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WOCHENENDE
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(Fornausgnbo Nr. Ofl)
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Fußball In Mexiko Ist wie In den melaten lateinamerikanischen Ländern sowohl eine Leidenschaft wie eine blühende Industrie. Das Aztekenstadion und drei mexikanische Spitzenmannschaften gehören der mexikanischen
fernsehgesellschaft Teleslstema.
Mexikos
Aztekenstadion
Die Arena der Superlative
Bildbericht von Pia und Gerardo Zanetti
Es war am 29. Mai 1966. Mexikos Staatspräsident Gustavo Dia«
Ordaz, kamerascheu und ernst wie immer, lief in die Mitte des
Feldes, holte weit aus und schlug den weißen Ball über den Rasen.
Der präsidiale Anstoß beendigte die Einweihungsfeier für das, was
seither die Mexikaner mit Stolz erfüllte das Aztekenstadion am
Rand von Mexico City. 100000 Zuschauer brachen in Jubel aus
und feierten den ersten Fußballmatch in ihrem neuen Stadion. Im
Hintergrund ragten Mexikos schneebedeckte Bergriesen Ixtaccihuatl und Popocatepetl majestätisch in die Höhe und lieferten dem
Fest eine würdige Kulisse.
Das Stadion trägt den stolzen Namen Jenes stolzen Volkes, das
bei der Ankunft der spanischen Konquistadoren diese Gegend
Mexico City hieO damals Tenochtitlan
bewohnten und regierten.
Das aber ist nicht der einzige Grund zum Stolz. Denn dieses
Stadion zählt zu den fünf größten der Welt und darf in Anspruch
nehmen, das Eleganteste und Modernste zu sein, was an Sport»
architektur In neuerer Zeit gebaut worden ist.
Die beiden Architekten Pedro Ramirez Vasquez und Rafael
Mijares haben sich alles Erdenkliche einfallen lassen, um aus
dieser Arena ein architektonisches und funktionelles Prunkstück
der mexikanischen Metropole zu machen. Im Oktober dieses Jahres
werden hier an den Olympischen Spielen die internationalen
Fußballmannschaften ihren Wettstreit austragen, und sowohl
Spieler wie Zuschauer werden in den GenuB dessen kommen, was
dieses spektakuläre! Stück Architektur ausmacht.
Die Spieler zum ersten werden auf einem Rasen antreten, der
aus fünf verschiedenen Gräsern komponiert ist und alle zwei
Tage geschnitten und gedüngt wird. Eine dem Stadion angeglie-'
derte Gärtnerei züchtet auf 3000 m* Fläche Ersatzrasen, mit
dem jederzeit schadhafte Stellen ausgebessert werden können.
Ein raffiniertes Abflußsystem sorgt dafür, daß bei Regenwetter der
hinterste Tropfen in Minutenschnelle versickert und abfließt Und
so, wie für die Spieler nur das Beste gut genug ist, so ist es auch
für die Zuschauer. Ein elegantes Dach garantiert einem Großteil
von ihnen ein trockenes Haupt. Vier breite Zufahrtsrampen und
eine große Anzahl von Parkplätzen und Eingängen ermöglichen
einen flüssigen Verkehr. Man hat ausgerechnet, daß bei Bedarf
Mcxlco-Clly ebenso aus wie die modernen Einrichtungen det Alena, ah da
Architektonische Eleganz und Kühnheit telehnel da» Aztekenstadion In
lind: Ptlvallogen, Kapelle, Bai», UnieiwaisenUahlmassage.
alle 100000 Zuschauer das Stadion in 18 Minuten räumen können.
Begüterte Mexikaner gelangen zudem in den Genuß einer Kommodität, die für Fußballstadien wohl einmalig sein dürfte. Wer genug
Geld hat, kann für einen Betrag zwischen 100000 und 250000
Pesos (40000 bis 100000 Franken) auf Lebenszeit im Stadion eine
Privatloge, beinahe schon ein Logis, mieten, die er selber mit
allem einrichten darf, was er sich zu einem Fußballspiel wünschen
mag. Zum Beispiel ein Badezimmer
die Toilette ist bereits vor»
handen
, eine Bar, Telephon und Fernsehen. Televisipn soll in
Privatlogen
den
besonders behebt sein, denn es ermöglicht den
glücklichen Besitzern, ein andere
Spiel zu sehen, wenn jenes im
s
Stadion zu langwellig ist. Nach dem Match ist es für diese Privilegierten kein Problem, zu ihren Autos zu gelangen. Sie stehen
gleich vor der Tür auf dem privaten und bewachten Parkplatz,
der im Preis inbegriffen Ist. Wer während des Spiels ein besonders
wirksames Stoßgebet für seine Mannschaft hinaufschicken möchte,
kann dies in der Kapelle des Stadions besorgen. Für Trainer,
Presse und Organisatoren steht eine ganze Suite von Büros, eine
feudale Bar und ein Fernsehraum zur Verfügung) und verkrampfte
Neue Zürcher Zeitung vom 07.04.1968
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Sonntag, 7. April 1D68
Nr. £18
WOCHENENDE
(IVnmusgnboNr. 06)
Statt
Mt^aMm
Mexiko» FuBballei spielen im Aztekenstadion auf einem Rasen, der sich aus lünl verschiedenen Giüscisorlen lUsammcMCtxl, Ein AbiluBayslem gatanlletl, daß Regen in kürzester Zelt versickert und abllieUl.
Fußballstars können sich In dnr Pause eine richtige Unterwasserstrdhlmassagc applizieren lassen.
Die ganze Anlage und die Gewinne, die sie abwirft, gehören
dem mexikanischen Fernsehen. Da eine moderne und kostspielige
Arena wie das Aztekenstadion auch möglichst tg u genützt werden
muß, besitzt das mexikanische Fernsehen dazu noch drei erstklassige Profimannschaften, die seit Jahr und Tag in der oberen
Hälfte rd e Spitzenklubs figurieren und Jede Menge Freundschaftsspiele in ihrem Stadion zum besten geben, um die Arena zu füllen.
Viele Zuschauer sind Aktionäre der Klubs und verpassen kaum
ein Spiel.
Die Finanzierung der Anlage und rd e Fußballklubs wird zu
einem Teil aus den Zuschauereinnahmen, zu einem viel größeren
Teil aber aus der Fernsehreklame bestritten. Die UeberUtigungen
sind bis zum
und jedes Spiel wird ganz und «live» gesendet
'
Ucberdruß mit Getränkcreklame vollgepfropft.
«Sanchez, wundervoll, knallt das Leder in Direktabnahme zu
und vergessen Sie nicht, Moctezuma, das
Linksaußen Rodriguez
Rodriguez zu Pepe Martinez und
Bier, das auch Ihnen bekommt
outl Welch ein Jammer! Coca Cola erfrischt auch Sie.» So ungefähr gelangen die mexikanischen Fernseher in den Genuß ihres
Lieblingssportes, Die amerikanischen Fernsehstationen, die eine
Beethoven-Sinfonie zwar oft, aber immerhin höflich unterbrechen,
bevor eine freundliche Stimme Hundefutter anpreist, könnten in
Mexiko noch einiges dazulernen. In der Pause, wenn die Stadion-
besucher einem Juniorenspiel oder einem berühmten Fußballakrobaten zusehen, diskutieren am Fernsehen Fachkräfte erster
Qualität das Spiel und vergessen nicht, dabei das richtige Bier
zu trinken und genießerisch zu schmatzen. Dieser offensichtliche
Reklameterror scheint den Mexikanern keinen großen Eindruck
zu machen, denn auf der andern Seite hat er zur Folge, daß sie
viel und ausgezeichneten Fußball sehen i drei- bis viermal pro
Woche und in einem prachtvollen Stadion.
fußball
M in
Mexiko e i n ernste Sache.
Eine
Stadtpolizei steht wahrend
de« ganzen Spiels einsatzbereit und diskret vor der Arena. Bei Alarm dringen diese Spezialisten Ins Stadion und
Aeben alllälllge Unruheherde unverzüglich aus, wenn nötig mit HUI» von Tränengas.
Die Zugangsrampen und Eingänge sind so angelegt und verteilt, daß das voll besetzte Stadion (100 000 Zuschauer) In
Neue Zürcher Zeitung vom 07.04.1968
18
Minuten geräumt werden kann