Friedrich der Große und die militärische Größe

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Friedrich der Große und die militärische Größe
Friedrich300 – Friedrich und die historische Größe
Friedrich der Große und die militärische Größe
Marian Füssel
Abstract
Politisch-militärischer Erfolg zählt seit jeher zu den wesentlichen Bemessungskriterien für die kulturelle
Zuschreibung 'Historischer Größe'. Gerade Friedrichs II. Etikettierung als "der Große" verdankt sich
wesentlich seinen militärischen Erfolgen in den Schlesischen Kriegen. Anhand der Figur des roi
connétable werden daher ausgehend von der zeitgenössischen Wahrnehmung und Selbststilisierung
Friedrichs verschiedene Bedeutungsebenen militärischer Größe herausgearbeitet: der König als
strategischer Denker und Lenker, der König als aktiv unter seinen Soldaten Kämpfender und der
König als die gängigen Normen der Kriegführung überschreitender 'Feldherr der Widersprüche'. Eine
militärhistorische Bewertung tatsächlicher Leistungen wird dabei bewusst vermieden zugunsten einer
historiographiegeschichtlichen Rekonstruktion der zahlreichen Wertungen und Umwertungen von
Friedrichs militärischer Größe, die von strategischen Debatten unter Militärs bis zur grundsätzlichen
Infragestellung militärischer Größe als solcher reichen.
<1>
Heute als Historiker über die Frage der "historischen Größe" zu sprechen, ist schwierig. Das Thema
scheint bereits selbst nur historisch behandelbar zu sein, so fremd klingt zu Beginn des 21.
Jahrhunderts der geschichtsphilosophisch imprägnierte Terminus der "historischen Größe". 1 Für
Theodor Schieder war das zu Beginn der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts offenbar noch in einer
anderen Weise thematisierbar, stand dieser doch in der Tradition des klassischen Historismus und
berief sich in seinen "Reflexionen über historische Größe" explizit auf Jacob Burckhardts
Weltgeschichtliche Betrachtungen.2 Burckhardt räumt dabei gleich zu Beginn ein, nun müsse man auf
alles "systematisch-wissenschaftliche verzichten."3 Ein Kriterium für historische Größe scheint ihm
"Einzigkeit und Unersetzlichkeit" eines Individuums, dessen Handeln sich auf "ein Allgemeines, d.h.
ganze Völker oder ganze Kulturen" richtete. Auch sei erst das 19. Jahrhundert zu einer wirklich
historischen Betrachtung der "Größe" in der Lage. Nachdem Burckhardt vom Künstler bis zum
Religionsstifter unterschiedliche Repräsentanten historischer Größe abgehandelt hat, kommt er zu
den Staatsmännern und Königen. Friedrich der Große als die letzte historische Persönlichkeit, die den
Namen "der Große" erhielt, wird im Zusammenhang mit der Eigenschaft der "Seelenstärke" erwähnt,
1
Vgl. Reinhard Hesse: Probleme der Begründungen von "Historische Größe". Ein Beitrag zur Kritik historischer
Faktenkonstitution, in: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 7/1 (1976), 58-74; Wolfgang Hardtwig: Die
Sehnsucht nach Größe. Über das intensive Bedürfnis, historische Jahrestage zu feiern, in: ders.: Geschichtskultur
und Wissenschaft, München 1990, 302-309.
2
Theodor Schieder: Friedrich II. und sein Beiname "der Große". Reflexionen über historische Größe, in: ders.:
Friedrich der Grosse. Ein Königtum der Widersprüche, Gütersloh [1986], 473-491; ders.: Geschichte als
Wissenschaft. Eine Einführung, 2. Aufl. München / Wien 1968, 104ff. Zur historiographiegeschichtlichen
Einordnung Schieders im Kontext des Historismus vgl. Jörn Rüsen: Kontinuität, Innovation und Reflexion im
späten Historismus: Theodor Schieder, in: ders.: Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen
Wissenschaftskultur, Frankfurt a. M. 1993, 357-397.
3
Jacob Burckhardt: Das Individuum und das Allgemeine (Die historische Grösse), in: ders.: Weltgeschichtliche
Betrachtungen, Pfullingen [circa 1965], 253-299, hier: 255.
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das heißt der Fähigkeit "gewisse Seelenspannungen und Anstrengungen ersten Ranges" auszuhalten,
wie Friedrich es im Siebenjährigen Krieg getan habe.4 Ein Begriff, der bei Schieder dann mit
"Nervenkraft" übersetzt wird.
<2>
Burckhardt bleibt bis in die jüngste Zeit eine feste Referenz der Friedrich-Forschung. So stellen auch
Johannes Kunisch und Gerhard Heinrich im Epilog zu ihren 2004 und 2009 erschienenen FriedrichBiographien Überlegungen über dessen "historische Größe" im Anschluss an Burckhardt an. Während
Kunisch jedoch einschränkend anmerkt, dass "die immer wieder gestellte Frage nach der historischen
Größe gerade auch im Hinblick auf Friedrich den Großen eine fiktionale Kategorie" sei, die "allenfalls
eine Annäherung an ein historisches Individuum" ermögliche, bleibt Heinrich ganz der Tradition des
19. Jahrhunderts treu, wenn er schreibt: "Die Leistung, aus der sich das Ruhmesprädikat "Historischer
Größe" ergibt, wird nicht am Schreibtisch des Historikers oder sonstiger Schreibender oder auf
öffentlichen Plätzen Redender festgestellt, sondern es ergibt sich aus einem Bestand historischer
Tatsachen".5 Bereits 1940 hatte Johan Huizinga in einer Auseinandersetzung mit Thomas Carlyle und
dem Text Burckhardts jedoch in aller Deutlichkeit festgestellt: "Menschen sind nicht groß. Die 'wirkliche
Größe' von Menschen ist nicht, wie Burckhardt meinte, ein Mysterium, sondern ein Wort, ein
posthumer Ritterschlag, den die Historie verleiht. Die Person des Menschen ist nicht groß und seine
Gemeinschaft als solche ebenso wenig. Hier und da haben ihre Werke etwas, was noch am besten
mit dem Gleichniswort räumlicher Ausdehnung angedeutet wird. Der Kern der Qualität liegt
anderswo."6
<3>
Noch fremdartiger als die "historische Größe" als solche ist heute wohl die Frage nach der
militärischen Größe.7 So mag es kaum erstaunen, dass im Proustschen Fragebogen der F.A.Z.
inzwischen gerade die Frage "Welche militärische Leistung bewundern sie am meisten?" zumeist mit
Verwunderung, häufig aber der Antwort "keine" quittiert wird. 8 Die geschichtstheoretische Reflexion
jener berechtigten Skepsis kann bereits auf eine lange Tradition verweisen. In den Fragen eines
lesenden Arbeiters, einem der Schlüsseltexte einer Geschichtslyrik "von unten", schrieb Bertolt Brecht
schon 1928: "Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm? Jede Seite
ein Sieg. Wer kochte den Siegesschmaus? Alle zehn Jahre ein großer Mann. Wer bezahlte die
4
Burckhardt: Das Individuum und das Allgemeine (wie Anm. 3), 283.
5
Johannes Kunisch: Friedrich der Grosse. Der König und seine Zeit, München 2004, 544; Gerd Heinrich:
Friedrich II. von Preußen. Leistung und Leben eines großen Königs, Berlin 2009, 357.
6
Johan Huizinga: Historische Grösse. Eine Besinnung, in: ders.: Mein Weg zur Geschichte. Letzte Reden und
Skizzen, Klosterberg 1947, 61-72, hier: 72.
7
Vgl. Alexander Demandt: Historische Größe, in: ders.: Zeit und Unzeit. Geschichtsphilosophische Essays, Köln /
Weimar / Wien 2002, 137-146: hier: 143f.
8
Vgl. schon die Eingangsbemerkungen bei Johannes Kunisch: Feldmarschall Loudon oder das Soldatenglück, in:
ders.: Fürst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaats, Köln /
Weimar / Wien 1992, 107-129; dem Aufsatz liegt ein Vortrag aus dem Jahr 1981 zugrunde.
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Spesen? So viele Berichte, So viele Fragen".9 Brechts Verse sind auch heute, nachdem eine
Geschichte von unten selbst bereits historisiert wird, eine wichtige Mahnung, den diskursiven
Konventionen des klassischen Historismus und dessen impliziter Geschichtsphilosophie nicht
blindlings zu folgen. Dem großen König nun aber viele kleine Helden im Sinne eines Ulrich Bräker an
die Seite zu stellen, darf letztlich, so notwendig es für eine generelle Perspektivenerweiterung
zunächst ist, nicht dazu führen, die historistische Subjektivierung der Geschichte lediglich auf alle
gesellschaftlichen Schichten auszuweiten.10 Sinnvoller scheint es mir im Folgenden, wie bereits bei
Schieder angelegt, primär nach den jeweiligen historischen Zuschreibungsprozessen von
"militärischer Größe" und deren ideologischen Profiten zu fragen, beruht diese doch auf "höchst
subjektiven Wertungen" und nicht auf "objektiven Maßstäben". 11
Die Geburt eines Mythos. Der roi connétable in der europäischen
Öffentlichkeit
<4>
Für die Frage nach der Zuschreibung "militärischer Größe" ist es bereits signifikant, dass das erste
zeitgenössische Auftreten der Bezeichnung Friedrichs als "der Große" in direktem Zusammenhang mit
seinen militärischen Erfolgen steht. So bezeichnete Voltaire ihn 1742 als "Frédéric le Grand", und
1745 etablierte sich die Bezeichnung in der preußischen Öffentlichkeit, als der König am 28.
Dezember feierlich in Berlin einzog, um seine Siege im Zweiten Schlesischen Krieg bzw. dessen
erfolgreiche Beendigung zu feiern. "Die Preußen selbst in seinem Jahrhundert haben ihn zuerst als
großen Feldherrn, als Sieger in Schlachten, als Roi-Connétable gefeiert", heißt es entsprechend bei
Schieder.12 Friedrich selbst hat sich zu diesem Beinamen offenbar nie geäußert. 13 "Größe" erforderte
jedoch immer auch ein Publikum: "Ich liebe den Krieg um des Ruhmes willen" schrieb Friedrich II. im
Februar 1741 an Charles Etienne Jordan.14 Kurz darauf fügte er hinzu: "Die Genugtuung, meinen
Namen in den Zeitungen und später in der Geschichte zu sehen, hat mich verführt." 15 Diese
Äußerungen verweisen ebenso auf höfisches Prestigedenken wie auf die Reflexion der
Öffentlichkeitswirksamkeit militärischer Aktionen. Modern gesprochen strebte der Preußenkönig
bewusst danach, zum Medienereignis zu werden und hatte damit auch Erfolg. 16 Sein Ruhm und
9
Bertold Brecht: Fragen eines lesenden Arbeiters, in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. 9: Gedichte 2, Frankfurt a.
M. 1967, 656f.
10
Vgl. Marian Füssel: Die Rückkehr des Subjekts in der Kulturgeschichte. Beobachtungen aus praxeologischer
Perspektive, in: Stefan Deines / Stephan Jaeger / Ansgar Nünning (Hg.): Historisierte Subjekte – Subjektivierte
Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin 2003, 141-159.
11
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 475.
12
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 488f.
13
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 479.
14
Brief an Jordan vom 24.2.1741, in: Max Hein (Hg.): Briefe Friedrichs des Großen, Bd.1, Berlin 1914, 186.
15
Brief an Jordan vom. 3.3.1741, in: Hein (wie Anm. 14), 186-187, hier: 187.
16
Jürgen Fohrmann: Der Ruhm des Königs. Über die Herstellung eines Mythos und seine medialen
Bedingungen, in: Wolfgang Adam / Holger Dainat (Hg.): "Krieg ist mein Lied". Der Siebenjährige Krieg in den
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Prestige in der europäischen Öffentlichkeit verdankten sich ganz wesentlich seinen militärischen
Siegen.
<5>
Der Basler Altlandvogt Wilhelm Linder beispielsweise schreibt während des Siebenjährigen Krieges in
seine Chronik folgendes Gedicht:
"War Alexander gross! Ja gross war er im Siegen, Ein Held vor dem sich fast der Erdkreis musste
biegen.
War Cesar gross! Jawohl! Rom hat er umgekehrt, ganz Gallien besiegt, und Teütschland halb
verheert.
War Gustav Adolff gross! Ja als Löw aus Norden Ist er im Sterben noch ein Held uns Sieger worden
Gross war der 12te Carl; Gross war der Held Eugen, der beyden Ruhm und Muth pflegt man noch zu
erhöhn.
Gross war auch Ludewig; Gross Moritz Graf von Sachsen, Durch sie ist Frankreichs Macht, erst recht
und gar gewachsen.
Kurz alles samt sind gross, Ihr Ruhm verewigt sich – Doch wer ist grösser noch? Wer? Preüssens
Friedrich!"17
<6>
Der Preußenkönig wird hier in eine ganze Galerie militärischer Größen eingereiht und übertrifft sie
noch. Ähnlich dichtete man während des Krieges auch im verbündeten England: "See Godlike Prussia
shines in arms complete, Like Marlb 'rough glorious, and as Eugene great." Oder: "You came, saw,
overcame; Caesar, T'was braveley done, But Fredrick twice has done the same, And double laurels
won. Rosbach, of one important day, His glorious deeds shall tell; And Breslau 's neighb 'ring plains
shall say; How Austrians fled, or fell."18 Die unterschiedlichen Ehrentitel, welche die Briten dem
Preußenkönig gaben, sind Legion: the world 's great Chief in Council and in arms; the Caesar of his
age; son of Bellona, and darling of fame; the Deathless Hero, and unconquer 'd King; the Terror of
France. Und selbst im gegnerischen Frankreich kannte die Friedrich-Begeisterung in der
Öffentlichkeit, vor allem unter den Philosophes, nach den Erfolgen von Leuthen und Rossbach keine
Grenzen mehr. Im Januar 1758 schreibt d 'Alembert an Voltaire "Der König von Preußen hat unsern
Parisern den Kopf verdreht, noch vor fünf Monaten zogen sie ihn in den Staub." 19 Und der Kardinal de
Bernis stellt fest: "Unsere Nation ist entrüsteter als je über den Krieg. Man liebt hier den König von
zeitgenössischen Medien, Göttingen 2007, 379-406.
17
Zitiert nach Paul Meyer: Zeitgenössische Beurteilung und Auswirkung des Siebenjährigen Krieges (1756-1763)
in der evangelischen Schweiz, Basel 1955, 73.
18
Manfred Schlenke: England und das friderizianische Preussen: 1740-1763. Ein Beitrag zum Verhältnis von
Politik und öffentlicher Meinung im England des 18. Jahrhunderts, Freiburg i.Br. 1963, 353.
19
Emmy Allard: Friedrich der Große in der Literatur Frankreichs. Mit einem Ausblick auf Italien und Spanien, Halle
1913, 49.
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Preußen à la folie, weil man immer diejenigen liebt, die ihre Sache gut machen." 20
<7>
Vergleichbar gestaltete sich die Situation auch in Italien, wo je nach Region eine pro- oder
antipreußische Stimmung dominierte. In einem Mailänder Sonett etwa wird "Il Prusso, il grande,
l 'immortal Guerriero" gehuldigt, in den meisten Städten, besonders in Venedig, spielten sich allerdings
lautstarke Auseinandersetzungen zwischen "fritzisch" Gesinnten und Preußengegnern ab. Die
angeführten Beispiele stehen für die besondere Popularität, die von den Schlachtenerfolgen des
Preußenkönigs ausging, ebenso wie für die relationale Qualität historischer Größe. Friedrich II. wird
sowohl mit antiken wie zeitgenössischen Feldherren verglichen, seine Größe misst sich an den
historischen Vorbildern und soll sie gar übertreffen. Das gilt auch für die nachgeborenen Feldherren,
etwa wenn Theodor von Bernhardi 1881 sein zweibändiges Werk Friedrich der Große als Feldherr mit
den Worten schließt: "Alles aber wohl erwogen und durchdacht, kommen wir unvermeidlich zu dem
Schluß, dass Friedrich II. von Preußen wie als Mensch und als Fürst so auch als Feldherr den
französischen Imperator [gemeint ist Napoleon, M.F.] weit überragt." 21
Der Roi connétable als Denker und Lenker: Strategie und Taktik
<8>
Zentraler Bestandteil von Friedrichs militärischem Prestige war das Bild von ihm als genialer
Stratege.22 So steht es etwa für Johannes Kunisch außer Frage, dass "Friedrich als eine
Ausnahmeerscheinung unter den Heerführern des 18. Jahrhunderts betrachtet werden muß". 23
Friedrichs Tätigkeit als Feldherr war allerdings kein Selbstzweck, sondern gehorchte politischen
Ambitionen der preußischen Staatsbildung und der territorialen Arrondierung eines "Königreichs der
Grenzen".24 Mit der Eroberung Schlesiens manövrierte sich der junge Preußenkönig jedoch schon
1740 dauerhaft in die Rolle des Kriegsherrn, da Österreich diesen Schritt nie verzeihen sollte. Doch
unter welchen militärhistorischen Voraussetzungen stand die Profilierung als großer Feldherr im Stile
eines Turenne, Karl XII. von Schweden, Prinz Eugen, Marlborough oder Moritz von Sachsen? Wie
wurde man ein erfolgreicher Feldherr?
20
"Notre nation es plus indignée que jamais de la guerre. On aime ici le roi de Prusse à la folie, parce qu 'on aime
toujours ceux qui font bien leurs affaires", Frédéric Masson (Hg.): Mémoires et lettres de François-Joachim de
Pierre: cardinal de Bernis (1715-1758), publiée avec l 'autorisation de sa famille d 'après les manuscrits inédits,
Bd.2, Paris 1878, 202 hier dt. nach Allard: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 49.
21
Theodor von Bernhardi: Friedrich der Grosse als Feldherr, 2 Bde., Berlin 1881, Bd. 2, 646f.
22
Zu Friedrich als Feldherrn vgl. die Literaturangaben bei Herzeleide Henning / Eckart Henning: Bibliographie
Friedrich der Große 1786-1986. Das Schrifttum des deutschen Sprachraums und der Übersetzungen aus
Fremdsprachen, Berlin / New York 1988, 237-242.
23
Kunisch: Friedrich der Grosse (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 437.
24
Vgl. Johannes Kunisch: Friedrich der Große als Feldherr, in: ders.: Studien (wie Anm. Fehler: Referenz nicht
gefunden), 83-106.
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<9>
Friedrichs Ausbildungsstationen sind schnell umrissen. Ganz zu Anfang sah es gar nicht nach einer
militärischen Karriere aus. Der österreichische Gesandte Seckendorff etwa berichtete 1725 über den
dreizehnjährigen Friedrich an den Wiener Hof: "Er wird niemals General oder Feldherr werden." 25
Nach den augenscheinlich traumatischen Erfahrungen in Küstrin Anfang der 1730er Jahre führte der
Kronprinz seit 1732 das Infanterie-Regiment von der Goltz, begab sich 1734 als "Volontär" zu Prinz
Eugen an den Rhein und nahm im Zuge des Polnischen Thronfolgekrieges an den Kämpfen um
Philippsburg teil. Ab 1736 folgte die Rheinsberger Zeit, während der Friedrich Cäsar und
Darstellungen über die Feldzüge Karls XII. von Schweden las. Erst nach den ersten beiden
Schlesischen Kriegen fand Friedrich ab 1745 offenbar Zeit für eine systematischere Lektüre
militärtheoretischen Schrifttums. Hierzu zählten neben der Kriegsgeschichte Turennes (1687) vor
allem eine Reihe von Werken aus den 1720er Jahren wie die "Memoires sur la guerre" des Marquis
de Feuquière (1725), die "Reflexions militaires" des Marquis de Santa Cruz (1724-1731), die "Histoire
militaire de Louis le Grand" des Marquis de Quincy (1728) und die "Histoire de Polybe" des Chevalier
de Folard (1727ff.).26 Später trat Friedrich dann selbst als Autor zahlreicher militärtheoretischer
Schriften hervor, was seinen Nachruhm als militärischer Experte zusätzlich beförderte. 27
<10>
Die Kriegführung der klassischen Lineartaktik, die schon von den Zeitgenossen mit zahlreichen
Maschinenmetaphern beschrieben wurde, stellte eine relativ schwerfällige Konstruktion von
Rangordnungen, Befehlsketten und geometrischen Figuren dar, die Überraschungen immer
unwahrscheinlicher machten, ja in vielen Schlachten gar ein Unentschieden hervorriefen. 28 Heere von
20.000-40.000 Mann benötigten einige Stunden, um in die mehrere Kilometer lange "ordre de bataille"
zu gelangen. Wollte man eine in der Regel sehr verlustreiche Parallelschlacht vermeiden, blieb nur die
seit der Antike bekannte schiefe Schlachtordnung als Versuch der Umgehung und Umfassung des
Gegners.29 Dies ließ sich allerdings nur unter idealen Geländebedingungen realisieren, die es den
Truppen ermöglichten, ihre "evolutiones" schnell und geordnet zu vollziehen. Feldherrliches Geschick
bedeutete vor diesem Hintergrund vor allem eine genaue Erkundung des Geländes und den Mut, sich
25
Ullrich Marwitz: Friedrich der Große als Feldherr, in: Friedrich der Große und das Militärwesen seiner Zeit, hg.
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Herford / Bonn 1987, 74.
26
Marwitz: Feldherr (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 75: Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler:
Referenz nicht gefunden), 344; Karl Linnebach: Friedrich der Große und Folard. Ein Blick in die geistige Welt des
Feldherren, in: Wissen und Wehr 17 (1936), 522-543.
27
Vgl. Gustav Berthold Volz (Hg.): Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 6, Militärische Schriften, Berlin 1913;
siehe dazu Max Jähns: Geschichte der Kriegswissenschaften, vornehmlich in Deutschland, 3 Bde., München /
Leipzig 1889-1891, Bd. 3, 1999-2031.
28
Vgl. als Überblicke Jürgen Luh: Kriegskunst in Europa 1650-1800, Köln / Weimar / Wien 2004; Wolfgang Petter:
Zur Kriegskunst im Zeitalter Friedrichs des Großen, in: Bernhard Kroener (Hg.): Europa im Zeitalter Friedrichs des
Großen. Wirtschaft, Gesellschaft, Krieg, München 1989, 245-268.
29
Rudolf Keibel: Die schräge Schlachtordnung in den ersten beiden Kriegen Friedrichs des Großen, in:
Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 14 (1901), 95-139.
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über die gewohnten taktischen Maßgaben hinwegzusetzen. 30
<11>
Schlagende Beispiele hierfür bieten einer der größten Erfolge und eine der schwersten Niederlagen
Friedrichs II. Bei Leuthen konnte 1757 ein einziges Mal die schiefe Schlachtordnung erfolgreich
praktiziert werden, da die Soldaten das Gelände von ihren Herbstmanövern her bereits kannten. 31 In
Kunersdorf 1759 hingegen versagten Geländeerkundung und Feindaufklärung und führten zu
zeitaufwendigen und riskanten Manövern unter völlig ungeeigneten Geländebedingungen mit
unbekannten Seen, Sandhügeln und Abhängen.32 Die Folge waren schwerste Verluste, die beinahe
das Aus für den Preußenkönig im Siebenjährigen Krieg bedeutet hätten. Doch die Schlacht als solche
offenbarte ohnehin nicht gerade die beliebtesten militärischen Vorgehensweisen der Zeit. Die im 19.
Jahrhundert als "Manöverstrategie" bezeichnete ideale Kriegführung der Kabinettskriegszeit setzte auf
Defensive, auf Belagerungen, den kleinen Krieg und vor allem eben geschicktes Ausmanövrieren des
Gegners. Ziel war es, den Feind von seinen Nachschublinien abzuschneiden oder ihn in eine
ungünstige Position zu bringen.
<12>
Ganz anders dachte und handelte Friedrich II. Für ihn bildete die Schlacht im wahrsten Sinne die
"Königsdisziplin". Wie er bereits in seiner Auseinandersetzung mit den Schriften Machiavellis deutlich
machte, sah er dabei den König selbst als Feldherren in der Pflicht:
"In der Tat, alles, aber auch alles verpflichtet ihn, die Führung seiner Truppen auf sich zu nehmen und
der Erste zu sein in seinem Heere wie in seinem Hoflager. Sein eigener Vorteil, seine Pflicht, sein
Ruhm, alles gebietet ihm dies. […]. Die Landesverteidigung ist eine der wichtigsten Aufgaben seines
Amtes, aus diesem Grunde darf er sie keinem anderen anvertrauen. Sein Vorteil scheint unabweislich
seine persönliche Anwesenheit beim Heere zu erheischen, da alle Befehle von ihm ausgehen und auf
diese Weise Gedanke und Tat in der denkbarsten Unmittelbarkeit einander folgen. Außerdem macht
die ehrfurchtgebietende Gegenwart des Fürsten allen Reibereien unter den Generalen, die ein Fluch
für das Heer, ein fühlbarer Schaden für den Kriegsherrn sind, ein Ende. […]. Der Fürst ist es, der eine
Schlacht schlagen läßt; so ist es auch seine Sache, ihren Gang zu bestimmen, durch seine
Gegenwart seinen Truppen den Geist zuversichtlicher Kampfesfreudigkeit mitzuteilen; an ihm ist es,
zu zeigen, wie der Sieg seine Unternehmungen stetig krönt, wie er das Glück durch Klugheit an sich
fesselt, und ein leuchtendes Beispiel ihnen zu geben, wie man furchtlos der Gefahr und selbst dem
Tode trotzt, wenn Pflicht, wenn Ehre und unsterblicher Nachruhm es gebieten. Alle diese Gründe
30
Zur Bedeutung der militärischen Feindaufklärung vgl. Ewa Anklam: Wissen nach Augenmaß. Militärische
Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Münster u. a. 2007, hier vor allem 96-110.
31
Bernhard R. Kroener: Die Geburt eines Mythos – die "schiefe Schlachtordnung". Leuthen, 5. Dezember 1757,
in: Stig Förster / Markus Pöhlmann / Dierk Walter (Hg.): Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai,
München 2001, 169-183.
32
Kunisch: Feldherr (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 100ff.; Marian Füssel: Zwischen
Kriegserfahrung und Heldenmythos. Ewald von Kleist und die Schlacht von Kunersdorf am 12. August 1759, in:
Lothar Jordan (Hg.): Ewald von Kleist (=Beiträge zur Kleist Forschung 22), Würzburg 2010 (im Druck).
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zusammen, scheint mir, müssen den Fürsten verpflichten, die Führung seiner Truppen selbst zu
übernehmen und alle Not und Fährnis, der er sie aussetzt, mit ihnen zu teilen." 33
<13>
Dieses Programm sollte der roi connétable dann selbst verwirklichen und viele zeitgenössische
Stimmen sahen in der Rollenkumulation des Preußenkönigs einen der wesentlichen Gründe seines
Erfolges. Um es mit den Worten des Grafen Étienne François Choiseul-Stainville zu sagen: Man hatte
es mit einem Fürsten zu tun, "der sein eigener Feldherr, sein Staatslenker, Armeeintendant und
nötigenfalls auch sein Generalprofoß" war – eine Eigenschaft, die es ihm ermöglichte, Risiken
einzugehen und Entscheidungen zu treffen, die seinen Gegnern schon strukturell nicht zur Verfügung
standen.34 Auch für Georg Friedrich von Tempelhof galt die persönliche Führung des Königs als
Geheimnis seines Erfolgs: "Den entscheidendsten Vortheil hat aber eine Armee, welche der
Landesherr selbst anführt. Der größte General in der Welt kann und darf das nicht wagen, was ein
König unternehmen kann, der sich an der Spitze seiner Truppen befindet." 35 Wie Tempelhof im Zuge
seiner Behandlung der Schlacht bei Liegnitz ausführt, eröffnete seine offensive Kriegführung auch
symbolische Machtpotenziale: "Nach den gewöhnlichen Grundsätzen sollte er, als der schwächere
Theil, vertheidigungsweise gehen; allein er wählte gerade das Gegentheil, rückte dem Feind immer
auf den Leib, schränkte ihn in allen seinen Bewegungen ein, und nöthigte ihn, trotz seiner Stärke,
selbst auf der Vertheidigung zu bleiben. Dadurch erwarb er sich eine gewisse moralische Herrschaft
über seine Gegner, und sie waren, was die mehresten in Gegenwart eines großen Mannes [!] sind,
furchtsam, misstrauisch gegen ihre eigene Kräfte und unentschlossen." 36
<14>
Größe wird hier mithin nicht als Ergebnis militärischen Erfolges, sondern als dessen Voraussetzung
angeführt. Das rigorose Entscheidungshandeln Friedrichs II. – das auch in zahlreichen
Fehlentscheidungen resultierte – produzierte offenbar eine Aura, die das Handeln der Gegner zu
lähmen in der Lage war.37 Ein Mitglied des Großen Generalstabs, Oberst Max von Duvernoy,
behauptete 1912 gar, bei Burkersdorf habe Friedrichs "blosse Anwesenheit genügt, den Erfolg
sicherzustellen".38 Aus der Sicht der psychologisierenden Militärgeschichtsschreibung des späten
Kaiserreichs war dies in erster Linie Ausdruck der seelischen Stärke des großen Königs. So schreibt
33
Volz: Werke Friedrichs (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), Bd. 7, Antimachiavell und Testamente, 49f.
34
Kunisch: Friedrich der Grosse (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 434. Weitere Hinweise bei Kunisch:
Feldherr (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 98f.
35
Georg Friedrich von Tempelhof: Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland zwischen dem Könige
von Preußen und der Kaiserin Königin mit ihren Alliierten, 6 Bde., Berlin 1783-1801 (Neudruck Osnabrück 1986,
Bibliotheca Rerum Militarium XXIX), Bd. IV, 168.
36
Tempelhof: Geschichte des Siebenjährigen Krieges (wie Anm. 34), IV, 170.
37
Vgl. Kunisch: Feldherr (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 103.
38
Max von Duvernoy: Vor 150 Jahren (XXXV). Das Treffen bei Burkersdorf am 21. Juli 1762, in: MilitärWochenblatt 97/91 (1912), 2062-2068, hier: 2068.
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ein Autor 1903 über die Schlacht von Kunersdorf, Friedrich sei "Herr der Lage" geblieben, "weil er alle
seine Gegner an Seelengröße weit überragte".39 Ein anderer Autor sieht in Friedrich "das Gewicht der
seelischen Kräfte im Gegensatz zu dem der toten Hilfsmittel" bestätigt. 40 Das erfolgreiche
Kriegsgeschehen reduzierte sich aus dieser Warte allein auf das Handeln eines überlegenen
Feldherrn.41
Der Roi connétable als Kämpfer: Der König auf dem Schlachtfeld
<15>
Wenn im sechsten Teil der ZDF-Geschichtsserie "Die Deutschen" Friedrich II. mit gezogenem Säbel
hoch zu Ross bei Leuthen einen Angriff anführt und dabei auf die gegnerischen Soldaten einschlägt,
entbehrt dies wohl jeglichen historischen Realitätsbezugs. Bezeugt ist hingegen, dass der roi
connétable sich tatsächlich wiederholt in vorderster Frontlinie selbst in Gefahr begab und versuchte,
auf seine Truppen Einfluss zu nehmen.42 So etwa in der Schlacht von Zorndorf 1758, in der der
Preußenkönig offenbar versuchte, angesichts einer russischen Kavallerieattacke mit der Fahne in der
Hand das Zurückweichen seiner Regimenter zu stoppen. In die Friedrich-Ikonographie ist die Szene
später durch ein Gemälde Carl Röchlings eingegangen, der 1904 in einem Gemälde den
Preußenkönig an der Spitze des Infanterie-Regimentes Nr. 46 darstellte. 43
<16>
Noch dramatischer gestaltete sich der Einsatz des Feldherrenkönigs in der Schlacht von Kunersdorf
im August 1759.44 Wie Friedrich August von Retzow berichtet, versuchte Friedrich auch hier, seine
Soldaten in Formation zu halten: "Der König, welcher keine Gefahr scheuete, und sein Leben gleich
einem gemeinen Soldaten preis gab, that alles mögliche um einige Bataillone zum stehn zu bringen;
allein durch die heftige Blutarbeit erschöpft und von einem panischen Schrecken ergriffen, war alles
gegen seine Befehle taub, und jeder suchte, so gut er konnte, seine Rettung bei den Schiffbrücken an
der Oder." Doch der König in heroischer Selbstinszenierung immer am Rand des Freitods verharrt auf
dem Schlachtfeld: "Friedrich II. von seiner ihm sonst so ergebenen Armee verlassen, hielt noch, nur
von wenigen Adjutanten begleitet, auf dem Schlachtfelde, gerade an einem Orte, wo das feindliche
Feuer am stärksten wüthete. Man bat ihn, seine Person in Sicherheit zu bringen, allein vergebens. Es
39
Zitat bei Martin Raschke: Der politisierende Generalstab. Die friderizianischen Kriege in der amtlichen
deutschen Militärgeschichtsschreibung 1890-1914, Freiburg 1993, 152.
40
Raschke: Der politisierende Generalstab (wie Anm. 38), 153.
41
Raschke: Der politisierende Generalstab (wie Anm. 38), 153.
42
Vgl. zu den entsprechenden Szenen Carl Daniel Küster: Die Lebensrettungen Friedrichs des Zweyten im
siebenjährigen Kriege […] 2. Aufl., Berlin 1797.
43
Vgl. Marian Füssel: Das Undarstellbare darstellen. Das Bild der Schlacht im 18. Jahrhundert am Beispiel
Zorndorf (1758), in: Gabriela Signori / Birgit Emich (Hg.): Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit (= ZHF
Beiheft 42), Berlin 2009, 317-349, hier: 344-348.
44
Vgl. Füssel: Kriegserfahrung (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden).
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schien als wenn er selbst gewünscht hätte, das sich selbst zugezogene Unglück – nicht zu überleben;
denn in der größten Verzweiflung, über den erlittenen großen Verlust, hörte man ihn ausrufen: N 'y a-t'il
donc pas un b….de boulet qui puisse m 'atteindre? Hier hielt er unerschrocken unter Erschlagenen und
Verwundeten in Menge, und theilte noch Befehle aus." 45
<17>
Hier wird mithin die Doppelrolle des Königs als Befehlshaber sowie Leidender und Kämpfender unter
den Soldaten herausgestellt. Die Gefährdung der eigenen Existenz markiert gleichsam den schmalen
Grad zwischen Befehls-Rationalität und der emotionalen Geste des Opfertods. Der Kampf erreicht nun
auch den Körper des Königs: "Von denen, die um ihn waren, wurden verschiedene an seiner Seite
theils getötet, theils verwundet. Ein Pferd war ihm schon unter dem Leibe erschossen worden, ein
zweites bekam einen Schuß in die Brust, und war im Begriff zu stürzen, als der damalige
Flügeladjutant von Götz nebst einem Unteroffizier ihm noch vom Pferde halfen, ehe es fiel. Götz gab
ihm das seinige." Auch diese Szene hat später vielfach Eingang in die Ikonographie des
Preußenkönigs gefunden.46
<18>
Kaum jedoch hatte der König das Pferd wieder bestiegen, "als ihn eine Flintenkugel traf, zwischen
seinem Kleide und der Hüfte in die Tasche fuhr, und nur durch ein goldenes Etui, welches er bei sich
führte, in ihrer Wirkung aufgehalten wurde." Durch einen Zufall gerettet, ergreifen nun seine Soldaten
endgültig die Initiative, den König in Sicherheit zu bringen: "Fast in eben dem Augeblicke zeigte sich
feindliche Cavallerie, und der König lief Gefahr getödtet oder gefangen zu werden, wäre nicht der
Rittmeister von Prittwitz mit einem Trupp Husaren herbeigesprengt, um den Feind anzuhalten und den
Monarchen zu decken. Diesen Zeitpunkt nutzten seine Adjutanten; sie fielen seinem Pferde in die
Zügel, und rissen ihn so wider seinen Willen aus dem Schlachtgetümmel." 47 Am Verlust der Schlacht
und dem Ausmaß der Niederlage ließ Friedrich keine Zweifel aufkommen und schrieb an den Grafen
Finckenstein nach Berlin: "…schließlich wäre ich beinahe selbst in Gefangenschaft geraten und mußte
das Schlachtfeld räumen. Mein Rock ist von Schüssen durchbohrt, zwei Pferde sind mir unter dem
Leibe gefallen. Mein Unglück ist, dass ich noch lebe. Unser Verlust ist sehr beträchtlich: von einem
Heere von 48000 Mann habe ich jetzt, wo ich dies schreibe, keine 3000. Alles flieht, und ich bin nicht
mehr Herr meiner Leute. Man wird in Berlin gut tun, an seine Sicherheit zu denken. Das ist ein
grausames Mißgeschick, ich werde es nicht überleben. Die Folgen davon werden schlimmer sein als
die Sache selbst. Ich habe kein Hilfsmittel mehr, und um nicht zu lügen, ich halte alles für verloren.
45
Friedrich August von Retzow: Charakteristik der wichtigsten Ereignisse des Siebenjährigen Krieges, 2 Bde.,
Berlin 1802, Bd. 2, 112f.
46
Friedrich Benninghoven u.a.: Friedrich der Grosse. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer
Kulturbesitz anläßlich des 200. Todestages König Friedrichs II. von Preußen, Berlin 1986, 366-369.
47
Retzow: Charakteristik (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 113f.
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Den Untergang meines Vaterlandes werde ich nicht überleben. Leben sie wohl für immer." 48 Der
durchschossene Uniformrock und die von einer Kugel getroffene Tabakdose wurden später zu
Reliquien preußisch-militärischer Erinnerungskultur.49
<19>
Die Beispiele von Gefährdung und Rettung des Königs auf den Schlachtfeldern sind zahlreich. Sie
zeigen auf, dass die physische Präsenz im Kampf, der heroische Einsatz ohne Rücksicht auf die
eigene Person und die damit hergestellte Nähe zu den kämpfenden Soldaten einen wichtigen
Baustein in der Etablierung militärischer wie historischer Größe allgemein darstellten. Gerade
angesichts der Niederlage kann sich die menschliche Größe des Helden besonders beweisen: "Der
Geschlagene von Kunersdorf erscheint dann menschlich größer als der Sieger von Hohenfriedberg"
heißt es etwa bei Schieder.50 Der roi connétable war mithin kein Kabinettsstratege, der seine Armee
nur vom grünen Tisch aus befehligte, sondern er nahm selbst alle Risiken auf sich. Damit stellte er
sich in die Tradition von Königen wie dem während einer Belagerung getöteten Karl XII. von
Schweden, mit dem er sich unter anderem im Umkreis der Schlacht von Kunersdorf eingehend
auseinandergesetzt hatte.51 Gleichzeitig entfernte er sich damit vom in seiner Zeit üblichen Verhalten
der Monarchen und gewann so ein zentrales Alleinstellungsmerkmal.
Der Roi connétable als Transgressor: Der König und die Normen des
Krieges
<20>
Ein weiteres Element der Fabrikation von Friedrichs II. militärischer Größe ist sein Umgang mit den
zeitgenössischen "Spielregeln" der Kriegführung, das heißt den Normen und Erwartungshaltungen der
Militärs. Bereits Theodor Schieder hat mit Weberschen Begriffen von Friedrichs "charismatischer
Autorität" gesprochen, die sich aus seinen Siegen "in einem unkonventionellen, gegen die Regeln der
üblichen Kriegführung geführten Krieg" – gemeint ist der Zweite Schlesische Krieg – speiste. 52 Für
Curt Jany, Offizier im Großen Generalstab, war es genau die Anpassungsleistung an die
Zeiterfordernisse, die Friedrichs Größe ausmachte: "Wenn seine Kriegführung aber auch an die
begrenzten Mittel der Zeit gebunden war, so wurde sein klares Auge doch nicht getrübt durch den
Nebel der Schulmeinungen und Vorurteile der Zeit. Auf der Unabhängigkeit des Denkens, mit der er
die Mittel seiner Zeit auf die jeweiligen Erfordernisse seiner besonderen Lage anwendete, beruht sein
48
Politische Correspondenz Friedrichs des Großen, Bd. 18, Berlin 1891, Nr. 11335, 481; deutsch nach Max Hein
(Hg.): Briefe Friedrichs des Großen, Bd. 2, Berlin 1914, Nr. 44, 52.
49
Benninghoven u.a.: Friedrich der Grosse (wie Anm. 45), 205f.
50
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 490.
51
Vgl. dazu auch Andreas Pecar: Friedrich der Große als Autor, in: Friedrich300 - Colloquien, Friedrich der Große
– eine perspektivische Bestandsaufnahme URL: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300colloquien/friedrich-bestandsaufnahme/pecar_autor <08.07.2010>.
52
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 347.
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Erfolg, in ihr liegt seine militärische Größe."53
<21>
Friedrichs Versuche, schnelle Entscheidungen durch Schlachten herbeizuführen, haben dabei die
Militärgeschichtsschreibung seit dem 18. Jahrhundert immer wieder irritiert und zu widerstreitenden
Interpretationen Anlass gegeben, die am Ende des 19. Jahrhunderts prominent im sogenannten
"Strategiestreit" kulminierten. Ausgehend von den Thesen Theodor von Bernhardis entwickelte sich
eine erbitterte Kontroverse zwischen den Mitarbeitern des preußischen Großen Generalstabs und
dem Historiker Hans Delbrück über die Frage, ob Friedrich wie später Napoleon die Entscheidung
allein in der Schlacht gesucht habe oder ob er ebenso dem zeitgenössischen System der
Manöverstrategie verpflichtet gewesen sei, das auf eine Ermattung des Gegners abgezielt habe. 54 Für
unseren Zusammenhang relevant ist hier lediglich, dass Delbrücks Position offenbar als Relativierung
von Friedrichs militärischer Größe gewertet wurde, welche ein zentrales ideologisches Referenzobjekt
militärpolitischer Diskurse des Kaiserreichs bildete, was den ungemein aggressiven Ton der Debatte
erklärt. Wie Theodor Schieder es formulierte, war es jedoch nicht Delbrücks Absicht, Friedrichs II.
"Größe herabzusetzen", vielmehr habe er ihn "aus einer mythischen zu einer realhistorischen Gestalt"
machen wollen.55
<22>
Doch jenseits der Zwangsalternative von Niederwerfungs- oder Ermattungsstrategie während des
Siebenjährigen Krieges sind auch Beginn und Ende dieses Konflikts von eher ungewohnten
Vorgehensweisen geprägt. Der Einmarsch in Sachsen als inszenierter Präventivkrieg gegen eine
Übermacht von Gegnern, wie auch das Nicht-Einlenken-Wollen des Preußenkönigs nach mehreren
Jahren erschöpfender Kriegführung entsprachen nicht unbedingt den zeitgenössischen
Gewohnheiten. Letzteres wurde von Johannes Burckhardt in jüngerer Zeit als
"Spielverderberverhalten" gekennzeichnet.56 Entgegen den Gepflogenheiten gab Friedrich II. einfach
nicht auf, blieb im Feld und suchte immer wieder die Konfrontation, obwohl die Ressourcen so gut wie
erschöpft waren. Idealtypisch wird das in der Einigelung im Lager von Bunzelwitz 1761 deutlich. Das
von der älteren borussischen Historiographie als eiserner Durchhaltewillen gerühmte Verhalten wurde
schließlich zu einem weiteren Bestandteil des Narrativs seiner militärischen Größe. So heißt es etwa
in der weit verbreiteten Geschichte Friedrichs des Großen von Franz Kugler, dass sich hier "sein
Feldherrntalent in der seltensten Größe darstellte." 57 Und noch Schieder stellte in leicht abgewandelter
53
Curt Jany: Der Siebenjährige Krieg. Ein Schlusswort zum Generalstabswerk, in: Forschungen zur
Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 35 (1923), 161-192, hier:168.
54
Vgl. Sven Lange: Hans Delbrück und der "Strategiestreit". Kriegführung und Kriegsgeschichte in der
Kontroverse 1879-1914, Freiburg i. Br. 1995.
55
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 353.
56
Johannes Burkhardt: Vollendung und Neuorientierung des frühmodernen Reiches 1648-1763 (= Gebhardt
Handbuch der deutschen Geschichte 11), Stuttgart 2006, 433f.
57
Franz Kugler: Geschichte Friedrichs des Großen, Leipzig 1856 (Neudruck Dortmund 1977), 395.
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Form fest, dass die "Improvisation in einer fast hoffnungslos erscheinenden Lage" Friedrich "wirkliche
Größe" verlieh.58
Umstrittene Größe. Der Feldherr der Widersprüche in der Diskussion
<23>
Obgleich Friedrichs militärische Erfolge konstitutiv für seine "Größe" wurden, blieben sie nie
unumstritten. Bereits Jacob Burckhardt hatte militärische Erfolge als besonders wirkmächtig zur
Etablierung historischer Größe beschrieben: "Unverhältnismäßig blendend ist vor allem die Wirkung
der Kriegstaten, welche unmittelbar auf das Schicksal Unzähliger einwirken und dann wieder mittelbar
durch Begründung neuer Verhältnisse des Daseins, vielleicht auf lange Zeiten. Das Kriterium der
Größe ist hier letzteres; denn bloß militärischer Ruhm verblasst mit der Zeit zu bloßer fachhistorischer,
kriegsgeschichtlicher Anerkennung. Aber diese dauernden neuen Verhältnisse dürfen nicht bloß
Machtverschiebungen sein, sondern es muß ihnen eine große Erneuerung des nationalen Lebens
entsprechen. Ist dies der Fall, so wird die Nachwelt dem Urheber unfehlbar und mit Recht eine mehr
oder weniger bewusste Absicht bei jenen Taten und daher Größe zuschreiben." 59 Damit spricht
Burckhardt auch einen der wesentlichen Pfeiler des Friedrichkultes an.
<24>
In der Tat handelte es sich allerdings in den Kriegen des 18. Jahrhunderts eher um eine
"Machtverschiebung" bzw. Machtkonsolidierung zugunsten Preußens. In Historiographie und
Geschichtskultur des 19. und 20. Jahrhunderts wurde daraus jedoch wesentlich mehr.60 Friedrich
schien eine kleindeutsche Lösung vorwegzunehmen und den deutschen Nationalstaat zu begründen.
Um 1800 zunächst noch zum Teil recht kritisch gewürdigt, mehrten sich daher in der wilhelminischen
Zeit die Stimmen, die Friedrichs Größe rühmten, unaufhörlich. 61 Von den Biographien von Thomas
Carlyle und Reinhold Koser und der ikonographischen Popularisierung von Daniel Chodowiecki über
Adolph von Menzel bis hin zu Carl Röchling ist die Geschichtskultur vom späten 18. bis zum frühen
20. Jahrhundert vom Mythos Friedrich durchdrungen.62 Für Carlyle etwa war "Friedrichs Leben […] ein
58
Schieder: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 360.
59
Burckhardt: Individuum (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 287.
60
Zur Rezeption und Instrumentalisierung Friedrichs vgl. Gustav-Adolf Caspar: Die Nachwirkungen Friedrichs des
Großen im preußischen und deutschen Heer, in: Friedrich der Große und das Militärwesen (wie Anm. Fehler:
Referenz nicht gefunden), 176-192; Manfred Messerschmidt: Nachwirkungen Friedrichs II. in PreußenDeutschland, in: Kroener: Europa (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 269-288, wieder abgedruckt unter
dem Titel Das friderizianische Exempel, in: ders.: Militarismus – Vernichtungskrieg – Geschichtspolitik. Zur
deutschen Militär- und Rechtsgeschichte, Paderborn u.a. 2006, 23-42; Bernhard R. Kroener: "Den Krieg lernen".
Die Feldzüge Friedrichs des Großen in der amtlichen Geschichtsschreibung des Kaiserreiches, in: Jürgen
Kloosterhuis (Hg.): Archivarbeit für Preußen (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz,
Arbeitsberichte 2), Berlin 2000, 303-313.
61
Vgl. Peter Michael Hahn: Friedrich der Große und die deutsche Nation. Geschichte als politisches Argument,
Stuttgart 2007, 45-78.
62
Thomas Carlyle: Geschichte Friedrichs II. von Preußen genannt Friedrich der Grosse. Deutsch von J. Neuberg
(Bd. 6: fortgesetzt von Friedrich Althaus), 6 Bde., Berlin 1858-1869; Reinhold Koser: Geschichte Friedrichs des
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Kriegsleben. Das Hauptandenken, das von ihm bleiben wird, ist das eines Königs und Menschen, der
ein vollendeter Kriegsheld war".63 "An Friedrichs Größe hat der Soldatismus den meisten Anteil" heißt
es zur gleichen Zeit bei preußischen Militärhistorikern.64 Ihren vorläufigen Endpunkt fand die
ideologische Instrumentalisierung friderizianischer militärischer Größe schließlich in der Zeit des
Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs.65 So heißt es 1941 in einer Darstellung der Kriege
Friedrichs: "Möge das Buch zeigen, dass auch der größten Übermacht gegenüber ein genialer Führer
den Sieg zu erringen weiß, dass nur durch Kampf Großes erreicht werden kann und dass für
Deutsche wo ein Wille, da auch ein Weg ist."66 Die NS-Propaganda konnte dabei auf ein bereits lange
etabliertes nationalistisch-militaristisches Friedrich-Bild zurückgreifen, das publizistisch erst während
des Krieges stärker mit genuinen Formeln nationalsozialistischer Ideologie überformt wurde. Zentrales
Medium hierfür waren die beim Publikum ungemein erfolgreichen Friedrich-Filme, wie etwa Veit
Harlans "Der große König" (1942).67
<25>
Auch nach dem Krieg sind sich so unterschiedliche Autoren wie Gerhard Ritter und Rudolf Augstein
einig, dass Friedrichs Kriegskunst einer der wesentlichen Schlüssel zum Verständnis seiner
Persönlichkeit und seines Ruhmes sei. Ritter schreibt 1953 in der Neuauflage seines Friedrich-Buches
von 1936: "Die Persönlichkeit und historische Bedeutung König Friedrichs wird erst dann vor unseren
Augen wirklich lebendig, wenn wir seine persönliche Leistung als Heerführer und das Wesen seiner
Kriegführung verstanden haben."68 Und Rudolf Augstein hat die Bedeutung der Schlachten für den
Mythos Friedrichs des Großen 1968 wie folgt auf den Punkt gebracht: "Ohne Hohenfriedberg, ohne
Soor, ohne Leuthen, ohne die Eroberung und Behauptung Schlesiens wäre Friedrich nicht Friedrich,
sondern irgendein bemerkenswerter Monarch des 18. Jahrhunderts. Nicht sein geistreicher Zynismus,
nicht seine ambitionierte Schriftstellerei, nicht seine Justizreform haben ihn zum 'ersten Mann des
Großen, 4 Bde., 1893-1903 (Neudruck Darmstadt 1963); aus der Vielzahl der Untersuchungen vgl. nur Eckhart
Hellmuth: Die "Wiedergeburt" Friedrichs des Großen und der "Tod fürs Vaterland". Zum patriotischen
Selbstverständnis in Preußen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Aufklärung 10/2 (1998), 23-54.
63
Carlyle: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), IV, 201.
64
Adolf Friedrich Johann von Crousaz: Die Organisationen des Brandenburgischen und Preußischen Heeres von
1640 bis 1865 [...], Anclam 1865, 49.
65
Vgl. etwa Friedrich Bremer: Von Friedrich dem Großen zum friderizianischen Deutschland Adolf Hitlers, Berlin
1943; zur Instrumentalisierung Friedrichs im NS vgl. Heiko Luckey: Personifizierte Ideologie. Zur Konstruktion,
Funktion und Rezeption von Identifikationsfiguren im Nationalsozialismus und im Stalinismus, Göttingen 2008,
139-203; Hahn: Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 115-131; Konrad Barthel: Friedrich der
Große in Hitlers Geschichtsbild, Wiesbaden 1977.
66
Wilhelm Wolfslast: Die Kriege Friedrichs des Großen (= Geschichtsfibeln für Wehrmacht und Volk), Stuttgart
1941, 8.
67
Vgl. Hans Edwin Friedrich: "Es lebe unser Fritze!". Die Instrumentalisierung Friedrichs II. im Preußenfilm der
dreißiger und vierziger Jahre, in: Das achtzehnte Jahrhundert 27/1 (2003), 22-42. Vgl. dazu auch den Beitrag von
Andreas Kilb in dieser Ausgabe.
68
Gerhard Ritter: Friedrich der Grosse, 3. Aufl., Königstein/Taunus 1978, 158; dazu auch Hahn: Friedrich (wie
Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 122ff. u. 152ff.; Luckey: Personifizierte Ideologie (wie Anm. Fehler:
Referenz nicht gefunden), 166f.
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Jahrhunderts' gemacht, wie Treitschke ihn in lässlicher Übertreibung genannt hat […], sondern seine
Schlachten um Schlesien, davon zwölf mehr oder weniger Siege und drei ausgemachte
Niederlagen."69 Die Tatsache, dass die Etikettierung als "der Große" sich wesentlich militärischen
Erfolgen verdankt, hat dabei immer wieder Anlass gegeben, die "wahre Größe" im zivilen Maßstab zu
retten. Karl Otmar von Aretin etwa spekuliert, dass, hätte "er [Friedrich, M.F.] während seiner
Regierung den König des 'Antimachiavell' verkörpert", ihn sein "Rendez-vous des Ruhmes" nicht auf
"die Schlachtfelder Schlesiens und Böhmens, sondern unter die Heroen der Menschheit geführt
[hätte], denen die wahre Größe beschieden ist. Die Welt, die Schlachtenruhm und Tapferkeit über
Gebühr bewunderte, hätte ihm zwar wahrscheinlich nicht den Beinamen 'der Große' verliehen, aber er
wäre der wahre Große der europäischen Geschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
gewesen."70
<26>
Stellvertretend für den Umgang mit Friedrichs militärischem Erbe in der Bundesrepublik kann eine
Textstelle aus einem Sonder-Beiheft Friedrich der Große der „Information für die Truppe“ im
Jubiläumsjahr 1986 gelten.71 Dort heißt es "Die bleibende Größe von Friedrichs Werk ist nur zum Teil
in seiner militärischen Theorie und Praxis zu sehen." 72 Obwohl man Leuthen als militärtheoretischem
Lehrstück einen eigenen Beitrag widmet, bewegt man sich insgesamt doch in einer gewissen Distanz
zur militärischen Größe. Eine positive Würdigung hat das "preußische Paradigma" in jüngerer Zeit
durch Karl Heinz Bohrer erfahren, der eine Linie von Friedrichs Schlachten bis zum 20. Juli zieht und
damit auch eine der zentralen Traditionslinien der Bundeswehr berührt. 73
69
Rudolf Augstein: Preussens Friedrich und die Deutschen, Nördlingen 1986 [zuerst Frankfurt a. M. 1968], 293.
70
Karl Otmar von Aretin: Friedrich der Grosse. Größe und Grenzen des Preußenkönigs, Freiburg i. Br. 1985, 152.
Zur Tendenz, die "Größe" von ihrem militärischen Kern zu befreien vgl. auch Michael Salewski: "Meine Wiege war
von Waffen umgeben". Friedrich der Große und der Krieg, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte
56/1 (2004), 1-17: hier 6f.
71
Zum Friedrich-Bild in der Bundesrepublik vgl. Hans Dollinger: Friedrich II. von Preußen. Sein Bild im Wandel
von zwei Jahrhunderten, München 1986, 193-216; Heinz Duchhardt: Friedrich der Große und der preußische
Absolutismus. Positionen der 'bürgerlichen' Geschichtsschreibung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in:
Paul Leidinger / Dieter Metzler (Hg.): Geschichte und Geschichtsbewusstsein. Festschrift Karl-Ernst Jeisman zum
65. Geburtstag, Münster 1990, 252-268; Jürgen Angelow: Kontexte ungleicher Deutung. Zur Rezeption Friedrichs
II. im geteilten Deutschland, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 56 (2004), 136-151; Hahn:
Friedrich (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 132-188; Marian Füssel: Zwischen lokalem Gedächtnis und
kollektivem Vergessen. Der Siebenjährige Krieg in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland, in:
Jutta Nowosadtko u.a. (Hg.): Frühe Neuzeit und Befreiungskriege in den Erinnerungskulturen von
Nationalsozialismus, DDR und Bundesrepublik 1933-1989, Beihefte zu den Historischen Mitteilungen der RankeGesellschaft, Stuttgart 2011 (im Druck).
72
Gustav-Adolf Caspar: Vorwort, in: Friedrich der Große, Beiheft 4/86 zur Information für die Truppe,
herausgegeben vom Bundesministerium der Verteidigung, 1986, 6-9: hier: 9.
73
Karl Heinz Bohrer: Das verschwundene Paradigma. Friedrich II., Preußen und der 20. Juli, in: Merkur 55/7
(2001), 993-1007. Bemerkenswert ist, dass Bohrer die "historische Größe" hier in eine "kulturelle Norm" verlagert:
"Das preußische Paradigma wiederzuerinnern […] als eine kulturelle Norm, die historische Größe besaß und
unsere Geschichte geprägt hat, gehört zum politisch wie wissenschaftlich diskutierten Projekt, überhaupt
Geschichte zu erinnern."ebd., 1007.
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<27>
Die neuere angloamerikanische Forschung findet dann zum Teil deutliche Worte für die vermeintliche
"Größe" des Preußenkönigs. Franz A. J. Szabo schreibt jüngst in seiner Darstellung The Seven Years
War in Europe (2008): "In fact, there was very little 'honourable' about Frederick in this war. Vengeful
and ungracious in victory and self-pitying in defeat, he happily took credit for victories for which he was
responsible on others. Frederick lived for his reputation and too many historians seemed to have been
all to ready to oblige him, but those who purport to find 'heroic' qualities in Frederick and who rush to
apostrophise him 'the Great' have capitulated to militarist romanticism. Frederick was an oppurtunist
and risk taker dressed in the veneer of an intellectual, but at the root he was a heartless killer and
mean-spirited and callous man who was careless of human lives." 74 In ihrer ebenfalls 2008
erschienenen Studie The Seven Years War. A transatlantic history kommen Matt Schumann und Karl
Schweizer zu einem etwas vorsichtigeren Fazit: "He perhaps merits the title of greatness, not merely
for brilliant victories in the field but also for inserting himself into every major facet of the war, whether
by choice or by necessity."75 Damit zeigt sich, dass auch die jüngste Forschung sich immer wieder
dazu herausgefordert sieht, im militärhistorischen Kontext zu Friedrichs Kennzeichnung als "Groß"
Position zu beziehen, dies jedoch inzwischen zum Teil wesentlich distanzierter geschieht als in der
deutschen Tradition lange üblich. Abschließend möchte ich das Gesagte in einigen
zusammenfassenden Thesen bündeln:
<28>
1. Militärische Größe als historisches Zuschreibungsphänomen: Militärische Größe kann allein als
subjektive Zuschreibung analysiert werden. In den Blickpunkt treten dann die historischen Prozesse
der Konstruktion von Größe, nicht ein wie auch immer gearteter Essentialismus von Größe an sich.
2. Militärische Größe als relationale Kategorie: Die Zuschreibung militärischer Größe ist relational und
funktioniert in Bezug auf vorherige wie künftige Feldherrngestalten. Indem die militärische Größe
Friedrichs in eine Reihe mit anderen Feldherren gestellt wird, erhält sie sowohl besondere historische
Dignität als auch eine zusätzliche Hervorhebung im Kreis anderer militärischer Größen.
3. Militärische Größe als Legitimationsgrundlage: Die militärische Größe Friedrichs II. wurde zu einem
ideologischen Reservoir zur Legitimation militär-politischer Doktrinen. Zuschreibungen von Größe sind
daher nicht an Historisierung, sondern an überzeitlichem Vorbildcharakter interessiert. Im
sogenannten Strategiestreit zwischen Hans Delbrück und dem Großen Generalstab wurden die
impliziten Regeln dieser Aneignung besonders deutlich. Hier ging es nicht allein um eine
fachwissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern ebenso um geschichtspolitische
Deutungskonkurrenzen.
4. Friedrichs II. militärische Größe als Summe seiner Eigenschaften als roi connétable: Politische und
militärische Führung liegen in einer Hand und ermöglichen daher "große" Entscheidungen, der König
kämpft selber und wird damit zum soldatennahen Helden; schließlich lässt ihn sein individuelles Genie
74
Franz A. J. Szabo: The Seven Years War in Europe 1756-1763, Harlow u.a. 2008, 427.
75
Matt Schumann / Karl W. Schweizer: The Seven Years War: a transatlantic history, London [u.a.] 2008, 228.
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die Konventionen seiner Zeit transzendieren.76 Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende
ideologische Topoi der militärischen Größe:
5. Militärische Größe als individueller Genius: Im Geschichtsbild des späten 18. und des 19.
Jahrhunderts wurde Größe zum Ausdruck individueller Genialität und Einzigartigkeit. Strukturelle
Rahmenbedingungen traten allenfalls als Hindernisse militärischer Erfolge in den Blick, nicht als deren
Möglichkeitsbedingungen.
6. Militärische Größe als Bewährung in Extremsituationen: Die bereits in jungen Jahren selbst
gesuchte und früh erworbene Zuschreibung militärischen Ruhmes verdichtet sich in den
Bewährungsproben des Siebenjährigen Krieges. Nicht mehr der Wagemut des jungen Königs
generiert hier das Prestige, sondern die Nichtaufgabe angesichts einer formal aussichtslosen
Situation.
7. Militärische Größe als Möglichkeit zur Regelüberschreitung: Friedrichs II. militärische Größe speist
sich zu weiten Teilen aus einem kreativen Umgang mit den militärischen Spielregeln seiner Zeit.
8. So vielfältig die Konnotationen und Indienstnahmen des Epithetons, so leer bleibt der Begriff der
militärischen Größe ohne die historischen Kontexte seiner Nutzung, sein Bedeutungsgehalt bleibt
somit stets im Fluss. Es steht allerdings zu hoffen, dass die Verwendung des Begriffs künftig auch
selbst Geschichte bleibt.
Autor:
Prof. Dr. Marian Füssel
Universität Göttingen
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte
Platz der Göttinger Sieben 5
37073 Göttingen
[email protected]
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Karl Heinz Bohrer hat Friedrichs "Verkörperung der Ausnahme" als Kern eines preußischen "Paradigmas"
beschrieben, vgl. Bohrer: Das verschwundene Paradigma (wie Anm. Fehler: Referenz nicht gefunden), 996.
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