentation der Teile der Gesellschaft und bezeugen die
groûe Bedeutung einer solchen Repräsentation.
7. Der moderne Begriff von Herrschaft und Volk
Wenige Jahre nach der Niederschrift von Althusius' Politica kommt es zu
einem radikalen Wandel in der Theorie, und zwar durch die Entstehung dessen,
was wir heute als moderne politische Wissenschaft zu bezeichnen pflegen. Bemerkenswert ist, dass in diesem Ausdruck die Bezeichnungen ¹modernª und
¹Wissenschaftª eine Verbindung eingehen: Es handelt sich um einen neuen
Wissenschaftsbegriff, der die Sphäre der Praxis, also der Politik betrifft und im
Gegensatz zur antiken praktikØ epistØme steht. Grundintention ist nun, der Herrschaft des Menschen über den Menschen ein Ende zu setzen, denn diese erscheint als ungerecht vor dem Hintergrund der doppelten Annahme, dass alle
Menschen gleich seien und dass es keine Orientierung stiftende natürliche, kosmische, theologische oder rechtliche Ordnung gebe. Die Vernachlässigung der
Tradition der praktischen Philosophie geht einher mit dem Bedeutungsverlust
der uns umgebenden politischen Realität, in welcher kein Maûstab für Gerechtigkeit auffindbar ist. In Geschichte und Philosophie stöût man auf eine Vielzahl gegensätzlicher Arten, das Problem der Gerechtigkeit zu stellen und zu
lösen, und daraus resultiert eine Situation ständiger Konflikte, in der Sicherheit
und Frieden verloren gehen. Das Problem der Gerechtigkeit muss also durch
eine formale Rationalität gelöst werden, welche die Geometrie zum Vorbild hat
und mit ihrer Objektivität alle Dispute und Konflikte überwindet. Es geht nicht
mehr darum, ein Gemeinwohl und einen allgemeinen nomos zu erkennen, noch
darum, auf dieser Basis die Gemeinschaft zu regieren, sondern jeder soll jetzt
sein eigenes Wohl anstreben und, in privater Form, seinem jeweiligen Glauben
anhängen, wobei zu verhindern ist, dass daraus Konflikte entstehen. Hier gibt es
keinen Platz mehr für die Regierung, im antiken Sinne des Wortes; notwendig
ist vielmehr eine Herrschaft, die auf der Macht Aller gründet, die möglichen
Machtunterschiede zwischen den Individuen irrelevant macht und so die Vorherrschaft der einen über die anderen und jeglichen Anspruch auf Regierung
7. Der moderne Begriff von Herrschaft und Volk
81
vereitelt. Die Meinungs- und Glaubensdifferenzen im Hinblick auf das Gute
und Richtige werden so neutralisiert, und es entsteht eine Privatsphäre, in der
die Individuen ihre Ziele verfolgen und ihr Wohl anstreben können unter der
Bedingung, dass sie den Raum und die Freiheit der anderen nicht verletzen.
Man könnte sagen, dass die Herrschaft dahin tendiert, den Raum zu schützen,
in dem sich jeder selbst regieren soll; aber auch hinsichtlich der Selbstregierung
des Einzelmenschen kann man, nachdem der Orientierungs- und Bezugsrahmen
weggefallen ist38, streng genommen nicht mehr von Regierung sprechen. Die
Ausweitung des Regierungsbegriffs auf sämtliche Menschen führt zum Verlust
seines spezifischen Bedeutungskerns; verloren gehen sowohl das gemeinsame
Ziel als auch jene Pluralität und Unterschiedlichkeit der Menschen, die ± wie
gezeigt ± für die Existenz einer ¹Regierungª unverzichtbar sind. Die vermeintliche Ausdehnung des Regierungsbegriffs fällt in Wirklichkeit mit seinem Ende
zusammen: Die Selbstregierung des Menschen wird zu einer vom eigenen Willen ausgehenden Leitung seiner selbst; der neue Begriff der Freiheit verdrängt
also die Idee der Regierung.
Das Wort Volk gewinnt hier eine gänzlich neue Bedeutung: nicht mehr ein
aus Teilen zusammengesetztes Ganzes oder Teil einer polis wie in Griechenland, sondern die Gesamtheit und Einheit aller gleichen Individuen. Wenn der
Ausgangspunkt ein Naturzustand ist, der nur gleiche Individuen kennt (dies ist
der strategische Kunstgriff des modernen naturrechtlichen Kontraktualismus, der
die nachfolgende Staatslehre prägt), dann gibt es kein Volk vor dem Vertrag,
d.h. vor der artifiziellen Konstruktion der Gesellschaft. Mit dem Gesellschaftsvertrag entsteht das Volk, dem die Herrschaft zusteht: sie ist ungeteilt und absolut, gerade weil sie auf den Rechten der Individuen ± allen voran Gleichheit
und Freiheit ± beruht und die Aufgabe hat, diese Rechte in der historischen
Wirklichkeit durchzusetzen. Damit stehen wir vor jenem modernen Begriff von
Souveränität (im Sinne der ungeteilten Herrschaft des politischen Körpers), der
nun auf das Verständnis der sozialen Beziehungen und des imperium bzw. der
menschlichen Unterordnungsverhältnisse einwirkt.39
38 Man beachte, dass mit diesem Bezugsrahmen kein System von Wahrheiten gemeint ist, sondern vielmehr ein Problem, das sich allen stellt ± ähnlich wie in Platons
Dialogen. Nichts ist weiter entfernt von der Art, wie Aristoteles und Platon das Problem des Handelns und des guten Lebens formulieren, als ein System von Normen und
Wahrheiten (das hingegen in vielen Interpretationen des klassischen Denkens zu entdecken ist, die sich von einem typisch modernen normativen Schema leiten lassen).
Vgl. zur Bedeutung der Regierung bei Platon den Aufsatz von Biral, Alessandro:
¹Platone: governo e potereª, in: Filosofia politica 6 (1992), S. 399±428 (jetzt auch in:
ders.: Storia e critica della filosofia politica moderna, Milano 1999) sowie ders.: Platone e la conoscenza di sØ, Bari 1997.
39 Zur unterschiedlichen Bedeutung, die der Terminus imperium annimmt, je nachdem, ob er noch dem Kontext der aristotelisch geprägten politischen Lehren angehört
oder bereits dem der modernen Naturrechtslehre, vgl. den ersten Teil von Duso
(Hrsg.), Il potere (mit Auswahlbibliographie zum Thema).
6 Duso
82
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
Der Begriff Herrschaft im Sinne politischer Macht und Souveränität ist etwas
Neues, das in der voraufgehenden Tradition nicht existiert. Der Bedeutungsinhalt von Herrschaft und Unterordnung wandelt sich radikal, und das traditionelle Prinzip der Regierung ist nicht mehr vorstellbar. Im Zusammenhang dieses Prinzips gab es nämlich keine bloûe Unterordnung unter den Willen des
Regierenden, und die Regierten konnten sich auf einen Bezugsrahmen berufen,
der auch den Regierenden als Orientierung diente. Bezeichnend ist, dass bei
Althusius der Mandatskontrakt, der die potestas des obersten Magistrats begründet und somit das Volk zu Gehorsam verpflichtet, zugleich Grundlage der Kontrolle und möglichen Absetzung der höchsten Autorität, also Basis des Widerstandsrechts ist. Jetzt dagegen ist Widerstand gegen die Herrschaftsinstanz des
Gemeinkörpers nicht mehr möglich, Widerstand wäre Anmaûung Einzelner, die
für sich eine Besonderheit und eine gegen den Gemeinkörper gerichtete Machtposition beanspruchen ± eine Machtposition, die sie gegen ihre Mitmenschen
missbrauchen können. Nur gemeinsame Herrschaft im Sinne der Souveränität
garantiert die Gleichheit der Individuen, und einziges Gesetz ist der Wille, den
diese Herrschaft artikuliert.40
Die Unterordnung unter die gemeinsame Herrschaft ist jetzt vollständig und
bedarf der Legitimation41, denn wir stehen vor jenem Gegensatz zwischen Herrschenden und Untertanen, der auf den ersten Blick im Widerspruch zum theoretischen Ausgangspunkt, nämlich der Gleichheit aller Menschen steht. Die
Rechtfertigung liefert ein rationaler, wissenschaftlicher Entwurf, der eine solche
Herrschaft als einzige tauglich erscheinen lässt, das Leben, die Quelle aller Güter des Individuums, zu erhalten; der Rechtfertigung dient aber auch die Argumentation, dass die Individuen nicht dem Willen einer besonderen Person untertan sind, sondern dem Willen des gesamten politischen Körpers: Dies ist der
wahrer Wille aller, ihr politischer Wille im Gegensatz zu ihrem jeweiligen privaten Willen. In diesem gemeinsamen theoretischen Horizont liegen die beiden
als besonders radikal angesehenen theoretischen Positionen von Hobbes und
Rousseau. Letztgenannter opponiert heftig gegen Hobbes, allerdings ± wie wir
sehen werden ± im Rahmen einer im wesentlichen einheitlichen Konzeption
moderner Souveränität, welche die beiden Denker nunmehr vom politischen
Denken einer Tradition trennt, zu der auch der Ansatz von Althusius gehört.42
40 Zum Bedeutungswandel von ¹Herrschaftª und damit zur Kennzeichnung von politischer Herrschaft im modernen Sinne sei verwiesen auf den bereits zitierten Aufsatz
von Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen ¹Herrschaftª und ¹Legitimitätª.
41 Die Frage der Legitimierung ist eine moderne Frage, die sich in dem Moment
stellt, als im Hobbes'schen Denken die repräsentative staatliche Person auftritt: vgl.
Hofmann, Hasso: Legitimation und Rechtsgeltung, Berlin 1977, S. 13; Hofmann: Repräsentation, S. 382; vgl. auch Polin, Raymond: ¹Analyse philosophique de l'idØe de
lØgitimitت, in: L'idØe de lØgitimitØ. Annales de philosophie politique 7 (1967).
42 Natürlich unterscheidet sich die hier vertretene Position recht stark von der berühmten Interpretation durch Gierke, Otto von: Johannes Althusius und die Entwick-
8. Politische Einheit und Erfindung des neuen Repräsentationsbegriffs
83
8. Politische Einheit und Erfindung des
neuen Repräsentationsbegriffs
Hobbes' strategischer Kunstgriff des Naturzustands, in dem es lediglich Individuen und ihre unbeschränkten Ansprüche gibt, ermöglicht es, keinerlei kollektive Gröûe als natürlich und ursprünglich anzuerkennen. Und dennoch muss
menschliche Erfindungsgabe eine gesellschaftliche Ordnung finden, um zu verhindern, dass die gegensätzlichen Kräfte der Individuen zur wechselseitigen
Auslöschung führen. Die einzig mögliche Lösung liegt ± wie die berühmte
Konstruktion des Gesellschaftsvertrags, der gleichfalls Herrschaftsvertrag ist,
deutlich macht ± in einer Übereinkunft, die durch eine ungeheure, von Allen
gebildete Macht verbürgt wird. Dieser gemeinsamen Macht unterwerfen sich
alle Individuen freiwillig und aus Einsicht, eben damit es keine Übergriffe untereinander gibt.43 Also auch für Hobbes, und nicht nur für Rousseau, ist Unterwerfung dem politischen Körper in seiner Gesamtheit geschuldet. Und eben
darin liegt die Rechtfertigung der Untertänigkeit, denn diese besteht nicht mehr
in der Unterwerfung unter einen einzelnen Menschen kraft seiner Eigenschaften
oder seiner Macht, sondern unter einen Körper, den alle gemeinsam haben
schaffen wollen.
Was die Hobbes'sche Position, aber zugleich die moderne politische Herrschaft auszeichnet, ist die Idee, dass der Wille dieser juristischen Person (persona civilis) nicht der Wille irgendeines bestimmten Individuums sein dürfe
(alle Individuen sind ja gleich); diese Person kann also nur wollen und handeln,
wenn eine neue Theorie des Handelns aufkommt, nach der eine Person (und
der Ausdruck gewinnt hier eine ganz bestimmte, an seine Etymologie gebundene Bedeutung) nicht für sich selbst handelt, sondern für den gesamten politischen Körper. Der politische Körper gewinnt Ausdrucks- und Handlungsmöglichkeit nur durch jemanden, der dessen Rolle übernimmt, der ihn eben repräsentiert. Hier ist kein Platz mehr für das Bild eines Körpers, in dem die
einzelnen Teile unterschiedliche Funktionen für das Ganze haben, d.h. für die
traditionell gängige Darstellung der respublica; emblematisch erscheint vielmehr die Figur auf dem Titelblatt des Leviathan: der Souverän besteht aus unlung der naturrechtlichen Staatstheorien, Breslau 1980, der Althusius als Beginn des
modernen Naturrechts betrachtet. Eine Diskussion der Gierke-These findet sich in:
Duso, Giuseppe: ¹Mandatskontrakt, Konsoziation und Pluralismus in der politischen
Theorie des Althusiusª, in: ders./Krawietz, Werner/Wyduckel, Dieter (Hrsg.): Konsoziation und Konsens. S. 65±81.
43 Es sei nochmals hingewiesen auf den folgenden Beitrag mit seinem für die hier
angestellten Überlegungen bedeutungsvollen Titel: Biral, Alessandro: ¹Hobbes: la
società senza governoª, in: Duso (Hrsg): Il contratto sociale nella filosofia politica
moderna, S. 51±108. Vgl. auch den Sammelband von Kersting, Wolfgang (Hrsg.):
Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, Berlin 1996.
6*
84
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
zähligen, völlig gleichen Menschlein, die man in allen Teilen des Körpers wiederfindet. Es gibt keine unterschiedlichen Teile mehr, und der Herrschende des
politischen Körpers ist nicht mehr der Kopf, die Führung gegenüber den anderen Teilen, sondern nur eine Maske, ein Darsteller, der für den gesamten politischen Körper agiert. Entscheidend ist ein Umstand, der verwunderlich erscheinen mag: Auf der repräsentativen Natur des Souveräns beruht nicht nur die
Legitimität seines Handelns, sondern zugleich seine Absolutheit und die Unmöglichkeit (bei Hobbes) bzw. die äuûerste Schwierigkeit (bei den nachfolgenden vom Naturrecht inspirierten Denkern), eine Kontrolle des Souveräns zu
denken.
Die Kontrolle der repräsentativen Herrschaftsausübung, über die sich Hobbes' Nachfolger den Kopf zerbrechen, ist deshalb so schwer vorstellbar, weil
die moderne Repräsentation unabdingbare Voraussetzung für die Vorstellung
des politischen Körpers, d.h. des kollektiven Subjekts ist. Wenn dem so ist,
dann wird verständlich, warum es unmöglich scheint, das kollektive Subjekt als
real existierendes mit einer Kontrollfunktion gegenüber und im Gegensatz zum
Repräsentanten zu konzipieren. Die Schwierigkeit derjenigen, die im Unterschied zu Hobbes eine Herrschaftskontrolle zu entwerfen trachten, ergibt sich
aus der Hinnahme des repräsentativen Prinzips als Grundlage der politischen
Herrschaft. Wir wollen versuchen nachzuvollziehen, auf welche Weise Repräsentation und Souveränität unauflöslich verknüpft sind.
Die Notwendigkeit des Repräsentationsbegriffs für die Konzeption des kollektiven Subjekts und seiner Herrschaft ergibt sich zunächst einmal aus einer
Überlegung zum Ergebnis der Vertragskonstruktion: Diese stellt nämlich Volk
und Souverän wohlgemerkt nicht einander gegenüber, sondern betrachtet als
Vertragspartner die Individuen und als Resultat gleichzeitig Volk und Souverän.
Der Pakt ist keine vorübergehende Abmachung zwischen verschiedenen Subjekten, die ansonsten ihre Willens- und Entscheidungsfreiheit behalten: Eine solche
Übereinkunft wäre recht labil und würde das zwischenmenschliche Konfliktpotenzial, das sich aus unterschiedlichen Meinungen über das rechte gemeinschaftliche Leben ergibt, nicht lösen. Was erzeugt worden ist, ist eine Person,
die juristische Person, die von nun an ± als einzige Person ± das allein gültige
Urteil darüber abgeben soll, was gut und was schlecht ist für das Leben des
Gemeinwesens, d.h. sie muss als politisches Subjekt wollen und handeln. Wenn
man berücksichtigt, dass im Vertrag eine unbestimmte Vielzahl Einzelner zusammenkommt, um die Unterschiedlichkeit der Meinungen zu überwinden,
dann darf man sich fragen, welchen Willen die so konstituierte juristische Person haben soll (da die Person eine ist, kann auch der Wille nur einer sein).
Offenbar kann er weder mit jenen Einzelwillen der Individuen identisch sein,
die im theoretischen Ansatz als verschiedene vorausgesetzt wurden, noch kann
er sich aus deren Summierung ergeben, denn im Vertrag haben sich die Individuen übereinstimmend auf die Notwendigkeit geeinigt, einen einzigen, über den
8. Politische Einheit und Erfindung des neuen Repräsentationsbegriffs
85
Gebrauch der gemeinsamen Gewalt entscheidenden Richter einzusetzen, weil
nur auf diese Weise die Konflikte gelöst werden können, die sich aus den Meinungsdifferenzen hinsichtlich der Frage ergeben, was unter dem Gesichtspunkt
der Nützlichkeit für das Gemeinschaftsleben zu tun bzw. zu unterlassen ist.
Ebenso wenig kann es, unter der Voraussetzung der Gleichheit der Menschen,
jemanden geben, der sich dank besonderer Eigenschaften für die Leitung des
politischen Körpers qualifiziert. Wenn Wille und Handeln der juristischen Person einen realen Ausdruck finden sollen, kann es also nur eine Lösung geben:
dass jemand die juristische Person repräsentiert, ihre Rolle übernimmt, also
einem Wollen und Handeln zum Ausdruck verhilft, das nicht als sein eigenes
betrachtet wird, sondern als dasjenige des ganzen politischen Körpers. Dieser
Mensch ist der Souverän, dem gegenüber sich durch den Vertrag alle zu Untertanen machen.44 Untertan des Souveräns zu sein ist also die einzige Möglichkeit, dem gemeinsamen Körper und somit dem Volk unterworfen zu sein.
Der Gehorsam gegenüber dem Souverän ist ausschlieûlich an seine repräsentative Natur gebunden, d.h. daran, dass sich durch ihn der Wille des kollektiven
Subjekts, des Volkes artikuliert: Letztlich also gehorcht man dem Volk selbst.
Dies ist das wesentliche Merkmal der modernen Herrschaft: dass sie dem ganzen politischen Körper gehört und dass sich in der politischen Herrschaft der
Wille des kollektiven Subjekts ausdrückt, auch wenn ihre Ausübung einer Person oder Versammlung übertragen ist. Dieser Charakter der Herrschaft wird
schon daran deutlich, wie die ± angesichts der postulierten Gleichheit der Menschen notwendige ± Begründung der Autorität konzipiert wird. Autorität ergibt
sich nicht aus angeborenen oder erworbenen persönlichen Eigenschaften oder
Vorzügen, sondern aus einem Prozess der Ermächtigung, durch den Alle zu Urhebern der Handlungen desjenigen werden, der ermächtigt ist, an ihrer Stelle zu
handeln. Die ermächtigte Person, eben der Repräsentant, vollzieht als solcher
keine Handlungen, deren Urheber er selbst ist, sondern er fungiert nur als Schauspieler (Person im ursprünglichen Wortsinn), als Darsteller von Handlungen,
deren Urheber all jene sind, die den gemeinsamen Körper konstituieren. Dies
ist der logische Kern der modernen Repräsentation: Darin liegt die Legitimität
der modernen politischen Form, aber zugleich auch die Quelle ihrer Aporien.
Im 16. Kapitel des Leviathan kommt dieser neue Begriff von Repräsentation
erstmals zum Ausdruck. Dabei handelt es sich nicht um eine geringfügige Modifikation in der Geschichte des Begriffs der politischen Repräsentation (so als
habe dieser Begriff einen über die historischen Epochen hinweg einheitlichen
Kern), sondern es liegt die Entstehung von etwas völlig Neuartigem, einer gänzlich neuen Sicht von Mensch, Gesellschaft und Politik vor. Wir stehen vor dem
Angelpunkt der modernen Auffassung von politischem Zwang und Autorität.
Wenn man eine künstliche, nicht konkret existente und empirisch erfahrbare
44
Vgl. Kap. XVII des Leviathan.
86
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
Person ansetzt, ist Repräsentation die einzige Möglichkeit, ihr Wirklichkeit,
Willen und Handlungsfähigkeit zu verleihen. Aber zugleich wird hier begreiflich, warum im repräsentativen Handeln die Legitimität der Herrschaftsausübung und der moderne Sinn der Autorität begründet liegen. Die Gleichheit der
Menschen vorausgesetzt ist nämlich keine Autorität gegenüber den ihr Unterstellten mehr vorstellbar, die auf sich selbst oder auf einer höheren Instanz beruht: Weder göttlicher Wille noch persönliche Tugenden geben eine geeignete
Grundlage ab.
Wo durch das Bild des Naturzustands eine tabula rasa erzeugt wurde, auf
welcher der wissenschaftliche Entwurf einer rational begründeten Gesellschaft
ausgeführt werden soll, dort kann allein der Wille aller Individuen, d.h. derjenigen, die der Autorität unterstellt sind, die Grundlage eben dieser Autorität bilden. Verständlich wird dies, wenn das einzig wahre Fundament der Autorität,
d.h. der Prozess der Ermächtigung (Autorisierung) aufgedeckt wird. Der neue
Begriff von Repräsentation entsteht also dort, wo jene komplexe Realität göttlicher, ethischer, juristischer und ¹konstitutionellerª (im Sinne der Teile, die das
Reich bzw. die Republik konstituieren) Art entschwunden ist, die den Willen
beeinflussten und Orientierungs- bzw. Bezugspunkte für Entscheidungen waren.
Nun ist der Wille frei, losgelöst von jeder Beeinflussung und Bindung und wird
formell bestimmt, d.h. bezogen auf die Legitimation des Subjekts: Es ist diese
Legitimierung, welche den Willen gerecht macht, nicht die Frage, ob seine Inhalte der Idee von Gerechtigkeit entsprechen. Es kommt zu einem Wechselspiel
zwischen dem einheitlichen Willen des politischen Körpers und dem Willen der
Individuen: Letzterer liegt einerseits der Autorisation desjenigen zugrunde, der
den Einheitswillen festlegen soll, bedarf aber andererseits der Bindung durch
das Gesetz und die es durchsetzende Macht, um in den Genuss eines Raums
privater Freiheit zu kommen.45
Gewiss, der Prozess der Autorisierung hat im Leviathan logischen Charakter
und bezieht sich nicht auf irgendein Verfahren. Bedenkt man jedoch die Bedeutung der Wahl als Grundlage der Repräsentation in der Französischen Revolution und bei Sieyes ± nicht Übertragung eines bestimmten Willens, sondern, wie
oben dargestellt, eine Form der Autorisation ±, dann ist im Hobbes'schen Ansatz unschwer der logische Kern der Repräsentation zu erkennen, so wie sie
sich in den modernen Verfassungen durchgesetzt hat. Die Grundlage der Herrschaft kann nur im Willen der Individuen liegen, kann nur von unten kommen,
aber zugleich kann die Festlegung des Willens nur von oben kommen, kann nur
im Handeln des Darstellers, des Repräsentanten erblickt werden.46 Die Konzep45 Zur zentralen Stellung des Freiheitsbegriffs in der modernen Politikwissenschaft
(anstelle der antiken Frage nach der Gerechtigkeit) vgl. Hofmann, Hasso: Einführung
in die Rechts- und Staatsphilosophie, Darmstadt 2000 und ders.: Bilder des Friedens
oder die vergessene Gerechtigkeit, München 1997; siehe auch die Beiträge im thematischen Teil (¹giustizia e forma politicaª) in: Filosofia politica 15 (2001), Heft 1.
8. Politische Einheit und Erfindung des neuen Repräsentationsbegriffs
87
tion der Repräsentation als Herrschaftsausübung, und zwar in einem historischen Moment, als politisch gesehen die moderne Subjektivität zu entstehen
scheint, impliziert eine Auffassung von individueller Subjektivität, die zwangsläufig Erstaunen hervorruft. Alle nämlich sind politisch gesehen Subjekte, insofern sie die Urheber von Handlungen sind, vollziehen aber aufgrund des Vorgangs der Ermächtigung diese Handlungen nie selbst, wohingegen diejenigen,
welche diese Handlungen vollziehen, die Repräsentanten, keine Verantwortung
dafür tragen, denn Urheber sind ja all jene, die die Repräsentanten zum Vollzug
dieser Handlungen ermächtigt haben.47 Wir stehen also vor einer Spaltung in
der Konzeption von politischer Subjektivität und Handlungen der Menschen.
Gleichwohl ist mit diesen Überlegungen noch nicht der Kern des Problems
aufgedeckt; zu klären sind die Voraussetzungen, die zu einem solchen aporetischen Resultat führen. Hilfreich ist zu diesem Zweck der Hinweis, dass das der
Repräsentation gewidmete 16. Kapitel des Leviathan demjenigen zur vertraglichen Begründung des commonwealth vorausgeht. Es geht Hobbes nämlich nicht
schlicht darum, der bereits konstituierten juristischen Person Stimme und Willen zu verleihen, sondern zunächst einmal muss es überhaupt gelingen, ausgehend von einer unbegrenzten Vielzahl von Individuen einen kollektiven Körper
mit dem Merkmal der Einheitlichkeit zu konzipieren. Im Kapitel über die Repräsentation tritt nämlich die zentrale Argumentation der modernen politischen
Form hervor, die ± mit einer Heftigkeit und mit Auswirkungen, die zu wenig
überdacht worden sind ± das nachfolgende politische Denken beeinflussen
sollte: Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, eine Vielzahl von Individuen als
eine zu denken, nämlich die Vorstellung, dass einer ihr Repräsentant ist, dass
also jemand oder mehrere Personen, die einen einzigen Willen artikulieren,
repräsentativ für die vielen agieren, die zu einer Einheit werden. ¹Eine Menge
von Menschen wird zu einer Person gemacht, wenn sie von einem Menschen
oder einer Person repräsentiert wird und sofern dies mit der besonderen Zustimmung jedes einzelnen dieser Menge geschieht. Denn es ist die Einheit des Repräsentanten, nicht die Einheit der Repräsentierten, die bewirkt, dass eine Person entsteht. Und es ist der Repräsentant, der die Person, und zwar nur eine
Person, verkörpert. Anders kann Einheit bei einer Menge nicht verstanden werden.ª48
46 Die Logik der politischen Repräsentation ist durchaus komplexer, wie im einführenden Kapitel der vorliegenden Arbeit gezeigt, aber das hier beschriebene Element
erscheint als erster, bestimmender Faktor dessen, was sich als die moderne politische
Form bezeichnen lässt.
47 Noch Weber weist auf die Unverantwortlichkeit des Repräsentanten hin, die ihren Grund in der spezifischen Natur der modernen Repräsentation hat: Der Repräsentant ist nicht an die Interessen und Willen derjenigen gebunden, die ihn delegiert haben, ist nicht Diener, sondern Herr (vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft,
hrsg. von Johannes Winckelmann, 5. Aufl., Tübingen 1976, Bd. I, S. 172; vgl. dazu
das 3. Kapitel der vorliegenden Arbeit, insbes. S. 144 ff.
88
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
Die Einheit kann also nicht auf der Seite des Repräsentierten, d.h. der Vielzahl, bestehen, denn diese setzt sich wirklich aus vielen Einzelnen zusammen,
die, wenn sie sich als solche artikulieren, immer viele bleiben. Nur der Ausdruck eines einzigen Willens durch den Repräsentanten gestattet es, das Volk
als einheitliches politisches Subjekt zu erlangen. Wenn das Volk bereits vor der
Repräsentation und unabhängig von ihr eines und wirklich gegeben wäre, dann
wäre es weder nötig noch möglich, es zu repräsentieren. Wohlgemerkt: Es ist
durchaus nicht unmöglich, sich eine Übereinkunft zwischen verschiedenen Subjekten vorzustellen, einen Konsens der Einzelwillen, wie etwa in der pluralistischen Konzeption des Volkes von Althusius. Dass die Einheit zwangsläufig aus
dem Repräsentanten entspringt, ist dem Umstand geschuldet, dass nicht von
bestimmten, verschiedenen Willensinhalten wie denen der Korporationen und
Stände ausgegangen wird, sondern von der unendlichen Vielzahl der Einzelwillen, die keinerlei inhaltliche Bestimmung aufweisen und einen beliebigen Inhalt
annehmen können: Dann wird die Einheit durch die Repräsentation erzeugt.
Wenn es zu einer Spaltung kommt, zu einer ± so lieûe sich beim jetzigen Stand
der Überlegungen sagen ± mangelhaften Vermittlung zwischen dem privaten
Willen der vielen Repräsentieren und dem davon unbeeinflussten politischen
Willen, der von den Repräsentanten artikuliert wird ± wenn wir also eine Alterität des politischen Willens und der Repräsentation der Einheit im Verhältnis zu
den Individuen beobachten können, dann liegt dies an der Voraussetzung der
theoretischen Konstruktion, d.h. an der Tatsache, dass die Individuen den Ausgangspunkt bilden, also an der neuartigen Rolle, die der Begriff des Individuums für das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft spielt.
9. Präsenz des Volkes durch Repräsentation
Es dürfte deutlich sein, dass in der hier skizzierten Konstellation ± anders als
oft angenommen ± keine Übertragung von Herrschaft stattfindet, da die Einzelnen, die sich als Urheber bezeichnen, keinerlei politische Herrschaft innehaben,
die sie übertragen könnten (während eine solche Übertragung in Herrschaftsverträgen der vorhergehenden Zeiten durchaus vorkam); vielmehr entsteht Herrschaft erst durch den Gesellschaftsvertrag und durch den Prozess der Konstituierung von Autorität. Nur auf diese Weise, d.h. durch das repräsentative Handeln, kommt es zu einer kollektiven, politischen Dimension, zur Herrschaft des
Volkes und nur so formt sich der Wille der juristischen Person, der keinerlei
partikulären Willen einbeziehen darf. Eben dieses logische Gefüge macht die
48 Vgl. Hobbes, Thomas: Leviathan, hrsg. von I. Fetscher, übers. von W. Euchner,
Frankfurt a. M. 1991, Kap. XVI., S. 126±127. Im Hinblick auf die theoretische Reflexion des 20. Jahrhunderts zum Thema ¹Repräsentationª (man denke an Carl Schmitt
und Leibholz) habe ich im Zitat die Ausdrücke Vertreter und Vertretene durch Repräsentant und Repräsentierte ersetzt.
9. Präsenz des Volkes durch Repräsentation
89
Vorstellung unmöglich, durch Repräsentation könnten partikuläre Einzelwillen
übertragen werden; das imperative Mandat wird aufgegeben zugunsten der Freiheit der Repräsentanten, die bei der Aufgabe, der juristischen Person eine
Stimme zu verleihen, keiner Bindung unterliegen. In der modernen Theorie gibt
es keinen vorhergehenden Sachverhalt oder Willen, der einfach widerzuspiegeln
wäre: Der Wille des politischen Körpers ist eben derjenige, der erst durch das
repräsentative Handeln Gestalt annimmt. Darauf gründet die absolute Souveränität, aber auch die Schwierigkeit, eine Kontrolle der Repräsentanten zu konzipieren. Mit der Naturrechtslehre entfällt also im wesentlichen das alte Recht auf
Widerstand, denn der Souverän bzw. später die Repräsentanten der Volkssouveränität sind die einzige Ausdrucksform für den Willen des kollektiven Subjekts.
Wenn vor dem freiwilligen Abschluss des Vertrages keine Gemeinschaft existiert und die vorhandenen gesellschaftlichen Formen nicht legitim sind, weil sie
Unterordnungsverhältnisse zwischen den Menschen implizieren, dann existiert
das Volk erst nach dem Vertrag und kann sich nur repräsentativ artikulieren.
Deshalb gibt es keine kollektive Instanz, die ± wie noch bei Althusius ± dem
Herrschenden gegenübersteht: Der Volkswille offenbart sich nur durch die
Stimme des Repräsentanten; jeder andere Wille ist der Wille von Einzelnen,
von Privatleuten, von Untertanen. So lässt sich etwa, wenn der Souverän ein
Monarch ist, behaupten: ¹(wenn dies auch paradox ist) der König ist das Volk.49
Es ist also nicht nur ausgeschlossen, dass sich das Volk gegen den Souverän
bzw. Repräsentanten auflehnt, sondern die Untertanen sehen sich dem Volk,
d.h. der kollektiven Instanz, in Gestalt des Souveräns bzw. Repräsentanten gegenüber gestellt. Folgerichtig widerspricht Hobbes der Auffassung, die Könige
als Souveräne seien singulis majores, aber universis minores, d.h. den einzelnen
Individuen übergeordnet, den Untertanen in ihrer Gesamtheit jedoch untergeordnet.50 Ermöglicht wird dieser Standpunkt durch eine bestimmte Auffassung von
Gesamtheit: Wenn nämlich ¹alle gemeinsamª nicht gleichbedeutend mit ¹jedermannª ist, sondern den kollektiven Körper als Person bezeichnen soll, dann
kann sich ¹alle gemeinsamª nur auf den souveränen Herrscher, die einzige einheitliche Instanz beziehen.
Mit dem Begriff der Souveränität ± bei Hobbes unmittelbar verknüpft mit
dem der Repräsentation ± bzw. der einzigen Herrschaft des politischen Körpers, verflüchtigt sich die Vorstellung eines Handelns, das Beziehungen zwischen den Bürgern herstellt, wie etwa beim Regierungs-Handeln, und zugleich
49 Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger, S. 199. Natürlich ergibt das nur einen
Sinn, wenn die Monarchie nicht mehr als Regierungsform verstanden wird, sondern
als Form der Herrschaftsausübung im Rahmen der modernen Souveränitätslehre.
50 Hobbes, Leviathan Kap. XVIII, S. 143. Von Althusius dagegen stammt die Auffassung, der höchste Magistrat stehe über den einzelnen Untertanen, aber unter dem
Volk in seiner Gesamtheit, dem das ius maiestatis zustehe (vgl. z. B. Politica, IX, 18).
90
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
entschwinden die einem solchen Handeln eigenen Merkmale der Verantwortung
und Führung. Es entsteht eine Beziehung von Befehl und Gehorsam, die formalen Charakter trägt: Dieser Aspekt erscheint grundlegend, weil Frieden nicht das
Ergebnis einer vorübergehenden, ständig in ihrem Bestand bedrohten Übereinkunft sein kann, sondern eine feste Struktur voraussetzt, welche die Quelle des
Konflikts beseitigt, die darin besteht, dass ein jeder seine Macht gemäû eigenem Gutdünken ausübt. Deshalb bedarf es einer Form, welche die Ordnung
dauerhaft gewährleistet, und diese Form (als solche ist sie Gegenstand der Wissenschaft) besteht eben in der Unterwerfung Aller unter die gemeinsame Macht,
die von demjenigen ausgeübt wird, der dazu ermächtigt wurde. Auf diese Weise
ist die Unterwerfung der Untertanen unter den Souverän nicht die Unterwerfung
unter eine äuûere Instanz, sondern unter das Produkt des eigenen Willens; Hobbes' Antwort auf die alte Frage der Gerechtigkeit ist also nicht ohne Logik:
¹Gerecht ist es, den Gesetzen zu gehorchenª. Ein anderes Verhalten wäre in
diesem Zusammenhang ¹widersprüchlichª, denn es würde eine Situation herbeiführen, in der man nicht mehr will, was man zuvor wollte, nämlich das Urteil
und den Befehl jenes einzigen Richters über das Wohl der Gesellschaft, den
man wollte, um Frieden und Ordnung zu gewähren.51 Das Gesetz hat formalen
Charakter: Es ist Befehl des Souveräns, und der Gehorsam hängt nicht von einzelnen, mehr oder weniger gerechten Gesetzesinhalten ab, vielmehr ist es die
Form des Gesetzes, die das Gesetz gerecht macht bzw. zur Festlegung dessen,
was gerecht ist, befähigt.52 Aber diese Konstruktion ist zugleich Befreiung von
der potenziellen Unterwerfung unter einen anderen Menschen. Herrschaft und
ihre Ausdrucksform, der Befehl, dem alle unterworfen sind, stehen der Freiheit
also nicht entgegen, sondern sind das einzige Mittel, sie in die Realität umzusetzen oder auch nur denkbar zu machen.53
Vgl. Hobbes, Leviathan, Kap. XIV, S. 101.
Bis Weber reicht die Langzeitwirkung dieser Formalität der Herrschaft: vgl. dazu
in Wirtschaft und Gesellschaft die Definition von ¹Herrschaftª als Befehl-GehorsamVerhältnis und die Definition von Gehorsam im Sinne der Akzeptanz des Befehls als
Richtschnur des eigenen Verhaltens, und zwar nicht aufgrund eines Urteils über den
Befehlsinhalt, sondern aufgrund der formalen Beziehung und der Autorisation der
Funktion desjenigen, der für alle den gemeinsamen Willen artikuliert (vgl. Weber,
Wirtschaft und Gesellschaft, I, 123).
53 Wenn nämlich der neue Freiheitsbegriff die Beseitigung von Fesseln und die Unabhängigkeit des Willens impliziert, so ist eine solche Situation der Unabhängigkeit
und des Fehlens von Gegenkräften doch nur dann für das Individuum vorstellbar,
wenn sie zugleich für alle Individuen vorstellbar ist, und dies wiederum ist nur möglich durch jene Bindungen, nämlich die Gesetze, welche eine gegenseitige Zufügung
von Schaden und die gegenseitige Behinderung unterbinden. Erst die Herrschaft also
macht Freiheit für die Individuen vorstellbar. Vgl. dazu Duso, Giuseppe: ¹La libertà
moderna e l'idea di giustiziaª, in: Filosofia politica 15 (2001), bes. S. 10. Das heiût:
Wenn der Begriff der Souveränität heute fragwürdig sein sollte, dann muss im Grunde
dieser mit Hobbes entstandene Freiheitsbegriff in Frage gestellt werden. (vgl. Duso,
Giuseppe: ¹L'Europa e la fine della sovranitàª, in: Quaderni fiorentini per la storia del
pensiero giuridico moderno 31 (2002), S. 109±139).
51
52
9. Präsenz des Volkes durch Repräsentation
91
Die Schlüsselfunktion des repräsentativen Prinzips kennzeichnet nahezu alle
naturrechtlichen Lehren vom Gesellschaftsvertrag, und seine hier aufgezeigte
innere Logik ist der Grund, warum es den Theoretiker so schwer fällt, ein Problem zu lösen, das sich unausweichlich stellt: das Problem der Herrschaftskontrolle. Deutlich wird dies auch im Denken Pufendorfs, das geprägt ist von der
modernen Problematik der Souveränität54 im Sinne einer Herrschaft, die ungeteilt und einzig ist, aber zugleich auf der unendlichen Vielzahl von Individuen
beruht. Aus dem Vertrag ergibt sich nicht nur die Konstitution der Herrschaft,
sondern auch ihr Rechtstitel, der im consensus Aller besteht: Dieses Merkmal
ist es, welches das imperium von bloûer Gewalt unterscheidet. Zu beachten ist
freilich, wie sehr sich der Konsens-Begriff gewandelt hat, denn es geht nicht
länger um einen Konsens, der immerfort anzustreben und neu zu formulieren
ist, damit ein Zusammenleben der Teile ermöglicht wird, sondern um etwas,
das sich ein für alle mal herstellt und eine neuartige Struktur ins Leben ruft, die
weder Konsens noch Dissens zulässt, da es gegenüber dem Gesetz nur noch
Gehorsam geben kann. Einheit der Zwangsgewalt und ihr Rechtstitel (d.h. Legitimation ± und von legitime ist in De iure die Rede) sind die beiden Elemente,
die es gestatten, das summum imperium im Sinne der modernen Souveränität zu
verstehen.55
Das Herzstück der theoretischen Konstruktion ist wiederum die enge, wesensmäûige Verknüpfung von Souveränität und Repräsentation. Wie im Leviathan
erhebt sich die Grundfrage, wie die juristische Person, die eine ist, gegenüber
der realen Vielheit der Individuen einen einzigen Willen und ein einziges Handeln hervorbringen kann. Wie schon für Hobbes, kann dieser einzige Wille auch
für Pufendorf weder in den vielen Einzelwillen noch in ihrer Summe bestehen,
weil die Einzelwillen als verschiedene vorausgesetzt sind. Der Wille des Volkes
als einzigen Subjekts ist verschieden von dem Willen der Einzelnen: Die civitas
ist konzipiert als eine einzige Person, die mit Vernunft und Willen begabt und
54 Der Souveränitätsbegriff ist das Kernstück der modernen politischen Wissenschaft, die bei Hobbes ihren Ursprung hat; zwischen der maiestas, die im Mittelpunkt
der politischen Systeme des frühen 17. Jahrhunderts in Deutschland steht, und den
Vertragslehren gibt es nicht nur keinerlei Beziehung, sondern bei Hobbes entspringt
der Souveränitätsgedanke geradezu einer radikalen Negation jenes Denkens, in dem
die Begriffe maiestas und iura maiestatis ihren Platz hatten. Deshalb kann man nicht
behaupten, dass bei Althusius die Souveränität dem Volk zukommt, während sie bei
Hobbes durch den Souverän bzw. Repräsentanten verkörpert wird, denn der Begriff
Souveränität hat eine grundlegend andere Bedeutung. Zur Klärung dieser Frage verweise ich auf Duso, Giuseppe: ¹La maiestas populi chez Althusius et la souverainetØ
moderneª, in: Cazzaniga, Gian Mario/Zarka, Yves Charles (Hrsg.): Penser la souverainetØ à l'Øpoque moderne et contemporaine, Paris 2001, S. 85±106.
55 Vgl. den aussagekräftigen Abschnitt De iure, VII, 3,1. Zu Pufendorfs Verhältnis
zum Hobbes'schen Denken vgl. Mancini, Oliviero: ¹Diritto naturale e potere civile in
Samuel Pufendorfª, in: Duso (Hrsg.), Il contratto sociale, S. 109±148, und Palladini,
Fiammetta: Samuel Pufendorf discepolo di Hobbes, Bologna 1990.
92
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
fähig ist, bestimmte Handlungen zu vollziehen, die von denen der Individuen
verschieden und getrennt sind (actiones separates).56
Das Problem kann nur auf eine einzige Weise gelöst werden: Wille und Handeln der civitas müssen von einer Person artikuliert werden, die als Repräsentant des gesamten politischen Körpers agiert (oder von mehreren, die wie eine
einzige Person entscheiden). Die Alterität des Gemeinwillens gelangt durch die
repräsentative Person zum Ausdruck. Deshalb reicht für die Konstitution der
civitas in ihrer vollendeten Form nicht der erste assoziative Pakt, sondern es
bedarf eines zweiten, aufgrund dessen die repräsentative Person für die Gesamtheit des politischen Körpers handelt, während alle anderen zu privaten Personen
werden.
Im Hinblick auf die socialitas, die für Pufendorf ein Urmerkmal der Menschen ist57, entsteht also eine komplexe und paradoxe Situation. Einerseits nämlich schafft nur die civitas mit ihrem imperium einen Zustand von Sicherheit
und festen Regeln, in dem sich die Sozialität endlich entfalten kann; andererseits schafft gerade die Artikulation von öffentlichen Handlungen und Willensinhalten einen Bruch zwischen Repräsentant und Repräsentierten. Das politische
Handeln steht nicht mehr allen Individuen zu, eben aufgrund des Paktes, durch
den ein jeder das Recht auf eine eigene Meinung und einen eigenen Willen hinsichtlich des Wohls der ganzen Gesellschaft abgetreten hat. Interpretiert man
den dreifachen Akt, der zur civitas in ihrer vollendeten Form führt, als einen
einheitlichen Prozess, dann ist es, als bekunde ein jeder den Willen, den Willen
des Repräsentanten als eigenen Willen zu akzeptieren, insofern er Mitglied des
gemeinsamen Körpers ist. Die Beziehungen, welche die Individuen ab jetzt untereinander haben, gehören zwar zur Gesellschaft, aber haben eine private Bedeutung.
Hält man sich vor Augen, dass das juristisch-politische Denken Pufendorfs in
den Zusammenhang der modernen Souveränität eingebettet ist, dann wirkt es
weniger verwunderlich, dass Pufendorf trotz der vertraglichen Begründung der
persona moralis composita den Willen der civitas (als Wille einer überindividuellen Person) mit dem Willen des souveränen Organs vertauscht: In der Demokratie wird das Volk mit dem concilium populi identifiziert und in der Mo56 Vgl. Pufendorf, Samuel: De iure naturae et gentium libri octo, Londini Scanorum
1672, VII, 2, 13. Die Frage der Trennung ist äuûerst klar formuliert, etwa in der Aussage, das die Einzelnen und das Konzil in der ¹Republica populariª im Grunde personae diversae darstellen; und als sei dies noch nicht genug: ¹Quod enim singuli cives
volunt, id non statim vult populus. Et quod singuli cives agunt, non statim habetur pro
actione populi, & vice versaª (De iure, VII, 2, 8).
57 Vgl. Palladini, Fiammetta: ¹¸Appetitus societatis in Grozio e ¸socialitas in Pufendorfª, in: Filosofia politica 10 (1996), S. 61±70 und Todescan, Franco: Le radici
teologiche del giusnaturalismo laico. Bd. 3: Il problema della secolarizzazione nel
pensiero giuridico di Samuel Pufendorf, Milano 2001, bes. Kap. 2.
9. Präsenz des Volkes durch Repräsentation
93
narchie mit dem König.58 Dies ist nicht weiter erstaunlich, denn es handelt sich
um ein recht schlüssiges logisches Verfahren, das aber eine grundlegende Aporie aufweist. Denn eigentlich darf es nicht heiûen, trotz der Konzeption der civitas als überindividuelle Person, die ihre Grundlage im Vertrag zwischen den
Individuen hat, komme es zum Bruch der Repräsentation und somit zur Gleichsetzung des Willens der persona moralis composita mit demjenigen des repräsentativen Organs, sondern eben wegen der auf die Vielheit der Individuen gegründeten Konzeption der Einheit der Person der civitas.
Die Gleichsetzung des Volkswillens mit dem Willen des Repräsentanten wird
von Pufendorf deutlich als wesentlich für die Logik des theoretischen Entwurfs
hervorgehoben. In einem erhellenden Passus von De iure59 billigt und erklärt er
das Hobbes'sche Paradox, wonach in der Monarchie ¹der König das Volk istª.
Um die Schlüssigkeit dieser Aussage zu verstehen, sei die für den Volksbegriff
kennzeichnende Einheit zu begreifen und folglich die Unterscheidung zwischen
Volk im Sinne der ganzen civitas und Volk als Vielzahl der Untertanen (¹nam
populus vel notat totam civitatem, vel multitudinem subditorumª). Eine mangelnde Unterscheidung dieser Aspekte bedingt Missverständnisse in der Auffassung vom Handeln des Volkes und verhindert ein angemessenes Verständnis der
Logik der modernen Repräsentation. Der dargelegte Volksbegriff erlaubt es Pufendorf auch, jene Auffassungen zu kritisieren, welche das Volk als Subjekt verstehen, das ¹in omni civitate regnatª. Denn interpretiert man das Volk im erstgenannten Sinn, d.h. als gleichzusetzen mit der civitas, dann erweist sich diese
Aussage als nutzlos und tautologisch; versteht man es im anderen Sinn, d.h. als
Gesamtheit der vom König verschiedenen und ihm entgegen gesetzten Untertanen, dann ist die Aussage falsch. Berücksichtigt man hingegen die angeführte
Unterscheidung, so lässt sich für Pufendorf das Hobbes'sche Paradox erklären,
denn man begreift, dass sich das Auftreten des Volkes nicht aus dem Willen der
vielen empirischen Individuen ableitet (diese sind Untertanen und nicht ¹das
Volkª), dass also in der Monarchie das Volk selbstverständlich ¹per voluntatem
unius hominisª das imperium und den Willen artikuliert. Daraus ergibt sich
auch, dass das Volk nicht gegen den König rebellieren kann, da es sich ja durch
den König artikuliert: Rebellieren können nur die Untertanen ± aber dann gegen
die vom Repräsentanten artikulierte und rechtmäûig formierte Kollektivität.
Pufendorf bringt sehr klar die Notwendigkeit zum Ausdruck, den Repräsentanten als das kollektive Subjekt zu deuten. Die civitas ist nämlich ¹persona
moralis composita . . . cuius voluntas pro voluntate omnium habeturª.60 Und wie
ist der Wille dieser persona composita vorstellbar? Pufendorfs Antwort lautet:
58 Eine solche Verwunderung äuûert Welzel, Hans: Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, Berlin 1958, S. 60.
59 Vgl. De iure, VII, 2, 14.
60 De iure, VII, 2,13.
94
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
¹Sed hoc demum modo multae voluntates unitae intelliguntur, si unusquisque
voluntatem suam voluntati unius hominis aut unius concilii subjciat, ut pro voluntate omnium et singulorum habendum sit, quicquid de rebus ad securitatem
communem necessariis ille voluerit.ª61 Die Logik der modernen politischen Repräsentation könnte kaum klarer ausgedrückt werden: ein jeder bringt einen
Willensakt hervor, der nicht politisch ist, aber den politischen Raum begründet,
in welchem er selbst nicht mehr politisch handelt: Mit diesem Akt interpretiert
ein jeder den Willen eines einzelnen Menschen oder einer Versammlung von
Menschen als Wille des ganzen politischen Körpers, also auch als seinen eigenen Willen, insofern er Glied des politischen Körpers ist. Nachdem dieser
Schritt einmal vollzogen ist, bedarf es forthin keines Konsenses mehr.
Es gibt also keinen Grund, sich zu verwundern angesichts dessen, was vielen
Interpreten als ein Paradox erscheint, das bereits bei Hobbes auftritt: dass nämlich das Volk ausgehend vom Vertrag existiert, aber entschwindet, kaum dass es
konstituiert ist, um nur noch durch denjenigen, der es repräsentiert, präsent zu
sein.62 Als Grund stellt sich der Repräsentationsbegriff heraus, wenn seine logische Funktion begriffen wird, einem kollektiven Subjekt reale Präsenz zu verleihen, das nicht ausgehend von bestimmten Gruppen und Teilen konzipiert ist,
sondern die unendliche Vielzahl der Individuen zur Grundlage hat.
Man mag die Vervielfachung der Vertragsakte in der Lehre Pufendorfs wohl
als Versuch deuten, den inneren Bruch der Repräsentation zu überwinden und
jene Herrschaftskontrolle, die in Hobbes' Leviathan radikal ausgeschlossen
wird, denkbar zu machen; allerdings tritt ein schier unüberwindlicher Widerspruch auf, der aber unbedingt aufzulösen ist, wenn der absolute Charakter der
Hobbes'schen Herrschaft überwinden werden soll. Dieser Widerspruch liegt
darin, dass die Individuen das Fundament der Herrschaft bilden, die Herrschaft
jedoch, obgleich vom Willen der Individuen ausgehend, sobald sie einmal formiert ist, nicht mehr vom Willen der Individuen abhängt, denn als privater liegt
deren Wille auf einer anderen Ebene, die keine Verbindung zur öffentlichen
Sphäre hat. Das öffentliche Handeln ist das politische Handeln jedes Einzelnen,
aber nur vermittelt durch das reale Handeln der repräsentativen Person. Dieser
De iure, VII, 2,5.
Vgl. z. B. Kersting, Wolfgang: Vertrag, Gesellschaftsvertrag, Herrschaftsvertrag,
in: Brunner u. a. (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. VI, S. 901±946; für Kersting bewegt sich die spätere Teilung des Hobbes'schen Paktes in Unionsvertrag und
Unterwerfungsvertrag hin zur Konstitution des Volkes als handlungs- und vertragsfähiges Subjekt (ein Ansatz, der schon wegen des repräsentativen Prinzips bei Pufendorf
problematisch bleibt): ¹stirbt das Volk bei Hobbes in derselben logischen Sekunde, in
der es sich bildet, so verlangt im zweiphasigen Kontraktualismus des deutschen Naturrechts die staatliche Ordnungsleistung nicht, daû sich das Volk als Rechtssubjekt selbst
vernichtetª (S. 925); vgl. auch ders.: ¹La dottrina del duplice contratto nel diritto naturale tedescoª, in: Filosofia politica 8 (1994), S. 409±437 sowie ders.: Die politische
Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1994.
61
62
9. Präsenz des Volkes durch Repräsentation
95
Widerspruch bleibt hier offenbar ungelöst, und überhaupt erscheint eine Lösung
als schwierig, ja, unmöglich, solange man im Rahmen des naturrechtlichen Politikverständnisses bleibt.
Augenfällig wird das Problem im oben erwähnten Titelbild des Leviathan.
Hier bleibt nichts von jener Pluralität der politischen Betätigung, wie sie im
gubernatio-Modell existierte, welches eine eigene politische Präsenz und Aktivität der Regierten gegenüber den Regierenden einschloss. Nun steht dem Souverän niemand mehr gegenüber: Die Untertanen sind im Innern des Souveräns,
sie bilden seinen Körper. Ihr politischer Wille ist ± durch den Prozess der Ermächtigung, d.h. durch das repräsentative Prinzip ± identisch mit dem vom
Souverän artikulierten Willen. Ein politisches Handeln der einzelnen Bürger erscheint schon vom Ansatz her ausgeschlossen. Vor allem verliert der Konsens ±
dieser so wichtige Faktor für eine als koinonia konzipierte Politik ± seinen ursprünglichen Sinn. Er ist nicht der Zweck aller Bemühungen auf den verschiedenen politischen Ebenen, liegt nicht im ständigen Zusammenflieûen der verschiedenen Willen zum einvernehmlichem Handeln, sondern äuûert sich in
einem einzigen Akt. Dieser Akt gebiert eine Form, in welcher dem Befehl ±
natürlich erteilt vom dazu ermächtigten Repräsentanten ± notwendig der Gehorsam der Bürger entspricht, aber nicht wegen der Inhalte des Befehls, sondern
wegen seiner Form, d.h. wegen der Hervorbringung des Gesetzes durch den
dazu Ermächtigten. Es ist wenig sinnvoll, in einer so definierten politischen
Sphäre vom Konsens der Untertanen zu sprechen, die als Unterworfene weder
konsens- noch dissensfähig sind, sondern gehorchen müssen.
Auch von jener politischen Teilhabe, wie sie für den pluralistischen Ansatz
von Althusius kennzeichnend ist, kann hier kaum gesprochen werden. Die Teile
haben nämlich keine politische Bedeutung und es fehlt jene Pluralität von Instanzen, die nötig wäre, um einen Konterpart zu haben, mit dem es eine Zusammenarbeit geben könnte. Aufgrund der naturrechtlichen Konstruktion gibt es
einerseits einen radikalen Bruch zwischen politischer Herrschaft und Individuen, andererseits aber, dank derselben Logik der Repräsentation, eine Gleichsetzung. Wie gezeigt, wird der Wille des Repräsentanten, und somit des politischen Körpers, aufgrund des Vertrags von allen Beteiligten als der Wille Aller
und jedes Einzelnen verstanden. Insofern der artikulierte Wille der Wille Aller
ist, ist schwer vorstellbar, dass die einzelnen Bürger an einer politischen Willensbildung und Herrschaftsausübung teilnehmen, die ihnen bereits gehört; andererseits sind sie Teil einer Sphäre von Privatpersonen, die als solche keine
politischen Handlungen vollführen können.
96
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
10. Das Volk gegen den Repräsentanten
Der radikalste Versuch, der Logik der politischen Repräsentation zu entrinnen, findet sich in dem Gedanken Rousseaus, es sei nicht nur möglich, den
Volkswillen auûerhalb der repräsentativen Form zu konzipieren, sondern notwendig, da diese aufgrund der Eigenart der Person des Repräsentanten, den
wahren Souverän, also das kollektive Subjekt nur verraten könne. Die Logik
der Argumentation mündet in die radikale Aussage, die Repräsentation führe
zur Auslöschung des Volkes als kollektives Subjekt: ¹à l'instant qu'un peuple
se donne des RØprØsentants, il n'est plus libre; il n'est plusª.63 Nun bewegt
sich freilich auch die Argumentation des Contrat social im Rahmen der Souveränitätsproblematik, also des modernen Problems der politischen Einheit. Deshalb wird auch hier die Notwendigkeit erkannt, dass sich die Einzelnen zugunsten der Gesamtheit aller Rechte entkleiden; notwendig ist ein solcher Verzicht,
um die Rechte der Individuen und ihre Gleichheit zu garantieren, d.h. um zu
verhindern, dass jemand nicht aufgegebene Rechte und Machtpositionen zu
dem Zwecke nutzt, Herrschaft über andere auszuüben, oder dass er die Rolle
des Schiedsrichters beansprucht, falls es zum Konflikt mit anderen Mitgliedern
des Gemeinwesens kommt.64
Nicht durch eine abgemilderte Entäuûerung von Rechten unterscheidet sich
Rousseau von Hobbes, sondern durch die Auffassung, die Freiheit der Individuen sei nicht durch die völlige Abtretung der Rechte an eine Person garantiert, wie neben Hobbes auch jene Vertragslehren annehmen, die mehrere
Rechtsakte oder Verträge vorsehen, aber aufgrund des repräsentativen Prinzips
gezwungen sind, den politischen Körper erst dann als wirklich vollendet zu betrachten, wenn die Person des Repräsentanten ihm Willen und Handlungsfähigkeit verleihen kann. Bei Rousseau dagegen entäuûern sich die Einzelnen zwar
ihrer Rechte, sind aber in ihrer Gesamtheit zugleich die Nutznieûer der Entäuûerung: Sie geben alles hin, aber alle zusammen empfangen auch alles. Auf
diese Weise sind sie nicht nur Untertanen, sondern auch der Souverän; sie sind
Bürger im aktiven Sinn des Wortes, d.h. sie beschränken sich nicht darauf,
durch Wahl die Person zu bestimmen, welche den souveränen Willen artikuliert, sondern ± alle gemeinsam ± sind sie der Souverän. Auch bei Hobbes vollzieht sich die Entäuûerung (zum Zwecke der Gleichheit der Menschen) zugunsten des politischen Körpers, aber aufgrund des repräsentativen Prinzips führt
dies, wie dargestellt, zugleich zur Figur des Souveräns-Repräsentanten, also
desjenigen, der den politischen Körper personifiziert, ihm konkretes Leben einhaucht. Eben dieses repräsentative Prinzip ist die eigentlich Zielscheibe von
Rousseaus Polemik: Die Staatshoheit kann nach Rousseau nur dem politischen
63 Rousseau, Jean-Jacques: Du contrat social, in: ders.: êuvres Compl›tes, Paris
1964, vol. III, S. 431.
64 Vgl. Rousseau, Contrat social, S. 361.
10. Das Volk gegen den Repräsentanten
97
Körper als kollektivem Wesen gehören und nicht durch eine Person, einen Repräsentanten politisch vermittelt sein.65 Die Hinnahme der Übertragung von
Souveränitätsrechten auf einen Repräsentanten ist in den Augen Rousseaus ein
Akt irrsinnigen und blinden Vertrauens. Zwar mag der Wille einer Person in
dem einen oder anderen Punkt mit dem allgemeinen Willen übereinstimmen,
aber Rousseau bezweifelt, dass eine solche Übereinstimmung von Dauer und
Bestand sein könne und man die Artikulation des Gemeinwillens einer bestimmten Person, dem Repräsentanten, überlassen dürfe.66
Die Souveränität ist also unveräuûerlich und nicht als durch Repräsentation
vermittelte vorstellbar. Der Gemeinwille ist derjenige des souveränen Körpers
und kann an niemanden delegiert werden. Zwar kann man sich einen konstituierten politischen Körper vorstellen, den Staat, aber dieser ist lediglich der passive Aspekt des politischen Körpers, das Ergebnis einer Handlung, und diese
Handlung setzt ein Subjekt voraus, also den politischen Körper in seiner aktiven Bedeutung, also den Souverän, der durch rein gar nichts beschränkt werden
kann und über jeglicher Konstitution steht: das einzige Subjekt, das sich eine
Konstitution geben kann. So gesehen ist der souveräne Körper das vollkommene Subjekt der Politik, und sein Wille ist per definitionem gut, weil er der
Wille der Gesamtheit des politischen Körpers ist. Die für die gubernatio rei
publicae erforderlichen Orientierungspunkte sind alle entschwunden. Der Wille
ist nunmehr absolut und das Gesetz ist nichts anderes als sein Produkt: Die Gesetze sind Akte des allgemeinen Willens. Aber die Führung des Staates erfordert eine Reihe konkreter Maûnahmen, sie erfordert das Institutionelle, den Einsatz der Gewalt, die konstituiert wurde. Notwendig ist also eine Regierung:
Diese hat keinen souveränen Willen, sondern ist eine Macht, die den im Gesetz
manifestierten Willen zur Ausführung bringen soll: Sie ist vollziehende Gewalt.67
Da das Volk als aktives Subjekt der souveräne Körper ist, dem die Artikulation von Gemeinwillen und Gesetz zusteht, ist klar, dass ihm nicht auch die
Regierung zustehen kann, die sich mit speziellen Entscheidungen befasst. Die
Logik der Argumentation erscheint stärker und zwingender, als es aus Rousseaus eigenen Worten hervorgeht, wenn er sagt, dass ¹Il n'est pas bon que celui
qui fait les lois les exØcute ni que le corps du peuple dØtourne son attention des
vues gØnØrales, pour la donner aux objets particuliers.ª68 Eben weil das Volk
die Gesamtheit aller Gesellschaftsmitglieder umfasst und sich durch das Merk65 Etwas gänzlich anderes ist natürlich die Repräsentation, die Rousseau im Bereich
der ausführenden Gewalt akzeptiert: Hier sind es zwangsläufig besondere Personen,
welche die Aufgabe haben, die Gesetze auszuführen; aber in der Hervorbringung des
Gesetzes bzw. des souveränen Willens ist eine Repräsentation undenkbar.
66 Rousseau, Contrat social, 2. Buch, Kap. I, ¹Que la souverainetØ est inaliØnableª.
67 Rousseau, Contrat social, 3. Buch, Kap. I.
68 Rousseau, Contrat social, 3. Buch, Kap. IV, S. 404.
7 Duso
98
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
mal der Universalität auszeichnet, kann es niemals institutionalisiert und auf die
Regierungsfunktion verkürzt werden, ohne sein Wesen zu verlieren. Das Volk
ist keine konstituierte Gröûe, sondern immer konstituierende Gewalt, wenigstens in seiner aktiven Rolle, nicht im passiven Sinne der Gesamtheit der Untertanen. Fasst man das Volk in dieser Weise, so lässt sich nicht nur behaupten,
Demokratie als Regierungsform spiele eine untergeordnete Rolle, sondern auch
und vermutlich noch zwingender, sie sei als Vorschlag völlig abwegig.69
Will man begreifen, wie mächtig die Repräsentationslogik dennoch ist, muss
man sich fragen, wie Rousseau den Souverän bei seiner höchsten Tätigkeit beschreibt, nämlich in dem Moment, in dem er den Staat selbst hervorbringt und
die konstitutiven Gesetze für die Gesellschaft formuliert. Denn in diesem Zusammenhang setzt sich der Grundsatz durch, der zum allseits wiederholten Refrain wurde und die Grundlage der demokratischen Verfassungen bildet: ¹Das
den Gesetzen unterworfene Volk muss zugleich deren Urheber seinª. Aber es
ist sonderbar, dass dieses Prinzip der Identität von gehorchendem und gesetzgebendem Subjekt seine grundlegende Aporie gerade im Denken desjenigen offenbart, der am radikalsten bestreitet, dass jemand an Stelle des Volkes in seiner Gesamtheit handeln kann. Wenn man sagt, das Volk müsse gehorchen, weil
es selbst den Befehl gibt ± darin bestehen ja die demokratische Legitimation
von Herrschaft und die politische Freiheit ± dann spaltet sich, wie oben erläutert, der Begriff des Volkes in zwei unterschiedliche Gröûen: Das Volk als Gesetzgeber setzt die Einheit eines Willens voraus, der nicht zusammenfällt mit
den besonderen Willensinhalten der einzelnen Individuen, die dem Gesetz unterworfen sind.
Rousseau fragt sich nämlich: ¹Comment une multitude aveugle qui souvent
ne sait ce qu'elle veut, parce qu'elle sait rarement ce qui lui est bon, exØcuterait-elle d'elle-m†me une entreprise aussi grande, aussi difficile qu'un syst›me
de lØgislation? De lui-m†me le peuple veut toujours le bien, mais de lui-m†me
il ne le voit pas toujours.ª70 Hier bezeichnet ¹Volkª die Gesamtheit der dem
Gesetz unterworfenen Bürger. Aber wo ist dann der Souverän, der den Staat
69 So wird begreiflich, warum der ¹Vaterª der Demokratie ± und zwar ihrer radikalsten Spielart: der direkten Demokratie ± die Demokratie als Regierungsform kritisch
beurteilt (vgl. Contrat social, 3. Buch, Kap. IV ¹De la dØmocratieª). In der Moderne
hat Demokratie nichts mehr zu tun mit der antiken Frage der Regierungsformen, sondern mit Herrschaft im Sinne der Souveränität des Volkes. Die Definition von Regierung als ausführende Gewalt bedeutet, dass wir uns im Bereich eines völlig anderen
Politikverständnisses bewegen, das den Begriff der Herrschaft in den Mittelpunkt
rückt (vgl. dazu Duso, Giuseppe: ¹Considerazioni su democrazia e federalismoª, in:
Duso, La logica del potere, S. 161 ff.
70 Vgl. Du contrat social, 2. Buch, Kap. VI, S. 380. (¹Wie kann eine blinde Vielheit, die oft nicht weiû, was sie will, weil sie nicht weiû, war ihr nützt, allein ein so
groûes und schwieriges Unterfangen bewältigen wie ein System der Gesetzgebung?
Das Volk selbst will immer das Gute, aber nicht immer erkennt es dies selbst.ª)
10. Das Volk gegen den Repräsentanten
99
konstituiert? Auf der höchsten Ebene der Ausübung der Souveränität erfindet
Rousseau (oder übernimmt aus anderen Zusammenhängen) die Figur des groûen Gesetzgebers, der das fast göttliche Werk vollbringen muss, dem Volk die
Gesetze zu geben und das Gemeinwesen zu konstituieren.71 Wiederum ist das
Problem, wie man von der isolierten Individualität des Einzelnen zu einer Gemeinschaft gelangt, in der die Einzelnen ein soziales Wesen haben. Dazu ist
anscheinend das übermenschliche Werk einer Person nötig, die nicht nur den
Willen des kollektiven Souveräns ausdrückt, sondern die auch das Volk formiert und konstituiert.72
Hat man verstanden, dass die Logik des repräsentativen Prinzips die Vermittlung einer Person73 notwendig macht, um dem aus zahllosen Individuen gebildeten kollektiven Subjekt eine einheitliche Stimme zu geben, dann scheint die
Leistung des Rousseau'schen Gesetzgebers der repräsentativen persönlichen
Funktion recht nahe zu stehen, auch wenn es sich nicht um eine Repräsentation
im Sinne der konstituierten Gewalt handelt. Auch hier scheint es also der persönlichen Vermittlung zu bedürfen, um den einheitlichen Willen des von vielen
Individuen gebildeten kollektiven Körpers zu formieren. Dem liegt eine Aporie
zugrunde: Wie kann die Aufgabe, dem Staat eine Konstitution, eine Form zu
geben, von einem Subjekt übernommen werden, das selbst nicht konstituiert ist,
d.h. keine Form hat? Da sich nun aber der Begriff der Volkssouveränität in der
Verfassungsgeschichte gerade in der Vorstellung des Volkes als konstituierende
Gröûe äuûert, ergibt sich eben bei der angesprochenen Problematik die Notwendigkeit einer persönlichen Vermittlung, um der Volkssouveränität Ausdruck zu
verschaffen. Wie oben gesehen, besteht die Lösung von Sieyes darin, auch im
Bereich der konstituierenden Gewalt ein repräsentatives Prinzip anzunehmen:
eine besondere, auûergewöhnliche Form der Repräsentation.
Wenn man nach der logischen Grundlage dafür sucht, dass im Herzen der
Rousseau'schen Souveränität der Aspekt der Repräsentation wieder hervortritt,
dann muss man zum Ausgangspunkt des naturrechtlichen Denkens zurückgehen. Als Grundlage darf jene Hobbes'sche Frage gelten, mit welcher er die Geschichte der modernen Repräsentation einläutet: Wie lässt sich eine Vielheit
71 Vgl. Du contrat social, 2. Buch, Kap. VII, S. 381. Dazu und zur Rousseau-Interpretation verweise ich auf Biral, Alessandro: ¹Rousseau, la società senza sovranoª, in:
Duso, Il contratto sociale, S. 191±236 .
72 ¹Celui qui ose entreprendre d'instituer un peuple doit se sentir en Øtat de changer, pour ainsi dire, la nature humaine; de transformer chaque individue, qui par lui
m†me est un tout parfait et solitaire, en partie d'un plus grand tout dont cet individu
reçoive en quelque sorte sa vie et son †tre; d'alterer la constitution de l'homme pour
la refoncer; de substituer une existence partielle et morale à l'existence physique et
indØpendante que nous avons tous reçue de la natureª (Du contrat social 2. Buch,
Kap. VII, S. 381, meine Hervorhebungen).
73 Man beachte, dass das Stammwort von persona die Funktion der Repräsentation
ausdrückt, worauf Hobbes im XVI. Kapitel des Leviathan hinweist.
7*
100
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
von Individuen als Einheit verstehen? Die Tatsache, dass eine ungewisse Zahl
unterschiedsloser Individuen den Ausgangspunkt bildet, macht eine Einheit notwendig, die durch ein repräsentatives Verfahren Form annimmt. Mit anderen
Worten: Die Einheitlichkeit und Absolutheit der modernen Souveränität ebenso
wie ihre Alterität im Verhältnis zu den Bürgern sind der Tatsache geschuldet,
dass die Individuen als solche am Ausgangspunkt des theoretischen Entwurfs
stehen. Es ist eben die Schwierigkeit, die Vielheit der Einzelnen mit der Einheit
des kollektiven Subjekts zu vermitteln, die bei Rousseau in die Aporie führt ±
deutlich zu sehen in der Figur des Gesetzgebers, bei dem die Einheit des Gesetzes wiederum als andere im Verhältnis zur besonderen Realität der Individuen
erscheint.74
11. Repräsentation der Freiheitsidee
Die philosophische Debatte an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, also
unmittelbar nach der Französischen Revolution, wirft ein besonderes Licht auf
den Begriff der Repräsentation, auf seine Logik und seine Aporien. Die neue,
von Pufendorf eingeführte Naturrechtslehre verbreitet sich und führt Ende des
18. Jahrhunderts zur Veröffentlichung einer Flut von Abhandlungen. Die Logik
des Hobbes'schen Modells und damit der Repräsentation verbreitet sich, wenn
Hobbes auch oft zur Zielscheibe polemischer Kritik wird.75 Dies gilt auch für
die groûen deutschen Philosophen, die sich auf das naturrechtliche Denken beziehen und mit dessen Grundelementen jene theoretische Bewegung übernehmen, die ausgehend von den Individualrechten das im Staatskörper manifeste
Zwangsrecht begründet. Jedoch begegnet man in den Überlegungen von Kant
74 Dass die von Rousseau angebotene Lösung ebenfalls von einer Spaltung gekennzeichnet ist, zeigt sich auch im Gesellschaftsvertrag an der Stelle, wo von der Spaltung zwischen partikulärem Willen des Einzelnen und dem ihm als Bürger eigenen
Gemeinwillen die Rede ist. (Rousseau, Du contrat social, 1. Buch, Kap. 7, S. 363.)
75 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Werk von Feuerbach, Anselm:
Anti-Hobbes, oder über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der
Bürger gegen den Oberherren, Erfurt 1798. Unschwer lässt sich erkennen, wie sehr
sich die Logik des Hobbes'schen Ansatzes in diesem Werk durchsetzt ± trotz der im
Titel behaupteten Opposition gegen Hobbes. Es genügt, eine Reihe von Elementen in
Erinnerung zu rufen, die den rationalen Prozess von Anfang an bestimmen: Allen
voran der theoretische Charakter der Konstruktion: Weder Erfahrung noch Geschichte
vermögen dem Autor bei seiner Aufgabe zu helfen, sondern die Wissenschaft. Im deduktiven Prozess tritt auch hier die Logik des Verhältnisses von Freiheit und Herrschaft zu Tage: Freiheit verstanden als Unabhängigkeit jedes Einzelnen, die mit der
Freiheit aller anderen vereinbar sein muss; um diese Freiheit zu gewährleisten, bedarf
es eines Vertrags, der nicht voneinander verschiedene Subjekte unter Beibehaltung ihrer Unterschiede in Beziehung setzt, sondern der etwas Neues hervorbringt, ein kollektives Subjekt, einen gemeinsamen Körper, dem alle angehören und dem sie somit zu
unterwerfen sind. Vervollständigt wird das theoretische Gebäude durch die dem Souverän eigene Natur des Repräsentanten, der als solcher absoluten Gehorsam einfordert.
11. Repräsentation der Freiheitsidee
101
und Fichte auch einer radikalen Komplikation und Modifikation des von Hobbes definierten Repräsentationsbegriffs, und es ist kein Zufall, dass diese Überlegungen im Kontext der epochalen Wende der Französischen Revolution angestellt werden, denn für das Verständnis der Verfassungsprobleme und ihrer
Dialektik erscheint der Hobbes'sche Begriff von Repräsentation zwar als notwendig, aber nicht hinreichend. Bei Hegel kommt es dann zum expliziten Versuch, Abstraktheit und Probleme des Repräsentationsbegriffs zu überwinden und
ihn in logischer wie konstitutioneller Hinsicht auf eine neue Grundlage zu
stellen.
Unsere Aufmerksamkeit richtet sich zunächst einmal auf Kant, denn in seinem Denken wird deutlich, wie die für Hobbes anscheinend kennzeichnende
Gleichsetzung von Volkswille und empirisch gegebenem Willen des Repräsentanten überwunden werden kann. Ohne diesen theoretischen Schritt Kants lässt
sich der Repräsentationsbegriff, wie er in den modernen Verfassungen auftritt,
nicht begreifen. Andererseits ist das kantsche Denken nicht auf Verfassungsprinzipien reduzierbar, sondern wirkt ihnen gegenüber vielmehr im Sinne einer
philosophischen Infragestellung.76
Will man die Leistung und den historische Einfluss der von Hobbes begründeten logischen Beziehung zwischen Repräsentation und Souveränität begreifen,
so ist darauf hinzuweisen, dass diese Beziehung von Kant durchaus nicht abgelehnt, sondern in einer Weise aufgenommen wird, die überraschend sein mag
für all jene, die in Kant einen Gegner des Hobbes'schen Absolutismus sehen,
jemanden, der den Rechten des Einzelnen mit besonderem Respekt begegnet
und eine positive, partizipative Auffassung des Bürgers vertritt. Kant ist sich
nämlich wohl bewusst, was das repräsentative Prinzip als notwendige Modalität
der Artikulation der Souveränität des kollektiven Subjekts beinhaltet. Das antike
Recht auf Widerstand kann nicht mehr eingeklagt werden in einer Verfassung,
in der die Herrschaft keine äuûerliche Instanz ist, sondern auf den allen Menschen eigenen Rechten basiert, also das Produkt einer von den Rechten ausgehenden theoretischen Konstruktion ist. Die zu diesem Zweck vorgebrachte Argumentation ähnelt derjenigen von Hobbes recht stark, und es ist bezeichnend,
dass sie gerade in jenem Teil der Schrift Über den Gemeinspruch: das mag in
der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis erscheint, der sich ausdrücklich ¹gegen Hobbesª wendet. Hier nämlich wird die Unwiderstehlichkeit
der staatlichen Herrschaft behauptet, die auch dann gilt, wenn das Staatsoberhaupt den ursprünglichen Vertrag und das Recht verletzt.77 Widerstand ist nicht
zulässig, denn er würde jede bürgerliche Verfassung vom Ansatz her untergra76 Zur kantschen Rechtsphilosophie vgl. Kersting, Wolfgang: Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Frankfurt/M. 1993.
77 Kant, Immanuel: Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein,
taugt aber nicht für die Praxis, in: ders.: Werke, hrsg. von der Königlich Preuûischen
Akademie der Wissenschaften, Berlin u. Leipzig 1923, Bd. VIII, S. 299.
102
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
ben. Die Einheit des Volkes macht es erforderlich, dass es nur einen einzigen
Richter darüber gibt, was für das gemeinschaftliche Leben zu tun ist, weshalb
in einer schon bestehenden bürgerlichen Verfassung ¹. . . das Volk kein zu Recht
beständiges Urteil mehr hat, zu bestimmen: wie jene solle verwaltet werdenª:
Würde man nämlich ein solches Recht annehmen, dann müsste man auch ein
dem Volk und dem Souverän übergeordnetes Subjekt annehmen, das den Konflikt zwischen beiden zu schlichten vermöchte. Dann allerdings befände man
sich in der widersprüchlichen Lage, einen Souverän über dem Souverän anzunehmen.78
Will man dieser Argumentation auf den Grund gehen, ist eine berühmte Bemerkung in der Metaphysik der Sitten hilfreich. Zum Ausdruck kommt dort die
Erkenntnis, dass das kollektive Subjekt, um wirklich zu werden, der Notwendigkeit unterliegt, sich durch einen Repräsentanten oder einen repräsentativen
Körper zu äuûern. Das repräsentative Element ist wesentlich für das moderne
Verständnis einer juristisch konzipierten politischen Gesellschaft. Wird das Volk
nicht als unförmige Masse angesehen, sondern ¹als unter einem allgemein gesetzgebenden Willen vereintª (eben als politische Form), dann artikuliert sich
sein Wille durch denjenigen, der dazu ermächtigt ist. Diesem summus imperans, d.h. dem Repräsentanten, steht nicht das Volk, sondern die Gesamtheit
der Untertanen gegenüber.79 Das Volk im kollektiven Sinn, d.h. als politisches
Subjekt, kann nicht als eines gedacht werden, das dem bzw. den Repräsentanten
gegenüber steht. Auch bei Kant also artikuliert sich das Volk als kollektives
Subjekt nur mittels Repräsentant; neben Ausführungen, die das Volk mit dem
Souverän identifizieren oder die dem Volk ± genauer: dem ¹vereinigten Willen
des Volkesª80 ± die höchste Gewalt, nämlich die gesetzgebende, zuerkennen,
stoûen wir daher auf Passagen, in denen ¹der Beherrscher des Volkes ± der Gesetzgeberª81 auftritt oder ¹das gesetzgebende Oberhaupt des Staatesª82. Die
scheinbare Widersprüchlichkeit dieser Aussagen löst sich auf, wenn man sich
die Logik des repräsentativen Prinzips bewusst macht. Die genannten Aussagen
stehen in einem Kontext, in dem bestritten wird, dass das Volk gegenüber demjenigen, der de facto die kollektive Herrschaft ausübt, Widerstand leisten kann,
auch wenn ihm, d.h. dem Volk, ideell gesehen das imperium zusteht.
Ebd, S. 300.
Erhellend ist die berühmte ¹Allgemeine Anmerkung von den rechtlichen Wirkungen aus der Natur des bürgerlichen Vereinsª, in: Kant, Immanuel: ¹Methaphysische
Anfangsgründe der Rechtslehreª, in: ders.: Kant's gesammelte Schriften, hrsg. von der
Königlich Preuûischen Akademie der Wissenschaften, I Abt., Bd. VI, Berlin, 1914,
vgl. Kap. 1, Anm. 14, der vorliegenden Arbeit; vgl. dazu Duso, Logica e aporie della
rappresentanza tra Kant e Fichte, bes. S. 34±40.
80 Rechtslehre, Akad.-Ausg., VI, § 46, S. 313.
81 Rechtslehre, Akad.-Ausg., VI, § 49, S. 317.
82 Rechtslehre, Akad.-Ausg., VI, S. 320.
78
79
11. Repräsentation der Freiheitsidee
103
Wollte man an diesem Punkt stehen bleiben, d.h. bei der für das kollektive
Subjekt notwendigen Vermittlung durch eine persönliche Repräsentation, dann
wäre man über Hobbes nicht hinausgekommen und würde die kantsche Auffassung des Problems der Repräsentation nicht verstehen. Aber im Abschnitt ¹gegen Hobbesª wird auch deutlich, in welcher Hinsicht Kant sich von seinem
Gegner absetzt: bei der Forderung nach Schreibfreiheit, nach öffentlicher Meinungsbildung. Die Einsicht in den ideellen Charakter des Gemeinwillens und
die Figur des Gesellschaftsvertrags bedingen den Hinweis auf die Verantwortung des Repräsentanten: Er muss von jener Vernunft erleuchtet sein, die in der
öffentlichen Sphäre zu Tage tritt ± in der Sphäre, die den Philosophen mit seinem Publikum verbindet.83 Dies mag belanglos erscheinen, jedenfalls im Verhältnis zur Möglichkeit einer tatsächlichen Kontrolle der Machtausübung durch
das Volk (was allerdings im Verfassungsrahmen schwer denkbar ist, wie wir bei
Fichte sehen werden), aber tatsächlich liegt hier ein erheblicher Perspektivenwechsel vor: Es geht nicht schlicht darum, empirisch einen einheitlichen Willen
zu erzeugen, d.h. ein Gesetz, dessen Inhalte jedoch der kritischen Beurteilung
entzogen sind, sondern es geht um eine Rückkoppelung an die Vernunft, an
eine Rationalität, die von Regierenden und Untertanen beachtet werden muss
und kein Willkürprodukt ist, weder der einen noch der anderen Seite.
In der Hobbes'schen Konstruktion geht das Verhältnis der Repräsentation
gänzlich in der im Ermächtigungsvorgang erzeugten Form auf: Die Tatsache,
dass der Wille des kollektiven Subjekts nicht anders ausgedrückt werden kann
als durch denjenigen, der es verkörpert und repräsentiert, hat zur Folge, dass
der vom Repräsentanten artikulierte Wille unmittelbar mit dem Willen des Volkes identifiziert wird. Der Wille des kollektiven Subjekts kann weder mehr
noch Anderes sein als der empirische Ausdruck desselben durch den souveränen Repräsentanten. Anders bei Kant. Der Umstand, dass der ¹vereinigte Wille
des Volkesª als ideelle Gröûe der repräsentativen Vermittlung bedarf, bedeutet
nicht, dass er mit dem konkreten Ausdruck des Gemeinwillens seitens des Repräsentanten identifiziert würde (unabhängig davon, wer dies je nach Staatsform
ist: der Monarch, einige wenige oder das ganze Volk). Hier gibt es kein Legitimation begründendes Verfahren, und sei dieses rein ideell wie im Fall des Gesellschaftsvertrags, der ausgehend vom Willen der Einzelnen den Repräsentanten zum Ausdruck des Gemeinwillens ermächtigt. ¹Ermächtigungª hieûe, dass
ein jeder gezwungen wäre, aufgrund der Ermächtigung den Willen des Repräsentanten als eigenen Willen anzuerkennen, also ohne von Fall zu Fall die In83 Zur Rolle der Kritik und der öffentlichen Meinung vgl. Koselleck, Reinhart: Kritik und Krise: Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München
1959, und Habermas, Strukturwandel, Kap. IV §13, S. 117 ff. Der radikale Unterschied gegenüber Hobbes und dem Naturrecht offenbart sich bei Kant in der Rolle
von Vernunft und Philosophie, in der Funktion von Idee und Pflichterfüllung; dies
scheint aber kein grundsätzlich anderes Verständnis der Verfassung der societas civilis
bzw. des Staates nach sich zu ziehen.
104
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
halte der Repräsentation, d.h. die Befehlsinhalte des legitimen Befehlshabers
prüfen zu können. Bei Kant hingegen ist es notwendig, dass der Repräsentant
die Vernunft und ihre Gesetze beachtet, wobei diese nicht dem Spiel bloûer
Willkür unterliegen.
In Erinnerung zu rufen ist also die Kant'sche Unterscheidung zwischen Willkür und Wille. Ohne hier auf mögliche Schwankungen in der Kant'schen Konzeption von Freiheit als Wahlmöglichkeit und seiner Definition von Willensautonomie als Abhängigkeit von den Gesetzen der Vernunft näher einzugehen84,
ist meines Erachtens nicht nur der Unterschied zwischen Wille und Willkür hervorzuheben, sondern auch die wechselseitige Beziehung zwischen den beiden
Begriffen. In der Willkür begegnen wir dem negativen Begriff von Freiheit,
nämlich der Unabhängigkeit von jeglichem sinnlichen Antrieb: durch Antriebe
wird die Willkür affiziert, aber nicht bestimmt. Diese Unabhängigkeit kann im
Phänomenbereich der Erfahrung in unterschiedliche Richtungen genutzt werden.
Aber daraus ergibt sich kein rationales Fundament der juristischen Konstruktion: Nicht diese Unabhängigkeit begründet die individuelle Freiheit, die ihrerseits dem Gemeinwillen zugrunde liegt. Deshalb bestreitet Kant, dass die Freiheit der Willkür in der unterschiedslosen Wahlmöglichkeit liegt. Im Vergleich
zur Freiheit offenbart diese Wahlmöglichkeit nur die negative Seite von Freiheit, d.h. die Unabhängigkeit vom Instinkt und von den natürlichen Ursachen.
Der positive Begriff von Freiheit ist das Vermögen der reinen Vernunft, für
sich selbst praktisch zu sein.85 Der Wille wird von Kant auf die Gesetzgebung
der praktischen Vernunft bezogen. Diese, d.h. die Fähigkeit des Menschen zur
Selbstbestimmung, ist es, welche der Leere der Willkür eine Führung gibt. Freiheit bezeichnet also die Autonomie des Willens, d.h. das Vermögen des Willens,
sich unabhängig von natürlicher Kausalität aufgrund der Gesetze der Vernunft
zu bestimmen. Das menschliche Handeln hängt von der Autonomie des Willens
ab, und diese äuûert sich als Tätigkeit, als Spontaneität in Bezug auf die Handlungen: Darin besteht die Freiheit, andernfalls wäre der Wille nur ein von anderer Ursache bewegtes Mittel, wäre abhängig und nicht selbst unabhängige, also
freie Ursache.
Der Unterschied zu Hobbes ist deutlich, wenn man bedenkt, dass für Hobbes
Freiheit darin besteht, dass der Wille auf keinerlei Hindernisse trifft, was nicht
ausschlieût, dass er das letzte Glied einer Kette von mechanischen Ursachen ist
± in dieser Sichtweise ist Freiheit restlos kompatibel mit der Notwendigkeit.86
Aber noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass bei Kant die für den Willen kennzeichnende Unabhängigkeit nicht dazu führt, dass der Wille selbst in einen luftVgl. dazu Landucci, Sergio: Sull'etica di Kant, Milano 1994.
Vgl. Kant, Rechtslehre, Akad.-Ausg., VI, S. 213±214 und Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Akad.-Ausg., V, S. 33.
86 Vgl. Hobbes, Leviathan, XXI, S. 164.
84
85
11. Repräsentation der Freiheitsidee
105
leeren Raum rückt, in dem jedes materielle Element gleichermaûen möglich ist,
sondern dazu, dass er von den Gesetzen der Vernunft bestimmt ist, ohne die es
keine Freiheit gibt.
Es ist also daran zu erinnern, welche Rolle die Idee bei Kant für die praktische Dimension des Handelns spielt. Die Idee ist nicht nur notwendig, um die
sittliche Erfahrung zu verstehen, obwohl sie selbst nicht Gegenstand der Erfahrung ist87, sondern sie ist auch produktiv in der Wirklichkeit, nämlich als
Quelle des Handelns und der Verbesserung der menschlichen Handlungen. In
diesem Zusammenhang erscheint als notwendige Idee eine ¹Verfassung von der
gröûten menschlichen Freiheit nach Gesetzen, welche machen, daû jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann.ª Eine Verfassung, die das
Recht wahrt und die Freiheit fördert, ist also eine Idee der Vernunft, die sowohl
dem ersten Entwurf einer Staatsverfassung als auch den vom Herrschenden erlassenen einfachen Gesetze zugrunde liegen muss. Es geht nicht darum, ein Modell anzuwenden, denn eine solche Verfassung, wie auch die Freiheit, lassen
sich nicht auf ein starres Modells reduzieren. Vielmehr geht es um die Schöpferkraft der Idee in der Erfahrungswelt, um ihre Fähigkeit, wirksam zu werden
und zum Handeln zu bewegen.
Das ideelle Wesen der Freiheit und der republikanischen Verfassung88 belegen die Überwindung der reinen Logik der Repräsentation. Es genügt nicht,
dass der Repräsentant gewählt ist, um ermächtigt zu sein, den Willen des Gemeinwesens auszudrücken: Seine Fähigkeit zur Repräsentation bedarf der ständigen Rückbindung an die ideelle Ebene der Vernunft, die Regierenden und Regierten gemeinsam und nicht von ihrer Willkür abhängig ist. Übersieht man die
Rolle dieser ideellen Ebene, so ist man versucht, die Idee der Verfassung, welche die Freiheit zu befördern sucht, auf eine von Verfahrensregeln bestimmte
Formalität zu verkürzen, wie es in der Geschichte der modernen Verfassungen
geschehen ist.89 Dann würde Freiheit allerdings auf eine individuelle Willkür
reduziert, die sich politisch-institutionell im Wahlakt äuûert und eine Kompossibilität der Individuen produziert, die von der gesetzlichen Ordnung und dem
87 Kritik der reinen Vernunft, Akad.-Ausg., III, 247; hier wird als Beispiel die Idee
der Tugend genannt, die ± obwohl vom menschlichen Handeln nicht adäquat erreichbar ± dennoch für jedes Urteil über den moralischen Wert oder Unwert vonnöten ist.
Auf die Idee der Freiheit bezieht sich Kant zu Beginn der Abhandlung der Ideen in
der Kritik der reinen Vernunft, wobei er besonders auf die Platonische Republik eingeht, in der man gewiss keine Realisierung des modernen Begriffs von individueller
Freiheit erkennen kann. Dieser Verweis zeigt, dass Freiheit nicht auf einen bloûen
Ausdruck von Willkür reduzierbar ist, und sei es auch einer Willkür, die anderen keinen Schaden zufügt.
88 Vgl. dazu im einzelnen Duso, La libertà moderna (hier in Auszügen übernommen).
89 In den Interpretationen des Kant'schen Denkens findet sich oftmals eine solche
Verengung auf ein verbreitetes Demokratieverständnis, wie es sich auch in den zeitgenössischen demokratischen Verfassungen niederschlägt.
106
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
unerbittlichen Befehl der Souveränität garantiert wird. Aber Verfahrensregeln
und formale Konstruktion verhindern die Frage nach der regulativen Idee, von
der Kant spricht. Die Kompossibilität der Willkür der Individuen gewährleistet
nicht die Autonomie ihres Willens, d.h. ein Leben nach den Gesetzen der Vernunft.90 Auf die Freiheit Aller zielt die Idee der Verfassung, aber sie ist nicht
darauf reduzierbar, dass Alle ihrer Willkür freien Lauf lassen, und ebenso wenig auf jenen Ausdruck individueller Willkür, der im Wahlvorgang liegt.
Zwei Aspekte sind hervorzuheben. Der erste offenbart sich auch in der demokratisch-repräsentativen Dialektik der modernen Verfassungen und besteht darin,
dass der repräsentative Körper, auch und gerade weil er vom imperativen Mandat befreit ist, sich auf die Sphäre der öffentlichen Meinung und auf die in der
Gesellschaft auftretenden Bedürfnisse beziehen muss. Der zweite Aspekt, der
zum philosophischen Kern des kantschen Denkens gehört, schlieût dagegen aus,
dass diese Sphäre der öffentlichen Meinung auf die empirisch gegebenen vorherrschenden Meinungen reduziert wird: Das repräsentative Handeln hat sich
vielmehr auf den Einsatz der Vernunft und das Nachdenken über die ideale Bedeutung der Freiheit zu beziehen.
Die kantsche Konzeption der Verfassungsidee lässt ein Abgleiten in vorgeblich Legitimität stiftende, empirisch gegebene Verfassungsprozeduren nicht zu.
Die Idee der Republik kann sich nicht in einem Verfassungsmechanismus erschöpfen (etwa in dem gemeinhin als demokratisch bezeichneten Mechanismus,
bei dem alle Bürger durch Wahl die Herrschaft ausübenden Repräsentanten bestimmen), der als solcher die Herrschaftsausübung legitimieren soll. Wenn sich
die Idee auf diese Weise übersetzen lieûe, dann würde das Element der individuellen Willkür und ihres Ausdrucks verabsolutiert: Freiheit wäre zwangsläufig
verwirklicht dank der bloûen Existenz von Verfahren, bei denen alle an der
Wahl teilnehmen, unabhängig von den artikulierten Willensinhalten und ungeachtet des Problems, ob die Willkür überhaupt imstande ist, einen wirklich
autonomen Willen zu übertragen91; aber der Kant'sche Freiheitsbegriff ist ein
gänzlich anderer.92
90 Zur Unmöglichkeit, den Willen auf individuelle Willkür zu reduzieren, bezogen
auf die Idee des ursprünglichen Vertrags vgl. Rametta, Gaetano: ¹Potere e libertà nella
filosofia politica di Kantª, in: Duso, Il potere, S. 259±260.
91 Damit soll nicht das Bild eines konservativen Kant gezeichnet oder die theoretisch positive Einstellung zum groûen historischen Ereignis der Revolution bestritten
werden, vor allem was das öffentliche Urteil betrifft. Es geht weniger um eine mögliche Opposition Kants gegen die Ausbreitung von Verfassungsprozeduren ¹demokratischenª Typs als vielmehr darum, dass sich der philosophischer Kern der Idee von
Freiheit und republikanischer Verfassung nicht auf solche Prozeduren verengen lässt;
auch widersetzt er sich der Neutralisierung der Frage der Gerechtigkeit, welche die
Verabsolutierung des individuellen Willens im Sinne der Willkür nach sich zieht. Anders gesagt scheint mir, dass sich die praktische Philosophie Kants, anders als heute
üblich, nicht bloû auf das Verfassungsmodell der repräsentativen Demokratien der Gegenwart reduzieren lässt.
11. Repräsentation der Freiheitsidee
107
In der heutzutage verbreiteten Übersetzung des Kant'schen Denkens in demokratische Prozeduren läuft das repräsentative Prinzip selbst Gefahr, verkannt zu
werden, gewinnt es doch die Bedeutung einer im Wahlvorgang ausgesprochenen Ermächtigung durch die Individuen: Eine solche Ermächtigung wäre eine
apriorische Legitimierung des von den Repräsentanten artikulierten Willens.
Die bekannte Stelle aus der Schrift Zum ewigen Frieden, wo eine reduzierte
Zahl von Herrschenden (Repräsentanten) und ein hoher Grad von Repräsentativität als vereinbar, wenn nicht gar als logisch verknüpft gelten93, scheint die
Repräsentativität nicht von der Beteiligung aller an der Wahl abhängig zu machen, sondern erfasst die der modernen Repräsentation eigene Alterität des allgemeinen Willens, der repräsentiert wird, im Verhältnis zum Willen der Einzelnen. Entscheidender für unsere Überlegungen ist die Beziehung zwischen repräsentativem Prinzip und Idee. Die Repräsentativität der Herrschenden erschöpft
sich nicht in der sonderbaren, modernen Form des freien Mandats, das tendenziell von der Gesamtheit der Individuen erteilt werden muss, wenn es wirklich
legitimieren soll; sie liegt vielmehr darin, dass der Herrscher nicht Herr des
öffentlichen Denkens und Handelns ist, und ebenso wenig ein bloûer Vermittler
des empirischen Willens der Einzelnen, sondern sich auf die Idee der Freiheit
beziehen, diese Idee repräsentieren, an der Erhebung Aller zu einer Dimension
der Freiheit arbeiten und Gesetze hervorbringen muss, welche der Freiheit Aller
förderlich sind.94
92 Landucci verbindet Freiheit im positiven Sinne mit dem antiken Begriff von
Freiheit, d.h. mit dem status einer Person im Sinne ihres Wertes (Landucci, Sergio: La
critica della ragion pratica di Kant, Firenze 1993, S. 78). In diesem Sinne kann man
sagen, dass Freiheit jedenfalls nicht mit dem unbedingten Ausdruck der eigenen Willkür zusammenfällt, wie es im Rahmen eines Ansatzes denkbar wäre, der jegliche Ordnung der Dinge, ja selbst die Frage nach der Wahrheit neutralisiert und den empirisch
gegebenen Willen absolut setzt.
93 ¹Man kann daher sagen: je kleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl der
Herrscher), je gröûer dagegen die Repräsentation derselben, desto mehr stimmt die
Staatsverfassung zur Möglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen, durch
allmähliche Reformen sich dazu endlich zu erheben.ª (Kant, Zum ewigen Frieden,
Akad.-Ausg., VIII, S. 353.
94 Dieser Aspekt der Repräsentation, also der Bezug auf die Vernunft und ihre Gesetze, und nicht der Wahlvorgang, verbindet ± so scheint mir ± bei Kant die Herrschenden mit den Delegierten, welche die Rechte des Volkes verteidigen, mit den Bürgern, die an der Wahl teilnehmen und auch mit denen, die kein Wahlrecht besitzen
und bloû Staatsgenossen sind (übrigens darf dieser Begriff nicht unterbewertet werden, gilt doch in der republikanischen Konzeption auch der Herrschende als Staatsgenosse). Die Ebene der Vernunft und ihrer Öffentlichkeit bilden das Bezugsfeld für die
empirische Artikulation sowohl des öffentlichen Willens als auch der Einzelwillen. Es
gibt also nicht jene Verengung auf die Artikulation des Willens (der Individuen und
des Souveräns), wie sie für die Formalität der rationalen Konstruktion Hobbes' kennzeichnend ist. Das repräsentative Handeln bezieht sich auf die Vernunft, auf die Freiheitsidee: Diese tritt in jener öffentlichen Sphäre auf, die bei Hobbes fehlt und deren
Feld durch die Philosophie und ihr Publikum abgesteckt ist.
108
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
12. Kontrolle der Repräsentanten
und Revolution
Auch im Denken des späten Fichte begegnen wir einer philosophischen
Komplikation der naturrechtlichen Art, die Beziehung zwischen Souveränität
und Repräsentation zu konzipieren, die Fichte in seiner Schrift Grundlage des
Naturrechts besprochen hatte.95 Da sich jedoch nicht die den deutschen Denkern eigene philosophische Radikalisierung in den Prinzipien der modernen
Verfassungen niedergeschlagen hat, sondern jene einfache theoretische Konstruktion, die der modernen politischen Form zugrunde liegt, erscheint es besonders lehrreich, auf Fichtes Schrift zum Naturrecht einzugehen, welche die
einzigartige Fähigkeit aufweist, das moderne Theoriegebäude anzuerkennen,
aber zugleich derart zu belasten, dass ihre konstitutiven Aporien ans Licht treten.96
Um die Bewegung des Fichte'schen Denkens zu erfassen, ist zu beachten,
dass sie im Rahmen der Bemühung steht, das Wesen des modernen repräsentativen Prinzips zu begreifen. Andernfalls erscheinen möglicherweise bestimmte
Lösungen als brauchbar und vernünftig, die Fichte mit dem Fortschritt seiner
Überlegungen später selbst verwirft: z. B. die Ephoren als Verfassungsorgan
oder die Revolution als reale Möglichkeit zur Verhinderung von Ungerechtigkeit seitens der gesetzlichen Gewalt. Fehlt diese Einsicht, so bleibt auch unverständlich, warum Fichtes Argumentation derart komplex ist, sobald er die Frage
der Kontrolle der dem repräsentativen Körper übertragenen Herrschaft angeht
(bei Fichte heiût dieser Körper exekutive Gewalt im weitesten Sinne des Wortes
und umfasst sämtliche, nicht voneinander zu trennenden Staatsgewalten).97
Einerseits erkennt Fichte, entsprechend der neuen Wissenschaft vom Naturrecht, die Vereinbarkeit von Freiheit und Zwangsgewalt an, da erst die Präsenz
einer gemeinsamen Gewalt, die den Kräften der Individuen überlegen ist (die
¹Übermachtª des politischen Körpers), die Verwirklichung des Rechts und den
Schutz der Freiheit der Individuen denkbar werden lässt. Andererseits stimmt er
95 Vgl. Duso, Giuseppe: ¹La philosophie politique de Fichte: de la forme juridique
à la pensØe de la pratiqueª, in: Fichte-Studien 16 (1999), S. 191±211.
96 Eine umfassendere Darstellung des Fichte'schen Denkens in seiner Schrift zum
Naturrecht findet sich in: Duso, Giuseppe: ¹Libertà e Stato in Fichte: la teoria del
contratto socialeª, in: ders. (Hrsg.): Il contratto sociale nella filosofia politica moderna, Bologna 1987, S. 273±310, hier schematisch und kurzgefasst wiedergegeben.
97 Insofern die Gesetzgebung das zur Ausführung zu bringende Recht betrifft, ist
sie selbst Teil der Exekutive. (Vgl. Fichte, Johann Gottlieb: Grundlage des Naturrechts nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796±97), Gesamtausgabe der
Bayerischen Akademie der Wissenschaften (GA), hrsg. von R. Lauth u. H. Jakob, Mitwirkung v. R. Schottky, Stuttgart/Bad Cannstatt 1966, I, 3, S. 428. Auûerdem: potestas judicialis et potestas executiva in sensu strictiori gehören beide zur potestas executiva in sensu latiori (I, 3, S. 435).
12. Kontrolle der Repräsentanten und Revolution
109
Kant darin zu, dass diese Gewalt nicht unmittelbar von der Gemeinschaft ausgeübt werden kann, sondern einem Einzelnen oder einem Körper zu übertragen
ist.98 D.h. der staatlichen Herrschaft wird das repräsentative Prinzip zugrunde
gelegt, im Gegensatz zur direkten Demokratie im engeren Sinne. Da die Gemeinschaft der höchste Richter über die Herrschaftsausübung ist, wäre sie, sofern sie selbst die Herrschaft inne hätte, Richter in eigener Sache.99 Die staatliche Herrschaft wäre dann absolut und willkürlich und es fehlte ihr jene Verantwortung, die dem repräsentativen Element von Natur her eigen ist, während
es ohne Repräsentation nur Despotismus gibt.
Wie zu erkennen ist, teilt Fichte Kants Auffassung von der Dialektik der Repräsentation, wonach die ausführende Gewalt oder der repräsentative Körper
dem Volk gegenüber verantwortlich ist. Aber die Frage, die Fichte im Unterschied zu Kant aufwirft, betrifft die reale Ausübung der Herrschaftskontrolle
durch das Volk. Das Problem ist nicht einfach zu lösen, denn der direkte Gebrauch der Gewalt seitens der Gemeinschaft wird nicht willkürlich ausgeschlossen, sondern wegen der logischen Schwierigkeit, die Herrschaftsausübung durch
ein aus unzähligen Individuen bestehendes kollektives Subjekt zu konzipieren,
ja, überhaupt ein solches Subjekt als wirklich existierendes zu denken. Es ist
bezeichnend, dass Fichte im ¹Naturrechtª behauptet, sein gesamtes Vorgehen
sei eine ¹strenge Deduktion der absoluten Notwendigkeit einer Repräsentation
aus reiner Vernunftª.100 Deshalb mag es wohl zutreffen, dass einzig das Volk in
seiner Gesamtheit die Kontrolle über den repräsentativen Körper ausüben kann,
aber ebenso unbestreitbar liegt die Schwierigkeit darin, eine konkrete Möglichkeit aufzuzeigen, wie das Volk auûerhalb und jenseits des Agierens des repräsentativen Körpers als kollektives Subjekt auftreten kann.
Fichtes Frage ¹Wo ist denn die Gemeine, und was ist sie?ª101 ist keine rhetorische, sondern entspringt der Einsicht, dass ± sobald der politische Vertrag geschlossen ist ± die Entstehung der kollektive Dimension mit ihrer repräsentativen Realisierung sowie der Herausbildung von Privatpersonen zusammenfällt:
Dies betrifft alle Glieder des Staates, vor dem Richterstuhl der öffentlichen
Gewalt werden sie zu einem ¹Aggregat der Untertanenª. Wie zu erkennen,
schlieût die rechtliche Dimension der politischen Gemeinschaft (die moderne
politische Form) auch für Fichte die Existenz eines Körpers ein, der ermächtigt
ist, den Gemeinwillen zu artikulieren, und der das einzige Gericht für die Gesellschaft ist. Will man nun die ursprüngliche Gemeinschaft als reale Präsenz
denken, so ist es notwendig, erneut einen Zugang zu ihrem Willen zu finden,
98 Vgl. Fichtes Rezension von Kants ¹Zum ewigen Friedenª (Fichte, Johann Gottlieb: Sämmtliche Werke, hrsg. von I. Fichte, Bonn 1934±35, Bd. VIII, S. 432.
99 Vgl. Fichte, Naturrecht, GA, I, 3, S. 438±39.
100 Vgl. Fichte, Naturrecht, GA, I, 3, S. 439.
101 Vgl. Fichte, Naturrecht, GA, I, 3, p. 446±447.
110
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
freilich unter Umgehung des vom repräsentativen Körper formulierten Willens
(der im Moment der Konstituierung des Staates mit dem kollektiven Willen
identifiziert wurde).
Da nur die Gemeinschaft sich erneut einberufen und auûerhalb der von ihr
selbst geschaffenen Staatsverfassung ihre Konstituierung erklären könnte, steht
man vor einem Widerspruch, der wie folgt formuliert werden kann: Der Wille
der Gemeinschaft kann von ihrem repräsentativem Ausdruck nur dann geschieden werden, wenn sie konstituiert ist, während sie sich in Wirklichkeit in der
Konstitution des Staates aufgelöst hat; ihre Konstituierung muss also erklärt
werden, aber ¹nur die Gemeine selbst kann sich als Gemeine deklariren; sie
müûte mithin Gemeine seyn, ehe sie es ist, welches, aufgestellter Weise, sich
widersprichtª.102
Es ist im vorliegenden Kontext nicht möglich, die komplexe Entwicklung der
Fichte'schen Argumentation nachzuvollziehen. Aber hinzuweisen ist vor allem
darauf, dass Fichte zunächst den Versuch unternimmt, im Gründungsakt der
Verfassung ein besonderes Organ, das Ephorat, einzurichten, das die Aufgabe
übernehmen soll, die ursprüngliche Gemeinschaft einzuberufen und damit wieder aufleben zu lassen. Zu diesem Zweck besitzt das Ephorat keine positive
Fähigkeit zum Ausdruck des Gemeinwillens und zur Ausübung der öffentlichen
Gewalt, vielmehr hat es die Aufgabe, die Tätigkeit der Exekutive und damit
ihre repräsentative Funktion gänzlich aufzuheben: Nur indem bestritten wird,
dass sie mit dem Volkswillen übereinstimmt, diesen ausdrückt bzw. repräsentiert, ist es möglich, das Volk wieder zum Leben zu erwecken und einzuberufen. Die Ephoren bilden also keine übergeordnete Figur, die entscheiden
könnte, inwieweit die Exekutive den wahren Volkswillen ausdrückt: das würde
in den Widerspruch eines Souveräns über dem Souverän führen. Sie haben nur
die Möglichkeit, die Herrschaft der Exekutive und ihre repräsentative Funktion
zu suspendieren, damit das Volk einberufen werden kann.
Zwei Überlegungen lassen sich im Hinblick auf diesen Versuch, eine zweite
Form von Repräsentation zu bilden, vorbringen. Zunächst einmal, dass auch
hier eine Form repräsentativen Handelns vorliegt: die Suspendierung der Herrschaftsausübung und die Feststellung, dass das Handeln der Repräsentanten
nicht mit dem Volkswillen übereinstimmt, geschieht durch den Akt besonderer,
damit beauftragter Personen. Nur mit ihrer Hilfe kann das Volk zusammengerufen werden, das Vorgehen der Ephoren billigen und eine andere Exekutive bilden. Die Gemeinschaft wird also formiert durch den Aufruf der Ephoren, wird
aber dadurch nicht in die Lage versetzt, unmittelbar selbst zu handeln, sondern
kann nur einen neuen repräsentativen Körper schaffen.
102
Vgl. Fichte, Naturrecht, GA, I, 3, S. 447.
12. Kontrolle der Repräsentanten und Revolution
111
Die Erinnerung an antike Einrichtungen wie die Volkstribune, auf die sich
Fichte direkt bezieht, oder die der Ephoren in der Politica von Althusius, sollte
nicht zu Missverständnissen Anlass geben. Bei Althusius ist die Repräsentation
der Ephoren Ausdruck einer die ständische Gesellschaft prägenden Pluralität
von Anliegen, und sie ist ein Mittel, das dem Volk, welches bereits durch seine
Institutionen konstituiert ist, eine tatsächliche Existenz gegenüber dem Regierungshandeln des höchsten Magistrats ermöglicht. Fichtes Reflexion über die
Repräsentation hingegen steht auf dem Boden der modernen Begrifflichkeit der
politischen Einheit, die weder eine Pluralität von an Entscheidungen beteiligten
politischen Subjekten noch eine tatsächliche Pluralität von Gewalten zulässt.
Die Funktion des Ephorats liegt nicht darin, im positiven Sinne eine Gewalt zu
verkörpern, mit der sich die erste und eigentliche Repräsentation auseinandersetzen müsste, vielmehr soll es eine Überwachung der Herrschaft ermöglichen
sowie eine Durchsetzung des Volkswillens mit Hilfe eines neuen repräsentativen Körpers: eine Funktion, die ganz im Zeichen der Artikulation eines einzigen Volkswillens steht.
Dass Fichte später die Institution des Ephorats aufgibt, liegt unter anderem an
der logischen Problematik der Vorstellung, die Kontrolleure seien kontrollierbar
und der Körper, der autorisiert ist, staatlichen Zwang auszuüben, könne selbst
zu etwas gezwungen werden.103 Aber dieselbe Problematik taucht auch im Argumentationsgang der Schrift zum Naturrecht auf, denn die Reflexion über die
Kontrolle im Rahmen der Verfassungsmechanismen bricht mit der Feststellung
ab, dass sich ein Verrat des Volkswillens nicht nur in der exekutiven Gewalt
ereignen kann, und zwar aufgrund der unvermeidlichen Charakteristik der ±
wenngleich repräsentativ ± herrschenden Personen, sondern ebenso gut in den
Reihen der Ephoren: Der Verrat ist stets möglich in einer repräsentativen Konstellation, weil der Gemeinwille im Vergleich zu den mit seiner Formulierung
beauftragten Personen stets mehr und anders ist. Angesichts einer solchen Möglichkeit bleibt nur ein einziger Weg, nämlich der Weg der Revolution ± und
diesen Weg möchte Fichte offen halten.104
103 Diese Problematik ist klar formuliert in der Rechtslehre von 1812, wo die Einsicht geäuûert wird, dass der souveräne Wille Allen gegenüber Zwang ausübt, ohne
selbst gezwungen werden zu können (Fichte, Johann Gottlieb: Rechtslehre, hrsg. von
Richard Schottky, Hamburg 1980, S. 152). Würde man annehmen, dass der Souverän
gezwungen werden kann, dann geriete man in endlose Widersprüche, denn das Problem, wie der mit dem Zwang Beauftragte selbst gezwungen werden kann, würde sich
¹ins unendlicheª verlängern (S. 150). Zur Unmöglichkeit, das Problem zu lösen, in
das dieser Fichte sich verstrickt, also eine Beziehung zwischen Recht und Gewalt zu
garantieren oder, anders gesagt, die Überwachung des Wächters der Gesetze durch
eine Figur des Wächters des Wächters zu garantieren, vgl. Schmitt, Carl: Der Wert des
Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914, S. 83.
104 Später wird die Institution des Ephorats direkt mit dem Phänomen der Revolution verbunden, allerdings wird Fichte weit gröûere Zweifel an der Revolution entwickeln als in seiner Jenaer Zeit: Die Revolution erscheint ihm dann nicht länger als
112
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
Die Offenheit gegenüber der Revolution schafft jedoch Probleme für einen
Ansatz, der den Staat und die für das Zusammenleben der Menschen notwendige Herrschaft rational, d.h. auf formaler und rechtlicher Grundlage, begründen will. Eine solche Offenheit zwingt zur Vorstellung einer stets möglichen
Spaltung zwischen formeller und materieller Gerechtigkeit, d.h. einer Gerechtigkeit, die nicht zusammenfällt mit dem Gehorsam Aller gegenüber dem von
Allen zum Befehls- und Gesetzgeber Ermächtigten. Beruft man sich angesichts
der ungerechten Herrschaft auf die Gerechtigkeit in materieller Hinsicht, also
auf den Vorrang eines wahren Rechts gegenüber jenem formellen Mechanismus, der ausgehend von der Freiheit der Individuen und ihrem Willen zur repräsentativen Ausübung der gemeinsamen Herrschaft führt, dann stellt sich begreiflicherweise das Problem, wer Richter sein soll, d.h. in jener Reduzierung
von Gerechtigkeit auf die Beziehung zwischen Recht und Gewalt, an der Fichte
im Bereich der Naturrechtslehre selbst mitzuwirken scheint, wird eine Aporie
sichtbar.
Aber im Hinblick auf die Durchsetzung der Logik der Repräsentation ist darauf hinzuweisen, wie sich Fichte den Ausbruch der Revolution vorstellt. Nachdem er zunächst die Möglichkeit formuliert hatte, das ganze Volk erhebe sich
¹wie ein Mannª gegen die Ungerechtigkeit, erkennt er die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Falles; angesichts der Unterschiedlichkeit der menschlichen
Meinungen und der dargestellten Problematik eines Agierens des kollektiven
Subjekts mag man diese Möglichkeit, also die Vorstellung, dass alle wie eine
einzige Person handeln, wohl als undenkbar betrachten. Glaubhaft ist dagegen
der zweite Weg: dass nämlich jemand die anderen aufruft, sich zu erheben, und
dass sich im Gefolge diese Aufrufs ein einheitliches Handeln des Volkes herausbildet. Zweitrangig ist hier der Gedanke, dass die gesetzliche Herrschaft
das Recht und die Pflicht hat, die Aufständischen zu bestrafen, und dass die
Revolutionäre, wenn das Volk ihnen in Urteil und Tat nicht folgt, wenn also
materielle Gerechtigkeit und rechtliche Form nicht wieder zur Deckung gebracht werden, dass die Revolutionäre dann, auch wenn sie im Recht sind, auf
der Grundlage des formellen Rechts bestraft und zu Märtyrern gemacht werden.
Hervorzuheben ist hingegen die notwendige Funktion dessen, der das Volk zur
Revolution aufruft. Um genau zu sein, muss es heiûen, dass die zur Revolution
Aufgerufenen die Bürger als Untertanen sind, solange es eine legitime Ausübung staatlicher Gewalt gibt. Zum Volk werden sie durch und nach dem Aufruf, wenn sie ihr Handeln vereinen und eine reale Präsenz der Gemeinschaft
schaffen, die sich ihrem repräsentativen Ausdruck entgegenstellt.
bloûer Bruch mit der vorhandenen politischen Form, sondern zugleich als Schaffung
einer neuen Form, die den absoluten Charakter der staatlichen Herrschaft nicht beseitigt, sondern verstärkt, und zwar aufgrund des Anspruchs, endlich eine gerechte Form
errichtet zu haben, und wegen der Notwendigkeit, diese Form vor einer weiteren Revolution zu bewahren. (Fichte, Rechtslehre, S. 154).
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität
113
Offensichtlich wird hier die Thematik der Spannung zwischen direkter Artikulation des Volkes und seiner repräsentativ vermittelten ¾uûerung wieder aufgenommen, von der bereits im Zusammenhang der Französischen Revolution
die Rede war. Aber bezeichnenderweise werden die Revolutionäre von Fichte
natürliche Ephoren genannt, fast als hätten sie eine repräsentative Funktion. Es
sind ja ihr Ruf und ihre Tat, die es der unbeschränkten Vielzahl von Individuen
ermöglichen, eine einzige Antwort zu geben, als ein einziges Subjekt aufzutreten. Erst ihr Ruf gestattet die ¾uûerung des Volkes und gibt der zerstreuten
Vielzahl einzelner Individuen eine einheitliche Form. Wie sehr man auch bemüht sein mag, den wahren Volkswillen unabhängig von seiner Repräsentation
durch die verfassungsmäûigen Organe zu konzipieren: Da diese kollektive
Gröûe von den isoliert betrachteten Individuen ausgeht, ist offenbar eine einheitliche Formierung der Vielzahl notwendig ± eine Formierung, die als typisch
für das moderne Verständnis von Repräsentativität des politischen Körpers erscheint, auch wenn sie, wie im Fall der Revolution, im Widerspruch zum herrschenden verfassungsmäûigen Repräsentationsorgan steht. Dennoch fragt sich,
ob sich nicht auch in dieser direkten Willensbekundung des Volkes ± eben wegen der Alterität des Einheitswillens gegenüber der Vielzahl privater Einzelwillen ± eine schwer zu überbrückende Kluft zwischen politischer und privater
Sphäre, zwischen allgemeinem und partikulärem Willen, zwischen politischer
Einheit und Vielzahl der privaten Willen auftut.
13. Repräsentation zwischen Einheit
und Komplexität
Der kurze Streifzug durch die im Umfeld der Französischen Revolution angestellten Überlegungen der deutschen Philosophie zum Begriff der politischen
Repräsentation hat es uns gestattet, einerseits die Macht der Logik zu verstehen,
die mit dem modernen Souveränitätsgedanken aufkommt, andererseits auch die
Aporien, die in dieser Logik zu Tage treten. Der philosophische Gehalt der Reflexionen von Kant und Fichte erlaubt es, eine Auffassung von legitimer Herrschaftsausübung in Frage zu stellen, die sich auf die Formalität des Verfahrens
der Ermächtigung, d.h. der Wahl reduziert. Eine solche Legitimität setzt die
Ausklammerung der Frage nach Wahrheit und Gerechtigkeit voraus: Aber in
dem Maûe, wie sich diese Frage wieder in den Vordergrund drängt, scheint die
Vernunft Aufgaben zu stellen, die über die Formalität der modernen Theorie des
Staates hinausgehen und die von ihr angebotene Lösung für das Zusammenleben der Menschen als hinfällig und aporetisch erscheinen lassen.
In der Entstehungszeit der modernen Verfassungen sind es jedoch gerade die
Grundsätze der Naturrechtslehre und die formalen Aspekte der Konstruktion,
die ihre Wirkung entfalten. Besonders deutlich ist dies für den Begriff der poli8 Duso
114
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
tischen Repräsentation, verstanden als auf der Ermächtigung durch Wahlen beruhende Ausdrucksform des Volkswillens, wie auch für die diesem Begriff entgegen gesetzte Konzeption eines direkten Ausdrucks des Volkswillens. Auch
diese wirkt auf die modernen Verfassungen ein, sowohl in der Bezeichnung des
Volkes als konstituierende Gröûe als auch im Hinblick auf die Instrumente für
eine unmittelbare Befragung des Volkes, die über die repräsentative Vermittlung
hinausgehen.105
Zu Beginn der Epoche der Verfassungen scheinen zwei Elemente groûes Gewicht zu haben, die logisch miteinander verknüpft sind und doch ein Spannungsverhältnis bilden: die Rolle des Individuums, seiner Rechte und seines
Willens einerseits und die Einheit des Staates, der einheitliche Ausdruck des
Befehls, des Gesetzes andererseits. Beide Elemente kommen in den Verfassungen zur Wirkung, wandeln sich zwar im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts
und verlieren dabei immer mehr von ihrer anfänglichen Prägung, übernehmen
in den Verfassungen aber weiterhin eine Legitimationsfunktion. Wenn wir Entstehung und Problematik des Repräsentationsbegriffs am Ausgangspunkt einer
200-jährigen Verfassungsepoche untersuchen, erscheint es sinnvoll, auch Hegels
Standpunkt zu beleuchten: Hegel kritisiert einerseits die naturrechtliche Theorie
der politischen Form, andererseits das Modell der Repräsentation, wie es sich in
der französischen Verfassung niederschlägt; dabei gelingt es ihm, die beiden
Elemente aufzuheben und gleichzeitig zu begreifen.
Da der Begriff der politischen Repräsentation im Schoûe der Naturrechtslehre
entsteht, also im Rahmen des Versuchs, eine Beziehung zwischen den Individuen und der politischen Herrschaft herzustellen, offenbart er, wie dargestellt,
eine schwer zu überbrückende Kluft zwischen dem Willen der Individuen als
Ausgangspunkt der Konstruktion und der Festlegung des Gesetzes, die dem re105 Obwohl das Instrument des Referendums im Gegensatz zu dem Prinzip steht,
welches dem repräsentativen Körper zugrunde liegt, ist es offenbar nicht ganz frei von
Elementen der repräsentativen Logik. Wenn nämlich die Rede davon ist, dass sich das
Volk im Referendum ausdrückt, dann ist damit keineswegs die unmittelbare Existenz
des Volkes als kollektives Subjekt gemeint. Wer abstimmt, das sind die einzelnen Bürger, und manchmal nicht einmal viele; wenn sie ihre Einzelwillen äuûern würden,
gäbe es überhaupt keinen einheitlichen Willensausdruck: Damit es dazu kommen
kann, ist jemand (nicht das Volk) notwendig, der eine Frage stellt, die es gestattet, die
Antworten so zu formieren, dass sich eine mehrheitliche Antwort ergibt: Diese ist der
Wille des kollektiven Subjekts. Auch hier also ist das Volk das Resultat eines Prozesses, der ohne die Formulierung der Frage nicht denkbar wäre; erinnert sei an die
Schmitt'sche Aussage ¹Volk kann antworten, aber nicht fragenª (zur Bedeutung des
Schmitt'schen Denkens für das Verständnis des modernen Repräsentationsbegriff vgl.
Kap. IV und V der vorliegenden Arbeit). Zu den repräsentativen Aspekten von Plebiszit und Referendum vgl. Dreier, Horst: ¹Das Demokratieprinzip des Grundgesetzesª,
in: Jura (1997), S. 249±257, 251 ff., (dort der Verweis auf Hofmann, Hasso/Dreier,
Horst: ¹Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutzª, in: Schneider,
Hans-Peter/Zeh, Wolfgang: (Hrsg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin/
New York 1989, S. 172±173).
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität
115
präsentativen Organ übertragen ist. Diese Problematik erscheint von Anfang an
in den hegelschen Überlegungen zur Naturrechtslehre. Das logische Problem,
das der naturrechtliche Dualismus laut Hegel nicht zu lösen vermag, ist die Beziehung Viele-Eines. Einerseits erfordert die Vielzahl der Individuen, die der
Konstruktion zugrunde liegt, das Prinzip der Einheit, um Konflikt und Anarchie
zu lösen, andererseits manifestiert sich die staatliche Einheit gegenüber den vielen, zu Untertanen gewandelten Individuen unweigerlich als Alterität, die den
zugrunde gelegten Wert des Individuums zu negieren scheint, insofern sie von
den Einzelnen als ¹Verhältnis der Herrschaftª und als ¹Zwangª erlebt wird.106
Hegel bringt klar die Einsicht zum Ausdruck, dass die Herrschaftsbeziehung,
der die Einzelnen unterworfen sind, keine Instanz ist, die vom Ansatz her den
individuellen Rechten entgegengesetzt ist, sondern gerade die Konsequenz der
Stellung des Individuums und seiner Rechte als Grundlage und Zweck des
¹wissenschaftlichenª Entwurfs der Gesellschaft. Dies gilt nicht nur für die empirische Art, das Problem der Naturrechtswissenschaft zu stellen ± man denke
an die Identifizierung des allgemeinen Willens mit dem empirischen Willen des
Souveräns bei Hobbes ± sondern auch für die formale Betrachtungsweise von
Kant und Fichte, bei denen das transzendentale Prinzip eigentlich eine Vereinheitlichung der Vielzahl erfordern würde, die intellektualistischen und dualistischen Elemente der Theorie es aber nicht gestatten, das Verhältnis von Herrschaft und Zwang aufzuheben. Für Hegel liegt dieser Widerspruch in dem von
Fichte vertretenen Begriff der Repräsentation, wobei er das Ephorat als Verschärfung des Widerspruchs betrachtet, da es nicht zur Überwindung des
Zwangs führe, sondern einer im negativen Sinne und potenziell unendlichen
Logik der Bezwingung des Zwingherrn das Tor öffne.
Dem Widerspruch der beiden, einander bedingenden Seiten der theoretischen
Konstruktion ± hie Wille und Rechte der Individuen, da Souveränität und
Zwang ± will Hegel keine einheitliche Konzeption entgegenstellen, wie es in
den Interpretationen oft heiût, oder etwa die Hegemonie einer der beiden Seiten, z. B. des Staates über die Individuen und ihre Rechte behaupten, vielmehr
will er die innere Notwendigkeit aufzeigen, eine Sichtweise zu überwinden, bei
der die beiden Seiten als selbständige, in sich sinnvolle Begriffe erscheinen.
Diese Überwindung in Gestalt der logischen Struktur der Aufhebung fällt in die
Jenaer Zeit und bedient sich, jedenfalls in einer wichtigen Hinsicht, der Figur
der Anerkennung107: Ausgehend von der Stellung des Einzelnen als absoluter
Grundlage der Konstruktion im Sinne des naturrechtlichen Ansatzes beweist
Hegel nämlich die Notwendigkeit der Anerkennung des Anderen. Nur dank ei106 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, in: ders.: Gesammelte Werke, Hamburg, Bd. IV, 1968, S. 426.
107 Vgl. das Fragment zur Philosophie des Geistes von 1803/04 (GW, 6, 307±314);
ausführlicher dazu Duso, Giuseppe, ¹La critica hegeliana del giusnaturalismo nel periodo di Jenaª, in: ders., Il contratto sociale, S. 311±362.
8*
116
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
ner vom Verstand vollzogenen Abstraktion von den konkreten Beziehungen,
welche die Existenz des Individuums prägen, lässt sich das einzelne Individuum
isolieren: Aber der Widerspruch, der darin liegt, dass das Individuum zugleich
als das Ganze gesetzt ist, lässt sein wahres Wesen, seine Realität hervortreten:
die Einbindung in Beziehungen, d.h. das Volk. Die Erfassung der Wahrheit und
Wirklichkeit des Einzelnen setzt die Überwindung seiner Absolutheit, seines
Anspruchs, der erste und das Fundament zu sein, voraus. Der Volksbegriff erscheint in diesem Stadium der Entwicklung des hegelschen Denkens noch wenig entwickelt; jedenfalls steht er nicht für die Einheit eines Staates, der die
Einzelnen einverleibt und vernichtet, sondern für das Erreichen einer Konkretheit der notwendigen Verhältnisse, in denen allein der Einzelne wirklich ist.
In der Vorlesung 1805/06 wird das Prinzip der Subjektivität aufgestellt, das
grundlegend ist, um die besondere Bedeutung zu verstehen, die in der Neuzeit
die Sittlichkeit, verstanden als Ebene des konkreten Handelns der Menschen im
Gegensatz zur griechischen Sittlichkeit, annimmt. Eben deshalb ist Hegel gezwungen, die vertragsrechtliche Konstruktion zu überdenken, in welcher die
Subjektivität des Einzelnen als primum behauptet wird. Wiederum führt der
Nachvollzug der Vertragslehren zur Überwindung des Dualismus der Begriffe
der Vertragskonstruktion, um in der konkreten Form der Verfassung zu gipfeln.108 Mit der Verfassung deutet sich ein Weg an, den Dualismus von Individuum und einer auf Recht und Zwang beruhenden politischen Einheit zu überwinden. Jenseits des Gegensatzes von Individuen und staatlicher Institution wird
eine Gliederung in Stände sichtbar, die einen flexiblen Gebrauch der Zentralgewalt der Regierung erfordert: Gesetzgebung, Verwaltung und Besteuerung müssen sich anscheinend der konkreten Unterschiedlichkeit der sozialen Kreise anpassen, ganz im Gegensatz zur Rigidität einer auf der Gleichheit der Menschen
beruhenden Konzeption.
Schon der in der Jenaer Zeit formulierte Ansatz erblickt in der Verfassung
jenes gegliederte Ganze, in dem die Vielzahl der Individuen und die Einheit
des Staates keine isolierbaren Extreme sind: Sie sind nicht als solche real, sondern nur im Zusammenhang der Beziehungen, in denen die sozialen Kreise als
notwendige Gliederung des Ganzen erscheinen. Auûerhalb dieser Gliederungen
haben die Individuen keine Realität, ebenso wenig aber der Staat, der nicht als
solcher existiert, sondern seine Substanz erst aus der Betätigung der Subjektivität der Individuen gewinnt, im Rahmen der modernen wirtschaftlichen und
108 Auch wenn hier der Terminus Konstitution verwendet wird, bezieht sich Hegel
nicht auf die formelle Konstitution, auf die Verfassungsurkunde, sondern auf die konkrete Form, in der Gesellschaft und Staat verfasst sind, also auf das vom Terminus
Verfassung Bezeichnete, wenn man von der später in Deutschland üblichen Abgrenzung der beiden Begriffe ausgeht. Die Verfassung spielt eine grundlegende Rolle in
der Rechtslehre, wo die Aufhebung des Dualismus von bürgerlicher Gesellschaft und
Staat gezeigt wird.
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität
117
rechtlichen Systeme und der konkreten Differenzierung der sozialen Kreise.
Dies führt zur Überwindung des Begriffs der Repräsentation, wie er sich im
Naturrecht offenbart, aber auch des französischen Verfassungsmodells; für diesen Begriff sind nämlich zwei Seiten konstitutiv: einerseits die Individuen, die
in unterschiedsloser Weise ihre Stimme abgeben, andererseits der repräsentative
Körper, der das Gesetz bestimmt und die einheitliche Herrschaft der Nation
ausübt.
Eine erste bemerkenswerte Kritik an der Repräsentation französischen Typs
wird bereits in der Frühschrift Die Verfassung Deutschlands deutlich, wo Hegel,
abweichend von seiner späteren Überzeugung, eine Kontinuität von feudaler
und moderner Repräsentation erblickt. Der Grund liegt neben der den Ständen
beigemessenen Bedeutung zu einem Gutteil in der Tatsache, dass Hegel
Deutschland noch im Rahmen der Reichsidee und der territorialen Stände sieht.
Schon diese frühe Reflexion über die politische Repräsentation ist allerdings
bedeutsam, denn sie bezieht den Begriff nicht auf die Bildung der politischen
Einheit, sondern auf die bürgerliche Freiheit, die sich durch die Landstände gegenüber der Einheit der Regierung behauptet. Es handelt sich also nicht darum,
die politische Einheit, sondern die Pluralität der Stände und ihre Freiheit bzw.
Selbstorganisation zu repräsentieren. Je stärker und konzentrierter die Einheitsgewalt des Staates ist, umso mehr Raum kann der Autonomie der Landstände
und der Freiheit der Bürger eingeräumt werden. Diese Autonomie, die sich
durch ständische Repräsentation artikuliert, bedeutet eine Einbeziehung der
Teile und Körper, ihre Teilnahme an den allgemeinen Angelegenheiten.109
In der berühmten Schrift über die Landstände Württembergs von 1817 wechselt Hegel seine Perspektive und stellt, nachdem er das Reich als Bezugsrahmen
aufgegeben hat, seine Überlegungen entschiedener in den Zusammenhang des
modernen Staates. Er postuliert nicht länger die Kontinuität von feudaler und
moderner Repräsentation und widerspricht den Forderungen der Ständeversammlung, welche die Funktion der Repräsentation für Einheit des modernen
Staates nicht begriffen hatte. Allerdings führt dies nicht zur Billigung des französischen Modells der Repräsentation; dieses bleibt vielmehr Gegenstand der
hegelschen Polemik, ebenso wie das gute alte Recht und die feudale Auffassung von Repräsentation, die eine institutionelle Duplizität von Ständen und
Fürsten zulassen kann, da ein vermittelndes Element in Gestalt des Kaisers vorgesehen ist. Auch in dieser Schrift fällt der Repräsentation nicht die Aufgabe
zu, dem Staat Form zu geben, wie es die Logik der naturrechtlichen Systeme
vorsah, vielmehr soll sie ihn ergänzen durch Freiheit und Teilnahme der Bür109 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: ¹Die Verfassung Deutschlandsª, in: ders.:
Politische Schriften, Frankfurt am Main 1966, S. 43. Zu Hegels Sicht der politischen
Repräsentation vgl. Duso, Giuseppe: Der Begriff der Repräsentation bei Hegel und
das moderne Problem der politischen Einheit, Baden-Baden 1990.
118
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
ger. Dazu kann es aber nicht kommen, wenn die Bürger als solche, unterschiedslos, nämlich auf der Grundlage dessen, was Hegel demokratische Unförmlichkeit nennt, repräsentiert werden (einzige Unterschiede im Hinblick auf
die Wahl sind solche quantitativer Art: Zensus und Alter).
Schon in der Phänomenologie hatte Hegel die Notwendigkeit der destruktiven Abstraktion des Begriffs der absoluten Freiheit gezeigt: Schlagartig aufgetreten in der Französischen Revolution, räumt er jene partikularistischen Differenzierungen aus dem Weg, die jede Funktion verloren hatten und der Wirklichkeit und den Bedürfnissen der Zeit nicht mehr angemessen waren.110 Aber im
selben Zusammenhang hatte Hegel die Notwendigkeit aufgezeigt, dass nach
diesem Zerstörungswerk neue Gliederungen des gesellschaftlichen und staatlichen Ganzen hervortreten: die staatlichen Gewalten und die ¹Stände der Arbeitenª. Es sind diese verschiedenen Kreise, welche die bürgerliche Ordnung
kennzeichnen, durch sie also muss sich der Bürger artikulieren, jenseits der
französischen Abstraktionen. Wenn die Wirklichkeit des Bürgers in seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppierung besteht, also darin, dass er eine bestimmte Arbeit, ein Amt hat, von dem seine Bildung, seine Kultur und seine Beziehung
zum Staat abhängen, dann muss die Repräsentation auf diese konkrete und differenzierte Realität bezogen sein111: Die Bürger sind nicht abstrakt und unterschiedslos zu repräsentieren, sondern in Bezug auf die Gruppen, die ihre soziale
Wirklichkeit prägen. Eben diese Auffassung von Repräsentation entwickelt Hegel in seiner Rechtslehre innerhalb der Konzeption der Sittlichkeit.
Dem Misstrauen, das lange Zeit und von diversen Seiten der Bedeutung der
Sittlichkeit im hegelschen System, besonders im Bereich des objektiven Geistes,
bezeigt wurde, ist entgegenzuhalten, dass gerade sie zweierlei verständlich
macht: Hegels Auffassung von der Realität des modernen Staates und die Bedeutung seiner Aufhebung der Naturrechtslehren. Durch die Sittlichkeit begreift
er (im Sinne von: in der Bewegung des Gedankens bewahren) den Standpunkt
des modernen Rechts ebenso wie die Notwendigkeit, das Selbstbewusstsein des
Einzelnen und seine Subjektivität in der Sphäre der Moralität zu setzen. Die
beiden Bereiche werden nicht abgelehnt, sondern in ihrer Wahrheit und Wirklichkeit nur in der konkreten Form der Sittlichkeit begriffen. Und auf der Ebene
der Sittlichkeit, nicht auf derjenigen des Rechts im engeren Sinne, kann und
muss nun der Staat gedacht werden; aber angesichts der genannten Wirklichkeit
kann der Staat nicht länger als unilaterales Element gesetzt werden, das der
Subjektivität der Individuen entgegengesetzt ist, ebenso wie sich der Begriff
des Individuums, im Sinne seiner Autonomie, als nicht begreifbar und wirklich
110 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, hrsg. von
Johannes Hoffmeister, Hamburg 1952, 6. Aufl., S. 415±416.
111 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: ¹Verhandlungen in der Versammlung der
Landstände des Königsreich Württemberg im Jahre 1815 und 1816ª, in: ders., Politische Schriften, S. 160.
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität
119
erweist. Eine Berücksichtigung der Sittlichkeit in ihrer logischen Struktur entzieht also sowohl jenen Hegel-Interpretationen den Boden, die ihn auf eine etatistische Konzeption reduzieren, als auch jene, die bei Hegel einseitig die Individualrechte in der Art des modernen Naturrechts und des nachfolgenden Liberalismus fixieren.112
Im Einklang mit dem Verständnis der Moderne als Epoche der Subjektivität
rückt die Freiheit in den Mittelpunkt der Philosophie des Geistes, und Sittlichkeit verkörpert die Ebene der verwirklichten Freiheit: Die moderne Sittlichkeit
ist gekennzeichnet von der Entfaltung der Freiheit, auch vom einzelnen Subjekt
her gesehen. Wenn die Sittlichkeit im Staat (nicht als Institution, sondern als
Kreis von Kreisen) kulminiert, dann heiût dies, dass die moderne politische
Form nicht anders verständlich ist als durch die Entfaltung der Freiheit, auch
im Hinblick auf die Bestimmung des Bewussteins und das Handeln der einzelnen Individuen. Relevant ist also nicht nur der Gesichtspunkt des An-sich, sondern auch der des Für-sich, der Reflexion, der Bewusstheit: in dieser Dimension entfaltet sich die formale Freiheit, welche die bewusste Teilnahme des
Einzelnen am Leben des Ganzen voraussetzt. Die Konzeption des Politischen
als bloûe Macht, ohne die Subjektivität, die sich im Aspekt des Für-sich äuûert,
begreift den modernen Staat nicht in seiner Eigentümlichkeit, sondern kann sich
bestenfalls auf das Politische anderer Epochen beziehen. Das Reich der realisierten Freiheit (die Entwicklungsstufe ist die des objektiven, nicht die des absoluten Geistes, also nicht die letzte und umfassendste des hegelschen Systems)
heiût also nicht, dass wir uns alle empirisch in einer Situation vollkommener
Freiheit befinden113, sondern dass sich der moderne Staat im Vergleich zu anderen politischen ¾uûerungsformen wie der polis, den antiken Reichen oder dem
Feudalismus durch die Entfaltung der Subjektivität und der Freiheit der Individuen auszeichnet: konkrete ¾uûerung, wie gesagt, durch die Kreise, welche die
Gesellschaft kennzeichnen. Hier liegen das Problem und die Aufgaben eines
Staates, der auf der Höhe der geschichtlichen Epoche steht.
Wir können hier nicht näher auf die hegelsche Auffassung von Freiheit eingehen.114 Es mag der Hinweis genügen, dass sie nicht auf die Idee der Autono112 Zur hegelschen Moralität und zur Rolle des Handelns der Individuen vgl. Alessio, Manuela: Azione ed eticità in Hegel. Saggio sulla Filosofia del diritto, Milano
1996.
113 In seiner ¹Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
(1830)ª (Hamburg 1959) zeigt Hegel in § 6 (Anm.), wie einfach der Verstand zu begreifen vermag, welche Dinge in einer gegebenen Situation nicht in Ordnung sind: Er
bestreitet nicht die Plausibilität und Nützlichkeit dieser Kritik, erklärt aber, dass die
Aufgabe der Philosophie eine andere ist, nämlich das Verständnis des Wirklichen im
Sinne der vernünftigen Struktur des Staates.
114 Einige Ausführungen dazu finden sich in Duso, Giuseppe: ¹La libertà politica
nella Rechtsphilosophie hegelianaª, in: Duso, Giuseppe/Rametta, Gaetano (Hrsg.): La
libertà nella filosofia classica tedesca, Milano 2000, S. 171±185.
120
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
mie und der Unabhängigkeit des individuellen Willens verengt werden kann.
Gewiss wird der Gesichtspunkt des Subjekts, das handelt und den Wert seines
Selbstbewusstseins behauptet, anerkannt, gewinnt jedoch eine Bedeutung, die
sich von den Konstruktionen des Naturrechts und den zeitgenössischen Konzeptionen der Moralität recht stark unterscheidet. Der Gesichtspunkt der Moralität,
als Gesichtspunkt des handelnden Subjekts, bleibt bis hinauf zu den höchsten
Stufen der ethischen Sphäre erhalten (auch auf derjenigen des Monarchen, ist er
doch auch ein handelndes Individuum), hat aber nicht seine Wahrheit und
Wirklichkeit in sich selbst. Diese zeigt sich erst im Netz der Verhältnisse, die
sich in der ethischen Sphäre offenbaren. Der Gesichtspunkt des einzelnen Subjekts im Sinne von Gewissheit des Selbstbewusstseins und Freiheit der Entscheidung sind unabdingbar, berücksichtigt aber nicht die Wirklichkeit, in der
das Handeln sich vollzieht, also auch nicht die Wirklichkeit des Handelns
selbst: Dieser Gesichtspunkt ist einseitig, er muss begriffen werden, und in diesem Begreifen offenbart er eine Wahrheit, die er selbst nicht zum Ausdruck
bringt.
Freiheit bedeutet also nicht Abschottung der Sphäre des Individuums in seiner Autonomie, sondern vielmehr Beschränkung ± und zwar nicht im Sinne
der Verweigerung einer attraktiveren, absoluten Freiheit, sondern gemäû der
Bestimmung, dass allein Befreiung erreichbar ist, also eine Freiheit, die nicht
abstrakt bleibt, sondern in der empirischen Realität verwirklicht wird. Auf diesem Weg versucht Hegel jenen Widerspruch zu überwinden, der seiner Auffassung nach die naturrechtliche Konzeption untergräbt und darin liegt, dass das
Ideal der Freiheit als vollkommene Autonomie und Unabhängigkeit des Willens dazu verurteilt ist, stets von der wirklichen Gesellschaft negiert zu werden, die eine komplexe Reihe von Verhältnissen umfasst, die das Handeln des
Einzelnen einschränken. Erst in dieser Beschränkung gewinnt der Mensch
seine Freiheit.
Das Individuum mit seinem Handeln bleibt zentral bei Hegel, löst sich aber
nicht in seiner Absolutheit auf, also in seiner Funktion als Fundament der Gesellschaft und des Staates. Nur im Rahmen der konkreten Verhältnisse, der Familie, der Arbeit der Korporationen, des Staates gewinnt es Wirklichkeit und im
Rahmen dieser Bedingungen äuûert es sich politisch. Aber wenn das Individuum kein autonomes Moment ist, es sei denn als Ergebnis einer Abstraktion
des Verstandes, dann ist es auch nicht der Staat als Institution. Der Staat steht
dem subjektiven Handeln der Einzelnen nicht gegenüber, sondern hat seine
Substanz in eben diesem Handeln, sei es auf gesellschaftlicher wie politischer
Ebene. Es ist der Begriff der Verfassung, der diese Vielschichtigkeit der Beziehungen und somit die Irrealität eines Dualismus zeigt, mit dem die Naturrechtslehre den politischen Körper und seine Herrschaft von der Vielzahl der Bürger
abgrenzt, die zu Untertanen, zu passiven, dem Gemeinwillen in Form des Gesetzes unterworfenen Subjekten geworden sind.
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität
121
In der Konkretheit der Verfassung ist staatliche Herrschaft untrennbar gebunden an die soziale Ordnung und den Ausdruck der individuellen Subjektivität
(die auf der sozialen Ebene gegeben ist, aber zugleich auf der politischen). Eine
solche Realität führt zur Überwindung des auf Hobbes zurückgehenden Begriffs
der Repräsentation, der seinerseits einen Souveränitätsbegriff hervorgebracht
hat, bei dem alle Bürger als Urheber der Handlungen des Repräsentanten gelten
und durch seine Person den Willen und das öffentliche Handeln des Volkes zum
Ausdruck bringen. In diesem Rahmen lässt sich die Unterwerfung der Bürger
kaum mit der Artikulation der politischen Subjektivität vereinbaren: Ebenso
kann der Begriff Teilnahme kaum seine volle Bedeutung entfalten, denn der
Wille und die Handlungen, in denen sich die dem Volk zustehende Souveränität
ausdrückt, sind ± auch wenn sie sich der Vermittlung des Repräsentanten bedienen ± bereits Wille und Handlungen aller, insofern sich alle Bürger (aufgrund
des Wesens der politischen Form) zu Autoren dessen, was der Repräsentant
macht, erklärt haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es weder notwendig
noch möglich, dass der Bürger an einer Herrschaft Anteil hat, die auf dem
Wege der repräsentativen Vermittlung bereits seine eigene ist, auch wenn er
nicht imstand ist, sie inhaltlich zu bestimmen.
Bei Hegel drückt sich die Einheit des Staates im Monarchen und seinem Akt
der Entscheidung aus. Aber der Monarch ist kein Repräsentant, artikuliert nicht
den Gemeinwillen; dieser entwickelt sich vielmehr im konkreten Binnenleben
der Verfassung, ist also kein einheitlicher Wille, der dem Willen der Einzelnen
entgegengesetzt ist, so wie der öffentliche Wille den privaten Willen, sondern
liegt vielmehr in dem Geflecht aus Willen, Interessen, Kultur und Anschauungen, welche die Zivilgesellschaft selbst kennzeichnen ± eine Gesellschaft, die
aus Kreisen besteht und nicht auf ein abstraktes System von Bedürfnissen und
Arbeit reduziert werden kann, auch wenn letztere im System des objektiven
Geistes eine wichtige Rolle spielen. Repräsentation ist die Ausdrucksform des
Seins der Kreise, vor allem der ¹bewegliche[n] Seite der bürgerlichen Gesellschaftª, der an Arbeit und Markt gebundenen. Repräsentation ist also nicht die
Form, in der sich die Einheit des politischen Willens bzw. das Volk als einheitliche, den Individuen entgegen gesetzte Gröûe ausdrückt, sondern steht dafür,
wie sich die Teile der Gesellschaft artikulieren und so an der Bekundung und
Vermittlung des Partikulären mitwirken, wobei das Partikuläre in den komplexen Zusammenhang der Teile und Standpunkte eingebettet ist.
Repräsentation ist also nicht, wie bei den Naturrechtslehren, der einzige Weg,
um dem kollektiven Subjekt Form zu geben, sondern sie ist Mittel zur politischen Artikulation der Teile der Gesellschaft und zur Verwirklichung einer modernen Errungenschaft: der formalen Freiheit, d.h. des Bewusstseins des Einzelnen, an der öffentlichen Sache und somit am Gemeinwillen teilzuhaben, dem er
zugleich unterworfen ist. Nur auf diese Weise kann sich die subjektive Freiheit
ausdrücken, und nicht nach Art der Naturrechtslehren, in denen der Einzelne ±
122
II. Entstehung und Logik der modernen Repräsentation
wie gesehen ± zwar als absolutes Fundament betrachtet wird, jedoch einem als
fremd empfundenen Willen unterworfen ist. So gesehen gilt: ¹Der konkrete
Staat ist das in seine besonderen Kreise gegliederte Ganze; das Mitglied des
Staates ist ein Mitglied eines solchen Standes; nur in dieser seiner objektiven
Bestimmung kann es im Staate in Betracht kommen.ª115 Der politische Charakter des Einzelnen liegt also nicht in jener Willensäuûerung, die auf dem Wege
der Wahl den Herrschaft ausübenden Körper begründet116, sondern zeigt sich
im konkreten Eingebundensein in Beziehungen, im Sich-¾uûern durch die
Kreise der Gesellschaft. Repräsentation ist also zugleich eine Ausdrucksweise
der in der Gesellschaft präsenten Teile und Interessen und das Instrument der ±
mittelbaren und differenzierten ± Teilnahme der einzelnen Bürger an den Angelegenheiten des Staates.
Im Staat der Rechtslehre ist keiner der zu Hegels Zeit empirisch vorfindlichen Staaten direkt wieder zu erkennen; ebenso wenig hat seine Auffassung
von Verfassung und politischer Repräsentation Niederschlag in den modernen
Verfassungen gefunden: Die Verfassungen der Massendemokratien sind nach
einem Modell aufgebaut, das den unterschiedslosen Wahlakt des Einzelnen zur
Grundlage der Ermächtigung des als Einheit gefassten repräsentativen Körpers
macht. Und gleichwohl ± trotz der fehlenden Übereinstimmung mit der empirischen Wirklichkeit, oder vielleicht gerade deshalb ± erfasst Hegel die Wirklichkeit des Staates, d.h. das Problem, das sich in der Epoche des modernen Staates
stellt. Die Herausforderung liegt in der Vereinbarkeit des Elements der Herrschaft, des Gesetzes, der einheitlichen Entscheidung mit der Artikulation der
Subjektivität und Teilhabe der Bürger: Es ist das Problem der Gliederung, der
Pluralität, der Unterschiede, der Teilhabe, das kaum lösbar ist im Rahmen der
Vorstellung, Repräsentation bedeute, die Individuen ermächtigten den repräsentativen Körper durch Wahlen zu einem als Ausdruck des Volkswillens gedachten Handeln. Es spricht für das tiefe Verständnis der Problematik des modernen
Staats bei Hegel, dass sich ein kompetenter und scharfsinniger Verfassungsjurist
bei der Analyse der Widersprüche der Repräsentation in der modernen Demokratie fragt, ob man nicht lediglich zur Repräsentation nach hegelschem Muster
zurückkehren müsse, um die pluralistische Dimension zu begreifen.117 Nun
115 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg.
v. Johannes Hoffmeister, Hamburg 1955, 4. Aufl., § 308 Anm., S. 268.
116 Hegels Kritik an der Wahl hängt eben mit dem Problem der politischen Teilhabe und der Artikulation der formalen Freiheit zusammen. Auch bei der Bestimmung
der Repräsentanten der Kreise ist das Element der Wahl zweitrangig im Vergleich zur
Beziehung, die Repräsentanten und Repräsentierte innerhalb derselben, bestimmten
Realität verbindet.
117 Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik
der heutigen Demokratiediskussion, Hannover 1983 (Schriftenreihe der niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung: Grundfragen der Demokratie; 4), zuvor
in: Müller, Georg u. a. (Hrsg.): Staatsorganisation und Staatsfunktionen im Wandel.
Festschrift für K. Eichenberger, Basel 1982, S. 301±328.
13. Repräsentation zwischen Einheit und Komplexität
123
heiût das gewiss nicht, dass man bei Hegel ein Modell findet, um die komplexen Probleme einer Gegenwart zu lösen, in der selbst die Begrifflichkeit des
souveränen Staats in die Krise gerät, aber zweifellos wirft das hegelsche Denken in einer Zeit, als die nachrevolutionäre Geschichte der Verfassungen anhebt,
Licht auf eine Problematik, die konstitutiv für die moderne politische Form,
d.h. für den Staat ist.
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form
bei Max Weber
1. ¹Herrschaftª im modernen Sinne von
¹politischer Machtª
Will man Bedeutung und Fruchtbarkeit der geistigen Leistung Webers angemessen würdigen, dann sind in methodischer Hinsicht vor allem Rolle und Erkenntniswert des Idealtyps zu beachten, insbesondere aber, so scheint mir, das
Verhältnis des Idealtyps zur Geschichte bzw. die Frage seiner eigenen Geschichtlichkeit.1 Zweifellos können wir davon ausgehen, dass der Idealtyp keinen ontologischen Status hat und sich nicht als universeller Wert konstituiert,
sich dabei zugleich jedem objektivistischen Anspruch entzieht, insofern er auf
keinerlei objektive Wirklichkeit oder reale historische Situation verweist, also
im etymologischen Wortsinn ¹Utopieª ist (da es ausgeschlossen ist, dass er einen topos, einen Ort in der Wirklichkeit hat2); hingegen erscheint es schwieriger, sein spezifisches Verhältnis zur Historizität zu begreifen. Denn dazu genügt
wohl kaum der Hinweis, dass die Idealtypen gegenüber der historischen Realität
eine hermeneutische Aufgabe erfüllen, dass die Wirklichkeit durch diese Begrifflichkeit erhellt werden und Sinn bekommen kann ± trotz oder vielmehr aufgrund der dem Idealtyp eigenen Einseitigkeit der Betrachtung; ebenso wenig
scheint die Lösung in der Einsicht zu liegen, dass die Idealtypen selbst einer
Abstraktion entspringen, die zweifellos im konkreten historischen Material ihren Ausgangspunkt hat.
Thematisiert werden muss eben das Verfahren der begrifflichen Abstraktion,
das den Eindruck erweckt, man habe ideale Konstellationen von Begriffen mit
einer kohärenten und geschlossenen inneren Logik vor sich, die sich durch
die Wesensmerkmale der Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit auszeichnen.3
1 Diese Frage wurde mit groûer Klarheit aufgeworfen von: Hintze, Otto: ¹Max Webers Soziologieª, in: ders.: Gesammelte Abhandlungen zuf Soziologie, Politik und
Theorie der Geschichte, Bd. 2, Soziologie und Geschichte, Göttingen 1964, S. 135±
147, und von: Brunner, Otto: ¹Bemerkungen zu den Begriffen ¸Herrschaft und ¸Legitimitätª, in: ders.: Neue Wege, S. 64±79. Zur Beziehung zwischen Hintze und Weber vgl. insbes.: Schiera, Pierangelo: ¹Max Weber e Otto Hintze. Storia e sociologia o
dottrina della ragion di Stato?ª, in: Duso, Giuseppe (Hrsg.): Weber: razionalità e politica, Venezia 1980, S. 77±89 und ders.: Otto Hintze, Bari 1974.
2 Vgl. Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1922 (4. Aufl. 1973), S. 191.
1. ¹Herrschaftª im modernen Sinne von ¹politischer Machtª
125
Eben diese Merkmale sind es, die anscheinend die Soziologie als Wissenschaft
charakterisieren und eine Fortsetzung des Weberschen Denkens in der Soziologie als Fachdisziplin ermöglicht haben. Die Widerspruchsfreiheit erscheint gebunden an das Wissenschaftsideal, das Weber erkennen lässt.4 Offen bleibt
aber, ob der so formulierte methodologische Ansatz Webers die logische Struktur seiner konkreten wissenschaftlichen Arbeit tatsächlich in ihrer Gänze beschreibt, oder ob nicht gerade die hermeneutische Valenz seiner Idealtypen diesen rationalistischen Rahmen sprengt und zu einer komplexeren Begriffsstruktur
führt. Die Infragestellung der Widerspruchsfreiheit der Idealtypen wäre gleichbedeutend mit der Erfassung der ihnen innewohnenden Historizität. Dann läge
kein begriffliches Instrumentarium mit einer autonomen Logik vor, das auf das
Verständnis unterschiedlicher Realitäten anwendbar wäre, sondern die Begriffe
würden sich als historisch bestimmte herausstellen, die nur in ganz bestimmten
Kontexten hermeneutisch wirksam wären.
Es ist hingewiesen worden auf die mögliche Unterscheidung zwischen einem
stärker an geschichtlichen Studien orientierten Teil der typologischen Überlegungen Webers, in denen der Idealtyp die Rolle des hermeneutischen Instruments übernimmt, und einem anderen Teil, in dem angeblich eher eine Verselbständigung der Typen unabhängig von möglichen Anwendungskontexten hervortritt.5 Tatsache ist, dass sich in Wirtschaft und Gesellschaft die begrifflichen
und idealtypischen Bestimmungen häufig als rein logische präsentieren, als
Werkzeuge zur Untersuchung der empirischen Realität ohne durchgängiges Bewusstsein ihrer inneren Geschichtlichkeit. Eben aus diesem Grund, so scheint es
zuweilen, werden historisch ferne Realitäten, die ganz unterschiedlichen Zusammenhängen angehören, mit einem Begriffsapparat untersucht, der in enger Beziehung zur Wirklichkeit und Theoriebildung seiner Entstehungszeit steht.6 Webers Schrift selbst legt den verborgenen Zusammenhang der verwendeten Kategorien mit der Moderne, genauer: mit der sowohl historisch wie theoretisch
gesehen epochalen Übergangszeit der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts
nahe.
Mein Bemühen geht dahin, vor dem Hintergrund der hier aufgeworfenen Fragen eingehender Webers Beschreibung der Herrschaftstypen zu untersuchen.
Dabei wird sich heraussstellen, dass diese Typen, nicht einmal in rein logischer
3 Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von Johannes Winckelmann,
5. Aufl. 1976, Tübingen, Bd. 1, S. 9±10 (WuG).
4 Zur Beziehung zwischen wissenschaftlichem Verfahren und Widerspruchsfreiheit
vgl. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 15.
5 Mommsen, Wolfgang J.: The Age of Bureaucracy. Perspectives on the Political
Sociology of Max Weber, Oxford 1974, vgl. Schiera, Max Weber e Otto Hintze, S. 81.
6 Hintze unterstreicht das vorrangige Interesse Webers an der Gegenwart, die zum
Ausgangspunkt für die Analyse der Vergangenheit wird. (Hintze, Max Webers Soziologie, S. 144).
126
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
Hinsicht, als voneinander unabhängige konzipiert werden können; vielmehr weisen sie einen starken inneren Hang zur gegenseitigen Verknüpfung auf, und dies
nicht nur in einer konkreten historischen Situation, wo sie, wie Weber ausdrücklich und wiederholt anmerkt, häufig vermischt auftreten, sondern schon bei der
bloûen theoretischen Beschreibung, in der sie miteinander verknüpft auftreten,
weil sie alle gemeinsam notwendig sind, um jene Herrschaft zu definieren, deren Formen sie angeblich darstellen. Der Grund ist vermutlich, dass Webers Begriffsarbeit durch seine Zeit beeinflusst ist, insbesondere durch das Problem des
Staates, der in die Krise geraten und ± so könnte man sagen ± am Schlusspunkt
einer langen Entwicklung angelangt ist. Geschichte und Krise des modernen
Staates und der dabei entstandenen Kategorien spielen für die Definition der
Herrschaftstypen vermutlich eine gröûere Rolle, als gemeinhin angenommen
wird und als Weber selbst zugeben würde; Webers Idealtypen sind miteinander
verknüpft, und zwar nicht nur in Bezug auf die Krise des Staates, sondern ± wie
ich weiter unten noch zeigen werden ± schon in der Theorie selbst, die der
modernen Staatslehre zugrunde liegt.
Wenn sich im Spätwerk Webers eine besonders ausgeprägte Reflexion über
die Verknüpfung der Herrschaftstypen, vor allem der legal-rationalen mit der
charismatischen Herrschaft in der Figur der plebiszitären Demokratie, beobachten lässt, so liegt dies weder bloû an der Begegnung mit einer bestimmten
empirischen Situation noch an der Faszination, die von der Verbindung zweier
Idealtypen ausgehen mag7, sondern scheint in der logischen Formulierung der
Herrschaftstypen selbst zu gründen, und zwar nicht, weil die logische Abstraktion das Verständnis der historischen Realität ermöglichen soll, sondern weil die
Herrschaftsformen als Idealtypen eben zugleich mit derjenigen Realität in Erscheinung treten, die eine epochale Phase des Staates als politischer Form darstellt.8
Noch weiter gehend lässt sich möglicherweise behaupten ± aber das erfordert
eine gründliche Untersuchung nicht nur des Weber'schen Denkens, sondern vor
allem des Ursprungs der Theorie des modernen Staates ±, dass selbst der Be7 Vgl. Bobbio, Norberto: ¹La teoria dello Stato e del potereª, und Cavalli, Luciano:
¹Il carisma come potenza rivoluzionariaª, beide in: Rossi, Pietro (Hrsg.): Max Weber
e l'analisi del mondo moderno, Torino 1981, bes. S. 229 und 177 ff.
8 Die Erarbeitung der drei Herrschaftstypen steht in einem einheitlichen kulturellen
Zusammenhang: dem Kontext der Moderne; nur hier sind sie sinnvoll und erhellen
gemeinsam den Begriff der Herrschaft als politischer Macht; vgl. Hintze, Max Webers
Soziologie, S. 145, wo es heiût, diese Situation könne besser durch eine Beschreibung
der Entwicklung (etwa in der ¹Verfassungsgeschichteª) begriffen werden als durch die
Abstraktionen der soziologischen Wissenschaft. Webers Neigung zu einem Geschichtsverständnis, das über die Erkenntnis besonderer Prozesse hinausgeht und imstande ist,
das Material nach übergeordneten Gesichtspunkten zu gliedern, ist Gegenstand von:
Tenbruck, Friedrich H.: ¹Max Weber und Eduard Meyerª, in: Mommsen, Wolfgang J./
Schwentker, Wolfgang (Hrsg.): Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988,
337±379.
1. ¹Herrschaftª im modernen Sinne von ¹politischer Machtª
127
griff der Herrschaft, verstanden als Beziehung von Befehl-Gehorsam, im Sinne
legitimer Herrschaft, die auf dem Glauben der Beherrschten an ihre Geltung
beruht, kein abstrakter, auf beliebige historische Epochen anwendbarer Begriff
ist, sondern seinen Anwendungsbereich innerhalb der Moderne hat, als die Idee
des Gewaltmonopols hervortritt und sich, eben deshalb, auf theoretischer Ebene
das Problem der Legitimität stellt. Als legitime verliert Herrschaft tendenziell
den Charakter der Gewalt des Menschen über den Menschen, weil sie gewollt
und anerkannt ist: die Autorität beruht auf einem Prozess der Autorisierung, der
Ermächtigung, der von eben jenen ausgeht, die der Herrschaft unterworfen sind.
Mit anderen Worten: Erst mit der Herausbildung der neuzeitlichen naturrechtlichen Auffassung des politischen Körpers, d.h. mit der Entstehung des neuen
Begriffs der Souveränität und der Vorstellung, dass sich Herrschaft durch ein
Gewaltmonopol und die zuvor undenkbare Eigenschaft der Unwiderstehlichkeit
auszeichnet, stellt sich das Problem der Legitimität als rationale Begründung
der ungeteilten Herrschaft aus dem Willen derjenigen, die ihr unterworfen, aber
zugleich Urheber sind, also trotz der Unterwerfung die Herrschaft als ihre eigene Herrschaft erleben.9 Es lässt sich also die Hypothese aufstellen, dass der
Begriff der legitimen Herrschaft zu Unrecht auf verschiedenste historische und
gesellschaftliche Zustände angewandt wird und schon in seiner Formulierung
von einem viel engeren Bezugsrahmen bedingt ist, nämlich vom modernen
Staat, von jenem politischen Verband, der nach Weber nur einen Einzelfall darstellt, aber bei der Diskussion der Herrschaftstypen in Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder als Beispiel genannt wird. Diese wären dann nicht, wie
Weber meint, logische Werkzeuge, mit denen sich die verschiedenen ¾uûerungsformen von Herrschaft im Lauf der Geschichte bestimmen lassen ± wobei
das mit dem Begriff Herrschaft Bezeichnete als universelle, dem Menschen eigentümliche und deshalb in jeder Epoche nachweisbare Erscheinung gilt ± sondern vielmehr unterschiedliche Aspekte des Begriffs der Herrschaft, der so, wie
Weber ihn definiert, ein gänzlich moderner ist.
Um einen Beitrag in der angegebenen Richtung zu leisten, soll zunächst untersucht werden, auf welche Weise die Herrschaftstypen, allen voran der legalrationale und der charismatische Typ, die in einem ausgeprägten Gegensatz zu
stehen scheinen, gleichwohl zur wechselseitigen Implikation neigen; eine inte9 Vgl. den wertvollen Hinweis von: Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen,
S. 74 ff. und die knappe Zusammenfassung in seinem Aufsatz zum Feudalismus: ¹Es
darf hier darauf hingewiesen werden, daû diese Unterscheidungen erst nach dem
Durchbruch zur ¸modernen Welt getroffen werden konnten. Hier hat das Phänomen
¸Herrschaft einen grundsätzlichen Wandel erfahren.ª (cfr. Brunner, Otto: ¹Feudalismusª, in: ders., Neue Wege, S. 128±159, bes. S. 155). Eine kritische Diskussion der
Idealtypen ausgehend von einem begriffsgeschichtlichen Ansatz findet sich in: Duso,
La logica del potere, S. 31±32. Natürlich ist der Unterschied zwischen dem Weber'schen Herrschaftsbegriff und demjenigen der politischen Philosophie des 17. und
18. Jahrhunderts zu berücksichtigen, dazu weiter unten.
128
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
ressante Anregung Norberto Bobbios aufgreifend, soll zweitens ± ungeachtet des
je unterschiedlichen thematischen Zugriffs ± eine Beziehung zwischen Weber
und der modernen politischen Philosophie hergestellt werden; dabei rückt der
Begriff der Repräsentation in den Vordergrund und lässt erkennen, dass die Weber'sche Verknüpfung von Charisma und legal-rationaler Herrschaft bereits im
theoretischen Entwurf der Souveränität durch die neuzeitliche Naturrechtslehre
angelegt ist.
2. Der Gegensatz von rationaler und
charismatischer Herrschaft
Zweifellos tritt schon bei der ersten Annäherung an Webers Darstellung ± vor
allem in Wirtschaft und Gesellschaft ± die deutliche Unterscheidung, ja, der
regelrechte Gegensatz zwischen den beiden hier besprochenen Typen von Herrschaft zu Tage.10 Einige typische Merkmale seien kurz in Erinnerung gerufen.
Die legale Herrschaft mittels bürokratischen Verwaltungsstabs wird von Weber selbst explizit auf die moderne Welt bezogen: die Moderne liefert das typische Beispiel einer durch Rationalität gekennzeichneten Herrschaft. Ja, mehr
noch: die legale Herrschaft ist geradezu das Unterscheidungsmerkmal des modernen Staates sowie eines Groûteils der einschlägigen theoretischen Bemühungen.11 Jedes Recht ist hier ein ganzer Kosmos abstrakter Regeln, die als solche
in ihrer Formalität für gültig erachtet werden und durch die Rechtsprechung
eine unbestimmte Reihe von Einzelfällen regeln. Die Regeln können rational
festgelegt werden, sei es durch Vereinbarung oder Zwang, und gewinnen von
daher ihren Gültigkeitsanspruch. Das Verhältnis von Befehl und Gehorsam bezieht sich nicht in erster Linie auf die Person des Inhabers der legalen Herrschaft (der typische legale Herr), denn auch dieser ist der unpersönlichen
Rechtsordnung unterworfen. Dies gilt wohlgemerkt nicht nur für den Beamten,
sondern auch für jenen Inhaber der legalen Herrschaft, dessen Funktion auf
einer Wahl beruht (etwa das gewählte Staatsoberhaupt). Auf diese Weise
scheint die Gefahr der Herrschaft des Menschen über den Menschen grundsätz10 Allerdings ist auch die traditionelle Herrschaft von Bedeutung für unsere Fragestellung: Man denke nur an die Rolle von Sitte und Gewohnheit für die Festigung der
Beziehung von Befehl und Gehorsam, aber auch an die Tatsache, dass dieser Herrschaftstyp als typischer Begriff der Neuzeit erscheint, denn: ¹¾ltere Jahrhunderte
kannten nicht die ¸Tradition oder die ¸Geschichte als alleinigen Legitimitätsgrund,
sie lebten in einer Ordnung, die ihnen als ¸alt erschien, weil sie nach ihrer Überzeugung gut, richtig, war und daher in der Geschichte gegolten hatte, wie sie in der Gegenwart galt.ª (Brunner, Neue Wege, S. 156). Dennoch setzt sich die vorliegende Untersuchung vor allem mit der legalen und der charismatischen Herrschaft auseinander,
will sie doch lediglich einführen in die Frage der logischen Verflechtung der Idealtypen von Herrschaft als Merkmal einer Geschichtlichkeit, welche diese Typen und
somit den Begriff der legitimen Herrschaft selbst prägt.
11 Vgl. WuG, I, 124 ff.
2. Der Gegensatz von rationaler und charismatischer Herrschaft
129
lich gebannt zu sein: nicht einem Menschen, sondern dem Gesetz gehorcht
man.12
In dieser Herrschaftsform überwiegt also das objektive, unpersönliche Moment ± weniger im Hinblick auf die Grundlage der Legitimität, die in jedem
Fall in der subjektiven Überzeugung ± dem Glauben ± derjenigen liegt, die zu
gehorchen bereit sind13, als vielmehr im Hinblick auf den Inhalt dieses Glaubens, der eben nicht die subjektiven Qualitäten der menschlichen Person, sondern die objektiven und unpersönlichen Qualitäten der Regeln, denen die Inhaber der Herrschaft selbst unterworfen sind, betrifft. Diese Objektivität findet
ihren Niederschlag in der Ausdrucksform von Herrschaft im Alltag, nämlich in
dem für die Herrschaftsausübung grundlegenden Element des Verwaltungsapparates, und zwar in der typischen Form, die dieser in der modernen, westlichen
Rationalität annimmt: der Bürokratie.
Bei der Bestimmung legaler Herrschaft beschränkt sich Weber auf die Untersuchung der Bürokratie, während er den Typ des Leiters, d.h. des Inhabers der
Herrschaft, nicht zufällig ausklammert. Webers Analyse der grundlegenden
Merkmale der Bürokratie ist allzu bekannt, um hier näher darauf einzugehen; es
dürfte genügen, einige Grundzüge ins Gedächtnis zu rufen: Objektivität, Produktivität, Amtstreue, fachliche Qualifikation und Spezialisierung der Beamten,
die volle Hingabe an den Beruf des Beamten. Aufgrund dieser Merkmale erscheint die moderne Bürokratie zusammen mit der sie prägenden Rationalität
als unvermeidliche Herrschaft, die sich mit ihrer objektiven Kraft durchsetzt,
ähnlich wie sich in der Sphäre der Güterherstellung die Maschine durchsetzt.14
In der Definition der charismatischen Herrschaft treten indessen sogleich die
beiden Merkmale hervor, welche sie der legalen Herrschaft entgegensetzen:
¹¸Charisma soll eine als auûeralltäglich [. . .] geltende Qualität einer Persönlichkeit heiûenª15. Bestimmend sind einerseits das Element des Auûerordentlichen, des nicht Alltäglichen, der Ausnahmeerscheinung, andererseits die persönliche Subjektivität: die der Legitimität zugrunde liegende Überzeugung richtet sich in diesem Fall auf die Persönlichkeit, und die Beziehungen zwischen
12 Zur Problematik der Unzulänglichkeit des rational-formalen Kriteriums für die
Beschreibung der legalen Herrschaft vgl. Bobbio, La teoria dello stato, bes. S. 238±
242. Zu den Begriffen ¹materielles Gesetzª und ¹formelles Gesetzª, vgl. Winckelmann, Johannes: Legitimität und Legalität in Max Webers Herrschaftssoziologie, Tübingen 1952, S. 74 ff. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kritik an der (vermeintlichen) Natürlichkeit des Befehls des Menschen über den Menschen auf die moderne
Naturrechtslehre zurückgeht ± ein Umstand, dessen Weber sich offenbar bewusst ist.
13 ¹Aber überhaupt ist festzuhalten: Grundlage jeder Herrschaft, also jeder Fügsamkeit, ist ein Glaubenª (WuG, I, 153 ES, I, 260). Zu diesem Element des ¹Glaubensª
und gegen den Dualismus Glaube/Rationalität vgl. Giacomini, Bruna: Razionalizzazione e credenza nel pensiero di Max Weber, Rovigo 1985.
14 Vgl. WuG, I, 129 und WuG, II, 561.
15 WuG, I, 140.
9 Duso
130
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
Untertanen und Führer sowie zwischen diesem und seiner Anhängerschaft sind
persönlicher Art, beruhen auf dem Vertrauen in die Person.
Hier regiert nicht die Norm oder abstrakte Regel, sondern das Recht erscheint
als Befehl des Führers: es ist nicht kodifizierbar, sondern erneuert sich ständig,
getreu dem Grundsatz: ¹es steht geschrieben . . ., ich aber sage euch . . .ª. Ebenso
fremd ist dem Charisma die wirtschaftliche Sphäre, verstanden als ordentliche
Wirtschaft zur Deckung des Bedarfs und zur Erhaltung eines stabilen Apparats;
denn die charismatische Herrschaftsform verweigert jede Eingliederung ins Alltagsleben, ist von ihrem Wesen her auûeralltäglich. Aus demselben Grund ist
sie auch unverträglich mit einem dauerhaften, regulären Verwaltungsapparat,
der wesentlich ist für die Art, wie sich die Herrschaft alltäglich darstellt. Zwar
fehlt ein solcher Verwaltungsapparat nicht unbedingt, aber die Personen, aus
denen er sich zusammensetzt, seien es Schüler, Gefolgsleute oder Vertraute,
sind dem Führer stets durch eine subjektive persönliche Beziehung verbunden
und nicht durch die als Amt gefasste sachliche Beziehung. Das grundlegende
Element ist der Beruf, nicht im Sinne von ¹Erwerbstätigkeitª, sondern im emphatischen Sinne von ¹Berufungª, ¹Sendungª, ¹innerer Aufgabeª;16 an diese
innere Bereitschaft appelliert denn auch die wahre charismatische Erziehung,
die im Gegensatz zur Vermittlung von Fachwissen, wie es die moderne Bürokratie fordert, auf die Innerlichkeit der Person gerichtet ist.17
Die Quintessenz dieser knappen Zusammenfassung findet sich in der expliziten Aussage Webers: ¹Die charismatische Herrschaft ist, als das Auûeralltägliche, sowohl der rationalen, insbesondere der bureaukratischen, als der traditionalen, insbesondere der patriarchalen und patrimonialen oder ständischen,
schroff entgegengesetzt.ª18 Während die charismatische Herrschaft auûergewöhnlich, äuûerst labil und an den Moment der Herausbildung von Herrschaft
oder an Revolutions- oder Krisenzeiten gebunden ist, erscheint die rationale
Herrschaft geprägt durch Stabilität, durch eine Produktivität mechanischer Art
und durch ihre Dominanz in den Alltagsgeschäften. Die Logik dieser beiden
Herrschaftsformen scheint nicht nur gegensätzlich, sondern geradezu unvereinbar zu sein, weshalb man ± auch wenn die Herrschaftstypen nicht nacheinander
in linearer Entwicklungsfolge auftreten ± behaupten kann: ¹Allerdings aber ist
es das Schicksal des Charisma, mit zunehmender Entwicklung institutioneller
Dauergebilde zurückzutreten.ª 19
Die theoretische Situation wirkt bisher noch unproblematisch: Die Idealtypen
erscheinen als logisch eindeutig, als schlüssige Begriffskonstellationen und
brauchbare Werkzeuge für empirische Analysen, bei denen sie gemischt auftre16
17
18
19
WuG, I, 142.
Vgl. WuG, II, 677 (ES IV, 254).
WuG, I, 141 (ES, I, 240).
Vgl. WuG, II, 670 und auch II, 681.
3. Charisma und Dauer der Herrschaft
131
ten, eben weil sie als rein logische Typen keinen Sitz in der historisch-empirischen Wirklichkeit haben. Dagegen scheint mir, dass die Lage um einiges komplizierter und die Tendenz zur wechselseitigen Implikation der Idealtypen bereits in ihrer inneren Logik angelegt ist ± ein These, die weit über Webers Einsicht hinausgeht, es gebe in der Wirklichkeit fast nie reine Herrschaftstypen,
weil der zugrunde liegende Glaube ¹selten ganz eindeutigª sei.
3. Charisma und Dauer der Herrschaft
Es ist bezeichnend, dass Weber sich bei der Darstellung der charismatischen
Herrschaft genötigt sieht, das Thema der Verwandlung des Charismas zu behandeln, sowohl im Sinne eines Übergangs zur alltäglichen Herrschaft als auch im
Sinne der Verringerung des Merkmals der persönlichen Autorität, welche in der
charismatischen Herrschaft ihren höchsten Ausdruck findet. Wenn nämlich die
aufgrund des Charismas etablierte Herrschaftsbeziehung einen dauerhaften Charakter annimmt (Dauerbeziehung) und zur Bildung einer Gemeinde führt, dann
muss die charismatische Herrschaft, da sie nur in statu nascendi vorkommt, ihr
Wesen ändern und sich in eine traditionale oder rational-legale Herrschaft verwandeln.20
Die Verwandlung des Charismas betrifft nicht etwa die Mischformen, in denen es in einer konkreten historischen Situation auftritt, sondern stellt sich als
Problem schon bei der Untersuchung der reinen Herrschaftstypen und scheint
durch die Frage der Herrschaftsdauer bedingt zu sein. Das Merkmal der Dauer
impliziert die Stabilität der Form (im Zuge der Verwandlung treten ja formale
Elemente auf den Plan) sowie den Wegfall des flüchtigen Charakters, welcher
der charismatischen Herrschaft stets zuerkannt wird ± einer Herrschaftsform,
die offenbar nur in auûergewöhnlichen oder revolutionären Situationen vorkommt, d.h. letztlich nur im Moment des Ursprungs einer jeglichen Organisation von Herrschaft.21
Das Merkmal der Dauer ist übrigens kein nebensächliches Element von Herrschaft. Es ist bereits im Begriff des politischen Verbands enthalten, der nur insofern Herrschaftsverband ist, als sein Bestand und die Geltung seiner Ordnungen kontinuierlich mittels Einsatz oder Androhung physischer Gewalt garantiert
werden.22 Besonders augenfällig wird dies im Falle des Staates, welchen man
Vgl. WuG, I, 142±143.
Wiederholt spricht Weber vom Charisma, um die Entstehung politischer Gruppierungen zu erklären, auch bezogen auf die besonders wichtige Form der Parteien, die ±
so Weber ± ihren Ursprung fast ausnahmslos in der Gefolgschaft eines charismatischen Führers haben, auch wenn sie durch moderne Rationalität und eine dementsprechende Bürokratisierung gekennzeichnet sind (vgl. WuG, II, 668).
22 WuG, I, 29.
20
21
9*
132
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
als politischen Verband par excellence ansehen darf, da er bei der Entwicklung
der Herrschaftstypen eine herausragende Rolle spielt: Sein grundlegendes Merkmal ist das Gewaltmonopol, das ihn zu einer rationalen Anstalt und einem kontinuierlichen Betrieb macht.23 Das Merkmal der Beständigkeit tritt auch in
anderen Herrschaftsverbänden auf, z. B. in denjenigen hierokratischen Typs, zu
denen als Analogon der staatlichen Institution der Anstaltsbetrieb der Kirche
gehört.
Geht man das Problem noch radikaler an, dann lässt sich sagen, dass die
Dauer den Begriff der Herrschaft selbst betrifft, was bei der Beschreibung der
Weber'schen Grundbegriffe deutlich wird. Denn im Unterschied zur bloûen
Macht ± verstanden als Möglichkeit, seinen Willen durchzusetzen und soziale
Beziehungen zu beeinflussen ± etabliert Herrschaft eine Beziehung von Befehl
und Gehorsam, die von ihrem Wesen her keine Umkehrung zulässt, sondern das
Merkmal der Beständigkeit beinhaltet.24 Schon der Begriff der Legitimität verweist auf eine Konsolidierung der Herrschaftsstruktur, thematisiert er doch in
den verschiedenen Typen das Grundelement der Anerkennung seitens der Untergebenen bzw. Gehorchenden. Die Befehl-Gehorsam-Beziehung gestaltet sich
also tendenziell als eine beständige, denn sie lässt einen Mechanismus entstehen, in dem das Verhalten und die Reaktionen der Menschen vorhersehbar sind.
Bei den ¹soziologischen Grundbegriffenª steht der Begriff der Herrschaft bezeichnenderweise unmittelbar neben dem der Disziplin, verstanden als ¹Chance,
kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und
schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden.ª Das Merkmal Disziplin unterstreicht den Charakter der Beständigkeit von
Herrschaft, die sich insbesondere in der typischen Form der modernen Rationalität zu konsolidieren scheint; zwar lässt sich Disziplin nicht auf formale Rationalität reduzieren, aber zu bedenken ist, dass gerade die Bürokratie das rationalste
Produkt der Disziplin ist.25
Die charismatische Herrschaft, eben insofern sie Herrschaftstyp ist, kommt
nicht umhin, das die Struktur der Herrschaft berührende Element der Dauer zu
berücksichtigen. Deshalb betrifft das Problem der ¹Umwandlungª die Logik des
WuG, I, 30.
WuG, I, 28.
25 Vgl. WuG, II, 682. So wie der Ausdruck Herrschaft mit dem Aufkommen der
Theorie des modernen Staates eine neue Bedeutung annimmt, so scheint in diesem
modernen Kontext auch die Disziplin eine neue, und im Verhältnis zur Souveränität
komplementäre Funktion zu übernehmen. Vgl. Schiera, Pierangelo: ¹Dalla concentrazione del potere alla partecipazione. Possibili risposte sul tema di crisi delle risorseª,
in: Dini, Vittorio (Hrsg.): Soggetti e potere, Napoli 1983. Zur Unmöglichkeit, einen
einheitlichen und epochenübergreifenden Bedeutungskern für Antike, Mittelalter und
Neuzeit herauszuarbeiten vgl. das Stichwort ¹Herrschaftª in: Brunner, Otto/Conze,
Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, Stuttgart
1982, S. 1±102. Aber vgl. dazu Anm. 19a in Kapitel II.
23
24
3. Charisma und Dauer der Herrschaft
133
Idealtyps selbst, und der Prozess der Umwandlung des Charismas, der tendenziell einige formale Merkmale der Ausübung ebenso wie der Grundlage von
Herrschaft hervortreten lässt, kann als ein typischer Prozess betrachtet werden.26 Zwar verortet die Weber'sche Analyse die Unterschiede zwischen den
Herrschaftstypen in einem subjektiven Merkmal, nämlich im Glauben an die
Legitimität der Herrschaft, jedoch ist es diese subjektive Überzeugung, die die
verschiedenen Strukturen der Formen von Herrschaft und die Prinzipien ihrer
tatsächlichen Organisation soziologisch determiniert.27 Daher ist die Beschreibung der verschiedenen Herrschaftstypen Beschreibung der verschiedenen
Grundlagen des Glaubens an die Legitimität der Herrschaft und zugleich Untersuchung der realen Strukturen, welche die verschiedenen Formen von Herrschaft annehmen.28 Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zu untersuchen, in
welcher Beziehung die charismatische Herrschaft mit dem für die Herrschaft
grundlegenden Merkmal der Dauer steht, sowohl hinsichtlich des Fundaments
der Legitimität als auch der Form der tatsächlichen Organisation der Herrschaftsausübung.
Bei der Veralltäglichung des Charisma treten zwei Elemente hervor. Vor allen Dingen erscheint die Stabilisierung des Verwaltungsapparates, d.h. der
Form, in der die Herrschaft in gewöhnlichen Situationen agiert, als ein natürlicher Prozess: ¹Mit der Veralltäglichung mündet also der charismatische Herrschafts-Verband weitgehend in die Formen der Alltagsherrschaft: patrimoniale,
insbesondere: ständische, oder bureaukratische, ein.ª29 Auûerdem zieht diese
Umwandlung die Anpassung an die Regeln jener anderen Macht nach sich, die
im Alltagsleben dauerhaft eine Rolle spielt, nämlich der Wirtschaft.30 Mit anderen Worten: Das Auûergewöhnliche, welches die charismatische Herrschaft ursprünglich kennzeichnet, passt sich den Regeln, d.h. den typischen Elementen
der formalen Rationalität an; mit dem Merkmal der Form erwirbt Herrschaft
zugleich die Dimension der Dauer.
Auch die antiautoritäre Umdeutung des Charisma ist an diese Art von Dynamik gebunden und lässt formale Elemente auftreten, die mit typischen Aspekten
der modernen Rationalität zu tun haben. Die antiautoritäre Umdeutung ist näm26 Von typisierter Entwicklung spricht Leibholz beim Übergang von einer transzendenten zu einer immanenten Begründung des Inhabers der Herrschaft, beispielsweise
in der Monarchie (Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 145).
27 Vgl. z. B. WuG, II, 549.
28 Eine solche Beziehung zwischen Legitimitätsglaube ± als Kennzeichen der verschiedenen Typen von Herrschaft ± und realer Organisation scheint mir nicht ganz frei
von Problemen und Aporien zu sein: Man denke nur daran, welch groûe Rolle in der
Praxis der Bürokratie das Amtsgeheimnis spielt, während dasselbe kaum als Wesenselement für den Glauben an die Geltung der legalen Herrschaft gelten darf ± eher im
Gegenteil!
29 WuG, I, 146.
30 Vgl. WuG, I, 148.
134
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
lich gesteuert durch die Notwendigkeit, das persönliche Moment des Befehls zu
verringern, wodurch die Herrschaftsbeziehung stabiler und dauerhafter wird.
Schon in der genuinen Form der charismatischen Herrschaft ist eine Bewährung
zwecks Anerkennung durch die Beherrschten notwendig, da es ohne Anerkennung keine Legitimität und auch keine Herrschaft gibt, da die Bereitschaft zum
Gehorsam fehlt. Hier erscheint die Anerkennung jedoch nicht als Grund der
charismatischen Herrschaft, sondern als zwangsläufige Antwort auf die auûergewöhnlichen Qualitäten des Herrn.31 Die zunehmende Rationalisierung führt
hingegen dazu, dass die Anerkennung nicht länger Folge der Legitimität ist,
sondern zu ihrem Grund wird (demokratische Legitimität), weshalb der Willensausdruck der Beherrschten sich rational als Grundlage der Autorität des Gewalthabers erweist.32
Hier ist anzumerken, dass ein solches Element der Rationalität, das die Anerkennung als Grundlage der Autorität, d.h. den Willen der Individuen als Basis
der Legitimität des Befehls formell voraussetzt, typisch für den Versuch der modernen Naturrechtslehre ist, die politische Form zu begründen. Sobald nämlich
die Natürlichkeit der Herrschaft des Menschen über den Menschen und die
transzendente Rechtfertigung der Autorität, etwa durch göttliche Gnade, abgelehnt werden, muss politische Herrschaft durch Rückgriff auf den Willen und
die rationale Entscheidung aller Individuen begründet werden: Exemplarisch ist
in dieser Hinsicht die theoretische Begründung des politischen Körpers bei
Hobbes. Es lässt sich also sagen, dass die Idee der Anerkennung als Vorbedingung von Herrschaft weit zurückreicht und die Entwicklung eines wichtigen
Strangs der modernen Staatstheorie kennzeichnet.
In dem hier diskutierten Teil seiner Untersuchung hat Weber jedoch vor allem jene Verknüpfung von Legalität und Charisma im Sinn, die ihn in seinen
letzten Jahren beschäftigt und in der Form der plebiszitären Demokratie erscheint. Hier verliert der Inhaber der Herrschaft nicht seine Eigenschaft als
Herr, sondern er bewahrt sie als Führer, der seine Herrschaft formell auf freie
Wahlen gründet, also auf ein typisches Element der Legalität. In dieser Begegnung mit der Legalität öffnet sich die charismatische Herrschaft in organisatorischer Hinsicht gegenüber grundlegenden Merkmalen des modernen Staates wie
rationale Wirtschaft und formelles Recht.
In der plebiszitären Demokratie erweisen sich die beiden gegensätzlichen Typen der charismatischen bzw. der legalen Herrschaft als stark miteinander verknüpft, denn: ¹Die ¸plebiszitäre Demokratie ± der wichtigste Typus der FührerDemokratie ± ist ihrem genuinen Sinn nach eine Art der charismatischen Herrschaft, die sich unter der Form einer vom Willen der Beherrschten abgeleiteten
31
32
Vgl. WuG, I, 140.
Vgl. WuG, I, 156.
3. Charisma und Dauer der Herrschaft
135
und nur durch ihn fortbestehenden Legitimität verbirgt.ª33 Wenn hier also die
typischen Merkmale der modernen Rationalität wirksam werden, so keineswegs
als Abschwächung, sondern vielmehr im Sinne einer auûerordentlichen Stärkung der Beziehung von Befehl und Gehorsam, weil der Gehorsam nicht einer
anderen Person gegenüber bezeugt wird, sondern dem eigenen Willen gegenüber, welcher dem Befehl des Herrn zugrunde liegt. Das Merkmal der formellen Legalität hebt das Verhältnis des politischen Zwangs nicht auf, sondern
stärkt dieses bis zum höchsten Grade, und bewahrt zugleich das persönliche
Element des Führers, in welchem sich das charismatische Element äuûert.
Weiter unten versuche ich zu zeigen, dass das Problem der Verknüpfung der
beiden Typen von Herrschaft, wie es in der Form der plebiszitären Demokratie
deutlich wird, im Grunde schon in der Entstehung der modernen Staatstheorie
angelegt ist; an dieser Stelle hingegen ist noch einmal zu unterstreichen, dass
auch die ¹antiautoritäre Umdeutungª dem Problem der Herrschaftsdauer geschuldet ist, da diese offenbar notwendig typische Merkmale der formalen Rationalität beinhaltet.
Angesichts der gegenseitigen Durchdringung von Charisma und formeller Rationalität kann Weber nicht schlichtweg behaupten, mit dem Aufkommen der
Rationalisierung reduziere sich der Spielraum für Charisma und subjektive Entscheidung, sondern er muss hinzufügen, dass das Charisma, auch wenn es im
Zuge seiner Umwandlung gegenüber der Herausbildung dauerhafter Strukturen
an Terrain verliert, ¹dennoch, freilich in stark umgewandeltem Sinne ein höchst
wichtiges Element der sozialen Strukturª bleibt.34 In der plebiszitären Demokratie wird deutlich, dass die Entwicklung hin zu Elementen von Rationalität, bei
aller dadurch bewirkten Konsolidierung und Verstetigung, das charismatische
Element nicht auslöschen. Auch wenn die Disziplin und ihr rationalstes Produkt, die Bürokratie, mit dem Fortschritt der Rationalisierung unaufhörlich voranschreiten, so ist dieser Apparat zugleich ein Werkzeug, das demjenigen zur
Verfügung steht, der seine Dienste in Anspruch nimmt: ¹Und ebenso kann ein
charismatischer Held die ¸Disziplin in seinen Dienst nehmen und muû dies,
wenn er seine Herrschaft quantitativ weit erstrecken will.ª35
An diesem Punkte dürfte es lohnend sein, einen anderen Weg einzuschlagen
und zu zeigen, dass die legal-rationale Herrschaft aufgrund ihrer inneren Logik
zum entgegen gesetzten Herrschaftstyp tendiert.
33
34
35
WuG, I, 156.
WuG, II, 679.
WuG, II, 681.
136
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
4. Das charismatische Element im
rational-legalen Herrschaftstyp
Dem Begriff der Herrschaft scheint das Merkmal der Dauer innezuwohnen,
das seine Absicherung in der formellen Rationalität findet, aber nicht weniger
wesentlich erscheint das persönliche Element des Herrschenden. Zwar äuûert
sich Herrschaft und funktioniert gewöhnlich als Verwaltungsapparat, aber zugleich gilt: ¹Jede Verwaltung bedarf irgendwie der Herrschaft, denn immer
müssen zu ihrer Führung irgendwelche Befehlsgewalten in irgend jemandes
Hand gelegt seinª, und dies auch dann, wenn die Befehlsgewalt gänzlich unscheinbar auftritt und ihr Inhaber nicht als Herr, sondern ± wie im Fall der
¹unmittelbar demokratischen Verwaltungª ± als bloûer Diener der Beherrschten
erscheint.36 Dass beide Elemente gleichermaûen wesentlich sind, tritt bei der
Definition von Herrschaft zutage, welche normalerweise (allerdings fügt Weber
hinzu: ¹nicht: absolut immerª) einen Verwaltungsstab und einen oder mehrere
Herren erfordert.37 Das Phänomen Herrschaft setzt also einen Herrn voraus.
Und eben der Blick auf die Beziehung zwischen Herr und Verwaltung sowie
zwischen diesen beiden und den Beherrschten bilden die Grundlage für die Unterscheidung der verschiedenen Typen von Legitimität und somit der verschiedenen Strukturen von Herrschaft.
Da auch der rational-legale Typ ein Herrschaftstyp ist, kann man sich nun
fragen, welche Merkmale hier die für das Vorliegen von Herrschaft unabdingbare Figur des Herrn aufweist.38 Wie oben erwähnt, lässt Weber bei der Behandlung der legalen Herrschaft die Untersuchung des Typs des Leiters beiseite
und konzentriert sich auf die Analyse des für diesen Herrschaftstyp typischen
Verwaltungsapparates, d.h. der Bürokratie. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass die Legitimität auf dem Glauben der Untergebenen und Gehorchenden beruht und dass, in diesem besonderen Fall, die objektiven und formellen
Aspekte für die Überzeugung von der Geltung der Herrschaft vorrangig und
kennzeichnend sind, während die Auswahl und Figur des Leiters als zweitrangig erscheint, da er in diesem Fall selbst den Regeln unterworfen ist. Gleichwohl ist das Problem nicht überwunden, sondern wird noch verschärft durch
Webers Beobachtung, dass auch in den rational-legalen Herrschaftsformen der
Typ des Leiters einer anderen Art angehört und oftmals, wie die Beispiele zeigen, auf das charismatische Element zurückgeführt werden kann.39 Einerseits
schlieût das Phänomen der Herrschaft notwendig das Element des Herrn ein,
andererseits bewahrt dieser, auch in den latentesten Formen, in welchen er als
WuG, II, 545 (meine Hervorhebung).
Vgl. WuG, I, 122.
38 Es gilt nämlich: ¹Der Tatbestand einer Herrschaft ist nur an das aktuelle Vorhandensein eines erfolgreich andern Befehlenden [. . .] geknüpft.ª (WuG, I, 29, ES, I, 52).
39 Vgl. WuG, I, 126.
36
37
4. Das charismatische Element im rational-legalen Herrschaftstyp
137
bloûer Diener seiner Untertanen dasteht, das ihm eigentümliche Merkmal der
Befehlsgewalt des Menschen über den Menschen.40
Dass Weber sich dieser Problematik bewusst ist, wird deutlich, wenn er bei
der Untersuchung von ¹Entstehung und Umbildung der charismatischen Autoritätª anmerkt, dass die Analyse der Merkmale der bürokratischen, patriarchalen
und feudalen Herrschaft nur die Frage erörtert habe, ¹in welcher Weise diese
Gewalten funktionierenª, dass aber damit noch nicht geklärt sei, ¹nach welchen
Merkmalen der in der Hierarchie höchststehende, bürokratische oder patriarchalische Gewalthaber selbst ausgelesen wirdª.41 Das Problem ist nicht lösbar, indem man das persönliche Element gänzlich ausschaltet und annimmt, im bürokratischen Apparat sei der Leiter nichts als ein aufgrund allgemeiner Normen
mit seiner Aufgabe betrauter Beamter. Eine solche Auffassung ist schon mit
dem reinen Begriff bürokratischer Herrschaft nicht zu vereinen, denn ¹der reine
Typus der Bürokratie: eine Hierarchie von angestellten Beamten, erfordert irgendeine Instanz, die ihre Stellung nicht ihrerseits auch wieder auf ¸Anstellung
im gleichen Sinn wie die anderen gründet.ª42
Aus dem Gesagten ergibt sich einerseits, dass das Problem des Herrn auch
bei der legalen Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsapparat nicht aus der
Untersuchung der Herrschaftsbeziehungen ausgeklammert werden kann, und
zum anderen, dass sich das Verhältnis des Herrn zu seiner Herrschaftsstellung
nicht auf eine ¹rationaleª Amts-Beziehung reduzieren lässt, sondern auf einer
radikal anderen Grundlage beruht. Es gibt daher Grund zur Annahme, dass
auch die Beziehung zwischen Leiter und Apparat sowie Leiter und Untergebenen nicht völlig unter den Glauben an die Regeln subsumierbar ist, der die
rational-legale Herrschaft prägt, und das wohlgemerkt im Rahmen eben dieses
Herrschaftstyps.
Eine ähnliche Problematik tritt in den im engeren Sinn politischen Schriften
zutage: Einerseits wird hier anerkannt, dass Herrschaft immer mehr in der Führung der Verwaltung besteht, so dass ± sowohl in der Politik wie der Wirtschaft
± der wahre Souverän immer weniger die Aufgaben der Leitung und Kontrolle
auszuüben vermag43, andererseits wird die Bürokratie kritisiert, wenn sie Entscheidungsbefugnisse übernimmt, die unvermeidlich sind, aber nicht ihr, sondern dem politischen Leiter zustehen. Die theoretische Situation wird komplexer, wenn man bedenkt, dass in Webers Analyse der politischen Sphäre das von
Vgl. WuG, I, 124.
WuG, II, 662; vgl. auch die Stelle, wo Weber erklärt, dass eine reine Grundlage
der Herrschaft höchst selten sei, da der Glaube an die Legitimität der Herrschaft oft
verschiedene Elemente kombiniere: ¹Er ist bei der ¸legalen Herrschaft nie rein legal.ª
(WuG, I, 154).
42 WuG, II, 662±663.
43 Weber, Max: ¹Politik als Berufª, in: ders.: Gesammelte politischen Schriften,
hrsg. von Johannes Winckelmann, 3. Aufl. 1971, Tübingen, S. 520.
40
41
138
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
der klassischen Staatstheorie ererbte Bild einem radikalen Wandel unterzogen
wird; die Untersuchung der realen Funktionsweise von Herrschaft zeigt, dass
nicht der legale Gewalthaber die tatsächliche Entscheidungsgewalt innehat (man
denke an die realen Funktionen des Parlaments, einmal abgesehen von seiner
institutionellen Aufgabe, den Willen der Nation auszudrücken, gemäû jener
klassisch-liberalen Konzeption, die sich in der Französischen Revolution herausbildet und noch heute in zahlreichen formellen Verfassungen präsent ist),
sondern dass die Entscheidungsgewalt sich verlagert hat und neue Typen von
politischen Leitern aufgetaucht sind (man denke an die Leiter der modernen
Massenparteien).44 Auch in diesem Fall, wo die soziologische Forschung auf
eine Realität trifft, die von der formellen Verfassung der Herrschaft radikal abweicht, lässt sich das Problem der Beziehung zwischen Beherrschten und politischem Leiter nicht einfach durch Rückgriff auf das Vertrauen in die Objektivität
der Regeln lösen, und das persönliche Moment erweist sich erneut als eines, das
sich nicht unterdrücken lässt. Auch wenn man von zentralen Aspekten des legalen Typs der Herrschaft ausgeht, stöût man wiederum auf jene Verknüpfung von
rationalem und charismatischem Element, die in epochaler Weise in der Form
der Führerdemokratie erscheint, aber schon in der Logik der Herrschaft selbst
angelegt ist, die der Unterscheidung und Analyse ihrer Typen zugrunde liegt.
Wenn in Politik als Beruf, dort wo es um die Geschicke der Gegenwart geht,
der geistlosen Herrschaft der Berufspolitiker ohne Beruf (d.h. ohne Berufung
und ohne charismatische Qualitäten) als einzige Alternative die Führerdemokratie entgegengesetzt wird, die sich der organisatorischen Kraft des bürokratischen
Apparats bedient, dann kommt hier jener persönliche Aspekt der Auswahl und
Entscheidung ans Licht, der sich auf das formale Element des Willensausdrucks
der Beherrschten stützt, aber der seinen charismatischen Charakter nicht verliert, wie sehr dieser auch säkularisiert sein mag.45 Die Führerdemokratie er44 Auf diese grundlegende, epochale Komplikation der klassischen Staatslehre an
der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kann hier nur kurz hingewiesen werden, da
sie den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreitet.
45 Der von Rudoph Sohm übernommene Begriff ¹Charismaª verliert im Zuge seiner Säkularisierung den ursprünglichen Sinn der Gabe, der von Gott empfangenen
Gnade und steht letztlich nur noch für das nicht-rationale, auûergewöhnliche Element
(vgl. Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen, S. 72±73). Dieser Vorgang vollzieht
sich in dem Moment, als Weber den Begriff zur Beschreibung einer Situation der
Herrschaft, d.h. einer Beziehung von Befehl und Gehorsam verwendet. Dieser Kontext
ist es, der wieder einmal deutlich macht, dass Webers Begriffsbildung von historischem Kontext und moderner politischer Form motiviert ist, beschreibt das charismatische Element doch das, was sich nicht auf formale Rationalität, auf die ¹formierteª
Form reduzieren lässt, da es an die Frage der Erzeugung dieser Form, der Entscheidung und Innovation gebunden ist. Der Verwendung des Begriffs ¹Charismaª durch
Weber ist also an die moderne formelle Rationalität gebunden. Zur historischen Beziehung Webers zu einem neuen Komplex von Tatsachen oder einem neuen Stoff, welche bewirken, dass ihm das Charisma als universelle historische Kraft erscheint, vgl.
Tenbruck, Max Weber und Eduard Meyer.
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª
139
scheint somit nicht als bloûes Zufallsprodukt der Kreuzung zweier Idealtypen,
sondern als emblematisch und bedeutsam für die schon in ihrer inneren Logik
angelegte Tendenz zur Verknüpfung, die es nicht gestattet, diese Typen als zwei
autonome und unabhängige Sphären voneinander abzugrenzen.
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass das rational-formale
und das charismatische Moment im Deutschen praktisch mit demselben, bei
Weber sehr bedeutungsvollen Ausdruck belegt sind: das professionelle Element
(¹Berufª), das auf die Disziplin in ihrer für die moderne Bürokratie typischen
rationellen Form verweist, und das Element der Sendung (¹Berufungª, bei Weber auch: ¹Beruf im emphatischen Sinneª), das den Bereich des für das Charisma entscheidenden Glaubens anspricht, hängen beide vom Stammwort Beruf
ab, das damit zum Symbol ihres Gegensatzes, aber auch ihrer wechselseitigen
Implikation wird.
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª
An diesem Punkt lässt sich eine Frage aufwerfen, die noch tiefer in Webers
Denken eindringt und es zugleich in Frage stellt, indem sie es in einen breiteren
theoretischen Zusammenhang stellt; man kann sich nämlich fragen, welche
Merkmale der Herr aufweist, der am besten zur legalen Herrschaft passt. Diese
Frage macht es meiner Ansicht nach notwendig, nicht nur den Kontext des modernen Staates, sondern auch die Entwicklung der modernen politischen Theorie
oder zumindest eines beträchtlichen und prägenden Teils derselben zu berücksichtigen. Ich greife hier eine Anregung von Norberto Bobbio auf, der den
fruchtbaren Versuch unternommen hat, das Weber'sche Denken und die moderne politische Philosophie unter dem Gesichtspunkt von Staatstheorie und
staatlicher Herrschaft zusammenzubringen.46
Ein solches Vorgehen ist, wie auch bei Bobbio deutlich wird, recht heikel,
und so ist zwangsläufig die Bemerkung vorauszuschicken, dass Weber und die
modernen Philosophen auf ganz verschiedenen Ebenen operieren, wenn sie über
Herrschaft nachdenken. Während die Klassiker der Naturrechtslehre eine rationale Begründung vornehmen und dabei den modernen Begriff der Souveränität
schaffen, der sich durch das juristische Merkmal höchster und absoluter Herrschaft auszeichnet, bewegt sich Weber mit seiner Untersuchung auf der Ebene
des Verstehens sozialer Handlungsweisen, indem er jene Typen herausarbeitet,
auf welche sich das im menschlichen Verhalten beobachtbare Verhältnis von
Befehl und Gehorsam zurückführen lässt. Auf der einen Seite also ein Akt der
Begründung, der mittels rationaler Ableitung und in Opposition zur konfusen
und ungerechten historischen Ausgangslage eine gerechte Gesellschaft bestim46
Vgl. Bobbio, La teoria dello Stato.
140
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
men soll, auf der anderen Seite eine Haltung des Verstehens des tatsächlichen
Verhaltens der Menschen mithilfe typologischer Schemata und Interpretationsmodelle.47
Doch schon der Begriff der Legitimation ist bedeutsam für das Verhältnis von
Weber und moderner politischer Philosophie, da er einerseits die Ablehnung der
Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit des Befehl-Gehorsam-Verhältnisses, andererseits eine Situation bezeichnet, in welcher Herrschaft als Gewaltmonopol gegeben ist, was den Verzicht der Gehorchenden auf den Gebrauch physischer
Gewalt beinhaltet: Eben aufgrund der Legitimation ist die Herrschaft eine solche und nicht bloû Macht. Diese Merkmale sind beide eigentümlich für jene
moderne Theorie des politischen Körpers oder der societas civilis, die ausgehend von Hobbes die politische Sphäre rational zu begründen versucht.
Trotz der unterschiedlichen Denkansätzen von Weber und den Klassikern des
Naturrechts erscheint es gerechtfertigt, den Weber'schen Ansatz auf die moderne politische Theorie zu beziehen, vor allem hinsichtlich der legitimen Herrschaft legalen Typs, dem Kennzeichen der modernen abendländischen Rationalität. Zwar betreffen die Formen der Legitimation bei Weber die subjektive
Überzeugung der Untergegebenen von der Geltung der Herrschaft, also die
Analyse sozialen Verhaltens, aber ein solches Verhalten, das im spezifischen
Fall der legalen Herrschaft im Vertrauen in die Regeln und ihre Objektivität
besteht, wird erst durch jenen langen historischen Prozess ermöglicht, der als
Prozess der Rationalisierung zu fassen ist; dieser hat zum Rückgang des Glaubens an magische Elemente, zur Entzauberung, zum Vertrauen in die Beherrschung der Welt durch Wissenschaft und Technik sowie zur Aufwertung rationaler, objektiver Regeln geführt. Für diesen Weg der Rationalisierung sind nicht
nur materielle Veränderungen, sondern auch die Entwicklung von Wissenschaft
und Technik, und so könnte man im Hinblick auf das Problem der Herrschaft
und des Staates sagen, die politische und rechtliche Kultur von Bedeutung, insbesondere jener Rationalismus des 17. und 18. Jahrhunderts, dem auch die moderne Naturrechtslehre zuzuordnen ist.48
47 Vgl. die Feststellung von Winckelmann, die Idealtypen dürften nicht als juristische Begriffe betrachtet werden, aus denen sich Inhalte in der Realität ableiteten, vielmehr entstünden sie aus der konkreten Analyse der bestehenden sozialen Beziehungen
(Winckelmann, Johannes: Gesellschaft und Staat in der verstehenden Soziologie Max
Webers, Berlin 1957, S. 35).
48 Es soll hier nicht unterstellt werden, es gebe eine direkte Verbindung zwischen
Weber und der Naturrechtslehre bzw. Weber habe sich die Bedeutung der modernen
politischen Philosophie für das Staatsproblem bewusst zu eigen gemacht: Bobbio
weist darauf hin, wie gering Weber den Einfluss philosophischer Lehren auf reale Prozesse einschätzt (Bobbio, La teoria dello Stato, S. 238) und selbst Mommsen referiert
die wiederholt geäuûerte Überzeugung Webers, die Axiome des Naturrechts seien als
archaische Prinzipien zu betrachten und hätten jegliche rechts- und (so könnten wir
hinzufügen:) staatsbegründende Funktion eingebüût. (Mommsen, Wolfgang J.: Max
Weber und die deutsche Politik, 2. Aufl. 1974, Tübingen, bes. S. 418 ff.) Ausgehend
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª
141
Es erscheint daher gerechtfertigt, Webers Analyse mit der modernen Lehre
vom Naturrecht in Beziehung zu setzen; und dies vor allem hinsichtlich der
Begriffe Legitimation und Herrschaft. In dem Moment, als die herkömmliche
Auffassung von Herrschaft (im oben erläuterten Sinne von ¹Regierungª) dem
modernen Souveränitäts-Begriff Platz macht (dazu gehört die Schaffung eines
einheitlichen Körpers, in dem sich die Macht aller Individuen summiert und
vereint), stellt sich ± wie bereits angedeutet ± aufgrund des Verlusts der Bindung an alle vorhergehenden Ordnungen die Frage, wie eine solche geballte
gemeinsame Macht legitimiert werden kann. Wenn der politische Körper ein
künstliches Produkt inmitten einer Welt von bloûen Individuen ist, dann kann er
nur auf dem Willen und der Rationalität der Einzelnen beruhen. Im Kontext der
Herausbildung des modernen Staates wird das Problem des Gewaltmonopols
und der Unwiderstehlichkeit der Herrschaft wie auch die Frage der Legitimität,
d.h. der Begründung der Herrschaft aus dem Willen der Einzelnen, zum Teil
von der Theorie antizipiert, während in der komplexen historischen Situation
einige Elemente überdauern, die sich der Vereinheitlichung widersetzen, und
zwar auch in der so genannten Epoche des Absolutismus.49
Aber hier, im Kern der vertragsrechtlichen Konstruktion der politischen Form
durch die Naturrechtslehre, stoûen wir auf einen (für unseren Ansatz besonders
hilfreichen) Schlüsselbegriff, der ± obschon nicht neu ± eine hinsichtlich seiner
logischen Einbindung und im Vergleich zur Vergangenheit ganz andere Bedeutung annimmt: den Begriff der Repräsentation. Wenn nämlich die politische
von der Interpretation der naturrechtlichen Konzeption der Staatsform ist vielmehr zu
zeigen, in welchem Maûe die Weber'sche Analyse eben diese Konzeption voraussetzt
und mit ihrem modernen Begriffsapparat verbunden ist, auch wenn Weber demgegenüber eine epochale Wende vollzieht, indem er die radikale Wandlung der Staatsform
und die Rolle der Gruppen und Parteien begreift: Diese Wende, die in Realität und
Theorie zu verzeichnen ist, rechtfertigt Webers Überzeugung, der theoretische Apparat
des Naturrechts sei an antike, nicht mehr wirksame Prinzipien gebunden. Winckelmanns Auffassung, die Legitimation des Naturrechts sei ein Fall rationaler Legitimität
(= Legalität), (Winckelmann, Legitimität und Legalität, S. 35), ist durch die z. T. von
ihm selbst offenbarte Einsicht zu korrigieren, dass ein Unterschied zwischen den Begriffen der Naturrechtslehre und denen der Weber'schen Soziologie besteht. Das Problem ist eher in dem Umstand zu suchen, dass Webers Herrschaftstypen nicht gedacht
werden können, ohne sich auf das Gewaltmonopol und seine Legitimation zu beziehen
± also auf den innersten Kern der die Entstehung des modernen Staates begleitenden
naturrechtlichen Betrachtungen. Zum Thema der Naturrechtslehre bei Weber siehe
auch: Baumgarten, Eduard: Max Weber, Werk und Person, Dokumente ausgewählt
und kommentiert von E. Baumgarten, Tübingen 1964, Kap. V, S. 425 ff., und
Schluchter, Wolfgang: Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus, Tübingen
1979, bes. S. 125.
49 Zum Weiterbestehen pluralistischer und lokaler Ansprüche im Prozess der Herausbildung des einheitlichen Staates vgl. Oestreich, Gerhard: ¹Strukturprobleme des
europäischen Absolutismusª, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 55 (1969), S. 329±347 und Gerhard, Dietrich: ¹Regionalismus und Ständisches Wesen als ein Grundthema europäischer Geschichteª, in: Historische Zeitschrift
174 (1952), S. 308±337.
142
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
Herrschaft auf der Willensäuûerung der Individuen als wesentlichem Moment
der Legitimation beruht ± einer Willensäuûerung, die in den Vertragslehren ein
einziges Mal, nämlich bei der Entstehung des politischen Körpers angesetzt
wird ± dann kann derjenige, der die Herrschaft innehat, nicht anders gefasst
werden denn als Repräsentant, als jemand, der nicht aufgrund eines angeborenen Vorrechts handelt, sondern von allen Individuen ermächtigt ist, den einzigen Willen des politischen Körpers auszudrücken, in dem sich von Anfang an
Alle wiedererkennen. Der Begriff der Repräsentation wird zum Leitfaden, der ±
wie gesehen ± fast alle klassischen Vertragslehren durchzieht und dem Verständnis von Herrschaft sowie der Logik der Beziehung zwischen Gewalthaber
und Untertanen seinen Stempel aufdrückt.
Herrschaft mit dem dazugehörigen Gewaltmonopol, Legitimität im angeführten Sinne und Repräsentation bilden also im Zusammenhang dieser politischen
Theorie ein Geflecht von Begriffen, die semantisch und funktionell eng verknüpft sind. Es ist bedeutsam, dass der Zusammenhang dieser Begriffe auch bei
Weber den Bereich bildet, in dem sich seine Herrschaftsanalyse bewegt ± ein
Indiz für die objektive Beziehung, trotz unterschiedlicher Grundhaltungen, zwischen dem Weber'schen Denken und der modernen politischen Philosophie.
Das gesamte Problem der Legitimation kann, auch im Weber'schen Denken,
als Problem des repräsentativen Handelns verstanden werden.50 Denn die Akzeptanz des Befehls, und damit der Glaube an die Geltung der Herrschaft, heiût
nichts anderes, als dass der Wille des Gewalthabers als Wille der ganzen politischen Gruppe interpretiert wird, und dies unabhängig davon, ob die Fundierung
der Legitimation charismatischen, traditionalen oder legalen Typs ist. Der Herrschende ist legitimiert, kann also die Befehlsgewalt ausüben, weil er von den
Untertanen als derjenige verstanden wird, der für sie agiert, der ihre Handlungen ausführt und deshalb Repräsentant ist. Man denke daran, wie der Gehorsam in der Herrschaftsbeziehung definiert ist: ¹¸Gehorsam soll bedeuten: daû
das Handeln des Gehorchenden im wesentlichen so abläuft, als ob er den Inhalt
des Befehls um dessen selbst willen zur Maxime seines Verhaltens gemacht
habe, und zwar lediglich um des formalen Gehorsamsverhältnisses halber, ohne
Rücksicht auf die eigene Ansicht über den Wert oder Unwert des Befehls als
solchen.ª51 Den Inhalt des Befehls als Maxime des eigenen und auf eigenem
Willen beruhenden Verhaltens zu verstehen, bedeutet tatsächlich nichts anderes
als eine Beziehung herzustellen, in welcher der Untergebene aus eigenem Willen den Willen dessen, der die Herrschaft innehat, als eigenen Willen versteht,
dessen Handlungen als eigene Handlungen: d.h. das Handeln des Herrschenden
als ein repräsentatives Handeln.
50
51
Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 142.
WuG I, 123 (meine Hervorhebung).
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª
143
Natürlich kann eine solche Ausweitung des Begriffs von Repräsentation nur
dann einleuchten, wenn man jene Auffassungen hinter sich lässt, die das repräsentative Handeln den Formen der modernen Demokratie zuordnen und diese
zudem, vor dem Hintergrund einer vermeintlichen Überlegenheit des Repräsentierten über den Repräsentanten, fast im Sinne eines imperativen Mandats interpretieren, was mit den modernen Fassungen des Begriffs der politischen Repräsentation offenkundig wenig zu tun hat. Um derartige Auffassungen in Zweifel
zu ziehen, genügt ein Blick auf das repräsentative Prinzip, wie es sich in den
Positionen von Hobbes und Sieyes darstellt oder wie es sich in den meisten
Verfassungen ab der französischen Revolution niedergeschlagen hat.
Dort wo Weber in Wirtschaft und Gesellschaft explizit auf die Frage der Repräsentation eingeht, zeigt er, dass er sich der Reichweite des Begriffs und der
ihm zugrunde liegenden Logik bewusst ist.52 Es ist zu beachten, dass der Gebrauch des Begriffs Repräsentation einer gewissen Schwankung unterliegt;
deutlich wird dies etwa, wenn Weber bei der Erörterung der Repräsentation im
Kapitel über die Herrschaftstypen auf seine Ausführungen zur Vertretung im
Kapitel über die soziologischen Grundbegriffe verweist.53 Aber auch ohne eine
erschöpfende Analyse des Weber'schen Wortgebrauchs können wir sagen, dass
Repräsentation an der genannten Textstelle offenbar unterschiedlichste Formen
von Herrschaft abdeckt. Zunächst einmal ist aufschlussreich, dass Weber mit
appropriierte Repräsentation das Handeln des Leiters oder eines Verbandsstabsmitglieds bezeichnet, und zwar sowohl in der patriarchalen wie der charismatischen Herrschaft, eben weil hier deutlich wird, wie weit Weber von den oben
zitierten Auffassungen der so genannten repräsentativen Institutionen entfernt
ist. Aber ebenso bedeutsam ist, dass Weber sich weniger auf den eigentlichen
Kern der charismatischen Herrschaft (bzw. was gemeinhin als solcher angesehen wird) bezieht, sondern auf Varianten wie die erb- oder amtscharismatische
Herrschaft, in denen die Merkmale Form und Stabilität hervortreten; das Charismatische geht hier bereits eine Verbindung mit dem Formalen ein, welches anscheinend den Begriff der Repräsentation prägt, weil es grundlegend für das
Herrschaftsverhältnis ist.54
Hervorzuheben ist ferner, dass dieser appropriierten Repräsentation die (eigenrechtliche) ständische Repräsentation als verwandte Form zur Seite tritt:
Ich beziehe mich auf den 1. Teil, Kapitel III, Punkt 11, besonders auf § 21.
Vgl. WuG, I, 171 und § 11 der ¹Soziologischen Grundbegriffeª, WuG, I, 25.
54 Erinnert sei an den Schmitt'schen Hinweis, ¹Repräsentierenª sei ¹Formierenª
(Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 40 ff.), der in der modernen Staatslehre Bestätigung findet im offenkundigen Zusammenhang zwischen repräsentativem Prinzip und
Form bzw. Stabilität des politischen Körpers. Es ist kein Zufall, dass bei Rousseau die
Ablehnung der Repräsentation mit einer Formlosigkeit des Gemeinwillens einhergeht:
Der souveräne Wille ist immer unbestimmt und übersteigt jede von ihm selbst erzeugte Form.
52
53
144
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
Entscheidend ist bei dem so Bezeichneten nämlich nicht der Aspekt der Bindung oder des Mandats, der unter Umständen als Merkmal der ständischen Repräsentation gelten mag, als vielmehr der spezifische Charakter der Repräsentation. Dieser tritt hervor, d.h. ständische Repräsentation ist insofern Repräsentation, ¹als die Rückwirkung der Zustimmung zu einem ständischen Rezeû über
die Person des Privileginhabers hinaus auf die nicht privilegierten Schichten
[. . .] wirkt [. . .].ª55 In diesem Fall wird nicht nur der notwendige ± und für den
Begriff der Repräsentation wesentliche ± Bezug auf diejenigen deutlich, die
nicht im eigenen Namen handeln und deshalb als Repräsentierte erscheinen,
sondern auch jenes andere Merkmal des Repräsentierens, demzufolge Wille und
Handeln von oben nach unten gerichtet sind und der Repräsentant nicht bloû
Ausführender von Befehlen oder wenigstens eines vorher festgelegten Willens
ist.
Beim dritten Typ von Repräsentation, der durch imperatives Mandat geprägten gebundenen Repräsentation, geht dieses Merkmal offenbar verloren. Zwar
ist zu bedenken, dass aufgrund des oben erwähnten schwankenden Wortgebrauchs auch im vorliegenden Fall wiederum der Ausdruck Vertretung Anwendung findet, wir also keine terminologische Unterscheidung vor uns haben, wie
sie Ende der zwanziger Jahre besonders Carl Schmitt und Gerhard Leibholz
vornehmen56, aber dennoch ist festzustellen, dass eine klare begriffliche Trennung zwischen dieser und den übrigen Formen von Repräsentation vorliegt,
weil bei ersterer die Repräsentanten in Wirklichkeit Beamte der von ihnen Repräsentierten sind, wie Weber bemerkt.57 Hier nämlich, wo der Wille der Repräsentierten bestimmt und deshalb bestimmend ist, wird die Vertretungsgewalt offenbar dermaûen eingeschränkt, dass sie ihr Spezifikum zu verlieren scheint,
d.h. der Repräsentant wird zum Diener (bei entsprechender Minimisierung der
Herrschaft und gleichzeitiger Verringerung oder Verlust des persönlichen Elements) und ist nicht mehr Herr der Repräsentierten. Die gebundene Repräsentation und das imperative Mandat werden von Weber einerseits auf das ancien
rØgime bezogen (die Repräsentanten der Kommunen in Frankreich waren an
ihre cahiers de dolØances gebunden), andererseits auf die für den modernen
Staat auûergewöhnliche Form der Räterepubliken, in denen dieser Typ der Repräsentation ¹Surrogat der in Massenverbänden unmöglichen unmittelbaren Demokratieª ist.
55 WuG, I, 172; die Annahme einer Kontinuität zwischen ständischer und moderner
Repräsentation entspricht allerdings nicht dem hier vertretenen Ansatz.
56 Leibholz und Schmitt ziehen eine klare Trennungslinie zwischen der ¹Repräsentationª, die sich auf die politische Einheit bezieht, und der ¹Vertretungª, die entweder
der Sphäre der privaten Interessen angehört oder im politischen Bereich eine von der
politischen Repräsentation völlig verschiedene Bedeutung hat; vgl. dazu Kap. 4 der
vorliegenden Arbeit.
57 Hier handelt es sich um die in § 19 untersuchte Situation der ¹Minimisierung der
Herrschaftª.
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª
145
Es ist die vierte Form von Repräsentation, die freie Repräsentation, die als
kennzeichnend für Moderne und abendländische Rationalität erscheint; hier ist
der Repräsentant nicht an die Wahrnehmung der Interessen derer, die ihn delegiert haben, sondern nur an seine eigenen sachlichen Überzeugungen gebunden.
Wesentlich ist Webers Hinweis auf jene Fälle, in denen die freie Repräsentation
nicht die Folge von lückenhaften Weisungen ist ± bedingt durch die Entwicklung hin zum politischen Massenverband mit einer Vielzahl von Wählern, was
Weisungsgebundenheit und Kontrolle des Gewalthabers erschwert. Hier geht es
also nicht um die Rückkehr zu einer Situation, in welcher das zahlenmäûige
Verhältnis zwischen Repräsentant und Repräsentierten günstiger ist, so dass ersterer letztere besser ¹repräsentierenª kann. Vielmehr bildet freie Repräsentation
in den hier interessierenden Fällen den ¹sinngemäûe[n] Inhalt der Wahl eines
Repräsentantenª, der im Rahmen der freien Repräsentation nicht Diener, sondern von seinen Wählern gewählter Herr ist. Diese Bedeutung haben nach Weber die modernen parlamentarischen Repräsentationen, welche die Merkmale
der legalen Herrschaft aufweisen.58
Für unsere Frage nach den passenden Eigenschaften des Herrn in der legalrationalen Herrschaft modernen Typs und nach dem Zusammenhang dieses
Problems mit der Begrifflichkeit der Staatstheorien bzw. der Naturrechtslehre
können wir Klarheit gewinnen, wenn wir zwei Überlegungen Webers miteinander verknüpfen. Die erste betrifft die Funktion der Naturrechtslehre in der
Form, die sie in der rationalistischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts
annimmt. Diese offenbart nämlich einige für die legale Herrschaft typische Elemente, insofern sie allein imstande war, Normen formaler Art zu schaffen und
zu zeigen, dass legitime Herrschaft auf einer Festlegung fuût, die ihren Grund
im rationalen Vertragsabschluss hat. In diesen Zusammenhang gehört das Szenario des Sozialvertrags, sei es in der Form eines tatsächlichen Kontrakts zwischen Individuen, sei es in der idealen Form, wonach nur jenes Recht legitim
ist, dessen Inhalt nicht dem Konzept der vernünftigen, durch freie Vereinbarung
festgelegten Ordnung widerspricht.59 In diesen theoretischen Kontext gehört
auch die Feststellung der Schlüsselrolle individueller Freiheit und die radikale
Ablehnung jeglicher Art von Versklavung des Menschen durch den Menschen.
Man kommt gar nicht umhin, hier einige grundlegende Elemente der für die
moderne abendländische Rationalität typischen Herrschaft legalen Typs wiederzuerkennen.
58 Vgl. WuG, I, 172. Wie schon angemerkt, wird das Problem der modernen politischen Parteien in der vorliegenden Untersuchung ausgeklammert; es fügt sich ± so
scheint mir ± nicht reibungs- und bruchlos in jenen theoretischen Rahmen ein, der
sich von der Entstehung des modernen Staates bis zur Herausbildung des Rechtsstaates entwickelt (und zumindest formell weiter bestehen bleibt), sondern entfaltet seine
Wirkung vielmehr in der Auflösung dieses Rahmens und in der damit einhergehenden
Legitimitätskrise.
59 Vgl. WuG, II, 497±498.
10 Duso
146
III. Herrschaftstypen und moderne politische Form bei Max Weber
Die zweite Weber'sche Überlegung betrifft die zentrale Rolle der freien Repräsentation für den postrevolutionären modernen Staat sowie ihre spezifischen
Merkmale. Zunächst zur zentralen Rolle: Typisch für die moderne abendländische Rationalität ist nicht nur die Herrschaftslegitimation legalen Typs, sondern
ebenso kennzeichnend für den Westen ist die freie Repräsentation und ihre
Zusammenfassung in parlamentarischen Körperschaften. Was ihre spezifischen
Merkmale betrifft, so ist moderne Repräsentation zudem durch die Tatsache bestimmt, dass der Abgeordnete das ganze Volk repräsentiert, und zwar ohne irgendein imperatives Mandat. Diese Konzeption setzt sich mit der französischen
Revolution durch, wobei der allmähliche Niedergang des imperativen Mandats,
so Weber, vom Aufkommen des modernen Staates und dem Wirken des absoluten Monarchen abhängt, lange bevor das Parlament die Funktion übernimmt,
die gesamte Nation zu repräsentieren.
In Webers Bemerkung, dass die Idee der Repräsentation der politischen Einheit bereits vor der französischen Revolution entwickelt war,60 mag eher ein
Bezug auf das vorrevolutionäre Frankreich und die parlamentarischen Debatten
als auf die Naturrechtsliteratur zu erkennen sein. Gleichwohl gibt es einen objektiven Zusammenhang zwischen jenem Repräsentationsbegriff und der Naturrechtsphilosophie, der sich in der doppelten Erkenntnis Webers andeutet, dass
erstens diese Art der Herrschaftsausübung der spezifischen Form der legalen
Herrschaft angemessen ist und dass zweitens einige typische Elemente eben
dieser Form schon in der modernen naturrechtlichen Vertragslehre aufgetreten
waren. Im Sinne des (hier nur gestreiften) Ansatzes, der das naturrechtliche
Denken in Bezug auf die von ihm geleistete Hervorbringung der politischen
Form untersucht, könnte man hinzufügen, dass jener Begriff freier Repräsentation, welcher der französischen Revolution vorangeht, seine theoretische Fundierung ± wie oben gesehen ± gerade in der Art findet, wie die Naturrechtslehre Herrschaft und ihre Legitimität versteht.
Aber wichtiger noch als die hier vorgetragenen Überlegungen, die Webers
Denken im Hinblick auf die Interpretation der politischen Philosophie der Naturrechtslehre befragen, ist die mehrfach geäuûerte Überzeugung Webers, dass
der Herrschende in der Herrschaft legalen Typs zwar als Repräsentant gelten
kann, dies aber nur in dem Sinne verstanden werden darf, dass er nicht Diener,
sondern Herr seiner Wähler ist. In diesem Herr-Sein des Repräsentanten tritt,
inmitten einer Form legaler, für moderne Rationalität typischer Herrschaft das
Element des Persönlichen auf den Plan. Wenn der Repräsentant nämlich nicht
Diener, also nicht an genaue Anweisungen und einen bestimmten, vorab feststehenden Willen gebunden ist, dann kann seine Ernennung oder Wahl nicht objektiv, d.h. durch Vertrauen in die Regeln, geschehen, sondern ist offenbar gebunden an das Vertrauen in die Person, die entsprechend ihrem Gewissen und
60
Vgl. WuG, I, 173.
5. ¹Herrschaftª und ¹Repräsentationª
147
ihren Überzeugungen die Einheit des gesamten Volkes repräsentiert. Dieses
Vertrauen ist persönlich und weist ein Merkmal auf, das, wenn auch in säkularisierter Form, nicht anders verstanden werden kann denn als charismatisch, in
der spezifisch Weber'schen Bedeutung des Wortes. Auch dieses Element des
Vertrauens in die Person ist bereits im Szenario der modernen Naturrechtslehre
angelegt, denn schon bei Hobbes weist die vollkommene, rationale Rechtfertigung der Herrschaft und mithin der Notwendigkeit des Herrschers in ihrem
Kern eine Leerstelle auf, nämlich bei der Auswahl des Herrschers, der eben
eine Person ist und deshalb das Vertrauen in die Person voraussetzt. Eben diese
Implikation des blinden, ungesicherten Vertrauens in der im Übrigen schlüssigen Konstruktion der politischen Repräsentation ist es, welche die harsche Kritik Rousseaus am repräsentativen Prinzip auslöst.61
Wenn es zutrifft, dass es eines Herrn und eines Befehls bedarf, um von Herrschaft zu sprechen, und dass die adäquateste Form der rational-legalen Herrschaft die des freien Repräsentanten ist, der, wie Weber anmerkt, ebenso verantwortungslos ist wie der absolute Monarch62, dann tritt das charismatische Element auch in diesem Typ der Herrschaft zu Tage, kann also, selbst vom rein
logischen Standpunkt aus, nicht grundlegend von der Form der modernen Rationalität entkoppelt werden. Die Frage der plebiszitären Demokratie kann daher
kaum als bloû empirische abgetan werden, sondern erweist sich als Grundproblem, das sogar die Gliederung und Unterscheidung der Herrschaftstypen in
Mitleidenschaft zieht; letztere sind nicht begriffliche Werkzeuge, mit denen sich
verschiedene historische Manifestationen ein und desselben ± als ¹Herrschaftª
bezeichneten ± Phänomens erfassen lassen, sondern verweisen lediglich auf verschiedene Aspekte jener Herrschaft, die mit der modernen politischen Wissenschaft entsteht und sich im Staat und seiner Verfassung durchsetzt.
61 Vgl. Biral, Alessandro: ¹Rappresentazione e governo nel '700 francese (Un capitolo di teologia politica)ª, in: Il Centauro, 1981, Heft 2, S. 23±38 (auch in: Biral,
Storia e critica della filosofia politica moderna, S. 207±228). Man bedenke im Übrigen, dass die radikale Kritik an der institutionalisierten Repräsentation (wegen des damit verbundenen blinden Vertrauens) nicht verhindert, dass bei Rousseau die Figur des
Gesetzgebers auftritt, der den Gemeinwillen interpretieren muss und, da er sich weder
auf Gewalt noch Institution stützen kann, hinsichtlich seines Einflusses auf den Glauben an sein ¹göttliches Werkª vertrauen muss (vgl. dazu Kapitel 2 der vorliegenden
Arbeit).
62 ¹Wie der Monarch unverantwortlich istª (WuG, II, 666).
10*
IV. Repräsentation und politische Einheit
in der Debatte der zwanziger Jahre:
Schmitt und Leibholz
Der Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert markiert eine epochale Wende
sowohl vom übergreifenden erkenntnistheoretischen Standpunkt her als auch
hinsichtlich der Staatslehre. In Europa ist eine Krise der politischen Institutionen zu beobachten, weshalb das Spezifikum des Staates, sein Wesen und sein
Status in Frage gestellt werden. Das Modell des liberalen bzw. des Rechtsstaates, das die Debatte des 19. Jahrhunderts geprägt hatte, scheint seine Wirksamkeit einzubüûen, sei es bei der Interpretation der Realität, sei es hinsichtlich
seiner theoretischen und legitimatorischen Überzeugungskraft.1 Die Idee des
Staates als politischer Einheit kollidiert mit einem komplexen Gefüge von Kräften, Interessengruppen und Machtkonzentrationen, die auf die Formulierung des
staatlichen Willens Einfluss nehmen: Man denke etwa an die modernen Massenparteien und die Gewerkschaften.
Will man die genannten Transformationen begreifen, so lassen sich einige
theoretische Ansätze in Erinnerung rufen, von denen derjenige Max Webers besonders relevant ist. Weber erörtert zwar einerseits, unter offenkundigem Bezug
auf die Tradition der Moderne, die Legitimationstypen von Herrschaft, andererseits aber untersucht er eine differenzierte politische Sphäre, in der pressure
groups, Apparate von Massenparteien und Interessenvertretungen das Bild der
modernen Herrschaft als Gewaltmonopol sowie die Formen ihrer Legitimation
strukturell komplizieren. Man kann sich aber auch auf den frühen Kelsen und
seine Kritik an der Persönlichkeit des Staates beziehen2; oder auf den Begriff
der Staatskrise, wie er bei Santi Romano zu Tage tritt, sowie auf seine theoretischen Überlegungen insgesamt.3 Nicht zu vergessen ist auch Hermann Hellers
ausdrückliche Rede von der Krise des Staates.4
1 Was die italienische Kultur betrifft, vgl. dazu den Sammelband: Mazzacane, Aldo
(Hrsg.): I giuristi e la crisi dello Stato liberale in Italia tra Otto e Novecento, Napoli
1986.
2 Vgl. Fioravanti, Maurizio: ¹Kelsen, Schmitt e la tradizione giuridica dell'Ottocentoª, in: Gozzi/Schiera (Hrsg.), Crisi istituzionale e teoria dello Stato, S. 51±104.
3 Vgl. Giorgini, Massimo Severo: ¹Profili storici della scienza del diritto amministrativoª (1940), in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 2
(1973), S. 179 ff.; Fioravanti, Maurizio: ¹Per l'interpretazione dell'opera giuridica
di Santi Romanoª, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno
10 (1981), S. 169 ff.; Fioravanti, Maurizio: ¹Stato di diritto e Stato amministrativo
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
149
Man hat es hier offenbar nicht mit einem harmlosen Wandel der institutionellen und theoretischen Strukturen zu tun: Das Problem liegt tiefer und betrifft
den Status der modernen politischen Form und die Weisen ihrer rationalen
Rechtfertigung. Der Staatslehre des 19. Jahrhunderts liegt nämlich eine theoretische Entwicklung zugrunde, die in der Philosophie des 17. Jahrhunderts ihren
Ausgang nimmt. Mit ihrer Entstehung als politische Wissenschaft legt diese die
Grundlagen für die Formulierung einer Theorie des politischen Körpers und erzeugt Begriffe, die sich für alle weiteren Überlegungen zum Thema Staat als
unverzichtbar erweisen: juristische Person, Souveränität, Repräsentation. Nicht
nur das Modell des liberalen Staates gerät also in den zwanziger Jahren in die
Krise, sondern die Wesensmerkmale der Staatsform selbst, d.h. die Voraussetzungen, welche die Formulierung des liberalen Modells erst möglich machen.
Auûerdem bezeichnet der Ausdruck ¹Kriseª hier nicht einfach einen Moment
der Schwäche einer an sich gültigen Form, sondern das Hervortreten von Aporien, die dieser Form von Anfang an und von ihrem Wesen her eigen sind.
Eine konkrete, aber für die hier angesprochenen Probleme höchst aufschlussreiche historische Situation ist die der Weimarer Republik. In einer komplexen
Situation, in der das Festhalten am Konzept der staatlichen Einheit fragwürdig
erscheint, steht nicht zufällig der Repräsentationsbegriff im Mittelpunkt der
Verfassungsdebatte, spielt er doch eine grundlegende Rolle, um dem im Kontext der modernen politischen Wissenschaft entstandenen Begriffsgefüge einen
präzisen Sinn zu geben. Um die europäische Dimension dieser epochalen Entwicklung zu begreifen, ist der Hinweis von Nutzen, dass Ende des 19. Jahrhunderts auch in der italienischen Kultur eine gesteigerte Beachtung der Frage der
politischen Repräsentation zu verzeichnen ist: Man ist bemüht, ihr durch Abgrenzung von den Institutionen des Privatrechts und von der Rechtsfigur des
Mandats wissenschaftlichen Status zu verleihen.5 Je komplexer die Wirklichkeit
erscheint, umso mehr wird die Frage der politischen Einheit auch zum Gegenstand der deutschen Debatte der zwanziger Jahre, eben weil mit dem Verhältnis
von Repräsentation und politischer Einheit der spezifische Inhalt der Form
¹Staatª auf dem Spiel steht.6
nell'opera giuridica di Santi Romanoª, in: Mazzacane (Hrsg.): I giuristi e la crisi,
S. 309 ff.
4 Vgl. Heller, Hermann: ¹Die Krisis der Staatslehreª, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 55 (1926), S. 289±316.
5 Vgl. Gozzi, Gustavo: ¹Rappresentanza politica e rappresentanza degli interessi
nella riflessione giuridica e politica fra Otto e Novecentoª, in: Mazzacane, I giuristi e
la crisi dello Stato, S. 231 ff.
6 Neben den hier untersuchten Schriften von Schmitt und Leibholz sind zu erwähnen: Gerber, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland; Glum,
Der deutsche und französische Reichwirtschaftsrat, aber auch Heller, Die Souveränität, und Smend, Verfassung und Verfassungsrecht. Zur Thematik und den verschiedenen Standpunkten vgl. Wolff, Organschaft und juristische Person; II: Theorie der Vertretung, S. 16±91, auch in: Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsen-
150
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Will man den wissenschaftlichen Charakter der Repräsentation einschlieûlich
ihrer Problematik ins Licht zu rücken, empfiehlt sich ein Blick auf die spezifische Konzeption dieser Kategorie durch zwei Autoren, welche sie in den Mittelpunkt ihres Interesses und politischen Denkens gestellt haben: Carl Schmitt,
vor allem mit seiner Verfassungslehre, und Gerhard Leibholz, besonders in seiner Schrift Das Wesen der Repräsentation.7 Trotz der unterschiedlichen zeitgeschichtlichen Schlussfolgerungen sind die Sichtweisen der beiden Autoren recht
ähnlich und aufeinander bezogen: Schmitt weiû um die geplante Arbeit von
Leibholz, die ± zwar erst 1929 veröffentlicht, aber schon Anfang 1928 abgeschlossen8 ± ihrerseits eine durchgehende Berücksichtigung der 1928 erschienenen Schrift Schmitts erkennen lässt.
Eine Untersuchung dieser Texte führt sowohl in theoretischer wie in begriffsgeschichtlicher Hinsicht zu wichtigen Ergebnissen. Zunächst einmal setzt sich
die Unterscheidung zwischen politischer Repräsentation und privatrechtlicher
Vertretung bzw. einer anderen Form der Repräsentation durch, welche auf vorneuzeitliche Epochen Anwendung findet, die noch nicht vom Problem der Herrschaft im modernen Sinne und der politischen Einheit geprägt sind. Diese
Unterscheidung gestattet die Klärung der spezifisch modernen Bedeutung der
Kategorie der Repräsentation und beleuchtet den durch einen veränderten historischen und begrifflichen Kontext bewirkten grundlegenden Strukturwandel des
Begriffs. Zweitens offenbart sich die Koextensionalität von Repräsentationsbegriff und moderner politischer Form, da Repräsentation sich jenes Element einverleibt, das Schmitt und Leibholz als das korrespondierende Prinzip der politischen Form und als Grundlage des modernen Demokratiebegriffs betrachten:
die Identität. Schlieûlich setzt sich die Einsicht durch, dass die Reflexion über
den Begriff der Repräsentation zwar vom verfassungsrechtlichen Bereich ausgeht, die Analyse ihrer Struktur aber nicht anders möglich ist als durch ein
Denken, das Schmitt als radikal, als offen gegenüber Theologie und Metaphysik
beschreibt, und das selbst für Leibholz einem philosophischen, insbesondere
phänomenologischen Ansatz angehört.
1. Repräsentation und politische Form
Als Schmitt in der Verfassungslehre das Problem des politischen Elements
aufwirft, ohne das es keinen Staat geben kann, macht er den Vorschlag, jede
konkrete politische Form als Ableitung aus zwei gegensätzlichen Prinzipien antation, S. 116±208 (mit weiteren wichtigen Aufsätzen zum Thema der Repräsentation).
Einen Überblick über die Debatte dieser Zeit liefert: Hartmann, Volker: Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, Berlin 1979.
7 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre und Leibholz, Das Wesen der Repräsentation.
8 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208 und Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, Vorwort zur 1. Auflage, S. 2.
1. Repräsentation und politische Form
151
zusehen: Identität und Repräsentation. Erstere kommt in der Idee des Volkes
zum Ausdruck, das in seiner unmittelbaren Identität als politische Einheit stets
real präsent ist, und beruht auf der Tatsache, dass es keinen Staat ohne Volk
geben kann (ist doch der Staat der Status der politischen Einheit eines Volkes)
und dieses, als existierende Entität, immer tatsächlich anwesend sein muss. Im
Gegensatz dazu steht das zweite Prinzip, das auf der Überzeugung gründet,
¹daû die politische Einheit des Volkes als solche niemals in realer Identität anwesend sein kann und daher immer durch Menschen persönlich repräsentiert
werden muûª.9
Bei dieser Unterscheidung wird sofort deutlich, dass sich das repräsentative
Element weder auf das demokratische zurückführen lässt noch seine Grundlage
darin findet, wie von einer langen Ideentradition behauptet, sondern sich jener
Vorstellung vom unmittelbaren Ausdruck des Volkswillens widersetzt, die dem
Demokratiebegriff selbst offenbar zugrunde liegt. Freilich zeigt eine sorgfältige
Analyse der Schmitt'schen Ausführungen zu Wesen und Struktur der politischen
Repräsentation, zur Demokratietheorie und zum Problem der konstituierenden
Gewalt nicht nur, dass die beiden Prinzipien sich gegenseitig voraussetzen, sondern dass sie auch unabdingbare Elemente ein und derselben formalen Struktur
sind. Diese Aussage findet ihre Berechtigung in der Tatsache, dass sie als ¹politische Gestaltungsprinzipienª dem Verständnis einer politischen Form dienen,
die undenkbar erschiene, würde das eine oder andere Prinzip fehlen. Aber die
Frage, wie die beiden Prinzipien verknüpft sind, wird zurückgestellt, um zunächst die Struktur der Repräsentation und ihre Rolle für die Herausbildung der
politischen Form zu untersuchen.
Schon in Römischer Katholizismus und politische Form hatte Schmitt nicht
nur in der Repräsentation das tragende und wesentliche Element der politischen
Form erkannt, sondern auch den formierenden Charakter eben der Repräsentation ins Licht gerückt; diese erweist sich also nicht nur als Folge der Existenz
der politischen Form (d.h. wenn eine solche existiert, dann bedarf es einer Instanz, welche die politische Einheit dauerhaft und institutionell repräsentiert),
sondern ist auch ein Vorgang, der die politische Form erzeugt. Die Auffassung,
wonach Repräsentation lediglich ein Strukturelement der modernen Form des
Staates darstellt, erfasst nur einen Aspekt und verbleibt im Bereich formaler,
institutioneller Überlegungen; viel wichtiger erscheint die Einsicht, dass es die
Tätigkeit des Repräsentierens selbst ist, welche dem allgemeinen bzw. einheitlichen Willen des politischen Körpers, der sich im Staat ausdrücken soll, erst
eine Form gibt. Wenn man bedenkt, wie erhellend Schmitts Analyse für die
Geschichte des modernen politischen Denkens ist und welchen Raum die Entwicklung der modernen Kategorien in seinen Darlegungen einnimmt, dann ist
unbedingt auf den engen Zusammenhang von Repräsentationsprinzip und Form
9
Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 205.
152
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
hinzuweisen, der in Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts bei Kant und auch
bei Fichte vorliegt und der die Kritik dieser Denker an der Demokratie im engeren Sinne insofern steuert, als ein von jeglichem repräsentativen Element
freier Volkswille als unbestimmt und unbestimmbar, kontur- und formlos erscheint.10
Wenn der Vorgang des Formierens im Repräsentieren besteht, dann wird verständlich, dass Staat ohne Repräsentation nicht möglich ist: ¹Es gibt keinen
Staat ohne Repräsentation, weil es keinen Staat ohne Staatsform gibt und zur
Form wesentlich Darstellung der politischen Einheit gehört.ª11 Die politische
Einheit kann nur dann gesetzt und dargestellt werden, wenn sie auf dem Wege
der Repräsentation formiert wird ± die Repräsentation des Staates erweist sich
somit als Wesenselement des Staates.
Schmitt untersucht den Zusammenhang von Repräsentation und politischer
Einheit im Sinne einer radikalen Begrifflichkeit, die sich zwar im Rahmen des
juristischen Denkens bewegt, jedoch ständig dessen Grenzen durchbricht, um
die auf rechtlichem Gebiet aufgeworfenen Probleme zu begreifen. Auch hier
bleibt Schmitt nicht bei einer Definition der Repräsentation im institutionellen
Sinne stehen, sondern strebt nach dem Verständnis des konkreten Phänomens
des Repräsentierens, das er mit dem Ausdruck ¹etwas Existenziellesª belegt.
¹Repräsentieren heiût, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes
Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen.ª12 In der Repräsentation zeigt sich
also eine Dialektik zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem; noch genauer: ¹Die
Dialektik des Begriffes liegt darin, daû das Unsichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht wird.ª13
Dieser Dialektik von sichtbar und unsichtbar, die schon in Schmitts frühen
Schriften zu Staat und Kirche aufgetreten war14, ist in der zeitgenössischen Debatte über die Verfassungslehre die Kritik entgegen gehalten worden, es handele
sich um eine Argumentation theologischer Art, für die es nämlich typisch sei,
das Göttliche als zugleich anwesend und abwesend ± man könnte sagen: anwesend insofern abwesend ± zu denken.15 Bedeutsam für die Erkenntnis, dass sich
die Logik der Schmitt'schen Argumentation nicht einfach nach dem Schema
dualistischer Gegensätze deuten lässt, ist auch der Umstand, dass in der oben
angeführten Definition ein Ausdruck verwendet wird, der durch eine jahrhun10 Vgl. Duso, Giuseppe: ¹Logica e aporie della rappresentanza tra Kant e Fichteª,
in: Filosofia politica 1 (1987), S. 31±56; vgl. auch Kap. 2 des vorliegenden Bandes.
11 Schmitt, Verfassungslehre, S. 207.
12 Ebd., S. 209.
13 Ebd.
14 Vgl. das Kapitel zur politischen Theologie Schmitt im vorliegenden Band.
15 Vgl. Glum, Begriff und Wesen der Repräsentation, S. 106±107 (vgl. S. 33 f. der
vorliegenden Arbeit).
1. Repräsentation und politische Form
153
dertelange Diskussion über das Widerspruchsprinzip vorbelastet ist: Das unsichtbare Wesen ist nämlich ¹gleichzeitigª abwesend und anwesend, was bedeutet, dass es, wenn es gegenwärtig und sichtbar wird, nicht sein Wesen als Unsichtbares, d.h. die konstitutiven Merkmale Alterität und Transzendenz verliert.
Schmitt betont die Nicht-Homogenität zwischen dem zu repräsentierenden Sein
und jenem Sein, das es vergegenwärtigt: Die beiden liegen nicht auf derselben
Ebene, denn letzteres ist empirisch erfahrbar, während ersteres, obwohl durch
das öffentliche Sein des Repräsentanten vergegenwärtigt, seinem Wesen nach
das Dasein und jegliche empirische ¾uûerung überschreitet. Hier wird eine
schon im Römischen Katholizismus formulierte Frage wieder aufgenommen:
Nicht das empirisch Erfahrbare und Vorhandene kann repräsentiert werden, sondern nur das, was wesensmäûig verschieden ist: die Idee oder das Göttliche.16
Auch Leibholz nimmt in seiner ganz diesem Schlüsselbegriff der politischen
Form gewidmeten Untersuchung Das Wesen der Repräsentation den Unterschied zwischen dem empirischen Dasein der Dinge und dem Repräsentierbaren
auf, das ± wie schon Schmitt sagt ± einer ¹höheren Art Seinª angehört, die als
notwendige Voraussetzung Repräsentation erst möglich macht.17 Auch hier
kommt als Bezugspunkt eine ¹Wertsphäreª ins Spiel, die durch die Beziehung
zur Idee bestimmt ist.
Da das Wesen der Repräsentation darin besteht, etwas nicht real Anwesendes
im existenziellen wie zeitlichen Sinn anwesend zu machen18, ist Repräsentation
etwas anderes als eine bloûe Abstraktion dessen, was in der Vielzahl der einzelnen Daten einheitlich oder universell ist: Das zu Repräsentierende ist nicht nur
nicht aus den empirischen Einzeldaten ableitbar, sondern es geht diesen voran
und wird von ihnen vorausgesetzt. Ebenso ist die Repräsentation zu unterscheiden von der bloûen ¹Darstellungª oder Erzeugung von Bildern, weil sich die
Repräsentation auf das Andere bezieht, das nur mit ihrer Hilfe in Erscheinung
tritt und sie zugleich übersteigt: Etwas repräsentieren heiût, sich auf das zu beziehen, was repräsentiert werden soll und ¹noch einmalª (so Leibholz' wiederkehrende Formulierung) präsent gemacht werden muss.19
In dieser metaphysischen Sprache soll in der Verfassungsdebatte der Weimarer Zeit, welche die Krise des Staates erlebt, das Wesen der Repräsentation beschrieben werden, so wie es sich in der modernen Staatslehre herausgebildet
hat. Die Repräsentation gewinnt ihre spezifische Bedeutung nämlich in dem
Vgl. Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 23 ff.
Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32 und Schmitt, Verfassungslehre, S. 210.
18 ¹Rein sprachlich gesehen bedeutet Repräsentieren, dass etwas nicht real Präsentes wieder präsent, d.h. existentiell wird, etwas was nicht gegenwärtig ist, wieder anwesend gemacht wird. Durch die Repräsentation wird somit etwas als abwesend und
zugleich doch gegenwärtig gedacht.ª (Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 26).
19 Ebd., S. 27.
16
17
154
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Moment, als sie, entsprechend der oben erläuterten Natur des Repräsentierens,
auf die Einheit des Volkes oder der Nation bezogen wird: Diese ist repräsentierbar, weil sie nicht empirisch erfahrbar ist; andernfalls wäre Repräsentation nicht
möglich. Schmitt erinnert in diesem Zusammenhang an Kants Aussage, wonach
das versammelte Volk nicht den Souverän repräsentiert, sondern selbst der Souverän ist, also nicht repräsentiert werden kann.20 Dies ist der Grund, weshalb
das Prinzip der Identität demjenigen der Repräsentation widerspricht.
Aufgrund seiner Beziehung zur politischen Einheit ist der Begriff der Repräsentation staatsrechtlicher Prägung streng abzugrenzen von dem der Vertretung
im privatrechtlichen Bereich, wo eine Person ¹an die Stelleª einer anderen tritt,
deren Anliegen oder Interessen sie vertritt. Die Unterscheidung von politischer
¹Repräsentationª und privatrechtlicher ¹Vertretungª oder ¹Stellvertretungª, die
z. B. bereits bei Bluntschli anzutreffen ist, wird Ende der zwanziger Jahre nicht
nur von Schmitt und Leibholz, sondern auch von Smend und Heller bekräftigt.21 Für das Vorliegen einer Repräsentation ist es nicht hinreichend, dass X
an die Stelle eines Y oder einiger tausend Y tritt22; sie liegt vor, wenn man
sich nicht auf eine Realität und einen bereits existierenden, bestimmten Willen
bezieht, sondern wenn das nicht empirisch Anwesende repräsentiert wird: So
verhält es sich etwa mit dem Parlament gegenüber dem Volkswillen, der vor
und auûerhalb des repräsentativen Handelns unbestimmt bleibt.
Die Unterscheidung von Repräsentation und Vertretung verhindert nicht, dass
letztere auch im staatlichen Bereich gegeben sein kann23, und zwar in all jenen
Fällen, wo man sich auf einen bestimmten Willen bezieht und es nur um die
Ausführung einer übertragenen Aufgabe geht: Dann handelt es sich aber nicht
um politische Repräsentation, denn diese liegt nur dann vor, wenn der Idee der
politischen Einheit Form verliehen wird. Einerseits also bezieht sich Repräsentation auf etwas, das ihr vorausgeht und sie übersteigt, ist also keine bloûe
¹Darstellungª im Sinne der willkürlichen Hervorbringung von Bildern24, anderVgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 206.
Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 ff., Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32, Smend, Verfassung, S. 8 ff., Heller, Die Souveränität, S. 75 ff. Auch in
der klassischen deutschen Philosophie wird der Ausdruck ¹Repräsentationª in seiner
politischen Bedeutung verwendet. (vgl. Duso, Logica e aporie della rappresentanza,
auûerdem die unentbehrliche Schrift von Hofmann, Repräsentation, S. 413±414).
22 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 210.
23 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 33.
24 Auch Leibholz erklärt mit Blick auf das von Smend vorgeschlagene Integrationsprinzip, nicht ein Integrationsprozess schaffe erstmalig die Totalität des Volkes, sondern diese werde ¹noch einmalª durch die Repräsentation erzeugt (ebd., S. 47). Eine
Vertiefung der Problematik des Terminus ¹Darstellungª, seiner Verwendungsweise und
Etymologie ist an dieser Stelle nicht möglich; ich beschränke mich auf den Hinweis,
dass er bei Leibholz eine Hervorbringung von Bildern bezeichnet, die ohne Rückbezug auf die Idee auskommt; eine solche Kontrastierung der Begriffe lässt die Struktur
der Repräsentation deutlicher hervortreten.
20
21
1. Repräsentation und politische Form
155
seits hat das, worauf sie sich bezieht, keine bestimmte Form, sondern wird erst
durch das Schöpferische, Formierende des Repräsentierens präsent gemacht.
Dank ihrer Überlegungen zur konstitutiven Beziehung von Repräsentation
und politischer Einheit kommt es sowohl bei Schmitt wie bei Leibholz zur Auseinandersetzung mit der theoretischen Entwicklung, welche die Genese der modernen Staatsform begleitet hat. Als Vater des Repräsentationsbegriffs gilt ihnen
Hobbes, der bemüht ist, die Entstehung des politischen Körpers als juristische
Person, d.h. als Einheit zu begreifen, die ± sobald sie konstituiert ist ± zur Bestimmung ihres Willens nicht länger auf die Vielzahl der Individuen des Naturzustands rekurrieren kann, und ebenso wenig auf die Vielzahl der Einzelwillen
innerhalb des Staates, da es sich um die privaten Willen von Untertanen handelt, die also keinesfalls der mittels Pakt erzeugten Person Ausdruck verleihen
können.25
Aus dem Gesagten ergibt sich zum einen, dass der als Gewaltmonopol gefasste Begriff der politischen Einheit im Moment seines Entstehens notwendig
das repräsentative Handeln voraussetzt, zum anderen, dass das persönliche Element des Staates in der Person des Repräsentanten (bei Hobbes unmittelbar in
der Person eines Souveräns) Gestalt annimmt.26 Die juristische Person existiert
nur durch die Person, welche sie repräsentiert, d.h. den politischen Darsteller
(Person im ursprünglichen Wortsinn), der ihr Gesicht und Stimme leiht.
Diese Formulierung des Problems der politischen Repräsentation und der Bezug auf Hobbes versetzen uns in die Lage, mit einer Klarheit, die eine Reihe
von traditionellen Interpretationen der Sekundärliteratur überholt erscheinen
lässt, tragende Elemente der Geschichte der politischen Repräsentation, dieser
Schlüsselkategorie der Staatslehre neu zu interpretieren. Repräsentation ist nicht
das Merkmal einer spezifisch bürgerlich-liberalen Staatskonzeption zum Zwecke der Beschränkung und Kontrolle von Herrschaft, sondern verkörpert Inhalt
und Wirkungsweise dieser Herrschaft, ist also das Kernelement der modernen
politischen Form, insofern es das formierende Element dieser Form ist.
Die Erkenntnis des inneren Zusammenhangs von Repräsentationsbegriff und
modernen politischen Kategorien zeigt sich auch in Leibholz, wenn er Repräsentation von Solidarität abgrenzt; letztere beruht auf der Einheit der Gruppe,
die sich durch die Gesamtheit ihrer Glieder ausdrückt.27 Hier wird das Handeln
25 ¹Diese integrierende Bedeutung der Repräsentation und ihre enge Verknüpfung
mit dem Prozeû staatlicher Willensbildung ist, soweit ich die Literatur übersehe, zuerst mit Nachdruck von Hobbes [. . .] aufgezeigt worden.ª (Leibholz, Das Wesen der
Repräsentation, S. 58); vgl. auch Heller, Die Souveränität, S. 74, sowie die Einführung
zur italienischen Ausgabe: Pasquino, Pasquale: Introduzione, in: Heller, Hermann: La
sovranità dello stato ed altri scritti sulla dottrina del diritto e dello stato, Milano 1987.
26 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 214.
27 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 30 ff.
156
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
jedes Individuums als das Handeln Aller verstanden; ein Beispiel dafür ist das
Phänomen der Blutrache. Erst als der Begriff des Individuums als einer selbständigen, eigenberechtigten Entität entsteht, die von der kollektiven Entität der
Gruppe geschieden und ihr entgegengesetzt ist, werden die Grundlagen der Repräsentation gelegt. Man kann deshalb nicht von Repräsentation sprechen, wenn
es um die Solidarität in frühen menschlichen Gruppierungen geht. Es sei darauf
hingewiesen, dass die Verwendung von Ausdrücken der Wortfamilie ¹repraesentatioª im Mittelalter eine gänzlich andere Bedeutung hat, weil sie sich auf
eine kollektive Realität bezieht, die Wesen und Wirklichkeit ihrer Teile mit einschlieût und durch das Wirken all ihrer Glieder mit deren jeweiligen Funktionen und hierarchischen Positionen agiert. Der Begriff des Individuums dagegen ± Ausgangspunkt der modernen Vertragskonstruktion, welche Gleichheit
voraussetzt und Herrschaft des Menschen über den Menschen vermeidet ±
macht, sobald der politische Körper einmal erzeugt ist, das repräsentative Handeln einer oder mehrerer Personen erforderlich, das als ein Handeln aufzufassen
ist, zu dessen Urhebern sich alle Individuen erklärt haben.
Es leuchtet ein, dass das Verständnis des Phänomens der Repräsentation im
Sinne der modernen politischen Theorie Schmitt veranlasst hat, einen groûen
Rechtshistoriker wie Otto von Gierke zu kritisieren, der bei der Interpretation
der Entwicklung politischer Kategorien aufgrund seiner Annahme einer Kontinuität keine hinreichend klare Unterscheidung zwischen Begriffen wie ¹Repräsentationª, ¹vicem gerereª, ¹mandatumª, ¹commissioª, ¹Ermächtigungª und
¹Vertretungª getroffen habe. Der Mangel an klaren Abgrenzungen verleitet
Gierke, Repräsentation ganz im Sinne der ständischen Gesellschaft zu interpretieren, wo sie ± wie etwa bei Althusius ± an das imperative Mandat gebunden
ist, so dass er sie zur Zeit des Absolutismus als völlig untergegangen betrachtet
und nicht ihre Schlüsselrolle bei einem Denker wie Hobbes erkennt.28 Die mo28 Freilich ist auch der Schmitt'sche Standpunkt nicht ganz frei von Widersprüchen.
Stimmig ist er dort, wo Schmitt die Gestalt des Absolutismus und das repräsentative
Prinzip bei Hobbes erkennt, in dessen Denken die repräsentative Dimension ebenso
grundlegend für den Souverän ist wie die Vertragskonstruktion und der ± wenn auch
nur ideelle und logische ± Vorgang der Ermächtigung (Autorisierung), welcher dem
Begriff der Autorität und der Dialektik von autor (Urheber) und actor (Darsteller) zugrunde liegt. Allerdings scheint diese Schlüssigkeit zu schwinden, und die theoretische
Konstruktion wird problematisch und vielleicht gar widersprüchlich, wo Schmitt in
der ¹absoluten Monarchieª das repräsentative Prinzip in seiner reinsten Form erkennt
(z. B. Schmitt, Verfassungslehre, S. 206 und passim, aber vor allem ders.: Politische
Romantik, 2. Aufl. 1925, Berlin, S. 88); dies nicht nur wegen möglicher Schwierigkeiten bei der begrifflichen Definition und aufgrund der historischen Komplexität des
Absolutismus, der sich schwerlich auf eine Einheit reduzieren lässt, wie die politische
Struktur des ancien rØgime mit seinen verschiedenen Körperschaften und ihrer Vertretung gegenüber dem König zeigt, sondern auch weil in der Monarchie verschiedenste
Formen der Legitimation anzutreffen sind: vom Gottesgnadentum über die traditionelle Macht der Dynastie bis zur ¹rationalenª Konstruktion des Staates und der Souveränität im modernen Sinn, wie sie für den Repräsentationsbegriff kennzeichnend sind.
1. Repräsentation und politische Form
157
derne Repräsentation ist notwendig durch die Unabhängigkeit des Repräsentanten gekennzeichnet. Wenn dieser von einem Mandat oder von bestimmten Willensbekundungen und Weisungen abhängt, kann er nicht anders als eben diese
Willen widerspiegeln, die aber nichts mit dem einheitlichen Willen des Volkes
zu tun haben, sondern nur die partikulären Willen der Individuen oder organisierten Körperschaften sind.29 Im Fall der Abhängigkeit des Repräsentanten
ginge also die Funktion verloren, den Gemeinwillen des politischen Körpers zu
repräsentieren; der Repräsentant wäre dann eigentlich ein Funktionär, Agent
oder Kommissar. Zu berücksichtigen ist, dass dieses Wesen der Repräsentation
nicht nur Hobbes' Souverän zukommt, sondern auch dem Repräsentanten der
Volkssouveränität bei Kant und, wie Schmitt schreibt, dem Repräsentanten des
Volkes, wie er in der französischen Verfassung von 1791 und in der nachfolgenden Verfassungsgeschichte erscheint. Der Repräsentant repräsentiert also nicht
seine Wähler oder einige bestimmte Gruppen oder den Wahlkreis, in dem er
gewählt wurde, sondern die ganze Nation, deren Wille auûerhalb seiner Repräsentation nicht existiert. So betrachtet ist der Repräsentant in den modernen
Parlamenten nicht Diener der Bürger, die ihn wählen, sondern vielmehr ihr
Herr, ohne Mandate oder Weisungen, wie schon Max Weber gezeigt hatte.30
Wenn auch im modernen repräsentativen Staat dieses Merkmal der Unabhängigkeit des Repräsentanten bei seiner Funktion, den ganzen politischen Körper
zu repräsentieren, auftritt, dann liegt dies an dem engen Zusammenhang, den
die moderne politische Theorie von Anfang an zwischen den Begriffen Repräsentation und Souveränität hergestellt hat. Wie gesehen, ist ja schon bei Hobbes
derjenige ein Souverän, der den politischen Körper in seiner Einheit repräsentiert, also jener gemeinsamen Gewalt Gesicht und Tat gibt, die alle geschaffen
haben und der alle unterworfen sind. In einem anderen begrifflichen Kontext
und historischen Bezugsfeld war ein politischer Körper denkbar, in dem die
verschiedenen Funktionen von hierarchisch angeordneten Teilen so übernommen wurden, dass die oberen Instanzen die unteren nicht negierten und die
höchste Gewalt keine souveräne, absolute Gewalt war. Hier dagegen ist jene
einzige Macht zum Ausdruck zu bringen, die von allen hervorgebracht ist und
keinen Widerstand duldet, eine souveräne Macht, die im Repräsentieren Gestalt
annimmt, weshalb sich vom Souverän-Repräsentanten sprechen lässt.31
Vgl. zu dieser Thematik den erhellenden Aufsatz von O. Brunner zu den Wandlungen
der Monarchie zwischen Mittelalter und Neuzeit: Brunner, Otto: ¹Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzipª, in: Neue Wege, S. 160±186.
29 Zur besonderen Bedeutung des Mandats und zu seinem Bezug auf einen bestimmten, bereits artikulierten Willen sei an die in Kapitel I (Anm. 6) zitierten Arbeiten von H. Triepel und C. Müller erinnert.
30 Vgl. Kap. III, S. 145 ff.
31 Vgl. den wiederkehrenden Ausdruck ¹Die souverän-repräsentative Personª in
Schmitts Arbeiten über Hobbes, vgl. Schmitt, Carl: ¹Der Staat als Mechanismus bei
Hobbes und Descartesª, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 30 (1937),
158
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Leibholz allerdings trennt die beiden Begriff Souveränität und Repräsentation
im Gefolge Hellers und weist darauf hin, dass dieser zu Recht zwischen einer
souveränen Repräsentation, bei der der Souverän über eine universelle und autonome Entscheidungsgewalt verfügt, und einer ¹magistratischen Repräsentationª unterscheidet, bei welcher nicht der Repräsentant, sondern der Repräsentierte, d.h. das Volk, der Souverän ist.32 Eine solche Unterscheidung ist, wie ich
meine, in Auffassungen der französischen Revolutionsepoche erkennbar, beispielsweise in Deutschland bei Kant und Fichte, die zwar das repräsentative
Prinzip als grundlegend für die Existenz der Staatsform aufrechterhalten, sich
aber gleichwohl die Forderung Rousseaus zu eigen machen, die Souveränität
müsse der Gesamtheit des Volkes zukommen. In diesem Fall ist der Repräsentant nicht unmittelbar der Souverän, sondern bezieht sich auf die Souveränität
des Volkes; allerdings ist er der einzige legitime Interpret dieses souveränen
Willens, also derjenige, der diesen Willen formiert und artikuliert. Repräsentation, im formierenden Sinne und nicht als bloûe Ausführung eines bereits vorher artikulierten Willens, also mit der dementsprechenden Unabhängigkeit ausgestattet, ist offenbar auch dann notwendig, wenn die Souveränität der Gesamtheit des politischen Körpers zuerkannt wird. Wenn es zwischen diesen beiden
Positionen einen Unterschied gibt, der die unmittelbare Gleichsetzung der beiden Begriffe verhindert, dann innerhalb einer im Grunde einheitlichen Sichtweise, welche die beiden Auffassungen von Repräsentation als Ausdruck einer
einheitlichen und souveränen Herrschaft von vorhergehenden Auffassungen abhebt, wonach Repräsentation an den Begriff des imperativen Mandats gebunden
und das Volk nicht die einheitliche Gröûe ist, die sich jenseits der Einzelwillen
der Individuen artikulieren muss, sondern die politische Wirklichkeit verschiedener Korporationen und Organisationen, die sich in ihrer Pluralität zu Wort
melden. Klar ist sowohl bei Leibholz wie bei Heller, dass das repräsentative
Prinzip im modernen Sinne an den Begriff der Souveränität gebunden ist: Beide
gewinnen ihre spezifische Bedeutung aus der Verbindung, die sie vereint, und
aus dem historischen und begrifflichen Kontext, dem sie entspringen.33
Die bisher referierte Analyse des Repräsentationsbegriffs durch Schmitt und
Leibholz als eines typischen Begriffs der modernen politischen Form hat einige
charakteristische Elemente hervortreten lassen, die nun noch einmal zusammengefasst werden sollen. Vor allen Dingen hat sich als grundlegend die Beziehung
zwischen Repräsentation und politischer Einheit erwiesen, wobei letztere nicht
als empirische Gröûe, sondern als Idee verstanden wird. In dieser Beziehung
offenbart sich die innerste Natur der Repräsentation, insofern sie die Nicht-AnS. 622±632. Zum Zusammenhang von Souveränität und Repräsentation vgl. die Einleitung zu: Schmitt, Carl: Scritti su Thomas Hobbes, hrsg. von Carlo Galli, Milano 1986.
32 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 76, und Heller, Die Souveränität, S. 75 ff.
33 Vgl. zu Heller: Pasquino, Introduzione, S. 25 ff.
1. Repräsentation und politische Form
159
wesenheit dessen, was repräsentiert werden soll, voraussetzt. Wir haben es also
weniger mit einer Sphäre des Sein-Sollens zu tun als mit einer existenziellen
Tatsache und einer Dimension der Wirklichkeit, in welcher zugleich die Idee
und die empirische Realität gegeben sind.34
Die Alterität der Idee im Verhältnis zum empirisch Präsenten und auch zum
Akt des Repräsentierens enthält einen symbolischen Aspekt: Merkmal des Symbols ist es ja, anwesend zu machen, was anders ist und was das Wesen des
anwesenden Zeichens selbst transzendiert, sowie eine Teilnahme an dem, was
symbolisiert wird, zu bewirken. Der symbolische Aspekt wird sowohl von
Schmitt wie von Smend erwähnt. Auch bei Leibholz lässt er sich erkennen;
zwar unterscheidet dieser Repräsentation und Symbol, aber weniger um das
symbolische Wesen ± den Verweis auf ein Anderes ± im repräsentativen Akt zu
bestreiten, sondern um den aktiven und persönlichen Charakter der Repräsentation zu betonen, der dagegen ± so Leibholz ± im Symbol fehle, das als ¹Zeichenª zwar auf einen ¹Wertgehaltª auûerhalb seiner selbst verweise, diesen
aber ± anders als die Repräsentation ± nicht ¹noch einmal konkret gegenwärtigª
mache.35
Wenn der Repräsentation der Bezug auf die Idee wesensmäûig eigen ist, und
sie eben deshalb nicht bloû willkürliche Erzeugung von Bildern ist, so hat diese
Idee gleichwohl keine eigene Gestalt, sondern gewinnt Form und Präsenz erst
in der Repräsentation, ohne dabei ihr eigenes Wesen aufzugeben.36 Das heiût,
das Repräsentierte ± man denke an das Volk als politische Einheit, an die Nation ± übersteigt immer jegliche Repräsentation, gewinnt jedoch keine Präsenz
und artikuliert keinen bestimmten Willen, es sei denn durch die Repräsentation.37
Wesen des Repräsentierens ist also die formierende Tätigkeit: es erscheint als
das formierende Element der politischen Form. Diese Bestimmung ist unvereinbar mit dem Begriff einer Repräsentation, die an ein imperatives Mandat oder
einen bereits artikulierten Willen gebunden ist: Notwendiges Privileg der politischen Repräsentation ist ihre Unabhängigkeit, was die Tatsache mit sich bringt,
dass sie immer ¹von obenª kommt, denn die repräsentierte politische Einheit
kann nicht von den Einzelnen kommen, die sich repräsentiert fühlen.
34 Zur Dimension der ¹Wirklichkeitª bei Schmitt vgl. das folgende Kapitel; bezeichnend ist auch die Aussage Leibholz', in der Repräsentation würden die ¹Sphären
des ideellen wie des empirischen Seins in einer höheren, ideell-realistischen Einheit
aufgehoben.ª (Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 37).
35 Ebd., S. 36.
36 Die ideellen Werte, die eine Repräsentation erlauben bzw. erfordern, können
nämlich nicht selbst als Repräsentanten auftreten: ¹[. . .] Repräsentant kann nur sein,
was in der Sinnenwelt konkret faûbar ist und eben dadurch präsent wird.ª (ebd., S. 35).
37 Auch Leibholz betont den ideellen Charakter der repräsentierten politischen Einheit (z. B. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 47).
160
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Überdies macht die von oben kommende Formierung die persönliche Dimension notwendig: Nicht unbelebte Dinge können repräsentieren, sondern nur Personen, und zwar Personen mit Autorität, eben weil durch sie das zu Repräsentierende Form annimmt. Aber Würde und personelle Existenz kommen, wenngleich in anderer Form, auch denen zu, auf die sich die Repräsentation richtet
und die sich in ihr wiedererkennen. Andererseits bedeutet die personelle Dimension auch eine Differenz zwischen Repräsentant und Repräsentiertem: Dieses
Merkmal, das vom Prinzip der Identität negiert wird (siehe unten), ist sehr deutlich bei Leibholz, welcher die der Repräsentation innewohnende ¹Duplizitätª
betont.38
In der Etymologie der Repräsentation ± wie auch der Person ± ist schlieûlich
ein weiteres Merkmal angelegt: das der Öffentlichkeit, nicht nur in dem Sinne,
dass sie der Sphäre des öffentlichen Rechts und nicht der des Privatrechts oder
der Wirtschaft angehört, sondern auch im Sinne der ihr eigenen strukturellen
Dimension: Es gibt nämlich kein Repräsentieren, wenn man nicht jemandem
etwas präsentiert, wenn das Publikum fehlt, das für die Bühne, auf der sich der
Darsteller zeigt, unentbehrlich ist. Und Schmitt weist darauf hin, dass der Begriff der Öffentlichkeit den des Volkes nach sich zieht: Es gibt ¹keine Repräsentation ohne Öffentlichkeit, keine Öffentlichkeit ohne Volkª39; und umgekehrt: ¹Das Volk erscheint nur in der Öffentlichkeit, es bewirkt überhaupt erst
Öffentlichkeit.ª40 Es ist also nicht nur so, dass Repräsentation aufgrund der Öffentlichkeit das Volk voraussetzt, sondern sie setzt es als aktives und produktives Element für die ihm wesensmäûig eigene Dimension der Öffentlichkeit
voraus.
2. Repräsentation und Realisierung der Identität
Nachdem nun die Struktur des Phänomens ¹Repräsentationª geklärt ist, kommen wir zu unserem Ausgangspunkt zurück: dem Gegensatz der Prinzipien von
Identität und Repräsentation. Dieser oftmals hervorgehobene Gegensatz41 wird
auch von Schmitt und Leibholz aufgegriffen, und zwar in der polemischen Absicht, einem verbreiteten Missverständnis der politischen Repräsentation entgegenzutreten: Repräsentation als Phänomen einer auf dem demokratischen Prinzip beruhenden, gegen den Absolutismus gerichteten Herrschaftsorganisation.
38 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 28 sowie S. 110±111, wo er die
Auffassung der Repräsentation von Jellinek kritisiert, der Wille der Repräsentanten sei
unmittelbar als Wille der Repräsentierten anzusehen, denn eine solche verliere eben
das Merkmal der personellen Duplizität.
39 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208.
40 Ebd., S. 243.
41 Vgl. Mantl, Wolfgang: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein
Beitrag zur modernen Staatsformenlehre, Wien/New York 1975, bes. Kap. 4, S. 121 ff.
2. Repräsentation und Realisierung der Identität
161
Von ihrem Entstehungskontext her erscheinen repräsentatives und demokratisches Prinzip vielmehr als logischer Widerspruch, jedenfalls wenn man die
Aussagen von Hobbes und Rousseau zugrunde legt, die diese beiden Prinzipien
am klarsten formuliert haben und auch für Schmitt und Leibholz fundamentale
Bezugspunkte darstellen.42 Das Grundproblem ist in beiden Fällen die Herstellung der politischen Einheit eines Volkes, unterschiedlich ist dagegen die Art
und Weise ihrer Erzeugung: einerseits durch die Vermittlung der Person des
Repräsentanten, andererseits durch die unmittelbare Präsenz des seinen Willen
artikulierenden Volkes.43
Der Gegensatz wird sogleich abgeschwächt in Schmitts Feststellung, Identität
und Repräsentation schlössen sich in der konkreten Wirklichkeit des Staates
nicht aus, sondern seien ¹nur zwei entgegengesetzte Orientierungspunkte für die
konkrete Gestaltung der politischen Einheitª und seien beide für diese Gestaltung notwendig.44 Aber das Problem stellt sich komplexer dar, und schon die
Analyse der Struktur der Repräsentation lässt den Schluss zu, dass die beiden
Prinzipien nicht im selben Sinne und auf derselben Ebene als Orientierungspunkte gelten können. Bei genauerem Hinsehen geht aus Schmitts Text die logische Unmöglichkeit der reinen Identität und somit des Begriffs der Demokratie in Reinform hervor; dem gegenüber steht die Beschreibung einer Form, in
der Repräsentation und Identität gemeinsam gegeben sind: Dies liegt daran,
dass Repräsentation ein formales Prinzip ist (deshalb gilt ¹Es gibt keinen Staat
ohne Repräsentation, weil es keinen Staat ohne Staatsform gibt [. . .]ª) und als
Prozess das Element der Identität voraussetzt, um zu sein, was sie ist, nämlich
Repräsentation.
Die unterschiedliche Rolle der beiden Prinzipien wird sofort deutlich, wenn
man bedenkt, dass das Prinzip der Repräsentation das als Einheit lebende Volk
voraussetzt. Das mag verborgen bleiben, solange das Prinzip in die bloûe Feststellung mündet, dass es des Handelns einer repräsentativen Person bedarf, und
diese Notwendigkeit im Kontext der absoluten Monarchie im Sinne der Aussage
¹L'Øtat c'est moiª eingelöst wird, tritt aber sofort zutage, wenn man sich das
Wesen des repräsentativen Handelns verdeutlicht. Zu diesem Wesen gehört, wie
gezeigt, notwendig die Öffentlichkeit, also der Willensausdruck der Gesamtheit
der Individuen, die sich als Volk in der politischen Einheit wiedererkennen.45 So
gesehen lässt sich sagen: Repräsentation liegt vor, insofern sie die Identität des
Volkes voraussetzt, und ist bestimmt als Prozess, der von einer konstitutiven
42 Zu berücksichtigen sind die oben angeführten Verweise der beiden Autoren auf
Hobbes sowie die auf Rousseau hinsichtlich der Identität (z. B. Schmitt, Verfassungslehre, S. 205, und Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 30).
43 Mehrfach wird bei Schmitt der Gegensatz zwischen den beiden Prinzipien erklärt; neben den bereits erwähnten Passagen, die speziell diesen Prinzipien gewidmet
sind, vgl. z. B. auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 262.
44 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 206.
11 Duso
162
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Spannung zwischen der Idee der politischen Einheit und jener Situation ausgeht,
die ihre Verwirklichung ± mittels Anerkennung durch die Gesamtheit der Angehörigen des Volkes ± in der repräsentierten Totalität des Volkes findet: D.h.
durch Repräsentation verwirklicht sich die Identität des Volkes.
Das Prinzip der Identität in seiner Reinform dagegen erscheint von seinem
Wesen her unvereinbar mit demjenigen der Repräsentation: Ist das Volk präsent,
dann ist es der Souverän und kann nicht repräsentiert werden. Die Anwesenheit
des Gemeinwillens verhindert, wie bei Rousseau zu beobachten, jegliche Repräsentation; denn repräsentiert werden kann nur, was nicht wirklich präsent ist.
Aber sobald es weniger um die Existenz des Volkes denn um seine Präsenz als
unmittelbare Identität geht, entsteht eine grundsätzliche Aporie. Denn einerseits
gilt wohl: ¹Eine restlose, absolute Identität des jeweils anwesenden Volkes mit
sich selbst als politischer Einheit ist an keinem Ort in keinem Augenblick vorhanden.ª46 Aber andererseits ist ± eben aufgrund des Prinzips, das dem Denken
Rousseaus zugrunde liegt ± auch nicht vorstellbar, dass das Volk in seiner Totalität, als politische Entität, sich nicht schlechthin mit der Summe der Individuen
deckt, aus denen es zusammengesetzt ist. Zunächst einmal ist die Gesamtheit
der Bürger in der Versammlung nicht wirklich identisch mit allen, wirklich allen zum Volk gehörenden Individuen, auûerdem aber ± und das ist entscheidend
± ist der einzelne Bürger in der Versammlung nicht als Einzelner in seiner natürlichen Existenz anwesend, sondern als ¹citoyenª, d.h. als Teilhaber der Souveränität und der gemeinsamen Herrschaft. Es gibt also eine Differenz, die bewirkt, dass der in der souveränen Versammlung anwesende Einzelne sich nicht
auf real Existierendes bezieht, sondern auf die Idee der Einheit des Volkes, des
zu artikulierenden Gemeinwillens. Auf diese Weise scheint ein unvermeidliches
repräsentatives Element dazwischenzutreten.
Folgt man den Schmitt'schen Ausführungen zu den Situationen, in denen
¹das Prinzip der Identität am meisten verwirklichtª47 ist, dann tritt die notwendige Vermittlung durch repräsentative Elemente deutlich zu Tage. Zwar ist das
Volk bei Plebiszit und Akklamation durchaus präsent und artikuliert seinen Willen, aber diese Präsenz trägt nicht die Züge einer unmittelbaren Identität. Der
Willensausdruck ist möglich, weil ± nicht vom Volk, sondern für das Volk ±
eine Frage formuliert wird, welche die Willensäuûerung gestattet, denn von seinem Wesen her gilt für das Volk Schmitts Feststellung: ¹Volk kann antworten,
aber nicht fragenª.48 D.h. die Einheit des Volkes ist das Ergebnis eines Vorgangs, bei dem seine einzelnen Mitglieder die durch die Fragestellung bewirkte
45 Zu beachten ist auch hier, dass diese Begriffsdynamik schlüssig ist, wenn der
Zusammenhang von Souveränität und Repräsentation in Hobbes ± und nicht in der
absoluten Monarchie ± erkannt wird.
46 Schmitt, Verfassungslehre, S. 207.
47 Ibidem.
48 Schmitt, Carl: Volksentscheid und Volksbegehren, Berlin/Leipzig 1927, S. 37.
2. Repräsentation und Realisierung der Identität
163
Formierung der Einheit anerkennen und einen Willen formulieren, der nicht
mehr den Individuen, sondern dem ganzen Volk gehört. Die durch die Frage
bewirkte Formierung des Willens, die eine Übereinstimmung der Einzelwillen
ermöglicht, ist eben das tragende Element eines umfassenden Vorgangs, in dem
die Identität den Charakter einer ohne Repräsentation der Einheit undenkbaren
Identifizierung annimmt.49 Kennzeichnend für die Verflechtung der Begriffe
Identität und Repräsentation ist die Feststellung, dass auch in der Monarchie ±
also in einer Staatsform, die dem Prinzip der Identität, auf welchem die Demokratie beruht, widerspricht ± eine solche Anwesenheit des akklamierenden Volkes gegeben sei, ¹solange überhaupt die Monarchie ein lebendiges Staatswesen
istª, d.h., so lieûe sich sagen, solange sie nicht einfach als ¹legitimeª Form
überlebt, sondern den politischen und existenziellen Sinn der Repräsentation
hat.50
Man könnte annehmen, dass die angesprochene Problematik daher rührt, dass
der hier verwendete Volksbegriff negativ bestimmt ist, nämlich ¹durch den Gegensatz gegen das amtlich organisierte System von Behörden und Magistraturenª.51 So gesehen würde die fehlende Unmittelbarkeit der Identität weniger
problematisch für Schmitts Ausgangshypothese eines prinzipiellen Gegensatzes
zwischen Identität und Repräsentation erscheinen: Man könnte meinen, es läge
hier, ganz widerspruchsfrei, jene Herstellung der Öffentlichkeit durch das Volk
vor, die ein grundlegendes Element der Repräsentation darstellt. Allerdings
stellt sich ein analoges Problem am Dreh- und Angelpunkt der Demokratie, d.h.
beim Volk als dem Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt52, jener einzigen
und unteilbaren Gewalt, die das umfassende Fundament aller anderen Gewalten
ist.
Eine Untersuchung der Art, wie die verfassunggebende Gewalt bestimmt
wird, ist von Bedeutung, weil sich hier die Staatsformen in Bezug auf die beiden grundlegenden Prinzipien unterscheiden; dort, wo das Volk und nicht der
Monarch die verfassunggebende Gewalt innehat, ¹bestimmt sich die politische
Form des Staates an der Vorstellung einer Identität; die Nation ist da; sie
braucht und kann nicht repräsentiert werden, . . .ª.53 Mit der verfassunggebenden Gewalt befinden wir uns im Zentrum des Problems der Herstellung der
politischen Form: ¹Verfassunggebende Gewalt ist der politische Wille, dessen
Macht oder Autorität imstande ist, die konkrete Gesamtentscheidung über Art
49 Schmitt erscheint diesbezüglich schwankend: Einerseits betont er die Tatsache,
dass die Frage oft schon in der Formulierung die tatsächliche Entscheidung vorwegnimmt (Verfassungslehre, S. 279), andererseits hält er es für möglich (ebd.), dass sich
in bestimmten Momenten ein entschiedener, widerspruchsloser Volkswille Bahn bricht.
50 Ebd., S. 244.
51 Ebd., S. 242: Schmitt spricht von ¹negativ bestimmte[r] Gröûeª.
52 Ebd., S. 223, 238 und 91.
53 Ebd., S. 205.
11*
164
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
und Form der eigenen politischen Existenz zu treffen, also die Existenz der
politischen Einheit im Ganzen zu bestimmen.ª54 Wir stehen hier vor dem primären Akt der grundlegenden Entscheidung und der Erzeugung der politischen
Form, und eben im Hinblick auf die Art und Weise der Herstellung der politischen Einheit unterscheiden sich die beiden Prinzipien ¹Identitätª und ¹Repräsentationª.
Das Volk als verfassunggebende Gewalt ist ein typisches Prinzip der modernen Demokratie ± Schmitt bezieht sich im Kapitel über die verfassunggebende
Gewalt auf Sieyes55 ± und findet sich nicht in älteren Auffassungen, z. B. bei
Althusius, für den das Volk eine potestas constituta ist.56 Grundlegende Besonderheit des Volkes als konstituierende Gewalt ist es, nicht konstituiert zu werden, nicht nur in dem Sinne, dass es nicht reglementiert und beschränkt werden
kann, sondern auch in dem Sinne, dass es ¹keine feste, organisierte Instanzª
ist.57 Das Volk ist also eine nicht formierte Gröûe, unbestimmt und formlos:
Dies macht sowohl seine Kraft aus ± nämlich die Tatsache, jeder Regel und
Festlegung überlegen und selbst Fundament jeglicher Reglementierung zu sein
± als auch seine Schwäche, die darin liegt, dass es über seine politische Form
entscheiden muss, ohne selbst formiert zu sein.58 Schmitt äuûert die Überlegung, eben aus diesem Grund könnten die Willensäuûerungen des Volkes verkannt, missverstanden oder verfälscht werden. Aber die Logik seiner Argumentation führt zu einer tiefer liegenden Aporie: Da dem Volk das formelle Element der Persönlichkeit fehlt, kann es als solches, innerhalb seiner Identität,
nicht formierendes Prinzip und Erzeuger von Form sein.
Untersucht man die verschiedenen Arten, wie sich die konkrete politische
Entscheidung durch das Volk als Subjekt manifestiert, so wird man bemerken
(paradoxerweise, wenn man diesen Umstand auf die Behauptung vom Gegensatz der beiden Prinzipien bezieht), dass es nicht einmal auf dieser Ebene eine
unmittelbare Willensäuûerung des empirisch anwesenden Volkes geben kann.
Alle von der Demokratie eingeschlagenen Wege, dem verfassunggebenden
Willen des Volkes Ausdruck zu verleihen, bedienen sich eines vermittelnden
Elements, das es eben diesem Willen erlaubt, Form anzunehmen, sei es, dass zu
Ebd., S. 75 f.
Zur verfassunggebenden Gewalt bei Sieyes und Schmitt bzw. zum Vorrang des
repräsentativen Prinzips, vgl. den Aufsatz von Pasquino, Sieyes et l'invention de la
constitution en France.
56 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 77, wo wiederum Gierke kritisiert wird, weil
er den Standpunkt des romantischen Deisten Rousseau mit dem des gläubigen Calvinisten Althusius zusammenbringt und so übersieht, dass es nicht bei letzterem, sondern
erst im Folgenden zur Säkularisierung des theologischen Gottesbegriffs als potestas
constituens kommt.
57 Ebd., S. 83.
58 Ebd., S. 83.
54
55
2. Repräsentation und Realisierung der Identität
165
diesem Zweck eine Nationalversammlung oder ein Konvent vorgesehen sind,
sei es, dass das Verfahren des Plebiszits angewandt wird, das nicht nur, wie
gesehen, eine Fragestellung voraussetzt, sondern zuweilen der Mehrheit der
Wähler gar die Gelegenheit bietet, einen Willen zu bekunden, der dahin geht,
die Entscheidung anderen zu überlassen oder schon gefällte Entscheidungen
und vollendete Tatsachen schlicht zu ratifizieren.59
In all diesen Fällen kommt es zur Einführung von repräsentativen Elementen
und zu einer personenabhängigen formierenden Dimension: in der Körperschaft
der Nationalversammlung oder des Konvents oder in der fragenden Instanz,
während das Volk als Gesamtheit seiner Mitglieder nur mittelbar teilhat, im
Wahlakt, bei der Ratifizierung oder Zustimmung. Das hier aufscheinende repräsentative Element hat zur Folge, dass man nicht von unmittelbarer Identität
sprechen kann, sondern wiederum eher von jener Öffentlichkeit, die zum Phänomen der Repräsentation gehört ± einer Repräsentation, die sich hier auf formale und ausdrückliche Weise manifestiert.
Wir können an dieser Stelle zum Grundproblem des Identitätsprinzips zurückkehren: Das Volk als solches, in seiner Unmittelbarkeit, ist ohne Form und
kann keine Form erzeugen, wenn nicht dank der Vermittlung eines formalen
Elements persönlich-repräsentativer Art. Auûerdem: wenn die Identität des Volkes auf der politischen Voraussetzung der Gleichartigkeit beruht60, so ist darauf
hinzuweisen, dass diese keine reale Existenz hat, sondern Ergebnis einer Fiktion
ist.61 Mit der Bezeichnung ¹Fiktionª ist nicht vorrangig eine Kritik beabsichtigt,
die auf den Widerspruch von Fiktion und Realität zielt, sondern es soll die
Struktur der Repräsentation in Erinnerung gerufen werden, bei der das zu Erzeugende eine Realität voraussetzt, die keine empirische, sondern eine ideelle
Dimension hat. Übrigens liegt das fiktive Element bereits im Wesen der juristischen Denkweise, wie sie sich in der historisch gewachsenen Verknüpfung der
Begriffe Person und Repräsentation offenbart.62
59 Ebd., S. 84 ff.; vgl. S. 279±280, wo Schmitt, unter Ausklammerung von Fragen
der Massenpsychologie, als Hauptgrund für die Abhängigkeit von der Fragestellung
die Tatsache anführt, dass die Mehrheit der Wähler versucht, möglicht wenige Entscheidungen zu treffen bzw. sich diesen ganz zu entziehen.
60 So auch im Rousseau'schen Modell, wo die Gleichartigkeit und nicht der Vertrag
der staatlichen Einheit zugrunde liegt (vgl. Schmitt, Carl: Die geistesgeschichtliche
Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl. 1926, München/Leipzig, S. 20).
61 Schmitt, Verfassungslehre, S. 215.
62 Man denke an den im Mittelalter entstandenen Zusammenhang zwischen dem
Begriff persona und der Entstehung der juristischen Fiktion sowie dem Ausdruck
¹persona ficta sive repraesentataª (vgl. Hofmann, Repräsentation, S. 132±144 sowie
Todescan, Franco: Diritto e realtà. Storia e teoria della fictio iuris, Padova 1979), aber
auch an die Verknüpfung der Begriffe Person, Repräsentation und Fiktion in Kapitel
XVI des Leviathan von Hobbes.
166
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Der Begriff der Identität, verstanden als unmittelbare Gegenwart des Volkes,
das in seiner politischen Einheit einen Willen artikuliert und handelt, ist also
nur eine gedankliche Idealkonstruktion. Dabei tritt der politische Aspekt so weit
zurück, dass paradoxerweise jeder Versuch des Aufbaus einer direkten Demokratie, der nicht die Spannung zwischen dem citoyen als Träger des Willens des
ganzen politischen Körpers und dem empirisch vorhandenen Individuum in
Rechnung stellt, das zu verspielen droht, was er hervorbringen wollte, nämlich
die politische Einheit, die ± das sollte nicht vergessen werden ± ¹nicht von Natur vorhanden ist, sondern auf einer menschlichen Entscheidung beruhtª63.
Demgegenüber steht ein konkreter Begriff von Demokratie, in dem ein politisches Element präsent ist und Identität nicht in der Form der Unmittelbarkeit
gefasst wird, sondern als Prozess der Identifizierung. Die Identität zwischen Regierenden und Regierten, Herrscher und Beherrschten, Subjekt und Objekt der
staatlichen Autorität, zwischen Volk und Parlament, ist nämlich eigentlich eine
¹Anerkennung der Identitätª64: diese Form des konkreten Erscheinens von Identität bedeutet die Negation der Möglichkeit ihres unmittelbaren Gegebenseins,
wie sie vom Prinzip der Identität behauptet wird.
Leibholz, der die Argumentation Schmitts stets aufmerksam verfolgt, erkennt
diese Dialektik, bei der fiktive, also repräsentative Elemente in den Begriff der
Identität eingehen und dazu führen, dass Identität als Repräsentation umgedeutet wird.65 Zwar ist Leibholz klar, dass beim Aufbau eines politischen Gemeinwesens repräsentative Elemente einflieûen66, hält es aber für notwendig, die
Begriffe Identität und Repräsentation wohl zu trennen, da ersterer auf der Vorstellung der Einheit, der zweite dagegen auf dem Gedanken der personellen
Zweiheit beruhe und ihre Verquickung einen ¹mystischen Glanzª erzeuge, der
die unterschiedliche Rolle der Konstitutionsprinzipien bei der Vereinheitlichung
des Willens in der Staatsform verdunkele.67 Zu diesem Zweck ist Leibholz bemüht, das Vermittlungs- bzw. Spannungselement als Wesensmerkmal des Begriffs der Identität zu beschreiben. Wenn man nämlich für das konkrete Vorliegen von Identität von einem Prozess der ¹Identifizierungª68 sprechen muss, so
ziehe dies nicht die Notwendigkeit der Einführung repräsentativer Elemente
nach sich, sondern vielmehr die Anerkennung, dass sowohl Identität wie Repräsentation keine naturwissenschaftlichen, sondern geisteswissenschaftliche Begriffe seien. Eben wegen seiner geistigen Natur muss ± auch im Hinblick auf
die Identität ± von einem Prozess gesprochen werden, und zwar von einem
63
64
65
66
67
68
Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 207.
Vgl. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S. 35.
Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 30, Anm. 1.
Vgl. z. B. ebd., S. 196.
Ebd., S. 29.
Ebd., S. 28 f., bes. S. 28 Anm. 2.
2. Repräsentation und Realisierung der Identität
167
¹Transsubstantiationsprozeûª, kraft dessen dasjenige für identisch erklärt wird,
was es in der empirischen Wirklichkeit nicht ist. Zu denken ist an die Gesamtheit der Individuen und den Gemeinwillen des Volkes oder an die erwähnte
Spannung zwischen dem physisch anwesenden Einzelnen in der souveränen
Versammlung und seiner Existenz als citoyen, aufgrund deren er den Gemeinwillen zu artikulieren vermag. Wenn es Identifizierung in der demokratischen
Gleichheit gibt, etwa zwischen dem Volk als Summe der Wähler und dem Volk
als ideeller Einheit, dann bedeutet dies nach Leibholz nicht, dass die Einheit
durch Dazwischentreten einer repräsentativ handelnden Person hergestellt wird,
sondern es heiût, dass hier ein Prozess vorliegt, der seinen Sinn in der Identität
und seinen Ausgangspunkt in der Volkssouveränität hat.69
Indem Leibholz die Identität an sich als Vermittlung und Prozess betrachtet,
kann er Schmitt zu widersprechen versuchen, wo dieser zur Einheitlichkeit der
Struktur der politischen Form neigt; er wendet sich gegen Schmitt, insofern dieser die beiden Begriffe zu vermengen scheint, und knüpft dort an, wo Schmitt
den unwiderruflichen Gegensatz der beiden Prinzipien erklärt.70 Jedoch droht
die bei Schmitt dominierende Dialektik auch das Denken von Leibholz zu beeinflussen, wenn man folgende Merkmale bedenkt: die Unmöglichkeit, die Einheit des Volks auf eine empirische Realität zurückzuführen; den nicht unmittelbar institutionellen, sondern eher existenziellen Charakter der Repräsentation;
schlieûlich den Umstand, dass bei den für die demokratische Gleichheit kennzeichnenden Identifikationsformen eine personelle Differenz auftritt, denn es
sind Personen (in ihrer existenziell repräsentativen Dimension), die eine Form
erzeugen, welche den Prozess der Identifizierung erst ermöglicht.
Das Problem der politischen Einheit selbst also ist es, das die Repräsentation
(oder etwas, das ihr sehr nahe kommt) notwendig macht, und zwar weil die
politische Einheit keine Tatsache, sondern das Ergebnis einer Entscheidung ist.
Auch wenn die Repräsentation, besonders bei Schmitt, dieselbe Extension hat
wie die politische Form ± auch in ihrer demokratischen Variante ± so mag es
dennoch scheinen, als bliebe auf der Ebene der Regierung ein Gegensatz zwischen Repräsentation und Identität bestehen. Mehrfach nämlich erklärt Schmitt,
ein Höchstmaû an Repräsentation komme einem Maximum an Regierung
gleich, während einem Höchstmaû an Identität ein Minimum an Regierung entspreche. Dies erscheint manchem Beobachter, der die Koextension von Repräsentativprinzip und politischer Einheit bzw. (in dieser Hinsicht) Demokratie erkennt, als zweiter, spezifischerer Begriff von Repräsentation, der mit dem der
Ebd., bes. S. 29 Anm. 1 und S. 30 Anm. 1.
Ebd., S. 119 und Anm. 4. Zum Zusammenfallen der beiden Prinzipien bei
Schmitt vgl. Hofmann, Hasso: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen
Philosophie Carl Schmitts, Neuwied/Berlin 1964, vor allem S. 154.
69
70
168
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
Herrschaft zusammenfällt, so dass man sagen könne, der Kampf um Repräsentation sei Kampf um die ¹politische Machtª.71
Aber hier ist die strukturelle Einheit, welche die beiden Prinzipien verbindet,
stärker als es zunächst den Anschein hat und die Unterscheidung löst sich auf.
Wenn nämlich die Voraussetzung von Demokratie die ¹Identität von Herrscher
und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchendenª
ist72, so ist damit nicht etwa ein Unterschied zwischen Regierenden und Regierten ausgeschlossen, sondern die Tatsache, dass dieser Unterschied qualitativer
Art ist, dass er eine Überlegenheit einiger Individuen über andere schafft. Sinn
der Demokratie ist es, dass Regierende wie Regierte das Gefühl haben, innerhalb einer substanziellen Einheit, der Gleichheit als substanzieller Homogenität
des Volkes zu stehen. Das heiût nicht nur, dass der Unterschied zwischen Regierenden und Regierten nicht zu beseitigen ist, sondern er kann sogar ¹[. . .] im
Vergleich zu andern Staatsformen in der Sache ungeheuer verstärkt und gesteigert werden, sofern nur die Personen, die regieren und befehlen, in der substanziellen Gleichartigkeit des Volkes verbleiben.ª73 Das Gefühl der Zugehörigkeit
zum Volk als Ganzem sowohl seitens der Befehlenden wie der Gehorchenden
stärkt Herrschaft und Regierung sogar noch: Trifft die Herrschaft der Regierenden auf Zustimmung und Vertrauen beim eigenen Volk, ¹so kann ihre Herrschaft strenger und härter, ihre Regierung entschiedener sein als die irgendeines
patriarchalischen Monarchen oder einer vorsichtigen Oligarchieª. Wiederum
fällt der Begriff der Identität mit seinem Gegenteil zusammen, und in der Homogenität als Voraussetzung der Demokratie findet sich die Grundlage eben
jenes Elements der ¹Regierungª, das als Kennzeichen der Repräsentation bezeichnet worden war.
Ein letzter Unterschied, der sich infolge der hier dargelegten Analyse abzuschwächen scheint, betrifft die sowohl von Schmitt wie Leibholz geäuûerte
Auffassung, Repräsentation sei von Transzendenz geprägt, insofern sie stets
¹von obenª komme, während der Begriff der Identität strikt immanent sei: ¹Jedes Heraustreten aus der Immanenz würde die Identität verneinen.ª74 Man
denke hier an Rousseau, der das in den individuellen Repräsentanten gesetzte
Vertrauen ablehnt, während er den Gemeinwillen als aktuell und gegenwärtig
darstellt. Jedoch ist zweierlei zu bedenken: Zum einen ist der Begriff des Volkes als potestas constituens schon eine Säkularisierung der im Mittelalter Gott
zugesprochenen Gewalt75, zum anderen verlangen die Einführung personeller
71 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 212. So die Sicht von Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie, S. 204±205.
72 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234.
73 Ebd., S. 236. Natürlich ist der Gebrauch, den Schmitt hier vom Terminus ¹Regierungª macht, vor dem Horizont der modernen Herrschaft bzw. Souveränität zu
sehen.
74 Ebd., S. 237.
3. Repräsentation als Legitimation der Herrschaft
169
und repräsentativer Elemente sowie der damit verbundene Aspekt der ¹Regierungª eine Haltung des ¹Vertrauensª (so Schmitt) und des Glaubens an die hergestellte Einheit, die mit einem Begriff von empirisch gegenwärtiger und vorgeblich immanenter Identität kaum zu vereinbaren ist.76
Identität als unmittelbare und eigenständige Gröûe erweist sich somit als
nicht politisch, ja nicht einmal denkbar; insoweit sie politisch denkbar ist,
erweist sie sich als unverzichtbares Element der politischen Form und des Prozesses, der diese hervorbringt, d.h. der Repräsentation. Die Struktur, die bei
Schmitt und, wenn auch mit starken Vorbehalten, bei Leibholz deutlich wird, ist
eine einzige: die Struktur der Repräsentation. Diese ist eine Form der Erzeugung von Identität und beinhaltet zugleich den Prozess der Identifizierung, also
die Anerkennung des Volkes als Gesamtheit der Bürger, ohne die die repräsentative Herrschaft Gefahr liefe, sich in eine bloûe Regierung von einer oder mehreren Personen aufgrund ihrer Eigenschaften und Machtpositionen zu verwandeln. Die Struktur die aufscheint, ist die der politischen Einheit, wie sie von
einer lang währenden Tradition der Moderne entwickelt wurde: Dieser Begriff
ist es, der alle Unterschiede in sich begräbt und die Vorstellung zweier getrennter Prinzipien verhindert. Es ist bemerkenswert, in welchem Maûe die Hobbes'sche Vertragskonstruktion (die Entstehung der politischen Repräsentation
aus einem Prozess der Autorisierung bzw. aus einem Ansatz, bei dem aus dem
Willen Aller die Möglichkeit erwächst, den Willen des auf diese Weise konstituierten Volkes zu artikulieren) jene durch die Dualität ermöglichte Identifizierung vorweggenommen hat, die in der Demokratie ihren Ausdruck findet.
3. Repräsentation als Legitimation der Herrschaft
Die dargelegte Struktur, in der Repräsentation das Element der Identität voraussetzt, enthüllt einen typischen Aspekt der modernen Staatslehre: die Legitimierung der Herrschaft im Sinne ihrer rationalen Begründung. Es geht hier
nicht um die Legitimation des status quo oder um den Bezug auf die ¹gute alte
Ordnungª, auch nicht um die Legitimität in einer als gültig vorausgesetzten
Rechtsordnung. Der für die moderne Herrschaft typische Legitimitätsbegriff
will diese Begründungen des Rechts auf Regierung im herkömmlichen Sinne
hinwegfegen77, ebenso wie er eine Einsetzung aufgrund göttlichen Willens ins
Abseits drängt und irrelevant werden lässt. Vielmehr erfordert moderne Legitimation, wie es scheint, eine rationale Rechtfertigung für einen neuen Begriff
von Herrschaft, der einerseits, als notwendige Bedingung für die Beseitigung
von Konflikten, das Gewaltmonopol nach sich zieht, andererseits, insofern er
75
76
77
Ebd., S. 77.
Ebd., S. 236.
Ebd., S. 49.
170
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
auf der Gleichheit der Menschen gründet, die Beseitigung der Unterschiede und
der Befehlsgewalt des Menschen über den Menschen. Mit anderen Worten, moderne Herrschaft muss Eigenschaften aufweisen, die verhindern, dass sie gegenüber der Gesamtheit der den politischen Körper konstituierenden Individuen zu
einer anderen, entgegen gesetzten Instanz wird.78
Die ¹Legitimität einer Verfassungª führt Schmitt auf die Anerkennung der
¹Macht und Autoritätª des Subjekts der verfassunggebenden Gewalt zurück,
das einer politischen Existenz Form verleiht, die als solche keiner weiteren
Rechtfertigung bedarf. Das heiût, es ist nicht notwendig, aber auch gar nicht
möglich, die politische Existenz durch eine ethische oder juristische Norm zu
rechtfertigen.79 So gesehen kann man weder von ¹Legitimität eines Staatesª
noch von ¹Legitimität einer Staatsgewaltª sprechen ± wobei diese Begriffe insofern zusammenfallen, als es einen Staat ohne Staatsgewalt nicht gibt und umgekehrt80 ± da Gesetze und Normen innerhalb des Staates und seiner Verfassung
wirksam werden, also eine Existenz in der Sphäre des Politischen bereits voraussetzen. Hier erhält der Begriff ¹Legitimitätª seine Bedeutung aus der Existenz von Gesetz und Norm und nähert sich der eingeschränkten Bedeutung von
Legalität an. Das heiût freilich nicht, dass es keine Legitimität bei der Entstehung der politischen Existenz gibt, wenn der Begriff so verstanden wird, dass
er ein Primat gegenüber dem Gesetz hat: Man kann nämlich sehr wohl reine
Machtausübung von legitimer Herrschaft unterscheiden. Schlägt man diese
Richtung ein, stöût man auf die Überschneidung der Problemkreise Legitimität
und Repräsentation, was dadurch bedingt ist, dass das zugrunde liegende Thema
die politische Einheit ist.81
Betrachtet man die beiden (auf die möglichen Subjekte der verfassunggebenden Gewalt bezogenen) Formen der Legitimität ± die monarchisch-dynastische
Legitimität, die auf der Autorität des Monarchen beruht, und die demokratische,
die auf der Idee des Staates als politischer Einheit des Volkes gründet ± so erkennt man, dass die jeweilige Bedeutung von ¹Legitimitätª grundverschieden
ist und dass die zweitgenannte, die Staat als ¹Status der politischen Einheit eines Volkesª fasst, mit dem Schmitt'schen Staatsbegriff zusammenfällt und der
78 Zu beachten ist der Wandel des Begriff ¹Herrschaftª in der Neuzeit, dargestellt
von Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen ¹Herrschaftª und ¹Legitimitätª, bes.
S. 68 und 74.
79 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 87.
80 Ebd., S. 89 f.
81 Vgl. dazu Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 21. Man beachte, dass
Schmitts Unterscheidung der Begriffe Legitimität und Repräsentation im Hinblick auf
die Monarchie des 19. Jahrhunderts nur möglich ist, weil der Begriff Legitimität seine
Bedeutung in diesem Zusammenhang aus dem Bezug auf etwas rein Normatives bezieht, während die Repräsentation als politisches, existenzielles Element gefasst wird;
so gelangt Schmitt zu der Behauptung: ¹Eine nichts wie ¸legitime Monarchie ist
schon deshalb politisch und geschichtlich tot.ª (Schmitt, Verfassungslehre, S. 212).
3. Repräsentation als Legitimation der Herrschaft
171
modernen Staatslehre entspricht.82 Zwar bezieht sich die Idee des Volkes als
verfassunggebende Gewalt auf bestimmte Theorien, die in späterer Zeit in Erscheinung treten83, aber zugleich ist es eben der Begriff der politischen Einheit
des Volkes, der schon bei Hobbes die Herrschaft rational rechtfertigt, da nur
durch den einheitlichen politischen Körper die rational nicht begründbare Herrschaft des Menschen über den Menschen überwunden und die Gleichheit der
Individuen verwirklicht wird. Herrschaft ist dann insofern legitim, als sie keine
Machtausübung von Individuen als solchen, sondern die Macht des ganzen politischen Körper ist, und wer sie ausübt, tut es repräsentativ und ist genau dazu
ermächtigt. Unter diesem Gesichtspunkt kann man sagen, dass jede echte Regierung, als organisierte Herrschaft, die politische Einheit eines Volkes repräsentiert.84
Der Begriff der demokratischen Legitimität erscheint als recht weit gefasst,
wenn man ihn auf die Voraussetzung der politischen Einheit des Volkes bezieht;
das wird offensichtlich, wenn man bedenkt, dass das Problem hier weniger die
konkreten Formen und Verfahren sind, wie die verfassunggebende Gewalt des
Volkes ausgeübt wird, als vielmehr die ihr zugrunde liegende Voraussetzung
und wenn man zudem beachtet, dass auch immer eine stillschweigende Zustimmung des Volkes möglich ist, ja selbst ¹in der bloûen Beteiligung an dem durch
eine Verfassung bestimmten öffentlichen Lebenª die ¾uûerung des verfassunggebenden Volkswillens erblickt werden kann. ¹Auf diese Weise kann also den
verschiedenartigsten Verfassungen der Charakter demokratischer Legitimität zugesprochen werden, indem man sie auf die immer vorhandene, sei es auch
nur stillschweigend betätigte verfassunggebende Gewalt des Volkes gründet.ª85
Lässt man die oben behandelten Probleme hinsichtlich der Implikation repräsentativer Elemente einmal beiseite, so erscheint hier als dominierendes Element
der Legitimation die politische Einheit und ihre Realisierung durch das ¹Volkª.
Auf der Grundlage der oben durchgeführten Analyse scheint demnach Folgendes zu gelten: Wenn die Grundlage der Legitimität die politische Einheit ist und
diese ± als etwas existenziell Politisches und nicht Natürliches ± zu ihrer Hervorbringung notwendig der Repräsentation bedarf, dann ist in letzterer bereits
der Sinn der Legitimität enthalten.
Leibholz bringt diesen Zusammenhang klar zum Ausdruck und zeigt, dass die
Repräsentation von ihrem Wesen und ihrer existenziellen Bedeutung her mit der
Legitimation zusammenfällt.86 Wenn dem Phänomen der Herrschaft eine Ten82 Zu erinnern ist an die Definition zu Beginn der Verfassungslehre, wonach das
Wort ¹Verfassungª auf die ¹Verfassung des Staates, d.h. der politischen Einheit eines
Volkes beschränkt werdenª muss (S. 3).
83 Hinsichtlich der verfassunggebenden Gewalt bezieht sich Schmitt, wie erwähnt,
auf Sieyes.
84 Schmitt, Verfassungslehre, S. 212.
85 Ebd., S. 91.
172
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
denz zur Legitimation innewohnt, und zwar dergestalt, dass es ± so könnte man
sagen ± keine Herrschaft im modernen Sinne (d.h. nicht auf reine Gewaltanwendung gestützt) gibt, die nicht legitimiert ist, dann beruht diese Legitimation
eben auf dem repräsentativen Charakter desjenigen, der die Herrschaft innehat
und ausübt. Dieser Zusammenhang ist, wie Leibholz bemerkt, von Max Weber
hervorgehoben worden, in dessen Theorie sich die verschiedenen Herrschaftstypen, und damit die verschiedenen Formen von Legitimation, mit verschiedenen
Formen von Repräsentation decken.87 Es ist unerheblich, ob sich der Glaube
der Repräsentierten auf den charismatischen Führer richtet, auf die Geltung der
Tradition oder auf die Regeln legaler Herrschaft: In jedem Fall fällt das Vertrauen auf die Legitimität der Herrschaft mit der Überzeugung zusammen, dass
die Herrschenden diejenigen ¹repräsentierenª, die ihnen unterstellt sind. Nur so
kann im Rahmen der Herrschaftsbeziehung das Phänomen des Gehorsams entstehen, das Weber wie folgt definiert: ¹¸Gehorsam soll bedeuten: dass das Handeln des Gehorchenden im wesentlichen so abläuft, als ob er den Inhalt des Befehls um dessen selbst willen zur Maxime seines Verhaltens gemacht habe, und
zwar lediglich um des formalen Gehorsamsverhältnisses halber, ohne Rücksicht
auf die eigene Ansicht über den Wert oder Unwert des Befehls als solchen.ª88
Den Willen des Befehlenden als eigenen Willen zu verstehen, also nicht durch
Gewalt zum Gehorsam gezwungen zu sein, heiût nicht anderes, als diese Person
als Repräsentant zu betrachten, d.h. im Hobbes'schen Sinn als Darsteller jener
Handlungen, zu deren Urhebern man sich selbst erklärt.
Eben aus diesem Grunde sind die Probleme der Legitimation Probleme der
Repräsentation, was in all jenen Situationen deutlich zu erkennen ist, in denen
sowohl der Monarch wie die Volksvertretung den Anspruch erheben, den Staat
zu repräsentieren. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung im 19. Jahrhundert in Deutschland, als die Staatsmänner der monarchischen Restauration versuchen, der Volksvertretung den Charakter der ¹Repräsentation des Volksª abzusprechen, und ihr vielmehr den einer ¹ständischen Interessenvertretungª zuweisen.89
Will man das Denken von Schmitt wie von Leibholz begreifen, dann ist zu
beachten, dass die Repräsentation etwas Existenzielles ist, und eben dieses
Merkmal erlaubt die Unterscheidung von Legitimität und Legalität. Auch für
Leibholz hat die Verfassungsnorm, die eine oder mehrere Personen zu Repräsentanten des Volkes bestimmt, nur dann Geltung, wenn es auf Seiten der Repräsentierten einen Glauben an die Norm gibt, der die Entstehung der Repräsen86 Vgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, Kap. VI (¹Die Legitimierung der
Repräsentationª), S. 140 ff.
87 Ebd., S. 142±143; vgl. dazu Kap. III der vorliegenden Arbeit.
88 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft I, S. 123.
89 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, S. 211.
3. Repräsentation als Legitimation der Herrschaft
173
tation ermöglicht.90 Liegt ein solcher Glaube vor, dann fallen Legitimität und
Legalität zusammen, andernfalls geht die Legitimität verloren, trennt sich von
der Norm und gerät in Widerspruch zu ihr, ebenso wie die Repräsentation als
solche abhanden kommt und sich auf eine rein legale Repräsentation reduziert,
auf eine Fiktion, auf eine imaginary representation.91 Wenn dies geschieht, d.h.
wenn sich eine echte, wirkliche Repräsentation in Fiktion verwandelt, dann
wird die Legitimation hinfällig und es entstehen die Bedingungen für eine Revolution.
Vor diesem Hintergrund ist eine weitergehende Klärung des oben untersuchten Repräsentationsbegriffs möglich, denn die Idee der politischen Einheit und
die Tatsache, dass sich diese nicht auf eine empirische Realität bezieht, heiût
nicht, dass es sich dabei lediglich um etwas Imaginäres handelt ± tritt dieser
Fall ein, dann liegt keine Repräsentation im existenziellen Sinn mehr vor; und
wenn Repräsentation auch an die juristische Figur der fictio gebunden ist, so
transzendiert sie als Existenzielles doch auch den formaljuristischen Bereich
des Rechts und gelangt auf eine existenzielle Ebene, wo eine ¹Spannung zwischen Recht und Wirklichkeitª auftreten kann.92
Noch relevanter aber ist die Rolle des Elements ¹Volkª und seiner Existenz
für die Repräsentation, die eben anhand der Legitimation deutlich wird. Denn
eine repräsentative Institution, etwa eine Parlamentskammer, muss, wie schon
Rotteck sagt, das Volk ¹in Natur und Wahrheitª93 darstellen, um es zu repräsentieren: Repräsentation liegt dann vor, wenn sich das Volk, verstanden als Gesamtheit der Bürger, in ihr und in der von ihr erzeugten Einheit wiedererkennt.
Die Frage der Anerkennung rückt immer mehr in den Vordergrund und erfordert immer stärker eine aktive ¾uûerung des Volkes, das selbst an der Bildung
der repräsentativen Körperschaft teilnehmen muss, um sich repräsentiert zu fühlen.94 Gerade die Repräsentation setzt, obwohl sie von oben kommt, eine solche
aktive Beteiligung des Volkes voraus, das auf diesem Wege eine Bewegung der
Identifizierung vollführt und die eigene Identität verwirklicht.
Allerdings zögert Leibholz, wie gesehen, diesen Weg einzuschlagen, eben
weil er dazu neigt, die beiden Prinzipien zu trennen, und als demokratische
Ausdrucksform des Volkes jene problematische moderne Verfassungsform ansieht, die als ¹Parteienstaatª bezeichnet wird. Dieser wird verstanden als Ausdruck des Identitätsprinzips und ± in gewisser Hinsicht seltsamerweise ± als
Form der unmittelbaren Demokratie95 oder, wie Leibholz später sagt, als ¹raVgl. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 148.
Ebd., S. 157. So in der Krise der amerikanischen Kolonien, die sich nicht mehr
repräsentiert fühlen.
92 Ebd.
93 Ebd., S. 153.
94 Ebd., S. 156.
90
91
174
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
tionalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratieª96. In der Schrift
von 1929 beschränkt er sich darauf, den Gegensatz zwischen einer repräsentativen Demokratie liberalen Typs, die auf dem Begriff der Unabhängigkeit des
Repräsentanten beruht, und dem direkten Typ der Demokratie festzustellen, der
sich in der plebiszitären oder in der Form des Parteienstaats zeigt, wobei er die
Frage aufwirft, ob das Identitätsprinzip angesichts des Zersetzungsprozesses der
Parteien hinreichend stark im Volksbewusstsein verwurzelt ist, um die Vorstellung der Einheit von Parteienmehrheitswille und Gemeinwille des Volkes zu ermöglichen97. Später schlägt er dagegen die Richtung einer Konsolidierung des
Parteienstaatmodells ein, um den Widerspruch in den zeitgenössischen Verfassungen zwischen repräsentativem und demokratischem Element (das den Parteien zugrunde liegt) aufzulösen ± einen Widerspruch, wie er beispielsweise
zwischen den Artikeln 38 und 21 des Bonner Grundgesetzes erkennbar ist, insofern ersterer sich auf das Prinzip der Repräsentation des Volkes durch den nicht
weisungsgebundenen freien Abgeordneten beruft, während letzterer die Parteien
als organisierte Subjekte mit der Aufgabe der politischen Willensbildung des
Volkes anerkennt.
Es würde den Rahmen der hier vorgelegten Untersuchung sprengen, auf das
Thema der ¹Parteiª oder auf die parteibedingten Probleme in der modernen
Konzeption der politischen Form näher einzugehen; ebenso wenig können wir
die Frage nach Kohärenz bzw. Wandel der Leibholz'schen Position vertiefen
oder auf seine nach dem Zweiten Weltkrieg mit Entschiedenheit vertretene
Überzeugung eingehen, die Partei sei das einzige Organ, das in der heutigen
Welt das Volk organisieren könne, dabei den Dualismus von Gesellschaft und
Staat überwinde und die Figur des Abgeordneten so abwandle, dass dieser an
die Weisungen der Partei gebunden sei.98 In diesem Zusammenhang kann nur
darauf hingewiesen werden, dass ein Widerspruch zum modernen theoretischen
Apparat vorzuliegen scheint, der in der Figur der Repräsentation zu Tage tritt,
wenn die Partei ± eine partikuläre, wenn auch auf das Staatsganze ausgerichtete
Gruppierung ± ohne weiteres als direkte Willensäuûerung des Volkes oder als
verlängerter Wille der Individuen verstanden wird.99 Sinnvoll erscheint aber
auch der Hinweis, dass Leibholz die Ablehnung der partikulären Gruppierungen
Ebd., S. 118.
Vgl. Leibholz: Der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, ebd.,
S. 226.
97 Ebd., S. 121±122.
98 Vgl. Der Gestaltwandel, cit., S. 240 ff.
99 Vgl. z. B. Leibholz, Gerhard: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, ebenfalls aufgenommen in die hier zitierte 3. Aufl. von ¹Das Wesen der Repräsentationª,
S. 249±271, hier S. 252 f., wo Leibholz zunächst an die Ende des 18. Jahrhunderts
geführte Diskussion erinnert, ob der Repräsentant einer Bindung und Kontrolle unterliegt, und hinzufügt, dass es keinen Unterschied macht, wenn anstelle der Wähler die
Partei das Handeln des Abgeordneten beschränkt und lenkt.
95
96
3. Repräsentation als Legitimation der Herrschaft
175
durch Rousseau erwähnt, der sie von ihrem Wesen her als ¹Factionsª betrachtet,
die zur Zersetzung des Staates führen. Hier öffnet sich ein anderer Blickwinkel,
denn es wird deutlich, dass die Existenz der Partei den Kern der modernen politischen Form, d.h. die Einheit (im Gegensatz zur ¹Parteiª) in Frage stellt (weshalb, wie Leibholz mehrfach bemerkt, der liberale Staat sich im 19. Jahrhundert
gegen die Anerkennung der Parteien gesträubt hat), einen Kern, der sowohl bei
der Repräsentation wie bei der Identität hervortritt, bei Hobbes ebenso wie bei
Rousseau, also den Autoren, die den Bezugshorizont der theoretischen Bemühungen von Leibholz ebenso wie von Schmitt bilden.
Wenig überzeugend ist auch die Entgegensetzung von Partei und repräsentativer Form, die darauf zurückgeht, dass die Vermittlungsfunktion der Partei als
der Form der Identität zugehörig betrachtet wird. Wieder einmal, wenn auch auf
andere Art, stellt sich die Frage, ob das Prinzip der Identität überhaupt ohne
Vermittlung der Repräsentation zum Ausdruck gelangen kann. Diese Frage
scheint sich Leibholz selbst aufzudrängen, wenn er die Gefahr erkennt (die sich
eher als Tatsache denn als Eventualität darstellt), dass die Parteien zu Fremdkörpern mit eigenen Zielen und ¹oligarchisch-autoritären Herrschaftstendenzenª
werden.100 Angesichts dieser Gefahr fordert Leibholz einen Prozess der Demokratisierung, der bezeichnenderweise sicherstellen soll, dass die Willensbildung
¹von unten nach obenª verläuft. Wie unschwer zu erkennen, sind die Elemente,
die auf diese Weise in die Sphäre der Partei eingeführt werden: Oligarchie,
Herrschaftsbeziehung, Willensbildung von oben, personelle Alterität gegenüber
dem Volk, allesamt typische Elemente des Phänomens der Repräsentation, die
auch in diesem Fall das demokratische Element der Partei in Mitleidenschaft
zieht.
Abschlieûend erscheint es sinnvoll, auf den Widerspruch zwischen repräsentativer Demokratie und Parteienstaat zurückzukommen, da dieser offenbar
schwer aufzulösen ist, jedoch immer wieder, nicht nur in Weimar, sondern auch
in zahlreichen heutigen Verfassungen hervortritt.101 Einerseits mag es scheinen,
dass der Nexus von Repräsentation und politischer Einheit nicht den politischen
Tatsachen entspricht, wie sie in der historischen Realität und im Denken der
Staatsrechtler des frühen 20. Jahrhunderts aufscheinen, da diese eine Komplexität offenbaren, die sich nicht auf die Einheit der Persönlichkeit des Staates reduzieren lässt. Andererseits jedoch ist zu beobachten, dass man sich scheut, auf
das Thema der politischen Einheit und die damit verbundene Figur der Repräsentation zu verzichten. Ein solcher Verzicht erschiene nämlich als Preisgabe
der Legitimation, die dieser von der modernen Theorie hervorgebrachten künstlichen Form zu eigen ist, als Aufgabe der Forderung nach Sicherheit und ratio100 Vgl. Leibholz, Der Gestaltwandel, S. 247, und Leibholz, Verfassungsrecht,
S. 261.
101 Ebd., S. 236.
176
IV. Repräsentation und politische Einheit in den zwanziger Jahren
naler Rechtfertigung, die ihren Niederschlag im Rechtsstaat findet. Deshalb
wiederholen die zeitgenössischen Verfassungen jenen Refrain, dessen Wurzeln
noch vor der Französischen Revolution bei Hobbes liegen, dass nämlich der
Abgeordnete das ganze Volk vertrete. Aber wenn dies nicht mehr gilt, worauf
soll dann die Legitimation des Gewaltmonopols und des politischen Zwangsverhältnisses gründen?
V. Repräsentation als Grundlage der politischen
Theologie bei Carl Schmitt
Das Thema der politischen Theologie ist grundlegend für die Interpretation
des Schmitt'schen Denkens, denn der dabei verfolgte Ansatz beeinflusst das
Verständnis seines gesamten Denkens, einerlei, ob mit der Bezeichnung ¹politische Theologieª eine Säkularisierung, d.h. der Übergang von theologischen zu
politischen Begriffen intendiert ist, eine theologische Grundlegung der Politik
oder eine Verabsolutierung der Politik im totalitären Sinne, ob man eine strukturelle Identität zwischen theologischem und politischem Bereich meint, eine
bloûe ¾hnlichkeit oder den Umstand, dass die ihres Inhalts entkleidete theologische Form im Politischen eine funktionale Bedeutung übernimmt.1 Davon, wie
man ¹politische Theologieª begreift, hängt die Bedeutung einiger Schlüsselbegriffe des Schmitt'schen Denkens ab: Entscheidung, Form, Idee, Säkularisierung, das Politische als Freund-Feind-Verhältnis.
Will man den theologisch-politischen Kern des Schmitt'schen Denkens erfassen, wie er bis Ende der zwanziger Jahre sichtbar wird, dann hat man, so
scheint mir, über das hinauszugehen, was Schmitt in seiner ausdrücklich der
politischen Theologie gewidmeten Schrift aussagt, und muss versuchen, den
theoretischen Zusammenhang und die Gedankengänge zu beleuchten, die das
von ihm Gesagte ermöglichen und seinen tieferen Sinn offen legen. Als äuûerst
1 Zum Problem der politischen Theologie vgl. Galli, Carlo: ¹Presentazioneª, in:
Schmitt, Cattolicesimo romano e forma politica, S. 1±27, und ders.: La teologia politica in Carl Schmitt, in: Duso (Hrsg.), La politica oltre lo Stato, S. 127±137, aber neuerdings bes. Kap. VI und IX in ders.: Genealogia della politica; Esposito, Roberto:
Teologia politica, modernità e decisione in Schmitt e Guardini, in: Il Centauro 16
(1986), S. 103±139; hinsichtlich der verschiedenen Abwandlungen des Themas und
der hauptsächlichen Interpretationsansätze sei in Auswahl verwiesen auf: Ball, Hugo:
Carl Schmitts Politische Theologie, in: Hochland 2 (1924), S. 263±286, nun auch in:
Taubes, Jacob (Hrsg.): Der Fürst dieser Welt, Carl Schmitt und die Folgen, München/
Paderborn/Wien/Zürich 1983, S. 100±115 (in diesem Sammelband vgl. auch andere
Beiträge zum Problem der politischen Theologie mit Bezug auf Schmitt); Hofmann,
Hasso: Legitimität gegen Legalität (nun insbes. die ¹Premessa alla nuova edizioneª in
der zit. ital. Ausgabe.); Kodalle, Klaus-Michael: Politik als Macht und Mythos. Carl
Schmitts ¹Politische Theologieª, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1973; Blumenberg,
Hans: Säkularisierung und Selbstbehauptung, 2. Aufl. 1983, Frankfurt a. Main, S. 103±
118; Beneyto, JosØ Maria: Politische Theologie als politische Theorie, Berlin 1983;
Staff, Ilse: ¹Zum Begriff Der Politischen Theologie bei Carl Schmittª, in: Lombardi
Vallauri, Luigi/Dilcher, Gerhard (Hrsg.): Cristianesimo, secolarizzazione e diritto moderno, Milano/Baden Baden 1981; Castrucci, Emanuele: Il problema della teologia
politica, jetzt in: ders.: La forma e la decisione, Milano 1985, S. 103±127.
12 Duso
178 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
hilfreich erweist sich aus dieser Sicht das, was im Mittelpunkt der Untersuchung der politischen Form in Schmitts grundlegendem Werk ¹Verfassungslehreª steht: Repräsentation als Prinzip, das der Struktur der politischen Form
selbst zugrunde liegt, erscheint hier als Bewegung, in der anwesend wird, was
von seinem Wesen her abwesend ist. Es ist also eine unsichtbare Realität, welche die für das Repräsentieren kennzeichnende Sichtbarkeit ermöglicht: andernfalls, d.h. wenn man auf der Ebene der einfachen Gegebenheit der Dinge verbleibt und die politische Einheit, die Gegenstand und Ziel der Repräsentation
ist, als empirische Realität versteht, dann wird eben der Akt des Repräsentierens negiert.2 Es ist kein Zufall, dass die logische Struktur, die darin liegt, das,
was abwesend ist und bleibt, gegenwärtig zu machen, auf das Erstaunen der
Kritiker gestoûen ist, die in dieser Formulierung und in dieser Logik des Diskurses einen topos der Theologie erblickt haben, da es ein Kennzeichen der
theologischen Tradition ist, Gott aufgrund seiner Inkommensurabilität mit der
Sphäre der endlichen und gegenwärtigen Realität, als gegenwärtig zu bezeichnen, insofern er abwesend ist.3 Man darf sich daher fragen, ob man mit dem
Thema der Repräsentation nicht zugleich vor dem innersten Kern der politischen Form steht ± in dieser Hinsicht ist der Schmitt'sche Text besonders explizit ±, aber auch vor einer radikalen Struktur der Implikation der Transzendenz,
somit, von diesem Gesichtspunkt aus, vor einem typisch theologischen Element.
Liegt darin das Theologische der politischen Form, dann ist der Ausdruck ¹politische Theologieª auûerordentlich bedeutungs- und anspruchsvoll, da er weniger einen Übergang oder eine Analogie von Theologie und Politik andeuten
würde als vielmehr das transzendente Element als Existenzvoraussetzung der
Politik selbst.
Die folgende Analyse versucht zu zeigen, dass es sinnvoll ist, Repräsentation
als den eigentlichen Kern der politischen Theologie Schmitts zu bestimmen.
Verkennt man die Bedeutung der Repräsentation für die politische Theologie
und überbewertet die Figur der Analogie, die Schmitt selbst hervorhebt, so läuft
man Gefahr, einen unzulässig vereinfachten Begriff von Entscheidung zu bilden, der zur Quelle von Missverständnissen des Schmitt'schen Denkens in seiner Gesamtheit wird. Wenn diese Sicht der Dinge zutrifft, dann gewinnt die
Untersuchung der Schriften des Jahrzehnts 1910±1920 an Bedeutung: Sie erscheinen bedeutsam für das Verständnis der politischen Form, wie sie sich in
den Werken der zwanziger Jahre äuûert. Hier geht es weniger darum, zur Frage
der Kontinuität bzw. der inneren Brüche im Schmitt'schen Denken direkt Stellung zu beziehen, entscheidend ist vielmehr, auch in den Wandlungen, die darin
zu beobachten sind, das Bemühen um die Erarbeitung einer theoretischen Struktur bzw. die Entwicklung seiner diesbezüglichen Versuche zu erkennen.
2
3
Vgl. dazu die Untersuchung im vorigen Kapitel.
Glum, Begriff und Wesen der Repräsentation, pp. 106±107.
1. Analogie und das Problem einer radikalen Begrifflichkeit
179
Im Rahmen dieses Ansatzes verweist das theologische Element weniger auf
das, was der Ausdruck ¹Theologieª wörtlich zu bedeuten scheint, also die
¹Wissenschaft des Göttlichenª (genitivus objectivus), wobei es unerheblich ist,
ob sie auf Natur oder Offenbarung beruht, als vielmehr auf eine theoretische
Struktur, in der das Problem der Transzendenz auf zugleich schlüssige und aporetische Weise (wie in der Rede von der Anwesenheit des Abwesenden) hervortritt. Aus diesem Blickwinkel mag es gar scheinen, dass eine vorgebliche Wissenschaft des Göttlichen mit ihrem objektivierenden Zugriff eben die Transzendenz und damit die eigentliche Wurzel des Theologischen verliert. Es geht um
eine theoretische Struktur, die schon für die Setzung einer politischen Sphäre
unerlässlich ist und zugleich die Formulierung des Problems des Göttlichen als
Wurzel des theologischen Denkens ermöglicht.
So definiert, bezeichnet der Ausdruck ¹politische Theologieª weder die Begründung der Politik durch das Dogma noch die politischen Auswirkungen einer religiösen Konzeption, sondern eine Bewegung des Transzendierens, die bei
der Analyse der politischen Form zu Tage tritt und es unmöglich macht, eben
diese politische Form profan zu verkürzen auf die Sprache der Dinge und des
empirisch Gegebenen sowie auf eine Welt unabhängiger Subjekte, denen eine
absolute Entscheidung zufällt.
1. Analogie und das Problem einer radikalen
Begrifflichkeit
Bekannt und in der Sekundärliteratur oft zitiert ist die Aussage vom Auftakt
des dritten Kapitels der Politischen Theologie: ¹Alle prägnanten Begriffe der
modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.ª 4 Säkularisierung soll laut Schmitt nicht nur den historischen Übergang von Begriffen der
Theologie zu denen der Staatslehre bezeichnen, sondern zugleich den engen
Zusammenhang der systematischen Strukturen der beiden Bereiche. Dieser Zusammenhang wird von Schmitt als Analogie beschrieben. So gewinnt etwa das
für die Definition von Souveränität unverzichtbare Merkmal des Ausnahmezustands eine dem Wunder analoge Bedeutung, und die Allmacht des Gesetzgebers wird als analog zur Allmacht Gottes gesehen. Dem Auffinden solcher Analogien hat sich Schmitt auch in den Jahren zuvor oft gewidmet, wie er selbst
angibt. Jedoch ist zu begreifen, welche Bedeutung das Wort ¹Analogieª hat und
welche Risiken sein allzu unreflektierter Gebrauch nach sich zieht.
Wird der Ausdruck, wie oftmals der Fall, in einer ¹schwachenª Bedeutung
verwendet, d.h. dient er zur Bezeichnung einer bloûen ¾hnlichkeit, dann droht
die Prägnanz der Politischen Theologie als Interpretationsschlüssel der moder4
12*
Schmitt, Carl: Politische Theologie, Berlin 1996 (1. Aufl. 1922), S. 43.
180 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
nen politischen Theorie und ihres Zentralbegriffs ¹Souveränitätª verloren zu gehen. Schwierigkeiten treten aber auch auf, wenn der Ausdruck mit einer ¹starkenª Interpretation gebraucht wird, d.h. als strukturelle Identität zwischen zwei
als analog bezeichneten Gröûen. Zwar bietet Schmitt viele Beispiele, die in
diese Richtung gehen, und scheint diesen Weg konstant weiter zu verfolgen.5
Geht man jedoch umstandslos von einer solchen Identität aus, droht nicht nur
der Begriffsapparat, auf dem die moderne politische Theorie aufbaut, missverstanden zu werden, sondern auch der theoretische Kern des Schmitt'schen
Denkens.
Bei einem direkten Vergleich der Begriffe ¹Souveränª und ¹Gottª wäre der
moderne Souveränitätsbegriff nämlich nicht nur von der Unmöglichkeit gekennzeichnet, die Entscheidung aus objektiven Normen herzuleiten, sondern auch
von Allmacht und Schöpferkraft, also von Absolutheit schlechthin. Auf diesem
Wege verliert man bei der Interpretation der modernen Kategorien die Einsicht
in die Bewegung der Repräsentation, die Schmitt selbst als Angelpunkt des
Souveränitätsbegriffs sieht6, und zwar ausgehend von der Hobbes'schen Konzeption, dass der Souverän eben ein Repräsentant ist. Was die Entwicklung des
Schmitt'schen Denkens angeht, droht das Verständnis für die Bewegung der
Transzendenz verloren zu gehen, die schon in den Schriften der 1910er und
1920er Jahre erscheint, wo der Staat nicht als absoluter dazustehen scheint, sondern das Recht als seinen Ursprung impliziert (Der Wert des Staates), und wo
die Kirche, sofern sie sich als wahre Trägerin der politischen Form und des
repräsentativen Prinzips erweist, dies nicht deshalb tut, weil sie selbst transzendent ist, sondern weil sie das Göttliche voraussetzt und repräsentiert.
Erhellender und weniger verzerrend ist es wohl, wenn man den Begriff der
Analogie in einem philosophisch spezifischen Sinne versteht und an die scholastische Lehre von der analogia entis anknüpft, die nicht die Identität der beiden
analogen Gröûen behauptet, aber gleichwohl eine Beziehung zwischen ihnen als
notwendig setzt.7 Strukturelle Analogie könnte dann, in erster Annäherung, be5 Zu denken ist ± neben den in der Politischen Theologie angeführten Analogien ±
an die Analogie zwischen absoluter Monarchie und dem Gott der Theologie, mit der
Güte und Rationalität, die seinen Willen kennzeichnen, vgl. Schmitt, Carl: Der Wert
des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914, S. 96, sowie an die
Schrift über Hobbes von 1938, wo es heiût, der neue, vertraglich entstandene Gott
(eher evoziert als durch den Vertrag geschaffen) sei transzendent im Verhältnis zu den
einzelnen Urhebern des Vertrags, auch wenn es sich um eine juristische, nicht metaphysische Transzendenz handele. (Schmitt, Carl: Der Leviathan in der Staatslehre des
Thomas Hobbes, Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Köln/Lövenich,
2.Aufl. 1982, S. 52.)
6 Man vgl. Schmitt, Verfassungslehre, bes. § 16 und die Konzeption des Souveräns/
Repräsentanten im Zusammenhang der von Schmitt vorgelegten Hobbes-Interpretation.
7 Ein Hinweis auf die Beziehung zwischen Schmitt und Thomas von Aquin findet
sich in: Pasquino, Pasquale: Considerazioni intorno al ¹criterio del politicoª in Carl
Schmitt, in: Il Mulino 35 (1986), S. 682.
1. Analogie und das Problem einer radikalen Begrifflichkeit
181
deuten, dass Souveränität als begrifflicher Mittelpunkt der juristisch-politischen
Sphäre mit dem von der Theologie gesetzten Transzendenten weder zusammenfällt noch diesem ähnelt, sondern in Form einer Bewegung des Transzendierens
das Problem des Transzendenten impliziert. Dann muss es also nicht heiûen
¹der Souverän als oder wie Gottª, sondern der Souverän ist Souverän, und sein
Handeln ist entscheidend und nicht untergeordnet, weil es etwas voraussetzt,
das über seine konkrete Existenz hinausgeht: Als Repräsentant bezieht er sich
auf etwas Jenseitiges und Abwesendes ± wie in der Verfassungslehre deutlich
wird ±, auf eine radikale Instanz, die im Bereich der Theologie als Form des
Göttlichen erscheint.
Der hier vorgeschlagene spezifischere Zugang zum Begriff der Analogie
führt uns zu einer Aussage Schmitts, die von höchster Bedeutung ist, wenn man
die erkenntnistheoretische Ebene verstehen will, auf der sich sein Ansatz der
politischen Theologie bewegt. Diese Ebene wird ± offenkundig anknüpfend an
Weber ± als ¹Soziologie juristischer Begriffeª bezeichnet: Hier müssen die Begriffe in ihrer konkreten Essenz deutlich werden, jenseits materialistischer oder
spiritualistischer Ansätze, die ausgehend von einem ursprünglichen Dualismus
das Primat entweder des objektiven, realen Elements oder des ideellen, gedanklichen Elements zu zeigen versuchen. Die begriffliche Strenge, die Schmitt bei
der Untersuchung der juristischen Begriffe im Sinn hat, erfasst deren ¹letzte,
radikal systematische Strukturª, d.h. die Wurzeln ihrer logischen Struktur.8 Mit
einem solchen, wissenschaftlichen Zugriff auf den Kernbegriff der Souveränität
versucht Schmitt ¹[. . .] zu zeigen, daû der historisch-politische Bestand der Monarchie der gesamten damaligen Bewuûtseinslage der westeuropäischen Menschheit entsprach und die juristische Gestaltung der historisch-politischen Wirklichkeit einen Begriff finden konnte, dessen Struktur mit der Struktur metaphysischer Begriffe übereinstimmte.ª9 Eine rigorose Analyse der juristischpolitischen Begriffe der Neuzeit durchbricht die Grenzen der juristischen
Ebene, denn sie impliziert eine ¹radikale Begrifflichkeit, das heiût eine bis zum
Metaphysischen und zum Theologischen weitergetriebene Konsequenzª.10
Es geht also weniger um eine bloûe ¾hnlichkeit zwischen politischen und
theologischen Begriffen oder um eine schlichte Ableitung der ersteren aus den
letzteren als vielmehr um die Einsicht, dass die Struktur juristisch-politischer
Begriffe umfassende theoretische Bedingungen voraussetzt, welche die Erzeugung und Sinnhaftigkeit ebendieser Begriffe erst ermöglichen. Auf diese Weise
wird die angebliche fachliche Unabhängigkeit und Abschottung der juristischen
Wissenschaft überwunden: nicht durch den Appell an höhere philosophische
Wahrheiten, die das Ergebnis gedanklicher Abstraktion sind, sondern durch das
Schmitt, Politische Theologie, S. 50.
Ebd.
10 Ebd.
8
9
182 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
Aufspüren jener metaphysischen Strukturen, die der Erzeugung des juristischen
Begriffs als solchem zugrunde liegen. Dieses Vorgehen ist offenbar notwendig
für die politischen Theorie, wie sie sich in der Neuzeit in säkularisierter Form
herausgebildet hat. Denn Gott ist wohl ersetzt worden, aber die Faktoren, die
seine Stelle eingenommen haben ± ¹Menschheitª, ¹Nationª, ¹Individuumª,
¹geschichtliche Entwicklungª und auch das ¹Lebenª als solches, gehören noch
immer der Metaphysik an, die damit als etwas Unvermeidliches erscheint.11
Während also Gott keinen Platz in der modernen Theorie hat, bleibt doch eine
höchste, radikale Instanz erhalten, die zwar durch weltliche und irdische Faktoren bestimmt ist, aber letztere sind ± als Ideen ± nicht mit dinglichen Gegebenheiten identisch. Um die Logik der politischen Sphäre zu begreifen, ist es
also notwendig zu erfassen, wie diese Struktur der Implikation einer radikalen
Instanz in die Argumentation Schmitts hineingelangt, ohne eine solche Untersuchung von vornherein durch die in der kritischen Literatur verbreitete Annahme
zu vereiteln, die radikale Instanz sei methodisch funktional für den Schmitt zugeschriebenen totalisierenden und (hier im ideologischen Sinne:) theologischen
Standpunkt.
In der beschriebenen Einstellung zur Rechtswissenschaft liegt das unauflösliche Philosophische des Schmitt'schen Denkens, das seinen überzeugten und
wiederholten Erklärungen, er halte sich einzig und allein für einen Juristen,
nicht widerspricht, sondern damit eine Einheit bildet. Radikale ± und in diesem
Sinne philosophische ± Begrifflichkeit und rigorose Analyse des juristischen
Bereichs der modernen Staatsform sind eng verknüpft und bilden eine einheitliche Haltung: Es kommt nicht darauf an, Ideologien oder philosophische Konstruktionen heranzuziehen, um die Sphäre des Rechts zu begründen, sondern
darauf, die Herausbildung des Bereichs juristischer Studien nicht einfach vorauszusetzen, sondern diesem auf den Grund zu gehen und seine logischen Strukturen aufzuzeigen, welche die Entstehung seiner Grundbegriffe erst ermöglichen.
So gesehen ist Schmitt gezwungen, auf die Metaphysik zurückzugehen, um im
umfassenden Sinne Jurist zu sein, d.h. um den juristischen Begriffen auf den
Grund zu gehen, statt sie lediglich als Voraussetzung praktischer Anwendung
hinzunehmen. Auf dieser Ebene stellt sich das Problem der politischen Theologie.
11 Vgl. das Vorwort von 1924, in Schmitt, Politische Romantik, S. 23; die politische
Theologie der modernen Begriffe scheint mir gänzlich in dieser für sie konstitutiven
doppelten Bewegung zu liegen: Einerseits setzen diese Begriffe eine radikale, transzendente Instanz voraus, andererseits konzipieren sie eben diese in der Form der Immanenz.
2. Das Hervortreten einer theoretischen Struktur
183
2. Das Hervortreten einer theoretischen Struktur
Schon in den Schriften der Jahre 1910±1920 geht die ± insbesondere Kelsen
berücksichtigende12 ± Erörterung von politischer Sphäre und Wesen des Staates
von der Einsicht aus, dass es unmöglich ist, die politische Form mit einem
positivistischen Ansatz der Immanenz zu begreifen, der sich auf objektiv gegebene Dinge und Subjekte beschränkt. Von noch gröûerer Bedeutung aber ist
Schmitts Versuch, eine Dimension der Wirklichkeit (nicht zu verwechseln mit
empirischer Realität) aufzuzeigen, deren Funktion darin besteht, ein ideelles
Element sichtbar und wirksam zu machen. Staat und Kirche sind die Formen,
die eine solche Struktur aufweisen und so ihre Verbundenheit offenbaren, freilich ganz anders, als es eine Konzeption täte, welche die Staatsidee dogmatisch
aus theologischen Wahrheiten oder aus der Offenbarung ableitet.
Es ist ein theoretisches und kein konfessionelles Anliegen, das in den frühen
Schriften zur Geltung kommt ± darunter Der Wert des Staates, wo es weniger
darum geht, eine kantische Rechtskonzeption mit einer katholischen Sichtweise
zu versöhnen oder zwischen Staats- und Kirchenmacht zu vermitteln13, sondern
darum, das Wesen des Staates zum einen als Träger einer Realität zu verstehen,
die ihm vorausgeht und ihn ermächtigt, zum anderen als Sphäre der Macht, die
der dinglichen Wirklichkeit angehört. Es mag scheinen, dass Schmitt einen metaphysischen Dualismus postuliert ± hie das Reich des reinen Rechts und seiner
Rationalität, dort das Reich des Empirischen, in dem die Macht ihren Platz hat
± aber dieser Dualismus ist im selben Maûe radikalisiert, wie er auch überwunden ist: Der Bezug auf die Hegelsche Bewegung der Aufhebung ist durchaus
vertretbar (auch wenn hier kein einheitliches Verständnis von Rationalität und
Totalität bei Hegel und Schmitt behauptet werden soll), nicht nur weil Schmitt
selbst direkt auf Hegel verweist, sondern auch, weil es vor allem dank Hegels
Verständnis von ¹Wirklichkeitª möglich ist, eine konkrete Ebene anzunehmen,
auf der sowohl das ideelle Moment wie die Dimension des Faktischen erscheinen, und so die aus der Abstraktion herrührende Trennung der beiden Aspekte
zu überwinden.14
12 Die Beziehung von Schmitt und Kelsen wird gewürdigt bei Racinaro, Roberto:
¹Esistenza e decisione in Carl Schmittª, in: Il Centauro 16 (1986), S. 140±173, und
Fioravanti, Kelsen, Schmitt e la tradizione giuridica.
13 Vgl. Nicoletti, Michele: ¹Alle radici della ¸teologia politica di Carl Schmitt: gli
scritti giovanili (1910±1917)ª, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in
Trento X (1984), S. 290. Diesem Aufsatz gebührt das Verdienst, die Frühschriften
zwecks Klärung des Problems der politischen Theologie genutzt zu haben; dabei wird
eine Richtung eingeschlagen, die der hier verfolgten nahe steht.
14 Vgl. den Bezug auf Hegel beim Recht als Einheit von unpersönlicher Regel und
Individuum (Schmitt, Der Wert des Staates, S. 86, vgl. auch S. 80). Man beachte auch,
wie sehr die in Römischer Katholizismus (S. 14 ff.) geäuûerte Überzeugung, in einer
von ¹radikalem Dualismusª gezeichneten Epoche zu leben, der Hegel'schen DifferenzThese nahe steht. Zum Verhältnis zu Hegel im Hinblick auf das Thema Wirklichkeit-
184 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
Die wiederkehrenden Dualismen der Rechtstheorie, die sich in der typisch
neuzeitlichen Trennung von Recht und Ethik niederschlagen, beruhen auf der
Spaltung von innerer und äuûerer Freiheit und auf der Unmöglichkeit, Sichtbares und Unsichtbares, Zeitliches und Ewiges in einem einzigen Begriff zu fassen.15 Aber eben eine Struktur, die es erlaubt, die Existenz des Unsichtbaren
zugleich mit der Sphäre des Sichtbaren begreifen, versucht Schmitt zu erfassen,
indem er die leitende Frage nach dem Wesen des Staates stellt. Auf der einen
Seite wendet sich Schmitt gegen die Machttheorie und zeigt, dass das Recht
unmöglich von der Sphäre der Faktizität und Macht vereinnahmt werden kann;
auf der anderen Seite kann das Recht, das in rationaler Reinheit bestimmt ist,
nicht die Realisierung seiner selbst bewirken und real wirksames Recht werden,
da es nicht zum Wesen der Norm gehört, sich als Wille oder Zwang zu äuûern.16 Es bedarf eines Rechtssubjektes, das es zur Ausführung bringt und die
Weise verkörpert, wie sich das Recht in der Welt der Tatsachen präsentiert.
Dem Staatsbegriff wohnt zwar notwendig das Element der Macht inne, weshalb
eine Instanz, die auf Einfluss und Wirksamkeit in der wahrnehmbaren Welt und
auf Zwang verzichtet, nicht als Staat gelten kann17, dennoch aber liegt die
Rechtfertigung des Staates nicht im Besitz der Macht: seine Autorität beruht
auf dem Recht.
In der Kritik an einer Machttheorie, welche die Macht des Staates gegenüber
Mördern wesensmäûig nicht von der Macht der Mörder gegenüber ihren Opfern
zu unterscheiden vermag18, also auch nicht, so könnte man sagen, das der modernen politischen Form eigentümliche Problem von Sicherheit und Stabilität
erfasst, tritt eine Konzeption des Staates zu Tage, in der die Staatsgewalt durch
die Aufgabe legitimiert ist, das Recht zu verwirklichen: Wenn der Staat in die
Dimension der Wirklichkeit eintritt, wo das Vorhandensein von Gewalt einen
Sinn bekommt, so geschieht dies, weil der Staat ein zu verwirklichendes Recht
voraussetzt, sich also auf eine Instanz bezieht, die ihn transzendiert. Hier wird
Schmitts Einstellung gegenüber dem Dualismus verständlich. Es geht nicht
darum, einen metaphysischen Dualismus zu behaupten, der eine Vermittlungsfunktion des Staates rechtfertigen würde, sondern darum, eine Wirklichkeitsebene zu finden, wo sowohl das Recht, das andernfalls ¹abstrakter Gedankeª
bleibt, als auch die ansonsten rationalitäts- und sinnlose Faktizität der Macht
einen Sinn beziehen. Schon in Gesetz und Urteil wird die Ableitung der Regel
Rationalität, vgl. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 54 ff. Zum Verhältnis der
beiden Autoren vgl. jetzt auch den interessanten Band von KervØgan, François: Hegel,
Carl Schmitt. Le politique entre spØculation et positivitØ, Paris 1992, und Galli, Carlo:
Genealogia della politica.
15 Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates, S. 11.
16 Ebd., S. 37.
17 Ebd., S. 69.
18 Ebd., S. 16.
2. Das Hervortreten einer theoretischen Struktur
185
aus dem empirischen Geschehen ausgeschlossen, zugleich aber auch die Möglichkeit negiert, die Praxis aus einer abstrakten begrifflichen Ebene herzuleiten.19 Da die juristische Praxis, hier der Staat, sind Formen der Bestimmung
realer, wirklicher Struktur.
Der Bezug auf die Augustinische Definition des Rechts als origo, informatio,
beatitudo20 zeigt, dass das Recht weniger als Welt reiner, festgelegter Normen
verstanden wird denn als Instanz der Gerechtigkeit und Ordnung, die im Verhältnis zur Wirklichkeit des Staates originär ist (d.h. die Frage seines Ursprungs berührt) und sich als notwendig erweist, damit der Staat als Form sich
konstituieren kann (das Recht ist ja informatio). Dass hier keine formalistische
Konzeption des Rechts vorliegt, wird dadurch bestätigt, dass mit Rechtsstaat
keine bestimmte Staatsform bezeichnet werden soll, die auf einem von formaler
Rationalität geprägten Recht beruht, sondern der Staat als solcher: Da seine
Aufgabe die Verwirklichung des Rechts ist, gibt es keinen anderen Staat als den
Rechtsstaat. Aber dieser Dienst am Recht äuûert sich nicht in einer bloûen Ausführung von etwas, das schon festgelegt und nur mechanisch angewandt werden
muss; aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass die Funktion des Staates derjenigen von Gott gegenüber der Ethik angenähert wird, jenes Gottes, der
im Kant'schen Sinne für die Verwirklichung der Ethik in der empirischen Welt
vonnöten ist.21 Das Verhältnis von Staat und Recht ist also nicht das von Mittel
und Zweck, sondern das eines Agierens, in dem jene ursprüngliche Instanz des
Rechts, die nicht mit der vom Staat bestimmten Ordnung übereinstimmt, konkret hervortritt: letzterer konstituiert sich und unterscheidet sich von einem
gänzlich willkürlichen Handeln nur aufgrund der notwendigen Implikation jener
ursprünglichen Instanz, die als gleichzeitig anwesend und transzendent erscheint.
Berücksichtigt man das soeben Gesagte, kann man ± die rein historisch-kulturelle Debatte über den Katholizismus Schmitts hinter sich lassend ± eventuell
das Paradox verstehen, das in der Formulierung ¹Naturrecht ohne Naturalismusª
liegt.22 D.h. wenn positives staatliches Recht ein die historisch-empirische
Ebene übersteigendes Recht erfordert, dann ist damit gleichwohl kein ¹NaturaSchmitt, Carl: Gesetz und Urteil, 2. Aufl. 1969, München (Berlin 1912), S. 3.
Schmitt, Der Wert des Staates, S. 53.
21 Ebd., S. 55: Das bedeutet jedoch keine strukturelle Identität von Staat und Gott;
eine strukturelle Analogie besteht vielmehr zwischen Staat und Kirche, insofern in
beiden Fällen eine Implikation der Transzendenz vorliegt.
22 Ebd., S. 76. Vgl. die Auffassung von Hofmann und von Hugo Ball, das katholische Moment betreffe die Methodik, und die theologische Form sei eher eine Konsequenz des Systems als eine Voraussetzung, die seiner dogmatischen Begründung
diene. (Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 58 und Ball, Carl Schmitts Politische
Theologie, S. 267). Zum Problem des Naturrechts ohne Naturalimus vgl. Nicoletti,
Alle radici della teologia politica, S. 285±286, dessen Bemerkung, der von Schmitt
ausgeschlossene Naturalismus beziehe sich auf die Ordnung des Seins, mir jedoch nur
19
20
186 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
lismusª verbunden ± verstanden als Immanentisierung der juristischen Instanz
und zugleich als Möglichkeit, dass sich diese in einer Welt vollendeter Formen,
in einem ¹status naturalisª niederschlägt. Anders gesagt scheint mir, dass
Schmitts Bestimmung der Wirklichkeit als Ebene, auf welcher der Staat steht,
es ± trotz zahlreicher Aussagen über die Vollendetheit des Rechts als abstrakter
Gedanke ± unmöglich macht, das Recht als ein Universum fester, unveränderlicher Normen zu verstehen, die alles in der Konkretheit ihres Diktums ausdrücken und zum Objekt des Betrachters werden. Das Recht erscheint vielmehr
als ursprüngliche Instanz, die nie mit den Mitteln der Objektivierung zu fassen
ist. Als konstitutiv für den Staat erscheint somit die Spannung, die ständige Bemühung, den Gedanken, die Idee sichtbar zu machen. In dieser fortwährenden
Aufgabe, nicht begriffen als unglückliches Schicksal einer schlechten Unendlichkeit, sondern als Struktur, in der das Unsichtbare vorausgesetzt ist, um die
sichtbaren Dinge und die Sichtbarkeit selbst zu begründen, liegt die Wirklichkeit des Staates.
3. ¹Sichtbarmachungª und ¹Säkularisierungª
Im Zusammenhang der frühen Schriften erscheint ein Ausdruck, der auch in
den nachfolgenden Arbeiten sowie bei den Abwandlungen des Themas der politischen Theologie selbst eine groûe Rolle spielt: Säkularisierung. Freilich hat er
hier eine spezifischere, prägnantere strukturelle Bedeutung, als es, jedenfalls auf
den ersten Blick, in der Schrift Politische Theologie der Fall ist, wo der Übergang von theologischen zu politischen Begriffen als Übergang von einer transzendenten zu einer weltlichen Ebene verstanden werden kann. ¹Säkularisierungª
hat hier keine epochale, historische, sondern eben eine strukturelle theoretische
Bedeutung, denn es bezeichnet die für die Sphäre der Wirklichkeit kennzeichnende Notwendigkeit, eine Idee sichtbar zu machen, die von ihrem Wesen her
nicht empirisch wahrnehmbar ist. In diesem Sinne bedeutet Säkularisierung
nicht den Verlust der Transzendenz zugunsten einer gänzlich innerweltlichen
Realität, sondern das genaue Gegenteil23: also einerseits die notwendige Implikation der Transzendenz durch die spezifische politische menschliche Realität
und andererseits die Notwendigkeit der Idee, Gestalt anzunehmen und auf die
Ebene der Sichtbarkeit zu treten. Will man den Begriff ¹Säkularisierungª mit
seiner geläufigen Bedeutung ¹Übergang vom Transzendenten zum Weltlichenª
beibehalten, dann ergibt sich, dass eine unmögliche Säkularisierung vorliegt,
weil ja die Unmöglichkeit behauptet wird, die weltliche Ebene ohne das Bewusstsein der Transzendenz zu begreifen oder die Transzendenz an einen andedann plausibel erscheint, wenn dieser als ein objektivierter und verfestigter verstanden
wird.
23 Vgl. dazu treffend Nicoletti, Alle radici della ¹teologia politicaª, S. 288.
3. ¹Sichtbarmachungª und ¹Säkularisierungª
187
ren Ort, auûerhalb der weltlichen Ebene des Sichtbaren zu verlegen. Es gehört
also zum Wesen des Staates, dass er sich auf eine ihn transzendierende Idee
bezieht, obgleich diese nur im Staat selbst gegenwärtig ist und Wirklichkeit gewinnt.
Bei der Untersuchung des Wesens des Staates tritt so eine theoretische, aporetische und nichtsdestoweniger logisch notwendige Struktur zu Tage, die den
Inhalt der Säkularisierung ausmacht: Das Sichtbarmachen der Idee, die nur in
dieser Sichtbarkeit vorhanden ist, aber deren Wesen die Unsichtbarkeit bleibt.24
Um diesen Sachverhalt auszudrücken, sucht Schmitt Zuflucht bei der Metapher
und führt mit Goethe aus: ¹Die Idee tritt immer als ein fremder Gast in die
Erscheinungª.25 Die aporetische Struktur, welche die Alterität der Idee, aber
auch ihre Existenz im Staat als realem Ort umfasst, macht begreiflich, dass
kein metaphysischer Dualismus vorliegt und dass der Staat nicht einfach ausführendes Organ des Rechts sein kann.
Statt eines vermeintlichen Dualismus taucht hier, im Kern der beschriebenen
Struktur, die gewichtige Problematik der Entscheidung auf. Es liegt nämlich an
dieser aporetischen Alterität der Idee und ihrer Unsichtbarkeit, dass keine bloûe
Widerspiegelung, keine objektive Bewegung der Ableitung möglich ist, sondern
ein subjektiver, gefahrvoller Akt der Entscheidung notwendig wird: ¹Sobald
irgendwo das Bestreben einer Verwirklichung von Gedanken, einer Sichtbarmachung und Säkularisierung auftritt, erhebt sich gleich neben dem Bedürfnis
nach einer konkreten Entscheidung, die vor allem, und sei es auch auf Kosten
des Gedankens, bestimmt sein muû, das Bestreben nach einer in derselben
Weise bestimmten und unfehlbaren Instanz, die diese Formulierung gibtª.26 Zu
unterstreichen ist, dass das Moment der Entscheidung im Zusammenhang der
genannten theoretischen Struktur auftritt: also nicht im leeren Raum, sondern in
einer Dimension der Wirklichkeit, welche die Idee voraussetzt. Wenn diese
Struktur als Vermittlung verstanden wird (nicht im Sinne eines Zusammenhangs
zwischen zwei ontologisch selbständigen und abgeschlossenen Welten, sondern
im zuvor erläuterten aporetischen Sinne)27, so liegt eben in dieser Vermittlung
die Unvermeidlichkeit der Entscheidung: Vermittlung und Entscheidung sind
also nicht mit zwei verschiedenen, entgegen gesetzten Sichtweisen verbunden.
24 Die Struktur ist aporetisch, weil sie nur mit dem Auftreten der Aporie in ihrer
Notwendigkeit und strengen Logik erfasst werden kann, ohne Rückgriff auf einen
Dualismus, der mit den Mitteln der Imagination die Transzendenz in eine andere Welt
verlegt, wo sie vor der Zufälligkeit der sichtbaren Welt sicher ist (vgl. dazu die Ausführungen zur platonischen Idee im einführenden Kapitel des vorliegenden Bandes).
25 Schmitt, Der Wert des Staates, S. 75: Das von Harnach (Urchristentum und Katholizismus) übernommene Zitat lautet bei Goethe wie folgt: ¹Eine jede Idee tritt als
ein fremder Gast in die Erscheinung.ª (Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 12,
S. 439).
26 Schmitt, Der Wert des Staates, S. 81 (meine Hervorhebung).
27 Man denke an den Ausdruck ¹der Staat als Mediumª, ebd., S. 74.
188 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
Wenn dies zutrifft, dann stehen die frühen Überlegungen Schmitts zur Vermittlung vermutlich auch nicht in krassem Gegensatz zum späteren dezisionistischen Ansatz, auch wenn der kulturelle Bezugsrahmen hier vermutlich jeweils
verschieden ist.28 Während nämlich auf der einen Seite das Problem darin besteht, die Idee zu verwirklichen und sichtbar zu machen, so bleibt diese andererseits von ihrem Wesen her anders und unsichtbar: so entsteht eine unüberbrückbare Spannung, die jede Form von Widerspiegelung und Ableitung verhindert und als einzige Möglichkeit, die gestellte Aufgabe zu lösen, den konkreten
Akt der Entscheidung übrig lässt.
Inmitten der Problematik, dass sich die Möglichkeit der Staatsform der Existenz der Entscheidung verdankt, erscheint der Bezug auf die Kirche, und zwar
in Gestalt der Unfehlbarkeit des Papstes.29 Dieser Bezug erfolgt nicht in der
Absicht, die Praxis dogmatisch zu begründen oder eine Sphäre der potestas indirecta zu behaupten, sondern verweist auf die Unmöglichkeit, die Entscheidung mit der Objektivität der Rechtsnorm zu begründen, sowie auf die Zwecklosigkeit des Versuchs, eine Kluft zu überbrücken, die, da sie struktureller Natur
ist, eine nicht zu unterdrückende Haltung des Glaubens voraussetzt. Um
Schmitts bereits hier stattfindende Auseinandersetzung mit der modernen politischen Theorie zu verstehen, lohnt der Hinweis, dass er von der Sinnlosigkeit
des ± übrigens immer wieder in der philosophischen Debatte vertretenen ±
Fichte'schen Vorschlags überzeugt ist, das Recht vor der Gefahr eines falschen,
pervertierten Gebrauchs der Herrschaft durch eine höhere Kontrollinstanz, also
durch eine höhere, wenngleich kraftlose Gewalt wie das Ephorat zu schützen.
Der Widerspruch, in den Fichte sich verwickelt, entsteht aus dem Anspruch auf
eine gesicherte Beziehung zwischen dem Recht und der Gewalt zu seiner
Durchsetzung, denn, wie gesehen, ist diese Kluft nicht überbrückbar: Kein Gesetz verwirklicht sich von selbst, und völlig vergeblich ist es, in dem Fall, dass
es am Vertrauen in den Wächter des Gesetzes mangelt, diesem einen anderen
Wächter entgegenzusetzen.30 Auch hier hat man es nämlich mit einer nicht garantierten Beziehung zu tun, die sich nicht auf die Objektivität der Rechtsnorm
reduzieren lässt und eine Haltung des Vertrauens erforderlich macht.
28 Schmitt selbst weist 1969 darauf hin, wie wichtig die Berücksichtigung der frühen Schriften ± insbesondere von Gesetz und Urteil, aber gemäû der hier vorgeschlagenen Interpretation offenbar auch von Der Wert des Staates ± ist, um jenseits der
verzerrenden Interpretation des ¹Dezisionismusª zu verstehen, wie das Problem der
Entscheidung zu Tage tritt und welche Bedeutung der Entscheidung somit zukommt
(vgl. das Vorwort zur hier zitierten 2. Aufl. von Gesetz und Urteil, S. V; Beachtung
findet dieser Aspekt zu Recht bei Nicoletti, Alle radici della ¹teologia politicaª,
S. 260).
29 Vgl. Schmitt, Der Wert des Staates, S. 81.
30 Ebd., S. 83; vgl. dazu Duso, Logica e aporie della rappresentanza tra Kant e
Fichte, sowie das 2. Kapitel des vorliegenden Bandes.
3. ¹Sichtbarmachungª und ¹Säkularisierungª
189
Die Aporien, die das Problem der Kontrolle in der politischen Theorie aufwirft, haben ihren Ursprung in der Alterität der Idee, also in der Unmöglichkeit, aus der Idee die Verwirklichung derselben herzuleiten: Der Bruch, der sich
an dieser Stelle auftut, ist weder mit einem System von Garantien zu überbrücken noch mit einer Reihe von Zwischenstufen. Es handelt sich nämlich nicht
um metaphysischen Dualismus, also nicht um zwei Pole, deren Zwischenraum
gefüllt werden könnte: Erst in der Konkretheit der Entscheidung und in der
Ausführung der Aufgabe kommt die Idee zum Vorschein. Es ist die radikale
Alterität der Idee, ihr immerwährendes ¹fremder Gastª-Sein, welches verhindert, dass sie zum objektivem Vorbild wird, von dem es Widerspiegelung und
somit ein Abbild geben könnte; in diesem Fall befänden wir uns auf der Ebene
einer vollkommen kontrollierbaren Objektivität ± denn wir hätten sowohl das
Modell wie auch seine Ausführung oder Kopie vor uns ± und es gäbe keinerlei
Risiko oder Notwendigkeit einer Glaubenshaltung. Das Transzendente der Idee
hingegen bedingt die Notwendigkeit, dass ihre Verwirklichung einem Akt der
Entscheidung anvertraut wird, der Quell der Evidenz ist ± daher von Schmitt
mit dem göttlichen Handeln verglichen wird ±, zugleich aber auch unvermeidliche Auswahl, Verringerung der Möglichkeiten, Beschneidung der Totalität: Er
bewirkt also einen unvermeidlichen Verlust, einen Bruch im Verhältnis zur Idee,
und erweist sich als denkbar im Raum der Endlichkeit.
In welchem Maûe die hier dargelegte Struktur in der Folgezeit im Begriff der
Repräsentation anwesend ist, werden wir im Zusammenhang des Römischen
Katholizismus sehen. Eine Andeutung liegt allerdings schon in dem Hinweis,
dass der Papst nicht aufgrund persönlicher Gaben, sondern in seiner Eigenschaft als Repräsentant (hier: ¹Statthalterª) Christi auf Erden unfehlbar sei.31
So verhält es sich auch mit dem absoluten Souverän, da dieser ± aufgrund seines Amtes ± nichts anderes als das Recht wollen kann.32 Hier wird deutlich,
was auch im Folgenden zu beachten sein wird, dass nämlich Absolutheit der
Entscheidung nicht Willkür bedeutet, sondern im Gegenteil daran gebunden ist,
dass die staatliche Sphäre das Recht voraussetzt, ähnlich wie die kirchliche
Sphäre Christus impliziert. Der parallele Bezug auf Kirche und Staat macht
wiederum die strukturelle Einheit deutlich, die in der Funktion liegt, sichtbar zu
machen, was unsichtbar ist und worin der nicht garantierte oder kontrollierbare
Akt der Entscheidung wurzelt.
Schmitt, Der Wert des Staates, S. 95.
Der Terminus ¹Statthalterª (im Römischen Katholizismus ist dann auch vom
¹Stellvertreterª die Rede) bezieht sich hier meiner Meinung nach nicht auf die Unterscheidung von ¹Repräsentationª und bloûem ¹an Stelle von jemandem stehenª, das
sonst mit der Wortfamilie ¹Vertretungª bzw. ¹Stellvertretungª bezeichnet wird; das
Statthalter- oder Stellvertreter-Sein des Papstes hat alle, auch persönlichen Eigenschaften des Repräsentierens, so wie Christus das Merkmal der Transzendenz hat ± einer
Transzendenz, die dasjenige kennzeichnet, was der Repräsentation würdig ist.
31
32
190 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
Ein weiteres Moment, das Licht auf den Zusammenhang zwischen der spekulativen Struktur von Der Wert des Staates und der Thematik der Repräsentation
wirft, liegt in dem Gewicht, das dem Element der juristischen Fiktion beigemessen wird, um die Wirklichkeitsebene zu bestimmen, auf der das Individuum
von Bedeutung für den Staat ist: Diese Ebene ist nämlich nicht die der empirischen Dingheit, sondern eben die der juristischen Fiktion, welche die ¹fiktive
juristische Personª zum Vorbild jeder Rechtspersönlichkeit macht.33 Dieser Gedanke war bereits 1913 in einer kurzen Schrift unter dem Titel ¹Juristische Fiktionenª34 aufgetaucht, wo Schmitt gegen die Auffassung von der Irrealität der
juristischen Fiktion Stellung bezog, die einer Verengung des Realitätsbegriffs
auf die empirische Realität entspringt. Denn eben weil der Gegenstand der Fiktion nicht der empirischen Realität angehört, sei er produktiv für Wissenschaft
und Praxis, also real. Um die Bedeutung der Fiktion für eine Theorie der Repräsentation zu erfassen, bedenke man einerseits, in welchem Maûe das juristische Thema der persona ficta mit der Begriffsgeschichte der Repräsentation
verknüpft ist35, andererseits, wie sehr eben dieses Thema den Kern der naturrechtlichen Konstruktion der ¹juristischen Personª berührt.36
Um zu begreifen, wie Schmitt an das Thema der politischen Theologie herangeht, ist die Tatsache zu beachten, dass er am zentralen Punkt seiner Überlegungen zum Wesen des Staates auf die Form der Kirche als ¹Beispiel in typischer Reinheitª zurückgreift.37 Denn, wie gesehen, ist das Sichtbarmachen der
Idee eine strukturelle, nie abgeschlossene und Transzendenz implizierende Aufgabe; und der ausdrückliche Bezug auf das Transzendente, das aufgrund seines
Wesens nicht sichtbar ist, ist nun einmal kennzeichnend für die Kirche. Der
Struktur der Beziehung Sichtbares-Unsichtbares (besser: der Notwendigkeit des
Unsichtbaren für die Ebene des Sichtbaren), die bekanntlich im Zentrum der
Verfassungslehre im Zusammenhang der Repräsentation als Prinzip der Staatsform erscheint, ist die frühe Schrift zum Wesen der Kirche und ihrer Sichtbarkeit gewidmet.38
Die Dimension, in der die Kirche auftritt, ist die menschliche und konkrete
der Sichtbarkeit: Diese Notwendigkeit rührt daher, dass sich die Kirche aus
Menschen zusammensetzt und dass sie auf dem zentralen Geschehen des Kommens Christi beruht. So wie Christus einen Körper gehabt hat, so muss auch die
Schmitt, Der Wert des Staates, S. 102±105.
Schmitt, Carl: ¹Juristische Fiktionenª, in: Deutsche Juristen-Zeitung XVIII
(1913), S. 804±806.
35 Vgl. Hofmann, Repräsentation. bes. S. 132±144.
36 Vgl. dazu meine Einleitung zu Duso, Il contratto sociale nella filosofia politica
moderna, und das 2. Kapitel des vorliegenden Bandes.
37 Schmitt, Der Wert des Staates, S. 81.
38 Schmitt, Carl: ¹Die Sichtbarkeit der Kirche. Eine scholastische Erwägungª, in:
Summa 1 (1917±18), Heft 2, S. 71±80.
33
34
3. ¹Sichtbarmachungª und ¹Säkularisierungª
191
Kirche einen Körper besitzen.39 Der Umstand, dass Gott Mensch geworden ist,
bedingt die Existenz einer sichtbaren Kirche, die Merkmale wie Organisation,
Institutionalisierung und Amtlichkeit akzeptiert. Aber aus demselben Ereignis
leitet sich auch ab, dass die Sichtbarkeit der Kirche in der Vermittlung einer
transzendenten Wahrheit besteht: In diesem Sinne kann man sagen, dass ihre
Sichtbarkeit unsichtbar wird, weil ihre eigentliche Wirklichkeit in Gott liegt;
die Kirche ist in dieser Welt, ohne von dieser Welt zu sein.40
Auch hier ist, trotz der Teilnahme am Leben Christi, die Kluft zwischen
Sichtbarem und Unsichtbarem unüberbrückbar, so dass die Aufgabe des Sichtbarmachens eine ständige und strukturelle ist und keinerlei objektive Absicherungen aufweisen kann. Wenn es zutrifft, dass das Wesen der Kirche, wie auch
des Staates, in der Vermittlung liegt, dann zieht die Tatsache, dass sich das Unsichtbare nicht als Gestalt konstituiert, die Notwendigkeit des riskanten Aktes
der Entscheidung nach sich, weil nur so die Vermittlung eine solche bzw. wirklich ist. Daher, d.h. durch den ¹schrecklichen Widerspruch von Recht und
Machtª, der aus der Sünde herrührt, ist es möglich, dass die Kirche ihre Aufgabe verrät und die wahre Sichtbarkeit sich von der empirisch feststellbaren
scheidet: Dann trennt sich die sichtbare von der ¹konkretenª Kirche und es entsteht ein offener Widerspruch.41
Auch wenn sich angesichts dieses stets möglichen Bruchs zwischen sichtbarer und empirischer Kirche ein Einfallstor für protestantische Kritik öffnet, so
macht dies weder die Dimension der Sichtbarkeit zunichte noch verhindert es
eine Kritik, die von der Forderung einer unmittelbaren, direkten Beziehung (eines Sehens, könnte man sagen) zum Unsichtbaren ausgeht. Noch widersprüchlicher ist nämlich die Negation der Sichtbarkeit, die das Unsichtbare in eine
andere Welt verlegt (die eine eigene Sichtbarkeit erfordern würde), und als
ebenso widersprüchlich erscheint eine amtliche Ablehnung der Amtlichkeit.42
Die mehr oder minder korrekte Beziehung Schmitts zum Katholizismus und
Protestantismus ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, sondern es
geht um die Herausarbeitung der theoretischen Struktur der Sichtbarkeit des
Unsichtbaren. Diese Struktur macht es unmöglich, dass die Welt des Sichtbaren
und das, was im speziellen Fall der Kirche darin erscheint, unabhängig und in
sich abgeschlossen ist, eben weil die Kirche auf das Unsichtbare gegründet ist.
Und dennoch liegt dieses Unsichtbare nicht in einer ¹anderen Weltª und ist
nicht in einer gesicherten Weise zu erlangen, welche die Kontingenz des SichtSchmitt, Die Sichtbarkeit, S. 75.
Ebd.
41 Ebd., S. 76 f.
42 Ebd., S. 81. Zur Beschreibung des ¹katholischenª Kontextes von Schmitts Denkens sei verwiesen auf Tommissen, Piet: ¹Carl Schmitt e il ¸renouveau cattolico nella
Germania degli anni Ventiª, in: Storia e politica XIV (1975), Heft 4, S. 481±500.
39
40
192 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
baren miede. Wiederum liegt kein metaphysischer Dualismus vor, sondern eine
Bewegung der Transzendenz, die das Unsichtbare als Voraussetzung des Sichtbaren impliziert, allerdings ganz im Rahmen der Sphäre des Sichtbaren verbleibt.
An diesem Punkt wird einsichtig, wie sehr die konkrete Struktur der Vermittlung, die treffend und in klassischer Weise (man denke an Platon) mit der Metapher des Sehens verknüpft ist, in die Richtung jener Repräsentation geht, die
sich auf der Ebene der Sichtbarkeit und Gegenwärtigkeit herstellt, aber nur
dank ihres Bezugs auf das von seinem Wesen her weder Gegenwärtige noch
Sichtbare möglich scheint. Wenn in dieser Strukturanalyse des Staates und der
Kirche, die zum Thema der Repräsentation hinführt, die politische Theologie
zum Vorschein kommt, dann liegt diese in der Implikation einer transzendenten
Instanz und in einer Vermittlung, die durch den Akt der Entscheidung realisiert
wird; diese transzendente Instanz ist Gott in der Kirche und das Recht im Staat.
Zwar gibt es eine explizite Aussage zur Analogie zwischen Funktion des Staates und Rolle des kantschen Gottes als Garant der Beziehung zwischen ethischer und empirischer Welt, aber zugleich wird dem Staat die göttliche Bezeichnung ¹Schöpferª verweigert (das Recht dagegen ist, obgleich in ganz anderer Weise als Gott, Schöpfer des Staates).43 Hilfreicher für das Verständnis
Schmitt'schen Denkens als die Parallele zwischen Staat und Gott ist also die
Aussage, dass der Staat das Recht als transzendente Instanz voraussetzt, ebenso
wie die Kirche das Göttliche voraussetzt.
4. Repräsentation und politische Form in
¹Römischer Katholizismusª
Wenn wir davon ausgehen, dass die bisher untersuchten Elemente ± Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit, Idee, Vermittlung, Entscheidung, Unfehlbarkeit ± für die
weitere Entwicklung von Schmitts Denken von Bedeutung sind, dann kommt
der theoretischen Weiterentwicklung im Römischen Katholizismus eine Schlüsselrolle zu, denn hier gewinnen all jene Elemente eine auf die Struktur der Repräsentation bezogene logische Anordnung.44 Anzumerken ist noch einmal, dass
Vgl. Schmitt: Der Wert des Staates, S. 46.
Schmitt selbst erblickt in der ¹weltgeschichtlichen sichtbaren Repräsentationª das
theoretische Kernstück des Römischen Katholizismus und zugleich sieht er den Ursprung desselben in der theoretischen Struktur der Sichtbarkeit des Unsichtbaren, wie
sie in Sichtbarkeit der Kirche hervorgetreten war (vgl. Schmitt, Carl: Politische Theologie II, Berlin 1970, S. 27, und dazu Galli, Carlo: ¹Mediazione e decisione: il rappresentare secondo Carl Schmittª, in: Il Centauro 15 (1985), S. 168 ff.). Zur Wiederaufnahme dieses Problemkomplexes in der Politischen Theologie II, also zur Repräsentation als Kern der politischen Theologie auch im Spätwerk Schmitts vgl. Scalone,
Antonino: ¹La ¸Politische Theologie II di Carl Schmittª, in: Filosofia politica 2
(1988), S. 435±453.
43
44
4. Repräsentation und politische Form in ¹Römischer Katholizismusª
193
Gegenstand unserer Untersuchung nicht die in anderen Kontexten durchaus legitime Frage nach Schmitts Beziehung zur Kirche, nach seinem Verständnis von
Rolle und Zukunft der Kirche ist, wobei der diesbezügliche Standpunkt
Schmitts auch schwanken und im Laufe der Jahre erhebliche Wandlungen und
Brüche aufweisen mag. Zu fragen ist hier vielmehr nach der Rolle der im Römischen Katholizismus vorgebrachten Überlegungen zur Repräsentation für die
Entwicklung des Schmittschen Denkens, insbesondere hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der politischen Form, wie sie in der Verfassungslehre auftritt,
sowie im Hinblick auf die Frage der politischen Theologie.
Abgesehen von Zufälligkeiten, welche die Abfassung beeinflusst haben mögen, nimmt die Schrift Römischer Katholizismus vom theoretischen Standpunkt
her eine strategische Stellung ein, weil ihr einerseits die schon behandelten Untersuchungen zur Struktur von Staat und Kirche vorangehen und sie unmittelbar
auf die Definition von ¹Souveränitätª in der Politischen Theologie folgt, die
bekanntlich mit Nachdruck das Problem der Entscheidung aufwirft, und weil
sie andererseits um wenige Jahre der Schrift zur Verfassung und dem Aufsatz
zur Definition des Politischen, beide von 1928, vorausgeht.45 Eine ernsthafte
Untersuchung dieser Schrift und der darin formulierten Beziehung zwischen Repräsentation und politischer Form, so darf man daher vermuten, erlaubt ein tieferes und womöglich adäquateres Verständnis sowohl der Bedeutung der politischen Theologie wie des Begriffs der Entscheidung und des Politischen als
Freund-Feind-Beziehung, also jener Begriffe, die oftmals als Interpretationsschlüssel des Schmittschen Denkens dienen. Wenn es dank Beachtung der theoretischen Struktur der Schmittschen Argumentation und durch eine Neubewertung der im Römischen Katholizismus dargelegten Überlegungen gelänge, die
theoretische Substanz der angeführten Begriffe Form, Entscheidung und Politisches zu erhellen, dann wäre dies ein nicht nur theoretischer, sondern auch philologisch-hermeneutischer Beitrag zum Verständnis des Schmittschen Denkens.
In diesem Sinne soll hier versucht werden, einige Anregungen zu geben.
Zunächst einmal lässt sich die Frage aufwerfen, ob das Problem der Entscheidung von der Thematik der Repräsentation berührt wird, ähnlich wie wir es
oben für die Vermittlung und die Alterität der Idee gesehen haben. Es ist zu
beachten, dass Römischer Katholizismus unmittelbar folgt auf die berühmte Definition: ¹Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.ª46 Angesichts dieser Definition liegt die Überlegung nahe, dass die Entscheidung unter
normativen Gesichtspunkten auf ein Nichts gegründet ist, wenn man Norm im
objektiven und formalen Sinne versteht; jedoch würde es zu einem offensicht45 Es ist darauf hinzuweisen, dass Römischer Katholizismus erstmals 1923 erschien,
die von Schmitt selbst anscheinend bevorzugte, 2. Auflage jedoch von 1925 ist (vgl.
dazu Galli, Carlo: ¹Presentazioneª, in: Schmitt, Carl: Cattolicesimo romano e forma
politica, hrsg. von C. Galli, Milano 1986, S. 3).
46 Schmitt, Politische Theologie, S. 13.
13 Duso
194 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
lichen Missverständnis des Schmitt'schen Denkens führten, wollte man diesen
Mangel an Fundierung als Willkürlichkeit deuten bzw. als Rechtfertigung eines
in der empirischen Realität als siegreich sich erweisenden politischen Handelns.
Daher ist der Hinweis von Bedeutung, dass auch im Römischen Katholizismus,
also in einer Schrift nicht von 1914, sondern von 1923, der Begriff der Entscheidung mit dem der Vermittlung verbunden wird. Während nämlich einerseits die Kirche eines der eindrucksvollsten Beispiele von complexio oppositorum ist, insofern sie die gegensätzlichsten Standpunkte in sich vereint, so geht
in dieser Vermittlung doch nicht das Moment von Wille und Entscheidung verloren, die complexio verknüpft sich mit einem mächtigen ¹Willen zur Dezisionª47, mit jener unnachgiebigen Entschlossenheit, die sich in der Unfehlbarkeit des Papstes äuûert. Darin liegt kein Widerspruch, weil Vermittlung nicht
friedliche Koexistenz der verschiedenen, miteinander im Streit liegenden Parteien bedeutet, entscheidend ist vielmehr ihre Vereinigung in einer Form: Die
complexio ist nämlich keine materielle Synthese, sondern beruht auf einer
¹spezifisch formalen Überlegenheit über die Materie des menschlichen Lebensª.48
Entscheiden heiût Auswählen, Abgrenzen, Trennen angesichts unbegrenzter
Möglichkeiten, es bedeutet Unterscheidung zwischen Betroffenen und denen,
die ausgeschlossenen werden, aber all dies schlieût einen wirklichen Zusammenhang keineswegs aus, sondern verlangt die Fähigkeit, eine komplexe Realität zu gestalten und verschiedene Dinge zu vereinen: Je gegensätzlicher die vereinigten Elemente sind, desto stärker und entscheidender ist die Einheit und
desto radikaler die Entgegensetzung. Hier ist die Rede von der Kirche, aber als
¹Trägerin politischer Formª 49: Die politische Form selbst impliziert nämlich
bereits eine solche Vermittlung, und auch der Staat als politische Einheit kann
seinerseits nur complexio oppositorum sein, da die Vielheit ± oder man darf
wohl sagen: der Gegensatz ± der Interessen und Parteien durch das Organ des
Parlaments als etwas Einheitliches gedacht ist.50 Auf diese Weise bildet sich ein
Feld, in dem die Entscheidung auftritt und wirksam wird und welches später als
¹Verfassungª im weitesten Sinne des Wortes bezeichnet wird.51 Das in der Entscheidung enthaltene Moment der Normunabhängigkeit und des Ausscheidens
Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 12.
Ebd.
49 Ebd., S. 34.
50 Ebd., S. 36: Die Einheit gründet darauf, dass sie ¹repräsentativ und nicht ökonomisch gedachtª ist. Vermittlung steht hier nicht für die Verwirklichung einer transzendenten Instanz, als welche etwa das Recht betrachtet wird, sondern für die Vereinigung der Gegensätze durch die Form; letztere jedoch ist möglich aufgrund einer Rationalität juristischer Art, welche Institution und reale Organisation entstehen lässt.
51 Vgl. dazu den aufschlussreichen Beitrag von Schiera, Pierangelo: ¹Dalla costituzione alla politica: la decisione in Carl Schmittª, in: Duso (Hrsg.), La politica oltre lo
Stato, S. 15±24.
47
48
4. Repräsentation und politische Form in ¹Römischer Katholizismusª
195
von Möglichkeiten, steht nicht im luftleeren Raum, sondern ist Teil einer komplexen Wirklichkeit, in der die Entscheidung ihre Wirksamkeit beweist, d.h. wo
sie sich als wirkliche Entscheidung erweist und nicht als bloû angemaûter Wille
zur Entscheidung.
Aber dieser Aspekt der Entscheidung, ihre Bindung an die Verfassung, ist
eng verknüpft mit einem anderen, der erkennen lässt, dass sie die Idee voraussetzt. Schon in den vorhergehenden Schriften war zu beobachten, dass der Bezug auf eine Instanz, welche die unmittelbare Wirklichkeit transzendiert und
keine konkrete Figur erzeugt, das Element der Entscheidung unvermeidlich
macht, wenn es um die Aufgabe der ¹Säkularisierungª geht, die das Wesen von
Staat und Kirche auszumachen scheint. Auch in diesem Fall hat das in der Unfehlbarkeitskonzeption enthaltene Moment der Entscheidung, das auf der Unmöglichkeit einer Garantie beruht, nichts mit einer Divinisierung des Papstes zu
tun, sondern damit, dass er sich auf eine transzendente Wirklichkeit bezieht.
Dank dieser Rückbindung erscheint die Entscheidung als notwendig, und von
dorther gewinnt sie auch ihre Kraft.
Wenn der geschilderte Zusammenhang dazu beiträgt, das Moment der Entscheidung in seiner ganzen Bedeutung zu erfassen, dann gelingt dies offenbar
vor allem in dem Moment, wo jenes Element ins Licht rückt, das Schmitt als
Quelle der Überlegenheit der Kirche, als Sinn ihrer formalen Eigenart, als
Merkmal ihrer Rationalität betrachtet: das ¹Prinzip der Repräsentationª.52 Die
Repräsentation erlaubt es uns, die bisher untersuchte theoretische Struktur genauer auszuleuchten, und bildet offenbar den Dreh- und Angelpunkt der politischen Form. Die politische Kraft der Kirche liegt darin, dass ihr Wesen repräsentativ ist; und da Repräsentation das Prinzip der politischen Form ist,
erscheint die Kirche als einzige Hüterin des politischen Denkens in einer
Gesellschaft, die immer stärker vom ökonomischen Denken beherrscht ist und
immer unfähiger zur Repräsentation wird: ¹Im Repräsentativen liegt ihre Überlegenheit über ein Zeitalter ökonomischen Denkens.ª53 Es geht weniger um die
politische Funktion der katholischen Kirche und um ihren Einfluss, sondern
darum, dass sie ein Beispiel für politische Form gibt.
Was Schmitt im Kontext der Durchsetzung des Begriff der Entscheidung ablehnt, ist die Verkürzung des Politischen auf das Faktische, auf bloûe Gewalt
oder reine Technik. Mechanisierung und Versachlichung der Beziehungen entsprechen zwar dem Wesen der modernen politischen Theorie und des Staatsapparates ab dem 17. Jahrhundert, vermögen das repräsentative Element und seine
Beziehung zur Idee jedoch nicht auszulöschen. ¹Kein politisches System kann
mit bloûer Technik der Machtbehauptung auch nur eine Generation überdauern.
52
53
13*
Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 12.
Ebd., S. 26.
196 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
Zum Politischen gehört die Idee, weil es keine Politik gibt ohne Autorität und
keine Autorität ohne ein Ethos der Überzeugung.ª54
Diese doppelte Bindung: nach oben Rückbezug auf die Idee, nach unten Verwurzelung in der Überzeugung derjenigen, die sich im politischen Raum wiedererkennen, macht das Wesen der Repräsentation aus. Ihren höchsten Ausdruck findet sie in der Kirche: Da hier nicht nur die Idee der Gerechtigkeit
repräsentiert wird, sondern Christus als Person55, sind Einfluss, Autorität und
Überzeugungskraft bei der Kirche allesamt gröûer. Zudem erscheint die von der
Repräsentation vorausgesetzte Transzendenz hier besonders plausibel, handelt es
sich doch bei der Repräsentation der Kirche um die Dimension des Göttlichen.
Dass die Bewegung der Transzendenz dem Politischen wesensmäûig zu eigen
ist, tritt für Schmitt zu Tage, wenn man die am stärksten abgeschwächte und
verweltlichte Form moderner Repräsentation betrachtet, als welche die parlamentarische gelten darf. Auch sie nämlich ist insofern politisch, als sie nicht
vom empirisch Vorhandenen determiniert ist, sondern sich auf die Gesamtheit
des Volkes bezieht, das eine ideelle Bedeutung hat: ¹Das ¸Ganze des Volkes ist
nur eine Ideeª 56. Wäre das Volk als empirische Realität gefasst, dann könnte es
kein Organ geben, das es repräsentiert, und es wäre nicht zu jenem monstrum
der deutschen Staatslehre gekommen, wonach sowohl das Volk als auch sein
Organ, das Parlament, zugleich Souverän sind.57
Also nicht nur in der Kirche, sondern in jeder politischen Situation, ergibt
sich die Notwendigkeit, das materiell Gegebene hinter sich zu lassen und, wenn
auch in höchst säkularisierter Form, ein ideelles, transzendentes Element einzubeziehen. Daher ± und die Kirche ist hier wiederum das augenfälligste Beispiel
± kommt Repräsentation immer ¹von obenª58 und kann nicht auf bloûe ¹Stellvertretungª 59, auf eine schlichte Widerspiegelung der Realität reduziert werden.
Kurz, die ¹Realpräsenz der Dingeª schafft keine Repräsentation, denn in diesem
Fall sind die Dinge einfach präsent und lassen sich nicht repräsentieren: Nur
die Idee kann repräsentiert werden. Im Bereich des Wirtschaftlichen und Sozialen, wie es in der modernen bürgerlichen Gesellschaft auftritt, gibt es also keinen Raum für eine politische Dimension, weil es keinen Raum für die Repräsentation gibt: Nur wo ein repräsentatives Element auftritt, ist man im Bereich
des Politischen.
Das Politische der Repräsentation ist zwar an das Existenzielle und die Entscheidung gebunden, hat aber formalen Charakter, und diese Formalität äuûert
54
55
56
57
58
59
Ebd.,
Ebd.,
Ebd.,
Ebd.,
Ebd.,
Ebd.,
S.
S.
S.
S.
S.
S.
25.
41.
36.
36.
37.
29.
4. Repräsentation und politische Form in ¹Römischer Katholizismusª
197
sich in der Kirche, die nicht nur etwas Innerliches ist, sondern auch äuûere Realität, Organisation, Institution. Man beachte, dass schon in Sichtbarkeit der Kirche die Sichtbarkeit offiziellen Charakter annimmt und mehr als persönliches
Charisma erfordert, nämlich ein Amt, dessen Würde über die Person hinausgeht, die es jeweils bekleidet.60 Das Institutionelle ist juristischer Art und bedingt daher als zentralen Begriff die Form ± nicht verstanden als Voraussetzung
oder etwas schon Gegebenes, sondern als etwas, dessen Erzeugung zu begreifen
ist. Erst wenn diese Genese untersucht wird, entdeckt man das konkrete Wirken
der Repräsentation und ihre spezifische Rationalität: Sie besteht nämlich in einem Formieren, bei dem sich Objektivität und Rationalität auf das persönliche
Element stützen, denn Repräsentation ist nicht auûerhalb des persönlichen Handelns und der persönlichen Würde denkbar.61 Das persönliche Element zieht,
wenn es in seiner ganze Tragweite erfasst wird, notwendig das Merkmal der
Öffentlichkeit nach sich; deshalb hat die Kirche ± entgegen jeglicher Begründung eines religiösen Privatraumes ± eine öffentliche Dimension und ihre juristische Rationalität ist ¹publizistischª.62
An diesem Punkt dürfte deutlich geworden sein, dass wir vor einer Konzeption von Repräsentation stehen, die bereits all jene Elemente enthält, welche
später in der Verfassungslehre als notwendige Voraussetzung für das Verständnis des Prinzips der politischen Form aufgegriffen werden: Überwindung des
Empirischen, Implikation der Idee, Transzendenz, Öffentlichkeit, Produktivität
des Formierens, Unmöglichkeit, die Repräsentation ¹von untenª herzuleiten, der
¹personelleª Charakter.
Wenn Repräsentation der Schlüssel zum Verständnis der politischen Form
nicht nur im Römischen Katholizismus, sondern auch in der Verfassungslehre
ist, dann heiût das: Moderne Politik und die Kategorien, welche ihre rationale
Struktur bestimmen, können nur dann begriffen werden, wenn man die ihnen
innewohnende Bewegung der Transzendenz erfasst, die Beziehung zu dem, was
jenseits der dinglichen Gegebenheit liegt, d.h. die Beziehung zur Idee. Da sich
die Idee nicht auf das Objekt des Logos reduzieren lässt, weder dessen Besitz
noch dessen bloûe Schöpfung ist, sondern ¹fremder Gastª bleibt, behält die
Struktur der Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie ihre Offenheit, nicht in dem Sinne, dass jenseits von ihr etwas anderes liegt ± eine Idee
60 Ebd., S. 20: Der Papst wird nicht als Prophet, sondern als ¹Stellvertreter Christiª
verstanden. Auch wenn im Römischen Katholizismus die Unterscheidung zwischen
¹Repräsentationª und ¹Vertretungª deutlich zu Tage tritt, so ist der Wortgebrauch
nicht immer konsequent im Hinblick auf diese Unterscheidung: Hier ist eigentlich
¹Repräsentantª gemeint, so wie im Fall der ¹Volksvertretungª oder der ¹Vertretung . . .
des ganzen Volkesª (vgl. S. 36) natürlich politische Repräsentation gemeint ist (vgl.
Anm. 32).
61 Zu dem von der Repräsentation geforderten Merkmal der Persönlichkeit vgl.
ebd., S. 29.
62 Ebd., S. 40.
198 V. Repräsentation als Grundlage der politischen Theologie bei Carl Schmitt
kann ja nur an ihrem Wirken im Bereich des Sichtbaren festgemacht werden,
sondern im Sinne der für das Repräsentative nachgewiesenen Unmöglichkeit,
dass die Idee eingefangen wird, eine Form annimmt und somit auf der konkreten Ebene der Präsenz gegeben ist. So gesehen bedeutet ¹politische Theologieª
nicht Begründung der Politik aus einem transzendenten Prinzip, sondern erweist
sich umgekehrt als radikale, strukturelle Forderung nach Fundierung und muss
ihr Schicksal dem Schnitt der Entscheidung und dem Risiko überlassen, dem
diese wesensmäûig ausgesetzt ist.63
Die für den gesamten untersuchten Zeitraum kennzeichnende Analogie zwischen Kirche und Staat wirft übrigens für die hier dargelegte Sichtweise Probleme auf, denn auf dem Gebiet der Offenbarung gibt es anscheinend nicht nur
Anwesenheit in Form der Abwesenheit der Idee, sondern auch das Moment des
Anspruchs auf den Besitz der Wahrheit. Wie dargestellt, muss die Kirche einen
Körper besitzen, so wie Christus einen Körper hatte: Dies erscheint wohl als
institutionelle Begründung, aber wiederum ist der Hinweis möglich, dass diese
Wahrheit am dünnen Faden des Glaubens hängt, so wie die Unfehlbarkeit des
Papstes an den unsicheren Akt der Entscheidung gebunden ist. In Schmitts frühen Schriften hat offenbar auch der Staat Anteil an dieser Fülle, weil er auf
einer für das Menschliche konstitutiven Struktur des Logos beruht: der Sichtbarkeit des Unsichtbaren bzw. dem Verhältnis von Idee und Welt. So notwendig,
wie dieses Verhältnis erscheint, da eine Wirklichkeitsebene, die sich nicht in
bloûer Faktizität erschöpft, von der Implikation der Idee gekennzeichnet ist, so
notwendig erscheint nicht nur eine Instanz, die sich auf die Ebene der Gewalt
stellt, um das Recht zu verwirklichen, sondern der Staat selbst, konzipiert in
seiner Form als moderner Staat. Dieser mag daher im Gewand einer zeitlosen
Universalität auftreten, die seine spezifische Realität und die theoretischen Bedingungen seiner Hervorbringung als rationale Form nur ungenügend berücksichtigt.
Zur Einsicht in den von der Moderne bewirkten Bruch kommt es allerdings
in dem Moment, wo die radikale Instanz der Politik zwar als weiter bestehend
gesehen wird, aber mittels Ersetzung der Transzendenz des Göttlichen durch
weltliche, immanente Faktoren.64 Dieses Bewusstsein verstärkt sich in den
Überlegungen des reifen Schmitt, wo der Staat seine epochalen Merkmale und
eine gröûere Bestimmtheit annimmt und nicht mehr als gleichbedeutend mit
dem Politischen erscheint, sondern als eine Ausdrucksform des Politischen, die
sich zugleich als dessen Neutralisierung erweist.65 Die politische Theologie der
63 Zur Offenheit der Entscheidung aufgrund der Implikation der Transzendenz vgl.
Racinaro, Esistenza e decisione, S. 163.
64 Vgl. Anm. 11.
65 Zur Transzendenz des Politischen gegenüber dem Staat und andererseits zum Widerstand Schmitts gegen das Verständnis des Staates als kontingenter, vergänglicher
Form vgl. die Einführung von G. Miglio zu Schmitt, Carl: Le categorie del politico,
4. Repräsentation und politische Form in ¹Römischer Katholizismusª
199
modernen Begriffe scheint also in einer doppelten Bewegung zu bestehen: in
der Transzendenz, aber auch in ihrer Negation mit Hilfe eines Versuchs der
Immanenz. Die Erzeugung der politischen Form hängt also im leeren Raum66,
sie beruht auf der Annullierung einer Seinsordnung und jeder vorausgesetzten
Realität: nur eine groûe, ungeheure Verzweiflung hat diese Form erzeugen können.67
hrsg. von Gianfranco Miglio und Pierangelo Schiera, Bologna 1972, S. 9 (aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch Miglio, Gianfranco: ¹Oltre lo statoª, in: Duso (Hrsg.):
La politica oltre lo Stato, S. 41±47). Zu diesem Thema vgl. den erhellenden Aufsatz
von Ornaghi, Lorenzo: ¹Lo Stato e il politico nell'età modernaª, in: Quaderni Fiorentini 15 (1986), S. 721±741.
66 Von daher stimme ich C. Galli zu, wenn er darauf insistiert, dass die moderne
Repräsentation (im Unterschied zur kirchlichen) im leeren Raum hängt und dass der
Staat Ordnung ¹schafftª (s. die Einführung zu Schmitt, Cattolicesimo romano, hrsg.
von Carlo Galli, S. 18 und ders.: Mediazione e decisione, sowie ders., Genealogia
della politica, bes. Kap. VI), aber dies bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass das
Schmitt'sche Verständnis (und sein theoretischer Status) mit dem von der modernen
Repräsentation implizierten Nihilismus identisch sei. Es ist gerade die im Schmittschen Denken sichtbar werdende theoretische Struktur (der Schmitt selbst nicht treu
bleibt), die jenen Nihilismus im Hegelschen Sinne philosophisch aufheben kann.
67 Vgl. Schmitt, Carl: Ex Captivitate salus: Erfahrungen der Zeit 1945±47, Köln
1950, S. 66 und S. 73.
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft:
Eric Voegelin
Oft hat es den Anschein, dass theoretische und epistemologische Ansätze der
Gegenwart ihren Ursprung, ihre eigentlichen Motive und ihre Fragestellungen
aus der epochalen Wende des frühen 20. Jahrhunderts beziehen, insbesondere
aus der vor allem in Deutschland geführten Debatte der zwanziger und frühen
dreiûiger Jahre. Plausibel erscheint eine solche Aussage auch im Hinblick auf
jenes weitgreifende kulturelle Phänomen, das ab den sechziger Jahren wiederum vor allem in Deutschland auftritt und durch ein starkes Interesse an der
praktischen Sphäre und an der philosophischen Reflexion über die Praxis bestimmt ist. Dieses oft als Rehabilitierung der praktischen Philosophie1 bezeichnete Phänomen ist recht komplex und kaum auf eine Einheit rückführbar. Auûerdem entsteht es in einem theoretischen und historischen Zusammenhang, der
sich in der zweiten Nachkriegszeit herausbildet und zum einen durch die Entwicklung der soziologischen Wissenschaften, zum anderen durch den Befund
einer Krise der ethischen und politischen Werte geprägt ist. Zu den Wesenszügen dieses Phänomens gehören die Erkenntnis der Krise der Politikwissenschaft,
die Kritik an einer ¹szientistischenª, objektivistischen und wertfreien Analyse
des Politischen ± und damit die Opposition gegen einen epistemologischen Ansatz, wie er von Weber eingeführt wurde ±, auch die Rückkehr zu einem Stil
philosophischen Nachdenkens über ethische und politische Probleme, der in enger Beziehung zum Denken der griechischen Klassik steht, aber die Grundlinien
dieser Positionen wurden bereits viel früher formuliert: in einigen kritischen
Reaktionen auf den erkenntnistheoretischen Ansatz Webers, die eine später
kaum noch anzutreffende Schlagkraft und Radikalität aufweisen.
Während Weber zum einen das Moment der Vollendung moderner Rationalität verkörpert, zum anderen als Begründer einer neuen ¾ra wissenschaftlicher
Produktivität erscheint, in der sich Wissenschaft zunehmend spezialisiert und
darauf verzichtet, das menschliche Handeln durch universelle Werte zu steuern,
ist in der Folge vielerseits eine erneute Thematisierung des Philosophischen und
damit eine Rückkehr zu einem radikalen Denken über das menschlichen Handeln zu beobachten. Das gilt nicht nur auf dem philosophischem Gebiet im ei1 Beispielhaft sind die beiden Bände von Riedel, Manfred (Hrsg.): Rehabilitierung
der praktischen Philosophie, 2 Bde., Freiburg 1972/1974. Insbesondere im 1. Abschnitt soll auf die Debatte über die Rehabilitierung der praktischen Philosophie in
Deutschland und auch in Italien eingegangen werden.
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
201
gentlichen Sinne, man denke an Positionen wie die von Max Scheler oder Heidegger, sondern auch auf politisch-juristischem Feld: Bezeichnend ist etwa der
wiederkehrende Vorschlag eines ¹radikalen Denkensª durch Carl Schmitt und
sein Versuch, den eigentlichen Ursprung des Politischen zu begreifen, jenseits
der modernen Form des Staates; kennzeichnend ist aber auch die Debatte über
das Wesen der Repräsentation, zu der Schmitt selbst einen bedeutenden Beitrag
leistet und an der Ende der zwanziger Jahre mehrere Theoretiker teilnehmen.
Was das zunehmende Interesse an der praktischen Philosophie betrifft, so
sind in diesem Kontext Denker von Bedeutung, die häufig als ¹Vorläuferª einer
Aufwertung der praktischen Philosophie gelten: Leo Strauss, Eric Voegelin und,
in mancher Hinsicht, auch Hannah Arendt.2 Um Sinn, Form, epochale Bedeutung und begriffliche Klarheit dessen zu erfassen, was sich phänomenologisch
als Rückkehr der Philosophie zu einer Reflexion über die praktische Sphäre und
das Problem des Politischen darstellt, ist auf diese Autoren, insbesondere aber
auf den meiner Ansicht nach sehr aufschlussreichen Eric Voegelin zurückzugehen. Dabei mag man einiges entdecken, was unvollendet, unbefriedigend oder
auch inadäquat scheint, wenn man es mit den neueren, anspruchsvolleren Positionen vergleicht, denen die sogenannte Rehabilitierung der praktischen Philosophie zu verdanken ist, aber diese vermeintliche Schwäche geht einher mit
einer echten philosophischen Reflexion über das Verhältnis zwischen Denken
und Praxis.
In die angegebene Richtung geht die hier vorgelegte Untersuchung; weit davon entfernt, die verschiedenen Entwicklungen und Grundpositionen, die in der
praktischen Philosophie ihren Bezug suchen, auch nur schematisch darstellen zu
wollen3, ist sie von dem Bewusstsein getragen, dass die hier vorgelegte Interpretation Voegelins sich von anderen abhebt, die in seinem Denken eine im
2 Die Notwendigkeit, diesen Grundzug der zeitgenössischen philosophischen Kultur
zu beleuchten, wurde hervorgehoben von Nicola Matteucci in seiner Einleitung zu:
Voegelin, Eric: Ordine e storia. La filosofia politica di Platone, Bologna 1986. Auch
wenn die wissenschaftliche Produktion dieser Autoren einen Zeitraum umfasst, der
näher an der Gegenwart liegt, so scheint mir für die Entwicklung ihres Denkens doch
der Bezug auf die Problematik der 20er und 30er Jahre entscheidend zu sein; deutlich
wird dies in besonderer Weise in Eric Voegelins Rezension der Verfassungslehre von
Schmitt und in Leo Strauss' Untersuchung des Begriffs des Politischen. Vgl. dazu
Duso, Giuseppe (Hrsg.): Filosofia politica e pratica del pensiero, Eric Voegelin, Leo
Strauss e Hannah Arendt, Milano 1988.
3 Einen guten Überblick liefert Volpi, Franco: ¹La rinascita della filosofia pratica in
Germaniaª, in: Pacchiani, Claudio (Hrsg.): Filosofia pratica e scienza politica, Abano
Terme 1980, S. 11±98; Volpi hat auch versucht, das Feld dessen, was im eigentlichen
Sinne und unter Berücksichtigung der Bedeutung bei Aristoteles unter ¹praktischer
Philosophieª zu verstehen ist, näher einzugrenzen (ders.: ¹Che cosa significa neoaristotelismo? La riabilitazione della filosofia pratica e il suo senso nella modernitàª, in:
Il Mulino 35 (1986), S. 328±349).
202
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
Grunde ¹liberaleª Prägung und einen ¹normativenª oder schlicht restaurativen
Ansatz erkennen.
1. Praktische Philosophie als philosophische
¹Disziplinª
Nach einer ausgedehnten historischen Entwicklung schien die ¹praktische
Philosophieª nicht nur in Schulen und Akademien, sondern überhaupt in der
kulturellen Debatte auûer Gebrauch gekommen zu sein, als sie Anfang der
sechziger Jahre einen Aufschwung erlebt, der eng verknüpft ist mit einer kritischen Haltung gegenüber Soziologie und Politikwissenschaft, die mit ihrem
streng wissenschaftlichen Ansatz das Feld der Reflexion über das Politische
gänzlich zu besetzen beanspruchen. Aber es geht nicht um bloûe Gegenüberstellung, sondern auch um die Einsicht, dass die genannten Fächer an einen toten
Punkt gelangt bzw. dass die Grundprobleme und -fragen, welche die Forschung
motivierten, aus dem Blick geraten waren.4 Die Grundlage für die Konzeption
von Sozial- und Politikwissenschaft im 20. Jahrhundert wird zu Recht in Webers erkenntnistheoretischem Ansatz gesehen, der auch für eine Wende im Verständnis von Rationalität als bezeichnend gelten darf.5 Denn in den Ansätzen,
die sich in verschiedener Weise auf das Weber'sche Denken berufen, scheint
sich ein wissenschaftlicher Stil zu etablieren, der seine Gegenstände nur insofern analysieren kann, als er einerseits auf Werturteile, andererseits auf eine
Problematisierung des untersuchten Gegenstandes verzichtet, welche die für das
wissenschaftliche Vorgehen unerlässlichen Schranken von thematischer Eingrenzung und festgelegter Methode durchbrechen würde.
Zum Bezugsrahmen gehört jedoch auch jene wichtige Epoche der staatstheoretischen Debatte, die in die zwanziger Jahren fällt. Die Namen Carl Schmitt,
Hermann Heller, Rudolf Smend und Gerhard Leibholz stehen für eine Debatte,
die das Thema des Politischen und des Staates in einem entscheidenden historischen Moment in einer Weise beleuchtet, die von der nachfolgenden Theorieentwicklung nicht ignoriert werden kann. Je stärker dabei versucht wird, die
besondere Natur des Politischen und das Wesen der Verfassung zu begreifen, je
mehr die zentrale Bedeutung des Zusammenhang von politischer Einheit und
Repräsentation für das Wesen des Staates erkannt wird, desto mehr mag es
scheinen, dass all dies weit entfernt ist von der konkreten Realität, und dass die
4 Vgl. Hennis, Wilhelm: Politik und praktische Philosophie: eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft, Neuwied/Berlin 1963; jetzt zusammen mit anderen Aufsätzen in: ders.: Politik und praktische Philosophie: Schriften zur politischen
Theorie, Stuttgart 1981, bes. S. 17.
5 Zum Weber'schen Ursprung der zeitgenössischen Sozial- und Politikwissenschaft
vgl. schon Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen ¹Herrschaftª und ¹Legitimitätª,
S. 70.
1. Praktische Philosophie als philosophische ¹Disziplinª
203
traditionellen Formen der Legitimation des politischen Zwangs verblassen und
verschwimmen.6
Zweifellos kommt es im Austausch der Gedanken und Ideen des frühen 20.
Jahrhunderts zu einer grundlegenden Wende, aber bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese Wende als Langzeitfolge einer theoretischen Entwicklung, die
am Beginn der Neuzeit ihren Ausgang nimmt und erst jetzt in ihrer ganzen
Tragweite ausgeleuchtet und anerkannt wird. An der Wiege der Begriffe Wissenschaft und Staatslehre erscheint, wie schon Leo Strauss bemerkt hatte, der
Schatten Hobbes' und die Einführung eines staatsrechtlichen Denkens, das sich
auf eine formelle Rationalität stützt.7 Denn Hobbes unternimmt den ausdrücklichen Versuch, mit der Tradition des moralischen und politischen Denkens
zu brechen und ein Wissen über Politik zu begründen, das mit geometrischer
Strenge ausgestattet ist. Unter Absehung von einer konkreten, phänomenologisch erfassbaren Realität und unabhängig von den Auffassungen über die Ordnung und das Gute, die ± eben weil sie nicht auf exaktem Denken beruhen ± als
einander widersprechend erscheinen, soll die Theorie nun eine politische Form
erzeugen, die aufgrund ihrer Rationalität akzeptiert werden muss und die Übereinkunft Aller ermöglicht, da sie auf der Vernunft und dem Willen der Individuen beruht.
Die politische Wissenschaft, die hier ihren Anfang nimmt, offenbart sich als
in sich geschlossenes Gebilde, das den Anspruch erhebt, unabhängig von jeglicher theoretischen oder empirischen Voraussetzung ein mögliches Zusammenleben der Individuen zu bestimmen, und dabei auf Ordnungsprinzipien verzichtet, die über den für das friedliche Zusammenleben notwendigen formalen
Charakter hinausgehen oder diesem gar widersprechen. Bei dieser Aufgabe
erscheint die Wissenschaft als neutral gegenüber den Grundentscheidungen, die
Wesen und Ziel des Menschen betreffen, und übernimmt eine doppelte Aufgabe: das Verhältnis von Befehl und Gehorsam zu legitimieren und eine Form
vorzuschlagen, in der bürgerliches Leben möglich und sicher ist.
Aber in diesem Zusammenhang verliert der Begriff des ¹Politischenª seine
klassische Bindung an das Zusammenleben der Menschen in der polis, und die
politische Theorie erscheint von einem einzigen Problem beherrscht: dem der
Herrschaft. Dieser Begriff dominiert ganz offensichtlich das Denken Webers8,
sei es, weil als Politik das Feld des Kampfes um die Herrschaft bestimmt wird,
sei es, weil die Form des Staates durch die Herrschaft und ihre Legitimation
Vgl. Kap. 4 der vorliegenden Arbeit.
Vgl. wiederum Hennis, Politik und praktische Philosophie, S. 7.
8 Vgl. Ritter, Joachim: Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel,
Frankfurt a. M. 1969, S. 132. Zur modernen Herrschaft als formelles Verhältnis von
Befehl und Gehorsam vgl. auch das III. Kapitel der vorliegenden Arbeit und die Fuûnoten 12 (I. Kap.) und 21 (II. Kap.).
6
7
204
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
gekennzeichnet wird. Aber man kann sagen, dass ausgehend von Hobbes die
politische Wissenschaft im Wesentlichen die Konstituierung einer einheitlichen
Gewalt beschreibt, der alle unterworfen sind, und zugleich versucht, diese unwiderstehliche Gewalt ± die politische Herrschaft ± zu legitimieren, eben weil
man aufgrund der willentlichen Entwurzelung, die das moderne Denken ausmacht, eine Gewalt, der alle unterworfen sind, nur dann konzipieren kann,
wenn diese legitim ist, d.h. auf der Vernunft und dem Willen gründet, die alle
Individuen notwendigerweise besitzen müssen. Die Probleme des Menschen und
seiner Zwecke berücksichtigt dieser Ansatz nicht, er erscheint in dieser Hinsicht
als neutral und neutralisierend. Selbst Schmitt und der ¹Dezisionismusª gelten
der neu erblühten praktischen Philosophie als letzter Akt dieser epochalen Entwicklung; die voraussetzungslose Entscheidung erscheint als Produkt der Indifferenz gegenüber ethischen und politischen Problemen und als Ergebnis des
modernen Relativismus.9
In dem Moment, wo dieser Entwurf in Frage gestellt und nach dem Handeln
des Menschen und der politischen Gemeinschaft gefragt wird, gerät vor allem
der Reduktionismus der modernen Theorie gegenüber der Komplexität des
realen Zusammenlebens in die Kritik, und somit der diesem Reduktionismus
zugrunde liegende Anspruch auf Exaktheit und abschlieûende Begründung.
Dementsprechend ist man bestrebt, den Untiefen eines neutralen, wertfreien
Wissens zu entrinnen, das nichts über die einzuschlagende Richtung und über
die anzustrebenden Werte aussagt; man versucht, eine Form des Wissens zu
schaffen, die sich wohl durch geistige Strenge auszeichnet, sich aber nicht auf
jene deskriptive, neutrale Untersuchung des Gegenstandes reduziert, die als
typisch für die moderne Wissenschaft gilt; man will sich mit den Problemen
auseinandersetzen, welche die Grundlage menschlichen Handelns bilden, und
Orientierungspunkte finden.10 Das aber heiût, die Überzeugung in Frage zu stellen, das Problem des Politischen sei deckungsgleich mit der Frage der Herrschaft im modernen Sinne; fragwürdig wird damit auch jene politische Form,
d.h. der Staat, die offenbar das Produkt der modernen politischen Wissenschaft
ist.
Es ist also erforderlich, eine Vorstellung des Politischen zu entwickeln, die
sich von der modernen unterscheidet und nicht an deren Reduktionismus
krankt, nicht von der Frage der Herrschaft und Herrschaftslegitimation verein9 Zum ¹Dezisionismusª (Lübbe, Schmitt) als Wiederaufnahme einer typisch sophistischen Haltung vgl. Bubner, Rüdiger: Handlung. Sprache und Vernunft. Grundbegriffe
praktischer Philosophie, Frankfurt a. M. 1976, S. 118 ff. Wie irreführend eine derartige
Schmitt-Interpretation im Hinblick auf die behandelten Themen ist, wird in den vorhergehenden Kapiteln über Schmitt deutlich.
10 Beachtlich als Versuch, die Verknüpfung von wissenschaftlicher Strenge und
praktischer Orientierung zu begründen, ist Höffe, Otfried: Praktische Philosophie. Das
Modell des Aristoteles, München und Salzburg 1971.
1. Praktische Philosophie als philosophische ¹Disziplinª
205
nahmt ist. Zu diesem Zweck wird ein Weg bevorzugt, der zu jenem Verständnis
des Politischen zurückführt, das sich im Rahmen der platonischen und aristotelischen Philosophie herausgebildet hatte und das konkrete Leben der polis meint
± einen Raum, in dem sich der Mensch als solcher verwirklicht.11 Hier soll
insbesondere der aristotelische Standpunkt erwähnt werden, denn vor allem auf
ihn beziehen sich jene Ansätze, die am deutlichsten einen spezifischen Inhalt
der ¹praktischen Philosophieª festzulegen und ein Wissen zu beschreiben suchen, dessen Strenge sich nicht nur von der Exaktheit der modernen Wissenschaft unterscheidet, sondern auch von der theoretischen Philosophie überhaupt.
Bei Aristoteles und vor allem in der Topik findet sich das Vorbild für ein solches Wissen.12 Nur auf diese Elemente und auf die Positionen, die sie am stärksten zum Ausdruck bringen, hat es Sinn, hier näher einzugehen, um die Logik
und Radikalität des Vorschlags zu prüfen und eventuelle Probleme und Aporien
zu ermitteln.
Da sich die Kritik der politischen Wissenschaft zugleich gegen den in ihrem
Mittelpunkt stehenden Staat als politische Form richtet (denn diese Form ist,
um mit Weber zu sprechen, zum ¹Eisenkäfigª verkommen, in dem sich die
freie politische Tätigkeit des Menschen nicht mehr entfalten kann), ist zu prüfen, mit welcher begriffsgeschichtlichen Bewusstheit dieses Problem angegangen wird und wie im Verhältnis zu dieser Form ein alternativer Gesichtspunkt
formuliert wird.
Oft gibt es ein klares Bewusstsein für die Kluft, die zwischen dem Denken
der antiken Griechen und den modernen Begriffen besteht, so dass etwa die
polis nicht mit modernen Kategorien wie Staat und Zivilgesellschaft erfasst
werden kann.13 Verräterisch ist allerdings der Umstand, dass im Zusammenhang
der Rehabilitierung des politischen Denkens von Aristoteles das Problem der
Legitimität der Herrschaft gestellt wird. Aufgeworfen wird die Frage von Manfred Riedel, der ± wenn auch im Rahmen eines Forschungsansatzes, der dem
Strukturwandel der Begriffe und den je nach historischer Epoche unterschiedlichen Begriffswelten gewidmet ist ± eine der Aporien des aristotelischen
Denkens im Hinblick auf seine unmittelbare Anwendung auf den Kontext der
Moderne darin sieht, dass Aristoteles sich nur ungenügend bemüht habe, die
Zwangsgewalt der polis zu begründen: Die Legitimation von Herrschaft sei bei
Aristoteles ein nicht ausreichend vertieftes Thema.14 Der Versuch, die Rückkehr
zur aristotelischen Philosophie vor dieser Schwäche zu bewahren, übersieht die
Vgl. Ritter, Metaphysik und Politik, S. 132.
Siehe dazu vor allem den Ansatz von Hennis, Politik und praktische Philosophie,
bes. ¹Topik und Politikª, S. 88 ff. Zu berücksichtigen ist hier die Kritik von Kuhn,
Helmut: Aristoteles und die Methode der politischen Wissenschaft, jetzt in: Riedel,
Rehabilitierung, Bd. II, S. 261±290.
13 Vgl. z. B. Ritter, Metaphysik und Politik, S. 115 Nr. 20.
14 Vgl. Riedel, Manfred: Metaphysik und Metapolitik, Frankfurt a. M. 1975, S. 102.
11
12
206
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
Tatsache, dass Herrschaft als Gewaltmonopol und Legitimität als Problem, das
Herrschaft in der Moderne notwendig begleitet, typische Elemente der modernen Theorie und wohl kaum auf die Realität der polis oder auf die praktische
Philosophie Aristoteles' anwendbar sind.15 Die Wiederaufnahme des aristotelischen Denkens zu dem Zweck, eine Antwort auf die zeitgenössischen Probleme
zu finden und jene Verzerrungen zu korrigieren, die in der Staatslehre auftreten,
führt zu einer Aristoteles-Interpretation, welche die Zäsuren und radikalen
Wandlungen der politischen Begriffe nicht ausreichend berücksichtigt. Es ist in
diesem Kontext bezeichnend, dass auch in der italienischen Debatte nicht nur
oftmals von ¹Staatª die Rede ist, wenn es um die polis geht, wobei es zu einer
offensichtlichen Bedeutungsverschiebung kommt, sondern zudem in Aristoteles
ein Bewahrer der ¹ethischen und rechtlichen Werteª gesehen wird; ein solcher
Gesichtspunkt berücksichtigt weder die spezifische Bedeutung des Rechtlichen
in der Neuzeit noch den engen Zusammenhang einer Berufung auf ¹Werteª mit
der Debatte über Krise und Neubegründung der Werte, die das frühe 20. Jahrhundert prägt.16
Die Kritik an der modernen, auf Repräsentation beruhenden politischen Form
wird sehr klar artikuliert von Hannah Arendt, die erkennt, dass die in der Neuzeit eingeführte Sphäre privater Freiheit mit der Entpolitisierung menschlichen
Handelns bezahlt wird. Der in ihrem Denken zu verzeichnende Rückgriff auf
Aristoteles steht im Gegensatz zur modernen politischen Theorie und bildet den
Versuch, an eine ursprüngliche politische Dimension des menschlichen Handelns anzuknüpfen. Deutlich wird, dass das Wesen der modernen Form durch
die Frage der Willensbildung geprägt ist, also durch die Frage der politischen
Einheit, die von ihrer Anlage her Negation des Pluralismus und Entpolitisierung
des Lebens der Bürger bedeutet.17 In Aristoteles wird das Ideal eines freien und
politisch erfüllten Lebens der Bürger gesehen, d.h. eines Lebens, das sich in der
politischen Betätigung entfaltet. Freilich wird diese von Aristoteles formulierte
15 Vgl. z. B. Bien, Günther: Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg/München 1973; zur Kritik an der Verwendung des Begriffs ¹Herrschaftª als Übersetzung von ¹archت, wie es in Aristoteles' Politeia erscheint, und
überhaupt zur Unterscheidung zwischen einem Denken, welches vom Prinzip der Regierung ausgeht, und dem ± ausschlieûlich modernen ± Begriff der Herrschaft, verweise ich auf Duso: La logica del potere, Kap. 3 (¹Fine del governo e nascita del
potereª).
16 Zu den Aporien der Versuche einer Neubegründung der ¹Werteª und überhaupt
zur modernen Bedeutung des Ausdrucks verweise ich auf den erhellenden Aufsatz von
Schmitt, Carl: ¹Die Tyrannei der Werteª, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart/Berlin 1967, S. 37±62. Vgl. dazu
Duso, Giuseppe: ¹Tirannia dei valori e forma politica in Carl Schmittª, in: Il Centauro
2 (1981), S. 157±165. Die Position von Schmitt geht auf das Jahr 1959 zurück; siehe
auûerdem die Kritik am Wertbegriff durch Voegelin in der Einleitung zu Voegelin, Die
neue Wissenschaft der Politik (vgl. dazu die Einleitung in Duso (Hrsg.), Filosofia politica e pratica del pensiero).
17 Vgl. Held, Klaus: Interessi e mondi vitali, Brescia 1981, S. 65.
1. Praktische Philosophie als philosophische ¹Disziplinª
207
Notwendigkeit wiederum aus einer modernen begrifflichen Perspektive interpretiert. Das aristotelische Denken wird nämlich nicht nur als Rettung des Einzelnen bzw. seines erfüllten Lebens gesehen ± wo doch der Begriff des Individuums und der Gleichheit der Individuen typische Elemente der modernen politischen Form sind, die durch den logischen Kunstgriff des ¹Naturzustandesª
gewonnen werden ± im Gegensatz zum universellen Element des koinon, das
eine dominierende Rolle bei Platon spiele18, sondern selbst die von Aristoteles
erkannte Notwendigkeit der Teilnahme des freien Menschen an der öffentlichen
Sache und an der politischen Entscheidung gilt als erst in der Neuzeit in vollem
Umfang verwirklicht, und zwar durch die Massenbewegungen und die Überwindung des Begriffs der Sklaverei, also die Gleichheit aller Menschen. Bei Klaus
Held wird die Einsicht deutlich, dass diese Errungenschaft in der Neuzeit jedoch von einer radikalen Ambiguität gezeichnet ist, nämlich vom Primat des
Willens, also dem Problem der Souveränität: dabei ist die Bindung zwischen
dem ¹absolutistischenª Hobbes und der ¹demokratischenª Revolution (der Souveränität des Volkes) bei Rousseau, sehr viel enger als gewöhnlich angenommen.19 Das Problem tritt also in anderer Form erneut auf als Bewahrung jener
Meinungsunterschiede zwischen den Individuen, die von der politischen Durchsetzung des einheitlichen Willens negiert werden. Jedoch gilt der Spielraum
einer politisch relevanten freien Meinungsäuûerung nur dank der Organisation
einer staatlichen Macht20 als gesichert, setzt also eben das legitime Gewaltmonopol voraus, welches Herrschaft im modernen Sinn kennzeichnet und durch
das Element der freien Diskussion nicht begründet werden kann.
Dieser Eindruck wird durch die Tatsache verstärkt, dass in der neueren Debatte über die praktische Philosophie zwar Interpretationen angeboten werden,
welche die aristotelische und die Kant'sche Begrifflichkeit klar voneinander
trennen21, dass aber einige Positionen, die das aristotelische Denken als gültigen Bezugspunkt wieder beleben wollen, dieses dem Kant'schen annähern, und
zwar in dem Sinne, dass das Ideal des freien Lebens des Bürgers der polis mit
der ¹republikanischenª Idee Kants gleichgesetzt wird, deren konstitutive Ele18 Vgl. Ritter, Metaphysik und Politik, S. 95, dessen Aristoteles-Interpretation sich
bezeichnenderweise mit der von Hegel deckt, und vor allem Held, Interessi e mondi
vitali, S. 50.
19 Zur modernen Errungenschaft, dass die Notwendigkeit der Teilhabe an den politischen Entscheidungen auf alle Individuen ausgeweitet wird, vgl. Held, Interessi e
mondi vitali, S. 58.
20 Ebd., S. 178.
21 Vgl. z. B. Riedel, Metaphysik und Metapolitik, S. 61±62; es ist aber darauf hinzuweisen, dass gerade Riedel eine Wiederbelebung der praktischen Philosophie im aristotelischen Sinne kritisiert. Zur Gegenüberstellung von Aristoteles und Kant vgl. auch
Ritter, Joachim: ¹Zur Grundlegung der praktischen Philosophie bei Aristotelesª, in:
Riedel (Hrsg.), Rehabilitierung, Bd. II, S. 480, der die Tradition der aristotelischen
praktischen Philosophie mit Kant als abgeschlossen betrachtet; komplexer ist hingegen
das entsprechende Urteil zu Hegel (vgl. z. B. Ritter, Metaphysik und Politik, S. 308 f.
208
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
mente der Souveränität des Staates vermeintlich widersprechen.22 Leicht übersehen wird dabei, dass im Mittelpunkt des republikanischen Ideals von Kant
das repräsentative Prinzip in moderner Form steht, so dass die Souveränität
zwar beim Volk liegt, aber nur der Repräsentant den öffentlichen Willen artikulieren kann; und da die Repräsentativität umso gröûer ist, je weniger Personen
die Herrschaft ausüben, entgeht offenbar auch das republikanische Ideal nicht
der im modernen Staat angelegten Gefahr der Entpolitisierung.23
Überhaupt scheinen derartige Überlegungen, sobald die Aufwertung individueller Meinungen als Korrektiv der Staatlichkeit ins Spiel kommt, den Blick
dafür zu verlieren, dass für die politische Form ± aufgrund des theoretischen
Akts ihrer Begründung durch den Gesellschaftsvertrag ± nicht nur die Individuen konstitutiv sind, sondern ebenso die Repräsentation als Ausdruck eines
einheitlichen politischen Willens, des Gemeinwillens, also die Tatsache, dass
die Individuen ihres Willens und öffentlichen Handelns beraubt sind.24 Der neuzeitliche Begriff des Individuums und der universellen Freiheit (also nicht der
verschiedenen ständischen libertates) ist Teil eines theoretischen Ansatzes, der
zugleich die Unterordnung und politische Enteignung der Subjekte begründet.25
Ohne Aporien ist eine mehr oder minder explizite Verbindung des Ideals der
polis mit der Form des modernen Staates also kaum vorstellbar. Zudem läuft
die Verteidigung der freien Meinungsäuûerung und der Diskussion zwischen
freien Bürgern Gefahr, so sie im Rahmen der Staatlichkeit vorgeschlagen wird,
wiederum einen politischen Zwang, d.h. Herrschaft, einzuführen, der kaum anders legitimiert werden kann als so, wie es eben die beanstandete moderne
Theorie tut.
Der Aspekt, der neben dem Verhältnis zwischen Aristoteles und Kant im
Hinblick auf die Rolle des philosophischen Elements noch relevanter erscheint,
ist der Gegensatz, der in der Rehabilitierung der praktischen Philosophie die
Beziehung zwischen Aristoteles und Platon kennzeichnet. Auch hier gibt es
22 Vgl. Held, Interessi e mondi vitali, S. 154 und 178; es stimmt allerdings gleichwohl, dass Held die Zweideutigkeit des Begriffs ¹äuûere Freiheitª hervorhebt, der
Kant den Zugang zum Phänomen einer freien, öffentlichen Praxis verstelle (S. 224).
Zum Verhältnis von Kant und Aristoteles beachte man Höffe, Praktische Philosophie,
und z. T. Vollrath, Ernst: Die Rekonstruktion der politischen Urteilskraft, Stuttgart
1977.
23 Zu den diesbezüglichen Unterschieden zwischen Kant und Aristoteles vgl. Bien,
Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, VI. Teil, S. 344±364.
Das sich Kants Denken jedoch nicht auf den modernen Zusammenhang von Souveränität und Repräsentation reduziert, sondern auch eine philosophische Problematisierung einschlieût, wird in § 12 des II. Kapitels der vorliegenden Arbeit dargestellt.
24 Vgl. Duso, ¹Patto sociale e forma politicaª, in: ders.: Il contratto sociale nella
filosofia politica moderna, S. 25 ff.
25 Vgl. weiterhin Schnur, Roman: Individualismus und Absolutismus, Berlin 1963;
zu dieser Thematik vgl. Castrucci, Emanuele: Ordine convenzionale e pensiero decisionista, Milano 1981.
1. Praktische Philosophie als philosophische ¹Disziplinª
209
vielfältige Standpunkte, auffällig ist allerdings folgendes: Je stärker man bestrebt ist, die praktische Philosophie zu einem Fach mit einer bestimmten Methode zu machen, desto eher wird das praktische Denken Aristoteles' als Gegensatz zu demjenigen Platons gedeutet, weil in eben dieser Entgegensetzung
angeblich der Ursprung der praktischen Philosophie liegt. Es ist nicht meine
Aufgabe, das Thema der Aristoteles-Interpretation zu erörtern, vielmehr sollen
einige aporetische Konsequenzen dieser Lesart, d.h. der Annahme eines Gegensatzes zwischen den beiden griechischen Philosophen aufgezeigt werden.
Hervorgehoben wird in der aristotelischen Philosophie vor allem die Unterscheidung von Theorie und Praxis sowie die Eigentümlichkeit und spezifische
Struktur des auf die Praxis gerichteten Wissens, das ± aufgrund der Tatsache,
dass sein Gegenstand dem Wandel unterliegt und Entscheidungen einschlieût ±
nicht dieselbe logische Strenge haben kann wie die Theorie, die sich auf das
Unveränderliche richtet. Ein dem Gegenstand der politischen Philosophie angemessenes Modell rationaler Prozesse ist die topisch-dialektische Methode; sie
steht im Gegensatz zu einem vermeintlich exakten Wissen, das als seinem Gegenstand nicht angemessen und deshalb unwissenschaftlich erscheint. Die topische Methode hat eine wissenschaftliche Struktur und vermeidet es zugleich,
rigide Schemata auf die praktische Sphäre anzuwenden, da ihre Schlüsse nicht
an notwendige, sondern nur an wahrscheinliche Prämissen gebunden sind.26
Hier anknüpfend wird ein Ausweg aus der Krise der modernen Politikwissenschaft gesucht, indem man eine passende Methode für die praktische Philosophie anbietet: Nun kann sie als ¹Fachª auftreten, weil sie sowohl eine Methode
als auch einen Gegenstand besitzt. Dieser fachliche Charakter ist offenkundig in
der Interpretation von Günther Bien, die das Spezifische der aristotelischen
praktischen Philosophie zu erhellen und zugleich zu zeigen versucht, dass in ihr
die Grundlage der praktisch-politischen Philosophie überhaupt zu finden ist.27
Die Andersartigkeit der praktischen gegenüber der theoretischen Philosophie betrifft nicht nur den Gegenstand, der im Fall der praktischen Erkenntnis in den
practà besteht, sondern die Tatsache, dass letztere keine bloû ¹theoretischeª Erkenntnis dieser Gegenstände, sondern selbst auf die Praxis gerichtet ist: sie will
die Praxis.28
Aber wenn im topischen Verfahren und in einem an das Wahrscheinliche gebundenen Wissen die typische Form der politischen Philosophie liegt, dann
folgt daraus eben notwendig der Nachweis, dass in der sokratischen Haltung
und der platonischen Philosophie, die mit dem bekannten Schlagwort ¹ethischer
Intellektualismusª belegt werden, kein philosophisches Verhältnis zur Praxis
vorliegt. Die schon erwähnte, an dem politischen Denken Platons geübte Kritik,
26
27
28
Vgl. Hennis, Politik und praktische Philosophie, S. 95.
Vgl. Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, S. 125.
Ebd., S. 125 f.
14 Duso
210
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
diese hebe individuelle Rechte und Meinungsunterschiede ebenso wie eine
wirkliche Sphäre politischer Teilhabe auf, sieht hier einen epistemologischen
Grund, nämlich die mangelnde Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis
und den Versuch, mit einem theoretischen Wissen auf dem praktischen-politischen Feld zu intervenieren.29
Bezeichnenderweise führt die Entgegensetzung von Aristoteles und Platon
nicht nur zum Verlust eines radikalen Denkens im Bereich praktischen Wissens,
also zu einer Interpretation, die entweder in relativistische Verzerrungen oder in
dogmatische Ansätze abzugleiten droht, sondern sie impliziert auch die Lesart
der platonischen epistØme als Wissen, das im Besitz der Wahrheit ist. Abgesehen von den Schwierigkeiten, denen eine solche Deutung begegnet, sobald sie
auf die typische Rätselhaftigkeit der platonischen Dialoge stöût (die Unabgeschlossenheit der ¹sokratischenª, aber auch die Aporien der ¹dialektischenª Dialoge), ist hier vor allem die Tatsache hervorzuheben, dass die epistØme des Philosophen, dem die Regierung der Stadt zukommt, auf eine exakte Wissenschaft
verkürzt wird, so dass die Unterscheidung zwischen Philosophie und techne verloren geht. Auûerdem wird die platonische epistØme vor dem Hintergrund des
Erkenntnisideals der modernen Wissenschaft gedeutet, so dass die politische
Philosophie Platons schlieûlich als Antizipation einer modernen Politikwissenschaft ähnlich der von Hobbes gilt, sowie als mehr oder minder latente Grundlage aller totalitären, pluralitätsfeindlichen Tendenzen der modernen Welt.30
Wieder einmal wird deutlich, dass der Bezug auf die griechische Philosophie
von der modernen Begrifflichkeit vermittelt ist, so dass dort auftretende Termini mit Bedeutungen versehen werden, die diese erst im neuzeitlichen Kontext
übernehmen; dies gilt nicht nur für die Problematik von Dualismus/Einheit von
Individuum und Staat, Einzelnem und allgemeiner Instanz, sondern auch für
den Begriff des theoretischen Wissens, der Gefahr läuft, entsprechend den typischen Modalitäten der modernen Wissenschaft interpretiert zu werden und dabei
Sinn und Funktion des philosophischen Wissens einzubüûen.
Eine eigene Erörterung verdient eigentlich die besondere Weise, wie sich
Hans Georg Gadamer auf die aristotelische Ethik bezieht, wenn er darin ein
¹Modellª der Probleme erblickt, die sich bei der ¹hermeneutischenª Aufgabe
stellen.31 Er ist bemüht, das philosophische Element in der phronesis herauszuarbeiten, denn das in der moralischen Entscheidung implizierte ¹Sehenª ist nach
Gadamer kein reines Sehen, kann nicht auf Fachwissen reduziert werden, sonEbd., S. 18 ff., 162 ff., 359 ff., sowie Held, Interessi e mondi vitali, passim.
Vgl. Held, Interessi e mondi vitali, S. 48 ff., 168 ff., 180, und vor allem ders.:
Per la riabilitazione della doxa. Dass die Interpretation der platonischen epistØme und
ihrer Bedeutung für die polis ganz anders ausfallen kann, zeigen die letzten drei Abschnitte des I. Kapitels der vorliegenden Arbeit.
31 Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 307.
29
30
2. Voegelins Kritik an Schmitt: eine Radikalisierung
211
dern ist nous. Aufschlussreich ist, dass Gadamer in seiner Interpretation zwar
den Fortschritt der aristotelischen Ethiklehre, d.h. die Darstellung der praktischen Sphäre und die Unterscheidung zwischen praktischer und theoretischer
Philosophie ins Licht rückt, aber dennoch die Verbindung zwischen diesen beiden Aspekten sieht und in der Nicht-Lehrbarkeit der Tugend ein gemeinsames
Problem von Aristoteles und Platon erkennt, wobei letzterer die wahre Dialektik auch phronesis nennen darf, weil man sich bei der Frage nach dem Guten
auf keinerlei Wissen stützen kann, sondern darauf angewiesen ist, sich selbst zu
befragen.32 Kurzum: es ist das philosophische Element, das aristotelische praktische Philosophie und platonische Dialektik verbindet.
2. Voegelins Kritik an Schmitt: eine Radikalisierung
Wenn in der jüngeren Vergangenheit die Rückkehr der Philosophie zum Politischen oft sowohl einer neutralen, im Weber'schen Sinne wertfreien Wissenschaft als auch dem so genannten ¹Dezisionismusª entgegengesetzt wird, dann
ist damit eine doppelte Gefahr verbunden: zum einen bei den äuûerlichen
Aspekten des Denkens von Weber und Schmitt stehen zu bleiben und dessen
Grundproblematik zu vernachlässigen, zum anderen die Renaissance des Philosophischen mit der Brille der Ideengeschichte zu betrachten: als einen ¹Standpunktª, der mit den zuvor genannten konkurriert. Bei Weber führt eine Verengung des Blicks auf die Leistungen der wissenschaftlichen Spezialisierung
dazu, dass man das mit der Konstitution des Wissens notwendig verbundene
Problem der Implikation von Werten übersieht und zugleich die Tatsache vernachlässigt, dass der Dualismus von Werte-Polytheismus und wissenschaftlicher
Objektivität den philosophischen Bereich abdeckt, der von Weber überwiegend
ausgeklammert wird, aber der im Hinblick auf seinen theoretische Ansatz erneut
zur Debatte steht. Bei Schmitt besteht die Gefahr, aus seinem Denken einen
einfachen, wissenschaftlich gesicherten logischen Mechanismus zu extrahieren,
der auf einem absoluten Begriff von Entscheidung im Sinne einer bloû willkürlichen Erzeugung des Willens beruht, auf einem als bloûes Kräfteverhältnis
(Freund-Feind) verstandenen Begriff des Politischen sowie auf einem Begriff
von politischer Theologie, der als schlichte Säkularisierung und Immanentisierung theologischer Begriffe gedeutet wird und die Politik damit in einer Sphäre
der Absolutheit und völligen Klarheit konstituiert.
32 Vgl. Gadamer, Hans Georg: Die Idee des Guten zwischen Plato und Aristoteles,
in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 7 (Griechische Philosophie III), Tübingen 1991,
S. 128±227, hier: S. 150; 224. Einen Niederschlag von Gadamers Denken in der praktischen Philosophie ist auch zu erkennen in der Beachtung der konstitutiven Grenzen
einer praktischen Vernunft und der historischen Bedingtheit (die jedoch ihre philosophische Tragweite unberührt lässt) bei Bubner, Handlung. Sprache und Vernunft, insbes. Kap. IV: ¹Möglichkeiten praktischer Vernunftª.
14*
212
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
In den vorhergehenden Kapiteln wurde versucht, eine andere Deutung des
Schmitt'schen Denkens zu begründen; aber auch das Interesse, das Voegelin
in einem zentralen Moment seiner gedanklichen Entwicklung dem Denken
Schmitts entgegenbringt, rechtfertigt in jedem Fall einen solchen anderen Ansatz. Denn einerseits begegnen wir in der Rezension der Verfassungslehre33,
wenngleich noch in nuce, dem tieferen Grund der Distanzierung und Kritik an
Schmitt, andererseits aber können wir feststellen, dass sich eben in dieser kritischen Bewegung einige Zentralbegriffe herausbilden, die grundlegend für die
weitere Entwicklung von Voegelins Denken sein werden: Zu denken ist etwa an
den Begriff der Repräsentation, der im Mittelpunkt von Die neue Wissenschaft
der Politik steht und ohne die Überlegungen Schmitts gar nicht vorstellbar
wäre. Schmitts Denken ist für Voegelin also nicht Zielscheibe für eine von auûen vorgetragene, einem anderen philosophischen Gesichtspunkt entspringende
Kritik, sondern der fruchtbare Moment einer Radikalisierung der politischen
Sphäre, an dem sich auf der Höhe einer entwickelten Moderne das Problem des
Politischen in seiner Totalität und Ursprünglichkeit offenbart.
Wie einflussreich die Schmitt'schen Überlegungen sind, wird deutlich, bedenkt man die von Voegelin vorgebrachte grundlegende Kritik, Schmitts Ansatz
verbleibe trotz einer auûergewöhnlichen Leistung bei der Klärung und Erhellung der Welt politischer Begriffe und ihrer historischen Entwicklung den Ideen
des 19. Jahrhunderts verhaftet und werde von jener Realität vereinnahmt, die
ihren hauptsächlichen Gegenstand bilde, nämlich von der Weimarer Verfassung.
Schmitts Stellung im Staat sei die eines Schöpfers und Entdeckers politischer
Ideen, die in Konflikt mit anderen ideellen Richtungen geraten, so dass er den
Standort des wissenschaftlichen, über dem Untersuchungsgegenstand stehenden
Beobachters verliere.34 Seine Rolle als Erzeuger politischer Ideen und sein
Interesse an der Zeitgeschichte verhinderten ein objektiv wissenschaftliches
Vorgehen. Im Grunde sei es nicht so, dass bei Schmitt ein wissenschaftliches
33 Voegelin, Eric: ¹Die Verfassungslehre von Carl Schmitt. Versuch einer rekonstruktiven Analyse ihrer staatstheoretischen Prinzipienª, in: Zeitschrift für öffentliches
Recht XI (1931), S. 89±109. Zum Verhältnis zu Weber vgl. Voegelin, Eric: Die Gröûe
Max Webers, hrsg. v. Peter J. Opitz, München 1995 (sowie das Nachwort von Opitz).
Zur epochalen Bedeutung der Beziehung zwischen Voegelin und Weber vgl. Franco,
Luigi: ¹Voegelin e Weber: ambiguità e trasparenzaª, in: Il Mulino XXXV (1986). Der
Raum, der hier Voegelins Rezension eingeräumt wird, mag übertrieben erscheinen für
die Rekonstruktion seiner theoretischen Entwicklung, ist aber funktional für die Intention, eine kritische Beziehung zu beleuchten, die als grundlegend und maûgebend
erscheint sowohl für die Entwicklung seines Denkens als auch im Hinblick auf ihre
Bedeutung für die moderne Politikwissenschaft. Zum Verhältnis Voegelins zum
Schmitt'schen Denken in seinen Frühschriften verweise ich auf Duso, Giuseppe: ¹La
crise de l'État comme forme juridique et la philosophie politique: Eric Voegelin et
Carl Schmittª, in: KervØgan, Jean-François (Hrsg.): Crise et pensØe de la crise en
droit. Weimar, sa rØpublique et ses juristes, Lyon 2002, S. 217±231.
34 Vgl. Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 107.
2. Voegelins Kritik an Schmitt: eine Radikalisierung
213
Verfahren oder die Frage nach der Entstehung des Staates völlig fehle, aber
seine Arbeit bleibe einer grundlegenden Ambiguität verhaftet, weil der Standpunkt des Schöpfers politischer Ideen ständig mit dem des wissenschaftlichen
Beobachters wechsle. Schmitts Fähigkeit, die grundlegenden Probleme der
Staatslehre zu erfassen, werde durch die Tatsache verdeckt, dass die Behandlung derselben in der Sprache der politischen Ideen erfolgt, also mit Mitteln,
die eng an die politische Realität der Zeit gebunden sind.
Was in dieser Kritik an Schmitt deutlich wird, ist die Notwendigkeit einer
wissenschaftlichen Reflexion, deren Merkmale noch nicht gänzlich entwickelt
sind: Die erkennbaren positiven Elemente drohen auf Abwege zu führen, vor
allem wenn die angestrebte korrekte wissenschaftliche Analyse als die eines
über seinem Gegenstand stehenden Beobachters interpretiert werden sollte, d.h.
als Möglichkeit einer von der historischen Realität abstrahierenden wissenschaftlichen Theorie, die auf einer in sich geschlossenen Rationalität basiert.
Gewiss ist dies nicht der Weg, den Voegelin bei der Ausarbeitung einer neuen
Wissenschaft der Politik einschlägt, was aus dem hier untersuchten Beitrag eindeutig hervorgeht. Voegelins Ideal ist also keine objektive, wertfreie Wissenschaft. Die Kritik an Schmitt, er sei von der Wirklichkeit der Weimarer Republik beeinflusst, findet ihre Ergänzung nicht zufällig in dem Vorwurf, Schmitt
sei noch der Rechtswissenschaft und Staatslehre des 19. Jahrhunderts verhaftet.
Denn sein Denkprozess sei zwar von der Idee der Einheit beherrscht, aber die
Einheit sei nicht in der konkreten Realität gegeben, sondern nur in der Synthese
der Wissenschaft vom Staat.35 Von der zeitgenössischen Realität beeinflusst zu
sein und dabei auf dem Boden einer abstrakten Theorie zu stehen, die einer
komplexen Realität das Konzept der Einheit auferlegt, ist daher, wie Voegelins
Kritik belegt, nicht nur miteinander vereinbar, sondern vielleicht gar ein- und
dasselbe.
Im Vorgriff auf die Klärung des Wissenschaftsproblems in den Folgejahren
könnte man die Kritik Voegelins in der Aussage zusammenfassen, Schmitt
bleibe dem typischen Ideenkosmos der Weimarer Gesellschaft verhaftet, die
Staatslehre selbst sei noch eng verknüpft mit einer Begriffswelt, welche die Gesellschaft für ihre Existenz erzeuge, und erlange deshalb keinen wirklich ¹wissenschaftlichenª Charakter.36 Eine solche Einordnung Schmitts wäre jedoch irreführend und würde die Tragweite seines Denkens für Voegelin verkennen: Die
auûergewöhnlich erhellende Leistung Schmitts beruht nämlich gerade auf der
Ablösung von den traditionellen Grundbegriffen der politischen Theorie und
darauf, dass es ihm gelingt, die tatsächliche Bewegung der politischen Wirklichkeit aufzuzeigen, unabhängig von jenen Begriffen, welche die moderne Gesellschaft oder die Politikwissenschaft hervorgebracht haben. Anders gesagt,
35
36
Ebd., S. 97.
Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 52 ff.
214
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
Schmitt leistet ein kritisches Verständnis, das zum Kern des politischen Problems führt; er bleibt nicht bei den formalen Begriffen der modernen Theorie
stehen, die das Politische mit dem Problem staatlicher Herrschaft identifizieren,
sondern stellt diese Begriffe radikal in Frage.
Voegelin ist sich dieser Tragweite bewusst und erkennt, dass Schmitt in seinen Studien nicht nur typische Begriffe der Staatstheorie wie Einheit, Wille,
Herrschaft, Repräsentant beleuchtet, sondern diese Begriffswelt zugleich radikalisiert und so zu ganz eigentümlichen Elementen wie ¹Existenzª und ¹Entscheidungª gelangt, in denen mit groûer Klarheit der Wille als Grundelement
der Staatskonstruktion aufscheint.37 Die Begriffswelt der politischen Form wird
mit der Frage konfrontiert, wie diese Form erzeugt wurde, wo sie ihren Ursprung hat. Es wird also nicht neben der juristisch-staatstheoretischen eine andere Sphäre des Wissens eröffnet (erinnert sei an die Aussage Schmitts, er betrachte sich als Jurist), sondern diese wird problematisiert, da sie nicht als eigenständig gelten kann, es sei denn sie entziehe sich der Reflexion über sich
selbst und über ihre konstitutive Öffnung hin zu Bereichen wie Metaphysik und
Theologie.38 Die von Schmitt betriebene Radikalisierung erzeugt eine Spannung
gegenüber der Staatslehre, nicht nur aufgrund der von ihm eingeführten neuen
Kategorien, sondern auch, weil die Funktion der Legitimation und Begründung
des politischen Raumes in Frage gestellt wird, die in der Neuzeit die lang währende Tradition der Staatslehre geprägt hat. So gesehen ¹unterscheidetª sich
Schmitts Denken sowohl von der Staatslehre wie von dem Begriffskosmos, den
die Gesellschaft der Weimarer Zeit hervorbringt. Insofern er das Problem des
Ursprungs aufwirft, ist Schmitts Ansatz im Voegelin'schen Sinne ein genuin
wissenschaftlicher, das heiût, er impliziert eine philosophische Radikalisierung.
Auf dieser Ebene liegt der Kern der Voegelin'schen Kritik an Schmitt: Auch
die neuen Kategorien, in denen sich der Prozess der Radikalisierung vollziehe,
seien beherrscht von der Übermacht der Vorstellung der Einheit ± jener Einheit,
die für die Figur des Staates einen regelrechten Idealtyp verkörpere ± und vermöchten sich nicht vom beherrschenden Einfluss einer typisch juristischen Begrifflichkeit zu lösen.39 Mit anderen Worten: Schmitt öffne sich zwar gegenüber
dem Problem des Ursprungs der Form, bleibe aber beherrscht von der Idee der
Form, die im Problem der Einheit gipfele, also von der Idee des Staates: Trotz
seines radikalen Vorgehens bleibe er der Einheit und der Form verhaftet, d.h. er
bleibe gebunden an jene Wissenschaft des Staates und jene moderne Theorie,
von der er sich zuvor abgesetzt habe. Daraus ergebe sich die Schlüsselstellung
des institutionellen Moments im Schmitt'schen Denken, sowohl im Hinblick auf
den Staat wie die Kirche. Schmitt erscheint, im Lichte der Kritik Voegelins, als
37
38
39
Vgl. Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 99.
Vgl. Schmitt, Politische Theologie, S. 50.
Vgl. Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 99.
3. Repräsentation und das Wahrheitsproblem
215
schwankend zwischen der Fähigkeit, die Begriffe der modernen politischen
Realität zu verstehen und aufzuklären, und der Nostalgie für das Theoriegebäude dieser Wissenschaft.
Die Richtung, die Voegelin ausgehend von dieser epochalen Wegmarke, also
ausgehend von der Schwelle des Schmitt'schen Denkens einschlägt, ist bestimmt durch die vollständige Akzeptanz der Schmitt'schen Radikalisierung, die
es notwendig macht, die Frage nach dem Ursprung von Politik und Ordnung zu
stellen. Auf diesem Wege schält sich als strenge Methode nach und nach die
¹neue Wissenschaftª heraus: ein philosophisches Denken, welches das Problem
des Politischen nicht in der abstrakten Sphäre einer ahistorischen Rationalität
abhandelt, sondern stets an die politische Wirklichkeit gebunden bleibt, in der
das für sie konstitutive Problem des Ordnungsgrundes auftritt. Dieses Problem
anzugehen, heiût nicht, dass der Versuch unternommen wird, eine vollkommene, lang ersehnte wahre Ordnung zu errichten, sondern dass im Rahmen der
bestehenden Ordnung eine Spannung aufrechterhalten wird, die ihren Ursprung
in dem Wissen hat, dass diese Ordnung nicht verabsolutiert werden kann, dass
sie also nicht in sich selbst begründet ist. Die Krise des Staates, die bei Schmitt
deutlich wird, betrifft auch den für die moderne Theorie kennzeichnenden Akt
der absoluten Begründung; aber diese Kritik führt nicht zum Entwurf einer
neuen politischen Form, weil nämlich eine positive und normative Lehre in den
Augen Voegelins nicht mehr die Merkmale der Theorie, sondern vielmehr die
der doxa aufweist. Die für die Entwicklung des Voegelin'schen Denkens grundlegende Absetzung von Schmitt geschieht in der Rezension der Verfassungslehre im Hinblick auf den Begriff der Repräsentation, der als zentral für
Schmitts Werk bestimmt wird und zugleich im Mittelpunkt der Neuen Wissenschaft der Politik steht.
3. Repräsentation und das Wahrheitsproblem
Wie maûgeblich Voegelins Auseinandersetzung mit Schmitt dafür ist, dass er
einen philosophischen Zugriff auf das Problem des Politischen entwickelt, zeigt
sich an der groûen Bedeutung, die er in der Rezension der Verfassungslehre
dem Begriff der Repräsentation einräumt. ¹Repräsentationª ist nicht nur ein
Schlüsselbegriff des Schmitt'schen Werks (obgleich der Raum, den er in
Schmitts Verfassungslehre einnimmt, an sich nicht sein Gewicht in der Rezension rechtfertigt), sondern zugleich ein Kernelement der Neuen Wissenschaft der
Politik. Eben der Begriff der Repräsentation steht ± wie sich in Schmitts Überlegungen zum Politischen zeigt ± im Mittelpunkt der Form, in der sich das Politische in der Neuzeit niedergeschlagen hat: Von Hobbes bis zur modernen Demokratie gibt es Staat nur auf dem Wege der Repräsentation. Hier verdichtet
sich das Problem der Leitung, der Regierung, des Unterschiedes zwischen Re-
216
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
gierten und Regierenden ± also das Problem des politischen Zwangs ±, aber zugleich auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Repräsentant und Repräsentierten, d.h. nach der durch die Repräsentation vermittelten Herstellung der
Identität des Volkes und nach der Artikulation seines Handelns.40
Repräsentation ist einerseits der politische Begriff par excellence der Neuzeit,
aber zugleich bringt die Auseinandersetzung mit ihm ± also mit der Frage, was
¹repräsentierenª heiût ± den im Politischen verborgenen philosophischen Kern
ans Licht. Dies gilt auch für die Rezeption Voegelins, der nach und nach tiefere
Schichten im logischen Prozess Schmitts erschlieût. Grundelement der radikalen
Infragestellung des juristischen Wissens, die Schmitt erreicht, indem er bei der
Behandlung der Verfassung die rein juristische Beschreibungsebene hinter sich
lässt, ist ± wie bereits dargestellt ± das Existenzielle. Die Existenz einer politischen Einheit übersteigt jegliche Form und jeglichen Akt, auch wenn es weder
eine politische Form noch einen politischen Akt gibt, die unabhängig von ihr
möglich sind.
Jedoch ist die moderne Einheit eine von der Wissenschaft ¹konstruierteª,
welche die Berücksichtigung der wirklichen Gliederung der Gesellschaft verhindert und zugleich eine strukturelle Differenz zwischen den Menschen erzeugt,
weshalb gilt: ¹Nur wer regiert, hat Teil an der Repräsentation.ª40a Deshalb
zieht Voegelin es vor, statt der Bezeichnung ¹Volkª, die alle Unterschiede einebnet und annulliert, den Ausdruck ¹Personenª zu verwenden, auf deren Pluralität der Staat als Totalität gründet. Die Einheit des Volkes droht jene konkrete
Pluralität und Gliederung aus dem Blick zu verlieren, die Voegelin zu bewahren
sucht, wenn er erklärt: ¹Und insofern ¸repräsentiert jede Person die politische
Einheit.ª40b Wenngleich diese Kritik Voegelins herausgestellt wird, muss doch
auch hier angemerkt werden, dass die enge Bindung der Begriffe ¹Repräsentationª und ¹Personª einer der offenkundigen begrifflichen Fortschritte Schmitts
ist, der schon im Römischen Katholizismus darauf hinweist, dass zum repräsentativen Prinzip notwendig die Würde der Person gehört.41
Voegelin referiert auch das Element des politischen Zwangs, das den von
Schmitt vertretenen Repräsentationsbegriff kennzeichnet, trägt aber einen Einwand vor, der mit seiner bereits dargestellten Grundkritik eng verknüpft ist.
Schmitt ± so Voegelin ± habe zwar das Existenzielle thematisiert, aber bei der
Untersuchung des Zwangselements der Repräsentation habe er es versäumt, die
Beziehung zwischen Herrscher und Diener in ihrer Existenzialität zu analysieren; Schmitt bleibe wiederum beim Formal-Institutionellen stehen, beim Verhältnis von Regierten und Regierenden: Repräsentation beschränke sich auf
Vgl. Kap. IV der vorliegenden Arbeit.
Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 101; cfr. Schmitt, Verfassungslehre, S. 212.
40b Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 100.
41 Schmitt, Römischer Katholizismus, S. 29.
40
40a
3. Repräsentation und das Wahrheitsproblem
217
institutionelle Repräsentation.42 Hier ist nicht der Ort, um die Interpretation
Voegelins zu bewerten und zu fragen, ob sie dem Schmitt'schen Denken, wie es
sich vor und nach der Verfassungslehre entwickelt, unrecht tut oder eben doch
eine effektive Blockierung der von Schmitt vertretenen politischen Analyse ausdrückt; vorrangig ist hier die Erkenntnis, dass erst das Nachdenken über
Schmitts Position das Problem der Repräsentation als Problem der Politikwissenschaft ins Licht treten lässt. In Schmitts Darstellung der Prinzipien ¹Identitätª und ¹Repräsentationª geht es nämlich weniger um ihre notwendige Mischung, vielmehr gilt: Da Identität nicht als solche, in einem absoluten Akt gegeben ist, sondern nur auf dem Wege der Repräsentation, stöût man eben mit
dem Begriff der Repräsentation zum Kern des Politischen vor.43 Bezeichnend
ist zudem, dass die Radikalisierung dieses Begriffs die Notwendigkeit einer Reflexion philosophischer Art nach sich zieht, welche die typischen Schranken des
wissenschaftlichen Vorgehens der modernen politischen Theorie bzw. des Fachwissens im Weberschen Sinne überwindet.
Die Notwendigkeit der philosophischen Reflexion manifestiert sich in der
nächsten Schicht, die Voegelin in Schmitts Verfassungslehre aufdeckt, dort wo
die Struktur der Repräsentation mit der Formel ¹das Abwesende anwesend machenª angegeben wird. Diese Schicht ist, wie die anderen, an die vielschichtige
Bedeutung des Begriffs ¹Volkª gebunden, der auf diese Weise als Voraussetzung der repräsentativen Form erscheint, die also nicht nur von oben nach unten, als Befehlsverhältnis und Charisma des Repräsentanten, gelesen werden
darf. In dieser Schicht gelangt Schmitt aufgrund seiner ¹stupenden Stoffkenntnisª zu jenem Grundproblem der Implikation von Repräsentation und Wahrheit,
das Voegelin unmöglich ohne die Schmitt'schen Überlegungen erreicht haben
kann. Aber auch hier wird Schmitt gegenüber der Vorwurf erhoben, nicht die
geeignete Begrifflichkeit zu besitzen, um diesem Problem auf den Grund zu
gehen.44
Dieses Problem gründlich zu durchdenken heiût, das darin aufscheinende
Element der Transzendenz zu erfassen. Nicht an der Transzendenz aber scheiden sich die beiden Denker, etwa in dem Sinne, dass Schmitt Repräsentation
immanent interpretiert, während Voegelin darin den Bezug zum Fundament,
also eine typische Bewegung der Transzendenz entdeckt. Man denke nur daran,
wie die Repräsentation in Römischer Katholizismus abgehandelt wird, aber auch
an die Figur der Anwesenheit des Abwesenden, die im Mittelpunkt der Verfassungslehre steht. Andererseits kommt es eben hier zum abweichenden Standpunkt Voegelins: Geht man dem Problem der Transzendenz auf den Grund,
dann kommt man nicht umhin, das Problem der Form aufzuwerfen und die
42
43
44
Vgl. Voegelin, Die Verfassungslehre, S. 102.
Ebd., S. 101.
Ebd., S. 102.
218
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
Haltlosigkeit ihrer vermeintlichen Begründung nachzuweisen. Das Ergebnis dieser Kritik ist nicht die Überwindung einer konkreten Gesellschaftsordnung
durch Begründung einer neuen, auf Wahrheit beruhenden Ordnung, also einer
neuen politischen Form. Es ist der Anspruch auf Begründetheit der Theorie, der
hier entfällt, während das philosophische Denken im Verhältnis zur bestehenden
Ordnung, d.h. zur historisch gegebenen politischen Form in ein Verhältnis von
Spannung und Offenheit zur Transzendenz tritt.
Dies ist meines Erachtens die Richtung, die Voegelin in Anamnesis und in
Die neue Wissenschaft der Politik einschlägt. Zur Klärung des Verhältnisses
von Philosophie und Praxis (ein Thema, das sich aufdrängt) lohnt hier der Versuch, die gedankliche Bewegung zu klären, die das Problem der Ordnung mit
dem der Transzendenz verbindet. So wird einerseits verständlich, was Philosophie und ¹neue Wissenschaftª sind, nämlich keinesfalls, wie oft angenommen,
ein Versuch der Restauration oder der Begründung einer neuen Ordnung, und
andererseits lässt sich auf diese Weise nicht nur der spekulative Wert von Voegelins Denken aufzeigen, sondern zugleich seine emblematische, epochale Bedeutung, da es sich nicht einfach dem Gang der modernen politischen Wissenschaft entgegenstellt und eine andere wissenschaftliche Methode vorschlägt,
sondern die Krise der modernen Wissenschaft radikal zu Ende denkt und die
tieferen Gründe dafür herausarbeitet, dass sie sowohl im Hinblick auf die Legitimierung der Ordnung der gegenwärtigen Gesellschaft also auch bezogen auf
den möglichen Vorschlag neuer, besserer Formen von Ordnung verstummt ist.
Die moderne politische Wissenschaft scheint gar den Charakter der Theorie
im Sinne eines kritischen, streng logischen Wissens einzubüûen, sobald Voegelin zwischen der Begrifflichkeit, wie sie dem Leben der Gesellschaft und ihrem
Selbstbild entspricht, und den Symbolen der kritischen Tätigkeit der Wissenschaft unterscheidet. Oft berühren und vermischen sich diese verschiedenen
Ebenen, so dass viele Begriffe der politischen Wissenschaft eigentlich keinen
kritischen Erkenntniswert haben, sondern von der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit ihren Erfordernissen beeinflusst sind: Sie haben nicht mehr den Charakter einer Theorie, sondern lediglich den der doxa.45 Wie sehr die moderne
politische Wissenschaft von dieser Kritik betroffen ist, zeigen die angeführten
Beispiele: Man denke nur an die Bedeutung der so genannten ¹Vertragstheorieª
und der ¹Theorie der Souveränitätª für die Entwicklung der modernen Staatslehre.
45 Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 54±56. Um keine Verwirrung zu stiften, sei angemerkt, dass ich, wenn ich mich nicht (wie hier) auf Voegelin
beziehe, den Terminus ¹Theorieª verwende, um das Wesen der modernen Theorie zu
bezeichnen, die für Voegelin keine Theorie im Sinne der Philosophie ist, sondern
bloûe doxa.
3. Repräsentation und das Wahrheitsproblem
219
Dieses kritische Unvermögen der Begriffe der modernen und zeitgenössischen Wissenschaft offenbart sich bei einem Schlüsselthema wie der politischen
Repräsentation: Recht häufig nämlich nähern sich die von der Wissenschaft erarbeiteten Begriffe denjenigen an, die von den verschiedenen sozialen Realitäten hervorgebracht wurden, und stehen untereinander in Widerspruch (zum Beispiel gelten die demokratischen Institutionen und diejenigen der Sowjetunion
beide als repräsentativ). Bei den Aporien, die den Begriffen der gesellschaftlichen Realität und der ¹zeitgenössischen politischen Wissenschaftª entspringen, setzt Voegelin an, um die Wesentlichkeit der Repräsentation für die Existenz einer politischen Wirklichkeit überhaupt zu erfassen. Dank der existenziellen Bedeutung der Repräsentation kann Voegelin diesen theoretischen
Fortschritt erzielen und die gröûere Radikalität des Begriffs im Verhältnis zu
seiner rein formalen, sich im Institutionellen erschöpfenden Bedeutung erfassen.
Dieser Weg ist es, den Hannah Arendt nicht einschlägt: Zwar erfasst sie
scharfsichtig die Aporien der Repräsentation, die mit dem Anspruch der modernen politischen Theorie zusammenhängen, die Gesellschaft zu begründen, übersieht aber, dass Repräsentation, sofern sie in ihrer existenziellen Tragweite verstanden wird, über institutionelle Repräsentation hinausgeht und den von Arendt
selbst angeführten Beispielen geglückter politischer Betätigung zugrunde liegt,
etwa der Erfahrung der Räte oder den eher ¹spontanerenª und weniger von der
Theorie ausgehenden revolutionären Prozessen.46 Diese beinhalten nämlich stets
die Vereinheitlichung einer Vielfalt, eine Bewegung des Erkennens in einem
Bild, den Bezug auf eine die empirische Realität transzendierende Idee ± allesamt konstitutive Merkmale der Repräsentation. Auch bei Arendt gibt es ein
sehr aufschlussreiches Deutungselement, nämlich die Interpretation Platons, bei
dem im Gegensatz zur sokratischen Praxis des Denkens als Handeln in der
polis47 die Grundlegung der wahren polis gesehen wird, so dass die Transzen46 Es gibt bei Arendt Anhaltspunkte, die in dieser Hinsicht eine tiefere Erkenntnis
ermöglichen. Man denke an die Verlegenheit, mit der sie etwas ¹Elitäresª in der Rätebewegung erkennt, und ihre Bemühung um den Nachweis, dass es sich um eine natürliche, spontane Elite handelt, die einer gemeinsamen Arbeit entspringt und auf dem
Vertrauen zwischen Gleichen beruht (Arendt, Hannah: Über die Revolution, Frankfurt
1968, bes. S. 357), also, so kann man sagen, um eine existenzielle, nicht formal-institutionelle Form von Repräsentation und Anerkennung derselben; zu erwähnen ist auch
ihre Einsicht, dass es in revolutionären Momenten nicht nur verschiedene Meinungen
gibt, sondern auch eine gegenseitige Anerkennung in der Einheit, die in gemeinsames
Handeln mündet.
47 Vgl. Arendt, Hannah: Between Past and Future: Six Exercises in Political
Thought, New York 1970, dt.: Zwischen Vergangenheit und Zukunft, München 1994,
bes. den Aufsatz ¹Was ist Autoritätª, S. 159±200. Vgl. zu Arendt die Aufsätze von
Esposito, Roberto: ¹Politica e tradizione. Ad Hannah Arendtª, in: Il Centauro 13±14
(1985), S. 97±136 und ders.: ¹H. Arendt tra ¸volontà e ¸rappresentazione: per una
critica al decisionismoª, in: Il Mulino XXXV (1986), S. 95±121, sowie ders. (Hrsg.):
La pluralità irrappresentabile, Napoli 1987; eine Interpretation, die das Spannungsverhältnis zwischen Denken und Handeln unterstreicht, liefert Rametta, Gaetano: ¹Co-
220
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
denz als Begründung des Verhältnisses Befehl-Gehorsam erscheint. Begründung
heiût also im Grunde nichts anderes, als dass die Transzendenz immanentisiert
und säkularisiert wird, weshalb sie verloren geht; daher wird Platons Philosoph
als Experte betrachtet und der Unterschied von Philosophie und techne droht zu
verwischen.
Bei Voegelin hingegen erscheint die Repräsentation einerseits wesensmäûig
an das Politische gebunden und gibt andererseits, durch ihre Beziehung zur
Wahrheit zu erkennen, dass sie das philosophische Problem impliziert, das von
Anbeginn gegeben ist. Die Feststellung der zentralen Rolle des Verhältnisses
von Repräsentation und Wahrheit versteht sich dabei nicht als Resultat einer
intellektualistischen Konstruktion, sondern als Folge der Einsicht, dass dieses
Verhältnis ¹in der Geschichte der gröûeren, über Stammeseinheiten hinausgehenden Gesellschaften bis zurück zu ihren Anfängenª48 wirksam ist.
Wenn es zutrifft, dass der Rückbezug auf die Wahrheitsfrage grundlegend für
die durch Repräsentation vermittelte Existenz jeder politischen Erfahrung ist, so
ist andererseits nicht zu bestreiten, dass die in der Geschichte vorkommenden
verschiedenen Gesellschaftsordnungen diesen Bezug oftmals verraten haben,
weil sie durch ihren Anspruch auf transzendente und absolute Fundierung ihrer
eigenen Ordnung die Wahrheit immanent gemacht und die Spannung ihr gegenüber verloren haben.49 Dies gilt für die kosmologischen Reiche ebenso wie für
die verschiedenen gnostischen Formen der Neuzeit.
In der groûen Epoche der griechischen Philosophie tritt das Problem der
Wahrheit mit Nachdruck ins Bewusstsein und erzwingt einen Akt der Differenzierung zwischen der Existenz der politischen Gesellschaft und der von ihr verkörperten Wahrheit.
4. Platon, Aristoteles und die ¹Praxisª der Philosophie
Die Interpretation des griechischen Denkens durch Voegelin gilt oft als oberflächlich und unbefriedigend, vor allem im Vergleich zu einigen Ansätzen, die
der Strömung der ¹Rehabilitierungª zuzuordnen sind und den Eindruck einer
municazione, giudizio ed esperienza del pensiero in Hannah Arendtª, in: Duso, Filosofia politica e pratica del pensiero, S. 235±290.
48 Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 86.
49 Dies beachtet Chignola, Sandro: ¹Ordine e ordinamento della storiaª, in: Il Mulino XXXV (1986), S. 749±774 (siehe auch ders.: Pratica del limite. Saggio sulla filosofia politica di Eric Voegelin, Padova 1998); vgl. auch Zanetti, Gianfrancesco: ¹E.
Voegelin: alla ricerca dell'ordine perdutoª, in: Il Mulino XXXIII (1984), bes. S. 378 ff.
(s. auch ders.: La trascendenza e l'ordine. Saggio su Eric Voegelin, Bologna 1989).
Wichtige Hinweise zur Beziehung von Repräsentation und Ordnung gibt Mercadante,
Francesco: La democrazia plebiscitaria, Milano 1974, im Kapitel ¹Ordine e ¸storia
della rappresentanza in Eric Voegelinª, S. 209±248.
4. Platon, Aristoteles und die ¹Praxisª der Philosophie
221
gröûeren philologischen Sorgfalt gegenüber Aristoteles und der spezifischen
Struktur des praktischen Wissens vermitteln. Dabei ist diese Interpretation nicht
oberflächlich, sondern geht wahrscheinlich grundsätzlich in eine andere Richtung. Sie wirft Licht auf die Bedeutung von politischer Philosophie und von
Philosophie überhaupt bei Voegelin und markiert den Unterschied zwischen dieser frühen Wiederaufnahme der politischen Philosophie und späteren Versuchen
einer Neubegründung der praktischen Philosophie.
Mit Platon und Aristoteles tritt das Problem der Wahrheit durch Verinnerlichung, durch Abstieg in die Tiefen der Seele, auf den Plan. Dieser Abstieg zielt
nicht auf die Errichtung eines Systems, einer Lehre, und in politischer Hinsicht
auf eine bestimmte Form, die einer anderen entgegentritt, sondern soll einen
notwendigen Weg aufzeigen, in dessen Verlauf Struktur und Wahrheit der Seele
zum Vorschein kommen. So gewinnt die Theorie im eigentlichen Sinne ihre
Bedeutung: Sie ist keine begriffliche Konstruktion, sondern die Ordnung der
Seele selbst, die von nun an in ein dialektisches Spannungsverhältnis zu der
von der Gesellschaft verkörperten Wahrheit tritt.
Die Wahrheit, die sich auf diese Weise erschlieût, ist kein in Begriffen fixierbares Objekt, keine dauerhafte Schöpfung des logos, sondern besteht im Öffnen
der Seele gegenüber einer transzendenten Wirklichkeit ± in einer Öffnung, die
nur erfahren werden kann: ¹Es handelt sich um eine Entdeckung, die ihr Erfahrungsmaterial zusammen mit seiner Auslegung schafft. Das Aufgeschlossensein
der Seele wird erfahren durch das Öffnen der Seele selbstª.50 Die Wahrheit der
Seele zeigt sich nur im Erlebnis derselben, also in der Bewegung, in der philosophischen Praxis. Nie verfestigt sie sich zum Besitz der Wahrheit, ebenso wie
ihr Fundament kein Objekt ist, denn in diesem Fall ginge die Struktur der Öffnung verloren und die Wahrheit würde von der Seele erzeugt, die Seele würde
sich in ihrer Absolutheit (im ursprünglichen Sinne von ab-solutus, losgelöst)
einschlieûen. Die Wahrheit der Seele fällt mit dem Problem der Wahrheit
zusammen, weil ihre Struktur sich auf ein Fundament hin öffnet und zu diesem
in einem Verhältnis der Spannung steht. Platon und Aristoteles begegnen sich
auf diesem Weg, und die Struktur des metaxy, die den Menschen bei Platon
kennzeichnet, geht in dieselbe Richtung wie Aristoteles' Hinweis, dass das
Wesen der menschlichen Natur in eins fällt mit ¹der Offenheit seines Seins im
Fragen und Wissen um den Seinsgrundª.51 Menschliche und göttliche Wahrheit
sind so in einer untrennbaren Einheit verbunden52, und zwar nicht im Sinne der
Verabsolutierung der menschlichen Wahrheit, sondern dadurch, dass die Trans-
Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 104.
Voegelin, Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München 1966,
S. 317 und 152.
52 Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 106.
50
51
222
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
zendenz als Wesensmerkmal der Seele vorausgesetzt ist, jedoch nie zu deren
Besitz wird: daher die Öffnung der Seele und die sie prägende Spannung.
Die grundlegende Struktur der Seele zeigt sich für Voegelin in der streng
logischen Bewegung des Gedankens, die typisch für dieses glückliche Zeitalter
Griechenlands ist, d.h. in einem Fragen nach der archØ, das nicht nach deren
vollendeter Darstellung strebt ± diese liefe nämlich unweigerlich darauf hinaus,
sie mit dem bloûen Beginn zu identifizieren oder in einem Prinzip erstarren zu
lassen ±, sondern vielmehr das Wesen des nous selbst aufdeckt, nämlich als
¹Ort der Zusammenstimmung des menschlichen Ordnungsgrundes mit dem
Seinsgrundª.53 Der rigorose Prozess des nous verinnerlicht, im Sinne der Bewegung der Seele (mit einer ganz bestimmten logischen Bedeutung), das dem Mythos eigene demiurgische Erlebnis des Göttlichen. Aber während die Philosophie eine grundlegende Berührung mit dem Mythos bewahrt, geht der Kontakt
zwischen der von Platon und Aristoteles entfalteten epistØme und der modernen
Wissenschaft mit ihrem Exaktheitsanspruch verloren.
Die Unterscheidung von noetisch gefasster und moderner Wissenschaft tritt
insbesondere dann zu Tage, wenn man den Versuch Voegelins berücksichtigt,
das Merkmal der wahren politischen Wissenschaft zu verstehen. Wenn nämlich
bei Platon und Aristoteles die Ordnung der Seele erscheint, so heiût das nicht,
dass diese die Ordnung der Gesellschaft ersetzt oder auslöscht. Das politische
Problem liegt von nun an in der Spannung zwischen Bewusstseinsordnung und
realer Gesellschaftsordnung. Die Konstitutivität dieser Spannung beweist die
Unmöglichkeit, von der Bewusstseinordnung ausgehend endlich eine wahre,
vollkommene Gesellschaftsordnung zu errichten.54 Ein solcher Entwurf wäre
nämlich nur möglich durch Immanentisierung des im Bewusstsein hervortretenden Fundaments ± das aber ist eher die Tendenz der modernen Gnosis als ein
Merkmal der politischen Wissenschaft im Sinne Voegelins, die auf der noetischen Interpretation einer vorhandenen Realität beruht und jenseits dieser Realität nicht formuliert werden kann.55
Verständlich wird vor diesem Hintergrund der Sinn des transzendenten Standpunkts eines wissenschaftlichen Beobachters gegenüber seinem Gegenstand, den
Voegelin in der Rezension der Verfassungslehre fordert. Diese Transzendenz ist
gewiss nicht im Sinne eines autonomen Bereichs zu interpretieren, in dem sich
53 Voegelin, Anamnesis, S. 150. Aristoteles versteht unter nous ¹sowohl die
menschliche Fähigkeit des wissenden Fragens nach dem Grund wie auch den Seinsgrund selbst, der als der richtungsweisende Beweger des Fragens erfahren wird.ª
(Ebd. S. 290.)
54 Dieses ¹nicht fundierendeª Element bei Voegelin wird vertieft von Biral, Alessandro: ¹Voegelin e la restaurazione della scienza politicaª, in: Il Mulino XXXV
(1986), S. 735±748 (auch in: Biral, Storia e critica della filosofia politica moderna,
S. 259±271).
55 Vgl. Voegelin, Anamnesis, S. 285.
4. Platon, Aristoteles und die ¹Praxisª der Philosophie
223
das Wissen konstituiert (dieses ist ja nur in Bezug auf die konkrete Realität
gegeben), sondern in dem Sinne, dass sich in der noetischen Erfahrung eine
Differenzierung des Wissenschaftlers bzw. Philosophen gegenüber jener Begrifflichkeit ergibt, welche die Gesellschaft zum Zwecke ihres Funktionierens hervorgebracht hat. Nur in dieser Differenzierung ± und in diesem Sinne: Transzendenz ±, die mit der Philosophie zusammenfällt, gibt es wirklich Theorie.
Das Wissen der praktischen Sphäre ist aus zwei Gründen strukturell offen:
weil es mit der Realität der Zeit zu tun hat und weil es auf dem Spannungsverhältnis zum Fundament beruht; deshalb lässt es sich nicht in ein geschlossenes
Lehrgebäude überführen. Diese Bestimmung von Wissenschaft steht also im
Widerspruch zu jener anderen Auffassung, wonach sie, die ¹es als Korpus von
Sätzen und Grundsätzen gar nicht gibt, durch Methoden oder Stoffeª56 definiert
ist. Die Öffnung, um die es geht, ist nicht typisch für das so genannte ¹praktische Wissenª im Gegensatz zum ¹theoretischen Wissenª, sondern gehört zur
Struktur des theoretischen Wissens, d.h. der Philosophie selbst, wie sie von Platon und Aristoteles bestimmt wird, und hängt mit der Tatsache zusammen, dass
die Spannung nicht zum Gegenstand von Aussagen werden kann, sondern ein
Bewusstseinsprozess ist57: Sie tritt eben als Erfahrung auf, welche die Seele
von ihr macht. In dieser Erfahrung werden Begriffe formuliert, die sich nicht
verfestigen und ohne weiteres als exakte Wiedergabe objektiver Realitäten verstehen lassen. Nichts steht der noesis der Griechen nach Meinung von Voegelin
ferner als eine Haltung, welche die Symbole abgelöst von der Erfahrung behandelt, für deren Auslegung sie geschaffen wurden, und eine ¹Lehreª ausbildet,
sei es in Gestalt jener ¹die propositionelle Manipulation von noetischen Symbolen, die wir Metaphysik nennenª, sei es unter dem Titel ¹ewige Wahrheitenª
der Philosophie, sei es in der Form der philosophia perennis des 17. Jahrhunderts oder schlieûlich in Gestalt der verschiedenen ¹-ismenª.58
Während die Wiederaufnahme der praktischen Philosophie in der jüngeren
Vergangenheit am Rückbezug auf die konkrete politische Realität festhält, da
das als Orientierungspunkt neubelebte griechische Denken von der Beziehung
auf die Realität der polis geprägt ist59, so entfernt sie sich doch radikal von
Voegelin und seinem Versuch, ein mit exakter Methode ausgestattetes ¹praktisches Wissenª von einem ± mit der Philosophie schlechthin identischen ± theoretischen Wissen zu trennen. Deutlich wird hier ein Unterschied zwischen dem
Versuch, ein Orientierungswissen für die Praxis zu begründen, das sich eben
durch die Entfernung vom noetischen Akt realisiert, und dem Wissen darum,
Ebd., S. 286.
Ebd., S. 306.
58 Ebd.
59 S. dazu z. B. das anhaltende Interesse Ritters an diesem Thema und die Einsicht,
dass das ¹Politischeª bei Platon und Aristoteles den Begriff der polis betrifft (Ritter,
Metaphysik und Politik, S. 104 f.).
56
57
224
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
dass die praktische Sphäre den nous voraussetzt, wie es im Denken von Voegelin nachweisbar ist.
Eng verknüpft mit dieser Differenz ist die recht unterschiedliche Form des
Bezugs auf die Philosophie von Platon und Aristoteles. Bei Voegelin ist eine
Interpretation zu beobachten, welche in der Grundhaltung der beiden Philosophen eine prinzipielle Einheit erkennt; deshalb wird nicht nur Platons Philosophie als Bewegung der Seele verstanden (entsprechend dem in dieser Hinsicht
aufschlussreichen 7. Brief), sondern auch die Begriffe der aristotelischen Metaphysik werden ± was die schulmäûige Aristoteles-Interpretation empören mag ±
als Symbole verstanden, also wiederum als Bilder der Erfahrung der Seele und
nicht als Inhalte, die sich in ein System objektiven Wissens einfügen lieûen, in
dem ¹Wissenª und ¹Objektª in moderne Bedeutungen abzugleiten drohen.60
Dieser Interpretationsansatz, der Voegelin von platonisch-aristotelischer Philosophie sprechen lässt61, ist ± wie gezeigt ± eng mit der Auffassung verknüpft,
dass die politische Wissenschaft den noetischen Akt voraussetzt.
An dieser Stelle wird es unvermeidlich, die für Voegelins Interpretation zentrale Frage zu stellen, welche Bedeutung in der Politeia dem Versuch zukommt,
eine ideale polis zu entwerfen. Würde dieser als eine von der transzendenten
Wahrheit der Idee ausgehende Fundierung der politischen Ordnung verstanden,
dann erschiene Hannah Arendts Meinung berechtigt, Platons Versuche stellten
eine Abkehr von der praktischen Sphäre dar, mehr noch: Die gesamte Auffassung Voegelins darüber, was in der platonischen und aristotelischen Philosophie
wesentlich ist, wäre hinfällig.
Gewiss, laut Voegelin führt der Versuch, eine ideale polis zu schaffen, in eine
ontologische Sackgasse, weil er die Frage zu bejahen scheint, ob die Seelenordnung die Ordnung der polis ganz durchdringen kann, ob sich die Seelenordnung
also gänzlich von der Ordnung der polis absorbieren lässt. In Die neue Wissenschaft der Politik versucht Voegelin, Platon den Fehler anzulasten, eine polis
errichten zu wollen, welche die Wahrheit der Seele in vollkommener Weise verkörpert; später habe er diesen Fehler in den Nomoi korrigiert. Aber die Interpretation der Politeia geht insgesamt nicht in diese Richtung, und zwar nicht nur
aufgrund einiger Andeutungen (man denke etwa an das berühmte Bild der
Mauer, die Schutz vor dem Sturm der Ungerechtigkeit bietet, die sich in der
Gesellschaft verbreitet hat), die zeigten, dass die Gerechtigkeit der Seele wichtiger ist als die Teilhabe an der politischen Aktivität62, sondern auch wegen der
grundlegenden Richtung, die Platon im Dialog einschlage. Diese bestehe in der
Wiederherstellung der Seelenordnung durch Widerstand gegen die GesellVgl. Voegelin, Anamnesis, S. 300 ff.
Vgl. z. B. ebd., S. 292.
62 Vgl. Voegelin, Eric: Plato and Aristotle (Order and History, vol. III), Baton
Rouge 1957, S. 91.
60
61
4. Platon, Aristoteles und die ¹Praxisª der Philosophie
225
schaftsordnung: Hier verwirklicht sich die konstitutive Differenzierung der
Theorie und eben deshalb kann Platon als ¹founder of political scienceª gelten.63
Wissenschaft liegt also vor, eben weil es keine rationale Konstruktion der
idealen Stadt gibt: Sonst nämlich handelte es sich nur um eine Position unter
anderen und der ¹ideale Staatª wäre, entsprechend dem Denken von Platon
selbst, nichts als eine doxastische Konstruktion, Platon wäre kein Philosoph,
sondern Philodox. Aber die Politeia bietet keinen systematischen Entwurf einer
perfekten polis, der als solcher, aufgrund seiner Rationalität gültig ist: Die Interpretation hat sich davor zu hüten, daraus eine Ordnungslehre abzuleiten, sondern muss die Ebenen der Erklärung feststellen und die entfalteten Symbole erkunden.64 Während sich bei der dikaiosyne das Problem des Ursprungs der Ordnung stellt, also das Problem des Guten, so ist es eben das Transzendente dieser
Ordnung, das eine adäquate Aussage über ihren Inhalt verhindert: Ihre Transzendenz transzendiert auch jegliche Aussage, weshalb die Grundrichtung der
platonischen Ethik dazu führt, dass ¹concerning the content of the Agathon nothing can be said at all.ª65. Aber dann erlaubt das Schauen des Agathon es nicht,
die polis auf transzendente Weise zu begründen, auch liefert es keinerlei inhaltliche, spezifische Verhaltensregel, ¹but forms the soul through an experience of
transcendenceª.66
Der Grundzug des platonischen Denkens im Hinblick auf das Problem des
Politischen besteht also darin, dass die Frage nach dem Ursprung der Ordnung
gestellt und die Struktur der Seelenordnung als notwendige Implikation des Guten offengelegt wird, wobei sich das Gute als solches jedoch nicht in eine Ordnung der Gesellschaft überführen lässt, denn dann würde es zwangsläufig zum
immanenten Bestandteil des gesamten Prozesses. Ethik und Politik werden radikal durchdacht, eben weil sich das philosophische Problem des Ursprungs stellt,
aber dieses liegt im historischen kritischen Bewusstsein der zeitlichen Ordnung
und kann in abstrakter Form weder diese Ordnung beseitigen noch, ausgehend
vom Besitz einer tranzendenten Wahrheit, eine garantierte und rigoros gerechtfertigte Ordnung herstellen. Das strukturelle Wesen der Spannung gegenüber
dem Fundament fällt in eins mit der Unmöglichkeit eine vollkommene polis,
eine ¹wahreª politische Form zu begründen.
In diesem Sinne erfolgt der Rückgriff auf das klassische Denken von Platon
und Aristoteles nicht wegen der Objektivität seiner Inhalte ± denn die polis, die
seiner Formulierung zugrunde liegt, gibt es ja nicht mehr ± oder weil das von
ihm vorgeschlagene methodische Element eine Sicherheit liefern könnte. Viel63
64
65
66
Ebd. S. 69.
Ebd. S. 85.
Ebd. S. 112.
Ebd.
15 Duso
226
VI. Philosophie und Krise der Politikwissenschaft: Eric Voegelin
mehr dient es als Beispiel für eine Haltung zum Problem des Politischen, die
als ursprünglich erscheint und eine Überwindung der Krise der politischen Wissenschaft erlaubt, nicht indem neue oder alte Werte aufgeboten werden, sondern
durch ein Denken, das dieser Krise radikal auf den Grund geht. Wenn ein solches Denken gewissenhaft ist, kann es allerdings in konkreten sozialen Situationen wirksam werden. Nicht länger vertretbar vor dem Hintergrund der erreichten Einsicht ist hingegen der Anspruch auf Legitimierung und Begründung der
Form, wie er die moderne politische Wissenschaft prägt. Der Versuchung, gedankliche Strenge zugunsten von vermeintlich besser garantierten und fundierten Positionen aufzugeben, hat auch Voegelin selbst nachgegeben, als er ± wohl
auch wenig weitsichtig ± in der Machtstellung der englischen und amerikanischen Demokratie ein Element der Hoffnung sieht, weil in ihren Institutionen
die Wahrheit der Seele besser repräsentiert sei; ¾uûerungen dieser Art wirken
nicht nur schwach, sondern stehen offensichtlich im Widerspruch zu dem philosophischen Gehalt seines Werkes, den wir hier zu beleuchten versucht haben.67
Diese ¾uûerung ist keine bloû zufällige Aporie im Rahmen eines im übrigen
rigorosen Vorgehens, das eine solche Aussage eigentlich ausschlieût, sondern
kennzeichnet möglicherweise Voegelins Verhältnis zum Politischen überhaupt,
und eben dies eröffnet die Möglichkeit, sein Denken einer kritischen Prüfung
zu unterziehen. Absicht der vorliegenden Reflexion war es hingegen, das Problem zu ergründen, das Voegelins Haltung gegenüber dem modernen politischen
Denken aufwirft und dessen Aussagekraft und Bedeutung zu erfassen.
67
Vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, S. 266.
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Personenverzeichnis
Accarino, Bruno 56
Alessio, Manuela 115
Althusius, Johannes 13, 23, 71±75, 76,
77, 78, 79, 80, 82, 83, 88, 89, 91, 95,
111, 156, 164
Almirante, Carlo 54
Arendt, Hannah 21, 26, 28, 201, 206,
219, 220, 224
Aristoteles (Aristotele, Aristotle) 54, 73,
74, 75, 81, 201, 203, 204, 205±208,
209, 210, 211, 220, 221, 222±224, 225
Ball, Hugo 177, 185
Baumgarten, Eduard 141
Behnen, Michael 79
Beiner, Ronald 26
Beneyto, JosØ Maria 177
Benjamin, Walter 41, 53, 54
Berti, Enrico 42
Bien, Günther 206, 208, 209
Biral, Alessandro 22, 62, 68, 81, 83, 99,
147, 222
Blumenberg, Hans 177
Bobbio, Norberto 18, 73, 126, 129, 139,
140
Böckenförde, Ernst-Wolfgang 122
Bosl, Karl 22
Bovero, Michelangelo 73
Brunner, Otto 12, 70, 71, 82, 94, 124,
127, 128, 132, 138, 157, 170, 202
Bubner, Rüdiger 204, 211
Carrino, Agostino 17
Castrucci, Emanuele 177, 208
Cavalli, Luciano 126
Cavarero, Adriana 48
Cazzaniga, Gian Mario 91
Chiereghin, Franco 48
Chignola, Sandro 12, 70, 220
Cicero 37, 38, 74
Colombo, Paolo 62
Conring, Hermann 76
Constant, Benjamin 62, 63, 65
Conze, Werner 132
Dahm, Karl Wilhelm 71, 78
Descartes 157
Dilcher, Gerhard 177
Dini, Vittorio 132
Dreier, Horst 114
Duso, Giuseppe 11, 17, 22, 26, 31, 36,
45, 57, 70, 71, 73, 77, 78, 81, 83, 90,
91, 98, 99, 102, 105, 106, 108, 115,
117, 119, 124, 127, 152, 154, 177,
188, 190, 194, 199, 201, 206, 208,
212, 220
Eichenberger, Kurt 123
Esposito, Roberto 177, 219
Euchner, Walter 22, 88
Fetscher, Iring 22, 88
Feuerbach, Anselm 100
Fichte, Immanuel H. 109
Fichte, Johann Gottlieb 101, 57, 102,
103, 108±112, 113, 115, 152, 158, 188
Fioravanti, Maurizio 148, 183
Forsthoff, Ernst 206
Fraenkel, Ernst 22
Franco, Luigi 212
Gadamer, Hans-Georg 34, 40, 210, 211
Galli, Carlo 19, 31, 36, 158, 177, 184,
192, 193, 199
Personenverzeichnis
Gawlick, Günther 24
Gerber, Emil 30, 149
Gerhard, Dietrich 141
Giacomini, Bruna 129
Gierke, Otto von 82, 83, 156, 164
Giorgini, Massimo Severo 148
Glaukon 49
Glum, Friedrich 30, 34, 36, 149, 152, 178
Göbel, Johann W. 76
Goethe, Johann Wolfgang von 18, 187
Gozzi, Gustavo 148, 149
Griewank, Karl 59
Guardini, Romano 177
Habermas, Jürgen 68, 103
Harnach, Adolf von 187
Hartmann, Volker 150, 168
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 57,
101, 114, 115±119, 120, 121, 122,
183, 184, 199, 203, 207
Heidegger, Martin 201
Held, Klaus 42, 206, 207, 208, 210
Heller, Hermann 30, 32, 148, 149, 154,
155, 158, 202
Hennis, Wilhelm 202, 203, 205, 209
Hintze, Otto 38, 124±126
Hobbes, Thomas 20±22, 23, 24, 25±29,
32, 33, 42, 55, 69, 70, 82, 83, 84, 86,
87, 88, 89±91, 93, 94, 96, 99, 100,
101, 103, 104, 107, 115, 121, 134,
140, 143, 147, 155±157, 158, 161,
162, 165, 169, 171, 172, 175, 176,
180, 203, 204, 207, 210, 215
Höffe, Otfried 204, 208
Hoffmeister, Johannes 118, 122
Hofmann, Hasso 34, 36±39, 58, 71, 78,
79, 82, 86, 114, 154, 165, 167, 170,
177, 184, 185, 190
Homer 43
Hüglin, Thomas O. 71, 78
Jakob, Hans 108
Janssen, Heinrich 23
Jaume, Lucien 57, 62, 69
239
Kaiser, Joseph Heinrich 29
Kant, Immanuel 23, 25, 26, 31, 57, 100,
101±107, 109, 113, 115, 152, 154,
157, 158, 185, 188, 207, 208
Kelsen, Hans 20, 148, 183
Kersting, Wolfgang 83, 94, 101
KervØgan, Jean-François 184, 212
Kodalle, Klaus Michael 177
Koselleck, Reinhart 12, 59, 103, 132
Krawietz, Werner 71, 83
Kuhn, Helmut 205
Landucci, Sergio 104, 107
Lauth, Reinhard 108
Lebreton, Jacques 38
Leibholz, Gerhard 15, 20, 30, 31±33,
35, 36, 88, 133, 142, 144, 148, 149,
150, 153±155, 158±161, 166, 167±169,
171, 172±175, 202
Lombardi Vallauri, Luigi 177
Lübbe, Hermann 204
Mantl, Wolfgang 160
Matteucci, Nicola 18, 201
Mazzacane, Aldo 148, 149
Melanchton 39
Melchiorre, Virgilio 40
Mercadante, Francesco 220
Meyer, Eduard 126, 138
Miglio, Gianfranco 19, 28, 63, 198, 199
Mommsen, Wolfgang J. 125, 126, 140
Müller, Christoph 20, 63, 157
Müller, Georg 123
Nicoletti, Michele 36, 183, 185, 186, 188
Nietzsche, Friedrich 15
Oestreich, Gerhard 38, 141
Opitz, Peter J. 212
Ornaghi, Lorenzo 199
Pacchiani, Claudio 201
Palladini, Fiammetta 91, 92
240
Personenverzeichnis
Pasquino, Gianfranco 18
Pasquino, Pasquale 28, 57, 62, 63, 65,
155, 158, 164, 181
Pauly, August Friedrich 33
Pitkin, Hanna F. 12, 20
Platon 13, 41, 42, 43, 44±46, 47, 48, 49,
52±54, 74, 81, 192, 201, 207±211,
219±222, 223, 224, 225
Polin, Raymond 82
Ponsetto, Antonio 42
Pseudodionys 34
Pufendorf, Samuel 73, 91±94, 100
Quintilian 37
Racinaro, Roberto 183, 198
Rametta, Gaetano 106, 119, 229
Rausch, Heinz 22, 33, 34, 37, 149
Reichardt, Rolf 57, 60
Riedel, Manfred 200, 205, 207
Ritter, Joachim 203, 205, 207, 223
Roloff, Hans-Gert 71
Romano, Santi 148, 149
Rossi, Pietro 126
Rotteck, Carl R. von 173
Rousseau, Jean Jacques 27, 29, 61, 68,
77, 79, 82, 83, 96, 97, 98, 99, 100,
143, 147, 158, 161, 162, 164, 165,
168, 175, 207
Rusconi, Gian Enrico 29
Scalone, Antonino 29, 192
Scheler, Max 201
Schiera, Pierangelo 124, 125, 132, 148,
194, 199
Schlossmann, Siegmund 33
Schluchter, Wolfgang 141
Schmitt, Carl 15, 16, 20, 30, 31, 32, 33,
34, 35, 36, 57, 88, 111, 114, 143, 144,
148, 149, 150±164, 165, 166±168,
169, 170, 171, 172, 175, 177, 178,
179±185, 186, 187±195, 196, 198,
199, 201, 202, 204, 206, 211, 212,
213, 214, 215, 216, 217
Schmitt, Eberhard 57, 60
Schneider, Hans-Peter 114
Schnur, Roman 208
Schottky, Richard 108, 111
Schwentker, Wolfgang 126
Schweppenhäuser, Hermann 41
Scupin, Hans-Ulrich 71
Sieyes, Emmanuel Joseph 29, 57, 60,
61, 62, 63, 65, 66, 69, 86, 99, 143,
164, 171
Smend, Rudolf 30, 35, 149, 154, 159,
202
Sohm, Rudolph 138
Sokrates 44, 45, 49
Staff, Ilse 177
Strauss, Leo 16, 201, 203
Tasinato, Maria 34
Taubes, Jacob 177
Tenbruck, Friedrich H. 126, 138
Tertullian (Tertulliano) 33, 34, 38
Thomas von Aquin 39, 181
Thrasymachos 48, 50
Tiedemann, Rolf 41
Todescan, Franco 92, 165
Tommissen, Piet 191
Triepel, Heinrich 20, 63, 157
Tropeur, Michel 62
Turrini, Guido 44
Vernant, Jean Pierre 42
Voegelin, Eric 16, 19, 22, 54, 55, 56,
200, 201, 206, 211, 212±214, 215,
216±218, 219, 220±222, 223, 224, 226
Vollrath, Ernst 208
Volpi, Franco 201
Weber, Max 14, 15, 71, 87, 90, 124±
127, 128, 129, 130, 131, 132±136,
137, 138, 139, 140, 141, 142±144,
145, 146±148, 157, 172, 181, 200,
202, 203, 205, 211, 212, 217
Weinacht, Paul-Ludwig 71
Welzel, Hans 93
Personenverzeichnis
Winckelmann, Johannes 87, 124, 125,
129, 137, 140, 141
Wissowa, Georg 33
Wolff, Hans J. 20, 33±35, 149
Wyduckel, Dieter 23, 71, 83
16 Duso
Zanetti, Gianfrancesco 220
Zapperi, Roberto 29
Zarka, Yves Charles 91
Zeh, Wolfgang 114
241

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