Wo wollen wir leben? Magazin→ Titel
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Wo wollen wir leben? Magazin→ Titel
Magazin > Titel Vom Leben und Wohnen in Szenevierteln, Dörfern und Industriedenkmälern Wo wollen wir leben? “Kreativwirtschaft” ist ein Schlüsselthema der Stadtentwicklung. Nach der Theorie von Richard Florida siedeln sich umso mehr Hightech-Industrien und Wissenschaft in einer Stadt an, je mehr “Kreative” in ihr leben. Aber was zieht “Kreative” an? Wohnquartiere, die eine pulsierende Infrastruktur aus Kultur, Interkultur, Gastronomie und Toleranz bieten. Auf den nächsten Seiten spürt MEIER der Frage nach, welche “Szeneviertel” zum Wohnen immer interessanter werden, ob für junge Familien Dorf oder Stadt die bessere Wahl sind – und wie Industriedenkmäler zu Wohnungen werden können. Experimentelles Wohnen im Mannheimer Szeneviertel Jungbusch: Der Designer Torsten Ohrnberger hat eine mobile Containerwohnung auf dem Dach eines Hauses installiert – mit Blick auf die historischen Hafenanlagen. Foto: Daniel Lukac Eine Freitagnacht im Jungbusch: Das Mannheimer Hafenviertel fühlt sich an wie das Hamburger Schanzenviertel. Vor der “Onkel Otto Bar”, einem ehemaligen Rotlichtetablissement, wartet eine lange Schlange von Clubbern auf Einlass in die zum Club umfunktionierte Bar, ein paar Meter weiter spielt eine Berliner Band in der Szenekneipe “Blau”, im Café Nelson ist am Tresen kein Platz mehr frei, im “Hafenstrand” auf dem Dach des Musikparks rockt das DJ-Team der Zodiac Lounge, und im Rhodos, dem “Tor zum Jungbusch”, werden in ein paar Stunden die buntesten Vögel der Stadt bis zum Morgengrauen auf den Tischen tanzen. Nur wenige hundert Meter vom Zentrum des Jungbusch-Nachtlebens entfernt, steht der Designer Torsten Ohrnberger vor seiner “Box” und genehmigt sich einen Cocktail. In der Werftstraße installierte er auf dem Dach eines Lofts eine “parasitäre Wohneinheit”. Die Container-Wohnung “Box” wurde mit einem Kran auf das Dach gehievt, besteht aus mobilen Einzelmodulen und bildet mit den darunterliegenden Räumen eine 150 qm große Wohneinheit mit Wohn-, Ess- und Schlafzimmer, Bad mit Dampfsauna und einer Terrasse mit Blick auf den Hafen. Ein Pool ist noch in Planung. Seine “Box” versteht der Inhaber des “Instituts für Raumfreiheit” als Prototyp und Chance, auch auf anderen städtischen Brachflächen hochwertigen und innovativen Wohnraum zu schaffen. Der Jungbusch sei ein sehr gutes Pflaster für Kreative: “Hier ist es auch noch ein bisschen wild. Und sehr lebendig – das muss man allerdings wissen, wenn man hierher zieht.” Laut einer Theorie des amerikanischen Stadtforschers Richard Florida werden sich umso eher Hightech-Industrien und Wissenschaftszentren in einer Stadt herausbilden, je mehr Kreative dort leben. Doch lassen sich Kreative bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes längst nicht nur von der Attraktivität des Arbeitsmarktes leiten. Statt “People follow jobs” heißt es “Jobs follow people”: Mindestens ebenso wichtig ist die Vielfalt des kulturellen Angebots und ein von Toleranz geprägtes Klima. Die Kreativen, so der britische Soziologe Charles Landy, sind sowohl Individualisten als auch Hedonisten, die zwischen Bürgerlichkeit und Unbürgerlichkeit wechseln und die Nähe zu anderen Kreativen aus anderen Metiers suchen. “Das vorhandene Humankapital bestimmt den Wachstumspfad einer Region. Kluge Leute lassen sich da nieder, wo schon andere kluge Leute sind”, erläutert Thomas Straubhaar in einem Interview mit der FAZ. Um die kreative Klasse anzuziehen, müsse eine Stadt vor allem für Offenheit sorgen, meint der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. “Sie muss offen sein für Ausländer, für Neues, für Kultur außerhalb der Norm, für unkonventionelle Bildungssysteme oder für Sicherheit der Minoritäten. Und natürlich muss die Infrastruktur gut funktionieren.” Wohnen und Nachtleben im Jungbusch Klassische Standortpolitik greife bei dem Thema Kreativwirtschaft nicht mehr, das glaubt auch der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz. “Es geht nicht mehr nur um den Wettbewerb zur Ansiedlung von Unternehmen, sondern ebenso um den Wettbewerb zur Gewinnung von Menschen” sagte der OB im Oktober in Berlin bei der Jahrestagung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Zur Zeit arbeite die Stadt gerade an einer neuen wirtschaftspolitischen Gesamtstrategie: Stadtteilprofile sollen geschärft und die städtebauliche Entwicklung auf der Basis eines kreativen Selbstverständnisses vorangetrieben werden. Doch was das betrifft, hat Mannheim Nachholbedarf. Betrachtet man die Ergebnisse eines aktuellen Rankings der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dann liegt Mannheim abgeschlagen hinter Nürnberg auf dem letzten Platz und vor allem in einem Punkt knickt die Stadt ein: Der Anteil der hier lebenden “Bohème” ist laut der zu Grunde liegenden Roland Berger-Studie auffällig gering. Ein wunder Punkt, denn es scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass gerade von dieser Subkultur mit Galerien, Lesungen, Events, kleinen Läden, Initiativen und der entsprechenden Infrastruktur aus Cafés, Bars und Clubs entscheidende Impulse für den kreativen Geist einer Stadt ausgehen. Als kreatives Zentrum der Stadt hat die Stadt Mannheim daher das Hafenviertel Jungbusch im Fokus, wo mit dem Existenzgründerzentrum Musikpark und der Popakademie Eckpfeiler in Sachen Kreativwirtschaft gesetzt wurden. Neben der Musikwirtschaft will man künftig aber auch andere kreative Branchen ansiedeln. Eine Schlüsselrolle spielen die Kauffmannmühle und die Jungbuscharena: Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Mühle wurde bereits saniert, heute residieren dort Radio Sunshine live, das Büro für Kunst Zeitraumexit und die Multimediafirma “Digitale Informationssysteme”. Die Geschichte der Kauffmannmühle und der Jungbuscharena, die von Szeneaktivisten als temporäres Eventhaus inszeniert wurde, ist zugleich Beleg dafür, wie sehr die Entwicklung vom Willen eines Investors abhängen, beziehungsweise ausgebremst werden kann. Richard Suhl, der Besitzer beider Liegen- 0109 l magazin titel l 19 schaften hat bereits 2001 die hochtrabende Vision eines Zunftviertels am Verbindungskanal in Aussicht gestellt, aber bislang noch nichts davon realisiert. “Kulturpolitik und Städtebaupolitik sind Teil der Gesellschaftspolitik”, sagt Oberbürgermeister Peter Kurz und benennt damit ein entscheidenes Thema. Ein Szeneviertel kann noch so lebendig sein – es bleibt unattraktiv, wenn es keine Wohnqualität bietet. Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ist widersprüchlich. Während es an Wohnimmobilien in guter Lage für Haushalte mit höherem Flächenbedarf mangelt, bestehen bei kleinen Wohnungen in einfachen und mittleren Lagen Vermietungsund Vermarktungsprobleme – und das, obwohl bei den 18- bis 25-jährigen neben der Nähe zum Studienort oder Arbeitsplatz vor allem Wert auf ein urbanes Ambiente mit guten Ausgeh- und Einkaufmöglichkeiten gelegt wird. Statistisch gesehen lässt sich hier der bundesweite Trend zur Rückkehr in die Stadt noch nicht beobachten, wahrscheinlich weil vor allem familiengerechter Wohnraum fehlt und 20 l magazin titel l 0109 weil der Strukturwandel erst begonnen hat. Hauseigentümer im Jungbusch beginnen erst jetzt gezielt an Kreative zu vermieten. “Ich glaube, dass das das nachhaltigste Konzept für den Stadtteil ist”, sagt Torsten Better, selbst Architekt und Kreativer. Im Hinterhaus seiner Immobilie in der Jungbuschstraße18 hat unter anderem die Orientalische Musikschule ihren Sitz, im Vorderhaus leben und arbeiteten Künstler und Musiker. “Es gibt Nachfrage, aber das Wohnungsangebot hinkt im Jungbusch hinterher”, sagt der Mannheimer Immobilienmakler Jörg Ascheberg. “Einfallslose Studentenwohnheime haben nur Quadratmeter, aber kein individuelles Wohnen ermöglicht” Dass familiengerechter Wohnraum verstärkt in Wohnraum für Studenten verwandelt werde, beobachtet auch Jungbusch-Quartiermanager Michael Scheuermann. Der Stadtteil solle seine ausgewogene Bewohnerstruktur und den Flair als Hafenviertel behalten, fordert er: “Wir wollen, dass der Jungbusch stabil bleibt und es zu keinen Verdrängungen im größeren Stil kommt.” Trotz gestiegener Mieten ist der Woh- nungsmarkt im Busch noch entspannt: Eine Altbauwohnung kann man hier für rund 5,60 Euro pro Quadratmeter mieten, was in etwa dem Mannheimer Durchschnittspreis entspricht. Und der liegt mit 5,76 Euro deutlich unter der Heidelberger Mittel von 7 Euro und 40 Cent. Zwar gebe es vereinzelt Spekulanten, die hier schnelles Geld machen wollen, einen Trend kann Michael Scheuermann nicht ausmachen. “Ich sehe im Moment keine große Gefahr: Man kann hier keine Preise wie in einem gehobenen Wohngebiet verlangen. Der Bestand an ganz günstigen Wohnungen ohne Luxus unter 4 Euro pro Quadratmeter wird allerdings zurückgehen.” Wie Kreativwirtschaft und Wohnen eine spannende Symbiose eingehen können, zeigt sich in der Westlichen Unterstadt, nur wenige Gehminuten von der Jungbuschstraße entfernt. Im Auftrag der Verleger Bernhard und Sebastian Wipfler hat der Schweizer Architekt Beat Consoni ein außergewöhnliches Wohn- und Geschäftshaus entworfen. Das Vorderhaus des betont minimalistischen Sichtbeton-Baus beher- Links die Popakademie, rechts die JungbuschArena und die Kaufmannsmühle – dazwischen die Menschen, die den Kitt zwischen dem neuen und alten Mannheim bilden sollen. Ein Bild vom einem Tag im Sommer, als die Vision ganz real war: nach einer Modenschau auf der Hafenpromenade. Foto: Masterpress bergt eine Galerie und Büropräume für den Verlag “Edition Panorama”, im hinteren Teil des Baus sind großzügige Wohnungen im Loftund Penthousestil realisiert worden, die in der ehemaligen Baulücke neben dem Odeon-Kino elegantes urbanes Wohnen möglich machen – mitten im Multikulti-Kiez des historischen Filsbachviertels. “Wir wollen hier ein Kreativzentrum installieren und gezielt an Leute aus dem Designbereich und der Kreativbranche vermieten”, erklärt Bernhard Wipfler. Das Umfeld spiele mehr denn je eine Rolle: Wer 10 bis 12 Stunden am Tag arbeite, so Wipfler, möchte dies nicht in einem anonymen Bürohaus tun. “Heute überlegt man sich: Mit wem will ich leben? Ich wünsche mir da ein schönes und produktives Miteinander.” Dem Standort bescheinigt der Senior-Chef viel Potenzial: “Wir sind seit fast 30 Jahren hier. Gerade das Multikulturelle ist sehr spannend. Hier ist das normale Leben Spiegelbild unserer Gesellschaft.” Vor allem in den Quadraten G 7 und H 7 hat sich ein breites kreatives Spektrum angesiedelt. Das Gastroangebot, Kultureinrichtungen wie das Theater TiG7 sowie die Nähe zur Innenstadt machen diesen Teil gerade für ein intellektuel- les, liberales Bürgertum interessant. Seit einigen Jahren lässt sich auch in der NeckarstadtWest ein Imagewandel beobachten. Der bodenständige Konterpart zur vergleichsweise bürgerlichen Neckarstadt-Ost gilt zwar im direkten Umfeld des Rotlichtmilieus der Lupinenstraße als sozialer Brennpunkt, versteht sich mit Galerien wie “Peng!”, dem Kunstladen und der Neueröffnung “Wildwest” aber zunehmend als kreativer, kulturaffiner Stadtteil. Aufsteiger Neckarstadt So beteiligten sich 2008 mehr als 30 Stationen am Tag des Offenen Ateliers bei der “Lichtmeile”, deutlich mehr als im Vorjahr. “Die Neckarstadt-West hat ein riesengroßes Potential und einen schönen Altbaubestand, der noch erobert werden kann. So steht in der Alphornstraße fast jedes Haus unter Denkmalschutz”, betont Quartiermanager Gabriel Höfle. Er würde gerne im denkmalgeschützten Alten Volks- bad Kreativwirtschaft etablieren. Eine Umfrage habe ergeben, dass der Standort geeignet sei. Im nächsten Schritt sollen nun die Umbaukosten ermittelt werden. Auch ein Konzept zur Umgestaltung des Neckarufers in ein Naherholungsgebiet am Fluss liegt der Stadt vor. Sollte es umgesetzt werden, dann könnte sich der Stadtteil – auch wegen seiner Nähe zum Jungbusch und zum neu gestalteten Messplatz mit Capitol, Platzhaus und Alter Feuerwache zu einem interessanten, weil nicht zuletzt bezahlbaren Wohn- und Arbeitsareal für Kreative mausern. Höhere Miet- und Kaufpreise müssen bereits in der Neckarstadt-Ost gezahlt werden, wo der Strukturwandel ebenfalls voll im Gange ist. Werbeagenturen, Designbüros, Fotografen, Architekten, Medienverlage und eine Theaterakademie siedelten sich im Umfeld der IndustrieLofts des Dessousherstellers Felina an. Mit Konsequenzen, die auch anderen Wirtschaftszweigen Perspektiven bieten: Die Gastronomie in der quirligen Langen Rötterstraße beispielsweise kann in der Mittagszeit den Ansturm von hungrigen Kreativarbeitern kaum noch bewältigen. Mikroökonomie wie aus einem Lehrbuch von Richard Florida. EVA MAYER/RED > Kommentar Mannheim ist zu teuer! Das Leben in Mannheim setzt einen gut bezahlten Job voraus. Wer das Pech hat, im Niedriglohnsektor zu arbeiten oder von Alg II leben zu müssen, kann sich Hoch- und Popkultur hier kaum leisten. Die Kulturproduktion wird in den Hobbybereich abgedrängt. Doch wer ist schon kreativ, wenn er den ganzen Tag stumpfsinnige Arbeit verrichten muss? Die Kreativen aus aller Welt zieht es nach Berlin, der geringen Lebenshaltungskosten wegen. Sie sind Avantgardisten, Chaoten und Spinner im besten Sinne. Sie brauchen eine günstige Infrastruktur, sonst können sie sich nicht entfalten. Die Berliner Quartiersmanagements sichern günstige Produktionsstätten und fördern die Verbindung von Kunst und Kommerz. Man weiß: Wo “LowArt” gefördert wird, pulsiert das Leben. Die Kreativen befinden sich stets im interdisziplinären Austausch. Gemeinsame Projekte werden geplant und wieder fallen gelassen. Immerhin: Es gibt die Möglichkeit, Projekte zu entwickeln. Auch wenn es sich dabei oft nur um heiße Luft handelt. Deshalb hat sich die Kreativwirtschaft für Berlin entschieden: Nicht furchtsame Kleinbürger setzen dort die Trends, sondern die kreativen Selbstausbeuter! Trendscouts mischen sich daher unter die Bohéme, schnappen deren Innovationen auf und vermarkten sie. Die Kreativen haben zwar nichts davon, doch egal: Zur Industrie will man ’eh nicht gehören. Wenn unser aller Oberbürgermeister Peter Kurz nun die Abwanderung der Kreativen aus Mannheim verhindern und die Kreativwirtschaft anziehen möchte, dann hat er noch viel zu tun: Er muss dem kreativen Fußvolk eine attraktive Plattform bieten, denn ohne die geht es nicht! Ein paar Tipps: Die Zwischennutzung von Ladenlokalen muss sich lohnen, nicht deren Leerstand. Es muss außerdem viel leichter werden, Projekte zu starten – ohne Kredite und Insolvenzgefahr! Und die Zweckbindung der Läden und ähnlicher Bürokratieunfug müssen weg. Dann klappt das auch mit dem schönen Leben in HOLGER E. KARST Mannheim und dem Trendsetting! Bin mal gespannt. > Der Autor ist ein aus Berlin zugezogener Mannheimer. Sein Blog auf www.godelta.de und auf lost-in-mannheim.blogspot.com beinhaltet Polemiken und Berichte über die Eindrücke, die er von Mannheim bekommt. Außerdem hat er seine Firma bemybag.com mitgebracht, mit der er die Welt mit Taschen und Portemonnaies beglückt. Kreativ Arbeiten und exklusiv Wohnen in Heidelberg Edelkreativ Dank günstiger Mieten zieht Berlin Kreativarbeiter immer noch magisch an, eine Hochpreiszone wie Heidelberg scheint da weniger attraktiv zu sein. Und doch entwickeln sich die Stadtteile Bergheim und Weststadt zu Szenevierteln – obwohl das Wohnen dort kostspielig ist. Weststadt Der Stadtteil Wem die Altstadt mit ihren Touristenmassen auf die Nerven geht, findet in der urbaneren Weststadt eine entspanntere Atmosphäre. Zogen in den 80ern noch bevorzugt StudentenWGs in die Jugendstil-Villen und Großbürgerhäuser am Waldrand, so werden die Wohnungen heute zunehmend von kreativen Gutverdienern und Familien genutzt – und umgenutzt. Kreativszene Hier sind Werbeagenturen wie “Zet”, “Art + Design”, “Wolf, Zumbruch & Partner” oder der Agenturenverbund “Die Komplizen” zu Hause und in einem Sichtbetonbau aus den 60ern in der Treitschkestraße die Bürogemeinschaft “T3”: mit Götz Gramlichs Agentur “gggrafik”, dem Planungsbüro “U.N.D.”, “rom-error”, “Infotectures” und “Zeichenweg”. An der Schnittstelle zu Bergheim gibt es die “Halle 03” mit dem Atelier Kontrast, dem Flyer- und Medienvertrieb “Fahrwerk”, der DJ-Agentur “Contact Booking” und der Agentur “PR Officer”. 22 l magazin titel l 0109 Kulturszene Mit der Halle 02 auf dem Güterbahnhofs-Areal hat Heidelbergs Westen einen “kleinen Giganten” in puncto Kunst-, Kultur- und Musikveranstaltungen in petto. Im alten Kern der Weststadt gibt es einige Galerien wie den vielseitigen Kunstraum Vincke und Liepmann, Timbuktu in der Römerstraße oder die Galerie Arte Harmonia in der Rohrbacher Straße. Und mit dem Studio Europa stützt sogar ein Kino die gewachsene Infrastruktur. Gastroszene Vom Schwarzen Peter über angesagte studentische Café-Bars (P11), internationale Küche (Persisches Restaurant Darwisch) und lässige Gaststätten (Krokodil) bis zum kultigen Frühstücks-Bistro (Der Wal), hat die Weststadt viel zu bieten. Cocktails trinkt man im Schultes, Wein bei Hugo Wine and Dine. Wohnen Die vielen, oft luxussanierten Jugendstil-Villen mit großen Gärten sind prägend für den Stadtteil, jedoch wohnt man durch die fortschreiten- de Nahverdichtung wie in der Römerstr. oder in der Rohrbacher Straße immer häufiger in Mehrfamilienhäusern und Wohnblocks. Wer sich hier auf Wohnungssuche begibt, muss Geduld haben: Es stehen nur wenige Objekte zum Verkauf, und auch das Angebot an – zumeist großflächigen – Mietwohnungen ist schmal. Und tief in die Tasche greifen muss man auch, denn die Weststadt weist neben Neuenheim und der Altstadt die höchsten Mietpreise in Heidelberg auf (etwa E 10.- bis E 12.- pro qm). Das trifft längst auch auf den Kaufmarkt zu. Verkehrsanbindung Sehr gut! (Stadtbahnlinien 23, 24 und 26, diverse Buslinien, S-Bahn-Haltestelle “WeststadtSüdstadt”, Hauptbahnhof) Distanzen (Auswahl) ab Wilhelmsplatz: Bismarckplatz (1,5 km), Universitätsplatz (2 km), Hauptbahnhof (1,5 km) Perspektive Durch die Nähe zur Altstadt, die gute Verkehrsanbindung und die angenehme Stadtteil-Atmo- Foto: Vitaminstudio.com sphäre ist die Weststadt schon immer eine gefragte Wohngegend. Seit immer mehr Kreativwirtschaft Wurzeln schlägt, entwickelt sich der Westen auch zum gepflegten Szeneviertel – für Besserverdiener! Bergheim Der Stadtteil Bergheim ist alles andere als nur eine Durchfahrtsstraße zur Altstadt. Denn Bergheim kommt. Obwohl es keinen zentralen Platz gibt und der Stadtteil eher einem Schlauch gleicht, statt einem städteplanerisch durchdachten Konzept zu folgen, hat Bergheim Charme. Die Hinterhöfe der Gründerzeithäuser und ein vielfältiges gastronomisches Spektrum ziehen auch zunehmend Kreative in den Stadtteil zwischen Bismarckplatz und Autobahn. Die spannenden und zum Teil heiß diskutierten und wild umkämpften Entwicklungsvorhaben rund um die ehemalige Glockengießerei, die Umgestaltung des Brauereigeländes oder die Nutzung des Alten Hallenbads zeigen, dass Bergheim lebt. Kreativszene In der Blunschlistraße sind das Label Phazz-adelic zu Hause, das Fashionlabel Klonklamotten, unter anderem die Agenturen Pepup, Xeneris, 13g und das Tonstudio Unit Productions. Kulturszene Wie es sich für einen urbanen Stadtteil gehört, blüht die Nischenkultur. Die Kleinkunstbühne des “Kulturfensters” bietet ein Spektrum von Kabarett bis zu Weltmusik und ist Mitveranstalter des Chanson-Festivals “schöner lügen”. Und Bergheim tanzt. Ob südamerikanisch in der Tanzschule Tribu del Mar oder orientalisch bei Tarab, ob im Club Ziegler’s mit den besten DJs der Stadt, oder im Landfriedkomplex mit seinem Filmkulissen-Look, der so etwas wie das kulturelle Zentrum Bergheims ist. Hier lockt auch das Taeter Theater an drei Tagen in der Woche und in der Nachtschicht und im Acht Grad pulsiert das Club- und Nachtleben. Der Ruhepol inmitten kultureller Urbanität: die Stadtbibliothek. Gastroszene Gastronomisch gibt sich Bergheim kosmopolitisch. Hier gibt’s Sushi und Chinesisch, das Horn of Afrika und das Taj Mahal, einen Perser und einen Italiener, Thailändisch bei Orchid Royal und Französisch im Tati. Und dann die Kaffeekultur: Vom omnipräsenten Rossi über das Thanner bis zum Gekco – hier findet jeder sein Stammcafé. Den schönsten Blick der Stadt beim Cocktailschlürfen gibt’s in der Skylounge und mehr Restaurants mit günstigen Mittagstischen hat auch kein anderer Stadtteil zu bieten. Wohnen Der Stadtteil wird noch immer dominiert von den Bauten der Gründerzeit. Fast zwei Drittel der Wohnungen in Bergheim haben nur ein oder zwei Zimmer. Die Mietpreise liegen nur unwesentlich tiefer als in der Altstadt oder in Neuenheim. Wer hier wohnen will, muss außerdem aktiv suchen. Sowohl zum Verkauf als auch zur Miete gibt es nicht viel Auswahl. Auch die meisten neuen Wohnungen im rundum sanierten Altklinikum sowie in den Gutenberghöfen sind bereits verkauft. In Bergheim kommen die Stadtplaner mit dem Wohnungsbau kaum hinterher, so gefragt ist die Gegend. Kreativzelle in der Weststadt: Bürogemeinschaft T3 Einkaufen In der Bergheimer Straße gibt’s Feinschmekkerläden wohin man schaut. Und das Ganze wieder weltumspannend: Ob Delikatessen aus dem Nahen Osten, Marmelade aus England, Wein aus Frankreich oder Biokost von alnatura – der Gourmet ist versorgt. Auch im Non-FoodBereich hat Bergheim Spezialitäten zu bieten. Fachgeschäft reiht sich an Fachgeschäft und jede Randgruppe wird bedient. Egal, ob BudoKämpfer, Musiker, Computerfreaks, Kletterer, Plattensammler oder Christen in der christlichen Buchhandlung Pavillon. Verkehrsanbindung Durch die Bergheimer Straße ziehen sich zahlreiche Stadtbahn- und Buslinien. Sogar zu Fuß ist man in wenigen Minuten am Verkehrsknotenpunkt der Stadt, dem Bismarckplatz. Die Autobahn und der Hauptbahnhof sind auch so gut wie vor der Haustür. Was will man mehr? Distanzen (Auswahl) Ab Mitte Bergheimer Straße: Bismarckplatz (0,5 km), Universitätsplatz (1,5 km), Hauptbahnhof (0,8 km) Perspektive Bergheim ist seit der Errichtung des X-Hauses und der Print Media Academy wohl der urbanste und neuerdings auch wieder einer der gefragtesten Heidelberger Stadtteile. Sanierungs- und Neubauprojekte am Altklinikum und am Bahnhof haben neuen, attraktiven Wohnraum geschaffen und dennoch sorgen die Altbausubstanz und die Nähe zum Neckar für genügend Wohlfühlfaktor. 0109 l magazin titel l 23 Foto: Privat Wer Industriedenkmäler vor dem Verfall retten will, sollte darin wohnen Pool im Turm Sie sind die Stiefkinder des Denkmalschutzes. Während Kirchen und Schlösser rausgeputzt werden, rottet das historische Erbe der Industrialisierung nicht selten vor sich hin. Viele alte Fabriken, Mühlen und Wassertürme im Rhein-Neckar-Delta stehen leer, und da die öffentliche Hand kein Geld hat, kann oft nur persönlicher Einsatz die Industriekultur retten. Der Umbau zu Büros für die Kreativwirtschaft oder zu Wohnungen ist ein eleganter Weg alte Industriebauten zu erhalten. Ein Wormser Architekt zeigt, wie es geht – und eine ehrgeizige Initiative hat der Industriekultur jetzt im Internet ein Denkmal gesetzt. Industriedenkmal mit Zukunft: Im Wormser Wasserturm (Foto oben) wird bald gewohnt und gebadet. 24 l magazin titel l 0109 Er hatte es schon einmal vorgeschlagen. Zu jung, zu unerfahren, urteilten die Stadtwerke als Besitzer des Wormser Wasserturms damals – sie trauten einem 32-Jährigen den Umbau einfach nicht zu. Er legte die Pläne für den Umbau zurück in seine Schreibtisch-Schublade und wartete. Der junge Architekt verstaute seinen Lebenstraum, aber er begrub ihn nicht. Ein Vierteljahrhundert später steckt Willi Stauß einen Schlüssel in die Tür des Wormser Wasserturms. Bald wird das sein Hausschlüssel sein. Vor drei Jahren wurde der Plan aus der Schublade dem Gemeinderat zur Abstimmung vorgelegt – das Ergebnis war einstimmig. Woher diese Einigkeit, 25 Jahre später? “Es wurde Zeit”, meint Stauß. Hätte man noch einmal zwei Jahrzehnte gewartet, wäre es vielleicht schon zu spät gewesen für den vor sich hin rottenden Turm. Mit vier Freunden arbeitet Willi Stauß seit zweieinhalb Jahren an der Verwirklichung seines Lebenstraums: Wohnen im Wormser Wasserturm. Dafür schufteten sie hart. “Hier stecken rund 1500 Arbeitsstunden von uns fünf drin”, sagt Stauß. Fünf Wohnungen entstehen insgesamt, schon bald sind die ersten bezugsfertig. In der Mitte des Turms hat sich Stauß bereits sein neues Büro eingerichtet. Die in den Raum hineinragende, gewölbte Decke ist der ehemalige Wassertank des Turms – und ist als zugleich hi- storisches und modern wirkendes Designelement so unerwartet wie architektonisch aufregend. Raumschiff Enterprise lässt grüßen. Mit dem Fahrstuhl geht es hoch, mitten durch den Tank. Vom 3. OG sieht man ins Innere: Von dem Stahlbehälter, der seit 1890 Worms für über 70 Jahre mit Wasser versorgte, ist nur noch das untere Drittel übrig. Wasser ist keines darin. Besser gesagt: Nicht mehr, aber bald wieder. “Das wird unser Pool”, sagt der Architekt beiläufig. Es ist sein Ernst. Eine Sauna ist auch noch geplant. Willi Stauß und seine Freunde haben viel mehr vom alten Wasserturm erhalten, als sie laut Denkmalschutz müssten. Trotzdem wundern sich viele, warum ein Privatmann den Zuschlag bekommt, so ein Gebäude zu nutzen. Ist solch ein historischer Bau nicht Gemeingut und sollte allen zugänglich sein? Muss da wirklich ein Fahrstuhl rein? Die Antwort fällt pragmatisch aus: Die öffentlichen Kassen sind leer und so sind private Investitionen oft die einzige Chance, historische Gebäude zu erhalten. “Hier regnet es seit zwanzig Jahren rein. Wenn nicht wir hier saniert hätten, wäre der Wasserturm vielleicht ungenutzt verfallen”, sagt Stauß. Jürgen Herrmann hat sich einer nicht minder großen Herausforderung gestellt. Sein Großvater Wilhelm Niderehe kaufte kurz nach dem Ersten Weltkrieg das Gebäude der ehemaligen Badischen Brauerei in der Käfertaler Straße in Mannheim. 80 Jahre später bekam Jürgen Herrmann die Verantwortung für das, was davon noch übrig war. Über die Jahre wurde aus dem Mälzereigebäude ein marodes Stück Industriegeschichte. Die Stadt wollte es schon 1983 kaufen, um es abzureißen und an seine Stelle Klinikneubauten zu setzen. Doch auch dafür war kein Geld da, zwei Jahrzehnte lang passierte nicht viel. 1997 wurde das Mälzereigebäude samt der Fassade an der Röntgenstraße unter Denkmalschutz gestellt. Und Jürgen Herrmann beginnt, sich Fragen zu stellen: Ist vielleicht doch eine Sanierung möglich? Ist die Alte Brauerei noch zu retten? Fünf Jah- re später geht er es an: Herrmann saniert im großen Stil – das Risiko und die Kosten trägt er selbst. Zum Tag des offenen Denkmals im September 2005 wurde den Mannheimern die neue Alte Brauerei (Foto Mitte) vorgestellt. Heute besticht sie vor allem von innen mit zeitgemäßer Optik und Technik und hat doch ihren historischen Charakter bewahrt. Die Konzertagentur BB Promotion und ein Tonstudio sind ebenso eingezogen wie das Studiendekanat für Medizin der Uni Mannheim. Ein Erbe und ein Architekt zeigen, wie es gehen kann Diese beiden Erfolgsgeschichten zeigen, wie es gehen könnte. Sie demonstrieren, wie die Industriekultur in der Region trotz ökonomischer Zwänge erhalten bleiben kann. Der Erbe und der Architekt zeigen, was Privatleute leisten können, wenn ihnen keine Steine in den Weg gelegt werden oder die Stadt sie sogar unterstützt. Aber Jürgen Herrmann will mehr. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit der Alten Brauerei sensibilisierte ihn. “Ich weiß jetzt, wie sich unsere Identität in der Industriegeschichte widerspiegelt.” Mit ein paar Gleichgesinnten hat er deshalb ein Projekt gestartet: Rhein-Neckar-Industriekultur. Sie sind zu acht. Die oberste Denkmalschützerin der Stadt Mannheim, Monika Ryll, ist ebenso dabei wie der Mannheimer Künstler Dietmar Brixy, der mit Unterstützung des Denkmalschutzes das ehemalige Abwasserpumpwerk in Neckarau zu seinem Privathaus und Atelier umbaute (Foto rechts). Die Gruppe hat kein Geld, aber dafür eine Webseite und ehrgeizige Ziele. “Wir wollen die Industriedenkmäler der Region ins Bewusstsein der Menschen bringen”, sagt Herrmann. Dafür sammeln sie fleißig. Nicht Geld, sondern Objek- te. Schon zu über 50 Ex-Industriebauten haben sie auf ihrer Webseite Informationen gesammelt. Oft fahren sie selbst hin, fotografieren und sprechen mit den Leuten vor Ort – alles in der Freizeit. In diesem Jahr wollen sie endlich einen Verein gründen, damit auch eine Förderung und Spenden möglich sind. Alte Industriegebäude durch private Nutzung zu erhalten, funktioniert aber nicht immer. So wurde in Heidelberg-Rohrbach die alte Waggonfabrik Fuchs abgerissen, um eine Wohnsiedlung hochzuziehen (Foto links). Lediglich ein paar Alibi-Fassaden blieben erhalten. Und die wollen so gar nicht zu den dahinter stehenden Neubauten passen. Da waren die wirtschaftlichen Zwänge, denen ein Bauinvestor unterliegt wohl zu groß für den Industriedenkmal-Schutz. Doch der Wormser Wasserturm und die Alte Brauerei sind keine Einzelfälle. Von der alten Tabakfabrik in HirschbergGroßsachsen etwa blieb im Rahmen der Sanierung nicht nur die Fassade, sondern immerhin ein kompletter viergeschossiger Bau erhalten, in dem heute gewohnt und gearbeitet wird. Viele sehen die private Nutzung ehemaliger Industriegebäude kritisch, weil die Öffentlichkeit außen vor bleibt. “Das ist allemal besser, als sie verfallen zu lassen oder abzureißen”, glaubt Jürgen Herrmann. Außerdem sei es nur die halbe Wahrheit, schließlich mache er die Alte Brauerei für Führungen zugänglich. Auch der Künstler Dietmar Brixy lädt regelmäßig zu Vernissagen in sein historisches Pumpwerk und machte es jüngst zur temporären Galerie. Und auch Willi Stauß hat einen Kompromiss gefunden: Nicht nur das Foyer und den Keller des Wormser Wasserturms will er am Tag des offenen Denkmals zugänglich machen, sondern auch sein Büro mit der futuristischen Decke aus historischem Stahl. Nur in seinem Pool baden, das darf die Öffentlichkeit nicht. SEBASTIAN RIEMER FOTOS: RHEIN-NECKAR INDUSTRIEKULTUR > rhein-neckar-industriekultur.de 0109 l magazin titel l 25