Halloween und die kritischen Geister

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Halloween und die kritischen Geister
Halloween und die kritischen Geister
Alle Jahre wieder steht Halloween vor der Tür – 2008 fiel es sogar auf einen Schultag – und eine
tatsächlich alle überzeugende Art und Weise, wie mit diesem Phänomen umzugehen ist, scheint
nicht wirklich in Sicht.
Eine strikte Ablehnung von allem, was mit Halloween zu tun hat, wird zwar von einigen gefordert
und praktiziert (in Ausnahmefällen werden auch schon mal Kinder unter Androhung von Gewalt
vom Grundstück verjagt), erscheint aber für den Schulalltag weder akzeptabel noch durchführbar.
Auch ein Ignorieren oder unkritisches Mitmachen ist wohl kaum wünschenswert. Sachinformationen und kritischer Umgang scheinen dagegen die beste Alternative zu sein. Gute und auch
humorvolle Anregungen dazu finden sich z.B. auf den Seiten www.reformationstag.de (verantwortlich: EKD) oder www.lutherbonbon.de (verantwortlich: Nordelbische Landeskirche). Das 2008
erschienene Schulbuch Ortswechsel 6 gibt kurz und knapp wesentliche Hintergrundinformationen
(S.126) und eine Anregung für ein Rollenspiel dazu (S.127).
In eine ähnliche Richtung zielt auch dieser schlichte Baustein für etwa eine Unterrichtsstunde: In
einer kurzen Geschichte unterhalten sich vier etwa 12-Jährige darüber, was für oder gegen eine Halloween-Party spricht und tauschen dabei eine Reihe von Argumenten aus. Die optische Aufmachung der Geschichte ist einfach und kopierfreundlich gehalten; die Hervorhebung der Namen soll
Lesen mit verteilten Rollen vereinfachen. Das Schulbuch, auf das angespielt wird, ist Ortswechsel 6
(S.164). Die Frage am Schluss leitet zum Klassengespräch über (z.B. in Partner- oder Gruppenarbeit) – in dem hoffentlich auch die kritischen Geister unter den Schülerinnen und Schülern geweckt
und zum Nachdenken angeregt werden, wenn sie versuchen, im Text Argumente zu finden.
Eine daraus entstehende Tafelanschrift könnte beispielsweise folgendermaßen aussehen:
Anschließen könnten sich dann z.B. der Auftrag, einen Brief an Lisas Mutter aufzusetzen oder eine
Absprache darüber, wie denn eine Halloween-Party aussehen könnte, gegen die auch Lisas Mutter
nichts mehr einzuwenden hat.
Rainer Seifferth
„Ich kann nicht!“
„Wie – Du kannst nicht? – Was soll das denn bedeuten?“, wollte Anna wissen.
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„Ich kann nicht zu eurer Halloween-Party kommen.“ Die anderen merkten es Lisa an: Sie kämpfte
mit den Tränen. „Meine Mutter ist dagegen.“
Bastian schaute sie völlig verwundert an und
schüttelte den Kopf. „Das versteh’ ich nicht. Du
warst doch auch sonst schon öfter bei Anna. Erst
letzten Monat haben wir ihren 12. Geburtstag gefeiert. Da warst du doch auch da. Du hast sogar übernachten dürfen. Und jetzt haben wir sogar Ferien
und ...“
„Aber darum geht es doch gar nicht.“ Lisa hatte
sich wieder etwas gefangen und erklärte: „Meine
Mutter meint, Halloween ist ein heidnisches Fest,
bei dem es um Hexen, Geister und Gespenster geht.
Sie sagt, Christen machen bei so etwas nicht mit.“
„Ist sie in einer Sekte oder sowas?“, wollte Tim
wissen. „Ich habe nämlich gehört, es gibt Sekten,
die verbieten Geburtstagsfeiern und so weiter.“
„Natürlich nicht!“, fiel ihm Lisa ins Wort. „Aber
in der Bibel steht doch, dass man sich von Geistern
und Hexen fernhalten soll – sagt jedenfalls meine
Mutter – und da passt es halt nicht dazu, dass man
sich für Halloween Gruselkostüme kauft und damit
von Haus zu Haus zieht. Halloween ist eben kein
christliches Fest. Und meine Mutter nimmt so etwas
eben ziemlich ernst.“
„Wenn ich das schon höre! »Kein christliches
Fest!«“ Bastian hatte jetzt seinen Streber-Tonfall
drauf, den eigentlich keiner mochte – aber meistens
stimmte es schon, was er sagte, und abgesehen
davon war er ja ganz nett. „Muttertag oder Geburtstag sind auch keine christlichen Feste. Habt ihr
schon gewusst, dass das Wort »Weihnachten« von
den alten Germanen kommt und ihren »geweihten
Nächten« um das Fest der Wintersonnenwende?
Und im Religionsbuch steht sogar (die anderen
stöhnten leise auf), dass man sich für Weihnachten
absichtlich den Termin herausgesucht hat, an dem
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früher ein römischer Sonnengott verehrt wurde.
Und das Osterei war auch nicht schon immer ein
christliches Symbol, und trotzdem siehst du Ostereier massenweise in jeder Kirche oder am Osterbrunnen davor. Und ...“
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„Danke Bastian, es reicht!“, riefen Tim, Anna und
Lisa wie aus einem Mund.
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„Schon gut.“ Bastian wurde kleinlaut. „Ich wollte
nur sagen: Wenn die Kirche alles abschaffen wollte,
was früher einmal heidnisch war oder so, dann
würde nicht mehr viel übrig bleiben.“
„Bei Halloween geht’s nicht nur darum, glaube
ich.“ Anna hatte etwas Verständnis für Lisas Probleme. „Mein Opa ist ganz bestimmt nicht der
frommste Kirchgänger. Aber er schimpft auch über
diesen »neumodischen Unsinn« - so nennt er das
immer. Er kommt aus Oberfranken und sagt, ihn
erinnert Halloween ein bisschen ans »NeujahrWünschen«, als er noch jung war. Da gingen die
Kinder, die noch nicht konfirmiert hatten, am 1.
Januar vor 12 Uhr Mittags von Haus zu Haus - zu
Nachbarn, Freunden und Verwandten und wünschten ein gesundes Neues Jahr. Und dafür bekamen
sie dann entweder Süßigkeiten oder Geld.“
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„Naja.“ Anna lenkte etwas ein. „Es ist schon eher
ein aussterbender Brauch. Ich weiß auch nicht, ob
jeder froh und glücklich ist, wenn’s am 1. Januar um
halb elf an der Tür klingelt. Aber mein Opa ist felsenfest davon überzeugt, dass das viel besser ist als
Halloween. Zum Neujahr-Wünschen muss man sich
keine Horrormasken kaufen, sich nicht unheimlich
schminken oder gruselig verkleiden. Meinem Opa
gefällt der ganze Rummel in den Geschäften überhaupt nicht. Und außerdem wünschen die Kinder
Lisa war etwas nachdenklich geworden: „Das
weißt du – und dir glaub ich das ja auch. Aber erinnerst du dich noch, was letztes Jahr in unserer Straße alles los war? Da sind Blumenbeete zertrampelt
worden, und Hauswände und Autos waren am Tag
danach mit Sprühfarbe beschmiert. Woher sollen
denn die Leute wissen, ob du es nicht doch ernst
meinst mit deinem »Süßes oder Saures!« ?“
Bastian versuchte, Lisa zu beschwichtigen: „Die
kennen mich doch!“
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„Trotzdem!“, verteidigte sich Bastian: „So
schlimm ist das doch nun wirklich nicht – und die
anderen machen’s ja auch alle!“
„Wird das den Leuten denn nicht zu dumm?“ Tim
konnte es immer noch nicht so recht glauben.
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„Jetzt mach’ mal Halblang!“, protestierte Bastian.
„Wir erpressen doch niemanden! Das mit dem »Süßes, sonst gibt’s Saures« meinen wir doch gar nicht
so. Das sagt man halt einfach so zum Spaß.“
Anna musste beinahe lachen: „Als ob dich hinter
deiner Totenkopfmaske jemand erkennen könnte,
wenn’s draußen dunkel ist! Und du gehst ja nicht
nur zu Freunden und Verwandten wie mein Opa
früher am 1. Januar. Gerade du klingelst ja auch bei
wildfremden Menschen und freust dich sogar noch,
wenn jemand erschrickt.“
„Einfach so?“, wollte Tim wissen.
„Einfach so!“ Anna nickte. „Und ein paar von
meinen Cousins machen das heute noch so.“
den Erwachsenen am
Neujahrstag etwas Gutes
und versuchen nicht, sie zu erpressen.“
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„Kann schon sein.“ Anna versuchte, das Thema
abzuschließen; neue Erkenntnisse waren nicht in
Sicht. Ihr ging es vor allem darum, dass sie eine
Party feiern wollte, bei der alle Spaß hatten – und
dass ihre beste Freundin Lisa auch mit dabei sein
konnte.
„Aber das ist ja wohl ein Null-Argument, dieses
»Die andern machen’s auch!« Damit kannst du doch
keinen überzeugen. Ich finde, wir sollten uns jetzt
ernsthaft Gedanken machen, wie wir Lisas Eltern
doch dazu bringen können, dass sie mit uns mitfeiern kann. Fällt euch dazu etwas ein?“