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78 März 2015 Informationsdienst Tourismus und Entwicklung Land und Leute verstehen: 40 Jahre Sympathiemagazine17 ITB Berlin 2015 Internationale Tourismusbörse (ITB) Berlin 4 Geschäftsreisen nachhaltiger gestalten Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen 18 Mehr biologische Vielfalt in Nachhaltigkeitszertifizierungen18 Schatten im Sonnenparadies Tourismus und Menschenrechte in Sri Lanka 6 „WissensWerte“-Kurzfilm Tourismus und Nachhaltigkeit18 Menschenrechtliche Sorgfalt in Post-KonfliktGebieten 8 Literatur und Materialien Myanmars schwierige Reise hin zu einem nachhaltigen Qualitätstourismus 9 Kinderhandel für Waisenhaus-Tourismus in Nepal19 Wo einst ein Fischerdorf war - ‘Entwicklung’ in Tamil Nadu zehn Jahre nach dem Tsunami 11 Weder Löwenbabys noch Waisenkinder „Wegweiser Freiwilligenarbeit im Ausland“ Menschenrechtliche Sorgfalt in der Reisebranche - Drei Fragen an Norbert Fiebig, Deutscher Reiseverband (DRV) 13 Menschenrechtsverletzungen im Namen eines falsch verstandenen Naturschutzes „Parks need Peoples“ 20 Freiwilligeneinsätze und Tourismus Tourismus noch nicht „enkeltauglich“ „Internationaler Tourismus“ Klimawandel als Quelle der Kreativität „Streitfall Klimawandel“ Entwicklungsprioritäten verteidigen Auf dem Weg zu ethischem Freiwilligentourismus in Südafrika 14 Urlaub machen und Gutes tun? Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus 16 Kurzinformationen und Hinweise TO DO!-Preise für sozialverantwortlichen Tourismus Sympathiemagazin „Israel verstehen“ Veranstaltungen und Termine Deutscher Evangelischer Kirchentag 3.-7. Juni 2015 in Stuttgart 16 Rekordzahlen bei Flugreisen und Kreuzfahrten 17 19 21 21 22 22 TourismWatch | 78 Vorwort Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, in dieser Ausgabe schauen wir unter anderem nach Sri Lanka, Myanmar und Indien und stellen aktuelle Recherchen aus diesen boomenden Reiseländern vor. Besonderes Augenmerk legen wir auf die Folgen des Tourismus für die Fischer. In südasiatischen Gesellschaften sind sie oft besonders benachteiligt. Ihre Kultur, ihr Lebensstil und ihr gemeinschaftlicher Zusammenhalt sind sehr eng mit ihrem Leben an der Küste verbunden. Verlieren sie den Zugang zum Meer, verlieren sie nicht nur ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage – sie verlieren ihre Identität. Die aktuellen Menschenrechtsberichte machen deutlich, welche Risiken mit einer intensiven touristischen Erschließung verbunden sind. In Myanmar und Sri Lanka konnte der Tourismus quasi von Null anfangen. Auf Grund von Bürgerkrieg bzw. Militärdiktatur haben Investoren und internationale Reiseveranstalter diese Länder gemieden. Nun ist alles anders: Die staatlichen Entwicklungsbehörden, das Militär, regionale Eliten und Großinvestoren entdecken die Gebiete und ihr touristisches Potenzial. Sie nehmen wenig Rücksicht auf weiterhin schwelende Konflikte und traditionelle Siedlungs- und Wirtschaftsansprüche der lokalen Bevölkerung. Wirtschaft und Politik sind in den Ländern eng miteinander verzahnt und ziehen an einem Strang. Das zeigt sich – global gesehen nicht zum ersten Mal – auch im aktuellen Korruptionsskandal in Sri Lanka. Kaum war der Präsident wegen seines autokratischen Führungsstils und tief verwurzelter Korruption vom Volk abgewählt worden, erzitterte auch die Tourismusbehörde unter einem Korruptionsskandal. Es sind diese Verbindungen zwischen Politik, Militär und Tourismus, die von Reiseveranstaltern eine besondere Sorgfalt erfordern, damit sie nicht unbeabsichtigt zu Nutznießern von Menschenrechtsverletzungen werden. Und diese Sorgfalt ist umso dringlicher in Situationen, in denen die Staaten nicht willens oder in der Lage sind, die Bevölkerung zu schützen. Es ist bedauerlich, dass sich Branchenvertreter noch zu oft allein darauf verlassen, dass die Staaten die Menschenrechte schon sicherstellen werden. Sie verschließen damit die Augen vor den Realitäten und den eigenen Möglichkeiten und lassen die Menschen im Stich, die vor Ort den Reisenden das Gefühl geben sollen, im sorgenfreien Urlaub zu sein. Welche Gestaltungschancen bestehen und wie Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht gerecht werden können, dazu tauschen sich NGOs, Reiseveranstalter und Branchenvertreter seit einiger Zeit im „Roundtable Menschenrechte im Tourismus“ aus. Als jüngste Mitglieder konnten die nationalen Tourismusverbände Österreichs und der Schweiz begrüßt werden. In unserem Interview fragten wir Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands, warum sich der DRV so auffallend zurückhält. Wir mussten erfahren, dass der Verband noch ganz am Anfang der Diskussionen steht und er kaum Spielraum sieht, Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch touristische Aktivitäten zu unterstützen. Schade! Umso erfreulicher ist, dass andere bereits vorangehen und anfangen zu diskutieren, was die Analysen aus Sri Lanka, Myanmar und anderen Ländern für Reiseveranstalter bedeuten. Auch auf der ITB! Lesen Sie unsere Veranstaltungstipps auf den folgenden Seiten. Unseren Tourism Watch-Stand mit der Nummer 219 finden Sie wie gewohnt in Halle 4.1 der ITB. Wir freuen uns darauf, einige von Ihnen auf der ITB persönlich bei unseren Veranstaltungen oder am Stand zu treffen. Bis dahin wünschen wir Ihnen eine spannende und aufschlussreiche Lektüre. Mit freundlichen Grüßen Antje Monshausen & Christina Kamp 3 ITB Berlin 2015 78 | TourismWatch Internationale Tourismusbörse (ITB) Berlin 2015 Die ITB Berlin 2015 findet vom 4. bis 8. März statt. Von Mittwoch bis Freitag ist die Messe nur für Fachbesucher geöffnet, am Samstag und Sonntag auch für das allgemeine Publikum. Öffnungszeiten: täglich 10-18 Uhr. Info: www.itb-berlin.de Veranstaltungen von und mit Brot für die Welt – Tourism Watch Sie finden uns am Stand 219 in der Halle 4.1 (eingerahmt von TourCert und ECPAT). Mittwoch, 4. März 2015, 16:00 – 17:00 Uhr in Halle 4.1, große Bühne, „Menschenrechte in der Praxis: Herausforderungen für den Tourismus in menschenrechtlich sensiblen Kontexten“. Viele aufstrebende Tourismusdestinationen litten noch vor kurzer Zeit unter Bürgerkrieg oder Diktatur. Auf Grundlage aktueller Analysen werden menschenrechtliche Risiken in diesen Destinationen identifiziert und Empfehlungen für die Reisebranche diskutiert. Veranstalter der Podiumsdiskussion ist der Roundtable Menschenrechte und Tourismus. Podiumsgäste: Herman Kumara (National Fisheries Solidarity Movement, Sri Lanka), Antje Monshausen (Brot für die Welt – Tourism Watch) und Petra Thomas (Forum anders reisen). Moderation: Michael Windfuhr (Deutsches Institut für Menschenrechte). Im Anschluss steht Herman Kumara zum vertieften Austausch am Stand von Tourism Watch zur Verfügung. Ab 17 Uhr erfolgt die Verleihung des Siegels „CSR Tourism Certified“ durch TourCert an Tourismusunternehmen mit anschließendem Networking Cocktail und Snacks von TourCert und Tourism Watch, mit freundlicher Unterstützung des Forum anders reisen, ab 18 Uhr in Halle 4.1, rund um die große Bühne. Freitag, 6. März 2015, 11:00 - 12:15 Uhr in Halle 4.1, große Bühne, “Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus – Herausforderungen der verantwortungsvollen Gestaltung eines wachsenden Tourismustrends”. Podiumsdiskussion und Vorstellung einer aktuellen Studie über Voluntourismus und seine praktische Umsetzung bei Reiseveranstaltern. Veranstalter sind Tourism Watch und ECPAT Deutschland e.V. Podiumsgäste: Paul Miedema (Calabash Tours, Südafrika), Christine 4 Plüss (Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung, Schweiz), Frank Seidel (wegweiser-freiwilligenarbeit.com), Bep van Sloten (Kinderrechtsexpertin, Niederlande) und Markus Tressel (MdB, Tourismusausschuss). Moderation: Conny Czymoch. Freitag, 6. März 2015, 13:00 – 14:00 Uhr, Halle 7.1c, Saal Paris, Studiosus-Gespräch „Tourismus in Slums: Geschäft mit der Armut oder Hilfe zur Selbsthilfe“, Podiumsgäste: Thulani Madondo (Kliptown Youth Programm), Antje Monshausen (Brot für die Welt - Tourism Watch), Asim Shaikh (Reality Tours Mumbai/India), Dr. Malte Steinbrink (Universität Osnabrück, School of Hospitality and Tourism, University of Johannesburg), Peter Strub (Studiosus Reisen), Moderation: Andreas Stopp (Deutschlandfunk). ECPAT Deutschland e.V. / TheCode.org (Halle 4.1, Stand 220/221) Mittwoch, 4. März 2015, 10:00 – 11:30 Uhr, Halle 4.1, Stand 220/221, „Update zu TheCode, zur EU-Meldeseite und Unterschriftenzeremonie für den Kinderschutzkodex.“ Anschließendes Get-together am Stand. TourCert – Gesellschaft für Zertifizierung im Tourismus (Halle 4.1, Stand 218) Mittwoch, 4. März 2015, 17:00 – 18:00 Uhr, Halle 4.1, große Bühne, „TourCert & Community – Committed to Responsible Tourism“ inklusive der Verleihung des Siegels „CSR Tourism Certified“ durch TourCert an Tourismusunternehmen mit anschließendem Get-together. Studienkreis für Tourismus und Entwicklung (Halle 4.1, Stand 231) Mittwoch, 4. März 2015, 14:30 - 16:00 Uhr, Halle 4.1, große Bühne. 20. Verleihung der TO DO!-Preise für sozialverantwortlichen Tourismus an Projekte aus Costa Rica, Indien und Usbekistan. Im TourismWatch | 78 Anschluss findet ein Empfang in der YIG-Lounge (Stand 102) in Halle 4.1 statt. Das Pressegespräch zum TO DO! findet um 11 Uhr ebenfalls in der YIG-Lounge (Stand 102) in Halle 4.1 statt. ITB Berlin 2015 Freitag, 6. März 2015, 12:40 – 12:50 Uhr, Halle 7.1c, Saal Paris, „UNWTO Global Code of Ethics“. Nach einer Ansprache von Dr. Taleb Rifai unterzeichnet die ITB Berlin den UNWTO Global Code of Ethics. ITB Berlin Kongress 2015 Freitag, 6. März 2015, 11:55 Uhr – 13:00 Uhr, Halle 7.1a, Saal New York 1, „Zwischenrufe: Ungefragt nachgefragt auf der ITB: Eine gemeinsame Anstrengung - Palästinenser und Israelis bemühen sich um eine tiefere Einsicht und einen fairen Tourismus im Heiligen Land.“ Samstag, 7. März 2015, 14:00 – 15:00 Uhr, Halle 4.1, große Bühne, Toura D’Or Filmwettbewerb Preisverleihung, anschließend Get-together in der YIGLounge (Stand 102) in Halle 4.1. Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (GIZ), Halle 4.1, Stand 201 Freitag, 6. März 2015, 13:00 - 14:00 Uhr, Halle 4.1, große Bühne, „Tourismus,Menschenrechte, Arbeitsbedingungen: Neue Studie zu einem kontroversen Thema“, Podiumsgäste: Sibylle Baumgartner (Kuoni), Heinz Fuchs (Brot für die Welt), Katharina Spiess, (BMZ, angefragt), Moderation: Klaus Lengefeld (GIZ Sektorvorhaben “Nachhaltige Entwicklung durch Tourismus”). Impulsreferate: Chris Botrill (Capilano University Vancouver), Matthias Beyer (mascontour GmbH) Weitere Veranstaltungen Mittwoch, 4. März 2015, 16:45 – 17:15 Uhr, Halle 7.1b, Saal London, „Die Zukunft des Tourismus: Soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit im Einklang“. Referent: Bruce Poon Tip (G Adventures und Autor). Vom 4. bis 6. März findet parallel zur Messe in Halle 7 der ITB Berlin Kongress statt. Eröffnet wird der Kongress mit dem „Future Day“ am 4. März 2015 von 11:00 bis 18:00 Uhr (Halle 7.1b, Saal London), der Megatrends in Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigt. Ebenfalls startet am ersten Tag der „ITB Destination Day 1“. An drei Tagen (4.-6. März) widmen sich die ITB Destination Days den Herausforderungen und Perspektiven im internationalen Destinationsmanagement. Hier stehen wachstumsträchtige Reiseformen und -ziele, innovative Ansätze der Vermarktung und die spezifischen Aspekte ausgewählter Tourismus-Destinationen im Vordergrund. Destinationsverantwortliche aus Politik und Wirtschaft bekommen vielfältige Anregungen aus anderen Regionen für die Weiterentwick lung ihrer Destinationen und Vermarktungsaktivitäten. Seit mehr als fünf Jahren ist der ITB CSR Tag zentraler Bestandteil des Kongressprogramms. Dieses Jahr findet er am Freitag, den 6. März 2015 von 10:40 Uhr bis 17:45 Uhr in Halle 7.1c, Saal Paris statt. Der ITB CSR Day gibt Impulse für die Nachhaltigkeitsentwicklung in der globalen Reisebranche und vernetzt Akteure aus Tourismuswirtschaft und Politik. Das ausführliche Programm ist unter www.itb-kongress.de abruf bar. -cra(5.980 Zeichen, März 2015, TW 78) 5 78 | TourismWatch Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen Schatten im Sonnenparadies Tourismus und Menschenrechte in Sri Lanka Von Angela Mattli Sri Lanka ist nicht nur eine idyllische Feriendestination. Nach aussen hin verbreitet die sri-lankische Regierung ein Bild von einem scheinbar zur Normalität zurückgekehrten Land. Das Image eines friedlichen und prosperierenden Ferienziels wird in Westeuropa offensiv vermarktet. Doch Sri Lanka ist ein Land mit einer blutigen Vergangenheit, in dem nach 26 Jahren Bürgerkrieg Kriegsverbrechen nicht aufgearbeitet wurden. Die Menschenrechtssituation ist besorgniserregend. Im Tourismus wird der Einfluss des Militärs immer deutlicher sichtbar. Durch den Bau von Hotelanlagen wird den Fischern der Zugang zum Meer dauerhaft verwehrt, der Fischfang wird massiv eingeschränkt oder verboten. Dies bedroht die Existenzgrundlage der Fischer. Um nach dem Ende des Bürgerkrieges die Wirtschaft anzukurbeln, hat die Regierung Sri Lankas den Tourismus als Schlüsselsektor definiert. Die Gewinne aus dem Tourismus sollen in erster Linie der Bevölkerung zukommen. Um die touristische Erschliessung neuer Gebiete möglichst sozial- und umweltverträglich zu gestalten, hat die Regierungsbehörde „Sri Lanka Tourism Development Authority“ (SLTDA) Mindeststandards eingeführt, die jedoch in der Praxis weder von der Regierung noch von den Investoren oder vom Militär eingehalten werden. Das gilt auch für die in der Verfassung verbrieften Menschenrechte. Fünf Jahre nach Ende des Bürgerkrieges werden noch immer massive Verletzungen der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte in Sri Lanka dokumentiert, darunter Folter und sexuelle Gewalt sowie Einschränkungen der Pressefreiheit. Die Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten ist noch immer weit verbreitet. Die International Crisis Group (ICG) berichtete 2012 von einer zunehmenden kontrollierten „Singhalisierung“ des mehrheitlich von Tamilen bewohnten Nordens und Ostens des Landes. Mit der gezielten Ansiedlung von Singhalesen durch die Regierung und die Armee sollen die Bevölkerungsverhältnisse in den tamilischen Gebieten verändert werden. 6 Einfluss des Militärs im Tourismussektor Obwohl der Bürgerkrieg zu Ende ist, wurden die Ausgaben für das Militär in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Gleichzeitig ist das Militär vermehrt in privatwirtschaftliche Aktivitäten involviert. Armee, Marine und Luftwaffe haben im ganzen Land Hotels eröffnet und bieten touristische Aktivitäten an, darunter Walbeobachtungen, Helikopterflüge und Golf. Die Tourismusangebote des Militärs sind auch deshalb problematisch, weil der Bevölkerung dadurch eine wichtige Einkommensquelle entzogen wird. Die Militärangehörigen, die im Tourismus arbeiten, beziehen ihren Lohn direkt vom Verteidigungsministerium. Das Militär sichert sich ein lukratives Zusatzeinkommen durch den Tourismus und kann Leistungen zu niedrigeren Preisen anbieten als Privatunternehmen. Seine Angestellten geben sich relativ offen als Militärangehörige zu erkennen. Einige tragen sogar Uniformen. Um die touristische Entwicklung der Insel einigermassen kontrolliert voranzutreiben, hat die Regierung vier Gebiete ausgewählt, in denen der Tourismus speziell gefördert werden soll, darunter Kuchchaveli in der Nähe von Trincomalee an der Nord-Ost-Küste, Passikudah in der Nähe von Batticaloa an der Ostküste und Kalpitiya bei Puttalam an der Nord-West-Küste. Diese Gebiete sind ethnisch sehr durchmischt und wurden vor dem Bürgerkrieg von Touristen kaum besucht. Inzwischen TourismWatch | 78 Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen sind dort zahlreiche Hotelanlagen gebaut worden. Für die einheimische Bevölkerung hat das gravierende Auswirkungen. sationszahlungen über den Gerichtsweg erstritten werden. Aussergerichtliche Beschwerdeinstanzen fehlen gänzlich. Verlust an Lebensgrundlagen durch Tourismus Die Bevölkerung vor Ort profitiert kaum Insgesamt leben knapp 1,3 Millionen Menschen in Sri Lanka von der Fischerei. Der freie Zugang zum Meer ist für sie existenziell. Dieser wird ihnen jedoch durch die Tourismusentwicklung erschwert oder sogar ganz verwehrt. So wurde in Kuchchaveli die lokale Bevölkerung nicht konsultiert und nur ungenügend über die „Kuchchaveli Tourism Development Zone“ informiert. Ein Warnschild machte sie auf die bevorstehenden Tourismusprojekte aufmerksam und verbot ihnen den Zutritt. Der befehlshabende Offizier der Marinebasis erklärte auf Anfrage der Fischer, dass die Regierung das Land für Tourismusentwicklungsprojekte benötige und niemand mehr in dieser Gegend fischen dürfe. In Passikudah wurden die Fischer auf dem fünf Kilometer langen Strandabschnitt immer mehr zusammengedrängt, so dass ihnen nunmehr 300 Meter bleiben und somit kaum Platz für Boote und Netze. Nur ein kleiner Teil der lokalen Bevölkerung findet im Tourismus ein Auskommen. In der Regel stammen die Angestellten in den Hotels aus weiter entfernten Regionen Sri Lankas. Ausbildungsmöglichkeiten für die Bevölkerung vor Ort fehlen völlig. Öffentliche Einrichtungen mussten Tourismusprojekten weichen. Auch in Kalpitiya wird Fischern der Zugang zum Meer und zu Fischfanggebieten verwehrt. Auf Mohotthuwarama wurden beim Bau der Bungalows des „Dutch Bay Resorts“ 1,6 Hektar Mangroven zerstört. Bis dahin haben Frauen und Kinder dort Krabben und Garnelen gefangen. Ausserdem haben die Betreiber des Resorts eine Fläche von 100 m Durchmesser in der Lagune beschlagnahmt und im Wasser einen Zaun gebaut. Den Fischern ist es nun verboten, dieses Gebiet zu betreten. In allen drei Regionen werden die Mindeststandards der Regierung kaum eingehalten. Umweltund Sozialverträglichkeitsprüfungen finden nur sporadisch statt und über die Ergebnisse herrscht je nach Region wenig bis keine Transparenz. Die lokale Bevölkerung wird von der SLTDA und den Investoren zu geplanten Tourismusprojekten nicht konsultiert. Obwohl eine dauerhafte Überbauung der Meeresküsten vom zuständigen Ministerium explizit untersagt ist, wird dieses Verbot von der SLTDA und den Investoren ignoriert. In allen drei Regionen kam es aufgrund der touristischen Entwicklung zu Landenteignungen oder Vertreibungen durch die SLTDA, das Militär oder Investoren. In einigen Fällen wurden Kompensationen zwar versprochen, diese Versprechen wurden aber nicht eingehalten. Oft müssen Kompen- In Passikudah betreibt das Militär kleine Läden und schränkt damit die Einkommensmöglichkeiten für die Bevölkerung zusätzlich ein. Trotz gegenteiliger Versprechen der Regierung profitiert die lokale Bevölkerung kaum von der verbesserten Infrastruktur. In Kalpityia wird durch den Wasserverbrauch der Hotels und Resorts die Wasserversorgung der Bevölkerung beeinträchtigt. Deutsche und Schweizer Reiseveranstalter in der Verantwortung Trotz der beunruhigenden Menschenrechtsbilanz bieten mindestens 49 deutsche und 21 Schweizer Reiseanbieter Hotels in den drei neuen Tourismusregionen an (Stand: Dezember 2014). Diese sind daher besonders gefordert, dazu beizutragen, dass bei der touristischen Entwicklung der Post-Konfliktgebiete menschenrechtliche Prinzipien eingehalten werden. Es liegt in ihrer Unternehmensverantwortung und Sorgfaltspf licht, dies auch von ihren lokalen Partnern konsequent einzufordern. Bislang sind die Bemühungen der Veranstalter in Sri Lanka noch ungenügend, um Menschenrechtsverletzungen im Tourismus wirksam zu verhindern. Angela Mattli ist Kampagnenleiterin und Sri Lanka-Referentin der Gesellschaft für bedrohte Völker, Schweiz. Weitere Informationen: Schatten im Sonnenparadies. Tourismus und Menschenrechte in Sri Lanka. Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz (Hg.). 2015. Download: www.gfbv.ch/tourismus (7.171 Zeichen, März 2015, TW 78) 7 78 | TourismWatch Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen Tourismus in Post-Konflikt-Gebieten am Beispiel Sri Lanka Besondere Anforderungen an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Reiseanbietern Von Christine Plüss und Nina Sahdeva Krieg und Diktaturen hinterlassen zerrissene Gesellschaften, in denen die Gefahr von Diskriminierungen und Repression groß ist. Der Tourismus ist oft einer der ersten Sektoren, der in ehemaligen Konfliktregionen wieder floriert. In Gebieten, die von Naturkatastrophen betroffen waren, sind vergleichbare Entwicklungen zu beobachten. Regierungen wollen „Rückkehr zur Normalität“ signalisieren. Sie fördern den Sektor oft noch bevor ein ernsthafter Prozess der Versöhnung und Wiedergutmachung oder ein umfassender Wiederaufbau eingeleitet wurden. Unternehmen, die nicht zu Komplizen von Menschenrechtsverletzungen werden wollen, müssen in solchen Situationen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspf licht mit besonderer Umsicht wahrnehmen. Ihr Engagement muss über die Anforderungen bisheriger Zertifikate für Nachhaltigkeit im Tourismus hinausgehen. Aus der neuen Studie „Schatten im Sonnenparadies. Tourismus und Menschenrechte in Sri Lanka“ der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz (vgl. „Schatten im Sonnenparadies“ von Angela Mattli, S. 6) lassen sich für Anbieter von Reisen nach Sri Lanka besondere Herausforderungen ableiten. „Do no harm“: Konf liktsensible Strategien ergreifen Anbieter von Reisen in Post-Konflikt-Gebiete müssen sich ihrer Rolle im heiklen, menschenrechtlich fragilen Kontext bewusst sein, um nicht durch unbedachtes Vorgehen bestehende Konflikte weiter zu schüren. Sie müssen sich klar zum Prinzip bekennen, keinen Schaden anzurichten. Im Post-Konflikt-Kontext von Sri Lanka ist davon auszugehen, dass die meisten ausländischen Reiseveranstalter mit lokalen Tourismusanbietern zusammenarbeiten, die ihre Geschäfte unter der Vormacht der herrschenden Regierung und siegreichen Armee erfolgreich betreiben können und auch deren Sicht auf den Konflikt vertreten. Um die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte überprüfen zu können, bedarf es 8 einer sorgfältigen Analyse des Konflikts und seiner Ursachen sowie der aktuellen Situation. Besonderes Augenmerk muss auf Verstöße gegen die Rechte diskriminierter ethnischer und religiöser Minderheiten sowie besonders verletzlicher Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Kinder gelegt werden. Es muss geprüft werden, ob es im Geschäftsumfeld Risiken gibt, bestehende Konflikte zu schüren. Konsequent handeln Im Rahmen der Verträge mit lokalen Partnern sollen mit einem Verhaltenskodex (Supplier Code of Conduct) die wichtigsten Eckpunkte der menschenrechtlichen Sorgfalt sichergestellt werden. Darin sollte z. B. festgehalten werden, dass Mitarbeitende zu fairen Bedingungen angestellt und dabei diskriminierte Bevölkerungsgruppen gerecht berücksichtigt werden müssen. Sri Lanka ist bekannt als einschlägige Destination für Reisende, die Sex mit Kindern suchen. Der Kindersextourismus florierte gerade auch in den Jahren des Bürgerkrieges, als der Urlaubstourismus einbrach. Tourismusanbieter in Sri Lanka sollten den Kinderschutzkodex („The Code of Conduct for the Protection of Children from Sexual Exploitation in Travel and Tourism“) unterzeichnen und effektiv umsetzen. Außerdem ist die Zusammenarbeit mit lokalen Kinderrechtsorganisationen wichtig. TourismWatch | 78 Dialog mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen Die Sichtweisen und Forderungen von Menschenrechtsverteidigern, zivilgesellschaftlichen Vertretern benachteiligter Gruppen und Gemeinschaften, deren Rechte im Zug der Tourismusentwicklung verletzt werden, sollen zur Kenntnis genommen werden. Sie sollten die Grundlage für Maßnahmen im betrieblichen Management bilden. In diesem Zusammenhang ist auch der Aufbau von effektiven Beschwerdeverfahren durch die Reiseunternehmen voranzutreiben, die umso wichtiger sind, wenn der Staat seiner Schutzpflicht für die Menschenrechte nicht nachkommt. Anfang 2015 wählte die Bevölkerung den bisherigen Präsidenten Mahinda Rajapaksa ab, der mit seinem Familienclan auch die hohe Hand über dem Tourismus hält. Mit der Wahl von Maithripala Sirisena stimmte sie deutlich für eine Abkehr Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen vom autokratischen Clanwesen des Rajapaksa-Regimes. Umso wichtiger ist bei dieser politischen Weichenstellung, dass sich die internationalen Reiseunternehmen nun klar zur Einhaltung der Menschenrechte als Voraussetzung für eine zukunftsfähige friedliche Entwicklung Sri Lankas bekennen. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Kommentar des Arbeitskreises Tourismus und Entwicklung, Basel, zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Reiseanbietern in Post-Konflikt-Gebieten, der auch von Tourism Watch – Brot für die Welt mitgetragen wird. Weitere Informationen: http://www.fairunterwegs.org/aktuell/news/article/tourismus-in-sri-lanka-die-menschenrechtliche-verantwortung-von-reiseanbietern-in-post-konflikt-geb.html (4.229 Zeichen, März 2015, TW 78) Die bedrohte Gans und ihre goldenen Eier Myanmars schwierige Reise hin zu einem nachhaltigen Qualitätstourismus Von Tulika Bansal Einige der bekanntesten touristischen Orte Myanmars sind durch die Auswirkungen des Tourismus bereits ökologisch und sozial unter Druck. Dies bedroht die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung und den langfristigen Erhalt von Vorzeigeorten wie Bagan, Inle und Kyaiktiyo als touristische Zielgebiete. Das Dänische Institut für Menschenrechte hat zusammen mit seinem burmesischen Partner, dem Myanmar Centre for Responsible Business (MCRB), und dem Institute for Human Rights and Business eine branchenweite Folgenabschätzung (SWIA) für den Tourismussektor erstellt. Der Bericht, der auf umfangreichen Recherchen in sechs Zielgebieten basiert, hebt einige der positiven und negativen Wirkungen hervor, die die Tourismusentwicklung in Myanmar haben kann. Der SWIA-Bericht enthält Empfehlungen an die Regierung, an Tourismusunternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Touristen und andere Akteure mit der Absicht, die positiven Auswirkungen zu verstärken und negative Auswirkungen zu reduzieren. Myanmar hat bereits eine Reihe politischer Handlungskonzepte entwickelt, um nachhaltigen Tourismus zu fördern. Wegen mangelnder Ressourcen und Kapazitäten steht die Umsetzung dieser Maßnahmen aber noch weitgehend aus. Beispielhaft dafür steht die Entwicklung von sogenannten “Hotelzonen”, wo die Eigentümer von Grund und Boden für den Bau von Hotelanlagen enteignet werden. Häufig geschieht dies in ökologisch sensiblen Gebieten. Viele der negativen Auswirkungen hängen mit den Hotelzonen zusammen. Nötig wäre 9 78 | TourismWatch Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen ein partizipatives Destinationsmanagement und ein Regionalplanungsansatz. Das wurde auch im Tourismus-Masterplan der Regierung festgestellt. Partizipation der lokalen Bevölkerung Lokale Gemeinschaften sind noch immer nicht ausreichend in Entscheidungsprozesse bei der Tourismusentwicklung einbezogen. Die Einbeziehung, Beratung und Partizipation aller beteiligten Akteure sollten aber von Anfang an die Grundlage für die Entwicklung von Tourismusprojekten bilden. Dies ist besonders wichtig in Gebieten, in denen ethnische Minderheiten leben sowie in Post-Konflikt-Situationen. Tourismusunternehmen sollten sich die Zeit nehmen, um die Konfliktursachen und die lokalen Dynamiken zu verstehen. Dazu gehört, wie sich die lokale Bevölkerung eine Öffnung für den Tourismus vorstellt und wie der Nutzen aus dem Tourismus verteilt werden soll. Der SWIA-Bericht unterstreicht die Potenziale des Tourismus, Arbeitsplätze zu schaffen und Armut zu bekämpfen. Er beleuchtet aber auch mögliche Gefahren und verweist auf Erfahrungen aus den Nachbarländern Kambodscha und Thailand. Zum Beispiel wird auf die besonderen Gefahren hingewiesen, denen Kinder durch Waisenhaustourismus und einige Arten von Voluntourismus ausgesetzt sind. Gefahren für Myanmars Kultur- und Naturerbe Ein Zustrom einer großen Anzahl an Touristen kann sich auch negativ auf Myanmars Kulturerbe auswirken, wenn Tourismusanbieter entweder unangemessene touristische Aktivitäten organisieren oder bei der Bebauung von Flächen Kultur- oder Naturerbestätten schädigen. In Bezug auf die allgemeinen Risiken identifiziert der SWIA-Bericht einschlägige internationale Standards und Initiativen und hebt positive Beispiele sowohl aus Myanmar als auch aus anderen Ländern hervor. 10 Myanmars Tourismussektor befindet sich gerade an einer wichtigen Wegmarke. Die Besucherzahlen stiegen allein im Jahr 2014 um eine Million Besucher auf drei Millionen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass es sich dabei nicht nur um Touristinnen und Touristen handelt. Diese Zahl beinhaltet auch Tagesbesucher, Geschäftsreisende, zurückkehrende Burmesen und alle anderen, die mit einem Touristenvisum einreisen. Myanmars Infrastruktur und die Gesellschaft sind schlecht darauf vorbereitet, eine große Anzahl ausländischer Touristen zu empfangen und den Inlandstourismus auszuweiten. Alle, die ein Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung des Tourismus in Myanmar haben, sollten sich nicht an den absoluten Zahlen orientieren, sondern die Erfahrungen aus anderen asiatischen Ländern in ihre Überlegungen einbeziehen. Noch besteht Spielraum, Myanmar zu einem Reiseziel für eine geringere Anzahl von Touristen zu entwickeln, die bereit sind, viel Geld für ein wirklich besonderes Erlebnis auszugeben. Mit einer Ausrichtung auf den Massenmarkt mit negativen Auswirkungen auf Myanmars Umwelt und Kultur schlachtet man womöglich die Gans, die die goldenen Eier legt – und das obwohl Myanmars Reise hin zu einem nachhaltigen Qualitätstourismus gerade erst beginnt. Tulika Bansal ist Referentin für Menschenrechte und Entwicklung am Dänischen Institut für Menschenrechte und Mitautorin der sektorweiten Folgenabschätzung zum Tourismus in Myanmar. Weitere Informationen: Den kompletten Bericht sowie eine Zusammenfassung finden Sie hier: www.myanmar-responsiblebusiness.org/swia/tourism.html Übersetzung aus dem Englischen: Corinna Rach (4.489 Zeichen, März 2015, TW 78) TourismWatch | 78 Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen Wo einst ein Fischerdorf war ‘Entwicklung’ an der Küste von Tamil Nadu zehn Jahre nach dem Tsunami Von Sumesh Mangalassery Die Geschichte von Karikkattukuppam ist eine von vielen Geschichten über den Verrat des Staates an der vom Tsunami betroffenen Bevölkerung. Viele Gemeinschaften an der südindischen Küste, die im Dezember 2004 von der “Monsterwelle” betroffen waren, wurden dazu gebracht, ihr angestammtes Land zu verlassen. Sie wurden von der Küste in weiter entfernte Orte umgesiedelt, angeblich aus ‘Sicherheitsgründen’. Statt Bautätigkeiten an der offiziell ‘unsicheren‘ Küste zu verhindern, erlaubte die Regierung privaten Akteuren, das Land aufzukaufen und in Luxus zu investieren. Auf dem Weg von Chennai entlang der erweiterten Küstenschnellstraße (East Coast Road) Richtung Süden sieht man viele neue Hochhäuser und Bürokomplexe. Riesige Plakatwände werben für Apartments mit ‘privatem Zugang zum Strand’ und ‘Meerblick’. Die meisten dieser neuen Entwicklungen geschahen in den vergangenen zehn Jahren. Biegt man von der East Coast Road ab auf der Suche nach einem Fischerdorf namens Karikattukuppam, gibt es kein Hinweisschild – und kein Lebenszeichen der Fischer. Das Land ist in Parzellen aufgeteilt, das gesamte Gebiet bis zum Strand ist durch hohe weiße Mauern umgeben und unterteilt. Die Leute sagen, hier sollen private Villen oder Ferienhäuser am Meer entstehen. Es war einmal Vor zehn Jahren lag dort, wo das Land jetzt als Bauland ausgewiesen ist, das kleine Fischerdorf Karikkattukuppam. Etwa 330 Familien lebten dort. Die Lage war ideal für den Fischfang. Das Dorf lag leicht erhöht und direkt davor war der Strand, wo die Boote lagen und die Fischer ihre Netze ausbreiten konnten. Dann kam der Tsunami im Dezember 2004. Vier Menschen in Karikkattukuppam starben, 1.320 verloren ihre Heimat. Wenngleich viele Häuser verschont geblieben waren, hatten die Menschen doch zu viel Angst, zurückzukehren – Angst vor einem weiteren Tsunami und vor Geisterspuk. Das kleine Dorf lag Jahre lang noch verlassen da. Es gab einige unbewohnte Häuser, viele davon in gutem Zustand, Schutthaufen dazwischen, einen verlassenen Tempel, eine Schule mit leeren Klassen- zimmern. Von Seiten der Regierung hieß es, ihr “Geisterdorf ’ sei nicht sicher und eine Umsiedlung wurde ihnen nahegelegt. Nach dem Tsunami hatte die Regierung des Bundesstaates Tamil Nadu angeordnet, dass diejenigen, die direkt an der Küste innerhalb von 200 Metern von der Hochwasserlinie lebten, ihre Häuser zwar instand setzen dürften, ein Neubau wäre aber “nicht möglich”. Die Regierung würde neue Häuser nur für diejenigen zur Verfügung stellen, die mehr als 200 Meter ins Landesinnere ziehen würden. Wenn die Fischer ihre alten Häuser selbst reparieren wollten, bekämen sie von der Regierung dafür keine Unterstützung. Angeblich ging es um die Sicherheit der Küstenbewohner, doch angewandt wurde diese Regel nur auf Fischerdörfer, nicht etwa auf touristische Infrastruktur. Auf den ersten Blick erschien es wie ein Konzept, das den Gemeinschaften Optionen eröffnete, statt Zwang auszuüben. Effektiv diente diese Politik jedoch dazu, die Fischer dazu zu bringen, von der Küste weiter ins Landesinnere zu ziehen. Nach dem Tsunami hatte die Gemeinschaft von Karikkattukuppam jahrelang um geeignetes Land an der Küste gekämpft, um ihr Dorf wiederaufzubauen (siehe „Indien: Strategische Vertreibung zugunsten des Tourismus?“, TW 44, September 2006). Die Regierung von Tamil Nadu war jedoch nicht bereit gewesen, ihnen das Land zu geben, wo ihre Notunterkünfte errichtet worden waren. Dieses Land war in den Händen der Tamil Nadu Tourism Development Corporation (TTDC). Nach vier Jahren bekamen sie schließlich neue Unterkünfte in einem neu angelegten Dorf auf der anderen Sei11 78 | TourismWatch Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen te eines Sees, mehr als einen Kilometer vom Meer entfernt. Auf einem gelben Schild steht “Karikkattukuppam”. Doch es ist nicht mehr das, was es einmal war. Umgesiedelt “Wir haben unser Land verkauft und das Geld für Netze und Boote ausgegeben und für Arbeiten an unseren Häusern in dem neuen Dorf. Nun ist kein Geld mehr davon übrig”, sagte Desinbu, einer der Fischer. Um den Ort zu erreichen, wo sie ihre Boote liegen haben, müssen die Fischer von dem neuen Dorf aus nun über einen Kilometer weit laufen. Das erschwert ihren Arbeitsalltag erheblich. Sie müssen nun früher aufstehen und leiden unter den körperlichen Strapazen. An der Küste gibt es keinen Platz, wo die Netze aufbewahrt und getrocknet werden können. “Unsere Motoren und Netze werden gestohlen. Das bedeutet einen riesigen Verlust für uns. Nun tragen wir die Motoren und Netze auf dem Kopf hin und zurück, drei Kilometer am Tag”, sagt Fischer Haridoss. “Und wir müssen mit dieser schweren Ausrüstung durch einen flachen See”. Manches Mal haben die Bauunternehmer auf dem jetzt dazwischen liegenden Land den Weg der Fischer zum Meer blockiert. Das hat Spannungen verursacht. Aufgrund all dieser Probleme haben viele Fischer schließlich aufgegeben, haben ihre Boote verkauft und verdingen sich nun als ungelernte Arbeiter im städtischen Bausektor. Ähnliche Erfahrungen entlang der Küste Die Geschichte von Karikkattukuppam ist kein Einzelfall. In den meisten der vom Tsunami betroffenen Dörfer an der indischen Küste gibt es ähnliche Geschichten, die von Vertreibung oder Verdrängung erzählen. In Dhanushkodi in der Nähe 12 des wichtigen hinduistischen Pilgerortes Rameswaram wurden Fischer vertrieben, um touristische Infrastruktur zu entwickeln. In Killai bei Pichavaram, einem beliebten Ausflugsziel in Tamil Nadu, verbietet die Forstbehörde den Fischern, ihre Boote zu parken. Dies geschieht im Namen des Naturschutzes in Pichavaram, einem der größten Mangrovenwälder Indiens, der zum Weltnaturerbe gehört. Doch gleichzeitig wird die Entwicklung touristischer Infrastruktur zugelassen. Die Regierung hat nach dem Tsunami die Verwundbarkeit der verängstigen Bevölkerung ausgenutzt, um sie von der Küste zu verdrängen. Nachdem die Bewohner von Karikkattukuppam ihr Land verkauft hatten, schossen die Grundstückspreise in der Gegend in die Höhe. Das alte Fischerdorf wurde Stück für Stück aufgekauft und es wurden sehr große Einheiten daraus gemacht. Jetzt ist das Land vollständig in den Händen privater Grundstückseigentümer. Mangalam, eine Fischersfrau, sagte: „Der Tsunami hat uns an nur einem Tag getroffen, doch dass wir unser Land verloren haben, hat unser Leben für immer zerstört.“ Land ist knapp an der indischen Küste und was immer verfügbar ist, befindet sich jetzt in Händen der Eliten. Für die Küstenbewohner war der Tsunami vor zehn Jahren nur der Anfang einer Reihe vieler weiterer Katastrophen, die darauf folgten. Sumesh Mangalassery ist Direktor von “Kabani – The other direction“, einer Initiative in Kerala/Indien, die sich für eine nachhaltigere Tourismusentwicklung einsetzt. Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp (6.510 Zeichen, März 2015, TW 78) TourismWatch | 78 Tourismusboom nach Konflikten und Naturkatastrophen Menschenrechtliche Sorgfalt in der Reisebranche Drei Fragen an Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV) Von Christina Kamp Mehr als 15 Unternehmen und Organisationen im Tourismus haben sich bereits öffentlich zu ihrer Verantwortung für die Menschenrechte bekannt, darunter auch namhafte deutsche Veranstalter. Sie setzen sich innerhalb des „Roundtable Menschenrechte im Tourismus“ für einen Branchenstandard für menschenrechtliche Sorgfalt ein und haben in ihren Unternehmen erste Maßnahmen ergriffen, negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte zu verringern. Neben Reiseveranstaltern haben sich auch die Reiseverbände der Schweiz und Österreichs öffentlich zu ihrer Verantwortung bekannt. Vor diesem Hintergrund fragten wir Norbert Fiebig, den Präsidenten des Deutschen Reiseverbandes (DRV), nach dem Stellenwert des Themas Menschenrechte innerhalb seines Verbands und nach seinen Möglichkeiten und Plänen, die Mitgliedsunternehmen bei der Umsetzung ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht zu unterstützen. TW: Nach der öffentlichen Unterzeichnung des Menschenrechts-Commitments durch die nationalen Reiseverbände in Österreich und der Schweiz ist es um den Deutschen Reiseverband still geblieben. Welchen Stellenwert hat das Thema Menschenrechte im Tourismus im DRV? Norbert Fiebig: Das Fördern eines verantwortungsvollen und nachhaltigen Tourismus ist ein zentrales Anliegen des DRV. Im Jahr 2012 hat der DRV zusammen mit 13 Unternehmen der deutschen Reisebranche den international anerkannten Globalen Ethikkodex der Welttourismusorganisation (UNWTO) unterzeichnet. Dieser Kodex beinhaltet unter anderem die Achtung der Menschenrechte im Rahmen touristischer Aktivitäten. Mit der Unterzeichnung des Kodex bekennen sich der DRV und die Unternehmen klar zu der Achtung von Menschenrechten als unverrückbare Grundrechte jedes Einzelnen. Ihre Berücksichtigung in der eigenen Geschäftspolitik ist für Unternehmen eine Grundvoraussetzung und klare Verpf lichtung. Die Kernverantwortung eines Unternehmens kann sich dabei allerdings nur auf Entscheidungen beziehen, die es im Rahmen seiner geschäftlichen Tätigkeit trifft. Im Rahmen der Möglichkeiten weist der DRV aber auch auf etwaige Missstände hin und spricht diese gegenüber den Tourismusverantwortlichen der Länder aktiv an. TW: Die Unternehmen und Organisationen im „Roundtable Menschenrechte im Tourismus“ sehen die Rolle der Verbände in Bezug auf die Menschenrechte vor allem darin, die Sensibilisierung ihrer Mitglieder zu fördern, den Erfahrungsaustausch zu verbessern, gemeinschaftliche Aktivitäten zu realisieren und sich im politischen Dialog für die Verwirklichung der Menschenrechte einzusetzen. Wie kann und will der DRV sich dieser Aufgaben annehmen? Norbert Fiebig: Der DRV widmet sich diesen Aufgaben im Rahmen seines Ausschusses Nachhaltigkeit. Eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Menschenrechte dient darüber hinaus zusätzlich als Plattform für den Dialog und Austausch zwischen Unternehmen der Reisebranche. Im Vordergrund steht beispielweise die Frage, wie die Tourismusbranche insgesamt zur weiteren Stärkung der Menschenrechte beitragen kann. Grundlage hierfür stellt unter anderem die (bislang unveröffentlichte, Anm. d. Red.) GIZ-Studie „Menschenrechte im Tourismus“ dar, deren erste Ergebnisse herangezogen werden, um den Handlungsbedarf für die Branche zu ermitteln. Ein wichtiges Anliegen wird dabei sein, für Branchenunternehmen Informationen darüber bereitzustellen, in welchen Ländern beispielweise Menschenrechte bedroht sein könnten. Neben den Informationen und Empfehlungen, die der DRV bereitstellen kann, liegt es in der Verantwortung eines jeden Unternehmens, eigene organisatorische Maßnahmen zur Umsetzung seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu etablieren. TW: Das Thema Compliance – also Gesetzestreue 13 78 | TourismWatch Freiwilligeneinsätze und Tourismus – hat durch die Schaffung einer eigenen Ombudsstelle im DRV offensichtlich an Bedeutung gewonnen. Wie funktioniert ein solcher Beschwerdeweg für Menschen, die nicht vertraglich mit einem Reiseveranstalter in Beziehung stehen, z.B. Fischer in touristischen Zielgebieten, denen durch ein von deutschen Veranstaltern genutztes Hotel widerrechtlich der Zugang zum Meer versperrt wird? Norbert Fiebig: Das Thema Compliance hat für den DRV und seine Mitglieder einen hohen Stellenwert. Der Begriff Compliance wird allerdings sehr unterschiedlich verstanden. Im weitesten Sinne kann unter Compliance natürlich jeder Gesetzesverstoß verstanden werden, z. B. also auch der Verstoß gegen Naturschutzgesetze, gegen Arbeitsvorschriften usw. Uns als Branchenverband geht es aber vielmehr darum, dass unsere Beziehungen zu unseren Mitgliedern, zwischen den Mitgliedern untereinander und zwischen diesen und ihren Leistungsträgern auf der Grundlage eines fairen Wettbewerbs und eines fairen Umgangs erfolgen, der nicht durch Korruption oder andere strafbare Handlungen beeinflusst wird. Der vom DRV eingerichtete Ombudsmann dient dazu, als neutrale Stelle Informationen entgegenzunehmen und diese an die von solchen Compliance-Verstößen betroffenen Mitglieder weiterzuleiten, damit diese reagieren können. Darauf ist die Aufgabe unseres Ombudsmanns inhaltlich und thematisch beschränkt. Ziel des DRV war es gerade nicht, eine zusätzliche Stelle einzurichten, die anstelle der ordentlichen Gerichte im In- und Ausland Auseinandersetzungen jeglicher Art regeln soll. Die Funktion einer Schiedsstelle hat er also nicht. Konkret auf das oben genannte Beispiel bezogen bedeutet das, dass die Fischer, sollten sie tatsächlich in ihrem Recht auf Zugang zum Meer beeinträchtigt sein, die vor Ort vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten in Anspruch nehmen müssten. (5.522 Zeichen, März 2015, TW 78) Entwicklungsprioritäten verteidigen Auf dem Weg zu ethischem Freiwilligentourismus in Südafrika Von Paul Miedema Voluntourismus ist ein schnell wachsender Bereich der Tourismusbranche. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre sind die häufig von Nichtregierungsorganisationen vermittelten Freiwilligeneinsätze und der kommerzielle Tourismus immer stärker miteinander verknüpft worden. Dadurch wurden zwar sehr viel mehr Möglichkeiten für Freiwilligeneinsätze im Ausland geschaffen, es hat aber auch zu einer Reihe negativer Auswirkungen, zu Spannungen und Problemfeldern geführt. Die größte Gefahr für den Freiwilligentourismus ist die unethische und offenkundige Kommerzialisierung durch einige Entsendeorganisationen. Calabash Tours ist ein kleines Sozialunternehmen in Port Elizabeth, Südafrika. In Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Calabash Trust bieten wir auch Freiwilligeneinsätze an. Entsendeorganisationen haben uns gefragt: “Warum habt Ihr Bildungsprogramme? Die sind nicht wirklich etwas Besonderes und wir hätten doch gerne etwas Neues”. Unsere Programme sind jedoch nicht dafür gemacht, die Erwartungen der Freiwilligen an “etwas Neues” zu erfüllen. Unsere Programme entsprechen dem Bedarf der Gemeinschaften, in de14 nen wir arbeiten. Freiwilligenprogramme müssen von der Gemeindeebene ausgehend entwickelt werden, und dies unter Beteiligung der Gemeinschaften. Allzu oft erleben wir, dass Entsendeorganisationen das verkaufen, was der Markt verlangt – statt dem, was die Menschen vor Ort brauchen. Ein gutes Beispiel dafür sind Freiwilligeneinsätze in Waisenhäusern, die bei Entsendeorganisationen noch immer beliebt sind, trotz der zahlreichen Dokumentationen, die deutlich gemacht haben, dass Waisenhaustourismus Kinderrechte verletzt. TourismWatch | 78 Information und Zustimmung Eines der Grundprinzipien ethischer Freiwilligeneinsätze ist, dass jedes Projekt, das Freiwillige einsetzt, Informationen bekommen muss und dann auf dieser Basis seine Zustimmung gibt. So muss im Projekt bekannt sein, über welche Qualifikationen die Freiwilligen verfügen und wann sie kommen wollen. Das bedeutet, dass die Freiwilligen eine ausführliche Beschreibung schicken müssen, wer sie sind und was sie können. Das heißt auch, dass die Entsendeorganisationen bereit sein müssen, auf die Zustimmung zu warten, und dass sie keinen Vertrag abschließen können, solange sie die Einwilligung der Partner vor Ort nicht haben. Nach unserer Erfahrung sind nur wenige Entsendeorganisationen mit diesem Vorgehen einverstanden. Die übliche Antwort lautet: “Wir müssen den Vertrag schnell abschließen – eine Verzögerung geht nicht.” Doch was wirklich nicht geht, ist die Durchführung eines ethischen Freiwilligenprogramms ohne Zustimmung des Projektträgers. Es ist sehr schwierig, Entsendeorganisationen zu finden, die das einsehen. Wenn Freiwillige mit Kindern oder auch mit Erwachsenen in schwierigen Situationen arbeiten sollen, muss überprüft werden, ob sie für diese Arbeit geeignet sind. In den meisten entwickelten Ländern, aus denen die Freiwilligen kommen, ist das Bedingung. Wenn es aber um Arbeit in einem Entwicklungsland geht, scheint die gleiche Anforderung “lästig” zu sein, auch weil sie einen raschen Vertragsabschluss ebenfalls behindert. Passende Fähigkeiten Südafrika hat eine Arbeitslosenquote von fast 30 Prozent. Was wir in unseren Freiwilligenprogrammen brauchen, sind Qualifikationen. Bei Calabash werden die Freiwilligen in den Gemeinschaften entweder in der Sozialarbeit eingesetzt (mit Schwerpunkt auf der privaten Versorgung von Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind, oder z.B. als Angehörige von HIV/Aids betroffen sind) oder in unseren Schulprogrammen. Beide Programme basieren auf der Idee, dass Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden. Die meisten der Freiwilligen sind Fachkräfte im Ruhestand. Doch es gibt auch Möglichkeiten für Frei- Freiwilligeneinsätze und Tourismus willigeneinsätze ausländischer Studentengruppen, Gruppen mit besonderen Qualifikationen und Schülergruppen. Die Fähigkeiten unserer Freiwilligen können breit angelegt sein. Dazu können auch “life skills“ im Gegensatz zu akademischen Qualifikationen gehören – aber reinen Arbeitseinsatz brauchen wir in unseren Programmen nicht. Die entsprechenden Kenntnisse aufeinander abzustimmen erfordert eine aktive Beschäftigung mit den Projekten. Was die Freiwilligen mitbringen, muss mit dem Bedarf in den Projekten in Übereinstimmung gebracht werden. Dazu sind persönliche Treffen und Diskussionen erforderlich. Für das Projektmanagement-Team ist es keine leichte Aufgabe, als Mittler zwischen den kommerziell ausgerichteten Entsendeorganisationen und dem Entwicklungsbedarf in den Gemeinschaften aufzutreten. Um dies zu schaffen ist ein hoher zeitlicher und finanzieller Aufwand nötig, z.B. für die Fahrten zu Treffen. Mit klaren Regeln zum Ziel Doch auch im Voluntourismus werden immer mehr Verhaltenskodizes entwickelt und es gibt zunehmend modellhafte Beispiele. Bei Calabash Tours lassen wir unsere Freiwilligenprogramme seit fünf Jahren von Fair Trade Tourism zertifizieren. Für uns ist die Zertifizierung ein nützliches Managementinstrument, um sicherzustellen, dass wir uns aller relevanten Faktoren bewusst sind, die potenziell negative Auswirkungen haben könnten. Nicht alle Entsendeorganisationen opfern Entwicklungsanliegen auf dem Altar des Profits. Einige verstehen die ethischen Anforderungen und sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Doch brauchen wir größere Veränderungen – hin zur Umsetzung sehr guter Praktiken in allen Entsendeorganisationen –, um diesen Sektor glaubwürdiger zu machen. Paul Miedema ist Direktor von Calabash Tours und Mitbegründer der Entwicklungsorganisation Calabash Trust in Port Elizabeth, Südafrika. Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp (5.426 Zeichen, März 2015, TW 78) 15 Kurzinformationen und Hinweise 78 | TourismWatch Urlaub machen und Gutes tun? Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus Voluntourismus– das heißt kurzzeitige Freiwilligeneinsätze mit hohem Abenteuer- und Erlebnisgehalt – hat in den letzten Jahren in Deutschland und anderen europäischen Ländern massiv an Bedeutung gewonnen. Ob nur einen Tag spontan im Urlaub mithelfen, eine Woche im Anschluss an eine Safari-Reise oder gar ein bis drei Monate in einem Projekt – im Internet und in Reisekatalogen lassen sich viele unterschiedliche Angebote finden. In Amerika, Australien und Neuseeland ist Voluntourismus schon seit etlichen Jahren beliebt, in Europa entwickelt sich der Markt gerade. Zunehmend entdecken auch kommerzielle Veranstalter das mittlerweile lukrative Geschäftsfeld „Reisen und Helfen“. Während die Freiwilligendienste immer touristischer und kommerziell marktfähiger werden, besteht die Gefahr, dass die Bedürfnisse zahlender Touristen zunehmend im Mittelpunkt stehen und die Interessen der lokalen Bevölkerung in den Hintergrund treten. Wie eine Recherche von Tourism Watch - Brot für die Welt gemeinsam mit der Kinderrechtsorganisation ECPAT Deutschland und dem Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung aus der Schweiz zeigt, sind wichtige Kriterien für verantwortungsvolle Freiwilligenarbeit noch lange kein Standard in der Branche. Dazu gehören der wirksame Schutz von Kindern und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Organisationen vor Ort. Es ist bei weitem nicht selbstverständlich, dass die Interessen und Bedürfnisse der Menschen vor Ort im Mittelpunkt stehen. Durch mangelnde Vor- und Nachbereitung bleiben viele Potenziale für entwicklungspolitisches Lernen beim Voluntourismus ungenutzt. Die Publikation „Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus“ beschreibt deshalb Anforderungen an Reiseveranstalter, wie sie kurzzeitige Freiwilligeneinsätze verantwortungsvoll gestalten und Risiken insbesondere für Kinder mindern können. Auch die Freiwilligen selbst können dazu beitragen, dass ihr Einsatz positiv wirkt, zum Beispiel indem sie einen seriösen Anbieter wählen. Zudem sollten sie die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen und die richtige Balance aus Vorerfahrung, Motivation und verfügbarer Zeit finden, um darauf auf bauend das passende Projekt zu identifizieren. Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus. Herausforderungen für die verantwortungsvolle G esta ltung eines neuen Reise trends. Brot für die Welt. Profil 18. Berlin, 2015. Download: http://tourism-watch.de/files/profil18_ voluntourismus_final.pdf (deutsch) http://tourism-watch.de/files/profil18_voluntourism_final_en.pdf (englisch) -tw(2.186 Zeichen, März 2015, TW 78) TO DO!-Preise für sozialverantwortlichen Tourismus Projekte aus Costa Rica, Indien und Usbekistan sind die Gewinner des TO DO! 2014 Wettbewerbs für sozialverantwortlichen Tourismus, den der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e. V. seit 1995 jährlich ausschreibt. Am 4. März 2015 werden sie auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin ausgezeichnet. Einer der Gewinner ist das Netzwerk “ACTUAR“ in Costa Rica. In einem Land, das vor allem auf Ökotourismus setzt, gibt die „Vereinigung für ländlichen Gemeindetourismus“ den Gästen Einblicke 16 in den Alltag der Dorfgemeinschaften und trägt zur Regionalentwicklung bei. Ein weiterer Preisträger ist „Reality Tours & Travel“ in der indischen Metropole Mumbai. Hier sind Slum-Bewohner in die Tourismusentwicklung eng eingebunden. Wesentliche Teile der Einnahmen kommen ihnen direkt zugute, u.a. durch Aus- und Fortbildungsangebote in einem Gemeinschaftszentrum. Durch die Slum-Touren sollen positive Seiten des Lebens in den Slums aufgezeigt und Vorurteile abgebaut werden. TourismWatch | 78 Der Preisträger „Silk Road Destinations“ ist ein Reiseveranstalter in Usbekistan. In dem abgelegenen Dorf Mitan hat er ein gemeindebasiertes Projekt initiiert, bei dem die Gäste in direkten Kontakt mit den lokalen Familien und ihrer muslimisch geprägten Kultur und Tradition treten. Das Projekt schafft für die beteiligten Dorf bewohner ein zusätzliches Einkommen und trägt zum interkulturellen Austausch bei. Die TO DO!-Jury und die jeweils mit der Überprüfung beauftragten Gutachter Kurzinformationen und Hinweise sehen bei allen Projekten das Hauptwettbewerbskriterium Partizipation als erfüllt an. Weitere Informationen: www.to-do-contest.org, www.actuarcostarica.com, www.realitytoursandtravel.com, www.silkroaddestinations.com -ck(1.546 Zeichen, März 2015, TW 78) Rekordzahlen bei Flugreisen und Kreuzfahrten Ein überdurchschnittliches Wachstum von 5,9 Prozent bei der Nachfrage und 5,6 Prozent bei den Kapazitäten im Flugverkehr verzeichnete die Internationale Luftverkehrsvereinigung (International Air Transport Association – IATA) für das vergangene Jahr 2014. Mehr als die Hälfte des Wachstums bei der Zahl der beförderten Passagiere entfiel auf Schwellenländer, z.B. in der Region Asien-Pazifik und im Nahen Osten. Innerhalb Chinas lag die Wachstumsrate sogar bei 11 Prozent. Insgesamt wurden 3,3 Milliarden Passagiere befördert, 170 Millionen mehr als 2013, was für die IATA einen neuen Rekord bedeutet. Der IATA gehören 250 Fluglinien an, auf die insgesamt 84 Prozent des internationalen Luftverkehrs entfallen. Ebenfalls mit neuen Rekordzahlen wartet die Kreuzfahrtbranche auf. Nach Angaben des Branchenverbandes Clia (Cruise Lines International Association) unternahmen 2014 rund 22,1 Millionen Passagiere eine Kreuzfahrt auf See (gegenüber 21,3 Millionen im Vorjahr). Die wichtigsten Zielregionen waren die Karibik mit 36 Prozent und die Mittelmeerregion mit 20 Prozent. Weitere Informationen: www.iata.org, www.cruising.org-ck(1.071 Zeichen, März 2015, TW 78) Land und Leute verstehen: 40 Jahre Sympathiemagazine Seit nunmehr 40 Jahren gibt es die Sympathiemagazine, veröffentlicht vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. 1974 erschien das erste Sympathiemagazin „Kenia verstehen“. Es folgten Hefte über fast 70 Reiseländer sowie zahlreiche Themenhefte, z.B. zu verschiedenen Religionen, zu Umwelt, Fremdem, Globalisierung, Tourismus, Entwicklung und Kinderrechten. Die handlichen Magazine fördern auf sympathische Weise interkulturelles Verständnis und Respekt vor anderen Kulturen sowie Engagement für einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus. Gezielt Mut zur Begegnung macht das neue Sympathiemagazin „Land und Leute verstehen“. Das Jubliläumsheft versteht sich als ein Plädoyer für das, wozu die Magazine seit 40 Jahren anregen: Sympathien für andere Länder und Menschen zu entwickeln und zu stärken. Das Heft regt an, mit „Vorurteilen und Besserwissereien des zeitgenössischen westlichen Geistes“ aufzuräumen und eige- ne Sichtweisen zu hinterfragen. Die Redakteurinnen Katharina Amling und Susanne Asal machen deutlich, wie prägend die eigene Kultur ist. Doch wie die verschiedenen Autorinnen und Autoren des Heftes zeigen, lassen sich mit Kenntnissen über Sitten und Gebräuche, mit Offenheit und Achtsamkeit in der Begegnung mit anderen Menschen Türen öffnen. Eine wichtige Rolle kommt Reiseleiterinnen und Reiseleitern als Brückenbauer und Übersetzer zwischen unterschiedlichen Kulturen zu. Das neue Sympathiemagazin liefert Inspirationen zur Reisevorbereitung und Anregungen, sich auf zunächst fremde Menschen wirklich einzulassen – in der Fremde wie auch in der eigenen Nachbarschaft. Weitere Informationen: www.sympathiemagazine.deck(1.623 Zeichen, März 2015, TW 78) 17 78 | TourismWatch Kurzinformationen und Hinweise Geschäftsreisen nachhaltiger gestalten Anregungen, wie Dienstreisen umweltverträglicher gestaltet werden können, gibt das Dossier „Geschäftsreisen – nachhaltig erfolgreich“ der Naturfreunde Internationale – respect in Österreich. Das Motto „Die umweltfreundlichste Geschäftsreise ist die, die gar nicht angetreten wird“ wollen die Herausgeber nicht als unrealistische Forderung nach einer gänzlichen Streichung von Geschäftsreisen verstanden wissen, sondern als Anregung, das Management von Geschäftsreisen zu überdenken. Im Vordergrund steht die Einsparung von Kohlendioxidemissionen durch umweltfreundlichere Verkehrsmittel. Es werden Anreize vorge- stellt, die Mitarbeitende motivieren können zum Beispiel vom Flugzeug auf die Bahn umzusteigen. Ein effizientes, nachhaltiges Reisemanagement könne helfen, sowohl Reisekosten zu sparen als auch Arbeitszeit zu optimieren. Das Dossier zum Download: https://sites.google.com/a/nf-int.org/digitale-bibliothek/home/tourismus/dossiers/ dossier-geschftsreisen-nachhaltig-erfolgreich -ck(831 Zeichen, März 2015, TW 78) Mehr biologische Vielfalt in Nachhaltigkeitszertifizierungen Um dem Schutz der biologischen Vielfalt besser Rechnung zu tragen und Gefährdungen durch touristische Aktivitäten zu vermeiden, sollten die Biodiversitätsaspekte in Zertifizierungen für einen nachhaltigen Tourismus gestärkt werden. Dabei geht es nicht nur um Artenvielfalt, um das Problem gebietsfremder invasiver Arten und den Schutz von Ökosystemen. Auch die bislang oft vernachlässigten Ökosystemleistungen sind gerade im Tourismus von Bedeutung. Wie die biologische Vielfalt in die Kriterienkataloge von Gütesiegeln und Auszeichnungen im Tourismus besser integriert werden kann, hat das europäische Expertennetz Ecotrans gemeinsam mit dem Global Nature Fund und Adelphi untersucht. Die Studie „Integration biologischer Vielfalt in CSR-Prozesse in der Tourismusindustrie“ enthält entsprechende kon- krete Empfehlungen. Insbesondere sollte das „nonet-loss“-Prinzip in Kriterienkataloge aufgenommen werden, d.h. es muss ein relevanter Beitrag geleistet werden, den Verlust biologischer Vielfalt zu stoppen, und es müssen Voraussetzungen für einen Zugewinn an Biodiversität geschaffen werden. Als weitere wichtige Maßnahmen werden die Einführung eines Biodiversitäts-Monitorings sowie Weiterbildungen genannt. Download der Studie: www.business-biodiversity.eu/global/download/%7BCFYYDWXQUE1217201414717-PAIMXHXVAW%7D.pdf -ck(1.208 Zeichen, März 2015, TW 78) „WissensWerte“-Kurzfilm Tourismus und Nachhaltigkeit „Die Welt entdecken, ohne sie gleich kaputt zu machen“ – wie das gehen kann, zeigt der kurze Animationsfilm „Tourismus und Nachhaltigkeit“ aus der Reihe „WissensWerte“ des Vereins /e-politik.de/ e.V. In wenigen Minuten gibt der Clip einen Überblick über die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus, über ökologische und soziale Probleme, die er mit sich bringt, und über nachhaltigere Formen des Tourismus. Weitere Animationsclips gibt es auch zu Themen wie Klimawandel, Menschenrechte und Biodiversität. 18 Der Tourismus-Kurzfilm im Internet: www.youtube.com/watch?v=BYSkBldlQrY Weitere Informationen: www.wissenswerte.e-politik.de -ck(509 Zeichen, März 2015, TW 78) TourismWatch | 78 Literatur und Materialien Kinderhandel für Waisenhaus-Tourismus in Nepal „The Paradox of Orphanage Volunteering: Combating Child Trafficking through Ethical Voluntourism” Die amerikanische Nichtregierungsorganisation “Next Generation Nepal” (NGN) zeigt in ihrem Bericht „The Paradox of Orphanage Volunteering“, wie Freiwilligeneinsätze in Waisenhäusern in Nepal zu problematischen Entwicklungen geführt haben. Spender, Waisenhäuser zu unterstützen. Der Bericht zeigt, dass die meisten Waisenhäuser in Nepal nicht den rechtlichen Standards entsprechen und dass die Misshandlung und Ausbeutung von Kindern in solchen Einrichtungen gang und gäbe ist. Der Bericht weist darauf hin, dass in Waisenhäusern in Nepal über 15.000 Kinder leben, von denen mindestens zwei Drittel eigentlich gar keine Waisen sind. Laut NGN werden viele von ihnen nur deshalb in “Waisenhäusern” untergebracht, weil sich mit ihnen Geld machen lässt. Denn gutmeinende, aber naive ausländische Freiwillige und Spender zahlen für sie. Fast 90 Prozent der “Waisenhäuser” in Nepal liegen deshalb in den fünf Distrikten, die für den Tourismus am wichtigsten sind: Kathmandu, Lalitpur, Bhaktapur, Kaski und Chitwan. Voluntourismus als wachsendes globales Phänomen mag zwar oft aus altruistischen Motiven heraus entstehen und durchaus positive Potenziale bergen. Er kann aber auch große Schäden anrichten. NGN rät von Freiwilligendiensten in Waisenhäusern ab und gibt eine Reihe von Empfehlungen für die Tourismuswirtschaft, die Regierung Nepals, die Zivilgesellschaft, die Medien, die Wissenschaft und die diplomatischen Dienste ab, wie man mit dem „Waisen“-Kinderhandel umgehen kann und die Möglichkeiten für ethisch vertretbare Freiwilligeneinsätze verbessern kann. Der Bericht beschreibt die Geschichte des Kinderhandels, der auf die Zeit des Bürgerkriegs zurückgeht. In der Karnali-Region sahen Eltern in Kinderhändlern Helfer in der Not, um ihre Kinder vor der Rekrutierung durch die maoistischen Rebellen zu bewahren. Als westliche Länder 2010 die Adoption von Kindern aus dem Ausland verboten, verlegten kriminelle Banden ihr Geschäft vom “Verkauf ” von Kindern zu Adoptionszwecken hin zum “Verkauf ” von Gelegenheiten für Freiwillige und The Pa radox of Or pha na ge Volunteering: Combating Child Trafficking through Ethic a l Voluntour ism. H g. von Nex t G enerat ion Ne p a l (NGN). Eu g e ne ( US A), 2 0 1 4 . Download: www.nextgenerationnepal.org/File/ The-Paradox-of-Orphanage-Volunteering.pdf -ck(2.033 Zeichen, März 2015, TW 78) Weder Löwenbabys noch Waisenkinder „Wegweiser Freiwilligenarbeit im Ausland“ Mit seiner Handreichung „Wegweiser Freiwilligenarbeit im Ausland“ gibt Frank Seidel Anleitungen zur Beurteilung und Auswahl von Freiwilligenarbeit. Dabei sind auch Kurzzeiteinsätze durchaus möglich, besondere Kenntnisse und Erfahrungen nicht unbedingt nötig. In Bezug auf Waisenhaustourismus und Projekte mit Raubtierbabys aber rät der „Wegweiser“ zu besonderer Vorsicht, weil man leider nicht automatisch davon ausgehen könne, dass die aufnehmenden Organisationen am Gemeinwohl interessiert wären. Vielmehr gäbe es bei bei den Sonderf ä llen auch ein ige sk r up el lose G e schä f temacher. Für den Autor besteht der Hauptnutzen der Freiwilligenarbeit im „Aufbau einer tiefgründigen und emotionalen Beziehung zum Einsatzort als Beginn eines Lernprozesses und Motor eines dauerhaften Engagements“. Nicht das „Helfen“, sondern das „Lernen, wie man helfen kann“, stehe im Vordergrund. 19 78 | TourismWatch Literatur und Materialien Die Broschüre enthält eine ausführliche Checkliste, mit der Interessierte ihre eigenen Erwartungen mit den Gegebenheiten in den jeweiligen Projekten und dem organisatorischen Umfeld abgleichen können. Wegweiser Freiwilligenarbeit im Ausland. So wählen Sie die richtige Freiwilligen-Organisation aus. Von Frank Seidel. 2014. Download: www.wegweiser-freiwilligenarbeit.com -ck(1.071 Zeichen, März 2015, TW 78) Menschenrechtsverletzungen im Namen eines falsch verstandenen Naturschutzes „Parks need Peoples“ Von Nina Sahdeva Zum Start der Kampagne „Eure Wildnis, Unser Zuhause“ publizierte Survival International unter dem Titel „Parks need Peoples“ einen Bericht über die Verletzung von Menschenrechten indigener Völker im Namen des Naturschutzes. Auf den 24 Seiten geht es einerseits um die Botschaft, dass es eine „Wildnis“ im Sinne eines menschenfreien Gebiets nicht gibt: Alle Naturschutz- oder „Welterbe“-Gebiete sind oder waren Land von Urvölkern. Sie haben vom Land gelebt, waren davon abhängig und haben es in seiner Vielfalt erhalten. Wenn sie im Namen des Naturschutzes oder auch im Namen der Entwicklung in so genannte Umsiedlungsgebiete gezwungen werden, ist das nicht nur für ihre Lebensart, ihre Kultur und ihren gesamten Sinnzusammenhang eine Katastrophe. Auch das Land leidet darunter. Brände, Wilderei, Überbeanspruchung des Landes nehmen parallel zum Tourismus und zur Modernisierung zu. Der Bericht enthüllt, wie Millionen Indigener im Namen des Naturschutzes von ihrem Land vertrieben wurden. Involviert in dieses Unrecht seien viele der weltweit größten Naturschutzorganisationen wie der WWF, The Nature Conservancy und die von Prinz William und Prinz Harry gegründete „United for Wildlife“-Initiative. Diese Form des Rassismus habe eine lange Geschichte. Menschenrechtsverletzungen im Namen des Naturschutzes umfassen gemäß Bericht unrechtmäßige Vertreibungen, Verhaftungen, Schikanen und Misshandlungen aufgrund des Vorwurfs der Wilderei, die bis zu Folter und Ermordung gehen. Vollends absurd wird diese Behandlung vor dem Hintergrund erlaubter Großwildjagd betuchter Touristen auf privaten Gebieten derselben Region. 20 Gründe dafür seien Paternalismus, wenn etwa eine Regierung die „rückständigen“ Indigenen in die Mainstream-Gesellschaft eingliedern will, oder das lukrative Tourismusgeschäft, bei dem die Urvölker nur noch als folkloristische Kulisse willkommen sind. Hinzu kommt der Wunsch, diese Gebiete zu kontrollieren und zu „managen“, der oft von internationalen Naturschutzorganisationen verstärkt wird. Beeindruckend im Bericht sind die Beispiele und die Stimmen der Betroffenen. So ist er ein guter Auftakt zur Kampagne „Eure Wildnis, Unser Zuhause“, mit der engagierte Personen dafür gewonnen werden sollen, verschiedene aktuelle Beispiele von Vertreibungen kennenzulernen und die Möglichkeit zu nutzen, sich aktiv für den Schutz der Indigenen einzusetzen. Parks need Peoples. Hg. Survival International, 2014. 24 Seiten. Download: http://assets.survivalinternational. org/documents/1324/parksneedpeoples-report.pdf Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Arbeitskreises Tourismus und Entwicklung, Basel, www.fairunterwegs.org. Weitere Informationen: Survival International Kampagne „Eure Wildnis, Unser Zuhause” www. survivalinternational.de/wildnis (2.367 Zeichen, März 2015, TW 78) TourismWatch | 78 Literatur und Materialien Tourismus noch nicht „enkeltauglich“ „Internationaler Tourismus“ Auf der Weltkarte gibt es – touristisch gesehen – keine weißen Flecken mehr. Wie erschlossen die Welt von heute ist, zeigt Albrecht Steinecke in seinem Lehrbuch „Internationaler Tourismus“. Auch Praktikern vermittelt das Werk spannende Einblicke in die aktuelle internationale Tourismuslandschaft. Denn neue Märkte sind entstanden: sowohl innovative neue Zielgebiete als auch neue Quellmärkte, von denen in Zukunft eine enorme Nachfrage ausgehen wird. Ein Beispiel sind die Golfstaaten, die sich nicht mehr allein auf Petrodollars verlassen, sondern auch massiv in den Tourismus investieren – eine Diversifizierungsstrategie, die aufgeht. Auch der Fall des Eisernen Vorhangs hat zu deutlichen Veränderungen globaler Reiseströme geführt. Hinzu kommen als „global player“ große Schwellenländer wie China und Indien. So haben die Chinesen mit ihren Reiseausgaben mittlerweile die Deutschen von Platz 1 als „Reiseweltmeister“ verdrängt. steht. Denn der Maßstab ist nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit mit Blick auf die Touristenzahlen. Krisen wie Naturkatastrophen, Epidemien oder politische Unruhen müssen erfolgreich gemeistert werden. Die Einnahmen aus dem Tourismus müssen angemessen verteilt werden und es gilt die Partizipation der lokalen Bevölkerung sicherzustellen, das natürliche und kulturelle Erbe zu erhalten und die Menschenrechte zu wahren. In Zukunft werde es darauf ankommen, die touristische Entwicklung im Sinne einer „Enkeltauglichkeit“ zu gestalten – d.h. Ressourcen so zu nutzen, dass das Gestaltungsrecht künftiger Generationen nicht beeinträchtigt wird. Neben aktuellen Trends beschreibt Steinecke die großen Herausforderungen, vor denen die Branche (1.667 Zeichen, März 2015, TW 78) Internationaler Tourismus. Von Albrecht Steinecke. UTB, Stuttgart, 2014. 185 Seiten. ISBN-13: 978-3825242022 -ck- Klimawandel als Quelle der Kreativität „Streitfall Klimawandel“ „Warum sind wir uns über Klimawandel uneins?“ Dieser Frage geht Mike Hulme in seinem Buch „Streitfall Klimawandel“ ausführlich und aus unterschiedlichen Perspektiven nach. Ob in der Wissenschaft, Wirtschaft, Religion, Politik oder Medien – die Meinungsverschiedenheiten sind allgegenwärtig. Sie sind unter anderem dadurch begründet, dass Menschen ihre Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen unterschiedlich wahrnehmen, Menschen und Natur in unterschiedlicher Weise wertschätzen und verschiedene Einstellungen zu Klimarisiken haben. Der Autor identifiziert vier Mythen zum Klimawandel: Bei einigen Menschen überwiege die „Trauer um den Garten Eden“, denn mit dem menschlichen Einfluss auf das Klima sei ein letzter Teil Natur verlorengegangen. Andere folgten dem „apokalyptischen Klimawandelmythos“, der an das Gefühl der Angst vor der unbekannten Zukunft appelliert, aber auch ein Aufruf zum Kampf sei. Nach dem Mythos vom „Turmbau zu Babel“ maßt die Menschheit sich an, das Klima beherr- schen zu wollen. Das „heilige Jahr“ schließlich ist eine Lesart, nach der im Umfeld des Klimawandels für soziale und umweltbezogene Gerechtigkeit mobilisiert werden kann. So biete der Klimawandel unter dem Stichwort Klimagerechtigkeit der Menschheit die Chance, das Richtige zu tun. In diese Richtung geht auch das Fazit des Buches. Denn während über Klimawandel weitgehend als Katastrophe oder unmittelbar bevorstehende Gefahren berichtet wird, plädiert der Autor dafür, die Vorstellung vom Klimawandel als „Thema eines kreativeren und weniger abwertenden Diskurses“ zu positionieren. Streitfall Klimawandel: Warum es für die größte Herausforderung keine einfachen Lösungen gibt. Von Mike Hulme. Oekom Verlag, München, 2014. 384 Seiten, ISBN-13: 978-3865814593. -ck(1.583 Zeichen, März 2015, TW 78) 21 78 | TourismWatch Veranstaltungen und Termine Zwischen Politik und Alltag Sympathiemagazin „Israel verstehen“ Besetzte und Besatzer, David und Goliath – die Rollenverteilung im Heiligen Land scheint klar zu sein, und doch sind die Konflikte und Krisen, die die Region nicht zur Ruhe kommen lassen, alles andere als leicht zu durchschauen. Unter der Redaktion von Katharina Amling haben deutsche und einheimische Autorinnen und Autoren die Herausforderung angenommen, Israel zu verstehen – und sympathisch zu vermitteln. Es ist kein einfaches Unterfangen, angesichts der hochkomplexen Problemlagen, die den israelisch-palästinensischen Konflikt so schwer lösbar und Annäherungen zwischen Israelis und Palästinensern so schwierig machen. Kontrovers diskutierte Themen wie Trennwall und Siedlungsbau im Westjordanland werden im Magazin von beiden Seiten beleuchtet. Doch das Heft vermittelt nicht nur Einblicke in die politische Dynamik, sondern auch in den ganz normalen Alltag eines Landes, dessen Bevölkerung seit 60 Jahren nicht in Frieden lebt. Dabei bleibt natürlich auch nicht ausgespart, was Israel für Besucher so anziehend macht. Zum Beispiel Jerusalem, die „Stadt aus Gold“ und heilige Stätte dreier Religionen, die seit jeher Touristen in Scharen anlockt. Es ist aber auch eine geteilte Stadt, in der jüdische von arabischen Vierteln durch Sicherheitskontrollen abgeschirmt sind. „Israel und die Israelis besser zu verstehen ist nur möglich, wenn man sich gleichzeitig auch mit Palästina und den Palästinensern beschäftigt“, heißt es im Vorwort zur Neufassung von „Israel verstehen“. Das Heft ergänzt sich mit dem Sympathiemagazin „Palästina verstehen“, das 2014 erschienen ist. Weitere Informationen: www.sympathiemagazine.de -ck(1.576 Zeichen, März 2015, TW 78) Deutscher Evangelischer Kirchentag, 3.-7. Juni 2015 in Stuttgart Vom 3. bis 7. Juni 2015 wird Stuttgart Gastgeber des Deutschen Evangelischen Kirchentags sein. Unter der Losung „damit wir klug werden“ aus dem 90. Psalm, Vers 12 wird im Rahmen der Mitwirkung von Brot für die Welt auch Tourism Watch mit einem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten vertreten sein. Denn Reisen, das auf Begegnung und Erfahrungen setzt, bildet. Tourism Watch bei Brot für die Welt wird gemeinsam mit der Arbeitsge- 22 meinschaft der Evangelischen Jugend und ECPAT Deutschland eine Veranstaltung zum Thema Voluntourismus im Zentrum Jugend gestalten. Weitere Informationen: www.kirchentag.de -am(558 Zeichen, März 2015, TW 78) TourismWatch | 78 Roundtable Menschenrechte im Tourismus Informations- und Dialogplattform für Reiseveranstalter Das Thema Menschenrechte gewinnt auch im Tourismus zunehmend an Bedeutung. Für Veranstalter ist es nicht leicht, die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf alle beteiligten Menschen im Auge zu behalten. Werden die Mitarbeitenden in den Hotels fair bezahlt? Haben Fischer trotz des Hotelneubaus Zugang zum Strand? Viele Detailfragen stellen sich. An diesem Punkt setzt der Roundtable Menschenrechte im Tourismus an. Der Zusammenschluss aus Reiseunternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen möchte bei der systematischen Integration der menschenrechtlichen Sorgfalt im touristischen Management unterstützen. Der Roundtable ist eine offene Dialogplattform und stellt Informationen, Materialien und Good-Practice-Beispiele zur Verfügung. Das Angebot des Roundtable Menschenrechte im Tourismus auf einen Blick Das Commitment … ist eine Empfehlung für einen Branchenstandard zur menschenrechtlichen Sorgfalt von Tourismusunternehmen. Es gründet auf den „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ der Vereinten Nationen. Erste Reiseveranstalter und ein Reiseverband haben diesen Standard bereits übernommen. Der Leitfaden … unterstützt bei der Umsetzung des Commitments in der betrieblichen Praxis. Er hilft bei der Entwicklung einer Menschenrechtsstrategie, die sich in bestehende Strukturen von Tourismusunternehmen integrieren und individuell an deren Bedürfnisse anpassen lässt. Das Online-Training … dient zur Weiterbildung von Führungs- und Fachkräften. In fünf Lerneinheiten vermittelt das internetbasierte Bildungstool sowohl Grundlagenwissen als auch praktische Herangehensweisen zur menschenrechtlichen Sorgfalt. Alle Materialien und weitere Informationen finden Sie kostenlos unter: www.menschenrechte-im-tourismus.net Setzen Sie sich für die Menschenrechte ein, nutzen Sie das Informationsangebot und nehmen Sie am Roundtable teil! Neue Mitglieder sind ausdrücklich erwünscht. Kontaktstelle für Deutschland: Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst / Arbeitsstelle Tourism Watch Tel.: +49 (0)30 652 11 1807 | E-Mail: [email protected] Kontaktstelle für Österreich: Naturfreunde Internationale, Tel.: +43 (0)1 892 38 77 19 | E-Mail: [email protected] Kontaktstelle für die Schweiz: arbeitskreis tourismus & entwicklung, Tel.: +41 (0)61 261 47 42 | E-Mail: [email protected] Die folgenden Unternehmen und Organisationen sind bisher Mitglied im Roundtable Menschenrechte im Tourismus und haben sich zur Umsetzung und Verbreitung des Commitments verpflichtet: arbeitskreis tourismus & entwicklung (Basel) | a&e erlebnis:reisen (Hamburg) | Brot für die Welt – Tourism Watch (Berlin) | Deutsches Global Compact Netzwerk (Berlin) | forum anders reisen (Freiburg) | Gebeco (Kiel) | Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik | Hauser Exkursionen München | kate – Umwelt & Entwicklung (Stuttgart) | Kuoni (Zürich) | Naturfreunde Internationale (Wien) | ONE WORLD – Reisen mit Sinnen (Dortmund) | Studiosus (München) | TourCert (Stuttgart) | viventura (Berlin) Die Erstellung des Commitments und des Leitfadens wurde unter anderem gefördert durch die Der Informationsdienst TourismWatch erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden. Herausgeber Brot für die Welt ‒ Evangelischer Entwick lungsdienst, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. Caroline-Michaelis-Straße 1 10115 Berlin Tel +49 30 65211 0 Fax +49 30 65211 3333 [email protected] tourism-watch @brot-fuer-die-welt.de www.brot-fuer-die-welt-de www.tourism-watch.de Redaktion Christina Kamp, Antje Monshausen V.i.S.d.P. Thomas Sandner Layout Corinna Rach Druck Zentraler Vertrieb des EWDE, Leinfelden-Echterdingen Berlin, März 2015 Ein Nachdruck der Beiträge mit Quellenangabe ist erwünscht. Wir bitten um die Zusendung von zwei Belegexemplaren. Spenden Brot für die Welt Konto 500 500 500 Bank für Kirche und Diakonie BLZ 1006 1006 IBANDE10100610060500500500 BICGENODED1KDB