Bei Bauarbeiten wird abkassiert

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Bei Bauarbeiten wird abkassiert
derFahrgast
Fahrgastrechte
DB-Preissystem:
Bei Bauarbeiten wird abkassiert
Bis zu 17 Prozent höhere Fahrpreise
Warum kostet eine Bahnfahrt am Karfreitag oder zu Pfingsten mehr als sonst im ganzen Jahr? Eine
passionierte Bahnfahrerin brachte PRO BAHN auf die Spur eines Missstandes: Die Deutsche Bahn AG
verlangt bei Bauarbeiten bis zu 17 Prozent höhere Fahrpreise für unfreiwillige Umwege und unfreiwillige ICE-Benutzung. Es sind nicht nur Einzelfälle, sondern es ist ein Problem des Systems der DB AG.
C
laudia D. staunte nicht schlecht. Für
die Fahrt mit dem ICE von Frankfurt
nach Göttingen sollte sie 71 Euro bezahlen, obwohl sie mit der S-Bahn zum Frankfurter Südbahnhof fahren sollte und der
ICE eine dreiviertel Stunde länger unterwegs war als sonst. Bisher hatte sie diese
Fahrkarte immer für 59 Euro bekommen
und am Frankfurter Hauptbahnhof in den
ICE einsteigen können.
„Statt sich bei den Fahrgästen für die
Unannehmlichkeiten zu entschuldigen,
kassiert die Bahn lieber ab für die unfreiwillig zurückgelegten zusätzlichen Kilometer“, schrieb sie an PRO BAHN. Frau D.
hatte die Ursache für die merkwürdig
teure Fahrkarte richtig erkannt: Der Zug
wurde umgeleitet und hatte einen zusätzlichen Halt in Aschaffenburg.
Die Ursache war bei einer Recherche
schnell geklärt. Eine Fahrkarte von Frankfurt über Aschaffenburg und Würzburg
nach Göttingen kostet tatsächlich 71 Euro.
Da der umgeleitete Zug in Aschaffenburg
hielt, wurde der Umweg über Würzburg
berechnet.
Ein bedauerlicher Einzelfall? Keineswegs. Zu Pfingsten wurden erneut ICEZüge von Berlin nach Mannheim über
Aschaffenburg umgeleitet, und wieder
berechnete die DB AG dafür die gleichen
saftigen Aufschläge. Und der Fall wird sich
wiederholen, wenn die DB AG nicht ihr
gesamtes System zur Preisberechnung
überarbeitet. Den Fahrgästen fällt die
­ungerechtfertigte Mehrforderung nicht
auf, wenn sie nicht öfter die gleiche Stre­
cke fahren und daher den üblichen Preis
kennen.
Altes Tarifsystem –
neues Verkaufssystem
In vielen Fällen führt das derzeitige Preissystem auch bei Umleitungen nicht zu
­höheren Preisen. Das liegt nicht an der
modernen DB AG, sondern am immer
noch gültigen Tarifsystem der alten Bundesbahn. Damals gab es noch freizügig
zu nutzende Fahrkarten, die auch über
kleinere Umwege gültig waren: von Kassel über Gießen oder Fulda nach Frankfurt, von Frankfurt über Mannheim oder
Heidelberg nach Karlsruhe, von Münster
über Gelsenkirchen oder Wuppertal nach
Köln oder von Hannover über Stendal
oder Magdeburg nach Berlin kostet es immer den gleichen Preis. Aber von Frankfurt über Aschaffenburg nach Göttingen
ist es ein Umweg, der gesondert berechnet wird.
Zu diesem Tarifsystem gehörten Fahrkarten, die man bekam, ohne dafür einen
ganz bestimmten Fahrplan anzugeben.
Foto: fotolia
Einfache Fahrt 2. Klasse
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Normalpreis
Kein Schalterbeamter, kein Zugbegleiter
wäre auf die Idee gekommen, bei einer
Umleitung eine andere Fahrkarte zu verkaufen als für den normalen Weg.
Doch das hat sich geändert. Der DBComputer verlangt für jede Fahrkarte
­einen ganz bestimmten Fahrplan und
­berechnet dafür den Fahrpreis neu und individuell. So bemerkt der Computer auch
eine Umleitung und schließt daraus messerscharf, dass der Fahrgast aus Freude am
Bahnfahren länger im Zug sitzen will –
und verkauft die teurere Fahrkarte. Das
Computersystem ist nicht darauf ausgelegt, Umleitungen zu erkennen.
Vor allem über kürzere Entfernungen
machen sich diese Mehrpreise stark bemerkbar. Auf Langstrecken wie Berlin –
Stuttgart gilt schon der Höchstpreis von
129 Euro und Fahrgäste, die Sonderangebote zum Pauschalpreis mit Zugbindung
nutzen, sind nicht betroffen.
Zwangsweise ICE fahren
Zu den Preiserhöhungen durch Bauarbeiten gehört auch die Streichung von IC­
Zügen. Sie ist an der Tagesordnung: In diesem Sommer fallen IC-Züge jeweils für
fünf Monate zwischen Hamburg und Hannover und zwischen Bielefeld und Hannover aus. Die Fahrgäste werden auf den
Baupreis
Aufschlag
Grund
Lüneburg – Göttingen
44 € 54 € 23 %
IC-Streichung
Frankfurt Hbf – Göttingen
59 € 71 € 17 %
Umleitung
Hamburg – Uelzen
19 € 22 € 14 %
IC-Streichung
Frankfurt Flugh – Kassel
54 € 62 € 13 %
Umleitung
Mannheim – Hildesheim
81 € 90 € 10 %
Umleitung
Stuttgart – Braunschweig 113 € 123 €
8 %
Umleitung
Köln – Leipzig
86 € 92 €
7 %
IC-Streichung
Herford – Leipzig
64 € 65 €
2 %
IC-Streichung
Wuppertal – Magdeburg
70 € 71 €
1 %
IC-Streichung
derFahrgast 3/2011
derFahrgast
Fahrgastrechte
teureren ICE verwiesen. Zwischen Hamburg und Hannover hält der ICE ersatzweise sogar an den IC-Haltepunkten.
Wer bisher mit dem IC gefahren ist,
darf – zusätzlich zur längeren Fahrzeit
und zum Umsteigezwang – auch noch
draufzahlen. Von Herford nach Leipzig ist
es nur ein Euro, von Köln nach Leipzig sind
es schon sechs. Spitzenreiter ist der Aufschlag von 10 Euro für die Verbindung
Lüneburg – Göttingen.
Dümmliche Pressemitteilung
der DB AG
Mit einer Pressemitteilung wies PRO
BAHN am 9. Juni 2011 auf die Zusammenhänge hin. Die DB AG antwortete postwendend mit einer Pressemitteilung und
schrieb: „Richtig ist vielmehr, dass die DB
bei langfristig geplanten Bauarbeiten den
Fahrpreis in den Buchungssystemen so
anpasst, dass es für den Kunden zu keinen
Preisänderungen kommt.“ Besser konnte
die Presseabteilung des Konzerns nicht
beweisen, dass sie sich in ihrem eigenen
Unternehmen nicht auskennt, denn bei
den Umleitungen über Aschaffenburg
handelt es sich um langfristig geplante
Bauarbeiten.
Zum Problem des erhöhten ICE-Fahrpreises wegen weggefallener IC-Züge
schrieb die DB AG: „Wenn Kunden dann
anstelle eines IC einen ICE benutzen, fahren sie mit einem höherwertigen Zug, der
auch mehr Komfort bietet.“ Wie man das
einem Fahrgast von Wuppertal nach Leipzig erklärt, der zweimal zusätzlich umsteigen muss und auf dem zwangsweise
genutzten ICE-Abschnitt einen überfüllten Zug erlebt, bleibt das Geheimnis der
DB AG.
Entsprechend empört reagierte die
Politik: Der hessische Verkehrsminister
Dieter Posch (FDP) nannte dies in einem
Brief an DB-Chef Grube „ausgesprochen
kundenunfreundlich und letztlich unvertretbar“, und die SPD bezeichnete den
Vorgang als „Schildbürgerstreich erster
Klasse“.
Beim Buchen genau hinsehen
unterschiedlichen Tagen mit und ohne
Bauarbeiten.
PRO BAHN rät allen Fahrgästen, die
wegen der Umleitung zu viel bezahlt
haben, sich den Mehrpreis erstatten zu
lassen. Die DB AG hat diese Erstattung angekündigt.
Für den Fall, dass der Fahrpreis steigt,
weil der IC gestrichen ist, hat die DB AG
die Erstattung schon im Voraus abgelehnt.
Insoweit empfiehlt PRO BAHN, in jedem
Fall dann, wenn zusätzliches Umsteigen
mit dem Mehrpreis verbunden ist oder
wegen Überfüllung des Zuges ein Sitzplatz nicht zu finden war, ebenfalls die
Erstattung zu verlangen und gegebenenfalls die Schlichtungsstelle SOEP anzurufen. Es wäre spannend zu erfahren,
worin der „zusätzliche Komfort“ besteht,
für den der Mehrpreis bezahlt werden
soll.
PRO BAHN wird die Entwicklung jedenfalls genau beobachten. Die DB AG muss
nämlich ihr gesamtes Tarif- und Verkaufssystem überarbeiten, um die Probleme
von Umleitungen und Zugstreichungen
bei Bauarbeiten in den Griff zu bekommen.
Normale Preise am Freitag
Erhöhte Preise am Samstag
Die Ursache: eine Umleitung
Informationen über die versteckten Preiserhöhungen gibt es – auch wenn die
DB AG das Gegenteil behauptet – selbstverständlich nicht. Der höhere Preis wird
vom Computersystem vollautomatisch
und kommentarlos kassiert.
Wer zum „Normalpreis“ fährt, ob mit
oder ohne Bahncard, muss bei den Preisen
genau hinsehen, ob der Preis stimmt, und
Preise vergleichen – nicht nur zwischen
verschiedenen Zügen, sondern auch an
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